„Die Bühne gehört den Mutigen!“

 

Die Proben zur Frau ohne Schatten an der Oper Leipzig sind in vollem Gange. Einen Tag vor der ersten Hauptprobe findet sich Zeit für ein Gespräch mit Doris Soffel, der Amme in der neuen Produktion unter Ulf Schirmer. Bei einem Teller Antipasti geht es einem Leipziger Restaurant bei unserem Treffen ganz schnell, gänzlich unkompliziert zur Sache. Da gibt es keine Einstiegsverlegenheiten.

Doris Soffel”: als Amme mit Simone Schneider/Kaiserin in Leipzig/©Kirsten Nijhof

Doris Soffel: als Amme mit Simone Schneider/Kaiserin in Leipzig/©Kirsten Nijhof

Der Anlass gibt zunächst die Themen vor. Es geht um die Partie der Amme, und da gilt es ein Jubiläum zu würdigen: Es ist genau zehn Jahre her, da sang Doris Soffel zum ersten Mal die Partie dieser rastlosen Frau. Jetzt müsste es die siebte Inszenierung sein, sagt sie,  seit dem Rollendebüt in Los Angeles.  Diese Amme, so Doris Soffel, das ist eine tragische Liebende, eine rätselhafte Figur, sie gibt alles, sie will das Beste für die ihr anvertraute Kaiserin, aber sie bleibt am Ende einsam, das Glück in dieser großen, philosophischen Märchenoper bleibt den anderen vorbehalten, im Quartett der Erlösten ist für sie kein Platz.

Doris Soffel als Amme: in der neuen "Frau ohne Schatten" in Leipzig/Foto © Kirsten Nijhof

Doris Soffel als Amme: in der neuen „Frau ohne Schatten“ in Leipzig/Foto © Kirsten Nijhof

Das macht diese Rolle, diese Partie, so interessant. Man könne gut an das Schicksal der Gräfin Geschwitz in Lulu denken oder an das der Kundry in Parsifal, beide Partien gehören in ihr Repertoire. Eine rastlose Frau ist sie, ein Mensch auf der Durchreise, immer auf der Suche, ein weiblicher Ahasver. Für Doris Soffel ist die Amme, übrigens die größte Partie in der Oper von knapp drei Stunden Spieldauer, keine Charakterpartie. Das ist eine Partie, die muss gesungen werden, sagt sie, da braucht man Stimme und den großen Bogen, die Deklamation oder der Sprechgesang als Notlösung sind hier fehl am Platze. Wenn sie diese Partie singt dann spürt sie immer wieder, wie viel auch von den jugendlichen Partien von Richard Strauss darin ist, vom Octavian in Der Rosenkavalier oder vom Komponisten in Ariadne auf Naxos. Es gilt diese gesanglichen Linien einzubringen, diese besondere Melodik bei Strauss. Und da kann Doris Soffel ja auf enormen Erfahrungen aufbauen, sie war einst eine gefragte Interpretin der Strauss´schen Hosenrollen, Octavian und Komponist. Besonders gerne erinnert sie sich daran, dass sie der Komponist war, als Jessye Norman ihre erste Ariadne sang.

Doris Soffel: Amme mit Inga Nielsen/Kaiserin in Los Angeles/Foto Millard/LAOpera

Doris Soffel: Amme mit Inga Nielsen/Kaiserin in Los Angeles/Foto Millard/LAOpera/Soffel

Doris Soffel hat sich ein großes Strauss-Repertoire erarbeitet, Clairon in Capriccio, im Rosenkavalier vor vielen Jahren in ihren Anfängen auch die Intrigantin Annina und zu Beginn ihrer Kariere, 1974, war sie die Dryade in Ariadne auf Naxos. Später standen ihr die Königinnen zu, Herodias in Salome und Klytämnestra in Elektra Und das betont sie wieder, gerade diese Partien gilt es zu singen, nicht zu sprechen.

Sie hat immer in ihrer Entwicklung versucht, von einer Phase ihrer vielen Facetten, die sie in gut 80 Partien entfalten konnte, etwas in die nächste mitzunehmen.

