An den großen Opernhäusern und bei internationalen Festspielen hat er Mozart, Verdi und Wagner gesungen. Jetzt ist Wolfgang Schöne bei den Stauferfestspielen im baden-württembergischen Göppingen vom 12. bis 20. September 2014 der Sittenwächter Conte Carnero im Zigeunerbaron. Hanns-Horst Bauer unterhielt sich mit dem Bariton über Rollenwechsel, Marktwert und das Singen im Alter.
Sie singen nach Ihrer glanzvollen internationalen Karriere als Opern- und Konzertsänger bei den Stauferfestspielen in Göppingen den Conte Carnero im Zigeunerbaron von Johann Strauß. Wie kam es dazu? Meine Frau spielt hier schon die ganzen Jahre als Geigerin im Orchester mit. So habe ich natürlich alle bisherigen Aufführungen gesehen und mich auch immer wieder mit den Beteiligten unterhalten. Man wusste also von mir. Und Sabine Layer, die Dirigentin des Zigeunerbaron, kenne und schätze ich seit Jahrzehnten. Wir haben Liederabende zusammen gemacht und auch Oratorien aufgeführt. Sie hat mich einfach gefragt, ob ich nicht Lust hätte, da mal mitzumachen. Und ich hatte Lust. Ich mache das einfach aus Spaß. Solistisch zu singen habe ich in dieser Partie, mit Ausnahme eines kleinen Couplets und den Ensemble-Szenen, nicht so viel. Für mich als Drahtzieher der Handlung, ich bin der Vorsitzende der Sittenkommission, steht mehr der gesprochene Text im Vordergrund. Aber es ist ja nicht meine erste Operette. Den Dr. Falke in der Fledermaus habe ich natürlich schon oft gemacht, in Paris, Barcelona und an anderen großen Häusern.
Welche Bedeutung haben Ihrer Ansicht nach solche regionalen Festspiele, von denen es ja viele in Deutschland gibt? Am Anfang war ich, ehrlich gesagt, schon ein wenig skeptisch. Aber nach den ersten Aufführungen war ich total begeistert vom enorm großen Publikumsinteresse und natürlich von der sängerischen, musikalischen und szenischen Qualität. Fasziniert hat mich aber auch, wie hier Chöre, Schulen und Vereine aus der Region eingebunden werden und so eine Identität für das Publikum schaffen. So etwas muss man unterstützen, ohne dabei auf den eigenen Marktwert und die Gage zu schauen. Das dürfte den anderen Solisten, unter Ihnen übrigens auch mein früherer Stuttgarter Bassbariton-Kollege Karl-Friedrich Dürr als Schweinezüchter Zsupan, genauso gehen. Ich freue mich richtig drauf.
Sie waren bis 2005 festes Ensemblemitglied der Stuttgarter Staatsoper. Wie sieht Ihr sängerischer Alltag heute aus? Auch nach meinem offiziellen Abschied von Stuttgart habe ich permanent weiter gesungen. Und ich singe auch jetzt noch regelmäßig nicht nur Konzerte, sondern auch Oper, zuletzt etwa den Musiklehrer in Ariadne auf Naxos in Hamburg oder den Arkel in Pelléas und Mélisande in Essen und erst kürzlich auch in Nantes und Angers.
Mit 74 noch auf der Bühne stehen zu können, was bedeutet das für einen Sänger? Bekommt man da noch reizvolle Offerten? Für mich ist das Gott sei Dank kein Problem. Ich werde immer noch von den Agenten angeboten. So singe ich demnächst auch wieder den wunderbaren Elias von Mendelssohn oder die h-Moll-Messe von Bach. Ich habe also noch zu tun in den Bereichen, in denen ich immer gesungen habe. Und ich hoffe sehr, dass das auch noch eine Weile so geht. Meine Frau wäre sicher die Erste, die mir sagen würde, wenn es Zeit zum Aufhören wäre. Meistens merkt man das selber ja nicht so schnell, oder man will es einfach nicht wahrhaben.
