Vor und hinter dem Mikrophon

 

„Dich, teure Halle, grüß ich wieder“: Das DDR-Fernsehen hatte 1963 zum 150. Geburtstag Richard Wagners den um das Finale des ersten Aufzugs erweiterten Mittelakt des Tannhäuser ausgestrahlt. Gedreht wurde auf der Wartburg bei Eisenach, wo die Oper inhaltlich angesiedelt ist. Es war eine meiner ersten Begegnungen mit Wagner, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Nahezu photographisch hatte sich mir die Hallenarie der Elisabeth eingeprägt Getragen vom Fluss der Musik eilte sie durch einen langen Gang, der zu einer Seite von romanischen Säulen begrenzt ist, direkt auf mich zu. Damals dachte ich, sie müsse aus dem Bildschirm herauskommen. In all den Jahren, die seither verstrichen sind, habe ich immer mal wieder an diesen Tannhäuser-Film denken müssen. Wann und wo ich das Gespräch dazu suchte, niemand konnte sich daran erinnern. Sollte es den Film am Ende gar nicht gegeben haben? Es gab – und es gibt ihn! Auf der Wartburg wird er ganz offiziell als DVD aus dem Deutschen Rundfunkarchiv in Lizenz für Telepool angeboten.

Die DVD kann im Museumshop auf der Wartburg erworben oder bestellt werden.

Mich befiel leichtes Herzklopfen, als ich die Scheibe in den Player schob. Als würde man plötzlich etwas wiedersehen, was verloren schien. Ja, genau so war das mit der Elisabeth. Nur das Gemäuer ist nicht mehr so schäbig und verfallen. Die Wartburg glänzt heute, wie sie nie geglänzt haben dürfte. Die Handlung setzt mit dem Lied des Hirten ein, der im Gras an einem Stöckchen herumschnitzt. In der Ferne erklimmen die Pilger entschlossen den Berg hinauf zur Burg. Damals blühte der Mai im Fernsehen noch grau. Empfang in Farbe gab es in der DDR erst von 1969 an, zwei Jahre später als im Westen. Geräusche der Natur bleiben ausgespart. Kein Vogel zwitschert in dieser Landschaft. Nur etwas später, wenn die Sänger mit ihrem Gefolge in die Burg einziehen, klappern die Pferde mit ihren Hufen auf dem holprigen Pflaster. Ansonsten ist alles Musik, die aus der Konserve kommt. Es empfiehlt sich, sehr genau hinzuhören. Der Hirt ist auf der Besetzungsliste und auch im Abspann nicht genannt. Wer sich einigermaßen auskennt, wird auf Anhieb die Stimme von Maria Croonen identifizieren, die an der Oper in Leipzig ihre größten Erfolge im lyrisch-dramatischen Fach feierte. Nicht aber die Person. Die Croonen sah ganz anders aus. Spätestens dann, wenn Tannhäuser ins Bild tritt und sein „Allmächt’ger, dir sei Preis“ mit inbrünstiger metallischer Wucht herausschleudert, dämmert es, dass dem Film eine ganz bestimmte Aufnahme des DDR-Rundfunks untergelegt wurde. Kein Zweifel, es ist die Stimme des Heldentenors Ernst Gruber, der bis zu seinem Tod 1979 an der Berliner Staatsoper wirkte, aber auch in Leipzig als Rienzi oder Lohengrin Eindruck machte. Sein etwas unbeholfen agierender Darsteller ist ein gewisser Wolfgang Nagel, der in der greifbaren Literatur und auch im Netz keine Spur hinterlassen hat. Elisabeth entpuppt sich stimmlich als Brünnhild Friedland, der Landgraf als Hans Krämer, Wolfram als Kurt Rehm und Walther von der Vogelweide als Gert Lutze.

Der Soundtrack des Films ist eine Produktion des DDR-Rundfunks aus Leipzig mit Ernst Gruber in der Titelrolle. Sie ist bei Walhall erschienen (WLCD 0222).

