Rossini-Feuerwerk

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Das Dramma giocoso L’Italiana in Algeri vom 19. Februar 2022 von Glossa stammt live aus dem Concertgebouw Amsterdam (GCD 921132, 2 CDs). Die Aufnahme bezieht ihren Stellenwert vor allem aus der Mitwirkung des Orchestra of the Eighteenth Century unter Leitung von Giancarlo Andretta. Das Klangbild des Mitschnitts ist sensationell, denn der Dirigent feuert das Orchester zu Atem beraubenden Tempi an. Lange hat man die Ensembles und Finali nicht derart sprühend und mitreißend gehört. Und das Orchester begeistert schon in der Sinfonia mit federndem Spiel und spannender Steigerung. Alle Sänger haben hohen Anteil an dieser faszinierenden Deutung, indem sie die Tempovorgaben des Dirigenten übernehmen und perfekt umsetzen. Ein Paradebeispiel ist das Settimino mit Stretta im 1. Finale, das sich von pianissimo getupften Tönen zu einem konfusen Wirbel und grotesken Nonsens-Lauten steigert, dabei Fahrt in prestissimo-Dimensionen aufnimmt.

In der Besetzung gibt es einen prominenten Namen – Vasilisa Berzhanskaya als Isabella, also der Titelrolle. Die Sängerin hat sich als Rossini-Interpretin bereits international einen Namen gemacht, und so waren an ihren Auftritt hohe Erwartungen geknüpft. Nach meinem Ermessen erfüllt sie diese nicht, klingt zu verhalten in der Tongebung und kann Vergleichen mit ihren illustren Rollenvorgängerinnen Marilyn Horne, Agnes Baltsa, Lucia Valentini Terrani und Ewa Podles nicht standhalten. Schon ihrer Auftrittskavatine, „Cruda sorte!“, fehlt es an Energie. Der Gesang ist delikat, das dunkle, herbe Timbre durchaus reizvoll – Vorzüge, die der Kavatine im 2. Akt, „Per lui che adoro“, gut anstehen würden, aber auch diese klingt wie vieles einfach nur markiert. Den besten Eindruck im Rahmen ihrer eigenen Interpretation hinterlässt sie mit bravouröser Koloratur in ihrem finalen Rondo ,Pensa alla patria“, dennoch hat man auch diese Nummer von anderen Sängerinnen noch weit eindrucksvoller gehört.

Eine Überraschung ist dagegen der junge Tenor Alasdair Kent als Lindoro, der schon in seiner Auftrittskavatine „Languir per una bella“ mit schmeichelndem Klang und zärtlicher Empfindung auf sich aufmerksam macht. Den schnelle Schlussteil der Nummer singt er mit Verve, geschmackvollen Verzierungen und auftrumpfenden Spitzentönen. In die Extremhöhe führt ihn die Kavatine „Oh, come il cor di giubilo“ und ist zudem höchst anspruchsvoll durch das vertrackte Zierwerk. Kent bewältigt diese Herausforderungen bravourös. Überzeugend besetzt ist auch der Mustafa, die andere zentrale Partie des Werkes, mit dem Bassbariton Ricardo Segel. Das köstlich sprudelnde Duettino mit Lindoro „Se inclinassi a prender moglie“ macht er gemeinsam mit dem Tenor zu einem hinreißenden Geschwindmarsch. Seiner Aria „Già d’insolito ardore nel petto“ gibt er mit prägnanter Koloratur und resoluter Stimmführung markantes Profil.

Auch in den beiden Baritonrollen der Oper, Haly und Taddeo, sind mit José Coca Lola und Pablo Ruiz solide  Interpreten zu hören. Letzterer kann in Taddeos Arie „Ho un gran peso sulla testa“ durch buffoneske Tonmalerei brillieren, ersterer in der Aria „Le femmine d’Italia“ gekonnt mit den hüpfenden Tönen jonglieren. Und er macht gemeinsam mit Lindoro und Mustafa das Terzett „Pappataci!“ zu einem großen Vergnügen.

Die Besetzung komplettieren die Sopranistin Lilian Farahani als Elvira und die Mezzosopranistin Esther Kuiper als Zulma. Sie und der Chor (La Cetra Vokalensemble Basel unter Leitung von Federico Sepúlveda) geben den Introduzioni zum 1. und 2. Akt markante Kontur. Und sie führen gemeinsam mit allen Interpreten das Finale II zu einem turbulenten Abschluss des singulären Werkes (14. 03. 23). Bernd Hoppe