Archiv für den Monat: Juni 2014

Julius Rudel

 

Julius Rudel starb am 27. Juni 2014 – ein Leuchtturm im amerikanischen Opernleben, langjähriger Leiter der New York City Opera und deren Garant für hohe Qualität, Dirigent von außerordentlichem Rang und weit vor James Levine von mitreißender Verde. Er war phantasievoll in seinem Repertoire und Entdecker/Steigbügelhalter für eine Menge von vor allem jungen Sängern, die durch ihn zu Weltruhm gelangten – so Placido Domingo oder Berverly Sills, die ohne ihn ihre komentenhafte Karriere nicht gemacht hätten. Aber er förderte auch eine Legion von exzellenten Mittelklassesängern wie Elaine Bonazzi, Susan Belling und vielen mehr. Mit seinem Tod geht ein weiterer Künstler, der entscheidend das musikalische Gesicht der USA zu einer immensen Identität gewandelt und der durch seine zahlreichen Einspielungen (darunter Mefistofele mit Samuel Ramey bei EMI oder die mehr oder weniger originale Ariadne bei VAI mit der Sills und Saunders) unser Bewusstsein von Oper geprägt hat. Im nachfolgenden ein Auszug aus einem Nachruf bei Naxos. G. H.

Julius Rudel: 1976 mit Beverly Sills/Manon und Dirigentin Sarah Caldwell and der City Opera/The well tempered Ear

Julius Rudel: 1976 mit Beverly Sills/Manon und Dirigentin Sarah Caldwell and der City Opera/The well tempered Ear

 

Julius Rudel

Born in Vienna on 6 March 1921, Julius Rudel received his earliest musical instruction in his native city, where he also pursued advanced study at the Academy of Music. At the age of seventeen he emigrated to the United States and enrolled in the Mannes School of Music in New York. His long association with the New York City Opera began when he joined the company as a rehearsal pianist in 1943. He made his conducting début in 1944 with Johann Strauss’ Gypsy Baron. In 1957 Rudel was appointed Music Director of the City Center Opera, which in time developed into one of the best and most enterprising companies in the United States. In 1979 he left his post at the New York City Opera to extend his symphonic activities in the United States and across Europe. He became music director of the Buffalo Philharmonic, a position he held until 1994, and forged a special link with the Orchestra of St Luke’s, a collaboration which has led to a continuing series of recordings. In addition to his orchestral and opera conducting, Julius Rudel has served as an important musical administrator in a variety of venues. He directed the opening seasons of Washington’s Kennedy Center as its first music director and was also the first music director of the Wolf Trap Festival. Other posts he has held include music directorships of the Cincinnati May Festival, the Caramoor Festival and music adviser to the Opera Company of Philadelphia. He now continues to work with many of the world’s finest opera companies including the Metropolitan in New York, Teatro Colón in Buenos Aires, Lyric Opera of Chicago, Opera Bastille in Paris, Royal Opera in Copenhagen, Berlin’s Deutsche Oper and the Stadttheater in Berne, Switzerland. He has won a Grammy Award and seven Grammy nominations, and his many opera recordings include Massenet’s Manon and Cendrillon, Boito’sMefistofele, Verdi’s Rigoletto, Bellini’s I puritani, Weill’s Silverlake and Last in the Star, Bomarzo, and Handel’s Giulio Cesare, which won the Schwann Award for Best Opera Recording.He has also made several filmed videos with such international artists as Kiri te Kanawa, Eva Marton, and Frederica von Stade. Julius Rudel was made a Chevalier des Arts et Lettres by France and has been decorated by the governments of Austria, Germany, and Israel. He has also received a variety of honorary doctorates from universities and colleges in the United States.

 

Dazu auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Rudel

Foto oben: Julius Rudel: ca. 1970 bei der Probe des NYCO-Orchesters/deceptive cadence/Rudel

Viele Königinnen – aber nur eine Rysanek

Leonie RysanekThe Soprano Queen. Es gibt zwar viele Königinnen in diesem Stimmfach. Aber es gab nur eine Rysanek. Sie hatte keine Vorgängerin und keine Nachfolgerin. Sie war eine Ausnahme und ist es in der Erinnerung ihrer sehr zahlreichen Anhänger geblieben. Jene, die sie noch selbst erlebt haben auf den Bühnen dieser Welt, schwören, dass sie nur dort zu ihrer eigentlichen Größe wuchs. Dabei sollen nicht alle Abende zu ihrem Ruhme beigetragen haben, je näher sich die Karriere ihrem Ende neigte. Aber dann gab es immer wieder diese Vorstellungen, bei denen sie mit ihrem flammenden Sopran alles in ihren Bann schlug, was Parkett und Ränge füllte. Selbst zufällige Opernbesucher, die noch nie zuvor von ihr gehört hatten, sollen durch sie für  den Rest ihres Lebens mit Oper infiziert gewesen sein. Die Rysanek war durch Präsenz und Individualität die beste Werberin für diese Kunstform. In die Kulissen des so genannten Regietheaters hätte sie nicht gepasst. Sie war ihr eigenes Regietheater. Unorthodox, wie die Rakete, die an beiden Enden in Flammen steht. Ihre Aufnahmen vermitteln davon zwar eine starke Vorstellung, das Bühnenerlebnis ersetzen sie nicht.

Weit gereist als Sieglinde: Die Rysanek mit Alberto Remedios als Siegmund in Sydney

Weit gereist als Sieglinde: die Rysanek hier mit Alberto Remedios/Siegmund in Sydney/Opera Australia

Dem Label The Intense Media, das sich der Erinnerung an bedeutende Sänger und Musiker verschrieben hat, ist mit seiner Rysanek-Box eine schöne Auswahl gelungen (600 159). Die zehn CDs sind nicht immer randvoll gefüllt, dafür aber werden Szenen aus dreißig Opern aufgeboten. Ihr Repertoire war allerdings viel größer. Kundry, Chrysothemis, Salome, Küsterin, Kabanicha, die späte Klytämnestra oder die Pique Dame-Gräfin sind nicht berücksichtigt. Kein Grund zur Klage. Entsprechende Mitschnitte sind auf allen möglichen Labels weit verbreitet und kursieren unter Sammlern. Dieser Mangel schmälert die Box also nicht. Obwohl ihre Domäne die Bühne gewesen ist, sind ihr auch eine ganze Menge Studioproduktionen gelungen. Lady Macbeth gilt als das Paradebeispiel. Szenen der RCA-Einspielung unter Erich Leinsdorf, die das sensationelle Debüt in der alten New Yorker Met zu wiederholen versucht, belegen das. Aus Studios, auch beim Rundfunk, stammen Ausschnitte aus den komplett eingespielten Opern Fidelio (DG/Ferenc Fricsay), Oberon (WDR/Joseph Keilberth) und Otello (RCA/Tullio Serafin) sowie zahlreiche einzelne Szenen und Arien, darunter „Das war sehr gut, Mandryka“ aus Arabella, „Ich weiß nicht, wer mein Vater war“ aus Tiefland oder die Senta-Ballade aus dem Fliegenden Holländer (alles mit Wilhelm Schüchter am Pult). Holländer gibt es zusätzlich aus Bayreuth. Von dort stammen die gleichfalls größeren Szenen aus Walküre (1951/Herbert von Karajan) und Lohengrin (1958/André Cluytens).

Salome: Paraderolle im berühmten Kostüm

Salome: Paraderolle im berühmten Kostüm/Foto Buhs-Remmler/DOB

Eines meiner liebsten Rysanek-Dokumente ist ihre Gutrune in der Götterdämmerung aus dem Münchener Prinzregententheater, die Hans Knapperstbusch 1955 dort aufführte. Sie ist eine der wenigen dokumentierten Produktionen, die diese Partie vom Rande ins Zentrum rückt und ihr neben der Brünnhilde – gesungen von der aufstrebenden Birgit Nilsson – die Wichtigkeit gibt, die ihr bei genauer dramaturgischer Lesart tatsächlich zukommt. Noch immer werde ich den Eindruck nicht los, dass sich damals eine kommende Brünnhilde abgezeichnet. Tat es aber nicht. Brünnhilde hatte sich für die Rysanek offenbar bereits 1950 erledigt. Damals debütierte sie in der österreichischen Provinz als Walküren-Brünnhilde, ohne dass es eine Fortsetzung gab. Nur im amerikanischen Spielfilm „Frauen um Richard Wagner“ (im Original „Magic Fire“) versuchte sie sich 1954 nochmals mehr anekdotisch in dieser Rolle mit einem kleinen, vom Korngold musikalisch bearbeiteten Ausschnitt aus dem Götterdämmerungs-Schlussgesang. Der Film ist jetzt beim Label Filmjuwelen auf DVD erschienen, die kurze Sequenz macht Lust auf mehr. Zu hören ist eine sehr strahlende und lyrische Brünnhilde, das glatte Gegenteil von Martha Mödl, Astrid Varnay und der Nilsson, die zu dieser Zeit die Spielpläne dominierten und den Stil im Wagnergesang nicht nur positiv für Jahrzehnte prägten.

Eines ihrer Stammhäuser: Die Rysanek vor der Metropolitan Opera -

Eines ihrer Stammhäuser: die Rysanek vor der Metropolitan Opera in New York/Foto Davidson

Es gehört zu den Stärken der Rysanek, dass sie ihre Fachgrenzen Richtung Hochdramatische nie überschritt, was ihr eine lange Karriere beschied. Mit der Elektra im Film von Götz Friedrich wollte sie lediglich ihrem Mentor Karl Böhm einen Gefallen tun. Das Ausdrucksspektrum dieser Partie vermochte sie nicht nachhaltig zu erweitern. Zu groß war die Konkurrenz. Eine der Rollen ihres Lebens durfte in der Box auf keinen Fall fehlen, die Kaiserin in der Frau ohne Schatten von Strauss (großes Foto oben), hier aus der berühmten und nicht zu toppenden ersten Stereo-Schallplattenproduktion der Decca aus Wien mit Böhm am Pult, der diesem schwierigen Stück zu weltweitem Durchbruch verhalf – nicht immer zum Vorteil dieser großen Festspieloper. Denn auch als Kaiserin hat die Rysanek keine echte Nachfolgerin gefunden, die es mit ihr hätte aufnehmen können in der überzeugenden Gestaltung dieser zerrissenen Frau. Sie hat die Kaiserin fast zwanzig Jahre lang gesungen, nur überboten von der Sieglinde, die sie erstmals 1951 bei den Bayreuther Festspielen und letztmalig 1989 an der Wiener Staatsoper sang. Das dürfte Rekord sein. Ein Rekord, der zu Leonie Rysanek passt.

Rüdiger Winter

Tüchtig und verfügbar

 

Nicht einmal der kluge Opera Groves widmet dem italienischen Tenor Gianni Poggi mehr als 13 Zeilen Eintrag (von Elizabeth Forbes), was die ungeliebte Situation dieses ebenso tüchtigen wie wenig attraktiven Tenors widerspiegelt. Er stand in den Fünfzigern neben buchstäblich jeder Sopranistin auf den Brettern Italiens und machte kurze Ausflüge ins Ausland, so nach London, aber eigentlich zählte er zu den No-Names.

Gianni Poggi: Künstlerpostkarte/OBA

Gianni Poggi: Künstlerpostkarte/OBA

Er war tüchtig, aber nicht wirklich berühmt. Er sang die großen Tenorpartien von Verdi, Ponchielli, Leoncavallo  und Puccini, aber sein hartes, flaches Timbre und seine früh einsetzende Korpulenz, verbunden mit nicht gerade mimischer Brillanz, ließen ihn stets einen Tenor der dritten Reihe sein, trotz seiner Allgegenwärtigkeit. Im Grunde genommen ist  er durch die vielen, vielen Livemitschnitte und die relativ großen Anzahl von Philips-, Cetra- und DG-Aufnahmen heute bekannter außerhalb Italiens als damals. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Decca genötigt sieht, seine beiden (einzigen?) Recitals bei ihr, italienische Canzoni (als Italian Songs und Italian Melodies/480 8170), im Rahmen ihrer geschätzten Remake-Serie „Most wanted recitals“ zu veröffentlichen. Ob nun Poggi most wanted ist? Sehr zweifelhaft. Aber gerade auf diesen beiden Wiederveröffentlichungen (erstmals auf CD) hört man Poggi in Bestform (mehr als auf seinen beiden Decca-Gesamtaufnahmen), ohne Drücker, ohne diesen sonst auch ziemlich gemeinen trocken Ton der fahlen, gequetschten Höhe.

poggi deccaHier singt er frei heraus, hat sogar schöne Momente und macht viel aus dem Wort der zum Teil bezaubernden, schlichten Lieder, die das italienische Lebensgefühl  des 19. Jahrhunderts widerspiegeln. Dauerbrenner wie „Torna a Surriento“ oder natürlich „O sole mio“ haben alle Tenöre aufgenommen, aber Poggis robuste Wiedergabe von 1953 (mono) erinnert an Weinflaschen im Bastrock, an bunte Märkte mit Kopftüchern und Zoccoli, an überfüllte Touristen-Tavernen und eben an das angeblich so fröhliche Italien der Nachkriegszeit, wie es sich die Amis, Engländer und vor allem Deutschen erträumten, wenn sie die heimgenommene Chiantiflaschen  in ihren Partykellern bei  einer tropfenden Kerze erinnerungsvoll betrachteten. Poggi erfüllt alle diese nostalgischen Gefühle, und dafür wurden die beiden 25er ja auch aufgenommen.

Gianni Poggi: Enze neben Cerquettis Gioconda in Florenz/OBA

Gianni Poggi: Enze neben Cerquettis Gioconda in Florenz/OBA

Gianni Poggi wurde 1921 (oder 1922) in Piacenza geboren und starb ebendort 1989. Er studierte in Mailand und machte 1947 in Palermo sein Debüt als Rodolfo (und hat etwas sehr Sizilianisches im ganzen an sich). Sein Scala- Debüt kam 1948, und danach waren ihm Italiens Bühnen offen, einschließlich Rom und Florenz, wo er die Titelrolle im italienischen Don Sebastiano/Donizetti 1955 sang (Cetra). Er machte – wie der anglolastige Groves sich beeilt anzumerken – sein Londoner Debüt (nicht in Covent Garden ,sondern im Prince´s Theatre) 1960 als Duca. Sein Repertoire umfasste das klassische wie Edgardo, Enzo (mit der Cerquetti), Fernando, Riccardo (Ballo), Alfredo, Boitos Faust, Maurizio (Adriana Lecouvreur), Turiddu, Canio oder Cavaradossi. Und auch der Groves merkt an, dass die Stimme zwar kraftvoll war, aber doch im Ton zu Härte und Fahlheit neigte. Eine Aussage, die sich beim Anhören seiner offiziellen Aufnahmen bestätigt. Poggi schaffte es aber durchaus nicht nur nach London (da ist Groves wirklich zu mager in den Angaben). Er sang mit Erfolg viel an der Metropolitan Opera New York in den großen Partien seines Fachs mit illiustren Kollegen der Zeit, er sang in Wien, (laut Wikipedia) an der Berliner Staatsoper und Monte-Carlo, auch Lohengrin in Italienisch in Verona 1949 und Piacenza 1963. 1969 zog er sich von der Bühne mit Boitos Faust/Mefistofele zurück.

Gianni Poggi: Cavaradossi in Bari/OBA

Gianni Poggi: Cavaradossi in Bari/OBA

Denn erstaunlicherweise gibt es manche Industrieaufnahmen mit ihm, was angesichts von z. B.  Raimondi oder Limarilli verwundert – beide haben entschieden schönere Stimmen und wurden so gut wie gar nicht von der Plattenindustrie berücksichtigt. Mit Poggi gibt’s eine Tosca mit der Stella bei Philips. Ebendort auch Cav (mit der späten, aber immer noch fulminanten Mancini – nicht als CD wiederaufgelegt, was schade ist) & Pag (Foto oben im Ausschnitt), eine Bohème (dto. Stella); bei Cetra erschienen die Callas-Gioconda und eine frühe Tosca mit der Guerrini. Eine Lucia mit Dolores Wilson trieb sich bei Urania herum (sicher amerikanische mitgenommene  Raubkunst von der RAI). Decca nahm die Traviata mit der Tebaldi mit ihm auf und auch die wirklich fürchterliche, korrupte Favorita mit der Simionato (eine der gemeinsten Einspielungen aller Zeiten). Die Deutsche Grammophon versuchte die Callas-Scala-Erfolge der EMI zu simulieren, als sie ihre späte Scala-Verdi-Serie auflegte: Ballo mit Poggi und Stella.

Gianni Poggi: Die tüchtige Firma Bongiovanni hat ein Arienrecital von ihm im programm

Gianni Poggi: Die Firma Bongiovanni hat ein Arienrecital von ihm im Programm

Und schließlich gibt es, dto. DG, eine noch spätere Bohème mit der jungen Scotto 1961 unter Votto. Und live? Tosca mit Stella unter Mitropoulos an der Met, Bohème unter Schippers, Gioconda mit Milanov – live gibt es zu viel, um es hier aufzuzählen.

So kommt den der solide mittelklassige Gianni Poggi noch einmal bei Decca zu Ehren, vielleicht mit seinen schönsten, druckfreiestren und gelöstesten Aufnahmen stimmungsvoller italienischer Lieder: „Non t´odio no!“ Geerd Heinsen

„… ganz nur auf Musik gestellt!“

 

In unserer politisch überkorrekten Zeit scheint es fast, als ob die deutsche Musik vor dem Kriegsende nur aus einer Hand voll Vertriebener und Getöteter, eben „Entarteter“ (wie sie die Nazis bezeichneten), bestand, die heute im Konzert und selten auf der Bühne ab und zu hervorgeholt werden, um politisch opportun eben diese als repräsentative Vertreter einer ganzen Epoche der Verfolgung zu ehren. Andere, wie Orff oder Egk, gehen gerade mal so durch, weil sie auch im Nachkriegs-Deutschland eine Rolle gespielt haben und damit arriviert/weißgewaschen sind. Aber was ist mit den gut gelittenen, „gearteten“ Komponisten der Vorkriegs-Zeit? Die werden nun ihrerseits geächtet, weil sich mit ihnen auch die immer noch problematische Auseinandersetzung mit dem „Dritten Reich“ verbindet. Gerade mal drei, vier wie Wagner-Régeny oder von Schillings kennt man noch. Aber die anderen? Wer erinnert noch Paul Graener? Ist es nach rund 70 Jahren nicht an der Zeit, sich auch mit diesen heute „Unbekannten“ zu beschäftigen? 

Knut Andreas: Graener-Forscher, Dirigent, Autor und Musikwissenschafter/cllegium musicum

Knut Andreas: Graener-Forscher, Dirigent, Autor und Musikwissenschafter/collegium musicum

Knut Andreas, der renommierte Dirigent (u. a. des Sinfonie­orchesters Collegium musicum Potsdam), Musikwissenschaftler und Autor vieler Texte namentlich zu Paul Graener (so auch in seinen Artikeln zu Neueinspielungen von Paul Graeners Musik bei cpo) schreibt für operalounge.de über die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Opern Paul Graeners. G. H. Fast in Vergessenheit geraten ist das Leben und Schaffen des Komponisten Paul Graener (1872 – 1944), dessen Todestag sich im November dieses Jahres zum siebzigsten Mal jährt. Nachdem Graener nach 1950 nicht nur aus dem Konzertleben, sondern auch aus Musik-Lexika verschwand, ist erst mit Beginn der 1990er Jahre eine peu à peu einsetzende musikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinem Wirken und eine damit einhergehende Belebung seiner Werke – seit 2010 mit regelmäßigen CD-Einspielungen von Kammermusik und Orchesterwerken – zu verzeichnen. Langsam kehrt der Komponist in das Bewusstsein der Musikwelt zurück. Davon zeugen neben Veröffentlichungen und Einspielungen auch Konzert­auf­führungen u. a. des Philharmonischen Orchesters Gera-Altenburg, des Sinfonie­orchesters Collegium musicum Potsdam und jüngst der Düsseldorfer Symphoniker. Doch wer war dieser zu Lebzeiten so hochgeschätzte Komponist, der als Musikpädagoge und Musikpolitiker bedeutende Ämter bekleidete und dessen Werke zwischen 1920 und 1940 zu den meist aufgeführten seiner Zeit gehörten?

