.
Aus welchen Gründen die 1710 komponierte Oper Boris Goudenow oder Der durch Verschlagenheit erlangte Thron von Johann Mattheson in der Hamburger Oper am Gänsemarkt nicht aufgeführt wurde, ist ungeklärt. Gemutmaßt wird, dass der Komponist das Werk zurückgezogen habe oder dass die Aufführungsbedingungen im Opernhaus unzulänglich gewesen seien. So kam es erst am 29. Januar 2005 im Bucerius Kunst Forum Hamburg zur Uraufführung, von der ein Mitschnitt bei der Edition Musik Landschaften Hamburg auf drei CDs vorliegt. Rudolf Kelber leitete das auf historischen Instrumenten musizierende Cythara-Ensemble.
Jetzt bringt cpo eine Neuaufnahme des in Deutsch und Italienisch komponierten Werkes auf zwei CDs heraus (555 502-2), bei der ebenfalls ein historisch orientierter Klangkörper musiziert – das 2012 gegründete Jugendorchester THERESIA unter Andrea Marchiol. In der Ouvertüre und mehreren Instrumentalteilen – Entrées, Sinfonie (von Reinhard Keiser), Bourrée (von Georg Philipp Telemann), Menuett, Passepied – zeigt er sein Gespür für den delikaten und spritzigen Stil der Musik Die Besetzung weist keine bekannten Sängernamen auf, ist aber von solider Qualität. Angeführt wird sie von dem Bassisten Olivier Gourdy in der Titelpartie. Seine Auftrittsarie „Empor!“ stattet er mit energischem Aplomb aus und erweist sich auch als souverän in der Bewältigung der Koloraturläufe. Das zeichnet auch sein letztes Solo im 3. Akt, „Mi prepara il Ciel contento“, aus. Julie Goussot gibt seine Tochter Axinia mit gefälligem, leichtem Sopran. In der Aria „Son più dolci“ im 3. Akt gewinnt er noch an lyrischer Substanz. Auch Theodorus Iwanowitz, Großfürst von Moskau, ist eine Basspartie und Yevhen Rakhmanin singt sie mit profunder Stimme von weichem Klang. Davon profitiert auch die gewichtige Aria „Wer vergnüget herrschen will“ im 2. Akt.
Seine Gemahlin Irina ist die Sopranistin Flore Van Meerssche, der mit der Aria col Coro, „Hochbeglückte Zeiten“, das erste Solo des Werkes zufällt. Sie singt es mit heller Stimme und intensivem Vortrag. Auch ihre wiegende Aria „Der Neigung widerspricht“ im 1. und die Aria „Per seguire vano piacere“ im 2. Akt überzeugen in Tongebung und Musikalität.
Den in Irina verliebten Bojaren Fedro singt Sreten Manojlovic mit etwas verquollen klingendem Bass. In der munteren Aria „Ein heimliches Hoffen“ am Ende des 1. Aktes hinterlässt er einen günstigeren Eindruck.
Die Besetzung wird komplettiert von der Mezzosopranistin Alice Lackner als russische Fürstin Olga sowie den Tenören Eric Price als Prinz Josennah und Joan Folqué als Prinz Gavurst. Sie vereinen ihre Stimmen harmonisch in zwei Arias à 3 „Wer die geliebten Augen siehet“ und „O Glücke, wer dir folgt“. Die Sängerin kann zudem in ihrer empfindsamen Aria „Vorrei scordami“ und der Arietta im 3. Akt, „Wer Liebe recht ansieht“, gefallen und der Tenor Folqué in der stürmischen Aria „Will sich die Liebe rächen“ energisch auftrumpfen. Und alle Mitwirkenden singen gemeinsam die finale Ciacona „Auf Bestand muss Liebe sich gründen“, mit der das Werk feierlich endet, denn Boris wird zum neuen Zaren gekrönt. Bernd Hoppe