Von Feen und Zauberern

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Zauberoper. Unter diesem vielversprechenden Titel präsentieren Alpha und BR Klassik die neue CD von Konstantin Krimmel (Alpha 892). Zudem werden die Namen der Komponisten Mozart, Haydn und Salieri genannt. Der charismatische junge Bariton posiert auf dem Cover so, als sei er selbst ein Zauberer, der aus dem Dunkel heraustritt. Der Blick starr auf den Beschauer gerichtet. Beide Hände gegen Wände gestemmt, die es gar nicht zu geben scheint. Eine Stimmung wie von der guten alten Laterna magica beschworen. Fantastische Gewandung muss nicht sein. Geste ist alles. So trefflich die Neuerscheinung optisch ausgefallen ist, ihre Beschriftung verkauft ihren Inhalt etwas unter Wert. Nach den Highlights will gesucht sein. Und das lohnt sich allemal.

Am Beginn stehen vier Nummern aus dem 1790 uraufgeführten zweiteiligen Singspiel Der Stein der Weisen oder Die Zauberinsel. Schon mal gehört oder schon wieder vergessen? Auf mich trifft beides zu. Es wurde erst 1996 vom amerikanischen Musikwissenschaftler David J. Buch in der Musikabteilung der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek entdeckt. Zwei Jahre später legte der Dirigent Martin Pearlman mit dem von ihm gegründeten Boston-Baroque-Ensemble eine Aufnahme vor, die bei Telarc erschien. Aufführungen gab es 2001 in Augsburg, 2006 beim englischen Festival Garsington Opera und 2017 in Innsbruck. Für den 10. Dezember 2022 ist erneut eine Vorstellung in Augsburg geplant – und zwar im Parktheater des Kurhauses Göggingen. Musikalisch wird sie von der Hofkapelle München unter der Leitung von Rüdiger Lotter bestritten. Dieses Ensemble begleitet auch Krimmel auf seiner CD mit wunderbar federndem und durchsichtigem Klang.

Benedict Schack in dem Singspiel „Die Zween Anton.“ Schack in der Mitte, die Hand von der Sopranistin Josepha Hofer haltend/ Wikipedia

Die Ausgrabung des Werkes wurde seinerzeit schon deshalb als Sensation gefeiert, weil sich eine Verbindung zur Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart zeigt, die ein Jahr nach dem zweiteiligen Singspiel ebenfalls im Wiener Theater auf der Wieden uraufgeführt wurde. Nicht genug. Emanuel Schikaneder (1751-1812) verfasste für beide Stücke die Texte. An der Kompositionen des Singspiels waren neben Mozart drei Männer beteiligt, die – wie Schikaneder in der Rolle des Papageno – an der ersten Aufführung der Zauberflöte beteiligt gewesen sind: Benedict Schack (1758-1826) als Tamino, Franz Xaver Gerl (1764-1827) als Sarastro sowie Johann Baptist Henneberg (1768-1822), der die musikalische Einstudierung besorgte und die Oper von der dritten Aufführung an dirigierte. Drei junge Musiker also, die offenkundig sehr vielseitig ausgebildet waren, nicht nur singen oder dirigieren, sondern auch komponieren konnten. Vier weitere Künstler wirken in den Uraufführungen beider Werke mit, darunter Anna Gottlieb, die erste Pamina, die im Stein der Weisen die Nadine gab.

Nach der effektvollen Ouvertüre singt Krimmel drei Arien in zwei verschiedenen Rollen, die nicht gegensätzlicher sein können. Zweimal ist er der Waldaufseher Lubano, einmal Eutifronte, der Bruder des Halbgottes Astromonte, Herrscher von Arkadien, in dessen Landschaft das Stück zur Märchenzeit spielt. Lubano, der einerseits die strengen die Regeln im Tempel bricht, andererseits die ihm angetraute Lubanara von der Außenwelt eifersüchtig und misstrauisch abschirmt. Allein gelassen sehnt sie sich nach Freiheit, die ihr Eutifronte bringen soll, der als Geist unter der Erde wohnt. Es braucht zwanzig Szenen, um die verzwickte Geschichte auszubreiten. Eine Rolle spielt auch ein Vogel in einem prächtigen Käfig, den der Halbgott Astromonte schließlich als Zeichen vermeintlicher Güte auf einem Wolkenwagen zur Erde sendet. Mit diesem Symbol ergibt sich auch ein inhaltlicher Verweis auf die Zauberflöte, die mit Papagenos Arie „Der Vogelfänger bin ich ja“ ins Programm der CD aufgenommen wurde. Sie gelingt Krimmel genauso leicht wie die beiden vorangegangenen Auftritte als Waldaufseher. Männer aus dem Volk weiß er mit seinen reichen stimmlichen Möglichkeiten überzeugender zu gestalten als den Bruder eines Halbgottes.