Dere junge Paul Graener/OBA

Der junge Paul Graener/OBA

Biografisches: Paul Graener wurde am 11. Januar 1872 in Berlin geboren und wuchs nach dem frühen Tode seiner Eltern bei nahen Verwandten auf. In seiner Geburtsstadt Berlin besuchte er das Askanische Gymnasium sowie das Veitsche Konservatorium, ohne jedoch die Ausbildung an diesen Einrichtungen regulär abzuschließen. Graeners früher Wunsch, als Kapellmeister an ein Theater zu gehen, führte ihn in verschiedene deutsche Städte, so auch nach Bremerhaven, wo er einige Monate als Theaterkapellmeister wirkte und sein erstes Bühnenwerk, die Operette Backfische auf Reisen, uraufführte. Eine erste langjährige Anstellung erhielt Graener 1898 als Musical Director am legendären Londoner Royal Theatre Haymarket. Nachdem Graener mehr als zehn Jahre in London gelebt hatte, wo er seine Frau Marie heiratete, ihre drei gemeinsamen Kinder zur Welt kamen und er 1909 die britische Staatsbürgerschaft erhielt, ging er nach Wien, um dort eine Anstellung als Kompositionslehrer am Neuen Wiener Konservatorium anzunehmen. Die Wiener Zeit war allerdings nur von kurzer Dauer. Bereits im Sommer 1911 wurde Graener zum Direktor des Salzburger Mozarteums berufen. Hier leitete er nicht nur die Musikschule, sondern auch die Sinfoniekonzerte des Mozarteums­orchesters. In einem dieser Konzerte brachte er seine Sinfonie d-Moll Schmied Schmerz zur Uraufführung. Es ist Graeners Wirken zu verdanken, dass die damalige Musikschule Mozarteum kurz nach seinem Weggang zum Konservatorium erhoben wurde.

Paul Graener in Erfurt/OBA

Paul Graener in Erfurt/OBA

Ab 1914 lebte Graener in Dresden und München und ging als freischaffender Künstler vor allem seiner kompositorischen Arbeit nach, bis er 1920 als Nachfolger Max Regers an das Leipziger Konservatorium berufen wurde. Graeners Wirken in Leipzig war von ebenso kurzer Dauer wie seine Tätigkeit am Salzburger Mozarteum. 1924 verließ er die geschichtsträchtige Leipziger Einrichtung und widmete sich, wieder in München lebend, in den folgenden sechs Jahren seinem kompositorischen Schaffen. 1930 nahm Graener erneut eine feste Anstellung an, die ihn zurück in seine Geburtsstadt Berlin führte. Graener folgte dem verstorbenen Alexander von Fielitz auf die Stelle des Direktors des Stern’schen Konservatoriums. Bereits 1933 gab er diese Position an seinen Stellvertreter ab und übernahm eine Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste Berlin.

Paul Graener, von Alter gezeichnet/OBA

Paul Graener, vom Alter gezeichnet/OBA

Zu Beginn der 1930er Jahre wurde Graener Mitglied der NSDAP, engagierte sich in verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen, wurde 1934 als Nachfolger Wilhelm Furtwänglers zum Leiter der Fachschaft Komposition innerhalb der Reichsmusik­kammer und nach dem Rückzug Richard Strauss’ zum Vizepräsidenten dieses Organs ernannt. Das Amt des Vizepräsidenten legte Graener 1941 nieder. Ihm folgte der Komponist Werner Egk. Die Fachschaft Komposition leitete Graener bereits seit 1937 nicht mehr. 1940 wurde ihm zudem die Leitung seiner Meisterklasse Komposition an der Preußischen Akademie der Künste entzogen. Grund hierfür war sein teilweise nachweisliches Engagement für befreundete jüdische Komponisten und Verleger (Kurt Eulenburg, Wilhelm Zimmermann) sowie die Tatsache, dass Graener seine „arische“ Abstammung gegenüber der Akademie nicht nachweisen konnte. Indes erfuhren die Machthaber des NS-Regimes nie von dem Kuriosum, dass Graener als britischer Staatsbürger national­sozialistische Ämter bekleidete. Die Zeit des Zweiten Weltkriegs verbrachte Graener in Berlin, bis seine Wohnung durch Bombenangriffe 1944 zerstört wurde. Mit seiner Familie flüchtete der Komponist über Wiesbaden und München zunächst nach Metz, um dann über Wien nach Salzburg zu gelangen, wo er im Alter von 72 Jahren am 13. November 1944 verstarb.

Paul Graener dirigierend/Andreas

Paul Graener dirigierend/Andreas

Graeners Schaffen umfasst über 130 Lieder, von denen die Vertonungen zahlreicher Gedichte Christian Morgensterns hervorzuheben sind. Zehn Opern (eine blieb unvollendet), eine Operette, zwei Singspiele, Orchesterwerke, Kompositionen für Soloinstrumente mit und ohne Begleitung, Kammer- und Klaviermusik sowie Werke für gemischten Chor und Männerchor stammen aus seiner Feder. Verlage wie Eulenburg, Universal-Edition Wien, Bote&Bock, Zimmermann, Schott, Kistner & Siegel, Simrock und Litolff publizierten seine Kompositionen. Namhafte Dirigenten und Solisten interpretierten seine Werke, unter ihnen Arturo Toscanini, Erich Kleiber, Eugen Jochum, Wilhelm Furtwängler, Arthur Nikisch, Paul Grümmer, Franz Ledwinka, Fritz Rothschild und Walter Davisson. Graeners Werke standen ebenso wie Kompositionen seiner Zeitgenossen Hans Pfitzner, Werner Egk oder Carl Orff regelmäßig auf den Spielplänen der Konzert- und Opernhäuser in Deutschland sowie im Ausland. Insbesondere Erich Kleiber und Arturo Toscanini führten Graeners Werke bis in die 1940er Jahre immer wieder u. a. mit dem NBC Symphony Orchestra auf.

761203767922Die Musik Graeners ist tief in der Spätromantik verwurzelt, öffnet sich jedoch vielfältigen Einflüssen. Die von der NDR Radiophilharmonie bereits eingespielten Werke Musik am Abend (cpo 777 447-2) und Aus dem Reiche des Pan (cpo 777 679-2) sind impressionistisch geprägt. Feingliedrige, sich oft zum Leisen hinwendende Kompositionen zeugen ebenso von einer ideologiefreien Tonsprache wie Graeners Variationen über ein russisches Volkslied, die ebenso von der Radiophilharmonie eingespielt worden sind (cpo 777 447-2). Vor allem mit seinen am Impressionismus orientierten Werken nimmt Graener unter den deutschen Komponisten in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine besondere Stellung ein. Sein Leben, insbesondere mit Blick auf die NS-Zeit, ist ebenso kritisch wie differenziert zu betrachten.

"Hanneles Himmelfahrt" nach Hauptmann, Szene der Uraufführung in Leipzig/OBA

„Hanneles Himmelfahrt“ nach Hauptmann, Szene der Uraufführung in Leipzig/OBA

Zwei Opernversuche in London: Als Komponist reifte Graener in London heran. Hier war er über Jahre mit dem täglichen Theaterleben am Haymarket Theatre verbunden, leitete die Bühnenmusik und komponierte vor allem Zwischenaktmusiken für die Theateraufführungen. Später unterrichtete er Harmonielehre und Komposition an der London Academy of Music. Zwischen 1896 und 1899 schrieb Graener seine erste Oper The Faithful Sentry (op. 1), deren Libretto eine englische Fassung von Theodor Körners Der vierjährige Posten ist, die der in Deutschland geborene Samuel Gordon, der ab 1894 das Amt des Sekretärs der Großen Londoner Synagoge innehatte, für Graener anfertigte. Vor Graener zogen bereits 18 verschiedene Komponisten dieses Libretto heran, begonnen mit Carl Steinacker, dessen Oper Der vierjährige Posten am 19. August 1813 im Theater an der Wien Premiere feierte. Graener richtete sich bei der Vertonung des Librettos ebenso wie Steinacker nach Körners Intention und unterbrach die Musik nicht durch gesprochene Abschnitte. Graener verwendete nahezu keine Rezitative, einzig zu Beginn der dritten Szene und am Ende der vier­ten Szene sind kurze rezitativische Abschnitte zu finden. Er übernahm Körners Libretto fast vollständig und unterzog das Textbuch nur geringfügigen Änderungen. Die Anordnung und Abfolge der Szenen der Oper ent­spricht exakt dem Libretto. Die Musik hat stark unterhaltenden Charakter, trägt dem Libretto gemäß häufig Marschcharakter und folgt in ihrem Bau klassischen Formen (Rondo, Lied). Mit ihrem leichten Charakter und einer Widmung an den damaligen Direktor des Haymarket Theatre, Cyril Maude, verband Graener vermutlich die Hoffnung, seine erste Oper an diesem Theater zur Uraufführung zu bringen. Ob ihm dies gelang, ist nicht bekannt. Belegt sind einzig Aufführungen der Ouvertüre im Rahmen eines Theaterstücks im Jahre 1899 am Haymarket Theatre.

Paul Graener: Skizze zu "Schwanhild", Privatbesitz/OBA

Paul Graener: Skizze zu „Schwanhild“, Privatbesitz/OBA

Warum zog Graener nun gerade Körners Vierjährigen Posten als Libretto für seine erste Oper heran? Zwei mögliche Motive können für die Wahl benannt werden: Zum einen dürfte der politische Gehalt des Sujets Graener bewogen haben, diese Textvorlage zu wählen, zum anderen könnte „die vaterländische Gesinnung Körners, die seinen Nachruhm begründete“ (Till Gerrit Waidelich (2000): Der vierjährige Posten von Theodor Körner als Libretto „in der Art eines Finales“ für 21 Opern, in: Schubert-Jahrbuch 1998. Bericht über den Internationa­len Schubert-Kongreß Duisburg 1997, S.63) auf Graener anziehend gewirkt haben. Zunächst sei dem ersten möglichen Motiv nachgegangen: Die Hauptfigur, der Soldat Düval, desertiert und bleibt auf feindlichem Gebiet zu­rück. Aus Liebe zu Käthchen verlässt er sein Regiment, tauscht das Schwert ge­gen den Pflug ein und entscheidet sich für das Leben auf dem Hof des Dorf­richters, für ein Leben in Frieden. Auch Graener suchte – Aussagen seines dritten unehelichen Sohnes Paul Corazolla folgend – in einem anderen Land Zuflucht, um dem Dienst an der Waffe zu entgehen. So dürfte sein Interesse für Körners Libretto, dessen pazifistische Grundhaltung unverkennbar ist, aus dem eigenen Verhalten herrühren. Graener, der „das Stück als subversive Parabel eines gegen die Vereinnahmung des Bürgers durch den Staat oder das Militär opponie­renden Helden“ gelesen haben könnte – eben so, „wie es von Körner wohl ur­sprünglich gemeint war“ (ebd., S. 62), muss sich in diesem Text wieder­ gefunden haben. Er entschied sich, wie es auch Düval nach seiner Fahnenflucht tat, für die Ehe und gründete in seiner neuen Heimat, womöglich als deutscher Deserteur, eine Fami­lie. Führt man sich nun Graeners Ersuchen um die britische Staatsbürgerschaft vor Augen, entsteht der Eindruck einer vollständigen Abkehr von seinem Hei­matland.

Die alte Leipziger Oper, das Neue Theater(OBA

Die alte Leipziger Oper, das Neue Theater(OBA

Das zweite mögliche Motiv kontrastiert mit dem ersten, ja es geht von einem der ersten These entgegengesetzten Grundgedanken aus. Die Annahme, dass Grae­ner Körners patriotische Gesinnung teilte, scheint in Anbetracht seiner Abkehr vom Vaterland zunächst abwegig zu sein. Dennoch wählte er mit Körner einen Dichter, der zu den zentralen Figuren der vaterländischen Dichtung gehörte und dessen Nationalbewusstsein sich nicht nur in den im Zusammenhang mit den Befreiungskriegen entstandenen Kriegsliedern Lützows wilde Jagd, Du Schwert an meiner Linken, Gebet während der Schlacht und Frisch auf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen, sondern auch im eigenen Verhalten spiegelt: Körner, der im Januar 1813 in Wien die Stelle des Hoftheaterdichters erhielt, zog schon einen Monat darauf als Freiwilliger in den Krieg und besiegelte 22-jährig seine vaterländische Begeisterung mit dem Tod. Noch während der Londoner Jahre zog Graener einen weiteren Text heran, der auf eine „deutschnationa­le“ Grundhaltung hindeutet: Er komponierte nach der Lektüre des antijüdischen Romans Der Hungerpastor von Wilhelm Raabe seine Kammermusikdichtung Nr. 2 (op. 20), die den Beinamen Hungerpastor-Trio trägt. Im Vierjährigen Posten ist es die zu den politischen Grundanschauungen des wilhelminischen Deutschland gehören­de antifranzö­sische Einstellung, die Kör­ners „deutschnationale“ Gesinnung zum Ausdruck bringt. Wenngleich sich beide möglichen Motive für Graeners Textwahl auszu­schließen scheinen, verbildlichen sie dennoch in ihrem Kontrast eine Ambiva­lenz, die das Verhalten des Komponisten in späteren Lebensstadien, besonders in den Jahren nach 1930, bestimmen sollte.

Paul Graener: Libretto zu "Don Juans letztes Abenteuer"/OBA

Paul Graener: Libretto zu „Don Juans letztes Abenteuer“/OBA

Um 1906, noch immer in London lebend, wandte sich Graener der Komposition einer zweiten Oper zu, von der jedoch nur noch das von ihm selbst verfasste Textmanuskript mit dem Titel Sieg erhalten ist. Dieses Werk klassifiziert Graeners Cousin Georg Gräner als Übergangswerk zwischen den auf einen hohen Unterhaltungswert bedachten Stücken der Schaffensphase zwischen 1896 und 1906 und den Kompositionen, vor allem Instrumental­musik, die zwischen 1906 und 1912 entstanden sind. Einen bemerkenswerten Einblick in die Oper Sieg und gleichzeitig in Graeners kompositorische Entwicklung gibt Georg Gräner, der zeitgleich zu seinem Cousin in London lebte: „War es künstlerisch ein Sieg? Nicht ganz. Es war ein Uebergangswerk […] Das aus den Anschauungen seiner Wanderzeit Stammende, jenes Alte, das Lor­tzing’sche; kleinbürgerlicher Humor, Volksweisen, Populäres, dann drama­tisch-pathetische Breiten nahezu im Style Wagners, über’s Alltägliche erhobene Liebeslyrik, Instrumentationstellen in R. Strauß’scher Manier, klassisch ange­legte, kräftig durchgeführte Chorsätze – alles dies und mehr lebte neben einan­der ohne stark zusammen fassende, einheitlich bildende Kunst. Dennoch bildete das stylbunte Werk einen Fortschritt in zweierlei Hinsicht; in erster wegen der Aufnahme vieler neuer, moderner Elemente, in anderer Hinsicht wegen der Ueberwindung, der endgiltigen Ueberwindung des Alten […] Die Oper gehört zu jenen Entwicklungs- und Wendepunkten, die dem Schöpfer, dem Gebenden naturgemäß wertvoller sind als dem Empfangenden. Unbedeutend, geschweige denn tot geboren war sie keineswegs, sonst hätte sich nicht ein Mann wie Otto Lohse dafür interessiert, der sich (freilich vergebens) um ihre Aufführung bemühte. Sie sollte nie ‚das Licht der Oeffentlichkeit’ erblicken.“ (Georg Gräner (1922): Paul Graener, S. 18f.)

Die Wiener Volksoper/OBA

Die Wiener Volksoper/OBA

Drei Opernpremieren – Wien, Leipzig, München: 1909 verließ Graener mit seiner Familie London. Zurück blieb das Grab seines ältesten Sohnes Heinz, der im Alter von acht Jahren in London verstarb. Graener ging zunächst für kurze Zeit nach Wien, wo er die Bekanntschaft Emil Hertzkas, Direktor der Wiener Universal Edition, machte. In enger Zusammenarbeit mit der Universal Edition und teilweise auf Anregung dieses Verlags entstanden in enger Folge die Bühnenwerke Das Narrengericht (op. 38), Don Juans letztes Abenteuer (op. 42) und Theophano (op. 48), deren Libretti aus der Feder von Otto Anthes stammen. Graener lernte Anthes im Sommer 1910 kennen, als er auf einer Reise von Wien nach London in Hamburg Halt machte, wo Anthes lebte. Den Kontakt zwischen dem Librettisten und dem Komponisten ebnete Emil Hertzka. Für das Jahr 1912 plante Graener die Uraufführung seiner Singkomödie Das Narrengericht an der Wiener Volksoper. Zu dieser Zeit war er bereits in Salzburg als Direktor des Mozarteums tätig. Aufgrund von Bauarbeiten am Opernhaus sowie Besetzungsschwierigkeiten verschob sich die Premiere bis zum Frühjahr 1913. Sonderlich erfolgreich war sie schließlich nicht. Positiver als in Wien wurde das Werk bei der Erstaufführung am Stadttheater Halle aufgenommen. Die Neue Zeitschrift für Musik rezensierte: „Die Musik strebt mit vielem Glück nach Eigenart und Selbständigkeit des Stiles. Der Komponist ist zu einer Ausdrucksweise gekommen, die sich natürlich und geschmeidig jeder Situation anzupassen weiß, die frei von dem unleidlichen Hang zur Schwere bleibt und die Übergänge unmerklich fein ineinanderfließen läßt. […] Daß Graener so stark auf die Wirkung und Kraft der Melodie baut, das wird seinem Werke vielleicht in erster Linie die Lebensfähigkeit erhalten helfen. In der musikalischen Charakteristik der Personen erscheint die Figur des Narren am glücklichsten getroffen. Ein leises Abfärben von Strauß’ ‚Till Eulenspiegel’ ist da allerdings nicht von der Hand zu weisen. (Neue Zeitschrift für Musik, 83. Jg., 1916, S. 76)

Paul Graener: Der Librettist Otto Anthes, Zeichnung von Emil Stumph/OBA

Paul Graener: Der Librettist Otto Anthes, Zeichnung von Emil Stumph/OBA

Der Inhalt der Dichtung von Otto Anthes nähert sich Graeners vorangegangenen Bühnenwerken an. Die Handlung spielt in einem Dorfgasthof. Gerade werden die Vorbereitungen für Hochzeitsfeierlichkeiten getroffen. Lisa, die Tochter des Wirts, wird den eifersüchtigen Dorfschmied Danni zum Mann nehmen. Uner­warteterweise gesellen sich auch ein Narr und zwei Kavaliere zu den Hoch­zeitsgästen und es dauert nicht lange, bis es zu Handgreiflichkeiten kommt, nachdem einer der Kavaliere Lisa während eines Tanzes zu nahe kam. Um einer Eskalation entgegenzuwirken, schlägt der Narr vor, ein Narrengericht abzu­halten, bei dem nach einem alten Schweizer Brauch das junge Paar so lange in eine Kammer zu sperren ist, bis es durch ein Glockenzeichen seine Versöhnung bekannt gibt. Ertönt das Signal nicht, ist das Paar getrennt. Der Vorschlag des Narren wird angenommen und natürlich kommt es nach einigen Auseinander­setzungen zur gütlichen Einigung.

