Früher war alles besser! Wirklich? Drei Wiederveröffentlichungen aus dem historischen Bereich geben Anlass, sich auch einmal kritisch mit der guten (noch gar nicht so) alten Zeit auseinanderzusetzen. Da ist zum einen Rossinis L’Italiana in Algeri (Urania Records WS 121.235) aus dem Jahr 1963, ursprünglich bei der Decca erschienen. Auf den ersten Blick ist hier geradezu ein Traumensemble versammelt. Teresa Berganza, Luigi Alva, Fernando Corena, Rolando Panerai. Das ist wahrlich schwer zu toppen, speziell wenn der immer etwas unterbewertete Silvio Varviso am Pult steht.
Inzwischen ist ein halbes Jahrhundert vergangen, es hat eine immer noch anhaltende Rossini-Renaissance gegeben, die Festivals von Pesaro und Wildbad haben für den Komponisten neue Standards geschaffen. Ohne jetzt Namen nennen zu wollen, gibt es heute doch wieder den Typus von Rossini-Tenor und Koloratur-Mezzo, wie er wohl ursprünglich von Rossini gedacht war und ganz anderes mit seiner Stimme anstellen kann, wie die bei aller Kultiviertheit vergleichsweise eindimensionale Teresa Berganza. Auch der elegante Luigi Alva ist bei Mozart sehr viel besser aufgehoben. Am ehesten trifft noch Varviso mit dem Orchestra de Maggio Musicale Fiorentino den passenden Ton, das richtige Tempo.
Noch weiter zurück in die Archive führt die Begegnung mit einer über sechzig (!) Jahre alten RAI-Aufnahme von Zandonais veristischem Reißer Francesca da Rimini (Urania Records WS 121.192). Nördlich der Alpen begegnet man diesem Werk höchst selten, kürzlich hat es aber sogar die Met in New York wieder aufgeführt. Die Oper gehört bestimmt nicht zu den großen Würfen ihrer Zeit, bietet aber den drei Protagonisten dankbare, spektakuläre Rollen. Immer vorausgesetzt, die Sänger sind ihren Partien gewachsen. Vom Volumen her haben da weder Maria Caniglia, Giacinto Prandelli und Carlo Tagliabue Schwierigkeiten damit. Die 1951 unter Antonio Guarnieri entstandene Einspielung kommt aber für alle etwas zu spät. Speziell Maria Caniglia, für mich der Inbegriff einer Verismo-Diva, hatte ihre große Zeit in den Dreißiger-Jahren, hier klingt sie teilweise peinigend scharf, auch fehlt es ihr an der notwendigen Durchschlagskraft. Nicht viel besser ergeht es ihren Partnern, diese Besetzung war auch 1951 schon von gestern.
Etwas anders liegen die Dinge bei einer Brahms, Mahler und Gluck gewidmeten CD Kathleen Ferriers (Praga Digitals PD /PSD 350 109). Unglaublich, dass diese Sängerin heute schon über hundert Jahre alt wäre, leider auch schon über sechzig Jahre tot ist. Auch diese Wiederveröffentlichung bekannter Aufnahmen ist wohl den Jubiläen geschuldet. Nach wie vor kann man sich an dem Schöngesang und unverwechselbarem Timbre der Künstlerin nicht satt hören. Wahrhaftig eine Jahrhundertstimme, sofort zu erkennen, und bis heute unerreicht. Bei der Brahms’schen „Alt-Rhapsodie“ begegnet man etwas überrascht Clemens Krauss am Pult, die Mahlerschen Kindertotenlieder dirigiert Bruno Walter, beides Sternstunden der Schallplattengeschichte. Zudem ist die Klangrestaurierung hervorragend, dem Standard der Decca-Box eindeutig überlegen. Ein kleiner Wermutstropfen: das Booklet ist zwar erstaunlich umfangreich, in Teilen aber fehlerhaft, so findet man z.B. bei den Liedtexten auch solche, die auf der CD gar nicht gesungen werden. Sei’s drum!
Peter Sommeregger