.
Ostersonntag, der 24. April, 1916, markiert in der irischen Geschichte einen der blutigsten Tage, denn der Aufstand gegen die britischen Dauer-Besatzer wurde nach kurzem Sieg von der englischen Staatsmacht brutal und mit enormen Todesopfern niedergeschlagen, und es dauerte bis in die Neuzeit, bis es nach einem kurzen Intermezzo 1919 bis 1922 (Irische Republik/IRA etc.) zu einem tragfähigen Waffenstillstand und danach zu einer Gründung der Republik Irland 1949 mit Ausschluss der katholischen Gebiete um Belfast kam. Man hat im restlichen Europa vergessen, wie blutig sich über die Jahrhunderte der Versuch der Iren nach Selbstbestimmung und Befreiung vom Joch der Engländer hinzog. Nur die letzten Jahrzehnte der immer wieder aufflackernden erbitterten Kämpfe der IRA im britischen Teil Irlands sind noch in Erinnerung.
.
Der amerikanische Komponist Victor Herbert (über dessen Oper Natoma in operalounge.de bereits berichtet wurde, dort auch Details zu seiner Biographie), selber irischer Herkunft und stolz darauf, brachte 1916 seine Oper Eileen (zuerst als The Sons of Erin) heraus, die vor dem Hintergrund des irischen Aufstandes von 1798 spielt (nur wenige Jahre nach der französischen Revolution), in dem die rebellischen Iren von den Engländern mit hohen Verlusten besiegt und niedergeworfen wurden. Die versprochene französische Hilfe unter General Hoche kam nicht, und die Rache der Engländer löschte ganze Dörfer aus.
Es ist schon merkwürdig, dass Herbert, der sich als herausragender Cellospieler und vor allem als Komponist der leichten Unterhaltung und Shows in den USA bereits einen bedeutenden Namen gemacht hatte, sich im reifen Alter diesem für ihn brennenden Thema in einer solchen Behandlung einer Komischen Romantischen Oper zuwandte: eine Oper mit atmosphärisch-heiteren Charakteren und Dialogen, aber eben auch mit Mord und Gewalt auf offener Bühne, dazu auch noch ein recht kitschiges Happy-End – schon merkwürdig.
Herbert war glühender irischer Nationalist, trotz seiner erworbenen amerikanischen Staatsbürgerschaft, die er noch mit großen Worten 1915 als Präsident der Society of the friendly Sons of Saint Patrick beteuerte. Dann kam der Dubliner Oster-Aufstand von 1916 und mit ihm sein Plan für eine Oper zu diesen, ihm zutiefst naheliegenden Ereignissen. Außerdem bewegten ihn die Schicksale seiner Familie und Freunde in Irland und Deutschland angesichts des anhaltenden 1. Weltkriegs.
Sein Librettist Henry Blossom griff auf die Romanvorlage Rory O´Moore (1835) von Herberts Großvater zurück, Samuel Lover, in dem recht sentimental die Ereignisse von 1778 behandelt werden – eine Parallele zu den Kämpfen 1916. Drei Wochen nach dem Osteraufstand wurde in New York ein neues Stück von Herbert angekündigt. Am nächsten Abend gab es eine Benefizvorstellung zu Ehren der beim Aufstand gefallen und ermordeten Iren, bei dem Herbert das Publikum bat, sich zu Ehren der Toten zu erheben und für einen Fond zu Gunsten der Hinterbliebenen zu spenden.
In der Folgezeit war dann in der Presse immer wieder von einer „Irish Opera“ die Rede, auch von einer „Shamrock opera“ (das Kleeblatt als Symbol Irlands). Der Artikel aus dem informativen Booklet der 2012 erschienenen Aufnahme bei New World Records breitet im Einzelnen aus, wie Genesis und Schicksal der Oper Eileen verliefen, die unter anderem auch den Titel Sons of Erin bekam (Erin erneut der Name für Irland), bis im Laufe der Tournee durch die Provinz (üblich für Broadway-Stücke bis heute) sich der endgültige Name herauskristallisierte: Eileen, nach der weiblichen Hautrolle der irischen Gutsbesitzerstochter.
Herberts Oper ging unter dem Titel Hearts of Erin (also: Das Herz Irlands) am 1. Januar 1917 in Chicago an den Start und war nicht sofort ein Erfolg. Über Cleveland kam das Stück nach Boston und als Eileen in das Shubert Theatre an den Broadway im März desselben Jahres. Herbert adressierte sein Premierenpublikum zwischen dem 2. und 3. Akt und sprach von seiner Liebe zu Irland und seiner Bekümmernis über die Geschehnisse „zu Hause“. Die Kritik in New York war wohlwollend. Die Zeitungen sprachen von erfrischenden irischen Melodien, von dem Reichtum an musikalischen Einfälle und dass dies Herberts beste Komposition sei – wenngleich vielleicht ein wenig zu humoristisch und „reminiscent“ (i. e. altmodisch). Das Libretto von Blossom mit seinen Genreszenen und dem kitschigen Happy-End kam nicht gut weg: definitiv im Stile des vergangenen Jahrhunderts und angestaubt (was stimmt). Eine Zeitung schrieb – bezeichnend –, dass der eigentliche Stern der Aufführungen eigentlich der Komponist und nicht Eileen sei.
