Archiv für den Monat: November 2014

„Les Barbares“ von Saint-Saens

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Die Oper Les Barbares von Saint-Saens nach Sardou hatte 1901 im Pariser Palais Garnier ihre Premiere, nachdem sie eigentlich für das Riesenrund der Chorégie in Orange vorgesehen war, was sich auch in ihrem dramaturgischen Konzept widerspiegelt. Der Plot fokussiert sich weniger auf das zu erwartende Blutvergießen und Abschlachten, das assoziativ mit dem Wort „Barbaren“ einherging, sondern konzentriert sich Norma-gleich auf die Beziehung zwischen der Obervestalin Floria und Marcomir, dem Anführer der Barbaren. 71nsnWFCPgL._SL1500_Das musikalische Interesse kulminiert in deren prachtvollem Duett am Ende von Akt II. Wie ebenfalls Massenet in dieser Zeit demonstriert Saint-Saens seine Fähigkeit, seinen Stil den Erfordernissen des Sujets/Librettos anzupassen, um von der Vorlage inspiriert zu werden. Les Barbares stehen in derselben Tradition wie die Troyens von Berlioz und sind zeitgleich mit Faurés Pénelope. Der Komponist scheut sich nicht, seine Oper eine tragédie lyrique zu nennen, weil sie eben alle Merkmale des Genres aus dem 18. Jahrhundert aufweist.

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"Les Barbares": Orchesterprobe mit dem Komponisten/links, seinem Librettistren Gheusi, dem Intendanten Gailhard, dem Librettisten Sardou und dem Kritiker Joly in der Pariser Oper/Foto Bibl. Ville de Paris/Ediciones Singolares

„Les Barbares“: Orchesterprobe mit dem Komponisten/links, seinem Librettistren Gheusi, dem Intendanten Gailhard, dem Librettisten Sardou und dem Kritiker Joly in der Pariser Oper/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

Zudem lässt sich ein Hinweis auf den Franco-Preußischen Krieg von 1870 feststellen. Auslöser war der Streit zwischen Frankreich und Preußen um die Frage der spanischen Thronkandidatur eines Hohenzollernprinzen. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck ließ die Emser Depesche, mit der er darüber informiert worden war, dass König Wilhelm I. die französische Forderungen abgelehnt hatte, in provokant verkürzter Form veröffentlichen. Dies erregte auf beiden Seiten nationalistische Empörung und veranlasste den französischen Kaiser Napoléon III. am 19. Juli 1870 zur Kriegserklärung an Preußen. Entgegen Napoléons Erwartung traten die vier süddeutschen Staaten in Erfüllung ihrer so genannten Schutz- und Trutzbündnisse mit dem Norddeutschen Bund auf dessen Seite in den Krieg ein. Währenddessen blieb das übrige Europa neutral, da es Frankreichs Angriff als unbegründet ansah. Innerhalb weniger Wochen des Spätsommers 1870 wurden die französischen Armeen besiegt und Napoléon III. gefangen genommen. Die „Dritte Republik“, die sich daraufhin in Frankreich bildete, führte den Krieg fort und fand sich erst im Februar 1871, nach dem Fall von Paris, zumVorfrieden von Versailles bereit. Offiziell endete der Krieg am 10. Mai 1871 mit dem Frieden von Frankfurt, der hohe Reparationen sowie die Abtretung Elsass-Lothringens durch Frankreich vorsah. (Quelle Wikipedia)

"Les Barbares": die Sängerin Jeanne Hatto als Floria/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

„Les Barbares“: die Sängerin Jeanne Hatto als Floria/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

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Die neue Aufnahme bei Ediciones Singolares (im schönen, wenngleich unpraktischen Buchformat mit spannenden Aufsätzen und interessanten Abbildungen und den 2 CDs einliegend) steht wiederum unter der schützenden Hand des Palazetto Bru Zane und stammt von einem Konzert in Saint-Etienne im vergangenen Februar (2014). Laurent Camepellone dirigiert mit Macht die Kräfte des Choeur Lyrique und des Orchestre Symphonique Saint-Etienne Loire, und zu den Solisten zählen die bereits aus diesem Palazetto-Projekt bekannten Stimmen von Catherine Hunold, Julia Gertseva, Edgaras Montvidas, Phlippe Rouillon und anderen. G. H.

