„Das war solch eine Raserei“

Es ist ruhig geworden um Eva Marton. Hierzulande, wo sie sich 2006 und 2007 als Elektra und Küsterin verabschiedete – es folgten noch Klytämnestra in Barcelona und Genf -, bevor sie als Gertrud in Erkels Bank Ban der Bühne endgültig Adieu sagte. Das war dann zuhause in Budapest, wo sie im November 1968 als Königin von Schemacha in Der Goldene  Hahn am dortigen Opernhauses debütiert hatte. „Übrigens“, so vertraute sie ihrem Chronisten András Batta an, „Sie werden es nicht glauben, aber die Jenufa war im März 2004 meine erste Premiere an der Budapester Oper, 36 Jahre nach meinem Debüt in Ungarn“. Budapest hatte freilich nicht viel von ihr. Bereits im Frühjahr 1971 sang sie die  Figaro-Gräfin an der Frankfurter Oper, deren Ensemble sie ab dem folgenden Jahr angehörte. Dann ging es Schlag auf Schlag mit den wichtigen Debüts: 1973 als Tosca an der Wiener Staatsoper, 1974 als Elisabetta in Brüssel und Donna Anna in München, 1975 Deutsche Oper Berlin und Zürich als Donna Anna,  1976 an der Met als Eva. 1977 erschien sie auf dem Grünen Hügel als Venus und Elisabeth und stellte sich als Kaiserin in Hamburg vor, wohin sie im gleichen Jahr dem an die Hamburgische Staatsoper berufenen Christoph von Dohnanyi gefolgt war, 1978 endlich die Scala mit der Trovatore- Leonore.

Zweifellos war die Marton, wie es auf einer amerikanischen Seite zu lesen ist, „one of the most famous dramatic sopranos in the world, and has performed at many of the world’s great opera houses. She is renowned for her starring performances in the operas Turandot, Tosca, and Elektra. She has also performed the lead roles in many Wagner operas, including Tannhauser, Lohengrin, and the role of Brunnhilde. ..“ Ihr Rollendebüt als Turandot in Wien, wo sie übrigens ihrer Landsmännin Maria Nemeth, welche  alternierend mit Jeritza die Wiener Erstaufführung gesungen hatte, nachfolgte, war ein Naturereignis, stets erlebte man eine Sängerin mit splendiden Mitteln, majestätischer Attitüde, souverän und mächtig im Ausdruck. Im Buch findet sich die hübsche Aussage über die Met-Gioconda, „.. eine überlebensgroße Aufführung einer italienischen Oper, etwas, von dem man bislang glaubte, es sei gemeinsam mit den Dinosauriern ausgestorben“.  
Um so erstaunlicher, wie ruhig es geworden ist, wie rasch der Nachruhm verblasst ist. Umso präsenter ist sie in ihrer Heimat, deren Staatsoper ihr im vorigen Jahre zum 70. Geburtstag eine Gala ausrichtete, zu der auch Jonas Kaufmann und Grace Bumbry nach Budapest gereist kamen, und wo dieser Tage der erste Internationale Eva Marton Gesangswettbewerb stattfand. An der Liszt-Akademie hatte sie neun Jahre den Lehrstuhl für Gesang inne und unterrichtet als emeritierte Professorin weiterhin. Etwas merkwürdig mutet an, dass dieses Buch ausgerechnet von einem Kollegen stammt, denn András Batta war ab 2002 zunächst Vizerektor und dann Rektor der Liszt-Akademie. Das Buch ist ein bisschen schmal, ein bisschen schmächtig für eine derart glanzvolle Karriere. Der Textteil umfasst nur 133, allerdings klein gedruckte Seiten, es folgen weitere rund 50 Seiten mit Auftritten und diversen Auflistungen, die winzig kleinen grieseligen Fotos sind ein Graus und einem Buch dieser Preislage unangemessen. Batta fragt aber sachlich und nüchtern die Stationen und die Rollen ab, bringt geschickt sein Wissen ein, das Buch ist keine auf den Knien geschriebenen Huldigung, eher eine feine Verehrung von Kollege zu Kollegin. Das ist in Ordnung. An vielen Stellen ist man erstaunt, wie offen und freimütig sich Marton äußert, so man das in solch einem Buch und von einer Diva überhaupt erwarten möchte, vor allem gefiel mir die Beschreibung der Kindheit, der Nachkriegssituation in Budapest, der Probleme mit den Gesangslehrern, der verstockten Atmosphäre an der Akademie, die schüchterne junge Menschen nicht auf ihre Laufbahn und nicht auf das Leben vorbereitete, der Drangsalierung durch das Kulturministerium und der vererbten Privilegien am dortigen Opernhaus; das wirkt lebendig  und plastisch, „Das Leben im Ungarn hinter dem Eisernen Vorhang war so absurd, so unwirklich“. Packend auch die Schilderung ihres Anfangs in Frankfurt – bevor sie nach Frankfurt ausreisen durfte, wohin sie auf Empfehlung Peter Mario Katonas kam,  musste neuerlich das Politbüro bekniet werden – wie sie und die Familie lebte, wie wenig Geld sie hatten („Wir haben dreimal die Woche Grillhendl gegessen, weil das am billigsten war“) und wie sich das Leben mit zunehmendem Erfolg und Geld veränderte.

Es ist nicht uninteressant, mit Marton durch ihre Rollen und Auftritte zu gehen, über die ihr Mann penibel Buch geführt hat, die Bühnen und Inszenierungen Revue passieren zu lassen, wobei auffällt, wie begeistert sie von den diversen Inszenierungen und Regisseuren spricht, wie interessiert und offen sie offenbar gegenüber Regieideen war, sich für Konwitschnys (in Hamburg) und Katharina Wagners (in Budapest) Lohengrin enflammierte und die Arbeit mit Harry Kupfer an der Elektra („Nie zuvor habe ich derart hart gearbeitet“) hervorhebt; für die Ariadne bringt sie im Strauss-Kapitel übrigens eine interessante Regie-Idee auf, „damals hätte ich mir gewünscht, sowohl die Ariadne als auch den Komponisten zu verkörpern. Ich wäre im Vorspiel nicht die Primadonna, sondern der Komponist gewesen, und erst in der Oper die Ariadne. Hätte es bloß einen Regisseur gegeben, der für diese Auffassung offen gewesen wäre..“  (Die Frau mit Schatten. Eva Marton im Gespräch mit András Batta (Hg.), Parthas Verlag, 184 Seiten, 50 s/w Abbildungen).

Rolf Fath