„Hochleistungssport Singen“

Sie ist nicht nur Operndirektorin und stellvertretende Intendantin der Oper Stuttgart, sondern auch Präsidentin von Opera Europa. Mit Eva Kleinitz unterhielt sich Hanns-Horst Bauer über Top-Stars und sinnliche Erlebnisse, über den Austausch von Visionen und einen sensationellen Tenor aus Brasilien.

Frau Kleinitz, im Herbst vergangenen Jahres wurden Sie zur Präsidentin von Opera Europa gewählt, einem Verband, dem im Augenblick 148 Opernhäuser und Festivals aus 39 Ländern angehören. Was bedeutet dieses Amt, in das mit Ihnen nicht nur zum ersten Mal ein deutsches Mitglied, sondern auch zum ersten Mal eine Frau gewählt wurde, für Sie ganz persönlich? Der Arbeit von Opera Europa bin ich seit vielen Jahren eng verbunden, schon seit meiner Zeit in Bregenz und Brüssel, 2011 wurde ich in den Aufsichtsrat gewählt. Wenn man dann nicht nur als erste Frau, sondern auch als erste Deutsche gewählt wird, ist das schon etwas, was ich  als große Ehre empfinde

01 Eva Kleinitz 4sp groß-001Wie sieht die Arbeit von Opera Europa aus? Sie setzt vor allem auf Vernetzung und europaweite Kommunikation. Neben dem Austausch von Visionen und Ideen zur Kunstform Oper geht es auch ganz konkret um Marketingstrategien, um Sponsoring-Aktivitäten oder auch um Freunde-Vereine, also um die wichtige Frage, wie man neue Publikumsschichten für die Oper gewinnt. Unabhängig von Budget und Größe des Hauses hat jeder das gleiche Recht sich einzubringen. Dass da unglaublich viele Ideen sprießen, ist selbstverständlich. Und das gefällt mir sehr gut.

Bei welchen Problemen kann die Organisation helfen? Könnten Sie das ein wenig veranschaulichen? Da gibt es immer wieder die verrücktesten Ideen von Bühnenbildnern, die nicht immer ganz leicht zu verwirklichen sind. Beispielsweise aufblasbare Puppen, auf denen man klettern können muss: Wer baut so etwas, wie ist es überhaupt finanzierbar? Fragen wie diese kann man ins Forum der technischen Direktoren von Opera Europa stellen – und kurze Zeit später hat man bereits die ersten Antworten und Vorschläge von Kollegen. So kann man vom Knowhow der Anderen großzügig profitieren. Das erleichtert den Opernalltag ungemein.

02 Eva Kleinitz 4sp groß-001Sie beenden in diesen Wochen Ihre dritte Saison an der Oper Stuttgart. Was hat Sie gerade an diesem Haus gereizt? Ein großartiger Chor, ein tolles Orchester, ein wunderbares Ensemble – und die spannende Geschichte des Hauses. So habe ich nicht lange überlegt, als ich das Angebot von Jossi Wieler erhalten habe, mit ihm zusammen im Team in Stuttgart etwas Neues anzufangen. Ich fand es sehr reizvoll, als rechte oder linke Hand neben einem Regisseur zu arbeiten. Da habe ich das Gefühl,  dem Künstler den Rücken für seine Arbeit freihalten zu können, damit er eine erfolgreiche Produktion auf die Beine stellen kann.

Wie halten Sie Jossi Wieler  den Rücken frei? Wie sieht der Alltag einer Operndirektorin aus? Zunächst einmal nehme ich ihm alles ab, was mit Finanzen, Verträgen und Engagements zu tun hat. Dabei geht es nicht nur um die Sänger, sondern um alle, die hier am Haus im künstlerischen Bereich arbeiten. Alles geht über meinen Schreibtisch, letztlich auch die ganzen Budgets. Man könnte von einem Kulturmanagement für die Oper sprechen. Die Voraussetzung für diesen Lebensweg ist, dass man selbst Musik gemacht hat und, so finde ich zumindest, eine Zeit lang direkt im Bühnengeschehen involviert war. Kurz, dass man aus dem innersten Saft des Theaters herausgewachsen ist.

