Interessantes und Lässliches

Der Name Alphons Diepenbrock fiel mir, wenn ich mich erinnere, erstmals im Zusammenhang mit Mahlers Siebter auf, die Riccardo Chailly bei seiner Einspielung mit dem Royal Concertgebouw Orchestra mit Diepenbrocks Im großen Schweigen gekoppelt hatte. Was Sinn macht, da der Niederländer Diepenbrock (1862-1921) mit Willem Mengelberg, dem langjährigen Dirigenten des Orchesters, und mit Mahler selbst befreundet war. Auf der Einspielung von Diepenbrocks Orchestral Songs bei cpo finden sich neben diesem 1905 entstandenen, rund zwanzigminütigen Orchesterlied auf einen Text von Friedrich Nietzsche (aus dem Buch der Morgenröthe – Gedanken über die moralischen Vorurteile) drei weitere kurze Orchesterlieder nach Goethe (Es war einst ein König von Thule), Heine (Es war ein alter König) und Verlaine (En sordine als Referenz vor Claude Debussy,) sowie die ebenfalls umfangreiche Hymne an die Nacht  nach Novalis. Eingeleitet werden die fünf Lieder durch die Hymne voor orkest, der Urfassung der Hymne für Klavier und Orchester von 1898, mit der sich Diepenbrock erfolgreich an Modelle von Bruch, Saint-Saens oder Elgar anlehnte. Es ist ein großbogig melodisches, spätromantisch funkelndes Stück. Auch die Lieder zeigen den promovierten Geisteswissenschaftler, der als Privatlehrer für Griechisch und Latein wirkte, aber nie eine professionelle Ausbildung als Musiker erhielt, als versierten, ernsthaften Komponisten, der der Singstimme einen harmonisch reichen und schwelgerischen, oftmals verblüffend mahlerischen Orchesterpart unterlegte. Im vorbildlichen Beiheft, das neben einer fundierten englisch-deutschen Einführung auch, was längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist, die Liedtexte bringt, wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass es sich um „symphonische Dichtungen mit obligater Singstimme“ handelt. Als solche behandelt auch Hans Christoph Begemann die Stücke, der seinen charaktervollen Bariton leicht und beweglich über das von Otto Tausk behutsam gesteuerte Sinfonieorchester St. Gallen schmiegt und den Text mit der kernigen Nachdrücklichkeit des erfahrenen Lied-Interpeten gestaltet (cpo 777 836-2).

viardot brilliantNeben den vernebelten, tiefsinnig verschleierten Orchesterliedern Diepenbrocks nehmen sich die Lieder der Pauline Viardot (1821-1910) wie aus einer anderen Welt aus. Sind sie auch, nahm die Viardot bei ihren Kompositionen doch gerne Bezug auf die spanische Herkunft ihrer Familie. Und das nicht nur im Lied Madrid auf einen Text ihres einstigen Verehrers Alfred de Musset. Die Tochter des Rossini-Tenors Manuel Garcia und Schwester der Malibran war als Sängerin, Pädagogin und Gastgeberin, als Muse und Geliebte in Paris und später Baden-Baden Mittelpunkt eines prominent bestückten kulturellen Circles. Sie kannte offenbar Gott und die Welt. Die Alleskönnerin begann bereits in den 1840er Jahren mit eigenen Werken und Arrangements, darunter der Adaption von zwölf Mazurken von Chopin, welche die Hälfte der Einspielung mit Liedern der Viardot bei Brilliant Classics einnehmen. Dass Viardot seit ca. 1847 als Einlagen für die Gesangsstunde der Rosina in Il barbiere di Siviglia Chopin-Mazurken wählte, lernen wird aus Christin Heitmanns Systematisch-bibliographischen Verzeichnis der Werke Viardots. Gleich das erste Lied, Seize ans, spricht durch seinen prickelnd Gestus, das feinnervige Temperament und die geschmeidige Eleganz der Linien an, das sind exquisite Salon-Schmankerl für Virtuosinnen. Hinzu kommen das 10-teilige Neujahrsgebinde Album de Chant pour 1850, mit etlichen Ersteinspielungen darunter, sowie der besagte Hymnus auf Madrid  aus einem Album von 1887 und die nette Canzonetta de Concert von 1880 nach einem Streichquartett, das lange Haydn zugeschrieben worden war. Die Texte muss man sich bei www.brilliantclassics.com suchen.

Pauline Viardot im Alter/Foto Nadar/OBA

Pauline Viardot im Alter/Foto Nadar/OBA

Martina Comparato serviert vor allem die Mazurken, nach denen sich jede Rossini-Virtuosin verzehren müsste, etwas zu brav und anständig, zu schulmäßig und artig. Sie singt leicht und tändelnd, sie gurrt und schnurrt, verfügt über Geschmack und Stil, gelegentlich klingt die Stimme in der Tiefe trocken und müde, in der Höhe beherzt. Die Melancholie mancher originaler Viardot-Kompositionen aus dem Album de Chant pour 1850 scheint ihr besser zu liegen. Man ahnt aber geradezu, was eine DiDonato daraus machen könnte. Den Klavierpart meistert Elisa Triulzi sehr präsent, in zwei Duetten steht Comparato die Sopranistin Serena Rubini zur Seite(Brillant Classics 94615).

voix du cielKeine Repertoirelücke schließt die wundersame CD La voix du ciel, auf der die Sopranistin Fabienne Conrad und die Mezzosopranistin Marie Kalinine, begleitet von den Solistes Français, Häppchen von Vivaldi, Bach, Händel, Pergolesi singen (Édition Loreleyi  LY055).

Rolf Fath