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Nun also der Text unseres französischen Kollegen Etienne Lafont: Ausgrabungen sind ja stets so eine Sache – nicht immer werden goldene Schätze ans Tageslicht gefördert, manches entpuppt sich dann auch als mehr als lässlich. Glücklicherweise gehört die soeben auf CD erschienene Oper Les Barbares von Camille Saint-Saens zu den lohnenden Funden der Opern-Antike. Sie ist eine erstaunliche Komposition, die mit einem umfangreichen Prolog beginnt. Diese gut zwanzig Minuten Musik überraschen durch den Einsatz eines Rezitanten (der wie der antike Chor die Handlung erzählt), aber vor allem durch den Reichtum eines üppigen Musik-Materials: Saint-Saëns führt mit einer Überfülle an musikalischen Farben die Hauptmotive vor, die man später wiederfindet: eine einleitende Betonung der zentralen Rolle, die das Orchester in der gesamten höchst überzeugenden Partitur spielt, wobei die Opulenz der Orchestrierung nie belanglos-dick wird. Saint-Saëns kennt seinen Wagner, kennt die symphonische Musik von Strauss und die ersten Opern von Puccini zur der Zeit, als er Les Barbares komponierte. Aber er bleibt stets und eindeutig unabhängig und einer französischen Linie verpflichtet. Offenbar hatte er das Beispiel der Troyens ebenso wie das von Gluck vor Augen, weniger Spontini. Diese Oper, Les Barbares, entstammt einer Tradition der französischen Musik, die die Wagnerschen Richtlinien verinnerlicht, sich zu eigen gemacht hat und abwandelt (man denkt dabei besonders an den späten Massenet und an Reyer). Ganz eindeutig hat die Beschäftigung mit dem Sujet den Komponisten zu einer Suche nach neuen Klangfarben, nach anderen Ausdrucksmöglichkeiten angeregt – so wie Reyer mit seiner kurz zuvor erschienenen Salâmmbo nach Flaubert.

"Les Barbares": der Bass Delmas als Scaurus/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

„Les Barbares“: der Bass Delmas als Scaurus/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

Das heute sommerlich genutzte Riesenrund der Chorégies in Orange existierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht als Publikumsmagnet, aber es war mit dem Projekt einer Opern-Aufführung im antiken Theater, dass die Direktion der Beaux-Arts Anfang 1900 Camille Saint-Saëns den Auftrag für eine Oper nach einem Libretto von Victorien Sardou und Pierre-Barthélémy Gheusi gab: Les Barbares. Die geringe Begeisterung des Komponisten für die – Saint-Saëns eher ungeeignet scheinende – Spielstätte und die avisierten Kosten für dies Unterfangen führten dazu, dass die Idee einer Aufführung vor der antiken Mauer aufgegeben wurde. Schließlich war die Uraufführung am 23. Oktober 1901 im Pariser Palais Garnier unter der Leitung von Paul Taffanel und in einer Inszenierung von Pedro Gailhard und Victorien Sardou sehr erfolgreich. Seither wurde die Oper jedoch nie wieder aufgeführt. Ganz wie Massenet in derselben Epoche demonstriert hier Saint-Saëns mit dieser Oper seine Fähigkeit, seinen kompositorischen Stil seinen literarischen Vorlagen zu anzupassen. Im Fahrwasser der Troyens von Berlioz – und zur Zeit der Komposition von Faurés Pénelope –, geniert er sich nicht, seine Verbeugung vor dem Genre des 17. Jahrhunderts eine tragédie lyrique zu nennen.

"Les Barbares": die Sopranistin Heglon als Livia/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

„Les Barbares“: die Sopranistin Heglon als Livia/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

Seine neue, interessante Orchestrierung ist in diesem neuen Werk von ungefähr drei Stunden Musik (zwei Pausen einschließlich, ungefähr 40 Minuten ausschließlich orchestraler Musik) besonders erfolgreich . Der Prolog, der die Hauptthemen der Partitur vorwegnimmt, ist erstaunlich, angefüllt mit eigenartigen Modulationen, bei denen man sich fragt, welcher Akkord welchem anderen folgt. Das ist ein wenig nervig, aber spannend. Die szenische Aktion verzichtet auf ausufernde blutrünstige Effekte, um sich auf die Entwicklung der Liebesbeziehung zwischen der Vestalin Floria und dem Barbarenherrscher Marcomir zu konzentrieren. Die Musik hat zweifellos ihren Höhepunkt in deren wunderbaren Duett, das den 2. Akt beendet. Im 3. Akt gibt es eine Ballettmusik mit mehr oder weniger Überbrückungsfunktion, die mit einer Art mediterranem Volkstanz beginnt (wie bei Bizet!), gefolgt von einigen weniger interessanten Stücken, um mit einem seltsamen spanischen Tanz zu enden, der scheinbar endlos hintereinander dieselben vier Takte wiederholt, unter einem Klangteppich von wirklich erstaunlichen Dissonanzen.