Die Aufnahme, bei der sich der Film akustisch bediente, war bereits 1954 in Leipzig entstanden und ist schon vor Jahren bei Walhall auf CD gelangt und noch zu haben (WLCD 0222). Sie bildet auch ein Kapitel deutsch-deutscher Musikgeschichte ab. Die Friedland verließ die DDR, kehrte 1970 zurück, um später Richtung Westen ausgewiesen zu werden, wo sie künstlerisch nicht mehr Fuß fassen konnte. Lutze, der Medizin studiert hatte, war als Quereinsteiger in Leipzig zunächst als Bach-Solist bekannt geworden, wirkte aber auch in zahlreichen Opernproduktionen für das Radio mit. In Operettenaufnahmen trat er unter dem Pseudonym Charles Geerd auf. Auch Lutze kehrte der DDR enttäuscht und genervt den Rücken und ließ sich später in Süddeutschland als Hautarzt nieder. Gestorben ist er 2007 im Alter von neunzig Jahren in München. Rehm, im Westteil Berlins zu Hause, blieb auch nach dem Bau der Mauer bei der Staatsoper unter Vertrag, wo er besonders in Verdi-Rollen geschätzt wurde. Als der Film entstand, war Geerd Lutze schon weg. Ist das ein Grund gewesen, warum die Sänger nicht genannt werden? Die DDR nahm schwer übel, wenn jemand ging. Oder wurde nach der damals noch immer verbreitete Praxis verfahren, bei Opernverfilmungen nur die Schauspieler, nicht aber die Sänger zu benennen? Und die sind bis auf eine Ausnahme nicht identisch mit den Darstellern. Hans-Peter Schwarzbach spielt und singt den Heinrich der Schreiber. Dieser Tenor hatte einen guten Ruf. Seine Glanzrolle war der David in den Meistersingern, den er auch in der Eröffnungsinszenierung der Berliner Staatsoper 1955 sang.

Und die anderen? Wieder einmal erweist sich das Buch „Richard Wagner in der DDR – Versuch einer Bilanz“ von Werner P. Seiferth als wichtige Quelle. Hajo Müller, selbst ein stimmgewaltiger Bass, den ich noch in Weimar gehört habe, mimt den Landgrafen, hätte ihn aber durchaus statt Hans Krämer singen können. Achim Wichert, der agierende Wolfram, ist in dieser Rolle auch in Leipzig auf der Bühne nachgewiesen. Das Double von Lutze als Walther ist Harald Joachim, der am Theater in Eisenach auftrat und dort später Regie führte. Evelyn Bölicke, die als Elisabeth so starken Eindruck auf mich junges Ding gemacht hatte und die am Ende auch richtige Tränen vergoss, tauchte 1964 in der Verfilmung von Offenbachs Ritter Blaubart durch Walter Felsenstein als Heloise wieder auf. Weil also die Schauspieler selbst Sänger gewesen sind, können sie bei der Synchronisation glaubhaft agieren. Deshalb kommt zunächst gar kein Gedanke daran auf, das jene, die spielen gar nicht singen. Genannt werden aber Rundfunkchor und das Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig unter der Leitung von Gerhard Pflüger, der bei Fritz Busch studierte und Generalmusikdirektor in Weimar gewesen ist.

Diese Produktion hat also ihren ganz eigenen Sammlerwert. Ihr anrührender Charme kann aber nicht über ein schwerwiegendes Manko hinwegtäuschen. Der Sängerkrieg findet nicht im großen Saal auf der Wartburg statt, der nach ihm benannt ist. Die Darsteller müssen sich in drangvoller Enge mit einem nicht näher bezeichneten Raum begenügen. Dadurch wirkt die Szenerie etwas schäbig und kleinkariert. Trotzdem ist diese DVD als durch und durch historischen Dokument zu empfehlen. Sie kostet weniger als fünf Euro und kann direkt im Museumsshop der Wartburg (https://shop.wartburg.de) bezogen werden. Rüdiger Winter

Das Foto oben ist ein Screenshot auf dem Film. Es zeigt Elisabeth bei ihrer Hallenarie. Dargestellt wird sie von Evelyn Bölicke, gesungen von Brünnhild Friedland.

  1. Kai Schwarzbach

    Mai 1963 kann ich bestätigen, zu den Aufnahmen auf der Wartburg bin ich geboren. Das mein Vater 1955 in Berlin den David gab ist mir neu. Aber 1953 hat er diese Partie bereits in Leipzig mit nur 28 Jahren gegeben. Das macht stolz.

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  2. Thomas Roth

    Wie man sieht, steht die Kunst (vor allem Wagners Kunst) immer über der dreckigen Politik, die alles spaltet, während die Kunst die Menschen vereint (die wahre Kunst, nicht die Gegenwartskunst) und die lebt, egal welches politische System herrscht, weil sie ja drüber steht…
    …und darüber steht die Religion.

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