So kommt es ihr heute sehr zugute, dass sie aus ihrer Zeit als Belcantosängerin (Adalgisa neben Joan Sutherlands Norma oder Elisabetta neben Katia Ricciarellis Maria Stuarda etwa)  mit den unverzichtbaren Koloraturen immer auf Erfahrungen aufbauen kann, die Liebe zu den Abstufungen, zu den Farben mit den vielen Zwischentönen braucht man bei Strauss eben auch in den dramatischen Partien. Da sind wir wieder bei der Amme, um die jetzt aktuell ja auch geht, da brauche man eine große Farbpalette, um diese Zerrissenheit, diese Zärtlichkeit, diese Unbedingtheit und dann diese abgrundtiefe Einsamkeit dieser Frau in Klänge zu verwandeln.

Soris Soffel: Herodias in Madrid/Foto javier de Real

Doris Soffel: Herodias in Madrid/Foto Javier de Real/Soffel

Und es liege ja sicher auch daran, dass sie zu den Partien von Richard Strauss so ein besonderes Verhältnis hat, dass ihre Lehrerin, Marianne Schech, eine große Strauss-Sängerin war und sie schon früh, im ersten Engagement  in Stuttgart, den Octavian gesungen hat. Später prägten sie die Begegnungen mit der Belcanto-Diva Joan Sutherland und anderen Großen dieses Fachs. Prägend war auch für sie die beseelte Expressivität der Callas, wie Doris Soffel mir in einem früheren Gespräch im Juni 2009 gesagt hatte. Eben diese habe ihr geholfen, den eigenen Stil authentischer Darstellung mit den Tönen individueller Wahrhaftigkeit zu finden.

Nicht zu vergessen ist auch ihr Fundament Johann Sebastian Bach. In die Stuttgarter Zeit fällt die intensive Arbeit mit dem Bach Collegium und dem Pionier-Dirigenten Helmuth Rilling. Zahlreiche Aufnahmen mit ihr  belegen die schon frühe stilistische Sicherheit in der Interpretation der Alt-Partien in Bachs geistlichen Werken, in den Passionen, Oratorien und Kantaten.

Dortis Soffel: Fricka in Amsterdam/Foto Walz

Doris Soffel: Fricka in Amsterdam/Foto Walz/Soffel

Diese Erfahrungen mit den Ansprüchen geistlicher Werke möchte Doris Soffel nicht missen, ebenso wenig wie die spirituelle Weite der vielen Werke von Gustav Mahler, die sie gesungen und eingespielt hat. Eine enorme Diskographie belegt die außergewöhnliche Karriere von Doris Soffel, DVDs dokumentieren die Kraft ihrer  Darstellung.  Immerhin ist sie als deutsche Sängerin eine der ganz wenigen, wenn nicht die einzige, die im italienischen Fach als Koloraturmezzosopranistin eine große internationale Karriere, namentlich in Italien,  gemacht hat.

Doris Soffel: Kundry in Venedig/Foto TF

Doris Soffel: Kundry in Venedig/Foto TF/Soffel

Dann wandte sie sich den dramatischeren Partien zu. Bei Wagner ist es immer wieder die Kundry, mit der sie für Furore sorgt, wieder so eine einsame Einzelkämpferin. Die Ortrud im Lohengrin gehört zu ihrem Repertoire, die Fricka, die um ihr Recht kämpft im Ring. Starke Frauen eben. Die liegen ihr, das ist sie. Es lassen sich nur schlaglichtartig mit solchen Partien Stationen benennen: Verdis Eboli oder Amneris, die wunderbare Partie der Judith in Herzogs Blaubarts Burg, dann die Rollen im slawischen Repertoire, Marfa in Mussogskis Chowantschtschina, die Kabanicha in Janáčeks Katia Kabanova oder auch die Jezibaba in Dvoraks Rusalka. Nicht zu vergessen die Moderne, Partien von Aribert Reimann oder Krzysztof Penderecki. Und immer an ersten Häusern, mit bedeutenden Orchestern und Dirigenten, interessanten Regisseuren. Das wäre ja nicht möglich, wenn die Soffel nicht immer den hohen Ansprüchen gerecht würde.