Peter von Winter (1754-1825), Gemälde (1880), von Enrico Rossi (1858-1916)/ Wikipedia

Das gilt auch für den anderen liebenswürdigen Papageno in Der Zauberflöte zweyter Teil von Peter von Winter (1754-1825), dessen Arie „Nun adieu, ich reis, ihr Schätzen“ geboten wird. Er muss Prüfungen bestehen und findet sich vielen Versuchungen ausgesetzt. Seine Arie ist wie ein dreistrophiges Lied angelegt und baut auf einem Thema auf, dass sich auch dank Krimmels leichter Vortragsweise und der musikalischen Begleitung durch den Mann am Pult aufs Angenehmste mitteilt. Im Vergleich mit Mozarts Oper verliert sich deren Fortsetzung in einem verwinkelten Irrgarten, in dem sich sogar ein von Affen und Papageien bevölkerter ägyptischer Wald auftut, wo Papageno mit seiner Papagena ein gemütliches Fest feiern will. Monostatos aber versucht das traute Glück auf die Probe zu stellen, indem er Papageno gleich drei Mohrinnen für Liebensdienste anbietet. Nicht nur Goethe hatte sich an einer Fortsetzung der Zauberflöte versucht, sie aber nicht zum Abschluss gebracht. Sein Stück blieb auch deshalb unvollendet, weil sich kein Komponist fand. Schikaneder, der eine eigene Weiterführung seines bekanntesten Librettos schrieb, hatte mit Winter, mehr Glück. Der stand als Komponist und Kapellmeister weit über Deutschland hinaus in hohem Ansehen. Mit ihrer Zauberflöte hatten Mozart und Schikaneder einen Nerv der Zeit getroffen.

Joseph Noel Paton: „Titania et Oberon“, 1832/ Wikipedia

Da es noch kein verbindliches Urheberrecht gab, wurden Aufführungen auch mit Zutaten anderer Komponisten angereichert. Ein besonders markantes Beispiel für diesen freien Umgang mit dem Original ist die Aufführung 1801 in Paris unter dem neuen Titel Les Mystères d’Isisd. Der Komponist Ludwig Wenzel Lachnith und sein Librettist Étienne Morel de Chédeville hielten sich nur noch in groben Zügen an die ursprüngliche Handlung und nannten auch die Figuren um. Einen Beitrag dazu widmete operalounge in der Reihe Die vergessene Oper.

Mit Paul Wranitzky (1789-1808) tritt ein weiterer Zeitgenosse auf den Plan, der mit Mozart befreundet gewesen ist und wie dieser Freimaurer war. Seine Oper Oberon erfüllt alle Merkmale einer Zauberoper, in der reale Menschen auf Fabelwesen, Gespenster, Magiere oder wilde Tiere treffen. Fremdes und Exotisches schieben sich wie eine Kulisse vor das Geschehen. Am Ende aber siegt die Liebe über alle Gefahren und Prüfungen, denen sich handelnden Figuren ausgesetzt sehen. Erst Webers gleichnamige Oper verdrängte Wranitzkys Oberon von den Spielplänen. Sie wurde 1789 ebenfalls im Theater auf der Wieden mit großem Erfolg erstmals gegeben. Unter den Zuschauern soll auch Mozart gewesen sein. Den Hüon sang übrigens Schack, der bereits als einer der Komponisten vom Stein des Weisen Erwähnung fand, Franz Xaver Gerl, den Bassa von Tunis Almansor, womit sich wieder neue Verknüpfungen des CD-Programms ergeben.

Christoph Martin Wieland auf einem Gemälde von Kügelchan/ Wikipedia

Wie später Weber bediente sich auch der mährisch-österreichische Komponist bei Christoph Martin Wieland. Krimmel fährt mit zwei Rollen –Aristone und Scherasmin – wieder zweigleisig. Ein begeistertes Publikum fand bei der Uraufführung die Scherasmin-Arie „Einmal in meinem achten Jahr“. Sie setzt sich aus Traumerzählungen zusammen. Als ihm endlich „ein Weib wie Trojas Königin / Geschaffen zu der Liebe Freude“ erscheint, wird er durch „der wilden Katzen Teufelschor“ jäh in die Wirklichkeit zurückgeholt. „Miau, miau, miau hört nun mein Ohr.“ Die Nummer macht viel her und scheint wie geschaffen für einen Sänger, der seinen Vortrag auf der Bühne mit eigenen Zutaten und entsprechenden Grimassen würzen kann. Krimmel hat diese Möglichkeiten im Studio nicht. Er verzichtet auf Übertreibungen und hält sich an die musikalischen Vorgaben, weshalb der Erfolg der Szene bei der Premiere nicht ganz nachzuvollziehen ist. Der hintergründige Witz der Nummer ist mehr aus dem Orchester zu hören, wo die Violinen tatsächlich eine Art Katzenjammer anstellen.

