Tiefgang und Ausdruck

Es lässt sich kaum umgehen. Die Erwähnung, dass Julian Prégardien, der Sohn von Christoph Prégardiens ist, muss bei diesem Debüt-Album fallen, jedoch sofort mit der Bemerkung verbunden, dass der Sohn hier selbstbewusst einen eigenen Weg eingeschlagen hat. An die Geliebte heißt die klug zusammengestellte Lieder-CD, die Kompositionen von Beethoven, Weber, Strauss und Wolf vereint. Das große romantische Thema der Beschreibung, des Be- und Ansingens und der allegorischen Umschreibung der fernen, der nicht erreichbaren Geliebten wird hier angeschlagen – und als ein Zentralmotiv des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Julian Prégardien ist dabei ein vorzüglicher Gestalter, ganz im Sinne einer mit vokalen Mitteln erzielten Narrativik. Denn Textvorlage und musikalische Ausgestaltung gehen in der romantischen Poesie, der all diese Kompositionen verpflichtet sind, bis hin zu Richard Strauss’ frühem Mädchenblumen-Zyklus, eine untrennbare Bindung ein. Dass dies so vorzüglich gelingt, liegt auch an Christoph Schnackertz` vorzüglich illustrierender Klavierbegleitung, die immer wieder die Leerstellen findet, um selbst zum Akteur zu werden, Perspektiven zu öffnen und Gedanken sich verzweigen zu lassen –  ohne den Sänger in den Hintergrund zu drängen.

Julian Prégardien gelingt es, die beständige lyrische Idealisierung, die in den zeittypischen Texten eingefangen ist, als wesentliches Liebeskonzepte der Romantik auszumachen, mit klarer Artikulation und stilistisch auch mal die Grenzen des Gesangsausdrucks ausreizenden Mitteln. Die Ausdruckpalette reicht von der romantischen Ironie in Carl Maria von Webers leider viel zu unbekanntem Zyklus Die vier Temperamente beim Verluste der Geliebten (1816), über die an Stimmfarben reichen, allegorischen Schilderungen der vier Blumen aus Richard Strauss’ op.22, bis hin zu der poetischen Idylle der sechs ausgewählten Mörike-Lieder Hugo Wolfs. Beethovens An die ferne Geliebte und Resignation rahmen das Programm. „Auf dem Hügel sitz ich spähend“ beginnt es und der Blick richtet sich sofort auf die Liebe zur unerreichbaren Geliebten.

Die große Qualität dieser lebendigen CD ist die Vielgestalt der stimmlichen Mittel Julian Prégardiens, die nichts vom seriösen und ehrfürchtigen Kammerton vergangener Jahrzehnte kennt. Er ist als Geschichtenerzähler, Laut- und Klangmaler so überzeugend, dass man viele der bekannten Lieder ganz neu zu hören meint. Seine Stimme  ist tenorschlau, fast spitzbübisch deklamierend, effektvoll im Ausdruck, ohne effekthascherisch zu sein und so plastisch in der vokalen Gestaltung, dass man den „Sausewind, Brausewind“ in Wolfs Lied vom Winde im Nacken zu fühlen glaubt oder den Tambour aus seiner zur Schüssel gewordenen Trommel Würste und Sauerkraut essen sieht. Ein wahrer Geniestreich ist Beethovens Resignation am Ende dieser CD, die in ihrer sich selbst vergewissernden Interpretation das romantische Liebes-Panorama der vergangenen Stunde ins rechte Licht einer großen poetischen Geste rückt – und damit den Kern der literarischen und musikalischen Romantik erfasst, die nicht die ‚Erfüllung’ sondern die beständige‚Suche’ als Kernthema eines Zeitalters der Sehnsucht ausmachte. Und so endet diese inhaltlich ebenso dichte, wie in ihren Wendungen abwechslungsreiche CD folgerichtig mit Paul Graf von Haugwitz’ Versen: „Sucht, findet nicht, lisch aus, mein Licht!“ (Myrios Classics MYR012).

john mark aisnley heliosPhilip Heseltine wurde 1894 in London geboren und fand in seinem kurzen Leben, er starb unter tragischen Umständen im Alter von 36 Jahren, öffentlich Anerkennung vor allem für seine Lieder, die er unter dem Pseudonym Peter Warlock publizierte. Dabei wurde er vor allem für seine Vertonungen von Texten des sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert bewundert, die er mit großer Sensibilität in der Musiksprache seiner Zeit vertonte. Warlock galt als eine Autorität für die Musik des elisabethanischen Zeitalters und hat im Laufe seines Lebens über dreihundert elisabethanische und jakobinische Lautenlieder für Gesang und Klavier oder Chor bearbeitet. Neben den Texten aus dieser Zeit vertonte er jedoch auch Lyrik von W. B. Yeats und seiner Freunde Robert Nichols und Bruce Blunt. Etwa 120 Songs sind überliefert, knapp ein Drittel davon haben John Mark Ainsley und Roger Vignoles 1994 für das britische Label hyperion eingespielt. Vom frühen The wind from the West (1911) bis zur erst posthum veröffentlichten Komposition, dem relativ bekannten The Fox (1930). Auf Helios (das zu hyperion gehört) ist diese Referenzaufnahme nun erneut veröffentlicht worden.

Sänger und Pianist sind dabei ein ideales Paar, das das typisch britische Idiom dieser songs mit großer Leichtigkeit trifft und auf die hohe Qualität der Textvorlagen mit individuellen Interpretationen einzugehen versteht. Den in der Tradition seiner Vorbilder von Frederick Delius und Roger Quilter stehenden songs Warlocks begegnet Ainsleys mit seinem hellen, in allen Registern ausgeglichenen und kontrollierten Tenor mit einer Mischung aus sehnsüchtigem Ausdruck und Emphase. Klar wird dabei, dass Warlock  selbständige, hochwertige Klavierlieder geschaffen hat, die zu starker Dichte finden und stets einen poetischen Tiefgang in der musikalischen Textur haben. Ainsley findet die passenden Stimmfärbungen, um den Miniaturen eine unmittelbar präsente Atmosphäre und Ausdruckskraft zu verleihen. Die meist um existentielle Empfindungen kreisenden Themen der songs bekommen in seiner Interpretationen eine melancholische Schönheit, die sie zu mehr als beliebigen Genrebildern oder Trouvaillen machen. Zugleich gelingt es Ainsley, getragen von der präsent erzählenden, aber nie zu vordergründigen Begleitung Roger Vignoles, die songs mit einer den Hörer ansprechenden Direktheit in schlichter und unprätentiöser Ansprache zu inszenieren. Alles scheint hier auf eine unfassliche Sehnsucht hinzu drängen, die in ihren unendlichen Facetten einen Teil der Faszination dieser CD ausmacht. Ein ausgezeichneter Booklet-Text von Fred Tomlinson (leider nur auf Englisch) und die Song-Texte runden diese unbedingt empfehlenswerte Widerveröffentlichung ab (Helios CDH 55442).

Moritz Schön