Doris Soffel: Und noch einmal die Schicksalspartie Amme, hier an der Deutschen Oper Berlin/Foto DOB/Soffel

Doris Soffel: Und noch einmal die Schicksalspartie Amme, hier an der Deutschen Oper Berlin/Foto DOB/Soffel

Wie das geht? Immer mit der Perspektive arbeiten, sagt sie. „Ich will noch lange singen.“  Dafür ist es nötig immer die eigene Stimme zu analysieren, genau zu prüfen wie man sich auf die jeweilige Partie vorzubereiten hat. Das bestimmt auch die Auswahl des Materials beim Einsingen. Sowas ist nicht für die Öffentlichkeit. Aber bis heute verzichtet die Sängerin nicht darauf, durch das Singen von Koloraturen die Geläufigkeit der Stimme zu pflegen. „Es kommt auf die Elastizität an. Und was man mit Partien wie die der Carmen, von denen man sich längst verabschiedet hat, gewonnen hat, das gilt es nicht zu verlieren. Keine Stagnation! Es geht immer um die Kunst, nicht um den Event.“

Doris Soffel: Marfa in München mit Antonij Kotscherga/Timofei/Foto BM/Soffel

Doris Soffel: Marfa in München mit Antonij Kotscherga/Timofei/Foto BSO/Soffel

Damit sind wir bei einem Thema ohne Ende. Wie geht eine Künstlerin mit einer solchen Erfahrung, mit einer solchen Karriere und vor allem mit einem so anhaltenden Erfolg damit um, wenn sie sich problematischen Regieexperimenten ausgesetzt sieht? Sie sucht da immer den Dialog, sagt Doris Soffel. Konfrontation bringt nichts. Sie kann nur entspannt arbeiten, schlechte Luft geht bei ihr auf die Stimmbänder, und das kann sie sich nicht leisten. Also bringt sie sich ein, und da habe sie es auch noch nicht erlebt, dass ihre Autorität und ihre Erfahrung keine Anerkennung gefunden hätten. Wenn es um das Werk, wenn es um die Musik, um die Kunst geht, dann gab es bisher immer ein Weg, den man letztlich gemeinsam gehen konnte.

Doris Soffel: Klytämnestra in Brüssel mit Evelyn Herlitzius/Foto TM/Soffel

Doris Soffel: Klytämnestra in Brüssel mit Evelyn Herlitzius/Foto TM/Soffel

Existenzangst und Feigheit sind in ihrem Beruf schlechte Berater, so Doris Soffel gegen Ende unseres Gespräches. Mut ist vonnöten! Das ist keine Frage des Alters, sondern eine Frage des Charakters. Die Bühne gehört für Doris Soffel den Mutigen.  „Wir geben uns hin, mit Haut und Haar, wir geben unser Herzblut, wir wollen in die Arena, Kampf ist Kreativität“, sagt sie mit der wunderbaren Authentizität ihrer Erfahrungen, ihres Charmes, ihrer Grandezza, ihres Humors.

Wie weit denn derzeit das Repertoire gespannt sei, möchte ich noch wissen. Die Fricka ist aktuell, Madame de Croissy in den Dialogues des Carmélites von Poulenc kommt demnächst in Amsterdam hinzu. Adelaide in Arabella wird sie in Barcelona und München singen, Klytämnestra in Berlin, und Geneviève in Pelleás et Mélisande nach Essen nun an der Pariser Bastille-Oper.

Doris Soffel: eine dämonische Ortrud/OBA

Doris Soffel: eine dämonische Ortrud/OBA

Auf eine Partie hat sie vergeblich gehofft: die der Küsterin in Jenufa von Janáček. Die hat sich bislang nicht ergeben, zu ihrem Leidwesen. Und schon könnten wir eine neue Runde beginnen über die Tiefe dieser Partie: wieder so eine Einsame, eine, die sich opfert und selber zum Opfer ist. Der Bogen spannt sich zur Amme, um die geht es jetzt, und natürlich um die anderen dramatischen Frauenrollen bei Strauss, die sind abrufbar, jederzeit.

Unser Gespräch ist zu Ende, der Gesprächsstoff noch lange nicht. Gute Wünsche für die Premiere! „War schön mit uns“, schreibt mir Doris Soffel noch am selben Tag. Ich denke oft an ihre sachliche Freundlichkeit, ihren überspringenden Humor, diese mitreißende Offenheit und diese so authentische Expressivität auf der Bühne – das alles kann nur aus einem sehr jungen Herzen kommen.

Boris Gruhl

Fotos oben und unten: Doris Soffel/Foto Streubel; eine lange Liste ihrer vielen Opern- und Konzertpartien findet sich hier, und die website der Künstlerin, der wir die Fotos entnahmen (soweit nicht anders gekennzeichnet), gibts hier.

Doris Soffel