"Les Barbares": Bühnenbildentwurf zum 3. Akt/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

„Les Barbares“: Bühnenbildentwurf zum 3. Akt/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

Die Story dreht sich um die problematische Liebe der römischen Vestalin Floria zu Marcomir, einem germanischen Eroberer die Goten statten Rom gerade einen vorübergehenden Besuch ab. Die Handelnden in der Oper sind vom Libretto her zu wenig entwickelt, denn was hier zählt, sind die Klimaxe der Situationen und der Affekte. Dies dank einer gewaltigen, leidenschaftlichen Musiksprache, die wirklich Spannung verbreitet. Der 1. Akt ist eine einfache Exposition der Situation, aber die Solisten müssenang an alles geben, was nicht eben sängerfreundlich ist. Im 2. Akt sieht man die Ankunft der Barbaren im Tempel der Vesta (beeindruckender Chor), was einzig der Oper den Titel gibt, denn der Rest ist nur eine Liebesgeschichte. Der Anführer der Krieger, Marcomir, erweist sich sogar als besonders zartfühlend, weil er es ablehnt, Floria mit Gewalt zu nehmen und ihr die freie Entscheidung lässt. Sie verliebt sich natürlich in ihn.

"Les Barbares": Bühnenbildentwurf zum 1. Akt/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

„Les Barbares“: Bühnenbildentwurf zum 1. Akt/Foto Bibl. Historique Ville de Paris/Ediciones Singolares

Norma und Spontinis Vestalin grüßen herüber. Das sehr schöne Liebesduett am Ende des 2. Aktes ist der eindrucksvollste Teil der Komposition, und trotz einer machtvollen Orchestrierung lässt es die Stimmen sich entfalten und gibt Gelegenheit zu gefühlvollen Piani. Im 3. Akt, nach den oben erwähnten Balletten, löst sich die Handlung rasch auf: Nach einer Szene der allgemeinen Freude des Volkes über den Abzug der Angreifer kündigt Floria ihren Entschluss an, ihrem Geliebten zu folgen. Ihre Freundin Livia schlägt vor, sie zu begleiten, aber das ist eine List, um den, der ihren Gatten im Kampf getötet hat, zu entlarven. Es handelt sich natürlich um Marcomir, sie stößt ihm eine Waffe mitten ins Herz, und Floria sinkt verzweifelt zu Boden.

"Les Barbares" in Saint-Etienne: Photo Edgaras Montvidas © Charly Jurine/Opéra Théâtre Saint-Etienne

„Les Barbares“ in Saint-Etienne: Photo Edgaras Montvidas © Charly Jurine/Opéra Théâtre Saint-Etienne

Die Besetzung weist einige der bereits aus anderen Veranstaltungen und Aufnahmen des Palazetto-Bru-Projektes zur Wiederbelebung der romantischen französischen Oper bekannte Sänger auf. Cathérine Hunold gibt eine viel zu lyrische Vesta-.Priesterin Floria mit Wissen um die Partie und enormem Einsatz, und der Raubbau an der zu kleinen Stimme macht sich mit deutlichem Vibrato bemerkbar. Der Fund der Einspielung ist der lettische Tenor Edgaras Montvidas als superber Germanen-Anführer Marcomir mit überraschend exzellenter Diktion und stentoralen Tönen. Leider hat die Aufnahme in der Vestalin Livie in Gestalt von Julia Gertseva eine akute Graustelle – sie klingt matt und unterbelichtet. Jean Teitgen dagegen, als Recitant des Prologs und als römischer Krieger Scaurus, ist mit seinem markanten Bariton eine Wucht.

Das gilt auch für die herbe, sonore Bass-Stimme von Philippe Rouillon als Germanenführer Hildibrath bzw. Oberpriester (le Grand Sacrificateur). In kleineren Rollen gefallen Tigran Guiragosyan, Laurent Pouliade und Ghezlane Hanzazi. Star der Aufnahme ist jedoch der Dirigent Laurent Campellone am Pult der wirklich überzeugenden Kräfte aus Saint-Etienne (Le Choeur Lyrique und das Orchestre Symphonique Saint-Etienne Loire). Etienne Lafont (Dank an Ingrid Englitsch für die Übersetzung der obigen Texte/Redaktion G. H.)

