Dass Hanns Eisler (1898-1962), der landläufig vermutlich berühmteste DDR-Komponist, zeitlebens österreichischer Staatsbürger war, obwohl ihm gerade in Wien viel Ablehnung entgegengebracht wurde, darf gleichsam als bezeichnend gelten für diesen bedeutenden und widersprüchlichen Künstler, dem die DDR ihre Nationalhymne verdankte. Soweit ging Eislers Bekenntnis zum neuen ostdeutschen Staatssozialismus offenbar nicht, sich formal um die dortige Staatsbürgerschaft zu bemühen. Obwohl in Leipzig geboren, verlebte er seine Jugend in Wien. Und doch sollte ihn am Ende seines Lebens doch gerade die Verbindung nach Leipzig neuerlich beschäftigen. 1959 gab nämlich das dortige Gewandhausorchester die nun von Capriccio (C5368) vorgelegte Leipziger Sinfonie in Auftrag, vor deren Fertigstellung der Komponist freilich starb. Erst 1998, anlässlich des 100. Geburtstages Eislers, wurde das Werk von seinem Komponistenkollegen Tilo Medek (1940-2006) vervollständigt und am 8. Oktober 1998 im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt. Es sollten weitere zwei Jahrzehnte ins Land gehen, ehe 2018 die Weltersteinspielung dieser Leipziger Sinfonie – beinahe zwangsläufig in Leipzig – zustande kam. Das MDR-Sinfonieorchester Leipzig unter der Leitung von Jürgen Bruns liefert eine makellose Darbietung der schroffen Tonsprache. Im Grunde genommen besteht das Werk aus Montagen von Eislers Filmmusiken aus den 1950er Jahren, die in der frühen DDR zustande kamen. Einzig der erste Satz stammt noch gänzlich aus Eislers eigener Feder; den Schlusssatz musste Medek sogar vollständig selbst rekonstruieren. Dazu bediente er sich, um Authentizität bemüht, des reichhaltigen von Eisler hinterlassenen Œuvre. Obwohl bekennender Kommunist, wusste auch Hanns Eisler selber nicht so recht, wieso er diese Sinfonie überhaupt schrieb, wie aus einer Äußerung kurz vor seinem Ableben 1962 bekannt ist. Das kaum zwanzigminütige Stück besteht gleichwohl ganz klassisch aus vier Sätzen. Für das Finale bediente sich Medek des 1957 entstandenen Linken Marsches, diesen freilich leicht verfremdend, um es nicht zur glorifizierenden Apotheose des Sozialismus verkommen zu lassen. Obwohl es sich also um eine Rekonstruktion handelt, darf man in gewisser Weise vom musikalischen Testament Eislers sprechen.
Die neun Sätze umfassenden Trauerstücke aus Filmpartituren von 1961/62 wurden für diese Einspielung von Jürgen Bruns und Tobias Faßhauer 2015 arrangiert und wiederum mit dem MDR-Sinfonieorchester eingespielt. Grundlage war wiederum Filmmusik der heute praktisch vergessenen Filme Aktion J und Esther. Ihre genuine Herkunft kann diese fragmentarisch anmutende Musik schwer verleugnen, ist das längste Stück doch gerade zweieinhalb Minuten lang. Sie bedarf für ihre volle, vom Komponisten beabsichtigte Wirkung wohl tatsächlich des filmischen Kontexts – eine gewisse grundsätzliche Problematik bei einer isolierten Aufführung von Filmmusik außerhalb des Lichtspielhauses.