Die Serie lief die ganze Saison. Zahlreiche Künstler – so auch John McCormack – nahmen die Dauerbrenner wie „Ireland, my sireland“ für Columbia und andere Firmen auf. Nachdem das Theater im Mai 1917 schloss, ging die Oper wieder auf Tournee. In Dayton/Ohio brannte das Theater ab, die gesamten Kostüme und Kulissen wurden vernichtet. 1921 zahlte Herbert eine neue Produktion der Oper in Cleveland, dann verliert sich die Spur. Das Orchestermaterial ist schwierig zu lokalisieren, die Rechtefrage kompliziert. Einen ausführlichen Bericht der Aufführung von 1982 (!), erstmals seit 1917, gibt es in der New York Times zu lesen. Und 2012 gab es noch einmal eine Aufführung in New York, wie die Website ORCA (Operetta Center Amsterdam) berichtet.
Für New World Records erstellten Larry Moore und Sean O´Donoghue eine neue Fassung, nahmen einige gestrichene Nummern wieder mit hinein, orchestrierten ein paar Takte hier und da neu, um die Übergänge zu glätten und hängten gestrichene Nummern ans Ende der Aufnahme orchestral an – dies alles liest sich im Aufsatz der beiden zu Werk und Rekonstruktion wie ein Krimi.
Die Hits aus dieser amerikanischen Opéra Comique sind bedeutend und schmissig. „The Irish have a great day tonight“ zählt noch heute in den USA, namentlich in der enorm großen irischen Gemeinde, zu dem „musts“, die jedes US-irische Kind kennt. „Ireland, my sireland“ habe ich sogar in Wexfords „Bohemean Girl“, der Traditionskneipe ebendort, aus voller Männerkehle schmettern gehört. „Free trade and a Misty Moon“ gibt’s auf zahlreichen Schellacks.
Überhaupt ist der musikalische Eindruck der Oper eher der einer Nummern-Oper(-ette) mit stimmungsvollen Chören, Romanzen, Aus-dem-Stand-Canzonen, oft etwas unvermittelt und sehr folkloristisch ins Ohr gehend. Die Finali sind „absolutely rousing“, gerade zu zum Mitsingen auffordernd, wenngleich auch oft eher monochrom als vielschichtig orchestriert. Dass die genannten Autoren von Nähe zu Cantelubes Chants d´Auvergne reden, verwundert und scheint mir hochgegriffen. In der Tat erstellt Herbert „a rich tapestry of irish country life“, bleibt aber für meinen Geschmack eben im Folkloristischen, Kalkulierten, auch Wiederholten stecken. Dennoch – hier ist irisches Bühnenleben prall und reich dargestellt, purzeln die Melodien nur so vor sich hin, sind die Highlights effektvoll und eingängig komponiert. Dauerbrenner wie „The Irish have a great day tonight“, „My little Irish Rose“, „Ireland“, „Thine alone“ oder „Stars and Rosebuds“ sind einfach Ohrwürmer – vielleicht nicht im Sinne der Opernkompositionen der Zeit (man denke an Mascagni oder Puccini), aber eben showorientiert, Broadway-nah, fußwippen-machend, eher nahe an Gilbert & Sullivan.
Herbert kreiert in Eileen ein romantisches Kunst-Irland, das sich gut verkauft, authentisch scheint und nicht nur den Exil-Iren in Amerika die Tränen der Nostalgie in die Augen trieb. Man mag kritisieren, dass im Zuge des verharmlosenden Librettos zu sehr das Genre in einer mit komischen Momenten/Personen durchsetzten Oper ein Sujet tiefer Tragik verharmlost wird und als banaler Hintergrund dient für eine romantische Liebesgeschichte, in der der Freiheitsdrang eines Volkes nur Staffage ist. Das muss 1916 doch auch aufgefallen sein, wenngleich sich keine Kritiker-Stellungnahme dazu im sonst so detaillierten Aufsatz des Booklets findet.
