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Was erwartet der Leser von einem Buch mit dem Titel Diva in violett glänzenden Lettern, das zudem nach den Untertitel Eine etwas andere Opernverführerin trägt? Dazu gibt es das Konterfei einer durch eine Maske lugenden Dame in festlicher Gewandung. Glamour, Erotik, Begeisterung, aber auch fundiertes Wissen um das, zu dem man verführen will, sollten sich doch wohl auf den 425 Seiten vereinen, doch zumindest nach einer kursorischen Lektüre dürfte das Ergebnis der Lektüre beim Opern-Nichtkenner Verwirrung breit gemacht haben, beim Kenner jedoch ein zunehmender Verdruss wegen der mal feministischen Einseitigkeit, mal der Fixiertheit aufs Religiöse und der mangelnden musikalischen Kenntnisse der Autorin Barbara Vinken.
Bereits beim Lesen der Einleitung stößt man auf geheimnisvolle Begriffe wie den der „Maria-Theresia-Klammer“, auf eine „nobilitierte Cavalleria rusticana“, die doch eigentlich nur „Bauernehre“ bedeutet, auf die Behauptung, Oper sei eine „raffiniert witzige Reflexion auf Geschlechterkonstellationen“, Kastraten stellten die „Ent-Naturalisierung der Geschlechterrolle“ dar, wo doch ihr bedauernswertes Schicksal zunächst einfach einmal Folge des Verbots weiblicher Mitwirkender im Kirchengesang war.
Ärgern kann man sich über Fehler und unbeweisbare Behauptungen wie die Zuordnung Cherubinos und Octavians zu den Sopranen, auch dadurch werden sie nicht „engelhaft“, es sei denn, man könne Engeln einen ausgeprägten erotischen Appetit nachsagen. „Selbstherrliche Dummheit“ wird den Tenorpartien nachgesagt, und so scheint es nur folgerichtig zu sein zu behaupten, „keinem wird so übel mitgespielt wie dem Tenor“, „Männlichkeit wird auf der Opernbühne fast durchgehend lächerlich gemacht“. Aber auch andere Stimmfächer bekommen etwas ab, wenn dem Conte Almaviva ein „rumbrüllender Bariton“ angedichtet wird. Hin und weg ist er Leser, wenn ihm mitgeteilt wird:“Die Oper arbeitet an der Re-Interpretation und Umbesetzung des Opfertodes Christi“.
Der Block „Vorspiel“ ist drei Mozart-Opern gewidmet, beginnend mit Le Nozze di Figaro. Verstört nimmt der Leser zur Kenntnis, dass der brave Figaro „aristokratische Eleganz“ verkörpere, zudem ein „frivoler Strippenzieher“ sei, dass der Leser sich einer „Fehllektüre“ schuldig mache, wenn er annehme, Figaro sei ein Vorbereiter der Revolution. Dafür hat er aber Don Curzio ein „Kuckucksei ins Nest gelegt“, was natürlich bisher noch von niemandem bemerkt wurde. Es gibt ungeheuer viele Zitate aus zeitgenössischer Literatur, fast gar nichts über die Musik, die in einer Oper doch eine gewisse Rolle spielt. Über die des Figaro weiß die Autorin lediglich zu sagen, Cherubino sei „die Inkarnation der schmelzenden, weichen Musik“. Damit nicht genug. „Mit Cherubino steht und fällt das Patriarchat und die Geschlechtsidentität.“ Schließlich versteigt sich die Verfasserin noch zu der unbewiesenen und unbeweisbaren Behauptung, dass im Figaro weniger das Ancien régime kritisiert werde als das republikanische Bürgertum. Cherubino aber verkörpere die „Durchkreuzung der binären Geschlechtsidentität“. Wenn das nicht zur Oper verführt! Zumindest in diesem Kapitel wird nicht vom Werk ausgegangen, sondern diesem eine wohl nicht wenigen Lesern als recht seltsam anmutende Weltsicht übergestülpt. Zumindest zum Weiterlesen wird er damit nicht verführt.
Aber das Kapitel über Tosca soll einen zweiten Versuch, sich verführen zu lassen, wert sein. Immerhin wird durch die Betitelung mit Nicht von dieser Welt: Göttliche Stimmen die Hoffnung geweckt, man würde nun etwas über den Zauber der Musik erfahren. Zufrieden stimmt erst einmal, dass die deutsche Übersetzung der Arien eine wörtliche ist und nicht wie im Kapitel über Cavalleria rusticana die unsägliche in deutschen Opernhäusern bis zur Umkehr zu Aufführungen in Originalsprache praktizierte.. Über viele Seiten hinweg beschränkt sich die Autorin auf eine ausführliche Paraphrase, gemischt mit Zitaten aus anderer Sekundärliteratur, mit vielen Rückgriffen auf die Geschichte bis hin zu Virginia und Lucrezia als anderen Beispielen für heroisch handelnde Römerinnen. Schon komisch ist der Hinweis darauf, dass Mario Cavaradossi sein Schicksal bereits in seinem Namen, dem cadavere verwandt, trägt. Cavare heißt Ziehen oder Herausnehmen, da wären der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Außer der Architekturgeschichte der drei Handlungsplätze spielt natürlich die Schlacht von Marengo eine Rolle, richtig erkannt, aber falsch ist, dass hier ein Sieg Napoleons über die Heilige Allianz gefeiert wurde. Die wurde erst 1815 nach dem Sieg über Napoleon gegründet. Neben solchen Ungenauigkeiten erschrecken auch immer wieder Sätze wie „Das römische Erbe der Bürgerkriege hat die verspätete Geburt einer geeinten Nation heimgesucht.“
Lange muss man auf kurze Bemerkungen zur Musik warten, findet man eine, dann ist auch die eher verstörend wie: „harmonisch verbindend ist auch die weichgefügte, strömende Melodieführung“, nicht weniger der den Seelen angedichtete „umschlungene(n), sphärische(n) Flug“.
Obwohl sicherlich die größte Sympathie Puccinis dem Freigeist Cavaradossi galt und nicht der frömmelnden Tosca, stellt Vinken das Tosca-Kapitel unter einen religiösen Überbau, wenn sie unter anderem im zweiten Akt die „Perversion der eucharistischen Wandlung“ sieht, in der aus Wein Blut und aus Brot „gefoltertes Fleisch“ wird.
Dass dieses Buch den Leser dazu verführt, sich der Gattung Oper zuzuwenden, darf bezweifelt werden, dass er sich von der Oper abwendet, wenn er noch mehr davon liest, ist zu befürchten (Klett-Cotta 2023; ISBN 978 3 608 11938 1). Ingrid Wanja