Woran liegt es, denken Sie, dass Sie immer noch stimmlich souverän in Oper und Konzertsaal auftreten können? Das ist schwer zu erklären. Aber es ist sicher sehr viel Glück dabei, wenn man sein 50jähriges Singjubiläum feiern kann. Das ist schon die Ausnahme und bei Baritonen und Bässen wohl eher möglich als bei Tenören. Bei mir liegt es unter anderem wohl auch daran, dass ich relativ spät angefangen habe, hochgradig professionell zu singen. Zudem bin ich nie ein Risiko eingegangen und habe mir beim Rollenwechsel vom lyrischen über den Charakter- bis hin zum Heldenbariton verantwortungsbewusst sehr viel Zeit gelassen, sodass sich meine Stimme langsam weiter entwickeln konnte und nie beschädigt wurde. Zudem habe ich mir zwischen den einzelnen Produktionen immer wieder Pausen gegönnt. Den Hans Sachs in Wagners Meistersingern habe ich erst mit 60 in Hamburg zum ersten Mal gesungen. Heute wäre ein Sachs – die längste Männerpartie, die es überhaupt gibt – rein physisch natürlich nicht mehr machbar.
Plácido Domingo, exakt so alt wie Sie, singt jetzt große Bariton-Partien, wie zuletzt in Salzburg zusammen mit Anna Netrebko in Verdis Trovatore. Wie finden Sie das? Die physische Abnutzung des Stimmapparats ist durch die eigentlich unnatürlich hohe Lage bei einem Tenor sehr groß. Das kann man nicht so lange durchhalten. Abgesehen davon, dass Tenöre irgendwann nicht mehr glaubhaft als jugendliche Liebhaber auf der Bühne auftreten können. Dass Domingo jetzt Bariton-Partien singt, davon halte ich gar nichts. Natürlich kann er die Noten alle singen, aber er wird immer sein eigentlich nicht passendes Tenor-Timbre behalten. Die Stimme hat einfach nicht die Farbe, die er für eine Bariton-Rolle braucht, um auf der Bühne glaubwürdig zu wirken. Domingo bleibt auch bei noch so vielen „Baritönen“ immer ein Tenor, den ich persönlich kenne und sehr schätze.
Nun schlagen die Herzen der Opernfans bei den Männerstimmen in der Regel ja eher für Tenöre als für Baritone und Bässe. Fühlt man sich also solcher da nicht ein wenig in den Hintergrund gedrängt? Wenn man in Italien zum Essen geht, wird man im Hintergrund aus dem Lautsprecher nie eine Bariton-Arie hören, immer nur Pavarotti und Kollegen. Es ist nun mal so, dass die Tenor-Nummern populärer sind. Damit muss man leben.
Vor Ihrer Gesangskarriere waren Sie Volksschullehrer. Aktivieren Sie Ihre pädagogischen Erfahrungen auch für Gesangsunterricht und Meisterkurse? Ich habe mal ein Jahr lang aushilfsweise an der Musikhochschule Karlsruhe unterrichtet. Das habe ich zeitlich aber kaum mit meinem Beruf als Sänger auf die Reihe gebracht. Und Unterrichten ist, das muss ich ehrlich sagen, nicht so mein Ding. Deshalb habe ich auch nie an eine Professur gedacht. Allerdings gebe ich doch hin und wieder Einzelstunden.
Vom Lehrer zum Sänger – wie kam es zu dieser Entwicklung? Ich hatte beim Studium Musik als eines meiner Hauptfächer, und mein Professor hat mir geraten, einen Gesangslehrer zu suchen, da ich ihm im Chor aufgefallen war. Sehr zum Leidwesen meiner Eltern, die mich lieber weiter als Beamten mit sicherem Einkommen gesehen hätten. Das waren für mich nie zwei Welten, die nicht zusammenkommen können. Deshalb bin ich wohl auch als erfolgreicher Sänger immer völlig normal und nahbar geblieben, habe nie Starallüren gekannt. Dabei hatte meine Mutter einen wunderbaren, fast schon professionellen Sopran und hat mich schon früh in den Kirchenchor mitgenommen, wo wir um die Wette gesungen haben.
Wo und wie haben Sie in Sachen Oper Blut geleckt, wie man sagt? Einerseits beim Studium in Hamburg. Da wurde ich in die Opernklasse aufgenommen, wo wir einen ganz wunderbaren Lehrer hatten, der uns mimische Grundkurse vermittelt hat. Andererseits konnte ich bei den Eutiner Freilichtfestspielen als Ottokar in Webers Freischütz erste Bühnenerfahrungen sammeln. Dort habe ich auch den Grafen in Lortzings Wildschütz und den Escamillo in Carmen gesungen. So hatte ich von Anfang an einen Fuß in der Operntür.