Paul Graener: "Theophano", Klavierauszug/OBA

Paul Graener: „Theophano“, Klavierauszug/OBA

Auch wenn Graener versuchte, manche Schwäche des Librettos durch Korrekturen zu beseitigen, krankte dieses Bühnenwerk, ebenso wie die beiden folgenden, an seiner textlichen Grundlage. Kurz nachdem Graener die Singkomödie Das Narrengericht (op. 38) fertiggestellt und die Wiener Volksoper im März 1912 mit den Proben begonnen hatte, schrieb er seinem Verleger, dass er mit den Arbeiten an seiner nächsten Oper Don Juans letztes Abenteuer (op. 42) begonnen habe. Ende September 1913 schloss Graener die Instrumentierung des letzten Aktes ab und war bereits mit der Suche nach einer geeigneten Bühne für die Uraufführung beschäftigt. Zunächst schien eine Premiere an der Wiener Volksoper aussichtsreich, doch war Graener, dessen Werke in den vergangenen Jahren hauptsächlich in London, Wien und Salzburg erklangen waren, daran gelegen, seine neuste Oper in Deutschland herauszubringen. Im September 1913 reiste er nach Leipzig, um den Diri­genten Otto Lohse zu treffen. Lohse war seit 1912 Operndirektor des Städtisch­en Theaters Leipzig. Seinen gefeierten Einstand gab er am 1. August 1912 mit Ludwig van Beethovens Fidelio und bereits in seiner ersten Saison nahm er Franz Schrekers Der ferne Klang sowie Hans Pfitzners Die Rose vom Liebes­garten in das Opernprogramm auf. Mit einem Wagner-Zyklus, der auch die Leipziger Erstaufführung des Parsifal am 22. März 1914 einschloss, sorgte Lohse in der Saison 1913/1914 für großes Aufsehen. Graeners Oper Don Juans letztes Abenteuer gefiel ihm so sehr, dass er sie noch in dieser Spielzeit herausbringen wollte. Inzwischen zeigte auch der Intendant des Münchner Hoftheaters, Clemens von Franckenstein, Interesse an Graeners neuestem Bühnenwerk. Franckenstein, der am 30. September 1912 zum Intendanten des Münchner Hoftheaters ernannt worden war, konnte auf beträchtliche Erfahrungen als Operndirigent und Büh­nenkomponist zurückblicken. „Am Anfang des Jahrhunderts bahnten sich die Karrieren Franckensteins und Graeners auf etwa parallelen Gleisen an. Die beiden hatten als Kapellmeister in englischen kommerziellen Theaterbetrieben gearbeitet […].“ (Andrew D. McCredie (1992): Clemens von Franckenstein, S. 34). Franckenstein ging im Herbst 1902 nach London, nachdem er ein Jahr zuvor als Dirigent, Klavierbegleiter, Komponist und Pädagoge in den USA tätig war. In London arbeitete er bis 1906 als Theaterkapellmeister bei der Moody Manners Opera Company, damals Englands größtem Opernunternehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass sich Graener und Franckenstein be­reits in London begegneten. Gleichzeitig mit dem neuen Intendanten erhielt das Münchner Hoftheater im Jahre 1912 in Bruno Walter einen neuen Generalmusikdirektor, der sich ebenso wie Franckenstein um die Förderung zeitgenössischer Komponisten wie Hans Pfitzner, Paul von Klenau, Julius Bittner, Ermanno Wolf-Ferrari, Franz Schreker, Erich Wolfgang Korngold und Felix von Weingartner bemühte.

Paul Graener: Klavierauszug zu Clemens von Franckensteins eigener Oper "Rahab"/OBA

Paul Graener: Klavierauszug zu Clemens von Franckensteins eigener Oper „Rahab“/OBA

1915 setzte Franckenstein zwei Erstaufführungen auf den Spielplan des Hoftheaters: Im Frühjahr dirigierte Bruno Walter Franckensteins Oper Rahab und im Herbst leitete Kapellmeister Otto Hess Graeners Don Juan. Auch wenn Franckenstein die Uraufführung, die am 11. Juni 1914 im Städtischen Theater Leipzig stattfand, nicht an sein Haus ziehen konnte, führte er Graener zu­mindest als Bühnenkomponisten in München ein. Dort gelangte die Oper zwischen 1915 und 1925 zu 31 Aufführungen, von denen einige auch unter der Leitung Bruno Walters beziehungsweise Paul Graeners standen. Die Leipziger Uraufführung wurde über die Grenzen Deutschlands hinweg wahrgenommen. In Wien berichtete Die Zeit am 12. Juni 1914: „[…] die Aufführung seiner neuen dreiaktigen Oper ‚Don Juans letztes Abenteuer’ ist der erste nachdrückliche Versuch, ihm in Deutschland Gehör zu verschaffen. Wie in seiner in der Wiener Volksoper zur Uraufführung gekommenen Singkomödie ‚Das Narrengericht’ hat Gräner sich wieder mit Otto Anthes verbündet und dessen in Leipzig und Wien aufgeführtes Drama nach wesentlicher Bearbeitung unter gleichem Titel zum Libretto genommen. Ein eigenartig vertiefter tragischer Stoff, die ganze Glut und Farbenpracht le­bens­froher, ja überschäumender Renaissancekultur, berauschend in der Ge­wagtheit ihrer Liebes­abenteuer, groß aber dann auch im bitteren Leiden. So steht Don Giovanni bei Anthes, so auch Cornelia eine Art Renaissance-Salome; so stehen sie erfreulicherweise auch bei Gräner in der musikalischen Gestal­tung da. Mit ganz wenig Ausnahmen ist die Oper durchkomponiert und reiht sich der Gattung Musikdrama an, wie sie Richard Strauß in ‚Salome’ und ‚Elektra’ geschaffen hat. Im Stil diesen ähnlich, ist es vielleicht nicht weiter verwunderlich, daß Gräner ihnen auch im musikalischen Rhythmus gerade an seinen bedeutendsten Stellen nahe steht und für das Gefühlsmäßige, Stimmungs­malende ganz ähnliche, aber durchaus selbständige Ausdrucksformeln gefunden und verwendet hat wie Richard Strauß. Wenn er sein Werk Oper nennt, tut er es wohl mit Absicht deshalb, weil er versucht hat, den Anschluß an das mehr Gesangliche der Oper wieder zu finden. Und es ist ihm gelungen. Als Musik an sich steht diese Oper außerordentlich hoch, im Technischen wie im reinen Wertgehalt an musikalischer Erfindung und Eigenart: sie ist der Ausdruck großen, vielversprechenden Könnens, unter Betonung der musikdramatischen Potenz.“ (Die Zeit, Wien, 12.6.1914)

Das Haymarket Theatre in London/OBA/Wiki

Das Haymarket Theatre in London/OBA/Wiki

Für sein drittes Bühnenwerk wählte Graener einen bewährten Opernstoff, dessen Handlung aber nur im ersten Akt an den komödiantisch-unterhaltenden Charakter seiner beiden vorangegangenen Opern erinnert, wenn das Geschehen mit dem Eintreffen der Gäste zu einem prachtvollen Fest im venezianischen Palazzo Spinelli einsetzt. Die Ankündigung des Titels der Oper erfüllt sich indes im wahrsten Sinne des Wortes. Bei Graener und Anthes ist Giovanni reif und einsichtig geworden. Er entscheidet sich für den Freitod, der Resultat seiner Erkenntnis, ein frevelhaftes Leben geführt zu haben, ist. Der Versuch, eine kurz vor der Hochzeit stehende Frau zu verführen, muss von vornherein scheitern. Dessen ist sich Giovanni, der seinen Tod weit vorausplant, bereits im ersten Akt bewusst, als er vergebens be­absichtigte, seine jungen Freunde zu einem moralischeren Lebenswandel zu bewegen. Mit einem festlichen Gepränge in einer Freudenwelt südlichen Glanzes mit schönen Lebe­frauen und stürmischen Lebemännern beginnend, läuft die Oper ihrem tra­gischen Ende entgegen. Giovannis Freitod verdeutlicht dessen Resignation, für die jungen Burschen ist er Warnung und Lehre zugleich und nach außen erscheint er als „Triumph des menschlichen Stre­bens nach Höherem, der fast alle Bühnenwerke Graeners bestimmt.“ (Fred Büttner (2005): Paul Graener, in: Bayerisches Musiker-Lexikon Online (www.bmlo.lmu.de), Hrg. Josef Focht, S.11)

Paul Graener: "Das Mondschaf"/OBA

Paul Graener: „Das Mondschaf“/OBA

Die Leipziger Uraufführung des Don Juan, der sich in kurzer Folge Erstaufführungen in Coburg, Weimar (unter Karl Böhm), Braunschweig und Prag anschlossen, stellte für Graener einen ersten großen Opernerfolg an einem deutschen Haus da, dem äußerst positiv aufgenommene Aufführungen seiner Symphonie d-Moll sowie seiner Symphonietta für Streichinstrumente und Harfe in verschiedenen deutschen Städten folgten. Aus heutiger Sicht mag eine Wiederaufführung der Oper Don Juans letztes Abenteuer hinsichtlich des zeitlosen Librettos und der mit impressionistischen Klangfarben spielenden Musik im Vergleich aller Opern Graeners besonders lohnenswert zu sein.

"Die Flöte von Sanssouci", hier bei Ultraphon in einer spanischen Pressung/OBA

Paul Graener: „Die Flöte von Sanssouci“, hier bei Ultraphon in einer spanischen Pressung/OBA

Zwischen 1916 und 1917 begann Graener mit der Arbeit an der dritten von der Universal Edition beauftragten Oper, der er später den Titel Theophano gab. Am 14. Januar 1918 beendete er die Arbeit an diesem Werk, das noch im selben Jahr bei der UE erschien. Die Städte Dresden und München waren an der Uraufführung interessiert. Obwohl anfängliche Schwierigkeiten mit der Münchner Intendanz Graener dazu bewogen, sich für Dresden zu entscheiden, wurde die Oper dank des Engage­ments Clemens von Franckensteins doch am Münchner Hoftheater uraufgeführt. Die Premiere fand am 5. Juni 1918 statt und fand in der Presse ein geteiltes Echo. Während aus Dresden positive Töne zu hören waren, nicht zuletzt mit Blick auf die dortige Erstaufführung im Herbst desselben Jahres, war das Echo der Münchner Presse, wie Paul Graeners Ehefrau an Emil Hertzka berichtete, durchwegs schlecht. Die Münchner Neuesten Nachrichten rezensierten: „Wenn das Buch nicht zu hoher Kunst gediehen ist, so hat auch Paul Graeners Musik nicht den höchsten Flug nehmen können. Eigentlich hat es mich gewun­dert, daß sich Graener an diesem Buche hat entzünden können; denn es ist im Grunde amusikalisch und drängt nach der Art seines Problems nur nach der Gestaltung in begrifflichem Worte, nicht in empfindungkündender Musik – oder aber, wer es in Töne umzugießen versuchte, müßte ein Riese an Erfindung und Formkraft sein. Das ist nun Graener nicht; er ist ein feiner, sensibler Musiker, der mit gebrochenen Farben weich zu malen weiß, der Stimmungen zu bannen und schwüle Leidenschaften in Klänge umzudeuten vermag; doch zum großen Gestalter fehlt ihm die übermenschliche geistige Statur des Genies. Im übrigen hat man keinen Anlaß, an seiner Partitur viel herumzunörgeln, obgleich sie nicht von einer Steigerung gegenüber Don Juans letztem Abenteuer oder über­haupt von starker Ursprünglichkeit kündet; der Hauptwert der Musik liegt im Klangkoloristischen: die Farben sind es, womit sie den Hörer am meisten fes­selt.“ (Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 71, Nr. 282, 7.6.1918, S. 2) Die Dresdner Nachrichten hingegen berichteten: „Das Schaffen Paul Graeners ist in den letzten anderthalb Jahren auch in Dresden mit besonderer Teilnahme verfolgt worden. Man hat den modernen Don-Juan-Komponisten dabei schätzen gelernt als das, was er ist: als eigenartiges, starkes Talent, als einer, der aus der Umgebung Richard Strauß mit aufrechter Persönlichkeit hervorragt. So gewinnt die Uraufführung einer neuen Oper von ihm allgemein interessierenden Charakter.“ (Dresdner Nachrichten, Jg. 62, Nr. 156, 7.6.1918, S. 3)

Gustaf Grundgens spielte die Hauptrolle in dem Film "Friedemann Bach" 1941, allerdings nicht mit der Musik von Graener, sondern von Mark Lothar/OBA

Gustaf Gründgens spielte die Hauptrolle in dem Film „Friedemann Bach“ 1941, allerdings nicht mit der Musik von Graener, sondern von Mark Lothar/OBA

Friedemann Bach: Kaum lag die Premiere seiner neuesten Oper hinter ihm, nahm sich Graener der Arbeit an der nächsten Oper an. Bereits im Dezember 1917 hatte er einen Vertrag für die heitere Oper Schirin und Gertraude (op. 51) unterzeichnet, diesmal aber nicht mit der Wiener Universal Edition, sondern mit dem Berliner Verlag Eos und dem Schriftsteller Ernst Hardt. Die Initiative für diese Oper ergriff Graener selbst, nachdem er schon 1916 Hardts gleichnamiges Schauspiel kennengelernt hatte. Im August 1918 hatte Graener bereits die Skizzen des ersten und zweiten Aktes fertiggestellt und mit der Instrumentierung des ersten Aktes begonnen. Die Fertigstellung der Oper zog sich indes noch bis in den Herbst des folgenden Jahres. Graener, der zu dieser Zeit zwischen München und Dresden pendelte, jedoch ohne Anstellung und damit ohne regelmäßiges Einkommen war, versuchte zunächst in Dresden beruflich sesshaft zu werden. Die Berufung auf die Professur für Komposition am Leipziger Konservatorium, die seit Max Regers Tod unbesetzt war, führte Graener 1920 schließlich nach Leipzig. Am 17. April desselben Jahres feierte Schirin und Gertraude an der Sächsischen Landesoper in Dresden Premiere. Der Erfolg war groß, Rezensionen voll des Lobes und die Annahme der Oper an den Bühnen in Weimar und Leipzig folgten.

Graeners berühmteste Oper, "Friedemann Bach" nach dem Roman von Brachvogel

Graeners berühmteste Oper, „Friedemann Bach“ nach dem Roman von Brachvogel

In den folgenden Jahren widmete sich Graener vor allem der Kammermusik und der Komposition von Orchesterwerken. Erst mit Weggang aus Leipzig im Frühjahr 1925 griff er zu einem neuen Libretto, das sein Cousin Georg Gräner auf der Grundlade von Gerhart Hauptmanns Dichtung Hanneles Himmelfahrt anfertigte. Erneut war es die Dresdner Staatsoper, die Graeners Oper Hanneles Himmelfahrt (o. op.) zur Uraufführung annahm. Diese fand am 17. Februar 1927 statt, gefolgt von Erstaufführungen in Berlin, Weimar, München und Braunschweig.

Zwei Jahre später – Graener befand sich inmitten der Umzugsvorbereitungen in seine Geburtsstadt Berlin – entstanden mit der Suite Die Flöte und Sanssouci (op. 88) und der Oper Friedemann Bach (op. 90) zwei Werke, die sich inhaltlich wie auch musikalisch dem 18. Jahrhundert zuwenden. Beide Werke bilden den Beginn der neoklassizistischen Kompositionsphase Graeners, die sich über die 1930er Jahre erstreckte. Einen Eindruck der Musik der 1931 in Schwerin uraufgeführten Oper Friedemann Bach vermitteln ein Artikel aus den Blättern des Hamburger Stadttheaters des Jahrgangs 1931/32: „Wie eine Überschrift in großen goldenen Lettern steht über dieser Musik das Motiv B-A-C-H, das stets, wenn der große Name ausgesprochen wird, in rhythmisch und harmonisch immer wieder neuem Gewande erscheint, bis der letzte Akt in ihm schmerzlich ausklingt. Eine weitere musikalische Bindung mit dem Geist der Zeit und der besonderen Atmosphäre stellen die beiden Liedmelodien ‚Kein Hälmlein wächst auf Erden’ und ‚Willst Du Dein Herz mir schenken’ dar, die an entscheidenden Stellen in die Handlung eingewoben sind. Ihrer Eingliederung im musikalischen Formganzen des Werkes kommt nun dessen stilistische Haltung durchaus entgegen: Wir finden hier eine Fülle größerer und kleinerer Formen, die mehr oder weniger getreu aus dem Barock übernommen sind, so die prachtvolle Ballettmusik, die in der Anlage einer Bachschen Orchestersuite nachgebildet erscheint, so das Präludium zum dritten Akt mit dem ostinaten B-A-C-H-Baß, so alle die kleinen Fugati und alten Tanzformen, die das Leben im Organistenhaus anschaulich darstellen.

0761203759927Aber alle diese Formen sind doch, oft sogar sehr stark, mit modernem, oder besser spezifisch Graenerschem Geiste erfüllt, und so wird die eigentliche Absicht des Komponisten, zur Kennzeichnung der gegensätzlichen Kulturkreise, der bürgerlichen und der höfischen Welt, auch zwei Musikstile gegeneinanderzustellen, nur einem sehr feinen Ohr offenbar – und das ist auch gut so, denn eine schärfere Differenzierung hätte doch nur auf eine getreuere Nachahmung des alten Stils hinauslaufen können, dabei aber hätte naturgemäß der persönliche Ausdruck zurücktreten und die Einheitlichkeit, der große Zug des Ganzen leiden müssen. So aber läuft diese Musik mit größter innerer Geschlossenheit ab, wobei, wie bei Graener nicht anders zu erwarten, ihre Kulminationspunkte eher in den lyrischen als in den dramatischen Partien liegen. In diesen behindert zuweilen eine fast zu gewissenhafte Auskomposition des Wortes den musikalisch-szenischen Fluß, immerhin sind an den Höhepunkten der Handlung durch brüske Gegenüberstellung stimmungsmäßig kontrastierender Partien musikalische Spannungs­momente von höchster Eindringlichkeit geschaffen, so wenn vor dem gewaltsamen Schluß des zweiten Aktes die lustige Gavotte und vor dem leidenschaftlichen Ausbruch am Ende der Oper das zarte und innige Lied Friedemanns wiederkehrt. Aber die Grundfarbe dieser Musik ist zu zart, zu lyrisch, als daß in ihr Platz für ganz eindeutige dramatische Gesten wäre, dazu ist das ganze Werk in einen Zauberschleier feinster, vom Silber des Cembaloklanges freundlich durchbrochener Orchesterfarben gehüllt. Die Deklamation ist, wie schon in Graeners früheren Opern, aufs feinste ausgewogen, der Sprachmelodie in den Grenzen des musikalischen Ablaufs nachgebildet und aus der inneren Bewegtheit des schnell fließenden Rezitativs heben sich dann die geschlossenen Formen wie Inseln heraus.“ (Blätter des Hamburger Stadttheaters, 1931/32, Heft 18, S. 276f.)

7393338109020Der Librettist der Oper, Rudolph Lothar, „hat sich natürlich nicht streng an die tatsächlichen Schicksale des außerordentlich begabten ältesten Sohnes des großen Johann Sebastian Bach gehalten.“ (Paul Graener (1931): Friedemann Bach, Textbuch, S. 3) Sein Libretto basiert auf dem damals sehr verbreiteten gleichnamigen Roman Albert Emil Brachvogels (1824-1878), der mit großer dichterischer Freiheit einen gänzlich falschen, nicht den geschichtlichen Tatsachen entsprechenden Lebensweg Friedemann Bachs zeichnet. Graeners Wahl des Librettos kann zum einen nur aus dieser Zeit heraus verstanden werden, zum anderen mag der bereits im Sujet liegende Kontrast zwischen dem schlichten Bürgerhaus und dem falschen Prunk am Dresdner Hof zur Zeit August des Starken Graener angesprochen haben, basieren doch auch seine vorangegangenen Opernstoffe auf eben solchen im Sujet verankerten Kontrasten (Christen. vs. Heidentum in Theophano; orientalische vs. westeuropäische Sitte in Schirin und Gertraude, himmlische vs. irdische Erscheinungen in Hanneles Himmelfahrt). Hierzu äußert sich Graener im Textbuch seiner Oper: „Es ist charakteristisch für das moderne Opernschaffen, daß es vielfach den Schwerpunkt der Oper nach Seite der Dichtung hin verlegt. Die psychologischen Vorgänge und Geschehnisse auf der Musikbühne werden übersteigert und immer komplizierter ausgedrückt. Im Gegensatz dazu versuche ich im ‚Friedemann Bach’, einfaches, menschliches Erleben mit einfachen musikalischen Mitteln zu schildern. […] Das Textbuch nur ein Anlaß zur Musik, – die Oper ganz nur auf Musik gestellt!“ (Paul Graener (1931): Friedemann Bach, Textbuch, S. 6)

Paul Graener: Beim Hamburger Archiv für Gesangskunst singt Walther Ludwig aus Opern von Graener

Paul Graener: Beim Hamburger Archiv für Gesangskunst singt Walther Ludwig aus Opern von Graener

Nachdem die Oper auch in Berlin und Dresden aufgeführt worden war, wandte sich die Sächsische Staatsoper 1933 an Staatskommissar Hans Hinkel, da ihr vorgeworfen wurde, die Oper Graeners im Spielplan zu halten, obwohl Graener „Halbjude“ sei. Hinkel teilte daraufhin mit, dass Graener „Arier“ sei, der Librettist Rudolph Lothar allerdings Jude. Dennoch wurde Graeners Werk nicht etwa von den Spielplänen gestrichen: „In der Saison 1933/34 gab es noch 52 Aufführungen; auch zwei Jahre darauf, 1935/36, kam es wieder 22mal auf die Bühne. Graener […] zog die Oper auch nicht etwa freiwillig zurück, und so war sie noch 1939/40 mit neun Aufführungen vertreten.“ (Fred K. Prieberg (2000): Musik im NS-Staat, S. 206). Im Vergleich zu den 1920er Jahren, die für Graener nicht nur eine kompositorisch fruchtbare, sondern zugleich auch erfolgreiche Zeit in Bezug auf die Aufnahme seiner Werke war, konnte er, befördert durch sein musikpolitisches Engagement im NS-Kulturapparat, die Anzahl der Aufführungen seiner Werke bis in die Mitte der 1930er Jahre steigern. 1934 kam es zur Uraufführung seiner Oper Der Prinz von Homburg (op. 100) nach Heinrich von Kleist (Libretto von Graener selbst) an der Berliner Staatsoper, indes blieb Friedemann Bach weiterhin Bestandteil deutscher Spielpläne. Nahmen die Nationalsozialisten den jüdischen Librettisten Stefan Zweig von Richard Strauss’ Oper Die schweigsame Frau zum Anlass, den Komponisten zum Rücktritt vom Posten des Präsidenten der Reichsmusikkammer zu zwingen, verblieb Graener noch einige Zeit länger in seinen Ämtern.

