Ein neues Image für Bach

Gemeinsam wollen sie der Internationalen Bachakademie Stuttgart (IBA)  behutsam ein neues Image verpassen. Mit dem neuen Akademieleiter Hans-Christoph Rademann und seinem Intendanten Gernot Rehrl sprach Hanns-Horst Bauer über Kultur, Wirtschaft und ein Wechselbad der Gefühle.

Ein Jahr ist es nun her, dass Sie die 1981 von Helmuth Rilling gegründete Internationale Bachakademie Stuttgart übernommen haben. Wie haben Sie sich „eingelebt“? Rademann: Ich bin schon etwas erstaunt, wie schnell dieses erste Jahr in Stuttgart vergangen ist. Das hat sicher mit den vielfältigen Aufgaben zu tun, die hier auf uns zugekommen sind. Das war für mich ein richtiger Sprint. Rehrl: Ich habe wieder einmal, trotz meiner fast 25-jährigen Erfahrung im Kulturmanagement, lernen müssen, dass Veränderungsprozesse einfach Zeit brauchen. Da ich ein ungeduldiger Mensch bin, dachte ich, so manches ließe sich schneller entwickeln. Aber es scheint uns zumindest geglückt zu sein, das klassische Bildungsbürger-Publikum, das bereits da war, mitzunehmen und zugleich neue Besucherschichten  anzusprechen.

Internationale Bachakademie Stuttgart:  Gernot Rehrl (links) u. Hans-Christoph Rademann/  Foto Boris Schmalenberger

Internationale Bachakademie Stuttgart: Gernot Rehrl (links) u. Hans-Christoph Rademann/ Foto Boris Schmalenberger

Wie haben Sie die nicht ganz einfache Übergangssituation, in der Helmuth Rilling sich bei der Wahl seines Nachfolgers übergangen und verletzt gefühlt hatte, gemeistert? Rademann: Auch wenn wir beide damit gar nichts zu tun hatten, war ich doch sehr erschrocken und gleichzeitig innerlich berührt. Aber ich habe mir dann klar gemacht, dass ich mir mit dem reichen Erfahrungsschatz, den ich mitbringe, keine Sorgen um die neue Aufgabe machen muss.  Rehrl: Mich haben die Querelen im Vorfeld kaum belastet, weil meine Aufgabenstellung in der Zukunft lag, nämlich für die Bachakademie eine neue Ära einzuleiten. Es waren jedoch  für uns beide die hohe Schule der Diplomatie und eine hohe Sensibilität im zwischenmenschlichen Bereich gefragt. Ganz sicher hat dann bei der offiziellen Amtsübergabe die Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck mit zu einem harmonisch geglückten Übergang beigetragen.

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann / Foto Hanns-Horst Bauer

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann / Foto Hanns-Horst Bauer

Was hat Sie an Stuttgart und an den Führungspositionen bei der renommierten Bachakademie gereizt? Rademann: Als man mich gefragt hat, ob ich die Nachfolge von Helmuth Rilling antreten wolle, habe ich mich zunächst schon etwas gewundert, war dann aber doch der Meinung, dass sich die Findungskommission schon etwas dabei gedacht haben dürfte. Zunächst befand ich mich dann in einem Wechselbad der Gefühle. Auf der einen Seite war mir schon klar, dass es eine enorme Herausforderung für mich sein würde, in die großen Fußstapfen eines Helmuth Rillings zu treten. Andererseits habe ich die wunderbaren Chancen und Möglichkeiten dieses Amts gesehen, wobei mich hier das Umfeld, das Zusammenspiel von Kultur und Wirtschaft, ganz besonders gereizt hat. Außerdem brauche ich Herausforderungen. Und das ist eine, an der ich ganz sicher weiter wachsen kann.  Rehrl: Solchen Herausforderungen habe ich mich in meinem beruflichen Leben ganz bewusst immer wieder gerne gestellt. Dabei ging es mir darum, etwas zu gestalten, besser: etwas umzugestalten. Hier in Stuttgart, das beim Ranking der Kulturstädte Deutschlands immerhin Platz 1 einnimmt, hat mich vor allem gereizt, eine Institution wie die Bachakademie publikums- und gesellschaftsgerecht in eine gute neue Zeit zu führen. Spannend ist für mich dabei die Vielfalt der Aufgaben: Musikfestival, die Ensembles, Abonnement-Reihen, der Akademie-Gedanke und schließlich das Sponsoring sowie Fundraising.

