Anspruchsvolle Neuaufnahme

 

Das in unseren Breiten noch unbekannte Label LINN legt eine im Mai/Juni 2018 in London produzierte Aufnahme von Händels Samson auf drei CDs vor (CKD 599). Im Februar 1743 wurde das Oratorium in Londons Covent Garden uraufgeführt und markierte die Abkehr des Komponisten von der italienischen Oper. Das letzte Werk des Genres der opera seria kam 1741 zur Premiere – mit nur wenig Erfolg. Danach setzte Händel den Messiah in Musik und begann, sich dem Samson in der Dichtung John Miltons zu widmen. Nach der erfolgreichen Uraufführung wurde das Werk in den folgenden Jahren unter Händels Leitung in den unterschiedlichsten Besetzungen gespielt.

Bei der aktuellen Aufnahme steht am Pult des 1995 gegründeten Barockensembles Dunedin Consort dessen Musical Director John Butt, der eine dramatisch pulsierende Deutung bietet. Händel hatte einige seiner biblischen Oratorien als Sacred Drama bezeichnet, was die Bedeutung des dramatischen Elementes in der Musik bestätigt, und der Dirigent befolgt diese Vorgabe konsequent. Dem Chor fällt in diesem Werk eine bedeutende Aufgabe zu, und der Tiffin Boy`s Choir (Einstudierung: James Day) erfüllt sie bravourös. Die Gesänge strahlen in majestätischer Pracht, besonders im Finale, wenn Samsons Sieg über den Tod gefeiert wird.

Das vorwiegend englische Solistenensemble wird angeführt von Joshua Ellicott in der Titelpartie, der eine stilistisch kompetente Interpretation liefert. Die Stimme des Tenors ist von weicher Textur, was seiner klagenden ersten Arie „Torments, alas“, ideal entspricht. Ergreifend ist „Total eclipse!“, was den Zustand des Blinden, der das verlorene Licht beklagt, eindrücklich schildert. Wunderbar formt er Samsons Abschiedsarie im 3. Akt, „Thus when the sun“, in der er das Bild der untergehenden Sonne und seinen wieder erlangten Frieden beschreibt.

Sophie Bevan ist eine Dalila mit energischem Sopran. Ihr Duett mit Samson im 2. Akt, „Traitor  to love“, ist ein vehementes Kräftemessen. Samsons Freund Micah ist hier keinem Countertenor anvertraut, sondern wird von der Altistin Jess Dandy wahrgenommen. Ihr Timbre ist freilich genügend androgyn, um eine männliche Figur suggerieren zu können. Träumerisch entrückte Klänge lässt sie im Arioso „Then long eternity“ vernehmen, in der nachfolgenden Arie „Joys that are pure“ wirken die Koloraturen etwas matt. In „Return, O God“ im 2. Akt erklingt die Stimme in ruhigem Fluss. Mary Bevan übernimmt die Soli von A Virgin, An Israelite Woman und A Philistine Woman mit hellem, klarem Sopran. Ihr fällt die berühmte Tauben-Arie „With plaintive notes“ zu, in der sie zärtliche und leuchtende Töne hören lässt. Zudem gebührt ihr am Ende des Werkes der jubelnde Gesang „Let the bright seraphim“. Reizvoll klingt der Sopran von Fflur Wyn als A Virgin und A Philistine Woman. In der Arie „It is not virtue“ kann sie besonders brillieren.

Hugo Hymas übernimmt die Soli von An Israelite, A Philstine und A Messenger mit leichtem, flexiblem Tenor. Die Bässe Matthew Brook als Samsons Vater Manoa und Vitali Rozynko als Philisterkrieger Harapha sorgen für kontrastierend tiefe Töne. Ersterer führt sich imponierend ein mit der energischen Arie „Thy glorious deeds“ und erfüllt auch „Just are the ways of God“ zu Beginn des 2. Aktes mit Nachdruck. Weicher, aber sinnlich-resonant klingt Rozynko, der in der prahlerischen Arie„Hounour and arms“ auftrumpft und Samson im Duett „Go, baffled coward“ Paroli bietet.

Neben den Referenz-Aufnahmen des Werkes (Somary, Leppard, Harnoncourt, Christophers) kann sich diese Neuaufnahme durchaus behaupten. Bernd Hoppe