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"Les Barbares" in Saint-Etienne: Photo Laurent Camepllone © Charly Jurine/Opéra Théâtre Saint-Etienne

„Les Barbares“ in Saint-Etienne: Photo Laurent Camepllone © Charly Jurine/Opéra Théâtre Saint-Etienne

Charles Joly, ein Pariser Kritiker, berichtet von der Urauffürung der Barbares 1901: Der „Figaro“ erweist mir die Ehre, vom heutigen Tag an über die Musikangelegenheiten zu berichten, eine äußerst schwierige Aufgabe, weil sie sieben Jahre lang durch einen wichtigen Komponisten erfüllt wurde, dessen Ehrlichkeit und gewaltige Persönlichkeit den Respekt und die Wertschätzung aller geboten hat: Ich spreche von M. Alfred Bruneau. Wenn es auch gefährlich für einen Kritiker ist, der Nachfolger eines so lebensstarken und persönlichen Künstlers zu sein, so hoffe ich doch wenigstens, dass man meine Bemühungen, meine Aufgabe für eine so wichtige Zeitung wie den „Figaro“auf würdige Weise zu erfüllen, berücksichtigen wird. Bevor ich beginne, lege ich Wert darauf, meinem Vorgänger meine freundschaftliche Sympathie auszusprechen. Mein Lehrer und Freund Herr Gustave Larroumet hat eben hier vor zwei Tagen erzählt, wie das Werk der Herren Sardou, Gheusi und Saint-Saëns, das zuerst für das römische Theater von Orange konzipiert war, danach umgeformt wurde, um an der Oper aufgeführt zu werden. Jeder hat auf die von den Autoren bezüglich des Theaters von Orange, das erst unter Marc Aurel erbaut wurde, beabsichtigten Anachronismen hingewiesen. Alle haben die Gelegenheit ergriffen, die römische Geschichte in den Händen, über den Einfall der Zimbern und Teutonen, die ein Jahrhundert vor dem christlichen Zeitalter, aus ihrem Land durch den Einfall der Völker aus dem Baltikum, nach Süden ziehen, sechs Legionärs-Armeen ausgelöscht haben und, auf ihrem Weg alles zerstörend, bis Orange kamen. Alles wurde schon über das Werk gesagt, also kann ich darauf verzichten, noch einmal darauf zurückzukommen.

"Les Barbares": Charles Rousseliere sang die Partie des Veileure in der Uaufführung/OBA

„Les Barbares“: Charles Rousseliere sang die Partie des Veileure in der Uraufführung/OBA

Ich erwähne nur, dass den Barbares ein Prolog vorangesetzt ist, der, nach antiker Art rezitierend ebenfalls das Drama in großen Zügen zusammenfasst. Ich stelle ein anderes Detail fest, das noch nicht erwähnt wurde, das die Ruhe Florias erklärt, die im Widerspruch zu dem Schrecken steht, der bei der Ankunft der wilden Horden in dem Theater um sie herrscht, von denen man annimmt, dass sie ein schreckliches Blutbad anrichten werden: Es haben nicht nur die Vorzeichen der Vesta Floria die Befreiung der Stadt versprochen, die Priesterin weiß auch, dass die Barbaren das Feuer anbeten. Also facht die Vestalin, als diese über die gallischen Römer herfallen, das heilige Feuer ihrer goldenen Stäbe an: Die daraus entspringenden Flammen erfüllen die Germanen mit einem religiösen Schauder; sie sehen darin eine Offenbarung von Thor, dem Gott des Feuers, und sie wagen es nicht, weiterzugehen. Man kennt den Rest. Marcomir, der Anführer der Barbaren ist von der Schönheit Florias gefesselt: Er gesteht ihr seine Liebe; die Vestalin lässt sich nach und nach erweichen und sinkt schließlich in die Arme ihres Besiegers. Floria wird orange verlassen, um Marcomir zu folgen; aber Livia hat in dem Germanenführer den Mörder des Konsuls Euryale, ihres Gatten, der am Vortag in der schrecklichen Schlacht gefallen ist,erkannt; sie sticht ihn in dem Moment, als er mit Floria wegziehen will, ins Herz. So hat Vesta die Beleidigung, die ihrem Kult zugefügt wurde, gerächt.

