Bei Thorofon ist eine 2-CD-Box erschienen (Nachtreise und Theurerdank), in der die Solisten Rebecca Brobeck, Martin Schmidt und Rainer Maria Klaas am Klavier vom pianiopianissimo-musiktheater Lieder, Gesänge, Szenen und Klavierwerke von Ludwig Thuille aufgenommen haben; darunter „Lieder und Gesänge aus dem Nachlass“ in einer Uraufführung, Szenen aus Theuerdank (Klavierwerke aus dem Nachlass, dto), Viariationen für Piano solo und Trois Nocturnes für Klavier – eine sehr umfängliche Dokumentation, die durch den Einschluss von Stimmen und Soloklavier sehr anschaulich die interessante Bandbreite des jungen Komponisten verdeutlicht. Peter P. Pachl, wieder einmal spiritus rector für einen unbekannten Komponisten der Jahrhundertwende, spricht in seinen, die einzelnen Stücke begleitenden Kommentaren über die Nähe Thuilles auch zu Schumann, zum Impressionismus und über das Verhältnis zur Dichtergeneration Eichendorffs wie auch der Gegenwart, also Bierbaum oder Remers, von denen sich Thuille inspiriert sah. Eine lohnende Entdeckung! Nun wartet man auf eine Neueinspielung der Thuille-Oper Lobethanz, die es bislang nur in dem alten österreichischen Mitschnitt von 1961 (immerhin mit Fehenberger) gibt, der aber m. W. bislang nicht offiziell herausgekommen ist. G. H.
Den nachstehenden Text von Peter P. Pachl entnahmen wir dem Booklet zur Doppel-CD-Ausgabe bei Thorofon (CTH26162): In der Oper pflegt man gerne Alles mit Allem zu belegen und so Beweise zu führen, dass etwa eine Oper mit komplizierter, schwer verständlicher Handlung, keine Überlebenschance hätte (ebenso oft zitierter Gegenbeweis: Giuseppe Verdis II Trovatore), dass ein Minimum an Handlung dem Erfolg ebenso im Weg stünde wie eine kunstvolle Sprache (Gegenbeweis: Richard Wagners Tristan und Isolde), dass Humor in der deutschen Oper nicht machbar sei (Gegenbeweis: der allerdings durch die politische Großlage ins Hintertreffen geratene Barbier von Bagdad von Peter Cornelius oder die spät wiederentdeckte komischste Oper in deutscher Sprache, Anton Urspruchs Das Unmöglichste von Allem) oder dass Melodienreichtum kein Garant für ein Machwerk sei (so Heinz-Klaus Metzger über Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte).
Überlegene Beweisführer stellten auch folgende Behauptungen auf: Ein abgeschlagener Kopf eines christlichen Propheten sei weniger anstößig als der eines islamischen Propheten (Jochanaan in Strauss‘ Salome und Mohamed in Hans Neuenfels‘ Inszenierung von Mozarts Idomeneo an der Deutschen Oper Berlin) oder der Auftritt eines namentlich nicht näher benannten, also prototypisch gemeinten Juden sei antisemitischer als der Auftritt von deren fünf, sich um ihre Religionsauslegung streitenden und keifenden Juden (der alte Jude in Thuilles Heiligenschein im Gegensatz zum Juden- Quintett in Strauss‘ Salome).
Umgekehrt hat die Beweisführung, das Tristan-Motiv stamme nicht von Richard Wagner, ebenso wenig zu einer größeren Popularität von Franz Liszt beigetragen wie das Auffinden von Zwölftonreihen vor der Erfindung durch Arnold Schönberg. Auch die korrekte Erkenntnis, wie viel Richard Wagner thematisch von seinem Freund Peter Cornelius übernommen hat, zeitigte aufführungsgeschichtlich keine Folgen.
Die Parallele zwischen Ludwig Thuille (1861 – 1907) und Peter Cornelius (1824 – 1874) auf der einen Seite, Richard Wagner und Richard Strauss (1864 – 1949) auf der anderen Seite, drängt sich auf. Schließlich hat Thuille Cornelius sehr geschätzt und den Klavierauszug zu dessen Oper Der Cid angefertigt. Beide waren Wegbereiter für ihre Freunde und trugen mit eigenen Einfällen zu deren Ruhm bei, beider wichtigstes Werk blieb zu Lebzeiten unterschätzt und beider letztes Bühnenwerk blieb Fragment.
Was Richard Strauss angeht, sei auf den Gebrauch der Hilfestellung durch Thuille hingewiesen und dessen Rücksicht, die etwa so weit reichte, eines seiner Lieder, das mehrere Jahre vor Strauss‘ Tod und Verklärung exakt dessen ungewöhnliche Harmoniefolge vorwegnahm, unveröffentlicht zu lassen. Peter P. Pachl