Das bedeutet dann auch, dass man eine emotionale Beziehung zur Oper aufgebaut hat. Wie fing das bei Ihnen an? Einmal in der  Schule, zum anderen durch mein Elternhaus, wo ich schon sehr früh den Bezug zur Musik hatte und auch mal mit ins Theater oder in die Oper in Hannover gehen durfte.

06 Eva Kleinitz 2sp links-001Können Sie sich an Ihr erstes Opernerlebnis erinnern? Das war irgendetwas zwischen Hänsel und Gretel, Freischütz und Walküre. Am meisten beeindruckt hat mich da die dramatische Sopranistin Ute Vinzing als Brünnhilde in der Walküre, mein absolutes sängerisches Idol. Relativ schnell bin ich dann in die Musik und in die Oper förmlich hineingesogen worden. Für mich stand fest: Ich muss mal irgendetwas mit Musiktheater machen. So habe ich bereits parallel zum Studium als Regieassistentin gearbeitet. Als Regieassistentin bei den Bregenzer Festspielen habe ich mit ganz großartigen Künstlern zusammengearbeitet. Damals hatte ich noch Gesangsunterricht, hatte aber trotz ganz ordentlicher Stimme Zweifel, ob ich als Sopran je die Chance haben würde, mit  diesen großen Leuten zusammenzuarbeiten. So habe ich das technische Wissen über das Singen abgespeichert und bin immer mehr auf die andere, die organisatorische Seite gewechselt. Mein Interesse und meine Begeisterung für diese Form der künstlerischen Arbeit ist weiter gewachsen, weil ich das Gefühl hatte, Sängern helfen zu können, ihnen die größtmögliche Sicherheit und Freiheit zu geben, damit sie auf der Bühne Erfolg haben.

Die Bregenzer Festspiele  waren für Sie über viele Jahre hinweg künstlerische und auch private Heimat? Was hat Sie so lange am Bodensee gehalten? Bregenz ist ein unglaublicher Ort, für mich immer noch einer der aufregendsten Plätze. Im öffentlichen Bewusstsein steht natürlich die spektakuläre Seebühne im Vordergrund. Den See muss man auch immer präsent halten und stark vermarkten, da er all die anderen Aktivitäten wie Theateraufführungen, Konzerte und Opernraritäten im Festspielhaus mitfinanziert.

07 Eva Kleinitz 2sp links-001Zurück nach Stuttgart. Was macht Ihnen hier ganz besonders viel Freude? Wie sich die jungen Sänger, die wir engagieren, im Ensemble entwickeln. Beispielsweise der brasilianische Tenor Atalla Ayan, der bereits in Royal Covent Garden London auf der Bühne gestanden ist und  bei uns gerade einen sensationellen Rodolfo in Puccinis Bohème gesungen hat.

Dafür bekam er ja auch ganz exzellente Kritiken. Wie helfen Sie aber einem Sänger, der da vielleicht nicht so gut wegkommt? Wenn eine Kritik nicht konstruktiv und differenziert ist, kann das für einen Sänger absolut verheerend sein. Viele Menschen können es sich leider nicht vorstellen, was es heißt, auf einer Bühne zu stehen. Singen ist Hochleistungssport bei dem, was heutzutage verlangt wird. Aber man darf nicht vergessen, dass es für Sänger nicht nur die Presse-Kritik gibt, sondern auch das Publikum und natürlich uns, die wir versuchen ihnen ein konstruktives Feedback zu geben, sie zu unterstützen, zu ihnen zu stehen.

Stuttgart baut auf sein Ensemble, weniger auf Gäste. Was hat das für einen Vorteil? In Ensemble-Stücken wie Zauberflöte, Nozze di Figaro oder Cenerentola stehen Sänger zusammen, die auch in anderen Produktionen zusammen waren, wo man merkt, die bauen vertrauensvoll aufeinander auf, sie freuen sich auf den anderen. Das spürt und hört man dann auch am Abend in der Vorstellung. Ähnlich geht es doch auch beim Fußball zu, wo es sehr viel auf Gruppendynamik ankommt. Im Ensemble kann der Sänger, noch ein Vorteil, Partien ausprobieren, die er auf dem freien Markt, wo man schnell in irgendwelche Schubladen gesteckt wird, vielleicht nie bekommen würde.