Paul Graener: Der originale Wilhelm Friedemann Bach/OBA

Paul Graener: Der originale Wilhelm Friedemann Bach/OBA

Trotz der Mitteilung Hinkels und Graeners Bemühungen, seine „arische“ Herkunft zu belegen, kam es im Laufe des Jahres 1940 an der Preußischen Akademie der Künste erneut zur Untersuchung seiner Abstammung. Hintergrund war wohl das Bestreben, einen Vorwand zu finden, Graener, der bereits am 1. April 1937 die Leitung der Fachschaft Komponisten innerhalb der Reichsmusikkammer niedergelegt hatte, aus dem Dienst der Akademie zu entlassen. Hilfreich für den Senat waren dabei die zahlreichen Freundschaften Graeners zu jüdischen Verlegern und Komponisten (u. a. Otto Mannasse, Kurt Eulenburg, Wilhelm Zimmermann). In einem internen Bericht der Akademie hieß es: „Dr. Miederer hat mir heute auch – wie ich streng vertraulich bemerke – sein gesamtes Material gegen Graener vorgelesen. Es ist geradezu erdrückend! […] Ferner sind in diesem Material Äußerungen Graeners politischer Art zusammengestellt, die recht bedenklich sind. Schließlich wird eingehend die Frage seiner Abkunft behandelt, da er ja nicht in der Lage ist zu beweisen, daß er arischer Abstammung ist. Verbindungen mit dem Judentum werden ihm nachgewiesen und die Vermutung nicht von der Hand gewiesen, daß er doch selbst Jude sei.“ (Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin, PrAdK I/021, Nr. 19f.)

Paul Graener_Textbuch Friedemann Bach_Bote&Bock Berlin 1931Die Erfolge der 1920er und frühen 1930er Jahre konnte Graener in den letzten Lebensjahren kaum mehr wiederholen. Unter seinen bedeutsamen Kompositionen nach 1940 sind die Oper Schwanhild (o. op.) mit Uraufführung 1941 an der Kölner Oper und seine zweite Sinfonie mit dem Titel Wiener Sinfonie (op. 110) (Sterling CDS-1090) zu nennen. Eine zwei Jahre vor seinem Tod begonnene Oper mit dem Titel OdysseusHeimkehr blieb unvollendet. Mit seinem Tod vor 70 Jahren verschwanden Graeners Werke von den Spielplänen. Einzig die Deutsche Oper am Rhein nahm sich vor mehr als 15 Jahren in der Reihe „Oper am Klavier“ Graeners Oper Friedemann Bach an.

Foto oben/OBA: Das berühmte Bild von Adolf Menzel, „Flötenkonzert in Sansouci“,  war Anregung zu Graeners – neben „Friedemann Bach“ – heute fast bekanntestem Werk, „Die Flöte von Sansouci“, die man gelegentlich noch im Radio hören kann. Seine verfügbaren CDs sind in operalounge .de von Moritz Schön besprochen worden.

„Hochleistungssport Singen“

Sie ist nicht nur Operndirektorin und stellvertretende Intendantin der Oper Stuttgart, sondern auch Präsidentin von Opera Europa. Mit Eva Kleinitz unterhielt sich Hanns-Horst Bauer über Top-Stars und sinnliche Erlebnisse, über den Austausch von Visionen und einen sensationellen Tenor aus Brasilien.

Frau Kleinitz, im Herbst vergangenen Jahres wurden Sie zur Präsidentin von Opera Europa gewählt, einem Verband, dem im Augenblick 148 Opernhäuser und Festivals aus 39 Ländern angehören. Was bedeutet dieses Amt, in das mit Ihnen nicht nur zum ersten Mal ein deutsches Mitglied, sondern auch zum ersten Mal eine Frau gewählt wurde, für Sie ganz persönlich? Der Arbeit von Opera Europa bin ich seit vielen Jahren eng verbunden, schon seit meiner Zeit in Bregenz und Brüssel, 2011 wurde ich in den Aufsichtsrat gewählt. Wenn man dann nicht nur als erste Frau, sondern auch als erste Deutsche gewählt wird, ist das schon etwas, was ich  als große Ehre empfinde

01 Eva Kleinitz 4sp groß-001Wie sieht die Arbeit von Opera Europa aus? Sie setzt vor allem auf Vernetzung und europaweite Kommunikation. Neben dem Austausch von Visionen und Ideen zur Kunstform Oper geht es auch ganz konkret um Marketingstrategien, um Sponsoring-Aktivitäten oder auch um Freunde-Vereine, also um die wichtige Frage, wie man neue Publikumsschichten für die Oper gewinnt. Unabhängig von Budget und Größe des Hauses hat jeder das gleiche Recht sich einzubringen. Dass da unglaublich viele Ideen sprießen, ist selbstverständlich. Und das gefällt mir sehr gut.

Bei welchen Problemen kann die Organisation helfen? Könnten Sie das ein wenig veranschaulichen? Da gibt es immer wieder die verrücktesten Ideen von Bühnenbildnern, die nicht immer ganz leicht zu verwirklichen sind. Beispielsweise aufblasbare Puppen, auf denen man klettern können muss: Wer baut so etwas, wie ist es überhaupt finanzierbar? Fragen wie diese kann man ins Forum der technischen Direktoren von Opera Europa stellen – und kurze Zeit später hat man bereits die ersten Antworten und Vorschläge von Kollegen. So kann man vom Knowhow der Anderen großzügig profitieren. Das erleichtert den Opernalltag ungemein.

02 Eva Kleinitz 4sp groß-001Sie beenden in diesen Wochen Ihre dritte Saison an der Oper Stuttgart. Was hat Sie gerade an diesem Haus gereizt? Ein großartiger Chor, ein tolles Orchester, ein wunderbares Ensemble – und die spannende Geschichte des Hauses. So habe ich nicht lange überlegt, als ich das Angebot von Jossi Wieler erhalten habe, mit ihm zusammen im Team in Stuttgart etwas Neues anzufangen. Ich fand es sehr reizvoll, als rechte oder linke Hand neben einem Regisseur zu arbeiten. Da habe ich das Gefühl,  dem Künstler den Rücken für seine Arbeit freihalten zu können, damit er eine erfolgreiche Produktion auf die Beine stellen kann.

Wie halten Sie Jossi Wieler  den Rücken frei? Wie sieht der Alltag einer Operndirektorin aus? Zunächst einmal nehme ich ihm alles ab, was mit Finanzen, Verträgen und Engagements zu tun hat. Dabei geht es nicht nur um die Sänger, sondern um alle, die hier am Haus im künstlerischen Bereich arbeiten. Alles geht über meinen Schreibtisch, letztlich auch die ganzen Budgets. Man könnte von einem Kulturmanagement für die Oper sprechen. Die Voraussetzung für diesen Lebensweg ist, dass man selbst Musik gemacht hat und, so finde ich zumindest, eine Zeit lang direkt im Bühnengeschehen involviert war. Kurz, dass man aus dem innersten Saft des Theaters herausgewachsen ist.

Das bedeutet dann auch, dass man eine emotionale Beziehung zur Oper aufgebaut hat. Wie fing das bei Ihnen an? Einmal in der  Schule, zum anderen durch mein Elternhaus, wo ich schon sehr früh den Bezug zur Musik hatte und auch mal mit ins Theater oder in die Oper in Hannover gehen durfte.

06 Eva Kleinitz 2sp links-001Können Sie sich an Ihr erstes Opernerlebnis erinnern? Das war irgendetwas zwischen Hänsel und Gretel, Freischütz und Walküre. Am meisten beeindruckt hat mich da die dramatische Sopranistin Ute Vinzing als Brünnhilde in der Walküre, mein absolutes sängerisches Idol. Relativ schnell bin ich dann in die Musik und in die Oper förmlich hineingesogen worden. Für mich stand fest: Ich muss mal irgendetwas mit Musiktheater machen. So habe ich bereits parallel zum Studium als Regieassistentin gearbeitet. Als Regieassistentin bei den Bregenzer Festspielen habe ich mit ganz großartigen Künstlern zusammengearbeitet. Damals hatte ich noch Gesangsunterricht, hatte aber trotz ganz ordentlicher Stimme Zweifel, ob ich als Sopran je die Chance haben würde, mit  diesen großen Leuten zusammenzuarbeiten. So habe ich das technische Wissen über das Singen abgespeichert und bin immer mehr auf die andere, die organisatorische Seite gewechselt. Mein Interesse und meine Begeisterung für diese Form der künstlerischen Arbeit ist weiter gewachsen, weil ich das Gefühl hatte, Sängern helfen zu können, ihnen die größtmögliche Sicherheit und Freiheit zu geben, damit sie auf der Bühne Erfolg haben.

Die Bregenzer Festspiele  waren für Sie über viele Jahre hinweg künstlerische und auch private Heimat? Was hat Sie so lange am Bodensee gehalten? Bregenz ist ein unglaublicher Ort, für mich immer noch einer der aufregendsten Plätze. Im öffentlichen Bewusstsein steht natürlich die spektakuläre Seebühne im Vordergrund. Den See muss man auch immer präsent halten und stark vermarkten, da er all die anderen Aktivitäten wie Theateraufführungen, Konzerte und Opernraritäten im Festspielhaus mitfinanziert.

07 Eva Kleinitz 2sp links-001Zurück nach Stuttgart. Was macht Ihnen hier ganz besonders viel Freude? Wie sich die jungen Sänger, die wir engagieren, im Ensemble entwickeln. Beispielsweise der brasilianische Tenor Atalla Ayan, der bereits in Royal Covent Garden London auf der Bühne gestanden ist und  bei uns gerade einen sensationellen Rodolfo in Puccinis Bohème gesungen hat.

Dafür bekam er ja auch ganz exzellente Kritiken. Wie helfen Sie aber einem Sänger, der da vielleicht nicht so gut wegkommt? Wenn eine Kritik nicht konstruktiv und differenziert ist, kann das für einen Sänger absolut verheerend sein. Viele Menschen können es sich leider nicht vorstellen, was es heißt, auf einer Bühne zu stehen. Singen ist Hochleistungssport bei dem, was heutzutage verlangt wird. Aber man darf nicht vergessen, dass es für Sänger nicht nur die Presse-Kritik gibt, sondern auch das Publikum und natürlich uns, die wir versuchen ihnen ein konstruktives Feedback zu geben, sie zu unterstützen, zu ihnen zu stehen.

Stuttgart baut auf sein Ensemble, weniger auf Gäste. Was hat das für einen Vorteil? In Ensemble-Stücken wie Zauberflöte, Nozze di Figaro oder Cenerentola stehen Sänger zusammen, die auch in anderen Produktionen zusammen waren, wo man merkt, die bauen vertrauensvoll aufeinander auf, sie freuen sich auf den anderen. Das spürt und hört man dann auch am Abend in der Vorstellung. Ähnlich geht es doch auch beim Fußball zu, wo es sehr viel auf Gruppendynamik ankommt. Im Ensemble kann der Sänger, noch ein Vorteil, Partien ausprobieren, die er auf dem freien Markt, wo man schnell in irgendwelche Schubladen gesteckt wird, vielleicht nie bekommen würde.

09 Eva Kleinitz 1sp rechts-001Vor welchen Problemen stehen junge Sänger heute? Einmal gibt man ihnen zu wenig Chancen zur Entwicklung, zum anderen sind sie oft aber auch selbst zu ungeduldig. Nicht selten fehlt eine wirklich fundierte Gesangsausbildung. Leider passiert  es sehr häufig, und das ist wie im Pop-Geschäft oder beim Fußball, dass jemand in kürzester Zeit nach ganz oben gehypt wird, und man weiß gar nicht, warum. Dann ist die Karriere sehr schnell wieder vorbei. Das finde ich wahnsinnig schade.

Wie kann ein Haus wie Stuttgart seine hier groß gewordenen Sänger halten? Top-Tenor Jonas Kaufmann etwa ist heute hier sicher nicht mehr bezahlbar? Wir versuchen unseren Sängern attraktive Partien anzubieten, die sie sich hier in Ruhe erarbeiten können. Das gibt Fundament und Sicherheit.

Die Gagen für Stars wie Domingo, Kaufmann oder Anna Netrebko können mit denen für „normale“ Sänger kaum verglichen werden. Wie gerecht ist so eine „Entlohnung“? Bei Künstlergagen klafft die Schere leider weit auseinander. Und das ist sicher nicht gerecht.

12 Eva Kleinitz 1sp rechts-001Was für eine Bedeutung hat überhaupt die von manchen für elitär gehaltene Gattung Oper für unsere Gesellschaft? Oper, live erlebt, kann etwas im Menschen auslösen, anstoßen, was man in vielen anderen Genres nicht hat, weil da so vieles zusammenkommt: Musik, Gesang, Theater, bildende Kunst und manchmal auch Tanz. Das macht eine Opernvorstellung zu einem einzigartigen sinnlichen Erlebnis.

 

Biographie: Eva Kleinitz wurde in Langenhagen/Niedersachsen geboren, wuchs in Hannover auf und studierte nach dem Abitur Musikwissenschaft, Italienische Literaturwissenschaft und Entwicklungspsychologie an der Universität des Saarlandes. Forschungsaufenthalte führten sie nach Rom, Rovereto, Paris und Mailand. Ab 1991 war sie Regieassistentin und Spielleiterin u.a. bei den Bregenzer Festspielen, in Klagenfurt, Avignon, Nîmes, Paris, Straßburg, Spoleto, Köln und Schwetzingen. Im Rahmen ihres Engagements im künstlerischen Betriebsbüro der Bregenzer Festspiele (ab 1998) übernahm sie die Projektleitung von „Oper am See“ und „Oper im Festspielhaus“ sowie die Verantwortung für Casting, Dramaturgie, Vertragswesen, Opernworkshop und die Programmheftredaktion. Von Januar 2000 an leitete sie dort das künstlerische Betriebsbüro und war bis 2003 Persönliche Referentin des Intendanten Alfred Wopmann. Von 2003-2006 arbeitete sie als Operndirektorin und stellvertretende Intendantin der Bregenzer Festspiele unter  David Pountney. Von 2006 bis 2010 übernahm Eva Kleinitz die Direktion für Künstlerische Planung und Produktion an der Brüsseler Oper La Monnaie. Seit 2005 hält sie regelmäßig Gast-Vorlesungen und Workshops an der Showa University of Music in Shinjurigaoka/Kanagawa in Japan. Ferner ist sie seit vielen Jahren regelmäßig Jurorin bei internationalen Gesangswettbewerben. Mit der Spielzeit 2011/12 wird Eva Kleinitz Operndirektorin und Stellvertretende Intendantin im Leitungsteam der Oper Stuttgart. Im Oktober 2013 wurde sie zur Präsidentin von Opera Europa gewählt. 

Fotos © Hanns-Horst Bauer    

 

 

 

 

 

Klippen bravourös umschifft

Die argentinische Mezzosopranistin Bernarda Fink verbindet man allgemein mit der Szene der Barock- und Alten Musik, unter Renee Jacobs hat sie zahlreiche Opern eingespielt. Auf dieser Solo-CD widmet sie sich ausschließlich dem Liedschaffen Gustav Mahlers, dessen breite Kantilenen ihrem geschmeidigen Organ ausgezeichnet liegen (harmonia mundi HMC 902173). Interessant besonders die ganz frühen Lieder von 1880, bei denen Mahler noch eigene Texte vertonte, aber bereits seinen spezifischen „Wunderhorn-Ton“ entwickelte, der für das gesamte Liedschaffen und die ersten Symphonien so charakteristisch ist.

Die mit 78 Minuten randvolle CD enthält aber auch die zwei großen Zyklen „Lieder eines fahrenden Gesellen“, „Kindertotenlieder“, sowie einzelne Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ und den Rückert-Liedern. Finks Stimme fühlt sich bei Mahler offenbar sehr wohl, und kann den Farbenreichtum ihres schlanken Mezzo voll ausspielen. Nur in einigen exponierten Lagen wird hörbar, dass die Künstlerin sich ihrem sechzigsten Geburtstag nähert. Routiniert und eloquent kann sie aber die meisten stimmlichen Klippen bravourös umschiffen und erfreut mit gut fokussiertem, warmem Ton. Ihre vorzügliche Textbehandlung ist ein weiteres großes Plus, nur manche Passagen hätte man sich vielleicht etwas temperamentvoller gestaltet gewünscht.

Die zum Teil sehr langsamen Tempi bei den Orchesterliedern gehen aber wohl auch auf das Konto des Dirigenten Andres Orozco-Estrada, der zwar insgesamt mit dem Niederösterreichischen Tonkünstler-Orchester und dem Gustav-Mahler-Ensemble ein sensibler Begleiter ist, manche Tempi aber doch extrem breit nimmt. Anthony Spiri als Klavierbegleiter bei den ganz frühen Liedern entledigt sich seiner Aufgabe tadellos. Empfehlenswert für alle Freunde dieser verdienstvollen Sängerin, aber natürlich auch für alle Liebhaber der Mahler’schen Lieder, die hier eine hörenswerte Wiedergabe erfahren.

Peter Sommeregger

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Florence Quartararo

 

Was gibt es doch immer wieder für Überraschungen, auch auf dem historische Sektor. Da kommt von Immortal Performances eine 3-CD-Box der mir bis dahin absolut unbekannten amerikanischen Sopranistin Florence Quartararo mit seltensten Aufnahmen von 1945 – 1951, die eine ganz erstaunliche Stimme hören lassen: eine Mischung aus Bidu Sayao und Eleanor Steber plus ein starkes Quentchen Ponselle (und dies nur als Hörvorgabe), blond, individuell, eher lyrisch als spinto (auch wenn der renommierte Kritiker Henry Fogel im Booklet-Text mehr das Dramatische in der Stimme preist und  betont), flexibel mit einem sehr persönlichen Ausdruck und einer erstaunlichen Modernität im Ausdruck – also gar nicht historisch oder dünn-muffig. Sicher, in den Trovatore-Auszügen merkt man die Grenzen der schönen Stimme, aber im Figaro, in den Standardstücken wie die aus Tosca, Don Giovanni, auch Butterfly hat man eine gültige Sopranstimme und eine interessante Interpretation vor sich. Interessant ist auch das Repertoire der Sängerin, die nur 37 Vorstellungen an der Met der Nachkriegszeit sang (4 Saisons), die aber doch auch glamouröse Auftritt in der Hollywood Bowl bestritt, mit Bing Crosby (dem sie 1945 als Florence Alba vorsang)  und Ramon Vinay für RCA Aufnahmen machte und die ein breites Repertoire nicht nur an Oper, sondern auch an Unterhaltungsmusik mehr oder weniger verdächtiger Titel bestritt. Die Ehe mit dem italienischen  Bass Italo Tajo beendete ihre kurze Karriere. Auf youtube ist sie mit verschiedenen Aufnahmen zu hören, die aber weitgehend von den Immortal-Performances-Dokumenten „ausgeliehen“ sind.