Die Handlung ist schnell erzählt. Der Sohn eines verbannten Widerstandskämpfers kehrt nach 1798 Irland zurück, wird von den Briten gesucht, findet Unterschlupf bei einer reichen englischen, adligen Gutsbesitzerin, in deren irische Nichte (die junge Eileen frisch aus dem Kloster in England) er sich verliebt. Er betreibt die Sache der irischen Rebellen, versucht einen wichtigen Brief an den französischen General Hoche zu überbringen (den Oberbefehlshaber der die Revolution unterstützenden Franzosen), was nicht gelingt. Er wird verhaftet und in letzter Minute nach dem Massaker von 1798 von King George begnadigt. Er kann seine Eileen heiraten, die im Ganzen eher blass und niedlich bleibt und hübsche Melodien zu singen hat. Die eigentlichen Freiheitsträger sind die Nebenfiguren Dinny Doyle, Biddy Flynn und der Schmuggler Shaun Dhu, die mit idiomatischen Sprüchen und Musik ausgestattet sind. „Ireland, my sireland“ eben.
Die neue Aufnahme bei New World Records wird dankenswerter Weise von rein irischen Kräften bestritten und wurde 2012 in Dublin aufgenommen. David Brophy befehligt das Orchestra of Ireland, was ein wenig nach ad-hoc klingt. Er favorisiert zu Recht das Genre und die stürmischen Chöre, an denen das Stück reich ist. Barry, der freiheitsliebende irische Held, hat in Eamonn Mulhall einen jugendlichen und vor allem jungklingenden Vertreter mit gebührenden r-s und rollender Diktion, dazu kommt dieser schnell-vibratoreiche Ton, der britisch-irische Tenöre auszeichnet (Brecknock et al). Vor allem seine schönen Soli sind dankbar zu singen, wie denn überhaupt die Solopartien eher auf der schlichten, eingängigen Seite sind und nicht wirklich hohe Belcanto-Virtuosität verlangen. Seine geliebte Eileen ist mit Mary O´Sullivan etwas dünn und höhenscharf besetzt, aber es ist auch eine reichlich anämische Rolle. Die Partie der großzügigen Adligen Lady Maud ist mit Lynda Lee charaktervoll bedient (die vorhandenen Engländer teilen sich in drei Kategorien: in gütig-menschliche, in arrogante und in fiese Charaktere). Rachel Kellie gibt die Irish Rose, die sich gleich zu beginn als Rosie vorstellt und auch davon singt: ein auf eine lange Tradition zurückgreifender Topos, den auch Flotow in seiner Martha verwendet.
Die Herren sind im Ganzen kraftvoller vertreten. Andrew Ashwin macht als Oberschmuggler Shaun Dhu einen schönen, freiheitsdräuenden Bariton-Job. Nebenheld Dinny Doyle, der eigentliche irische Revoluzzer aus dem Volke, ist mit Dean Power bestens vertreten. Biddy Flynn als Stimme der unterdrückten Iren und Kneipenbesitzer hat in Aine Mulvey einen charaktervollen Vertreter. Joe Corbett gibt den blasierten englischen Adligen Sir Reginald, type-cast. Die Übrigen füllen mehr als anständig die übrigen Partien. Was mir noch fehlt ist so etwas wie eine überspringende Atmosphäre. Die Aufnahme wirkt, trotz kurzer und nicht gerade engagierter Sprechpassagen, doch sehr konzertant, eher informativ als mitreißend. Sprechopern sind schwer aufzunehmen, gewiss, und man vernimmt dankbar Meeresrauschen und Nebengeräusche in Hörspieltradition, aber irgendwie fehlt der Schwung, der die originalen Zuschauer begeisterte – alles bleibt ein wenig zu akademisch.
Sei´s drum: Wie schön, eine neue und absolut unbekannte Oper (keine Operette, cher ORCA, wo sich ein interessanter Artikel über diese Aufnahme findet) eines nach Amerika „abgewanderten“ Komponisten vom Beginn des 20. Jahrhunderts vor sich zu haben, der sonst eher im Showsektor seine Erfolge feierte und der beispielhaft den Übergang zwischen den klassischen Spielopern Europas zu den fetzigen Operetten von Rodgers & Hart, Rodgers & Hammerstein oder Porter verkörpert. Herbert, Romberg (von ihm in operalounge.de später mehr, wenn sein Desert Song als DVD von Warner eintrifft) und Kollegen sind diese Zwischengeneration auf dem Weg zum Musical und Promotoren einer spannenden sozialen und musikalischen Entwicklung. Geerd Heinsen
.
Victor Herbert: Eileen mit Andrew Aswin, Dean Power, Aine Mulvey, Rachel Kelly, Eamonn Mulhall, Karl Harpur, Lynda Lee, Mary O´Sullivan, Joe Corbett, Philip O´Reilly; Orchestra of Ireland, Dirigent – David Brophy; 2 CD New World Records 80733-2
.
Bisherige Beiträge in unserer Serie Die vergessene Oper finden Sie hier