"Les Barbares" in Saint-Etienne: Photo Jeanm Teitgen © Charly Jurine/Opéra Théâtre Saint-Etienne

„Les Barbares“ in Saint-Etienne: Photo Jean Teitgen © Charly Jurine/Opéra Théâtre Saint-Etienne

Die Protagonisten der Oper werden ihr sicher seine zu große Einfachheit vorwerfen. Die Handlung reduziert sich tatsächlich auf eine von zweitrangigen Vorfällen begleitete Katastrophe: Die Situationen sind manchmal sogar schwach verbunden; und, um die Wahrheit zu sagen, man würde wünschen, das eine flexiblere Bewegung des Lebens von Zeit zu Zeit die Strenge der Situationen ersetzen würde. Man muss außerdem auf die sehr konventionelle Seite hinweisen, die diese lyrische Tragödie manchmal einer Oper der guten alten Zeit ähneln lässt. Alle diese kritischen Einwände hätten Bedeutung, wenn das Drama der Herren Sardou und Gheusi die Inspiration von Herrn Saint- Saëns in irgendeiner Weise behindert hätte. Im Gegenteil, die Partitur des Meisters erhellt es mit einem heiteren Licht. Nichts Unzulängliches findet sich in dem Werk, so dass nichts in der Partitur uns stört, deren Transparenz, solider und gleichzeitig weicher Stil attische Anklänge hervorruft. Also was wollen Sie? Ich lasse mich von dem kostbaren Charme gewinnen, den diese Musik verströmt, und mein Herz und Geist sind so entzückt, dass ich, wenn ich sie höre, diese Diskussionen, die um diese Oper geführt wurden, vergesse.

"Les Barbares" in Saint-Etienne: Dekors für den 1. Akt/J. Pons/Ediciones Singolaris

„Les Barbares“: Dekors für den 1. Akt/J. Pons/Ediciones Singolaris

Übrigens, wer hat Recht, die, die zwar voll Talent, aber von ihrer Anhängerschaft zu dem mächtigen Meister jenseits des Rheins völlig besessen sind und uns nur Abglanzwerke geben können, oder jene wie Saint- Saëns, die den reinen Traditionen unserer Rasse treu bleiben? Wer hat Recht, diejenigen, die unter dem Deckmantel einer falschen Psychologie und unter dem Vorwand, uns einen „Teile echten Lebens“ zu bieten, die Musikkunst in die Sackgasse des tiefen und hässlichen Realismus geführt haben, oder jene, die, wieder wie Saint-Saëns, Anbeter der Form und der Schönheit geblieben sind? Ich zögere nicht, ich stimme für Saint-Saëns; ich stimme für den Meister, der die große klassische Linie von Haydn und Mozart weitergeführt hat, für den besten Musiker, den wir seit Berlioz in Frankreich haben, für den untadeligen Künstler, der so großartig die französische Schule repräsentiert, auch außerhalb unserer Grenzen. Und wenn wir uns auf das Gebiet der absoluten Kunst begeben, so kenne ich nicht viele Komponisten, die seit den großen Meistern, in der Lage waren, in dem gleichen Maße, wie es Saint-Saëns getan hat, ein so exklusives Werk an Form und Idee zu schaffen wie ein Septett, ein Quintett, ein Trio oder eine Symphonie.

"Les Barbares" Bühnenbildentwurf für den 2. Akt/Pons/Ediciones Singolares

„Les Barbares“ Bühnenbildentwurf für den 2. Akt/Pons/Ediciones Singolares



Aber jetzt haben wir uns von den Barbaren weit entfernt. Kommen wir darauf zurück. Eine Meisterschaft, die an ein Wunder grenzt, eine fast eben solche Inspiration, eine große Reinheit der Form und eine sehr französische Klarheit, das sind die wichtigsten Charakteristika der Oper. Das Werk beginnt mit einem breiten Prolog, einer wunderbaren Symphonie, die das Repertoire der großen Konzerte bereichern wird, und in dem das Drama uns als eine Art instrumentale Synthese erscheint. Denn, ich habe es Ihnen noch nicht verraten, es gibt Leitmotive in den Barbares, nur vier oder fünf, und keineswegs Leitmotive, die auf kleinste Proportionen reduziert sind, die uns zwingen würden, sie wie ein Logogriph oder ein Rätsel zu entschlüsseln, sondern wirklich Themen, rein und ausdrucksvoll, und auf diesen mit unendlicher Kunst nuancierten, variierten und einander gegenübergestellten Themen ist der Prolog aufgebaut. Der ganze Teil des ersten Akts, der gewissermaßen als Exposition des Dramas dient, ist von einer großen Nüchternheit und gleichzeitig von einer von einer beabsichtigten Strenge, was bewirkt, dass man Hörer ihn langsam finden. Man könnte tatsächlich sagen, dass der Komponist die ersten Szenen absichtlich düster gehalten hat, um einen glücklichen Kontrast mit der Begegnung von Marcomir und Floria zu erreichen. Doch von da an wirkt der musikalische Charme. Hören Sie die kostbare Violinphrase, die die Frage Macomirs an Floria begleitet, die nicht weniger exquisite der Oboe und des Horns, die die Antwort der Priesterin der Vesta unterstreicht, und vor allem die breite Melodie des Orchesters, als Macomir seine Krieger aus dem Theater verjagt hat und der Held und die Vestalin sich still betrachten. Nicht nur der gesunde klassische Stil ist es, der sein Quintett belebt und nicht nur die bewundernswerte Anordnung der akustischen Gruppen, sondern in den kleinen Details der harmonischen Färbung, wie eine Note des Horns, der Oboe oder eine Harfenpassage, die immer ein Gefühl oder eine Empfindung hervorrufen, erweist sich Saint-Saëns als der erste Symphoniker unserer Zeit.

