Verdienstvoll mit Fleck

.

Wie viele Komponisten der Nach-Verdi-Zeit sind mit nur einem Werk dauerhaft auf den Opernbühnen der Welt präsent und hätten es doch verdient, dass auch ihre anderen, oft zahlreichen Werke noch auf den Spielplänen stünden. Neben Mascagni mit seiner Cavalleria, Ponchielli mit seiner Gioconda, Giordano mit seinem Andrea Chénier oder Zandonai mit seiner Francesca da Rimini gehört auch Francesco Cilea mit seiner Adriana di Lecouvreur dazu, dessen Lamento des Federico aus L‘Arlesiana es immerhin zur Zugabenummer für Tenöre geschafft hat. Gianandrea Gavazzeni, obwohl in der Donizetti-Stadt Bergamo geboren und gestorben, liebte den Verismo und setzte sich stets für ihn ein. Seine Gattin Denia Mazzola Gavazzeni folgt im darin und hat nun die einst sehr erfolgreiche Oper Cileas La Tilda nicht nur konzertant aufgeführt, sondern bei dem so altehrwüdigen wie rührigen Verlag Bongiovanni in Bologna als CD verlegen lassen. Derartige Neuerscheinungen erfüllen den Opernfreund immer mit gemischten Gefühlen, wenn er zwischen der Freude, die Bekanntschaft mit einem ihm bisher unbekannten Werk zu machen und der Besorgnis darüber, inwieweit die Sängerin, die sich natürlich stets der Titel- oder Hauptpartie annimmt, dieser noch gewachsen ist, hin-und herschwanken muss. Die jetzt erschienene Aufnahme von La Tilda entstand im Januar 2025 im Conservatorio „G.Verdi“ in Mailand.

La Tilda ist eine römische Straßensängerin, allerdings im Unterschied zur venezianischen Gioconda bereits mit einer halbwüchsigen Tochter namens Cecilia gesegnet. Sie verzehrt sich in Liebe zum französischen Offizier Gastone, der seinerseits mit der römischen Adligen Agnese verlobt ist. Als Gastone Tilda Geld für Liebesdienste anbietet, ist diese so empört, dass sie den römischen Polizisten Geld für die Freilassung eines Räubers anbietet. Das Geschäft findet statt, und der Bandit Gasparre revanchiert sich für seine Befreiung, indem er mit seinen Kumpanen Agnese und Gastone entführt. Tilda ist gerade gesonnen, die Rivalin Agnese zu ermorden, als Glockengeläut beide Frauen ins Gebet sinken lässt. Im dritten Akt behauptet Tilda gegenüber Gastone, seine Verlobte ermordet zu haben, und erreicht so, dass er sie ersticht. Sie findet gerade noch die Zeit, die Verlobten sterbend zu segnen. Wenigstens ist sie durch die Hand des geliebten Gastone gestorben.

Süße Melancholie oder melancholische Süße zeichnet die Musik Cileas auch in diesem Werk aus, in dem zwar der Sopran den Titel einnimmt, der Tenor aber das letzte Wort hat, wenn es auch nur ein „Morta, ,morta“ ist, dem Gastone im Unterschied zu Maurizio noch ein „O sciagurata amor“ hinzufügen darf.

Natürlich kann man Denia Mazzola Gavazzeni nur dankbar dafür sein, dass sie sich des über weiten Strecken hinweg Ohrwurm Qualitäten besitzenden Werks angenommen, hat, aber unüberhörbar sind auch die vokalen Schwächen wie die schrille Höhe, die substanzlose Tiefe, das manchmal ausufernde Vibrato, und nur in der oberen Mittellage lässt sich noch Angenehmes vernehmen. Auch mangelt es ihr, vergleicht man mit dem Booklet-Text,  an Textbeherrschung, und wenn der Chor ein „Eviva, canterà“ anstimmt, kann man kaum in den Jubel ein-, eher dem „Delirio, è follia“ zustimmen.  Ihre  Partnerin auf der Bühne und Rivalin im Werk ist die Agnese von Syuzanna Hakobyan mit reifem Mezzo, der im Duett der beiden mit Erfolg, was Stimmstärke und Durchschlagskraft betrifft, mithalten kann. Einen lieblichen, zarten Sopran setzt Wonjung Kim für die Tochter Cecilia ein. Womit wir bei der Tatsache wären, dass asiatische Kräfte immer mehr auch in Italien die einheimischen Sänger ersetzen. Sie sind oft technisch perfekt, beherrschen die Sprache ebenso perfekt, und doch vermeint man ein Defizit an dem, was man als Italianità bezeichnet, zu konstatieren, so dass auch der Gastone von Yan Wang mit einem frischen Timbre, mit Musikalität und guter Diktion erfreuen, aber doch nicht hundertprozentig überzeugen kann.  Giorgio Valerio ist markant der Brigante Gasparre, Fulvio Ottelli stützt als Mario und Bista und Qu Rui Jie als Locusta, die nicht nur mit Wein, sondern auch mit Gift handelt. Angenehmes lässt der aus asiatischen Sängern bestehende Coro Ab Harmoniae unter der Leitung von Hsiao Pei Ku vernehmen. In der Sinfonia und ganz besonders in dem sehr schönen Vorspiel zum dritten Akt brilliert das Orchestra Sinfonica Colli Morenici unter Nicola Ferraresi, der sich auch als nachsichtiger, zuverlässiger Begleiter der Gesangssolisten bewährt (Bongiovanni 2 CD GB 9616/17-2). Ingrid Wanja