Romantik pur

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Joseph von Eichendorff gehört zu den am häufigsten vertonten deutschen Dichtern. LiederNet, die Onlinedatenbank, die sich ausschließlich dem Liedgesang widmet, weist ganz konkret 1640 Kompositionen in dieser Kategorie nach, die sich auf 340 Texte des Romantikers, der von 1788 bis 1857 lebte, beziehen. Es sind die großen Namen der Zunft dabei. Neben Schumann, Brahms, Mendelssohn, Strauss, Pfitzner, Mendelssohn, Wolf finden sich Cornelius, Franz, Marschner, Thuille, Korngold, Sommer, Lassen, Schoeck oder Eisler. In der Datenbank wird auch Friedrich Kiel geführt, der erst im CD-Zeitalter zu neuen Ehren kam. Der 1885 in Berlin gestorbene Kiel war in seiner Zeit ein sehr angesehener Musikpädagoge, der selbst komponierte. Der Tenor Georg Poplutz hat ihn für sich entdeckt. Für seine bei Spektral erschienen CD Nur über uns die Linde rauscht (SRL4-22198) berücksichtigte er mit „Sage mir, mein Herz, was willst Du?“ und „Bist Du manchmal auch verstimmt“ zwei Lieder aus Opus 31. Sie sind ausgesprochen hörenswert – pointiert und prägnant in der Ausführung. Als nähmen sie musikalische Ausdrucksformen von Hugo Wolf vorweg, von dem fünf Lieder, darunter Der verzweifelte Liebhaber, zu hören sind.

Besonders interessant wird es, wenn dieselben literarischen Vorlagen von unterschiedlichen Komponisten vertont worden sind. Im Programm gibt es dafür ein Beispiel-Gedicht: „Es weiß und rät es doch keiner“ von Felix Mendelssohn, welches in Robert Schumanns Liederkreis op. 39 unter dem originalen Titel Die Stille auftaucht. Es gehört zu den besonders oft in Noten gesetzten Werken Eichendorffs. Die von Mendelssohn gewählte komplette Fassung bewahrt formal mehr Eigenständigkeit, während sich das von Schumann um den dritten Vers gekürzte Gedicht gedanklich nahtlos in den Zyklus einfügt, der den Mittelpunt der Neuerscheinung bildet und auch so platziert ist. Der Sänger und sein Pianist Rudolf Lutz sind hörbar bemüht, auf den Liederkreis nicht mehr künstlerischen Enthusiasmus und Hingabe zu verwenden als für das übrige Programm. Die Heraushebung ergibt sich ganz von selbst durch die Genialität des Werkes. Zur Dramaturgie der Einspielung, die in Kooperation mit dem Deutschlandfunk erfolgte, gehört es wohl auch, dass der Liederkreis von zwei ausgesprochenen Meisterwerken eingerahmt ist – und zwar von Schumanns Der frohe Wandersmann und von Mendelssohns Nachtlied. Das passt ganz ausgezeichnet.

Der Außenseiter Friedrich Theodor Fröhlich folgt weiter hinten. Der 1803 geborene schweizerische Romantiker, der in Berlin bei Zelter studierte und auch mit Mendelssohn bekannt war, fühlte sich nach der Rückkehr in seine Heimat künstlerisch nicht genug gewürdigt hatte auch mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Er schied 1835 freiwillig aus dem Leben. Sein Lied Das zerbrochene Ringlein, das mit einer der berühmtesten Zeilen, nämlich „In einem kühlen Grunde“ beginnt, hat eine eingängige Melodie, die aber durchaus auch auf andere Verse passen würde. Die Magie, die selbst aus der zum Volkslied mutierten Weise entspringt, der Pastor und Komponist Friedrich Glück (1793-1840) dazu erfand, bleibt Fröhlich schuldig.

Der Literaturwissenschaftler und Autor Rüdiger Safranski sieht in Eichendorff nicht den „Dichter der Heimat, sondern des Heimwehs, nicht des erfüllten Augenblicks, sondern der Sehnsucht, nicht des Ankommens, sondern der Abfahrt“. Das macht ihn offenbar auch für zeitgenössische Komponisten anziehend. Die neue CD stellt diese Aktualität heraus indem ein Bogen von der Romantik in die Gegenwart gespannt wird. Der musikalisch sehr vielseitige Rudolf Lutz aus der Schweiz, der Poplutz am Klavier begleitet, ist auch als Komponist hervorgetreten und hat Eichendorff-Gedichte vertont. Zu hören sind zwei einzelne Lieder, eine Bearbeitung seines schon erwähnten Landsmanns Fröhlich sowie als Finale ein Zyklus aus sieben Liedern. Sie vertragen sich stilistisch sehr gut mit dem übrigen Programm, ohne dass sie kompositorisch angepasst sind. Vielmehr scheint sich Lutz tief in die Gedankenwelt Eichendorffs eingelassen zu haben und hat musikalisch heraufbefördert, was die Zeiten überdauert hat. Sein Sänger ist ihm dabei mit seiner Sensibilität und genauen Aussprache sehr behilflich. Alle Texte sind im Album abgedruckt worden. Elisabeth Binder hat ihrem lesenswerten „kleinen Versuch über Joseph von Eichendorff“ den Titel Wozu Dichter in „gnadenloser Zeit“ gegeben. Einen Text zu den Liedern von Lutz steuerte Ingo Müller bei. Rüdiger Winter