"Les Barbares": Albert Vaguet sang den Marcomir der Uraufführung/OBA

„Les Barbares“: Albert Vaguet sang den Marcomir der Uraufführung/OBA

Dennoch sind diese heiteren Schönheiten des ersten Akts nichts, wenn man sie mit denen vergleicht, von denen die Liebesszene überfließt, die den 2. Akt beendet. Die Todesschreie in der Stadt sind verstummt und Marcomir gesteht Floria seine Liebe. Der Schrecken ist noch im Herzen der Vestalin und das Orchester hat das Motiv, leicht abgewandelt, wieder aufgegriffen, das wir gehört haben, als Scaurus den blutige Körper von Euryale gebracht hat; aber das Vertrauen erwacht nach und nach im Geist der Priesterin, die steigende Zärtlichkeit des Helden erweicht ihr Herz; das Orchester schmilzt dahin und sie sinkt in die Arme ihres Siegers. Nun wird die Anrufung von Freia, die Marcomir und Floria singen, mit einer wunderbaren technischen Geschicklichkeit von der Anrufung der Venus, die Livia zuvor gesungen hat, begleitet; eine Atmosphäre der Liebe steigt aus dem wärmer, zärtlicher gewordenen Orchester,; der Himmel ist voll von Sternen; die beiden Liebenden können sich lieben. Dieser Teil ist die unschätzbare Perle dieser Partitur, die auch andere Werte enthält, wie die Arie des Erzählers, die traurigen Melodien von Livia, deren letzte im 3. Akt als Thema des Trauermarsches dient, der den Leichenzug von Euryale begleitet; und auch im 3. Akt die interessante symphonische Stelle, die den Abzug der Barbaren beschreibt, die Männer- und Frauenchöre, die Ballettmusiken, schließlich die pittoreske Farandole, die nach den romanischen Riten nachgebildet ist und die Querpfeifen, Oboen, Kastagnetten und Tamburin beleben und in eine schwindelerregende Bewegung treiben. Dieser Tanz hatte einen enormen Erfolg, aber noch weniger groß als der, den die wunderbare Schlussszene des 2. Akts davongetragen hat.

Saint-Saens´“Barbares“: noch einmal Jeanne Hatto, die auf Reyers „Sigurd“ zum Erfolg verhalf, als Floria/OBA

Es bleibt mir nur, alle Interpreten dieses schönen Werks, das der französischen Kunst zur Ehre gereicht, zu loben: Fräulein Hatto, feierlich in der Rolle der Floria und mit einer Stimme, die geschmeidiger geworden ist und an Volumen gewonnen hat; Madame Héglon, äußerst dramatisch, mit großartiger Attitude als Livia, die mit vollendeter Kunst die Strophen an Venus und den Abschied von Euryale gesungen hat; M. Delmas, der wenig zu singen hat, obwohl er die beiden Rollen des Erzählers und des Scaurus darstellt, aber dieses Wenige ist so schön, vor allem im Prolog, dass wir wieder einmal die Großzügigkeit seiner Stimme und die Klarheit der Diktion dieses großen Künstlers bewundern; M. Vaguet, der Macomir verkörperte und der uns durch die Schönheit seines Stils und den Charme bezaubert hat, mit dem er alles singt. Die Herren Riddez und Rousselière sind beide bemerkenswert in den Rollen von Hildebrath und des Wächters. Nicht zu vergessen Herr Taffanel, der das Orchester perfekt leitet; Herr Paul Puget, der die Chöre einstudiert hat; Catherine und André Gailhard, die die Gesangseinstudierung vorbereitet haben; Herr Lapissida, der geschickt die Inszenierung gestaltet hat; das Ballet von Herrn Hansen, die Bühnenbilde von Herrn Jambon und die Kostüme von Herrn Bianchini. Zuletzt wollen wir Herrn Gailhard beglückwünschen, den Direktor der Oper, der die Seele der Einstudierung der Barbares war und sie vom ersten bis zum letzten Tag überwachte, dass er dieses Werk mit aller Sorgfalt, die es verdient auf die Bühne gebracht hat, in dessen hoher Qualität sich die reine musikalische Schönheit manifestiert, so wie sie die großen Meister verstanden haben und wie sie die wirklichen Künstler immer aufrecht erhalten werden.

