Spätbarocke Sterne

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Amate stelle ist eine neue CD bei GLOSSA betitelt, welche  Arien für die gefeierte Barock-Primadonna Anna Maria Strada präsentiert (923536). Solistin ist die Sopranistin Marie Lys, spezialisiert im Barock- und Belcanto-Repertoire. Bekannt wurde sie in unseren Breiten durch ihre Mitwirkung in der Vivaldi-Edition von naïve. Die CD wurde im Oktober 2019 in Basel aufgenommen. Das Abchordis Ensemble musiziert unter Leitung von Andrea Buccarella mit starken Akzenten und inspirierenden Vorgaben.

Anna Maria Strada wurde 1703 in der Lombardei geboren und war in Venedig und Neapel engagiert, bevor sie Händel 1729 für seine Zweite Akademie in. London verpflichtete. Dort errang sie den Ruf, die beiden amtierenden und rivalisierenden Diven Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni sogar noch zu übertreffen. Ihre Virtuosität, die Stimmqualität und der lyrische Ausdruck waren legendär. 1737 kehrte sie nach Italien zurück und wurde am berühmten Teatro San Carlo in Neapel engagiert. Das Institut widmete seine Weihnachtsproduktion des Jahres 1740, Porporas Zenobia, Stradas Abschied von der Bühne. Erstmals übernahm die Diva in dieser Aufführung eine Rolle en travestie, dementsprechend wurde der Titel der Oper als Hommage an sie in Tiridate geändert. 1775 starb die Sängerin im Alter von 72 Jahren in Neapel.

In der Programmfolge von zwölf Arien finden sich einige bisher unveröffentlichte Titel. Den Beginnt markiert jene Vivaldi-Oper, welche die Strada in ihrer Karriere als erstes Werk dieses Komponisten interpretierte: La verità in cimento. Daraus erklingt eine Aria der Rosane, „Con più diletto il mio Cupido“, welche eine Alternative für ihr „Solo quella guancia bella“ darstellt. Mit ihren Koloraturkaskaden ist sie von hohem Anspruch und Marie Lys meistert diesen bewundernswert. Der Sopran ist kraftvoll, hell und klar, im Timbre vielleicht nicht unbedingt memorabel, aber sein virtuoses Vermögen ist außerordentlich. Die zweite Nummer stammt aus Domenico Sarros Tito Sempronio Gracco. Es ist die Eingangsarie der Erminia, „Se veglia, se dorme“, welche Strada 1725 in Neapel sang. Dies ist ein empfindsames Legato, das langen Atem und verinnerlichten Ausdruck verlangt. Der dritte Titel ist der erste aus der Feder von Händel, die Aria der Adelaide, „Scherza in mir navicella“, aus dem Lotario, welche Stradas Debütrolle in London markierte. In dieser stürmischen Aria di bravura kann die Solistin der CD erneut mit virtuosem Zierwerk glänzen.

Den Höhepunkt von Stradas Londoner Wirken stellt die Titelheldin in der Alcina dar (1735), aus der Marie Lys die Aria „Ah! Mio cor!“ Interpretiert. Sie verlangt im Gleichmaß Pathos und den Ausdruck seelischen Leids, was Lys beeindruckend gelingt. Dramatischen Aplomb erfordert die Aria der Tusnelda, „Scaglian amore e sangue“, aus Arminio, die Strada 1737 sang, bevor sie nach Italien zurückkehrte. Lys demonstriert hier leidenschaftlichen Zorn und stupende Sicherheit in den Spitzentönen.

Zu den großen Meistern der Italienischen Barockszene zählt Leonardo Vinci, in dessen Eraclea die Strada 1724 die Partie der Flavia sang.  Deren Aria im 1. Akt, „Il ruscelletto amante“, singt Lys bezaubernd kokett und rhythmisch sehr akzentuiert.

Ein anderer Vertreter des Barock ist Leonardo Leo, aus dessen Schaffen sogar drei Beispiele ausgewählt wurden. Aus Achille in Sciro (1740) erklingen zwei Arien – aufgewühlt „Non vedi tiranno“ und expressiv „No, ingrato, amor non senti“, aus Zenobia in Palmira (1725) Aspasias vehementes „Quando irato il ciel“. Es war diese die bedeutendste Partie der Strada in Neapel, wo sie an der Seite von Farinelli brillierte.

Ergänzt wird die Sammlung durch Emirenas mit Koloraturen gespicktes „Infelice in van mi lagno“ aus Baldassare Galuppis Adriano in Siria (1740) und deren empfindsames „Oh, Dio, mancar mi sento“ aus Giovanni Alberto Ristoris Vertonung des Stoffes (1739). Die letzte Nummer stammt aus Nicola Porporas Tiridate, jenem Werk, das die Strada 1740 bei ihrem Bühnenabschied in Neapel interpretierte. Die kantable Aria des Titelhelden, „Vi conosco amate stelle“, welche dem Album den Titel gab, zeugt noch einmal von der starken Ausdruckskraft und dem virtuosen Vermögen der legendären Sängerin und beweist auch die Meisterschaft der aktuellen Interpretin, die hier mit delikaten Trillern und kunstvollen Verzierungen aufwartet (14. 03. 23). Bernd Hoppe