Schlaglichter auf 50 Jahre Oper in Leipzig

Viel mehr nur als „Schlaglichter“ auf die Geschichte des einzigen Theaterneubaus der DDR, der Leipziger Oper, ist der gewichtige Band mit dem Titel Oper Leipzig- Schlaglichter auf fünf Jahrzehnte Musiktheater  (hersg. von Alexander von Maravic und Harald Müller bereits 2010; Verlag Theater der Zeit, ISBN 978-3-940737-81-6), denn er enthält neben zahlreichen Artikeln der künstlerisch, kaufmännisch oder technisch am Opernwerk Beteiligten unter dem Titel „Fünfzig Jahre neues Opernhaus“ auch noch die titelgebenden „Schlaglichter“ zur Hervorhebung einzelner Produktionen oder Persönlichkeiten, eine wie das gesamte Buch reich bebilderte „Chronik 1960 – 2010“ und einen Anhang mit Informationen über Autoren und Fotografen. Herausgegeben wurde das Werk von Alexander von Maravić  und Harald Müller nach einer Konzeption von Regina Brauer im Verlag Theater der Zeit. Die meisten Artikel sind nur in deutscher Sprache zu finden, einige, die man wohl für besonders wichtig hielt, gibt es zusätzlich in englischer Sprache.

Zu Beginn finden sich die unvermeidlichen Grußbotschaften, so die des Oberbürgermeisters, der darauf hinweist, dass Leipzig nach Venedig und Hamburg das älteste bürgerliche Opernhaus besaß, und der eine Brücke schlägt von den Meistersingern als Eröffnungsvorstellung 1960 zu denen des Jahres 2010. Als Präsident des Deutschen Bühnenvereins befasst sich Klaus Zehelein vor allem mit der Unsinnigkeit von Frageverboten, die ihm während eines Lohengrin bewusst wurde. Die Herausgeber informieren den Leser darüber, warum man nicht an dem ursprünglichen Plan festhielt, das 1943 nur teilweise zerstörte Haus wieder aufzubauen. Hier wie auch an anderen Stellen wird deutlich, wie sehr Leipzig und sein Opernhaus als typisch für deutsche und DDR-Geschichte stehen können.

Sehr interessant sind die Baugeschichte des Hauses und die seiner Vorgänger. Thomas Topfstedt schildert sie unterstützt von vielen wertvollen Fotos. Die Standortsuche, der Entwurf von Langhans für das erste „Neue Theater“, in dem zunächst drei Sparten miteinander konkurrierten, die Frage der Ausrichtung des Hauptportals, das ist alles nicht nur Theater- sondern stets auch politische Geschichte. Zwar ist der Titel des Buches eindeutig auf die Zeit nach dem Krieg bezogen, aber man ist dankbar über den Rückblick auf eine ruhmreiche Vergangenheit des Leipziger Opernlebens zumindest, was die Architektur betrifft, hätte sich aber auch einen zumindest kurzen auf die vielen Jahrzehnte, ja Jahrhunderte künstlerischen Wirkens gewünscht. Zu den Einsendern von Vorschlägen für den Neubau gehörte auch Hans Scharoun, und man weiß heute nicht, ob es von Vor- oder Nachteil war, dass die Wende in der Kulturpolitik just in die Zeit der Entscheidung für den Entwurf von Kunz Nierade fiel, für den in einem weiteren Artikel Michael Ernst eine Lanze bricht. Vieles an den Fotos von Fassade und Inneneinrichtung kann heute noch gefallen, anderes wie der an eine Betriebskantine erinnernde „Erfrischungsraum“ im Rangfoyer eher nicht. 1960 wurde das Notquartier Dreilinden jedenfalls verlassen, wo bereits am 20.7.1945 die erste Vorstellung nach dem Krieg mit einem Fidelio stattgefunden hatte.