Von ihren Dimensionen her am ausgedehntesten dann die halbstündige Filmmusik zum preisgekrönten französischen Dokumentarfilm Nuit et Brouilliard (Nacht und Nebel) von Alain Resnais (1956). Die verstörende Dokumentation behandelt die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ein Jahrzehnt zuvor. Die vorliegende Aufnahme wurde 2015 mit dem Kammersymphonie Berlin, wiederum unter Bruns, im Berliner Konzerthaus eingespielt. Diese Partitur hat nun den Vorteil, dass sie noch ohne Einschränkungen vollständig der Hand Eislers entstammt, daher auch weniger zusammengeschustert daherkommt und interessanterweise auch ohne den Film ihre Wirkung entfaltet. Bereits für diese Filmmusik bediente er sich teilweise einer vorherigen Komposition, nämlich seiner eigenen Schauspielmusik für Johannes R. Bechers 1953 entstandene Tragödie Winterschlacht um die Schlacht von Moskau im Zweiten Weltkrieg. Die Musik, bestehend aus 13 Sätzen, ist, dem furchtbaren Sujet angemessen, grimmig, eindringlich und perfekt abgestimmt auf die Filmsequenzen in Schwarzweiß (das KZ Auschwitz unmittelbar nach der Befreiung 1945) und Farbe (das zerfallende KZ Auschwitz 1955). Sie steht qualitativ den in dieser Ära entstandenen Werken von Prokofjew und Schostakowitsch in nichts nach. Mit einigem Recht darf Nacht und Nebel als das Hauptwerk auf dieser CD gelten. Eine in allen Aspekten formidabel geglückte und wichtige Ergänzung nicht nur für Eisler-Enthusiasten, die außerdem hervorragend klingt. Daniel Hauser
Das fängt nicht gut an: Auf dem Cover dieser Neuerscheinung ist ein Gemälde zu sehen, das 1929 entstand. Gemalt hat es Otto Griebel und nicht Giebel – wie es im Copyright-Hinweis im Innern des Booklets schwarz auf weiß heißt. So ein Fehler, gewiss nicht mehr als ein harmloser Vertipper, macht stutzig. Wird denn alles andere stimmen? „Internationale“ hat Griebel sein Gemälde genannt, das zum Bestand des Deutschen Historischen Museums Berlin gehört. Der Maler wurde 1895 im sächsischen Meerane geboren und starb 1972 in Dresden. Stilistisch wird er der Neuen Sachlichkeit zugerechnet. Einerseits gibt das Bild eine Vorstellung von Arbeitern als Masse. Andererseits löst sich diese Masse in individuellen Figuren auf. Masse erscheint nicht als gesichtslose Ansammlung von Personen einer bestimmten sozialen Gruppierung, sondern bildet die Summe von einzelnen Menschen mit hochindividuellen Gesichtern. Im Original ist das Bild fast zwei Meter breit und lässt eine ungleich stärkere Wirkung zu als in dieser geschrumpften Form.
Was Griebel gemalt hat, setzte Hanns Eisler in Töne. Wenigstens auf dieser CD, bei der es sich um Vol. 1 einer neuen Edition der Lieder dieses Komponisten handelt, erschienen bei MDG (613 2001-2). Eisler, so ist im sehr lesenswerten Text des Booklets von Steffen Schleiermacher, dem Pianisten der Produktion, zu lesen, dürfte an die fünfhundert Lieder komponiert haben, die einschlägigen Nummern aus Bühnen- und Filmmusiken mit eingerechnet. „Bei dieser auf vier CDs konzipierten Sammlung kann es also nicht um das gesamte Liedschaffen des Komponisten gehen, sondern um eine möglichst repräsentative Auswahl der klavierbegleiteten Lieder“, heißt es. Die meisten Kompositionen folgen Texten von Bertolt Brecht, mit dem Eisler eng zusammengearbeitet hat. Eine Ausnahme bildet gleich als Auftakt das „Bankenlied“ von Jean Baptiste Clement (1836 – 1903), einem französischen Sänger, der sich sozialistischen Ideen verschrieben hatte. Walter Mehring hat den Text ins Deutsche übertragen. Komponiert wurde es für Ernst Busch, der es schneidend und anklagend vorgetragen hat in diversen Einspielungen. Schleiermacher verweist auf den aktuellen Bezug, der sich derzeit allerdings am ehesten in Parteitagsreden der Linken findet. Holger Falk, der Sänger der Lieder, betont in seinem Vortrag gemeinsam mit seinem Pianisten die rasanten musikalischen Strukturen, den Einfallsreichtum und weniger die klassenkämpferische Absicht. Das ist so auch bei den anderen Liedern zu beobachten, mit denen es politisch heftig zur Sache geht. Damit setzt sich der Bariton von althergebrachten Interpretationen deutlich ab. Es ist, als würden diese Gesänge salonfähig und ihre Duftmarke aus Arbeiterschweiß abgeschüttelt. Das Publikum hört hin und lässt sich einen guten Wein dazu einschenken. Anders sind diese historischen Gesänge so kompakt wohl kaum zu ertragen.
