Müde Trauer

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Ob Händel, Gluck, J. Chr. Bach oder Meyerbeer, manche deutsche Komponisten hat es nach Italien gezogen und wie Nicolai haben sie  dort auch eine Menge gelernt (letzterer auch in der Liebe). Aber nur wenige sind für immer dageblieben. Johann Simon Mayer war so einer, der nicht wiederkam. Ihm hat das Label Naxos in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Produktionen, namentlich unter dem Mayr-Exegeten und Dirigenten Franz Hauk, gewidmet. Jetzt ist eine Oper von ihm eben dort rausgekommen, deren Titel erstmal nicht so griffig klingt. Amor non ha ritegno. Übersetzt etwa Liebe kennt keine Grenzen oder Liebe kennt keine Hindernisse. Das ist ein schöner Titel, ein bisschen sperrig vielleicht. Amor ist eine opera semiseria, also eine Oper, die so ein bisschen pendelt zwischen einem ernsten Werk und einem komischen. Und man könnte diesen sperrigen Titel auch übersetzen mit Die unlustige Witwe, weil es hier genau darum geht. Es geht um eine Witwe, die anders als die Léharsche doch sehr um ihren verblichenen Gatten trauert. Sie ist aber auch eine Prinzessin und hat – wie Penelope – schon wieder einen Haufen nerviger Freier an der Backe. Die versuchen, sie rumzukriegen, und sie muss sich dieser Freier erwehren. Darum geht es hier drei Stunden lang, und es gibt einen sehr, sehr langen ersten Akt von wagnerischer Länge. Drei Viertelstunden trauert sie vor sich hin. Und dann taut sie ein bisschen auf, im zweiten Akt, der dann auch nochmal so lange dauert, und lässt sich auf einen dieser unsympathischen Freier ein. Das ist natürlich der Tenor, welche Überraschung. Und macht die Sache nicht besse. Und spricht auch nicht unbedingt für ihren Geschmack.

Musikalisch könnte es sich doch ganz lohnt haben, zu erleben, wie eine Frau den Tod ihres Mannes überwindet. Bei einem guten Komponisten. Mayr ist ein guter Komponist, muss man sagen. Und dies ist auch ein wichtiges Werk. Diese semiseria, diese Form, war wichtig für die Musikentwicklung. Die Oper wurde von – nun – Giovanni Simone Mayr für die Mailänder Scala 1804 geschrieben. Und sie fällt in eine extrem spannende Übergangszeit. Mozart ist tot, Cimarosa auch (1801), diese wichtigen Komponisten für die Oper vor Rossini, der dann später die Führung übernimmt. Und genau in diese Leerstelle stößt jetzt Mayr vor. Er war mit Abstand damals der beste Reformopernkomponist in Europa. Er hat den Weg von der Klassik zur Romantik bereitet. Seine Principessa, besagte Witwe, ist eine spannende Figur. So ein bisschen noch Mozart-Heroine, aber auch schon eine Donizetti-Heldin.

Es gibt ja bei Naxos inzwischen eine ganze Menge Musik von Mayr zu entdecken, aber er wird nicht aufgeführt. Ist er dann am Ende doch nur etwas was für einen engen Fan-Kreis? Sagen wir mal für einen mittelgroßen Fan-Kreis. In Italien war er eigentlich wichtiger als hier bei uns in Deutschland, weil er früh als junger Mann nach Italien ging und dann nur dort wirkte. Mayr hat bei allen unwidersprochenen Stärken (vor allem als Lehrer der jungen Komponisten-Generation), auch seine Schwächen, anders als sein späterer Konkurrent Rossini eben nicht. Oder sein Meisterschüler Donizetti.