webcam gay free livetom brady datazione giseleontairio webcamhttp://basaranguvenlik.com/index.php?382incontri birdwatchingvederci contro datazione wir Herrn Gailhard beglückwünschen, den Direktor der Oper, der die Seele der Einstudierung der Barbares war und sie vom ersten bis zum letzten Tag überwachte, dass er dieses Werk mit aller Sorgfalt, die es verdient auf die Bühne gebracht hat, in dessen hoher Qualität sich die reine musikalische Schönheit manifestiert, so wie sie die großen Meister verstanden haben und wie sie die wirklichen Künstler immer aufrecht erhalten werden.

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(Dank an Ingrid Englitsch für die Übersetzung dieses langwierigen, historischen Textes, den wir dem Booklet zur Neuaufnahme bei Ediciones Singolares entnommen haben. )

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Bisherige Beiträge in unserer Serie Die vergessene Oper finden Sie hier

Dingsbums-Prinzessinnen

„Ich weiß, überhaupt nicht, was ich machen soll“, klagt das Mädchen. Es ist bei seiner Cousine „in Kairo mit den großen Pyramiden“ zu Besuch. Gestern verkleideten sie sich als Prinzessinnen, Cousine Amneris als ägyptische Prinzessin, sie selbst als Prinzessin, kaum kann sie das Wort aussprechen, aus Äthiopien, legten dann Ketten um die Haare, so wie, na ja, „Dingsbums-Prinzessinnen“ eben. Im alten Ägypten knarren und knirschen die Türen und es gibt „Wasser mit Zitrone“, als Aidas Vater kommt, um die die Tochter abzuholen. Doch Amneris will noch ein Spiel spielen. Ihr Vater kann ihr nichts abschlagen. Man bildet zwei Gruppen, Gefangene sollen genommen werden, und der Nachbarsjungen Radames, den Aida so sehr mag, macht in der Gruppe von Amneris mit, worauf Aida gar nicht weiß, wem sie nun die Daumen drücken soll, damit er den Granatapfelkuchen mit Honigschaum erringt. Aida wird gefangen genommen, sitzt im Schuppen und langweilt sich, bis sich Radames, es ist der ehemalige „Verbotene Liebe“-Schauspieler Luca Zamperoni, dem wir u. a. auch als Taumännchen, Sharpless und Pastia begegnen, sich endlich von der intriganten Amneris, die das kleine Cousinchen Aida ständig malträtiert, lossagt – „Mit so einer wie Du will ich nichts zu tun haben“. Als Strafe für seinen Verrat darf einen Tag lang keiner mit ihm spielen. Allein sitzt er am Nil-Fluss, aber Aida ist nicht abgereist. Alles ist gut. Über Giuseppe Verdis Oper wird nichts erzählt, auch nicht darüber, weshalb in einer unverständlichen Sprache gesungen wird. Darüber, „warum in der Oper eigentlich gesungen wird“, erzählt Christine Lemke-Matwey im Beiheft, „die Menschen auf der Bühne singen einfach, weil es Spaß macht. Wenn in der Oper alles zusammenkommt, der Text, die Musik, die Darsteller, Regie, Kostüme, Bühnenbild und Licht, dann kann das ein großartiger Genuss sein. Als würden sich die Türen zu einer fremden Welt öffnen.“

Mit relativ viel Musik (Ricco Saccani mit Dragoni und Johansson in Dublin 1994, wobei die Beihefte die Sänger ungenannt lassen) dauert der Blick in eine fremde Welt knapp 50 Minuten, etwas länger als die meisten der elf anderen Hörspiele, mit denen „Kinder ab 4 und die ganze Familie“ an Opern von Beethoven, Bizet, Humperdinck, Mozart, Puccini Rossini, Wagner, Weber und Verdi herangeführt werden sollen (www.zeit.de/shop). Ab 4 Jahre? Ob das so einfach geht?