Hanns Eisler – Kalifornische Ballade: Wer sich auf diese CD einlässt, wird mit einem spannenden Kapitel Zeitgeschichte konfrontiert. Erschienen ist sie bei Berlin Classics (0300933BC). Bei der Ballade handelt es sich um eine Rundfunkerzählung, 1932 in Berlin begonnen, 1934 im Londoner Exil fertiggestellt. Der Kommunist und Jude Eisler hatte sich nach der Machtergreifung Hitlers vor der Verfolgung durch Flucht in Sicherheit bringen müssen. Die Dramatik der historischen Umstände dieses Werkes spitzte sich nochmals dadurch zu, dass der mit Eisler befreundete Textdichter, der Schriftsteller Ernst Ottwalt, 1936 in Moskau verhaftet und in ein sibirisches Lager verschleppt wurde, wo er 1943 umgekommen ist. Eine Oper stalinistischen Terrors – alles nachzulesen im so ausführlichen wie informativen Text im Booklets von Peter Deeg und Jürgen Schebera.
Erstmals wurde das Stück beim Rundfunk in Brüssel in flämischer Sprache ausgestrahlt, gesungen von Ernst Busch, der ebenfalls ins Exil gegangen war. Die lange Zeit als verschollenen gegoltene Aufnahme auf Lackfolienplatten ist erst kürzlich aufgespürt worden. Sie findet sich auf der CD gemeinsam mit einer Produktion in Originalsprache, die 1968 beim DDR-Rundfunk entstanden ist. Diesmal ist Hermann Hähnel der Solist. Beide sind sich nicht unähnlich in Timbre und Ausstrahlung. Sie verkörpern einen Typ, wie er Eisler vorgeschwebt haben mag für seine Komposition, die sich dem neuen Medium Rundfunk zuwendet und mit althergebrachten bürgerlichen Kunstformen bricht. Busch ist noch schärfer im Ton und pointierter im Ausdruck als Hähnel. Er verfügt über ein breiteres Gestaltungsspektrum.
Thematisiert wird die Lebensgeschichte des umstrittenen Ländereibesitzers Johann August Suter, der 1834 aus der Schweiz nach Amerika ausgewandert war und als „Kaiser von Kalifornien“ zu zweifelhaftem Ruhm kam. Als auf seinem Boden Gold entdeckt wurde, löste das den sagenhaften Goldrausch aus, dem Suter, der auch Sklaven hielt, selbst mit eigenen Soldaten nicht mehr Herr werden konnte. Er verlor seinen Besitz und starb 1880 völlig verarmt in Washington. Eine Geschichte, die Schriftsteller und Regisseure in ihren Bann zog. Eisler und Ottwalt nutzten sie für eine scharfe Kapitalismus-Kritik. Ergänzt wird das Programm der neuen CD mit Ausschnitten aus diversen Bühnen- und Filmmusiken, darunter Die letzte Nacht (1929/1930), Kamrad Kasper (1932) und Draw the Fires, die englische Fassung des Theaterstücks „Feuer aus den Kesseln“ von Ernst Toller. Vier Lieder für Arbeitermütter, die 1932 entstanden, das Lied „Die Spaziergänge“ aus dem Film Kuhle Wampe von 1932, der „Fallada“-Song aus der Märchenrevue Es war einmal singt Gisela May. Die im Dezember des vergangenen Jahres verstorbene Sängerin war 1957 von Hanns Eisler entdeckt und gefördert worden. Barbara Ranke