09 Eva Kleinitz 1sp rechts-001Vor welchen Problemen stehen junge Sänger heute? Einmal gibt man ihnen zu wenig Chancen zur Entwicklung, zum anderen sind sie oft aber auch selbst zu ungeduldig. Nicht selten fehlt eine wirklich fundierte Gesangsausbildung. Leider passiert  es sehr häufig, und das ist wie im Pop-Geschäft oder beim Fußball, dass jemand in kürzester Zeit nach ganz oben gehypt wird, und man weiß gar nicht, warum. Dann ist die Karriere sehr schnell wieder vorbei. Das finde ich wahnsinnig schade.

Wie kann ein Haus wie Stuttgart seine hier groß gewordenen Sänger halten? Top-Tenor Jonas Kaufmann etwa ist heute hier sicher nicht mehr bezahlbar? Wir versuchen unseren Sängern attraktive Partien anzubieten, die sie sich hier in Ruhe erarbeiten können. Das gibt Fundament und Sicherheit.

Die Gagen für Stars wie Domingo, Kaufmann oder Anna Netrebko können mit denen für „normale“ Sänger kaum verglichen werden. Wie gerecht ist so eine „Entlohnung“? Bei Künstlergagen klafft die Schere leider weit auseinander. Und das ist sicher nicht gerecht.

12 Eva Kleinitz 1sp rechts-001Was für eine Bedeutung hat überhaupt die von manchen für elitär gehaltene Gattung Oper für unsere Gesellschaft? Oper, live erlebt, kann etwas im Menschen auslösen, anstoßen, was man in vielen anderen Genres nicht hat, weil da so vieles zusammenkommt: Musik, Gesang, Theater, bildende Kunst und manchmal auch Tanz. Das macht eine Opernvorstellung zu einem einzigartigen sinnlichen Erlebnis.

 

Biographie: Eva Kleinitz wurde in Langenhagen/Niedersachsen geboren, wuchs in Hannover auf und studierte nach dem Abitur Musikwissenschaft, Italienische Literaturwissenschaft und Entwicklungspsychologie an der Universität des Saarlandes. Forschungsaufenthalte führten sie nach Rom, Rovereto, Paris und Mailand. Ab 1991 war sie Regieassistentin und Spielleiterin u.a. bei den Bregenzer Festspielen, in Klagenfurt, Avignon, Nîmes, Paris, Straßburg, Spoleto, Köln und Schwetzingen. Im Rahmen ihres Engagements im künstlerischen Betriebsbüro der Bregenzer Festspiele (ab 1998) übernahm sie die Projektleitung von „Oper am See“ und „Oper im Festspielhaus“ sowie die Verantwortung für Casting, Dramaturgie, Vertragswesen, Opernworkshop und die Programmheftredaktion. Von Januar 2000 an leitete sie dort das künstlerische Betriebsbüro und war bis 2003 Persönliche Referentin des Intendanten Alfred Wopmann. Von 2003-2006 arbeitete sie als Operndirektorin und stellvertretende Intendantin der Bregenzer Festspiele unter  David Pountney. Von 2006 bis 2010 übernahm Eva Kleinitz die Direktion für Künstlerische Planung und Produktion an der Brüsseler Oper La Monnaie. Seit 2005 hält sie regelmäßig Gast-Vorlesungen und Workshops an der Showa University of Music in Shinjurigaoka/Kanagawa in Japan. Ferner ist sie seit vielen Jahren regelmäßig Jurorin bei internationalen Gesangswettbewerben. Mit der Spielzeit 2011/12 wird Eva Kleinitz Operndirektorin und Stellvertretende Intendantin im Leitungsteam der Oper Stuttgart. Im Oktober 2013 wurde sie zur Präsidentin von Opera Europa gewählt. 

Fotos © Hanns-Horst Bauer