Halbszenisch und voll musikalisch

 

Wesentlich mehr Freude als an der Calixto-Bieito-Traviata einige Jahre zuvor dürften die Hannoveraner 2016 an der unter einer Glaskuppel hinter dem Rathaus ihrem Tode entgegen fiebernden Violetta gehabt haben, während die des katalanischen Regisseurs mit einem höhnischen „Oh, gioia“ kerngesund und mit Taschen voller Geld die Bühne des Opernhauses verlassen hatte. Halbszenische Aufführungen scheinen zunehmend in Mode zu kommen, denn sie setzen die Regie nicht dem Vorwurf aus, sich nichts Revolutionäres haben einfallen zu lassen, und bewahren das Publikum davor, sich fragen zu müssen, ob ihm wirklich die Oper geboten würde, die auf dem Spielplan stand.

2000 Zuschauer konnten im vergangenen Jahr (2017 gab es Rigoletto) auf Stühlen vor der Bühne, weitere 20 000 am Masch-See picknickenderweise am von Gudrun Schröfel geschickt arrangierten Opernspiel teilnehmen, festlich verhielt sich auch der Park mit einem schüchternen Feuerwerk beim Fest im ersten Akt, und die Lichtregie bezog sogar den prächtigen Bau des Rathauses in die Produktion mit ein. Einige Möbelstücke wie Spiegelkommode („Come son mutata“), Kandelaber, Schreibtisch oder Lagerstätte geben den Sägern die Möglichkeit zum sinnvollen Agieren. Die Dirigentin Keri-Lynn Wilson geht gemeinsam mit der NDR Radiophilharmonie sorgsam mit ihnen um und steuert außerdem zwei sensible Vorspiele zum gelungenen Abend bei, und das Schlussduett Violetta- Alfredo wird mit aufgemachten Strichen gesungen.

Ein hochkarätiges Sängertrio ist der Garant für eine auch den DVD-Betrachter in ihren Bann ziehende Aufführung. Thomas Hampson hat mit dem Padre Germont seine beste Verdi-Partie gefunden, legt ihn als zunächst wie einen Finsterling und Wüterich strafenden Racheengel an, findet in seinen Zweifeln zu immer  differenzierterer Haltung, und ist für „Di provenza il mar“ ein die Klischees meidender Interpret, der zur Cabaletta zusätzlich noch viel szenische Aktion bietet. Nur beim ersten Registerwechsel sind Unsicherheiten hörbar, sein Eingreifen im zweiten Teil des zweiten Akts ist von großer vokaler Autorität und Legato und Phrasierung die eines Italieners.

Einen auch optisch sehr überzeugenden, jungenhaften Alfredo spielt der sardische Tenor Francesco Demuro mit noblem Timbre, fein abgedunkelten Spitzentönen und perfektem canto elegiaco. Die Diktion ist beispielhaft, und zu allem Guten kommt noch eine nach oben gesungene Cabaletta.

Geschmackssache dürfte das Timbre von Marina Rebeka sein, einer Lettin, in deren Sopran doch auch Slawisches mitschwingt, die recht nuancenlos beginnt und den hohen Ton am Schluss des ersten Akts vermeidet. Sie ist eine Violetta-Spezialistin, auch als Einspringerin in dieser Rolle gern gesehen und oft gefordert, und im Verlauf des Abends werden Spiel und Gesang auch immer variationsreicher wie die Abendkleider, von denen das erste durchaus an das Zweite Kaiserreich erinnert. Ein sehr schönes Piano hat der Sopran für „Dite alla giovine“, feine Schwelltöne und ein zu Herzen gehendes „Amami, Alfredo“, und sehr agogikreich gelingt „Addio del passato“, so dass man auch die zweite Strophe noch gern hört, und die Dumpfheit des „Ma se tornando“ ist gewollt und besonders eindrucksvoll.

Einen angenehmen Mezzosopran zeigt Sharon Carty als Flora, spitz bleibt Ania Vegry als Annina, Bassbalsam verströmt Martin-Jan Nijhof als Doktor Grenvil.

Obwohl nur halbszenisch und obwohl nur DVD, erreicht diese Traviata das Herz des Konsumenten und stellt den Kritiker zufrieden. Weiter so, auch 2018 (Naxos 2.110568). Ingrid Wanja 

 

In diese musikalische Lobeshymne stimmte auch der Rezensent des Rigoletto 2017 in operalounge.de ein!