Neben exklusiv für das Buch geschrieben Artikeln gibt es immer wieder auch Beiträge aus damaligen Zeitungen, Programmheften oder Festreden wie die von Karl Kayser (manchmal Kayer), die man als Ausdruck der damals notwendigen politischen Gratwanderung ansehen kann. Wohl zu keinem besonders günstigen Zeitpunkt fand das Interview mit Joachim Herz statt, der sich mit lapidar knappen Antworten begnügt, während Friedelind Wagners Brief mehr über deren Persönlichkeit als über das Leipziger Opernhaus aussagt. Aufschlussreicher ist da auf jeden Fall der Artikel von Lothar Wittke über die Ära Herz, dessen Absicht, sich „der Wahrheit des Vorgangs“ verpflichtet zu fühlen, nach Meinung des Verfassers von den Nachfolgern Günter Lohse und Uwe Wand genau so vertreten wurde. Ebenfalls eingegangen wird in diesem Beitrag auf die Generalmusikdirektoren Konwitschny, Schmitz, Neumann, Reuter, Bahner und Masur. Gespräche mit dem Tenor Helmut Klotz und dem Dirigenten Roland Seiffarth vervollständigen das Bild von dieser Epoche. Nicht ohne Missmut äußert sich Udo Zimmermann über seine Leipziger Jahre unter dem Titel „Was ist denn modernes Musiktheater“, wenn er, nach seinem Wunsch befragt, meint „ein unvoreingenommenes Publikum- was man in den seltensten Fällen bekommt.“ Während vor dem Mauerfall auffallend viel Slawisches im Repertoire auftauchte, waren es nach der Wende Stockhausen und Nono, dazu kamen Regiearbeiten von Konwitschny, Berghaus u.a. – inwiefern dies für einen erst durch Henri Mayer rückgängig gemachten Publikumsschwund verantwortlich war, ist natürlich kaum festzustellen, auf jeden Fall war die Reduzierung der Plätze des für Leipzig zu großen Hauses eine sinnvolle Maßnahme. Warum aus „Leipziger Oper“ „Oper Leipzig“ werden musste, erschließt sich weniger leicht.

Michael Ernst nennt sein Kapitel „Oper im Aufwind“  und bezieht sich dabei auf das Jahr 1990 und auf den Intendanten Udo Zimmermann, den er als „Opern-Zar“ bezeichnet. In manchmal etwas eigentümlicher Sprache ( „wohlfeiler Club der deutschen Opernkonferenz“,  Oper „in ein wichtiges Blickfeld gerückt“, „seine spezifischen Sichten auf das Repertoire zu deuten“) würdigt er Zimmermann als Komponisten wie als Intendanten. Aufschlussreich ist, dass Peter Korfmacher meint, Jiri Kout sei an Budget und Spielplan gescheitert, Hartmut Haenchen in Leipzig und Fabio Luisi in Berlin von Zimmermann nicht korrekt behandelt worden. Riccardo Chailly und Ulf Schirmer finden wie auch andere Dirigenten Erwähnung in diesem ungewöhnlich kritischen Artikel. Der bereits zitierte Henri Mayer äußert sich über „Sinnliches und intelligentes Theater“ und lässt durchblicken, was davon er für zu kurz gekommen ansah, wenn er sich „gute Sänger“ und „viel Publikum“ wünscht. Belcanto und Barock gelangen unter ihm ans Opernhaus, ein Semi-Stagione-System sorgt für Qualität. Regisseur Konwitschny nutzt seinen Beitrag für die übliche Kapitalismuskritik und für Geheimnisvolles über „Aida“; Ulf Schirmer lobt die besondere Qualität des Gewandhausorchesters. Nach einigen Interviews fällt auf, dass sich die Fragen an die für das Opernhaus Verantwortlichen oft wiederholen, was im Vergleich der Antworten aber durchaus auch interessant ist. Natürlich kommen auch die Vertreter von Ballett und Chor wie Kinderchor zu Wort.

In den „Schlaglichtern“ wird es persönlicher, so in den Beiträgen der Leipziger Primadonna Sigrid Kehl (vom Hirtenknaben in Tosca zur Isolde über viele Mezzopartien, von Elisabeth Breul und dem Chordirektor Hans-Jörg Leipold. Nostalgie prägt die Aussagen von Ursula Brömme, die bald nach dem Interview starb, Axel Köhler und Anna Tomowa-Sintow  äußern sich über ihre Arbeit in Leipzig. Natürlich kommen die zahlreichen Uraufführungen und der Ring nicht zu kurz. Wie hier Politik hinein spielte, zeigt sich bei der Rezeptionsgeschichte von Der letzte Schuss von Matthus nach dem Film Der Einundvierzigste: gedacht als eine Art Romeo- und Julia-Geschichte, muss das Stück als Propaganda für die Unversöhnlichkeit gegenüber dem Klassenfeind herhalten.  Die besondere Rolle von Kreneks Jonny spielt auf, der dies 1927, 1960 und 1990 tat, wird nicht vergessen, auch nicht die Kontroverse um Del Monacos Regie für den Trovatore, so wenig wie die Vorstellungen im Kellertheater, der Werkstattbühne der Leipziger Oper. Umfassender als dieses Buch mit dem bescheidenen Titel könnte kaum ein zweites sein., das gleichermaßen für den Opern- wie für den an Geschichte Interessierten eine spannende Lektüre ist.

Ingrid Wanja