Florence Quartararo: um 1950/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo: um 1950/Foto Immortal Performances

Spannend für mich sind ihre französischen Aufnahmen der Micaela, der Filles de Cadix (damals sehr populär) oder Thais – für letztere hat sie die ideale Stimme und klingt sehr idiomatisch. Dass dies eine wichtige und auch einmalige Stimme ist, hört man bei den ersten Tönen, und man hört auch, dass sie eine betörend schöne Frau gewesen sein muss, wie die vielen Fotos im üppigen beigefügten Booklet zeigen, die wir hier ebenso nach-„drucken“ wie den nachfolgenden Text daraus von dem Herausgeber und künstlerischen/technischen Chef vom Immortal Performances, Richard Caniel, der Sammlern natürlich kein Unbekannter ist, hat er doch seit vielen Jahren unermüdlich historische Aufnahmen namentlich von der Met, aber auch mit der Jurinac oder Leider in bestem Sound herausgegeben. Ein späterer Artikel auf operalounge.de  beschäftigt sich mit seinen neusten Arbeiten eben aus der Met, und ein Tristan aus London mit der Flagstad ist avisiert. Im Folgenden also  eine Hommage an Florence Quartararo von Immortal Performances mit Texten und Fotos zu ihren Ehren.  Geerd Heinsen

Florence Quartararo: um 1978/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo: um 1978/Foto Immortal Performances

„A surprise is the Vinay-Quartararo Tosca-duet, not so much for Vinay’s fine performance of Cavaradossi’s music, but for the really lovely voice of the soprano, who, after only a few seasons at the Met, disappeared from the scene.“ (Harold Rosenthal, Editor Opera, February 1970). Just about every opera lover I’ve ever met who has heard the few 78 rpm recordings Florence Quartararo made for RCA Victor, or who heard her unusually expressive, brilliantly sung performance of the Countess in Nozze at the Met or Desdemona in Otello, asks „Whatever happened to her?“ Small wonder that after 49 years such interest still remains. Quartararo was a remarkable artist with a memorable voice and an unusual feel for the text and drama of what she sang, and yet she simply vanished just as her career had gained great momentum. She made her debut as Micaela. This was the role of which Howard Taubman, the music critic of the New York Times wrote: „The young lady sang with astonishing assurance. She may be the find of the season. She has a voice of size, range, and true lyric quality. It is produced with a smoothness and accuracy that makes you wonder how it happened that this voice has been so well placed. One gathered that she had not had much formal vocal schooling. Perhaps it is so. As for Micaela’s music, Miss Quartararo sang it with affecting simplicity. It is deceptive music, it looks easy, and it does not overpower as does the music of Carmen, but it takes sensitivity and quality as a singer. Miss Quartararo, who is also good to look at, seems to have what it takes.“

Quartararo was the protegee of Bruno Walter, the soprano Toscanini tele­phoned personally to congratulate for her Desdemona and to request she au­dition this role for him for his forth­coming broadcast; the soprano Fritz Busch admired in Mozart, that Walter conducted as Pamina in his Magic Flute. This is the same soprano whom I saw in 1946 when I was 14. She was my first Micaela at the Met and the one whose 78 rpm disc of the duet from that opera I prized as a boy. Little did I imagine in the intervening years that I would spend three warmly rewarding evenings with her 36 years later.

Florence Quartararo: mit dem Met-Direktor Edward Johnson/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo: mit dem Met-Direktor Edward Johnson/Foto Immortal Performances

Our three meetings introduced me to a rare and savorable personality. Like a number of opera singers, Florence Quartararo has a presence larger than ordinary people – a quality which makes it possible for them to fill the stage and huge auditorium at the Met or San Francisco Opera not only with their voice but by a substance, a contained energy which makes them stand out. She was a still beautiful woman in 1982, warm, personable, expressive. Her charm had none of the professional patina which those who have had considerable success and press coverage soon acquire, rather it was natural in its tone and color, hued with a certain Italianate earthiness, touched at first with a hint of wariness while she listened for whatever was the spirit behind what I said.

On our third meeting, which occurred at her lovely home, we turned to the subject of her career and subsequent history. To tune me to the subject I asked her to play one of her recordings. She chose La mamma morta (Andrea Chenier), a Victor recording I had not previously heard. „What did you think of it?“ she asked me when it had ended. I tried not to frown. „It is beautiful in its way, but it doesn’t open up (at “Ne‘ miei occhi e il tuo cielo”).“ „Exactly!“ she said. „That’s just what was wrong with it. I was so inexperienced and Morel (the conductor) couldn’t see its expansion. I didn’t argue,“ she concluded sadly.

Florence Quartararo: mit Bing Crosby/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo: mit Bing Crosby/Foto Immortal Performances

At this point, the evening changed; our relationship had suddenly deep­ened. “La mamma morta” wasn’t asked about as a test but it was one nonetheless, as any true artist wants to avoid sycophancy, perhaps because nothing real can be exchanged when that bias is present. „Now, I’ll play something else,“ and we heard “Care selve”, which to my ears was thrilling and I said so.

Soon we turned to her career and the reason why it ended when it had begun to soar. Born of Italian parents in the Bay area, she was, from the beginning, present in an opera-loving milieu. Merola, head of the San Francisco Opera and its chief conductor, was present at her baptism. In her childhood she sang as far back as she could remember. Her idol was Muzio whom she saw in Traviata. She went to the San Francisco Opera as a standee whenever Muzio sang. She exclaimed, „What emotional capacity she had, what sensitivity, the variety of her characterization of Violetta! Nothing false, excessive, everything harnessed and yet how it poured out, this music in her, to the public. I also loved to hear Ponselle (what a dramatic instinct), Rethberg who had a glori­ous voice and Mafalda Favero who had an outstanding stage presence. I couldn’t get enough of Gigli, Schipa, Borgioli and Martinelli, all of whom sang at the San Francisco Opera.‘

Florence Quartararo: als Marguérite in der Garderobe/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo: als Marguérite in der Garderobe/Foto Immortal Performances

The operatic milieu included her father, a medical doctor (ophthalmolo­gist) who played piano and sang. Her mother’s brother was wild about opera and a close friend of Merola. „Music was always around me.“ Florence began her vocal studies with Elisabeth Wells in San Francisco and then continued with Pietro Cimini in Los Angeles in 1944. „After I graduated from college I went to work for the Navy de­partment and through friends I met Bing Crosby. He auditioned me and put me on his Kraft Music Hall (as Florence Alba, her original stage name). I did four performances. I then had an audition with Stokowski for the Hollywood Bowl concerts he was conducting but nothing happened. Then, one day, I received a telephone call asking me to take the place of Helen Traubel in a concert she was to sing of Wagner arias conducted by Otto Klemperer. He had to change everything to accommodate the lyric soprano arias I could sing.

„Then my life really changed. In the audience was Earle Lewis, an important man at the Met. He came to me and said T want to arrange for you to sing for Bruno Walter.‘ And so we went to see the great conductor at the Beverly Hills Hotel; he had a salon there. He played the piano himself, no one else was present. I shall never forget this sweet, lovely man. We began with Depuis le jour. I blanked out after the first phrase I was so frightened, but he was so incredibly kind he helped me over this kind of collapse. We did Mozart for an hour. Then he said he would write Edward Johnson, the General Manager of the Met. He didn’t say what he would write about me and I didn’t ask. This was in the early fall of 1945.

Florence Quartararo: "Figaro" mit Bidu Sayao und herta Glaz - eines der seltenen Fotos der an der Met unverzichtbaren Comprimaria in jugendlichen Mezzopartien wie Cherubino oder Sièbel/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo: „Figaro“ mit Bidu Sayao und Herta Glaz – eines der seltenen Fotos der an der Met unverzichtbaren Comprimaria in jugendlichen Mezzopartien wie Cherubino oder Sièbel/Foto Immortal Performances

„Eventually my audition at the Met came about. Cimini said, ‚Just go out and sing. Don’t try to hear yourself.‘ The assistant conductor said before I went on, ‚Just pray to God and sing the best you can. You can’t pitch your voice because you don’t know the house.‘ What a thrill to be on the Metropolitan Opera stage — the greatest of our the­aters! I sang from Boheme, then Dove sono and Sempre libera. No one said a word. I had to leave the stage in silence and go home and won­der. Then Mr. Johnson himself telephoned me and said he wanted to hear me in an NBC studio. After that I won their Caruso Award which took care of my study and a Metropolitan Opera contract.

„I was assigned the roles of Micaela, Elvira, Desdemona, Countess in Nozze, Pamina, a Walkure and Parsifal maiden; I was to attend every rehearsal possible on the stage or roof and I was also to study dance and makeup. I was told, ‚Watch everything. If you get to sing, you may not have a rehearsal“. „As it turned out I made my debut as Micaela in a cast which in­cluded Vinay, Stevens and Merrill. Vinay’s Don Jose was very vital, very virile. He had marvelous temperament and was capable of very exciting singing. He was an important vocal personality This made up for what he lacked in vocal ease.“

Florence Quartararo: backstage at the Met/Foto OBA

Florence Quartararo: backstage at the Met/Foto OBA

I saw her Micaela at a student performance in which the cast was the same, ex­cept Djanel took over for Stevens. I was entranced by Quartararo, who I thought movie-star beautiful, with the added virtue of singing with such shin­ing loveliness and much dramatic intensity. The critics who „happened“ to show up for Quartararo’s debut likely came because they’d been alerted that an unusual voice was to be unveiled.

Robert Bagar of the New York Word Telegram wrote: „A lovely voice, very good looking and a first class musician.“ Of her debut, Quartararo told me: „I was petrified. I don’t think I knew where I was until the third act, I was so scared. One side of me prayed, Dear God, open the stage and let me disap­pear, but still, whether it was the ham in me, I couldn’t wait to get out there. It was all somehow like a storybook.“

Florence Quartararo: noch einmal als "Figaro"-Contessa/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo: noch einmal als „Figaro“-Contessa/Foto Immortal Performances

Quartararo went on to sing 37 performances at the Met in nine roles: Elvira in Don Giovanni; Violetta in Traviata; Micaela in Carmen; Flower maiden in Parsifal; Lauretta in Gianni Schicchi; Contessa in Nozze; Nedda in Pagliacci; Pamina in The Magic Flute with Bruno Walter conducting and Desdemona. Of this last, her chance came when Stella Roman fell ill and on a few hours notice, without rehearsal, she took over the role, singing with Torsten Ralf and Leonard Warren.

Taubman of the New York Times was again enchanted with her singing, writing: „Her voice is perfectly suited for Desdemona and she used it last night with a sure instinct for the molding of the musical phrase. She had at her command a finely controlled range of tone and in the last act her singing of the Willow Song and Ave Maria made you forget the soprano on the operatic stage and left you only with the heartbreak of the poor bewildered Desdemona.“

Florence Quartararo: noch einmal als Mimì/Foto OBA

Florence Quartararo: noch einmal als Mimì/Foto OBA

Her experience singing Desdemona was greatly enlarged when she received a telephone call in which an aged voice, speaking in Italian, said he was Toscanini. „As he went on to say, T heard that you sang very well last night/ I interrupted, believing it was all a joke or hoax played by some friends. ‚No, no,‘ I told him. ‚I don’t believe you.‘ ‚Si, si, signorina“, he said, ’sono Toscanini“ He kept it up, so serious, that I finally realized it was actually the great Maestro. I was speechless. He wanted me to audi­tion for him for Desdemona. Toscanini’s helper, he prepared me, Toscanini played the piano. We went through Addio del passato and music from Otello and he taught me more in a half hour than I had learned in a few years. It was overwhelming to be with so great a ge­nius, it was such a privilege. When I went to his rehearsals, I saw why he was the greatest Maestro. Toscanini and Bruno Walter – they were the highest achievement in musical genius. Toscanini especially drew so much out of everyone. He wanted me for his opera broadcast of Otello but the Met wouldn’t release me for the numerous rehearsals Toscanini required [as they wouldn’t release Albanese for his Falstaff.“

Florence Quartararo: privat bei einer Probe, was für eine elegante Frau!/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo: privat bei einer Probe, was für eine elegante Frau!/Foto Immortal Performances

Quartararo, for all the brevity of her career, had actually sung under many fine conductors: Klemperer, Ormandy, Busch and in particular Bruno Walter. She recalls his encouragement when she was to sing Pamina in The Magic Flute: „I have faith in you: We’ve worked on it. Just look at me and I’ll support you, help you in every way I can.“ She says: „I felt as if I had arms around me holding me up.“ Of her Met colleagues, she much admired Bidu Sayao, saying: „She was exquisite – beautiful to look at – the total artist, nothing missing; her clothes, her walk, her tone; her voice, small, reached to every part of that huge auditorium –  a marvelous, masterful musi­cian. Rise Stevens was another one I admired, and she was such a great help to me, truly sincere, never treating me like a youngster, helping me with my makeup.“ Later, when she sang Nozze and Don Giovanni with Pinza, she said of the great basso: „What a thrill to hear him sing, “Deh vieni alia finestra”. It’s true he pinched ladies like a naughty boy but he was a very serious artist. I use that word ‚artist‘ not too often. Many singers are not complete. They give no true emphasis to the words — like a painting without color – but an artist gives you an entire experience. Don’t pick on one phrase, one passage, like Vinay’s Esultante – listen to what he did with the rest of the role! Tremendous!“

Of her Mozart, a composer she adores, Quartararo has garnered praise from many quarters. Claudia Cassidy, the Chicago music critic who championed Callas when she first came to Chicago, wrote (after hearing Quartararo sing “Porgi amor”): „Her singing staked a claim on one’s undivided attention. She sang superbly, with serenity and simplicity and security that comes from a wealth of resources in re­serve. If that girl doesn’t make opera sit up and take notice, I shall desist consulting my crystal ball.“

Florence Quartararo: als Mimì/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo: als Mimì/Foto Immortal Performances

Pinza said of her in Mozart, „She suf­fers violently to go on and she goes out and kills everyone (esse mazze tutti)“ When she sang in Nozze di Figaro at the San Francisco Opera with Pinza and Baccaloni, the opera critics went wild: „Her voice was full, warm and radiantly clear. She sang with much dramatic emphasis with an excellent sense of Mozartean style. She didn’t quite realize how wonderful her voice is. Few have such color, roundness and intensity, full of warmth, softness, pathos and grief.“

All the while Quartararo’s mounting success didn’t change her sense of her limitations. Nor did adulation give her an enlarged sense of status. „I was reared that way – what I had was a gift from God for which I had to become worthy. I needed to develop further restraint. The more I sang, the more I began to know what I must do –  how to spare my­self, how to open myself. I would read scores at night in bed, going over the words, trying to sink into their meaning, trying to avoid ba­nalities. I needed to learn how to stand still. All this takes enormous experience. By your thirties you might begin to bring heart, move­ment and dramatic abilities together to be whole with your voice. Had I remained in my career, I would have paced myself differently. Youth wants to give, give. Maturity knows restraint, holds back so that the climax has shape. I had to put holds on physical abandon but not on spiritual abandonment which is totally necessary.“

Here, then, was a soprano with a glorious career opening before her in a shin­ing avenue of opportunities and yet, for all the roles she finally got a chance to sing – Thais with Martial Singher, Traviata (when Taubman compared her favorably to Rosa Ponselle), Faust with Kullman and Pinza when the Metropolitan Opera was on tour, it was not to be. She made some Victor records: the Micaela duet with Vinay and the Tosca Act I duet with the same tenor. Here one hears what a Tosca she might have given us.

Florence Quartararo: als Thais/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo: als Thais/Foto Immortal Performances

She told me that our previous meeting inadvertently touched the subject of „what could have been“ and struck a painful place in her. But its wound, though deep, was covered over with a lifetime of experience which ran in a different direction. What happened? She met Italo Tajo at the Met when ap­pearing as Lauretta in Gianni Schicchi in which he sang the title role. Some time afterward, she married him. „He believed one singer in the family is enough.“ He said this when she gave birth to a lovely daughter. „And this birth gave me the courage to break from my career.“ Her recollection of her in­volvement in the years of her daughter’s infancy suffused her tone with an extra warmth: „The biggest thrill of my life was when I had my child, something totally yours. What greater fulfillment could there be than a child? It deepened me.“ Then, after a long ruminative silence, the other Florence, the singer that lives in a world apart, a person with an altered evo­lution, life and prospect, spoke: „There was, perhaps, one other experi­ence that gave me something of this same thing – standing on the Met stage, giving oneself and the audience receiving it. There was a tremendous sense of achievement. You could tell by the conditions, the atmosphere, if you were doing right. You feel it in the orchestra. If the musicians stand up and applaud at the act end, you know it was good. This meant so much, the profession­als‘ response. You looked for this and when it and the audience came together, that you have given them these emotions, not just experi­enced them yourself, what fulfillment!

Florence Quartararo:publicity shot/Foto Immoratal Performances

Florence Quartararo:publicity shot/Foto Immortal Performances

„If ever I have a moment of regret for not continuing on the stage, it is the feeling of something unfinished, like something that wanted to complete itself. I don’t know. It was like a great book, the end of which I had left unread. But then, you know, one’s career has a build, a momentum. By the time my child was old enough for me to con­sider other possibilities, the momentum had been lost. Still, it may have been brief but it was wonderfully fulfilling, rewarding in ways for which I have no language.“ Florence again referred to this subject in a letter she sent to me in which she said that our talk had „… brought me back to a life lived so long ago and memories excit­ing and fulfilling but at the same time painful to some degree. „However, don’t most worthwhile experiences follow this bitter­sweet pattern of ups and downs, with tears and joys all mixed to­gether and nearly impossible to distinguish one from the other?“

quartararo cd immortalFlorence had been a bit resistant at our first meeting to re-enter the past she had managed to seal away. However, my enthusiasm and regard for her singing, together with our underlying affinities, led her back at last through the more than thirty years which had passed to a period which she not only cherished but which, at some level, remained ageless.

Looking back at her past had brought up the private recordings she had in her possession, as well as the memory of some discs she once had but which were lost through loan to a person who promised to transcribe them onto tape but had instead vanished. I promised to hunt down acetates of the perform­ances which she did not have (and which two confreres managed, with ex­treme resourcefulness, to find). I also hoped I could find the portion of the recording of the complete Pagliacci broadcast in which she sang that was miss­ing in her acetates. I promised, as well, to put some restoration work in on them so that, eventually, opera lovers could hear for themselves what it was in her singing that had the music critics praising her so highly.

Florence Quartararo: man kann sie verstehen, dass sie wegen Italo Tajo die Bühne verließ.../Foto OBA

Florence Quartararo: man kann sie verstehen, dass sie wegen Italo Tajo die Bühne aufgab…/Foto OBA

Alas, a thousand interventions held us up, especially the development of our Music Society, the Metropolitan holdings and the Toscanini Broadcast Legacy, so that I arrive at this offering of her recordings not as a bouquet of promises finally kept but, sadly enough, as a memorial. Florence Quartararo passed away in June 1994 at the age of 72. Yet, in some important way, she lives among us through what it was she most prized besides her family – her art. These recordings, largely derived from her personal collection, are a pre­cious part of our mutual legacy and we are grateful to be enabled to share it with you.

As for Florence, wherever she is now, the broken melodic thread of mu­sical continuity has been rewoven, the unfulfilled promise kept, all in that spe­cial heaven where every word and action is music. She has gone at last to where converge all the great singers and musicians of her youth, to where she can sing at last for Toscanini, to where she can read at last the final pages in the book of her life left so long unread. Surely there she will find the unex­pected and divine happiness she has truly earned. My experience with Florence Quartararo was the main subject of a radio documentary made about my work by the CBC some years ago.