Internationale Bachakademie Stuttgart: Gernot Rehrl/ Foto Hanns-Horst Bauer

Internationale Bachakademie Stuttgart: Gernot Rehrl/ Foto Hanns-Horst Bauer

Wie wichtig sind Sponsoren und Mäzene für Ihre Arbeit? Rehrl: Wenn man bedenkt, dass wir die Bachakademie mit gut 70 Prozent Eigenleistung betreiben, dann ist das schon beachtlich. Diese Zahl in einer Zeit zu halten, in der wir wissen, dass sich das Publikum nicht gerade vergrößert, dürfte nicht einfach sein. Sponsoren für die Kultur zu finden, ist heute nicht leicht, da sie sich gerne auch anderweitig positionieren. Wir haben zwar durchaus neue Sponsoren, müssen aber leider auch beobachten, wie andere sich umorientieren. Rademann: Viele Sponsoren und Mäzene halten uns die Treue, manche engagieren sich sogar noch stärker als vorher. Dafür sind wir sehr dankbar. Ich würde mir natürlich wünschen, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass es bei der finanziellen Unterstützung nicht um Personen gehen sollte. Im Vordergrund müsste die Institution, der Inhalt und die Idee, die dahinter steckt, stehen. Die Gesellschaft mag sich rasant wandeln, aber ob sich der Mensch als Individuum in der Hinsicht wandelt, dass ihm Werte plötzlich egal sind, sodass er sie über Bord wirft, das bezweifle ich. Da ist die Arbeit der Bachakademie mit dem Leitsatz „Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit“ enorm wichtig. Wenn wir hier die größten musikalischen Kunstwerke des Abendlandes mit Johann Sebastian Bach im Mittelpunkt präsentieren, kann das nie etwas an Aktualität einbüßen. So erfüllen wir auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe.

Was hat Sie beide hier in Stuttgart zusammengeführt? Rehrl: Wir kennen uns bereits seit 1998, als ich beim Bayerischen Rundfunk Manager des Rundfunkchors war und man mir Hans-Christoph Rademann als Chordirigenten empfohlen hatte. Nahezu 15 Jahre später haben wir uns in Berlin wiedergetroffen.

Internationale Bachakadiemie: Hans-Christoph Rademann an der Tür zur Bachakademie/Foto Hanns-Horst Bauer

Internationale Bachakadiemie: Hans-Christoph Rademann an der Tür zur Bachakademie/Foto Hanns-Horst Bauer

Wie wollen Sie die Bachakademie in eine neue Zukunft führen?  Rehrl: An die Akademie werden heute ganz andere Anforderungen gestellt als bei ihrer Gründung. Wir wollen uns mit der weltweit einzigartigen Marke „Bach“ kreativ auseinandersetzen. Rademann: In unserem ersten Jahr haben wir sehr viele Dinge weitergeführt, sind aber gerade dabei zu überlegen, ob wir nicht doch noch stärker auf Veränderung und Erneuerung setzen sollten. In den letzten Jahren haben sich Markt und Konzertbetrieb, aber auch die Vorstellungen des Publikums und die Ansprüche an eine Interpretation vehement verändert. Gerade im Bereich der Barockmusik haben sich bahnbrechende Entwicklungen vollzogen, die keine Launen, keine Moden sind, sondern etwas mit dem Erkenntnisstand zu tun haben. Die Bachakademie war, das ist unser Eindruck, so etwas wie ein abgeschlossener Zirkel. Den wollen wir öffnen.

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann/ Foto Holger Schneider

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann/ Foto Holger Schneider

Mit welchen Schlüsseln? Rehrl: Das läuft über neue programmatische Ansätze, vor allem aber über Projekte. Beispielsweise über unser großes Tanzprojekt „BACHBEWEGT!“, das gerade bei jungen Menschen sehr gut ankommt. Dabei bewegt die Musik des Thomaskantors nicht nur die Herzen, sondern auch die Körper. Nicht nur die der teilnehmenden Schüler, sondern generationenübergreifend auch die  ihrer Freunde, Eltern, Großeltern und Verwandten. Oder das Projekt „Trimum“, eine interreligiöse Begegnung zwischen Christen, Juden und Muslimen sowie das Junge Stuttgarter Bachensemble (JSB) mit Teilnehmern aus aller Welt. Rademann: Ich glaube daneben aber auch weiterhin an die Macht der Konzerte als eine Form der Musikvermittlung, die durchaus Zukunft hat. Deshalb bemühe ich mich  darum, jeden einzelnen Besucher auch wirklich zu erreichen. Jeder soll emotional von der Musik ergriffen werden, denn Musik ist ein Therapeutikum, das sogar heilende Wirkungen entfalten kann. Dafür sensibilisiere ich ganz bewusst  Chor und Orchester, die eine psychologische Verbindung zum Publikum herstellen sollten. So versuche ich eine große Authentizität herzustellen.