Sie waren 33 Jahre lang nonstop Ensemblemitglied der Stuttgarter Oper. Woran erinnern Sie sich da besonders gerne? Ich habe in Stuttgart so wahnsinnig viele Partien gesungen, dass es schwer ist, da Highlights herauszugreifen. Ganz sicher gehören dazu alle Götz Friedrich-Inszenierungen, vor allem aber seine Frau ohne Schatten, in der ich den Barak gesungen habe. Das ist eine meiner Lieblingspartien geblieben, weil sie total auf meinen Charakter, meinen Leib und meine Stimme zugeschnitten ist. Götz Friedrich hat meine Laufbahn ganz entscheidend mitgeprägt. Er hat mich vom einfachen Sänger zum Darsteller gemacht.
So konnten Sie auch in einer außergewöhnlichen Glanzrolle als aufgedonnerte Mamm´ Agata brillieren… Ja, in Donizettis Viva la Mamma, der einzigen komischen Rolle, die ich jemals auf der Bühne verkörpert habe. Was war das für ein verrückter Spaß! Meine Rollen habe ich immer alleine gemacht, ganz ohne Korrepetitor. Ich lerne die Partien, lese jede Menge über die Oper und höre mir auch CD-Aufnahmen an. Dann mache ich mir ein ziemlich genaues Bild von der Figur, das ich nach Möglichkeit auch in die Regiearbeit einbringen möchte. Probleme gab es nur dann, wenn ich gemerkt habe, dass der Regisseur schlecht vorbereitet war. Und manchmal habe ich mich auch gefragt, wie ein Dirigent Karriere machen kann mit dem, was er den Sängern auf der Bühne und seinen Musikern im Orchestergraben bietet? Natürlich habe ich auch viele Dirigenten erlebt, die ganz wunderbar waren, Silvio Varviso in Stuttgart zum Beispiel, aber auch solche, die fast niemand gekannt hat, die keinen berühmten Namen hatten. Ähnliches erlebt man übrigens auch mit Sängern. Der große Name allein macht´s nicht. Es ist schon eigenartig und erschreckend, was da bis hinauf zu den großen Festspielen über Machenschaften, Agenten und Connections so manchmal läuft.
Oper wird heute mit großen Namen spektakulär und mit viel Hype vermarktet. Man denke nur an den Reisezirkus von Anna Netrebko, Rolando Villazón oder Jonas Kaufmann. Nutzt das dem Genre? Schaden tut es unserem Metier ganz sicher nicht. Zudem gab´s das ja schon immer. Man denke nur an die Begeisterung für die Drei Tenöre.
Biographie: Wolfgang Schöne wurde 1940 in Bad Gandersheim geboren, arbeitete zunächst als Volksschullehrer und studierte ab 1964 in Hannover und Hamburg Gesang, wo er 1969 sein Diplom als Konzertsänger und Musikpädagoge ablegte. Sein Debüt als Opernsänger hatte er 1970 bei den Eutiner Festspielen mit der Rolle des Ottokar in Webers Freischütz“ 1973 wurde er nach einem erfolgreichen Gastspiel als Guglielmo in Mozarts Così fan tutte an das Staatstheater Stuttgart engagiert, dem er bis 2005 als festes Ensemblemitglied treu blieb. 1978 wurde er dort zum Kammersänger, 2006 zum Ehrenmitglied ernannt. Schöne sang zu Beginn seiner Karriere zunächst das lyrische Bariton-Fach. Später kamen große Charakterpartien hinzu. Schließlich übernahm er auch die großen Wagner-Partien für Heldenbariton und wirkte bei zahlreichen Uraufführungen mit. Von 1974 bis 1993 sang Wolfgang Schöne regelmäßig an der Wiener Staatsoper und trat auch bei den Salzburger Festspielen auf. Gastspiele führten ihn zum Maggio Musicale nach Florenz, zu den Festspielen von Glyndebourne, an das Teatro La Fenice in Venedig, an das Gran Teatre del Liceu in Barcelona und an die Opéra Bastille in Paris. Wolfgang Schöne war auf der Konzert- und Opernbühne gleichermaßen zuhause und musizierte mit den führenden Orchestern der Welt, wie den Wiener und den Berliner Philharmonikern, den Orchestern von Chicago, Cleveland, Philadelphia und New York oder dem Concertgebouworkest Amsterdam. Dabei arbeitete er mit Dirigenten wie Georg Solti, Riccardo Muti, Zubin Mehta, Lorin Maazel oder Simon Rattle zusammen. Von der New York Times wurde er für „die Schönheit seines tiefen Stimmregisters und seine Ausdruckskraft“ gefeiert.
Alle Fotos: Hanns-Horst Bauer