Florence Quartararo: Opernliebhaber, Restaurator und Sammler - Richard Caniell/Foto Immortal Performances

Florence Quartararo: Opernliebhaber, Restaurator und Sammler – Richard Caniell/Foto Immortal Performances

This was broadcast nationally two times in 1999 and two times in 2000, the latter rebroadcasts due to the fact that the doc­umentary won the World Gold Prize for Best Radio Documentary (Classical) at the International Festival of Radio and Television held in New York in June of 2000.1 don’t doubt Quartararo’s singing, heard during my interview, contributed chiefly to the winning of the award. (…)  Richard Caniell

 

Florence Quartararo: Opera Arias 1947 – 1950 (Massenet, Cilea, Catalani, Verdi, Del Regio, Leoncavallo, Mozart, Charpentier, Bizet, Puccini, Oscar Straus, Rodgers; diverse Aufnahmeorte und -Quellen); 3 CD Immortal Performances IPCD 1030-3

 

Lückenschluss im Gluck-Regal

Wieder gibt die SONY/deutsche harmonia mundi in ihrer Reihe „Opern aus den Archiven der Welt“, die von Bayer Kultur und dem Ensemble l’arte del mondo unter seinem künstlerischen Leiter Werner Ehrhardt initiiert wurde, eine Weltersteinspielung heraus – Glucks La clemenza di Tito. Metastasios Textbuch zählt zu den meistvertonten Libretti (u. a. von Caldara, Hasse und natürlich Mozart); Glucks Version  erlebte ihre Premiere 1752 in Neapel. Sie zeigt noch die bekannten stilistischen Elemente der opera seria mit ihrem strengen Formschema – den Dacapo-Arien und anspruchsvollen Bravourstücken. Für den berühmten Kastraten Caffarelli, der als Sesto besetzt war, schrieb Gluck zwei virtuose Nummern. Und ihm fiel das berühmteste Stück der Oper zu, welches am Ende des 2. Aktes erklingt – „Semai senti spirarti sul volto“ – und das der Komponist viele Jahre später noch einmal für die Arie „O malheureuse Iphigénie!“ der Titelheldin in Iphigénie en Tauride verwendete. Aber auch Sestos erste Arie, „Opprimete i contumaci“, ist ein furioses Bravourstück, das dessen emotionale Situation plastisch schildert. Die Primadonna Caterina Visconti als Vitellia wurde ebenfalls mit zwei effektvollen Auftritten bedient. Hier singen die Sopranistinnen Raffaela Milanesi und Laura Aikin die beiden Rollen, erstere mit etwas dunklerem und recht strengem Timbre, letztere heller und jugendlicher im Ton. Aber insgesamt unterscheiden sich die Stimmen nicht wesentlich von einander, ein hoher Counter hätte da für einen reizvollen Kontrast gesorgt. Aber wenigstens ist der Annio mit einem solchen besetzt – und Valer Sabadus (der das Barna im einstigen Doppelnamen inzwischen abgelegt hat) ist dann auch das vokale Ereignis der Einspielung. Seine erste Arie, „Io sento che in petto“, lässt die vibrierend-sinnliche Stimme mit ihrem Höhenglanz, der Koloraturbrillanz und  den schmeichelnden Trillern sogleich bestens zur Wirkung kommen. Betörend auch sein zweites Solo, „Ah! Perdona al primo affetto“, in seiner verführerisch kosenden Stimmgebung sowie das „Ch’io parto reo“ im 2. Akt mit den mirakulösen  Höhenausflügen. Schließlich sorgt er auch im 3. Akt mit dem flehentlich vorgetragenen „Pietà, signor“  nochmals für einen vokalen Höhepunkt. Milanesi singt den Sesto mit Aplomb und Verve, riskiert auch manch schneidenden, gar hässlichen Ton. Das bekannte „Parto, ma tu, ben mio“ als eine Schlüsselszene der Handlung  gibt es natürlich auch hier, ist aber verhaltener, besitzt nicht die Vehemenz wie in Mozarts Oper. Virtuose Koloraturläufe und exponierte Spitzentöne erfordert das „Fra stupido  e pensoso“  in der Mitte des 2. Aktes, dem dann das berühmte „Semai senti spirarti sul volto“ folgt. Milanesi singt es in einer Mischung aus Strenge und Innigkeit, erreicht mit ihrem existentiellen Vortrag große Wirkung. Aikin entfaltet Vitellias große Szene mit Rezitativ und Arie, „Che angusta è questa!/Quando sarà quel di“, mit alertem Ton und gebührender Bravour. Furios beginnt ihre Arie im 2. Akt, „Comer potesti, o Dio!“, wird aber immer wieder von lyrisch-introvertierten Einschüben kontrastiert, und die Sängerin erfüllt beide Aspekte gleichermaßen überzeugend. Effektvoll beendet sie den 2. Akt mit dem ausgedehnten „Tremo fra’ dubbi miei“, in welchem der aufgewühlte Seelenzustand der Figur mit rasenden Koloraturrouladen und virtuosen staccati geschildert wird, was die Sängerin bestechend umsetzt. Ihr letzter Auftritt beginnt mit dem identischen Rezitativ („Ecco il punto“) wie bei Mozart, weicht aber in der Arie ab. Hier hört man „Getta il nocchier talora“, wo das im Barock häufig erscheinende Bild des Steuermannes inmitten tobender Wellen gebraucht wird. Die Titelrolle war bei Mozart ein cavallo di battaglia für Rainer Trost, und er überzeugt auch bei Gluck durch ein reifes, differenziertes Charakterporträt mit individuellem Timbre, energischer Entschlossenheit und lyrischer Empfindsamkeit. Seine erste Arie, „Di quel sublime soglio“, zeigt die Stimme des Tenors in schönem Fluss, mit sensibler und nur gelegentlich etwas bemühter Höhe. Titos „Ah! Se fosse intorno“ hat bei Gluck nicht den stürmischen Drang wie bei Mozart, ist bedächtiger und introvertierter, gibt dem Interpreten aber Gelegenheit für feine und anspruchsvolle Verzierungen, die Trost gelegentlich auch leicht in Bedrängnis bringen. Das betrifft auch die hohe Lage in der energisch vorgetragenen Arie „Tu, infedel“ des 2. Aktes sowie in Titos „Se all’ampero“  des 3. Aktes, welches wiederum einen gänzlich anderen Duktus besitzt als in Mozarts Oper, weniger stürmisch und vehement, mehr kontemplativ und zögernd. Als Servilia gefällt Arantza Ezenarro mit jugendlich-lyrischem Sopran von entschlossenem Vortrag und schöner Flexibilität. Überraschend entfaltet sich die Arie im letzten Akt „S’altro che lagrime“ ganz anders als bei Mozart, schwingt sich nicht auf zum großen Melodiebogen, tönt drängend, nervös, erregt, was die Sopranistin plastisch gestaltet. Publio bringt nicht wie bei Mozart die kontrastierend dunkle Farbe ein, sondern ist ebenfalls mit einem Counter besetzt. Flavio Ferri-Benedetti lässt allerdings einen recht larmoyanten Klang mit hysterischen oder jaulenden Spitzentönen hören.

Die einleitende Sinfonia verweist in ihrem nervösen, aufgewühlt-erregten Duktus auf den dramatischen Konflikt der Handlung und Ehrhardt arbeitet diesen Aspekt plastisch heraus. Federnd und mit imposanten Affekten begleitet er die Sänger und bereitet ihnen die dramatisch-emotionale Folie für ihre lebendige Gestaltung. Die Musik besitzt auch die gebührend pompöse Festlichkeit in den Märschen und im auftrumpfenden finalen Chor „Che del Ciel“, der das lieto fine feiert.

Bernd Hoppe

 

 

Christoph Willibald Gluck: La clemenza di Tito (Trost, Aikin, Milanesi, Ezenarro, Sabadus, Ferri-Benedetti; l’arte del mondo, Werner Ehrhardt) SONY/dhm 88843031432; 4 CD

80 Jahre Glyndebourne Festival

 

80 Jahre Glyndebourne – Happy Birthday! Was sind das für wunderbare Erinnerungen – die sprichwörtlich rollende Landschaft der Sussex Downs, die muhenden Kühe auf der anderen Seite von Zaun und Graben beim Pausen-Picknick mit hampers von Fortnam & Mason oder Harrods, dazu die britischen, bizarr-elegant gekleideten Besucher (aus denen die kontinentalen overdressed herausstachen), Pausendrinks mit Pims und Gurkengemüse in Sprite, die eleganten Restaurantpavillons für die betuchten, der bizarre shuttle vom Bahnhof Lewes, dem süßen kleinen verschlafenen Ort, der nur für das Festival aufwacht.

Glyndebourne: Audrey Mildmay und John Christie/Glyndebourne Archive

Glyndebourne: Audrey Mildmay und John Christie/Glyndebourne Archive

Und natürlich die absolut einmaligen sommerlichen Opernabende ebendort. Ich hatte das große Glück, Glyndebourne in seinem späten Glanz zu erleben – nicht mehr die Busch/Ebert-Ära natürlich, aber doch Janet Baker in der Poppea und dem Ulisse (später dann mit Frederica von Stade) von Monteverdi und in Cavallis Ormindo und zwerchfellerschütternd in Calisto sowie dem Orfeo von Gluck als ihrem Bühnenabschied, Kathleen Kuhlmann als betörende Cenerentola, Valerie Masterson in der Entführung, Anthony Rolfe-Johnson in Peter Grimes, ziemlich langweilig  Renée Fleming bei ihrem Debüt als Figaro-Contessa, dagegen Felicity Palmer umwerfend in Albert Herring, Bobby Gambills erstem Tristan und vieles mehr. Ich weiß, hier ist nicht der Moment, Kritik zu üben, aber ich denke mit dem neuen Haus verlor Glyndebourne an Identität, und Atmosphäre, wie das oft so ist (Wexford zum Beispiel). Heute scheint es mir (nur mir natürlich) zu international, zu austauschbar, zu wenig Glyndebourne, weswegen ich auch nicht mehr hinfahre. Zumal die Nebenkosten einfach zu gigantisch sind und die Hotels in Lewis, Brighton und London die Preise nicht rechtfertigen. Aber jeder Opernfreund sollte einmal in Glyndebourne gewesen sein, schon der Atmosphäre wegen, immer noch.

Glyndeborune: Janet Baker und Benjamin Luxon in Monteverdis "Ritorno di Ulisse"/GF

Glyndebourne: Janet Baker und Benjamin Luxon in Monteverdis „Ritorno d`Ulisse“/Foto Guy Gravett/Glyndebourne Archive

Und ich erinnere mich an zwei Vorfälle, die mich noch heute lachen machen. Einer passierte während der Figaro-Pause, wo an der Bar Pinguin-gekleidete Herren  reichlich Pims tranken und einem die Frackhose runterrutschte um den Blick auf eine feuerrote Boxershort freizugeben. Das Gespräch brach abrupt ab, er zog ungerührt die Hose wieder hoch, und nach dieser Schrecksekunde redeten alle ganz schnell weiter, man hatte einfach nichts gesehen – das ist England. Die andere Eriinnerung betraf die Reise von Victoria nach Lewis, wo ich besorgt den Schaffner beim Einsteigen fragte, ob wir auch pünktlich ankämen: „Don´t worry, the musicians will be on the train!“ Lakonisch und britisch.

Sena Jurinacs Aufnahmen sind Teil des Westminster-Pakets, hier in Glyndebourne 1951 als "Figaro"-Contessa/GOF

Sena Jurinac als Contessa im „Figaro“/Foto Angus McBean/EMI

Ich empfehle für Nostalgiker diesen wunderbaren DVD-Film-Clip „On such a night“ aus den 50ern, als Reklamefilm für Glyndebourne geplant und mit herrlichen Ausschnitten aus dem legendären Figaro mit der göttlichen Sena Jurinac als Contessa. Haben müssen und gleich zu Beginn von operalounge.de hymnisch besprochen. Geerd Heinsen

Im Folgenden gibt es eine Rückschau auf Glyndebourne und seine Geschichte, der website des Festivals mit Dank an die Pressestelle entnommen, ebenso auch die Fotos. Und in English, sorry loves. G. H.

 

Glyndebourne: Das künstlerische Vor- und Nachriegsduo Garantie-Duo - Carl Ebert und Fritz Busch/GOF

Glyndebourne: Das künstlerische Vor- und Nachkriegs-Garantie-Duo – Carl Ebert und Fritz Busch/Glyndebourne Archive

The first curtain rose at Glyndebourne in 1934: The curtain rose on the first performance of the Opera Festival at Glyndebourne on 28 May, 1934. It was the culmination of one man’s obsession with the idea of presenting „not the best we can do, but the best that can be done anywhere“. The words are John Christie’s, owner of the estate at Glyndebourne, which he had inherited in 1920. He „felt that it [opera] was almost non existent… in England, so we ought to begin to bring it here“. The term ‘we’ referred to him and his wife Audrey Mildmay, herself a professional singer. They had met at Glyndebourne when John was 48 years old and apparently a confirmed bachelor. (…) After their honeymoon spent attending Salzburg and Bayreuth Festivals, the Christies returned with John full of plans for an extension to the Organ Room to enable better performances to take place. It was Audrey who realised that the project was neither one thing nor the other, and urged, „If you’re going to spend all that money, John, for God’s sake do the thing properly!“. He immediately took his wife’s advice and set about creating a small purpose-built theatre to hold 300 people, a reasonable orchestra pit and a stage furnished with the most modern technical and lighting equipment.

The timing of the project was perfect: it would probably never have succeeded if built earlier or later. Financially Christie gained as England came off the Gold Standard, and as a result of some accidents and coincidences he eventually found the men that he wanted for his opera house. Both Fritz Busch from Dresden and Carl Ebert from Berlin had left Germany because they could not work under the Hitler regime. They accepted the posts of conductor and producer respectively on the condition that in all artistic matters they were to have sole responsibility. Christie’s only condition was that they should leave all matters regarding the cost of running the opera festival to him.The creation of an entirely new standard of operatic performance

Glyndebourne: Pausenfreuden auf grünen Wienen/Glyndebourne Archive

Glyndebourne: Pausenfreuden auf grünen Wiesen/Glyndebourne Archive

The first season lasted for two weeks, with six performances each of Le nozze di Figaro and Così fan tutte. The first performance of Figaro was unlike anything that the audience had experienced before, and whatever their reason for coming, visitors who had certainly arrived in a mood of scepticism returned knowing that they had enjoyed a unique experience. It was not only that they had enjoyed a good dinner during the long interval and a walk in a garden surrounded by beautiful downland scenery; they had witnessed the creation of an entirely new standard of operatic performance.

It was a standard achieved by endless rehearsal and by attention to detail – in the orchestra, the singing, the acting, the scenery and costumes. There were no star names among the singers; the secret of the success of the first Glyndebourne performances was the quality of the ensemble, which was built on the principle of choosing the best singers for the parts, no matter where they came from. The first season’s company included singers from Germany, Austria, Czechoslovakia, Finland, Italy, America, England, Scotland and Wales. Apart from their vocal talents, the main criterion was simple: the women had to be pretty and the men good-looking!

By the time the War came in 1939, a Glyndebourne tradition, style and standard had been firmly established. But it was to be more than 10 years before the Festival Opera returned to normal. Indeed, during the War the house was turned into a huge dormitory for East London evacuee children and babies.

Glyndebourne: "The rape of Lucretia" mit Peter Pears und Joan Cross 1946/Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Glyndebourne: „The rape of Lucretia“ mit Peter Pears und Joan Cross 1946/Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

The deaths of Fritz Busch in 1951, Audrey Mildmay in 1953 and John Christie in 1962, as well as the gradual retirement of Carl Ebert between 1959 and 1964, left large gaps in the artistic and personal life of Glyndebourne; but the influence and example of these four figures has not diminished with the years.

Passing on the baton: In spite of the loss of its founders, Glyndebourne continued its pursuit of perfection under new leaders. In 1958 George Christie succeeded his father as Chairman of Glyndebourne Productions, a position he held for 41 years. He retired on 31 December 1999, but remains on the Board of Trustees. The family connection remains secure, however, with the appointment of Sir George’s second son, Gus, as Executive Chairman. Carl Ebert’s gradual retirement was felt keenly – he had been in sole charge of almost all productions since 1934. Günther Rennert was appointed his successor in 1960, but he was not to be the sole producer. During this period Franco Enriquez and Peter Ebert were also creating works, joined occasionally by other guest producers such as Franco Zeffirelli and Michael Redgrave. As a result Glyndebourne’s style of opera production began to diversify and the repertoire to expand.

Glyndebourne: "Macbeth" in der Produktion von Caspar Neher mit Owen Brannigan/Macbeth und George Christe/Fleanzio /Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Glyndebourne: „Macbeth“ in der Produktion von Caspar Neher mit Owen Brannigan/Macbeth und George Christe/Fleanzio /Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

In 1972 John Cox became Director of Productions and produced, amongst others, a striking version of The Rake’s Progress in 1975, with designs by David Hockney. Cox’s successor in 1984 was Peter Hall who had been mounting productions for the company since the 70s in collaboration with the designer John Bury. Their particular successes were initially in the baroque repertoire, but later Hall produced notable Britten and Mozart productions. Guest producers have continued to make appearances regularly and include Jonathon Miller, Frank Corsaro, Nicholas Hytner, Trevor Nunn, Nikolaus Lehnhoff, Deborah Warner and Peter Sellars. The last Director of Productions, Graham Vick, was appointed in 1993, but moved on in 2000.

Although Glyndebourne continued without an official Music Director for some years after Busch’s death, the presence of the conductor Vittorio Gui throughout the 50s ensured that high musical standards were maintained. He was also responsible for bringing the works of Rossini into the repertoire. Three years later, when Gui was ready to move on, a promising young member of the music staff was appointed – John Pritchard. He had been an avid admirer and pupil of Fritz Busch, and was himself a gifted Mozart conductor as well as being a champion of contemporary music. Bernard Haitink was Pritchard’s successor in 1978, and 10 years later later, on Haitink’s resignation, Andrew Davis was appointed Music Director – a position he relinquished at the end of the 2000 season. His successor is Vladimir Jurowski.

Glyndebourne: Kathleen ferrier als Glucks Orfeo/Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Glyndebourne: Kathleen Ferrier als Glucks Orfeo/Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Meeting the demands of audiences and artists: It had become increasingly obvious throughout the 80s, that not only was the old theatre struggling to accommodate the ever more technically demanding productions, it was also struggling to meet the public demand for a limited number of tickets. In 1987 Sir George Christie announced the idea of building a completely new, larger, opera house which would be able to meet these demands. From a shortlist of nine architects, Michael Hopkins and Partners won the contract, and by 1991 the plans were well underway. There were many stipulations that had to be met – the new theatre should blend into its surroundings yet be unashamedly a building of its time; it was to have an enlarged auditorium and yet retain its intimacy; the acoustics had to be as good as could be found anywhere; and the facilities for staff, singers and audience needed to be improved. In addition there was a strict time limit, and the budget had to be adhered to.

Glyndebourne: Die berühmte "Cenerentola", die auch bei EMI mit Maria de Gabarain in der Titelrolle vorliegt/Finale//Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Glyndebourne: Die berühmte „Cenerentola“, die auch bei EMI mit Maria de Gabarain in der Titelrolle vorliegt/Finale//Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

The resulting theatre has won many awards for the quality of the architecture as a whole, and for the craftsmanship of its component parts. It is built from load-bearing, imperial size handmade bricks, the only exception is the fly tower – a steel structure clad in lead, and the most controversial feature of the new building. Acid-washed precast concrete is the other prominent material used in the construction, and this has been used for floors and ceilings.  The horseshoe shaped auditorium has been crafted out of century-old pitch pine, fashioned into elegant curves: lit by small lamps it gives off a warm glow. Despite the addition of an extra 400 seats the auditorium has not lost its intimacy, in fact the back wall is six feet closer to the stage than in the old house. Most importantly, the acoustic is vastly improved. The first purpose-built opera house to be constructed in the UK since John Christie had built the original at Glyndebourne, the new theatre opened on 28 May 1994, just as the old theatre had done precisely 60 years earlier, with a performance of Le nozze di Figaro.

Glyndebourne: "Figaro" mit Eleanor Steber, Italo Tajo, Tatiana Menotti, John Brownlee und Ernest Frank 1947//Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Glyndebourne: „Figaro“ mit Eleanor Steber, Italo Tajo, Tatiana Menotti, John Brownlee und Ernest Frank 1947/Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Further development of the complex has continued, and in 2001 the Jerwood Studio was built, adjoining Glyndebourne’s main stage. Providing a second full-size rehearsal space, it allows singers to experience like-for-like performance conditions. Funded by the Jerwood Foundation, the grant of £1m outstripped any previous single donation in Glyndebourne’s history and was given in recognition of Glyndebourne’s continued dedication to the promotion of young operatic talent.

