Ein ungemein faktenreiches wie kämpferisches Buch mit dem Titel Oper in Berlin – Heiß umkämpft und stets unter Feuer hat Berlins wandelndes Opernlexikon mit deutlicher Richtung zum Vergangenen, Einhard E. Luther, geschrieben und lässt den feurigen Titel durch ein ebensolches Cover unterstreichen: die jetzige Staatsoper inmitten hoch in den Himmel lodernder Flammen. Das ist nur einer der vielen Theaterbrände, dem auch das jetzige Konzerthaus am Gendarmenmarkt und die Kroll-Oper bereits im 19. Jahrhundert zum Opfer fielen, ehe der 2. Weltkrieg sie zu Ruinen werden ließ. Allerdings liest der Berliner mit Staunen, wie schnell damals wieder aufgebaut wurde, meistens sogar ohne wesentliche Verteuerungen oder Verzögerungen während der Wiederherstellung (Foto oben: Ruine des königlichen Opernhauses Berlin, 1843, Aquarell von Johann Karl Jakob Gerst, ohne Jahr; Staatliche Museen zu Berlin/Preußischer Kulturbesitz/Wikipedia) .
Von 1700, als Königin Sophie Charlotte sich in Lützenburg (heute Charlottenburg) als Theatergründerin betätigte, bis zum Jahr 1851, als Botho von Hülsen Intendant der „Königlichen Schauspiele“, d.h. von Hofoper Unter den Linden und Nationaltheater am Gendarmenmarkt, wurde, reichen Luthers Untersuchungen, die eine Fülle von Material bieten, seien es Darstellungen der Geschichte dieser beiden und weiterer Opernbühnen, zeitgenössische Kritiken und andere Quellen wie Briefe oder Denkschriften, seien es Figurinen, Bühnenbildentwürfe, Theaterposter, Besetzungszettel, Grundrisse der Opernhäuser oder unzählig viele Portraits von Intendanten, Komponisten, Dirigenten und Sängern – auf jeder Seite findet sich mindestens eins davon, meistens sogar mehrere. Das erleichtert es auch erheblich, einigermaßen den Überblick über die Materialfülle zu behalten. Der Autor geht im wesentlichen chronologisch vor, verweilt aber hin und wieder auch bei dem einen oder anderen Opernhaus, um größere Zusammenhänge herzustellen. So ergeht es dem Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in der Schumannstraße oder der Kroll-Oper, die als Gartenetablissement gegründet wurde und nach dem Reichstagsbrand diesen als Sitz des Parlaments ersetzen musste. Luthers besonderes Augenmerk gilt dem Königsstädtischen Theater am Alexanderplatz, einer privaten Gründung, die von italienischen Operntruppen bespielt wurde, die nicht selten parallel zur Hofoper Opern in der Original- oder in Italienischer Sprache aufführten, während die Hofoper, die tatsächlich dem Hof vorbehalten war, sie in deutscher Sprache spielte. So gab es gleichzeitig am Alexanderplatz Il Profeta, während man Unter den Linden Der Prophet spielte.
Hart geht Luther mit der Festschrift zum zweihundertfünfzigjährigen Bestehen der Staatsoper von 1992 ins Gericht, die den Titel „Apollini et Musis“ trägt und der er zahlreiche Irrtümer und Versäumnisse nachweisen kann. Auch wenn man seine Angaben kaum im Detail überprüfen kann, wirken sie überzeugend und durch umfangreiches Quellenstudium fundiert. Daß political correctness nicht vor Operngeschichte halt macht, versucht er an der Beurteilung der „Zusammenarbeit“ zwischen Intendant Heinrich Küstner und seinem (für wenige Jahre) Generalmusikdirektor Meyerbeer fest zu machen. Demnach wurden dem gewissenhaften Intendanten allerlei Versäumnisse angedichtet, während der seine Pflichten eher großzügig auslegende Dirigent nach Kräften für etwas gelobt wurde, was das Verdienst des Kollegen war. Vorsichtshalber zitiert Luther einen antisemitischen Ausspruch Spontinis, ebenfalls Dirigent Unter den Linden, nur im französischen Original.
Die Geschichte der beiden königlichen und der privaten Opernhäuser wird minutiös nachgezeichnet, das Buch hat hier durchaus Lexikonwert, ist vielleicht als Nachschlagewerk noch besser zu gebrauchen denn als fortlaufende Lektüre, bei der die Überfülle des Materials ermüden und der Leser den Faden verlieren kann. Der beginnt zu überlegen, ob nicht eine andere Gliederung, so nach Opernhäusern, zu mehr Übersichtlichkeit verholfen hätte. Andererseits ginge dadurch das ständige Vergleichen der Entwicklung, das Einandergegenüberstellen verloren. Immerhin ist der Text nicht zu knapp auch mit pikanten Anekdoten gewürzt, die die Lektüre nicht nur gewinnbringend machen, sondern auch den Leser erheitern. Auch viele Lebenswege damals berühmter Sänger machen das Buch unterhaltsam, wobei man über den häufig extrem frühen Karrierebeginn, das weitgespannte Repertoire und das frühe Karriereende und den frühen Tod der Sänger erstaunt und betroffen ist. Giuditta Pasta, Jenny Lind, Pauline Viardot sind nur einige der Namen, die eine Rolle spielen, so wie die Tänzerinnen Barberina und Taglioni.
Operngeschichte ist stets auch Sozial- und allgemeine Geschichte oder vielmehr ihr Spiegelbild. So lernt man auch viel über die preußischen Könige vom verschwenderischen Friedrich I., über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., unter dem es gar keine Oper in Berlin gab, den kunstsinnigen Friedrich II:, dessen „der Große“ Luther vehement verteidigt, seinen Neffen Friedrich Wilhelm II., den König Infinitiv Friedrich Wilhelm III. und schließlich Friedrich Wilhelm IV. Ihr Verhältnis zur Oper oder generell zur Kunst wirft ein scharfes Licht auch über darüber Hinausgehendes. Dabei erstaunt, dass Friedrich der Große nur deutsche Musik (Graun, Hasse) spielen ließ, weniger dass stets italienische und deutsche Oper im Clinch miteinander lagen. Erst allmählich setzten sich auch deutsche Sänger wie Henriette Sonntag in Berlin durch.
Auch die Opernhausarchitekten und die Szenographen Knobelsdorff, Langhans und Schinkel erfahren ihre Würdigung, und hätten die jetzigen Sanierer der Staatsoper sich rechtzeitig mit deren Wirken befasst, wären sie nicht über Grundwasserprobleme erstaunt gewesen.
Am Schluss des Buches wird vor der Bibliographie und dem Personenregister nicht recht deutlich, ob der Verfasser sein Werk fortsetzen will. Man wünscht es sich, nicht zuletzt auch eine Geschichte der Berliner Oper im zwanzigsten Jahrhundert, wo, schenkt man dem Autor Glauben, besonders viele Versäumnisse und Entstellungen in der Operngeschichtsschreibung zu vermuten sind.
Ingrid Wanja
Einhard E. Luther, Oper in Berlin – Heiß umkämpft und stets unter Feuer; 300 Seiten; Pro Business 2012; ISBN 978-3-86386-302-9