Und wie sehen die Veränderungen bei den Ensembles der Bachakademie aus? Rademann: Unsere exzellente Gächinger Kantorei habe ich als Chorspezialist in den letzten Monaten schon sehr stark qualitativ verändert und werde sie noch weiter verändern, was Homogenität und Intonation betrifft. Sie soll eine entscheidende Rolle im Kreis der weltbesten Chöre spielen. Rehrl: Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen wir uns auf dem Markt anders positionieren. Rademann: Aber ich fühle mich da überhaupt nicht unter Druck und will niemand nacheifern. Die Bachakademie soll in Zukunft ein international bedeutendes Kompetenzzentrum sein für die Musik der verschiedensten Epochen. Natürlich mit dem Schwerpunkt Johann Sebastian Bach, dessen Musik uns in Schwingungen versetzt,  die uns frei und lebendig macht.

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann (links) u. Gernot Rehrl/ Foto Hanns-Horst Bauer

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann (links) u. Gernot Rehrl/ Foto Hanns-Horst Bauer

Was haben Sie mit dem bestens etablierten Musikfest Stuttgart, das jedes Jahr Ende August/Anfang September stattfindet, vor? Rademann: Wir sind derzeit bemüht, die Politik dafür zu sensibilisieren, dass das Musikfest Stuttgart kein Aktionismus der Bachakademie ist, sondern dass es ein großes überregionales Festival für Stadt und Land sein soll. Das kann es nicht zum Nulltarif geben.

Und was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre? Rehrl: Dass sich die Akademie zeitgemäß aufstellt und damit attraktiv und interessant ist. Rademann: Eine Bachakademie mit weltweiter Ausstrahlung, von Politik und Wirtschaft tatkräftig unterstützt und ein Publikum, das voll hinter uns steht.

 

CD Schütz, Psalmen Davids, Rademann-001Biographien: Hans-Christoph Rademann wurde 1965 in Dresden geboren und studierte an der dortigen Musikhochschule Chor- und Orchesterdirigieren. Bereits während seines Studiums gründete er den Dresdner Kammerchor. Von 1999 bis 2004 leitete er als Chefdirigent den NDR Chor. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Alte Musik, insbesondere die Erschließung unbekannter Schätze der sächsischen Musikgeschichte. 2000 erhielt er den Ruf zum Professor für Chorleitung an die Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« in Dresden.  Seit 2007 ist Hans-Christoph Rademann Chefdirigent des RIAS Kammerchors. 2010 wurde er Intendant des von ihm gegründeten Musikfests Erzgebirge. Im August 2013 übernahm Rademann von Helmuth Rilling die Leitung der Internationalen Bachakademie Stuttgart. Für seine Verdienste um das Dresdner Musikleben erhielt er im Juli dieses Jahres den Kunstpreis der Stadt Dresden. Seine zahlreichen CD-Aufnahmen wurden mehrfach mit  Preisen ausgezeichnet. Mit Kammerchor und Barockorchester Dresden realisierte er aktuell für den Stuttgarter Carus Verlag die erste Heinrich-Schütz-Gesamtaufnahme, zuletzt veröffentlicht die Psalmen Davids (Vol.8) und die Auferstehungshistorie (Vol.9). Bei harmonia mundi France ist soeben seine Maßstab setzende Aufnahme des Magnificats von C.P.E. Bach erschienen.

CD Bach, C.Ph.E. Magnificat, Rademann-001Gernot Rehrl wurde 1955 in Bamberg geboren. Nach seinen Studien im Fach Violine und Dirigieren an der Musikhochschule Würzburg ging er 1988 ins Orchestermanagement nach Wien. 1990 wurde er Leiter des künstlerischen Betriebsbüros der Münchner Philharmoniker und leitete danach die weltweite Konzerttätigkeit des Windsbacher Knabenchors. 1997 wechselte Rehrl zum Bayerischen Rundfunk und übernahm dort zunächst das Management des BR-Chors  und ab 2000 des Münchner Rundfunkorchesters. 2009 wurde Gernot Rehrl Intendant der Rundfunkorchester und –chöre GmbH Berlin (ROC), 2013 schließlich Intendant der Internationalen Bachakademie.