Die große Bühne, nämlich das Wiener Burgtheater, tat sich 1785 für Antonio Salieris La Grotta di Trofonio auf. Den Bau an der Ringstraße, wie wir ihn heute kennen, gab es allerdings noch nicht. Gespielt wurde in einem ehemaligen Ballhaus mit 1200 Plätzen, das einen direkten Zugang von den kaiserlichen Gemächern in die Ehrenloge hatte. „Am 17. Februar 1776 erklärte Kaiser Joseph II. das Theater zum Teutschen Nationaltheater. Er war es auch, der per Dekret anordnete, dass die angesetzten Stücke keine traurigen Ereignisse behandeln sollten, um die kaiserlichen Zuschauer in keine schlechte Stimmung zu bringen. Viele Stücke mussten deswegen geändert und mit einem ,Wiener Schluss‘ (Happy End) versehen werden, beispielsweise Romeo und Julia oder Hamlet“, ist bei Wikipedia zu lesen. Salieri erfüllt mit seiner Oper diese Anforderung. Sie endet im Jubel mit einer Doppelhochzeit von Zwillingsschwestern. Doch bevor es so weit ist, müssen sie und ihre Bräutigams – ähnlich dem Geschehen in Mozarts Cosi fan tutte – herausfinden, ob sie wirklich zueinander passen. Dabei spielt der Zauberer Trofonio eine maßgebliche Rolle. Krimmel singt zwei Arien des um das Wohl seiner Töchter besorgten Vaters. Zusätzlich gibt es noch die dramatische Ouvertüre der Oper, die als eine der besten Schöpfungen von Salieri gilt. 2005 wurde sie mit Aufführungen unter der Leitung von Christophe Rousset in Lausanne und Poissy für den Theaterbetrieb wiederentdeckt. Der Dirigent besorgte im Folgejahr auch die erste CD-Einspielung (Ambroisie AMB 9986). Umso erfreulicher ist es, dem Werk mit wenigsten drei Nummern erneut zu begegnen.

Die von Erich Kleiber betreute szenische Uraufführung erfolgte am 9. Juni 1951 in Florenz im Teatro della Pergola mit Maria Callas als Euridice und dem dänischen Tenor Thyge Thygesen als Orfeo/ Wikipedia

Vertrautes Terrain betritt der Sänger Konstantin Krimmel mit Joseph Haydn. Dessen Opern Orfeo ed Euridice und Orlando Palladio sind durch diverse Einspielungen und Aufführungen bekannt geworden. Dirigenten wie Antal Dorati, Nicolaus Harnoncourt, Richard Bonynge, Tom Koopman oder Thomas Hengelbrock haben ihre Bedeutung erkannt. Orfeo, die letzte Oper des Komponisten, wurde schon 1950 komplett bei Vox eingespielt und 2011 von Music&Arts auf CD herausgegeben. Beteiligt waren Judith Hellwig und Herbert Handt in den Titelrollen sowie das Orchester der Wiener Staatsoper unter Hans Swarowsky. Dieses frühe Interesse der Plattenindustrie hat keine seiner anderen Opern gefunden. Warum? Die Uraufführung, die noch zu Lebzeiten Haydn für das King’s Teatre in London geplant war, zerschlug sich. Erst in den späten 1940er Jahren wurde aus dem überlieferten Material eine spielbare Fassung erarbeitet, die Swarowskys Studioproduktion ermöglichte.

Die von Erich Kleiber betreute szenische Uraufführung erfolgte am 9. Juni 1951 in Florenz im Teatro della Pergola mit Maria Callas als Euridice, dem dänischen Tenor Thyge Thygesen als Orfeo und Boris Christoff als Creonte (die RAI folgte 1958 mit Ornelia Fineschi und Francesco Albanese konzertant, und an das Dokument mit Joan Sutherland und Nicolai Gedda von 1967 sei erinnert). Verglichen mit der Gluck-Oper, deren Reigen seliger Geister das Finale der Krimmel-CD bildet, stirbt Euridice erst gegen Ende des zweiten Aktes. Es gibt eine Vorgesichte, in der auch ihr Vater Creonte, König von Theben, erscheint. Krimmel singt zwei seiner Arien. Obwohl anderweitig versprochen, liebt Euridice Orfeo und will mit ihm vermählt werden. Sein betörender Gesang lässt schließlich auch den König in diese Verbindung einwilligen. Von seiner Ergriffenheit und Milde lässt Krimmel einiges erahnen. Es klingt wie ein sehr junger Vater, dem die Gefühle seiner Tochter Euridice nicht fremd sind (06.11.2022). Rüdiger Winter