The Touring Company: During 1966 George Christie announced plans to start a touring company, and two years later GTO made its inaugural tour, visiting Newcastle, Liverpool, Manchester, Sheffield and Oxford. There were only two other touring opera companies at the time and Glyndebourne established its own identity immediately with its innovative productions performed to exceptionally high standards, benefiting as it did from the Festival’s extended rehearsal period. It was greeted by enormous critical acclaim and overwhelming public support which has continued ever since. The reasons for its formation were twofold: to make the work of the Glyndebourne Festival accessible to audiences throughout the country, and to give performing opportunities to young and promising singers. From the beginning Glyndebourne has not been interested in names as such, but it has been successful in spotting and nurturing great artists at the beginning of their careers. Thomas Allen, Gerald Finlay, Alison Hagley, Philip Langridge, Felicity Lott, Valerie Masterson, Rosalind Plowright, John Rawnsley, Amanda Roocroft, Richard Van Allan, Lillian Watson and Willard White are among the many singers with international careers who began with GTO – now known as Glyndebourne on Tour.

Glyndebourne: "Alceste 1953/Finale//Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Glyndebourne: „Alceste 1953/Finale//Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Anthony Whitworth-Jones, formerly Administrator of GTO and until August 1998 General Director of Glyndebourne, introduced a policy of presenting contemporary opera and commissioning new works for the future. This policy first bore fruit in 1984 with Oliver Knussen’s Where the Wild Things Are and Higglety Pigglety Pop!, followed by Nigel Osborne’s The Electrification of the Soviet Union in 1987, the UK premiere of Sir Michael Tippett’s New Year in 1990, the premieres of Harrison Birtwistle’s The Second Mrs Kong in 1994 and The Last Supper in 2000, and Jonathan Dove’s new opera Flight in 1998. Another of Whitworth-Jones’ initiatives was the establishment in 1986 of an Education Department to complement the activities of GTO. While continuing to play an important part in educating potential opera audiences all around the country, the department has become a strong creative force in its own right, commissioning three community and four youth operas.

Julia Aries, Glyndebourne Archivist

 

Foto/McBean/EMI/GBF: Szene aus dem berühmten Idomeneo mit Sena Jurinac, Birgit Nilsson, Léopold Simoneau und Richard Lewis

 

Glyndebourne: "Alceste" mit Thomas hemsley, magda Laszlo und Richard Lewis 1953/Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Glyndebourne: „Alceste“ mit Thomas Hemsley, Magda Laszlo und Richard Lewis 1953/Foto Angus McBean/Glyndebourne Archive

Glyndebournes Premieren und Auftragswerke: 1938  Macbeth (Verdi) – first professional production in England; 1946 The Rape of Lucretia (Britten) – World premiere – production by Britten’s group (later known as the English Opera Group) but rehearsed and performed at Glyndebourne; 1947 Albert Herring (Britten) – World premiere – production by English Opera Group at Glyndebourne; 1950 Ariadne auf Naxos (R Strauss) – Version with preceding play Le Bourgeois Gentilhomme translated (for this Glyndebourne production at the Edinburgh Festival)  by Miles Malleson; 1951 Idomeneo (Mozart) – first professional production in England; 1953 The Rake’s Progress (Stravinsky) – first professional stage performance in Britain. Mounted by Glyndebourne at the Edinburgh Festival; 1954 Arlecchino (Busoni) – first stage production in Britain; 1957 Der Schauspieldirektor (Mozart) – story and spoken dialogue newly devised for this production after G Stephanie by Hanns Hammelmann and Michael Rose at Glyndebourne’s instigation; 1960 La Voix Humaine (Poulenc) – first performance in Britain. Mounted by  Glyndebourne at the Edinburgh Festival; 1961 Elegy for Young Lovers (Henze) – world premiere in original language; 1962 L’Incoronazione di Poppea (Monteverdi) – realisation by Raymond Leppard. First professional production in England;

Glyndebourne: "Ormindo" mit James Bowman und Janet Baker 1970/Foto Glyndebourne Archive

Glyndebourne: „Ormindo“ mit James Bowman und Janet Baker 1970/Foto Glyndebourne Archive

1967 L’Ormindo (Cavalli) – so far as is known this was the first time L’Ormindo had been performed anywhere since 1644. Arranged by Raymond Leppard.; 1970 La Calisto (Cavalli) – so far as is known this was the first time La Calisto had been performed since 1651. Arranged by Raymond Leppard; 1970 The Rising of the Moon (Maw) – world premiere. First opera to be specially commissioned by Glyndebourne; 1972 Il Ritorno d’Ulisse (Monteverdi) – According to Kobbe’s Complete Opera Book this was the first time the opera had been staged in Britain. Certainly first performance of  Raymond Leppard’s version; 1973 The Visit of the Old Lady (Von Einem) – first performance in England; 1974 Intermezzo (R Strauss) – first professional stage performance in England; 1975 Der Freischutz (Weber) – first performance in an English translation, which was made for Glyndebourne by John Cox and David Parry. Performed by Glyndebourne Touring Opera; 1983 The Love for Three Oranges (Prokofiev) – first performance in an English translation, which was made for Glyndebourne by Tom Stoppard. Performed by Glyndebourne Touring Opera; 1984 Where the Wild Things Are (Knussen) – performed by Glyndebourne at the National Theatre. (Wild Things was originally commissioned from Knussen by Brussels Opera  in 1978. It was produced for them in an incomplete form in 1980. In 1982 London  Sinfonietta gave a concert performance of the revised but still incomplete work. Glyndebourne then commissioned the completion of the work as premiered in 1984); 1984 Higglety Pigglety Pop! (Knussen) – World premiere. Commissioned by the BBC for Glyndebourne and performed in an incomplete edition in 1984 by Glyndebourne Touring Opera. Performed complete in the Glyndebourne Festival, 1985.; 1986 Porgy and Bess (Gershwin) – first British production in Britain. (Previously toured to Britain by an American company which appeared at the Stoll Theatre 1952-3 according to Kobbe);

Glyndebourne: Luciano Pavarotti als idomeneo 1964/Foto Guy Gravett//Glyndebourne Archive

Glyndebourne: Luciano Pavarotti als Idomeneo 1964/Foto Guy Gravett//Glyndebourne Archive

1987 The Electrification of the Soviet Union (Osborne) – World premiere. Commissioned for Glyndebourne by the BBC. Performed by the Glyndebourne Touring Opera; 1990 New Year (Tippett) – European premiere. Commissioned by Glyndebourne, Houston Grand Opera and the BBC receiving its world premiere at Houston Grand Opera, 1989.; 1991 La Clemenza di Tito (Mozart) – with newly composed secco recitatives by Stephen Oliver.; 1993 Beatrice et Benedict (Berlioz) – Glyndebourne at the South Bank in concert. Sung in the original French but with a new English translation by John Wells specially commissioned for these performances; 1993  Die Lustige Witwe (Lehar) – Glyndebourne at the South Bank in concert. Sung in the original German but with new English narration by Tom Stoppard specially commissioned for these performances (Premiered in Birmingham); 1993 Cornet Christoph Rilke’s Song of Love and Death (Matthus) – British premiere. Glyndebourne Touring Opera;

Glyndebourne Festival 2014: "Der Rosenkavalier" mit Marianne Leitmetzerin (Miranda Keys), Sophie (Teodora Gheorghiu) and Octavian (Tara Erraught). © Bill Cooper.

Glyndebourne Festival 2014: „Der Rosenkavalier“ mit Marianne Leitmetzerin (Miranda Keys), Sophie (Teodora Gheorghiu) and Octavian (Tara Erraught). © Bill Cooper.

1994 The Second Mrs Kong (Birtwistle) – World premiere. Commissioned by Glyndebourne. Performed by Glyndebourne Touring Opera; 1995 Ermione (Rossini) – first staging in the UK.; 1997 Misper (Lunn) – opera for 8 to 12 year olds, commissioned by Glyndebourne Education , and performed by local school children at Glyndebourne; 1998 Flight (Dove) – World premiere. Commissioned by Glyndebourne. Performed by Glyndebourne Touring Opera; 2000 Zoë (Lunn) – youth opera  for 13 to 16 year olds, commissioned, organised and run by Glyndebourne Education and performed by young people; 2000 The Last Supper (Birtwistle) – UK premiere. Co-commissioned by Glyndebourne, Deutsche Staatsoper Berlin and Royal Festival Hall. Performed by Glyndebourne on Tour (GTO); 2005 Tangier Tattoo (Lunn) – opera for 18 year olds and upwards, commissioned by Glyndebourne  Education Department, and performed by Glyndebourne on Tour  (GTO); 2006 School 4 Lovers – a Hip H’Opera version of Cosi fan tutte. Glyndebourne and Finnish National Opera co-production; 2006 Betrothal in a Monastery (Prokofiev) – first professional production in the UK.; 2008 Love and Other Demons (Eötvos) – World premiere. Co-commissioned by Glyndebourne and Lithuanian National Opera and Ballet Theatre.

Die berühmte EMI-Aufahme: "Idomeneo" im Querschnitt unter Fritz Busch mit Sena Jurinac, Richard Lewis, Birtgit Nilsson und Léopold Simoneau/Foto AngusMCBean/Glyndebourne Archive

Die berühmte EMI-Aufahme: „Idomeneo“ im Querschnitt unter Fritz Busch mit Sena Jurinac, Richard Lewis, Birgit Nilsson und Léopold Simoneau/Foto AngusMCBean/Glyndebourne Archive/EMI

Von Wikingern und anderen

Auch ohne die Rama-Werbung wäre „Morgenstimmung“ vermutlich zu einem der populärsten Stücke klassischer Musik geworden, eignet sie sich doch vorzüglich, um eine heimelige Wohlfühl-Kuschelatmosphäre zu erzeugen. So wie man sich eben einen Frühlingsmorgen in den norwegischen Bergen vorstellt. Spätestens seit Edvard Grieg seine für die 1876 erfolgte Uraufführung von Ibsens Stück Peer Gynt  komponierte Bühnenmusik häppchenweise 1888 in einer ersten und wenige Jahre darauf in einer zweiten Peer Gynt -Suite verpackt hatte, galt er als der norwegische Komponist schlechthin. Von der „Morgenstimmung“ machen wir uns eine ganz falsche Vorstellung, denn das erste Stück des vierten Aktes beschreibt den Sonnenaufgang über der Sahara, wohin es den mittlerweile durch Sklavenhandel reich gewordenen norwegischen Bauernsohn Peer Gynt nach Jahrzehnten verschlagen hat. Es ist immer interessant, die komplette Schauspielmusik – rund zwei Dutzend Stücke mit einer Aufführungsdauer von knapp 90 Minuten – in der Abfolge zu hören, wie sie für die Aufführung des Schauspiels konzipiert waren. Der Norweger Bjarte Engeset bietet mit dem Malmö Symphony Orchestra und inklusive mehrerer eingearbeiteter Sprechpassagen eine vollmundige Wiedergabe der Musik, die grob gegerbt und ruppig wirkt und angemessen rustikal. Sie ist zentraler Bestandteil der acht CDs umfassenden Naxos Box Grieg Complete Orchestral Works, die beispielsweise auch die beiden „Peer Gynt-Suiten“ op. 46 und op. 55  enthält, welche – worin sich auf den ersten Blick die beiden Ausgaben inhaltlich unterscheiden – sich nicht in der Gesamtausgabe der Deutschen Grammophon befinden, die zum 150. Geburtstag des Komponisten 1993 auf sechs CDs Edvard Grieg Complete Music with Orchestra vorstellte. So großartig bei DG Neeme Järvi das Gothenburg Symphony Orchestra auch instruierte, braucht sich die Naxos-Ausgabe, die für Engeset als zweiten Klangkörper noch das traditionsreiche Royal Scottish National Orchestra aus Glasgow verpflichtete, nicht verstecken. Auch wenn Engeset nicht nur im Fall des zu Griegs Lebzeiten äußerst beliebten großen Chorwerks Landnahme op. 31 (CD 8) kein so namhafter Solist wie Hakan Hagegard bei DG zur Verfügung steht, ist seine Einspielung ohne Fehl.

Die Ausgabe bietet den sehr erschwinglichen Einstieg in die norwegische Geschichte, in die Sagen- und Legendenwelt, denn Grieg schweift zu Olav Trygvarson (CD 8), dem Norwegen die Christianisierung verdank, und dem Kreuzfahrer Sigurd I., dem die drei Orchesterstücke Sigurd Jorsalfar op 22 (CD 8), gewidmet sind, und erweist auch Persönlichkeiten der jüngeren norwegischen Geschichte ihre Referenz, dem ebenfalls aus Bergen stammenden Komödienautor und Gelehrten Ludvig Holberg mit der vibrierenden Suite Aus Holbergs Zeit op. 40 (CD 7) und dem Komponisten der norwegischen Nationalhymne Rikard Nordraak, zu dessen Tod Grieg einen Trauermarsch op. 73 (CD 2) schrieb.  Zwischen Der letzte Frühling (CD 7), der Debussy an den „bizarren und charmanten Geschmack eines rosa Puderschnee-Bonbons“ denken ließ, und der gespenstischen Klangstudie „Glockenklang“ aus den Lyrischen Stücken op. 54 (CD 2) gibt es viel zu entdecken.

Rolf Fath

 

Edvard Grieg: Complete Orchestral Works mit Malmö Symphony Orchestra; Royal Scottish National Orchestra: Leitung: Bjarte Engeset; 8 CDs Naxos 8.508015

 

„Die Bühne gehört den Mutigen!“

 

Die Proben zur Frau ohne Schatten an der Oper Leipzig sind in vollem Gange. Einen Tag vor der ersten Hauptprobe findet sich Zeit für ein Gespräch mit Doris Soffel, der Amme in der neuen Produktion unter Ulf Schirmer. Bei einem Teller Antipasti geht es einem Leipziger Restaurant bei unserem Treffen ganz schnell, gänzlich unkompliziert zur Sache. Da gibt es keine Einstiegsverlegenheiten.

Doris Soffel”: als Amme mit Simone Schneider/Kaiserin in Leipzig/©Kirsten Nijhof

Doris Soffel: als Amme mit Simone Schneider/Kaiserin in Leipzig/©Kirsten Nijhof

Der Anlass gibt zunächst die Themen vor. Es geht um die Partie der Amme, und da gilt es ein Jubiläum zu würdigen: Es ist genau zehn Jahre her, da sang Doris Soffel zum ersten Mal die Partie dieser rastlosen Frau. Jetzt müsste es die siebte Inszenierung sein, sagt sie,  seit dem Rollendebüt in Los Angeles.  Diese Amme, so Doris Soffel, das ist eine tragische Liebende, eine rätselhafte Figur, sie gibt alles, sie will das Beste für die ihr anvertraute Kaiserin, aber sie bleibt am Ende einsam, das Glück in dieser großen, philosophischen Märchenoper bleibt den anderen vorbehalten, im Quartett der Erlösten ist für sie kein Platz.

Doris Soffel als Amme: in der neuen "Frau ohne Schatten" in Leipzig/Foto © Kirsten Nijhof

Doris Soffel als Amme: in der neuen „Frau ohne Schatten“ in Leipzig/Foto © Kirsten Nijhof

Das macht diese Rolle, diese Partie, so interessant. Man könne gut an das Schicksal der Gräfin Geschwitz in Lulu denken oder an das der Kundry in Parsifal, beide Partien gehören in ihr Repertoire. Eine rastlose Frau ist sie, ein Mensch auf der Durchreise, immer auf der Suche, ein weiblicher Ahasver. Für Doris Soffel ist die Amme, übrigens die größte Partie in der Oper von knapp drei Stunden Spieldauer, keine Charakterpartie. Das ist eine Partie, die muss gesungen werden, sagt sie, da braucht man Stimme und den großen Bogen, die Deklamation oder der Sprechgesang als Notlösung sind hier fehl am Platze. Wenn sie diese Partie singt dann spürt sie immer wieder, wie viel auch von den jugendlichen Partien von Richard Strauss darin ist, vom Octavian in Der Rosenkavalier oder vom Komponisten in Ariadne auf Naxos. Es gilt diese gesanglichen Linien einzubringen, diese besondere Melodik bei Strauss. Und da kann Doris Soffel ja auf enormen Erfahrungen aufbauen, sie war einst eine gefragte Interpretin der Strauss´schen Hosenrollen, Octavian und Komponist. Besonders gerne erinnert sie sich daran, dass sie der Komponist war, als Jessye Norman ihre erste Ariadne sang.

Doris Soffel: Amme mit Inga Nielsen/Kaiserin in Los Angeles/Foto Millard/LAOpera

Doris Soffel: Amme mit Inga Nielsen/Kaiserin in Los Angeles/Foto Millard/LAOpera/Soffel

Doris Soffel hat sich ein großes Strauss-Repertoire erarbeitet, Clairon in Capriccio, im Rosenkavalier vor vielen Jahren in ihren Anfängen auch die Intrigantin Annina und zu Beginn ihrer Kariere, 1974, war sie die Dryade in Ariadne auf Naxos. Später standen ihr die Königinnen zu, Herodias in Salome und Klytämnestra in Elektra Und das betont sie wieder, gerade diese Partien gilt es zu singen, nicht zu sprechen.

Sie hat immer in ihrer Entwicklung versucht, von einer Phase ihrer vielen Facetten, die sie in gut 80 Partien entfalten konnte, etwas in die nächste mitzunehmen.

So kommt es ihr heute sehr zugute, dass sie aus ihrer Zeit als Belcantosängerin (Adalgisa neben Joan Sutherlands Norma oder Elisabetta neben Katia Ricciarellis Maria Stuarda etwa)  mit den unverzichtbaren Koloraturen immer auf Erfahrungen aufbauen kann, die Liebe zu den Abstufungen, zu den Farben mit den vielen Zwischentönen braucht man bei Strauss eben auch in den dramatischen Partien. Da sind wir wieder bei der Amme, um die jetzt aktuell ja auch geht, da brauche man eine große Farbpalette, um diese Zerrissenheit, diese Zärtlichkeit, diese Unbedingtheit und dann diese abgrundtiefe Einsamkeit dieser Frau in Klänge zu verwandeln.

Soris Soffel: Herodias in Madrid/Foto javier de Real

Doris Soffel: Herodias in Madrid/Foto Javier de Real/Soffel

Und es liege ja sicher auch daran, dass sie zu den Partien von Richard Strauss so ein besonderes Verhältnis hat, dass ihre Lehrerin, Marianne Schech, eine große Strauss-Sängerin war und sie schon früh, im ersten Engagement  in Stuttgart, den Octavian gesungen hat. Später prägten sie die Begegnungen mit der Belcanto-Diva Joan Sutherland und anderen Großen dieses Fachs. Prägend war auch für sie die beseelte Expressivität der Callas, wie Doris Soffel mir in einem früheren Gespräch im Juni 2009 gesagt hatte. Eben diese habe ihr geholfen, den eigenen Stil authentischer Darstellung mit den Tönen individueller Wahrhaftigkeit zu finden.

Nicht zu vergessen ist auch ihr Fundament Johann Sebastian Bach. In die Stuttgarter Zeit fällt die intensive Arbeit mit dem Bach Collegium und dem Pionier-Dirigenten Helmuth Rilling. Zahlreiche Aufnahmen mit ihr  belegen die schon frühe stilistische Sicherheit in der Interpretation der Alt-Partien in Bachs geistlichen Werken, in den Passionen, Oratorien und Kantaten.

Dortis Soffel: Fricka in Amsterdam/Foto Walz

Doris Soffel: Fricka in Amsterdam/Foto Walz/Soffel

Diese Erfahrungen mit den Ansprüchen geistlicher Werke möchte Doris Soffel nicht missen, ebenso wenig wie die spirituelle Weite der vielen Werke von Gustav Mahler, die sie gesungen und eingespielt hat. Eine enorme Diskographie belegt die außergewöhnliche Karriere von Doris Soffel, DVDs dokumentieren die Kraft ihrer  Darstellung.  Immerhin ist sie als deutsche Sängerin eine der ganz wenigen, wenn nicht die einzige, die im italienischen Fach als Koloraturmezzosopranistin eine große internationale Karriere, namentlich in Italien,  gemacht hat.