Mayrs Wurzeln in der Wiener Klassik sind unüberhörbar. Manchmal nervt es, wenn er sehr hemmungslos Mozart-Anleihen macht. Ich rede hier nicht von „so klingt“ oder „so ähnlich“ oder „kleine Hommage“ oder „Anspielung“. Er hat ziemlich unverstellt  „übernommen“, geklaut, weil er wusste, dass Mozart in Italien nicht wirklich  bekannt war. Cosi zum Beispiel oder auch die Zauberflöte hat er gnadenlos für seine eigenen Opern ausgeschlachtet. Und das hört man. Wenn das heutzutage jemand machte, wäre das justiziabel.

Natürlich gibt es auch viel eigenständig Mayrsches. Was schon beeindruckt, ist, abgesehen vom melodischen und harmonischen Ideenklau, die Weiterentwicklung der Formensprache. Bei ihm ist alles opulenter, auch komplexer als bei Mozart. Die finali zum Beispiel nehmen große Ausmaße an, sind fast elefantös. Das wäre selbst für Mozart ungewöhnlich. Wir reden hier über 30 Minuten Blöcke. Und da gibt es auch diesen elegische Ton vor allem in den Arien der Witwe. Das ist schon spannend, auch aufgrund der Längen dieses Werks. Das mag sperrig wirken, aber für die damalige Zeit war das etwas Besonderes.

Simone Mayr in Italien/OBA

Die Frage ist nun, wie das jetzt bei der Aufnahme umgesetzt worden ist. Und ich finde die musikalische Seite unter Franz Haug äußerst problematisch. Wenn wir mal mit den Solisten anfangen sind da Yeree Suh und Markus Schäfer als das aristokratische Paar. Sie sind stilistisch passabel, aber auf eine so erschreckende Weise langweilig, dass das schon wieder fast an eine Kunstform grenzt. Ich habe manches dreimal gehört, weil ich es nicht fassen konnte, wie unendlich unbeteiligt diese Sänger klingen. Markus Schäfer kennt eigentlich nur einen Affekt, nämlich schmachtendes Säuseln. Und Yeree Suh hat gar keinen, klingt oft wie KI. Sie ist ein effektvolles Beispiel dafür, warum ich so gerne in Uni-Aufführungen von Opern gehe, weil da sicher nicht immer den perfekten Ton und die perfekte Technik zu erleben ist, aber man hört Leidenschaft und Enthusiasmus. Beim Rest man muss ein bisschen differenzierter urteilen. Die Sänger der Nebenrollen sind oft gar nicht so unrecht, wie Daniel Ochoa, Niklas Mallmann oder etwa Anna Veith als Kammerzofe Laurina. Das Concerto de Basso ist ein Klangkörper, der auf historischen Instrumenten spielt und das zum Teil sehr delikat und auch die orchestralen Schönheiten herausarbeitet. Der Dirigent Franz Hauck brennt für Mayr. Er ist die Seele dieser Wiederentdeckung im deutschen Raum. Aber er klingt eben auch oft sehr deutsch im nicht so schmeichelnden Wortsinne. Was für mich für mich das eigentliche Problem ist: sehr akademisch, sehr am Notenpult klebend, sehr humorlos. Man hat immer das Gefühl, sein Mayr ist nie aus Bayern rausgekommen. Man glaubt Haug einfach nicht, dass bei Mayr in Mailand Venedig das Publikum ausgeflippte. Bei Hauk und Naxos klingt alles wie Stadttheater in Ingolstadt. Und da wurde ja auch aufgenommen.

Natürlich es gibt es partielle Schönheiten zu entdecken, es gibt liebevolle Detailversessenheit. Aber zu vieles klingt konzertant im schlechten Sinne. Es fehlt dieses Brio, diese Italianità, diese chaotische Leidenschaft, die diese Musik ja auch hat und haben muss. Insofern ist die Aufnahme zweifellos ein wichtiges Dokument, und ich tue mich schwer, sie zu verreißen, weil ich den Komponisten so gerne mag. Und eigentlich ja auch Franz Haug, weil wir sonst Mayrs Werke gar nicht hören könnten. Aber vieles bleibt dann doch über Strecken viel zu langweilig. (Naxos 3 CD 8.660523-25). M. K./G. H.