Doris Soffel: Kundry in Venedig/Foto TF

Doris Soffel: Kundry in Venedig/Foto TF/Soffel

Dann wandte sie sich den dramatischeren Partien zu. Bei Wagner ist es immer wieder die Kundry, mit der sie für Furore sorgt, wieder so eine einsame Einzelkämpferin. Die Ortrud im Lohengrin gehört zu ihrem Repertoire, die Fricka, die um ihr Recht kämpft im Ring. Starke Frauen eben. Die liegen ihr, das ist sie. Es lassen sich nur schlaglichtartig mit solchen Partien Stationen benennen: Verdis Eboli oder Amneris, die wunderbare Partie der Judith in Herzogs Blaubarts Burg, dann die Rollen im slawischen Repertoire, Marfa in Mussogskis Chowantschtschina, die Kabanicha in Janáčeks Katia Kabanova oder auch die Jezibaba in Dvoraks Rusalka. Nicht zu vergessen die Moderne, Partien von Aribert Reimann oder Krzysztof Penderecki. Und immer an ersten Häusern, mit bedeutenden Orchestern und Dirigenten, interessanten Regisseuren. Das wäre ja nicht möglich, wenn die Soffel nicht immer den hohen Ansprüchen gerecht würde.

Doris Soffel: Und noch einmal die Schicksalspartie Amme, hier an der Deutschen Oper Berlin/Foto DOB/Soffel

Doris Soffel: Und noch einmal die Schicksalspartie Amme, hier an der Deutschen Oper Berlin/Foto DOB/Soffel

Wie das geht? Immer mit der Perspektive arbeiten, sagt sie. „Ich will noch lange singen.“  Dafür ist es nötig immer die eigene Stimme zu analysieren, genau zu prüfen wie man sich auf die jeweilige Partie vorzubereiten hat. Das bestimmt auch die Auswahl des Materials beim Einsingen. Sowas ist nicht für die Öffentlichkeit. Aber bis heute verzichtet die Sängerin nicht darauf, durch das Singen von Koloraturen die Geläufigkeit der Stimme zu pflegen. „Es kommt auf die Elastizität an. Und was man mit Partien wie die der Carmen, von denen man sich längst verabschiedet hat, gewonnen hat, das gilt es nicht zu verlieren. Keine Stagnation! Es geht immer um die Kunst, nicht um den Event.“

Doris Soffel: Marfa in München mit Antonij Kotscherga/Timofei/Foto BM/Soffel

Doris Soffel: Marfa in München mit Antonij Kotscherga/Timofei/Foto BSO/Soffel

Damit sind wir bei einem Thema ohne Ende. Wie geht eine Künstlerin mit einer solchen Erfahrung, mit einer solchen Karriere und vor allem mit einem so anhaltenden Erfolg damit um, wenn sie sich problematischen Regieexperimenten ausgesetzt sieht? Sie sucht da immer den Dialog, sagt Doris Soffel. Konfrontation bringt nichts. Sie kann nur entspannt arbeiten, schlechte Luft geht bei ihr auf die Stimmbänder, und das kann sie sich nicht leisten. Also bringt sie sich ein, und da habe sie es auch noch nicht erlebt, dass ihre Autorität und ihre Erfahrung keine Anerkennung gefunden hätten. Wenn es um das Werk, wenn es um die Musik, um die Kunst geht, dann gab es bisher immer ein Weg, den man letztlich gemeinsam gehen konnte.

Doris Soffel: Klytämnestra in Brüssel mit Evelyn Herlitzius/Foto TM/Soffel

Doris Soffel: Klytämnestra in Brüssel mit Evelyn Herlitzius/Foto TM/Soffel

Existenzangst und Feigheit sind in ihrem Beruf schlechte Berater, so Doris Soffel gegen Ende unseres Gespräches. Mut ist vonnöten! Das ist keine Frage des Alters, sondern eine Frage des Charakters. Die Bühne gehört für Doris Soffel den Mutigen.  „Wir geben uns hin, mit Haut und Haar, wir geben unser Herzblut, wir wollen in die Arena, Kampf ist Kreativität“, sagt sie mit der wunderbaren Authentizität ihrer Erfahrungen, ihres Charmes, ihrer Grandezza, ihres Humors.

Wie weit denn derzeit das Repertoire gespannt sei, möchte ich noch wissen. Die Fricka ist aktuell, Madame de Croissy in den Dialogues des Carmélites von Poulenc kommt demnächst in Amsterdam hinzu. Adelaide in Arabella wird sie in Barcelona und München singen, Klytämnestra in Berlin, und Geneviève in Pelleás et Mélisande nach Essen nun an der Pariser Bastille-Oper.

Doris Soffel: eine dämonische Ortrud/OBA

Doris Soffel: eine dämonische Ortrud/OBA

Auf eine Partie hat sie vergeblich gehofft: die der Küsterin in Jenufa von Janáček. Die hat sich bislang nicht ergeben, zu ihrem Leidwesen. Und schon könnten wir eine neue Runde beginnen über die Tiefe dieser Partie: wieder so eine Einsame, eine, die sich opfert und selber zum Opfer ist. Der Bogen spannt sich zur Amme, um die geht es jetzt, und natürlich um die anderen dramatischen Frauenrollen bei Strauss, die sind abrufbar, jederzeit.

Unser Gespräch ist zu Ende, der Gesprächsstoff noch lange nicht. Gute Wünsche für die Premiere! „War schön mit uns“, schreibt mir Doris Soffel noch am selben Tag. Ich denke oft an ihre sachliche Freundlichkeit, ihren überspringenden Humor, diese mitreißende Offenheit und diese so authentische Expressivität auf der Bühne – das alles kann nur aus einem sehr jungen Herzen kommen.

Boris Gruhl

Fotos oben und unten: Doris Soffel/Foto Streubel; eine lange Liste ihrer vielen Opern- und Konzertpartien findet sich hier, und die website der Künstlerin, der wir die Fotos entnahmen (soweit nicht anders gekennzeichnet), gibts hier.

Doris Soffel

 

Aus den Melodija-Kellern

„In der Sowjetunion, einen Land mit zweihundertsiebzig Millionen Einwohnern, mit sechsundvierzig festen Theater und Tausenden von Opernsängern, gibt es nur eine Schallplattenfirma, Melodija. Und weil nur einmal in zwanzig Jahren eine Oper in Neuaufnahme erscheint, war die erste und damals einzige Einspielung des (Eugen) Onegin jene, die ich als kleines Mädchen hörte und der ich meine Begeisterung für den Gesang verdanke. Sie stammt aus dem Jahr 1936. Damals hatte Aljona Kruglikowa die Tatjana gesungen, Pantaleinmon Narzow den Onegin und Iwan Koslowsky den Lenski“, schreibt Galina Wischnewskaja ihrer 1984 erschienen Autobiografie. Und weiter: „Unsere Aufnahme von 1956 war also die zweite, die je in Russland produziert wurde. Wie viele Tatjanas, Lenskis, Onegins hatten sich in diesen zwei Jahrzehnten zu Luft verflüchtet, und wie viele noch werden bis zu nächsten Aufnahme in Vergessenheit geraten!“

Tatjana wurde zur Rolle ihres Lebens. Die erste Schallplatten-Tatjana der Wischnewskaja, die 1952 als Tatjana am Bolschoi debütiert hatte und sich dreißig Jahre später in Paris damit von der Bühne verabschiedete, ist nie in Vergessenheit geraten, auch wenn sie lange Zeit nicht zugänglich war. Es folgte 1970 die während eines Gastspiels des Bolschoi-Theaters in Paris entstandene Aufnahme unter ihrem Gatten Mstislaw Rostropowitsch, doch die frühe Aufnahme der 30jährigen galt stets als Referenz. Bei Melodija ist sie jetzt neuerlich in einem hübschen Klappalbum mit schmalem englischem und mehrseitigem russischem Text, einigen alten Fotos und CDs in alter Schallplatten-Optik erschienen. Der Klang ist deutlich, klar, die Sänger – gleich eingangs im Quartett der vier Frauen, das eigentlich ein Doppel-Duett ist – wunderbar und prägnant eingefangen, wobei mir der Klang beispielsweise in meiner alten Version (Legato Classics) wärmer erschien. Wischnewskaja kann in ihrer Mischung aus silbriger Schärfe und Energie und kommunikativer Innerlichkeit erstaunlich gut das junge Mädchen verdeutlichen. Die Briefszene gerät – bei nicht so larmoyantem Tempo wie oftmals gehört, wie denn Boris Khaikin überhaupt den Duktus dieser lyrischen Szenen gut trifft  – zu einer subtilen Schilderung. Den 18jährigen Lenski sang der 54jährige Sergej Lemeshev, der sein Operndebüt im Jahr von Wischnewskajas Geburt gegeben hatte und 1956 seine Karriere am Bolschoi beendete. Seit 1931 gehörte er dem Bolschoi-Theater an. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er sich eine schwere Pneumonie und Tuberkulose zugezogen und einen Lungenflügel verloren. Lemeshev gestaltet keinen jungen Burschen, es gelingt ihm aber immer noch jugendliche Schwärmerei zu vermitteln. Man merkt, wie ein großer Gesangskünstler nochmals zu zaubern versucht, um mit seiner zwanzig Jahre früheren Einspielung (unter Nebolsin) mithalten zu können. Zum Onegin Eugene Belovs, der 1951-64 am Bolschoi sang, finde ich keinen Zugang. Auf der Aufnahme erscheint er als ein Mann ohne Eigenschaften (es lassen sich kaum biografische Daten ermitteln), erstaunlich bassbaritonal, dunkel, schwer auffahrend.

rimsky saltan melodyaIn der gleichen Ausstattung – allerdings diesmal mit russisch- englisch-französischem Beiheft (in dem die Vornamen der Sänger grundsätzlich nur mit dem Anfangsbuchstaben angegeben werden) – erschien Rimski-Korsakows 1899 entstandenes Märchen vom Zaren Saltan. Die Melodija-Aufnahme von 1958 muss man schon mangels Alternativen empfehlen. Es ist allerdings kein Notkauf. Unter Leitung der langjährigen Bolschoi-Stütze Wassili Nebolsin erlebt man eine runde Ensembleleistung mit einigen charaktervoll eindrücklichen, manchmal bei den keifenden Schwestern, auch kreischend-gellenden Einzelleistungen, doch insgesamt ist es eine kernige, lebendige Aufnahme, die die Märchenfiguren ungemein einprägsam erstehen lässt. Verbitskaya, die bereits die Filipjewna war, ist eine ausgezeichnete Babarika, Elena Smolenskaja eine nicht mehr ganz frische Militrissa, Iwan Petrow ein humorvoll grandioser Saltan. Mit gequetscht engem Tenor singt Vladmir Ivanovsky den jungen Prinzen und Galina Oleinichenko mit verhangenem, kurzen Märchensopran die Schwanenprinzessin.   R. F.

 

Peter Tschaikowsky: Eugen Onegin mit Valentina Petrova (Larina), Galina Wishnevskaja (Tatjana), Larissa Avdeyeva (Olga), Evbeniya Verbitskaya (Filipjewna), Evgeni Belov (Eugen Onegin), Sergej Lemeshev (Lenski) u.a.; Chor und Orchester des Bolshoi Theaters; Leitung: Boris Khaikin; 2 CD Mel CD 10 00652

Nicolai Rimski-Korsakow: Die Legende vom Zaren Saltan mit Iwan Petrow (Zar Saltan), Elena Smolenskja (Militrissa), Galina Oleinichenko (Schwanenprinzessin), Evbeniya Verbitskaya Babarinka) Vladimir Iwanowsky (Gwidon) u.a.; Chor und Orchester des Bolshoi Theaters; Leitung: Wassili Nebolsin; 2 CD Mel CD 10 02199 

Zwei Zeitgenossen teilen sich eine CD

Über die musikalische Verwandtschaft der Zeitgenossen Beethoven und Cherubini wurde schon verschiedentlich geschrieben und diskutiert. Diese CD (Dabringhaus und Grimm MDG 940 1854-6) unternimmt den reizvollen Versuch, Werke der beiden Komponisten direkt gegenüberzustellen. Beethovens erste „Leonoren-Ouvertüre“, von den prächtigeren, späteren aus dem Repertoire verdrängt, ist ein absolut eigenständiges, schönes Konzertstück, dem man gerne öfter begegnen würde, und das in der Interpretation durch Bertrand de Billy und dem Lausanner Orchester hier zu seinem Recht kommt, ernst genommen zu werden.

Cherubinis einzige Symphonie von 1815, erst 1951 neu herausgegeben, gehört auch nicht gerade zu den viel gespielten Werken. Das mag zum Teil an ihrem ernsten, stellenweise auch spröden Charakter liegen. Strukturell ist das Werk durchaus den Beethoven’schen Symphonien vergleichbar, kommt allerdings mit einer wesentlich kleineren Orchesterbesetzung aus. Adäquat dazu fehlt es den Hauptthemen vielleicht auch an Stringenz und Originalität. In der schlüssigen hier vorliegenden Interpretation füllt es zumindest eine Repertoire-Lücke.

Noch interessanter ist der Vergleich der beiden hier eingespielten Vokalwerke: Beethovens „Ah! perfido“ op.65, stilistisch ein Vorgriff auf die große Leonoren-Arie, und Cherubinis „Vous voyez de vos fils“ aus Medea. Die beiden großen Liebenden werden von der schwedischen Sopranistin Maria Bengtsson porträtiert. Die Sängerin, die sich im Augenblick auf dem Weg in die erste Reihe der Opernhäuser befindet, leiht ihren ausdrucksvollen, sehr persönlich timbrierten Sopran den beiden seelenverwandten Frauen. Bisher mehr für das lyrische Fach und ihr großartiges Piano bekannt, wagt Bengtsson hier den Schritt zu etwas dramatischeren Herausforderungen. Im Oktober wird sie in Wien als Elettra in Mozarts Idomeneo zu hören sein, auch dies ein Indiz für die Erweiterung ihres Repertoires in diese Richtung. Im Studio gelingt dies auch vorzüglich, ihre gut gebildete, technisch brillante Stimme bewältigt die beiden Arien bravourös. Wie weit das kostbare Timbre der Stimme durch solche Ausflüge gefährdet ist, wird die Zukunft zeigen.

Schwer verständlich ist, warum man dieser Sängerin nicht ein Solo-Album gegönnt hat. Bengtsson ist schon seit Jahren international erfolgreich, verfügt nicht zuletzt in Berlin, wo sie jahrelang Ensemblemitglied der Komischen Oper war, und inzwischen auch häufig in der Staatsoper anzutreffen ist, über eine große Fan-Gemeinde. Vielleicht ist hier eine höchst unerfreuliche Tendenz der Branche erkennbar: Man setzt nur noch auf einzelne Künstler, die im großen Stil vermarktet und so penetrant beworben werden, dass selbst Analphabeten diese Namen kennen. Der Rest der Künstler wird gerade einmal verschämt in einem Sammelprogramm versteckt. Anne Schwanewilms kann ein Lied davon singen: ihre letzte CD erschien unter dem Allerweltstitel „Wagner“.

Abschließend muss man aber dem Label Dabringhaus und Grimm großes Lob für eine CD aussprechen, die abseits des Mainstreams sorgfältig produziert ist und speziell im vokalen Teil durchaus begeistern kann.

Peter Sommeregger

Die Lenya ist der Star

In der Reihe der inzwischen sattsam bekannten 10-CD-Boxen von Intense Media ist nun auch eine Zusammenstellung historischer Brecht/Weill-Aufnahmen erschienen (600124). Auch in diesem Fall sind es größtenteils bekannte, schon mehrfach aufgelegte Einspielungen. Und doch, es finden sich einzelne reizvolle Raritäten, so z.B. orchestrale Auszüge aus der Dreigroschenoper unter Otto Klemperer mit der Staatskapelle Berlin von 1930, September-Song mit Frank Sinatra, die Moritat von Mackie Messer von Bertolt Brecht selbst interpretiert, und vieles mehr.

Die gesamte Box wird von den Aufnahmen Lotte Lenyas dominiert, sehr zum Vorteil dieser Edition. Die Lenya, Ehefrau und Witwe Weills, hat nach seinem frühen Tod unermüdlich für die Verbreitung seiner Werke gesorgt, einen guten Teil seiner Rollen hatte er ihr ja auf den Leib geschrieben, und nicht nur deswegen ist sie die uneinholbar berufenste seiner Interpretinnen. Diese Mischung von kühler Schnoddrigkeit, mit einer Prise Wiener Schmäh versetzt, ist unwiederholbar, und bis heute muss sich jede Jenny oder Anna an ihr messen lassen. Die Dreigroschenoper ist hier gleich in mehreren Einspielungen zu hören. Neben der historischen Aufnahme von 1930 in der Besetzung der Uraufführung, auch die inzwischen auch schon nicht mehr ganz frische Einspielung von 1958. Eindeutiger Höhepunkt sind Die sieben Todsünden, 1956 unter Brückner-Rüggeberg eingespielt, dicht gefolgt von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny im gleichen Jahr mit dem gleichen Dirigenten entstanden. Vom „amerikanischen“ Weill ist Lady in the Dark und Down in the Valley enthalten, jeweils in amerikanischen Aufnahmen der 50er-Jahre, die allerdings nicht so recht begeistern können.

So kompakt und übersichtlich hat es diese Aufnahmen bisher nicht gegeben, schon gar nicht für diesen Dumping-Preis. Zugreifen, alle Lotte-Lenya-Fans!

Peter Sommeregger

Berislav Klobucar

 

Die Wiener Staatsoper trauerte um den Dirigenten Berislav Klobucar: Der Dirigent Berislav Klobucar, Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper, ist am Freitag, 13. Juni 2014, im 90. Lebensjahr in einem Wiener Krankenhaus verstorben. Berislav Klobucar war ein Kapellmeister im allerbesten Sinn, ein umsichtiger Sängerdirigent mit profundem Wissen und einer großen Erfahrung, mit der er über Jahrzehnte das Staatsopernleben bereichert hat. Nicht nur von den großen Sängern wie Birgit Nilsson oder auch Plácido Domingo, dessen Hausdebüt an der Staatsoper er 1967 begleitete, war er stets als aufmerksamer, verlässlicher Partner am Pult geschätzt. Bis vor kurzem hat er sehr regelmäßig Vorstellungen am Haus besucht und ließ es nie aus, den Künstlern nach der Vorstellung auf der Bühne zu gratulieren. „Wir werden ihn vermissen, und entbieten seiner Frau und seiner Tochter unsere aufrichtige Anteilnahme“, so Staatsoperndirektor Dominique Meyer.

Berislav Klobucar wurde am 28. August 1924 in Zagreb geboren. Er studierte an der dortigen Musikakademie sowie bei Lovro von Matacic und Clemens Krauss. Nach ersten Jahren als junger Kapellmeister am Nationaltheater in Zagreb führte ihn sein Weg nach Wien, wo er 1953 am Dirigentenpult der Wiener Staatsoper, damals im Theater an der Wien, mit Madama Butterfly debütierte. Der Wiener Staatsoper war er als Dirigent vier Jahrzehnte lang aufs Engste verbunden und dirigierte hier 1.133 Vorstellungen von 53 verschiedenen Opern, darunter Tosca (96 mal), Don Carlo (72 mal), La Bohème und Madama Butterfly (51 mal), Die Zauberflöte (48 mal), Salome und Il trovatore (46 mal) sowie mehrere Wagner-Opern. Zuletzt dirigierte er am 28. Juni 1993, 40 Jahre nach seinem Debüt, Turandot. Von 1960 bis 1971 war Berislav Klobucar Generalmusikdirektor in Graz, 1972 bis 1981 bekleidete er die Position des Generalmusikdirektors an der Königlichen Oper Stockholm, von 1982 bis 1988 war er Musikdirektor der Oper und des Philharmonischen Orchesters von Nizza. Gastengagements führten ihn aber auch zu den Bayreuther Festspielen (Debüt 1964 mit dem Ring des Nibelungen) oder an die New Yorker Met (Debüt 1968). 1992 wurde Berislav Klobucar die Ehrenmitgliedschaft der Wiener Staatsoper verliehen, 2010 erhielt er das Große Silberne Ehrenzeichen der Republik Österreich. Pressestelle Wiener Staatsoper

 

Foto oben: Berislav Klobucar (Axel Zeiniger/Wiener Staatsoper)