„Aus jeder Oper haben wir die wichtigsten Musikstücke ausgewählt, die einen musikalischen Querschnitt zeigen; bedrohliche wirkende Passagen werden dabei nur in Ansätzen gespielt. Die Musikstücke passen inhaltlich zur jeweiligen Hörspielszene, in der sich fließend Sprechrollen sowie unterlegte und freistehende Musik abwechseln“, so der Herausgeber Bert Alexander Petzold vom Amor Verlag, „die Handlungen der Opern haben wir, wie auch bei Literaturverfilmungen üblich, gestrafft und mit Rücksicht auf die Lebenswelten der kleinen Hörer behutsam angepasst. Morde und Selbstmorde werden zu weniger tragischen Abschieden auf Reisen, aus einem blutigen Krieg wird ein Wettbewerb“. Ist das überzeugend? Die von Stefan Siegert Anfang der 1990er Jahre erdachte und immer noch fortgeführte Deutsche Grammophon-Reihe „Der Holzwurm der Oper erzählt“, in der Ilja Richter aus der Sicht eines Holzwurms und Silke Dornow als Motte durch die Welt der Oper führen, erscheint mir da ungleich innovativer und geistreicher, gewitzter und vielschichtiger. Und einfach besser als diese etwas betulichen und trotz ihrer scheinbaren Modernisierung altbackenen Hörspiele.

Und wieder ist ein Mädchen traurig, und zwar weil es sein geliebtes Land verlassen muss. Es lässt sich auch nicht von Freundin Brangäne trösten, die von einer Postkarte des Vaters berichtet. Glücklicherweise ist da Matrose Tristan, in den sich Isolde verliebt. Der alte Mann, den sie heiraten soll, ist darüber böse, „Ihr beiden seid für mich gestorben“. Doch Isolde und Tristan wissen, „wir werden für immer zusammen sein!“. Als weiße Sterne leuchte sie schließlich, „so hell, so wunderschön“. Und alle freuen sich, „sie sind sie wirklich für immer zusammen“. Die Musik dazu stammt aus Leif Segerstams Stockholmer Aufnahme von 2004.

Und so geht es weiter: „Alle lieben Carmen. Die verzweifelt an ihrem störrischen Hengst, den sie seit Wochen vergeblich trainiert. Carmen will ihr Problem lösen, doch nur mit Hilfe des Stallburschen José kann Carmen ihren waghalsigen Plan verwirklichen“ (Alexander Rahbari, 1990 Bratislava). Das Kurtisanenstück La Traviata geht so: „Violetta liebt Geburtstagsgeschenke, und ihre Partys sind die besten in ganz Paris“ (Alexander Rahbari, Bratislava 1990). Und Madama Butterfly so, „Die schöne Cho-Cho-San arbeitet als Kellnerin im Teehaus. Dort trifft sie den sympathischen Amerikaner Pinkerton“ (Günter Neuhold, Bremen 1990). Klar, dass Leonore und Florestan „durch die Gassen Sevillas stromern“, der Barbier von Sevilla „ein Hansdampf in allen Gassen ist“ und Max mit der Försterstochter Agathe auszugehen beabsichtigt.  Ach ja….

R. F.

Irreführender Titel

Streng sieht sie aus, Sandrine Piau, auf dem Cover für ihre CD mit Mozart-Arien, der zweiten nach der ebenfalls bei naive eingespielten von 2001, und das sollte sie auch, nennt diese sich doch Desperate Heroines , was insofern nicht zutreffend ist, als die meisten der Damen entweder nicht verzweifelt oder keine Heldinnen oder keines von beidem sind. Sogar ein Mann tummelt sich mit dem Aminta aus Il Re Pastore unter ihnen.

Die kleine Barbarina ist sicherlich keine Heldin, wenn auch über den Verlust der Nadel verzweifelt, und der Sopran gibt dem mit zart-verhuschtem Singen beredten Ausdruck. Welten liegen zwischen der niedlichen Kleinen und Donna Anna aus Don Giovanni, die in ihrer letzten Arie so recht verzweifelt nicht mehr, sondern eher von Hoffnung beseelt ist. Ihre Entschlossenheit ist eine sanfte mit feinen Piani in den Höhen, mit kristallinem Timbre, nicht ohne manieristische Züge, der man die empfindsame Seele abnimmt. Das Mozarteum Orchestra Salzburg unter Ivor Bolton schließt sich der feinsinnigen Lesart an wie auch dem herzhafter gehaltenen Schluss. Mild leidet die Sandrina aus La finta giardiniera mit leicht hingetupften Tönen. Alles andere als verzweifelt ist Susanna in ihrer Rosenarie, die deliziös knospenhaft bleibt und sich nur zaghaft dem Zauber von Natur und Erotik hingibt. Eine schöne Verzierung mit Extrahöhe erinnert an barocke Freiheiten. Mehr im Rezitativ als in der Cavatina finden sich bei der wirklich verzweifelten Heldin Aspasia tragisches Gewicht  und ebensolche Aufwallungen. Eher gemessen ist der mittlere Teil aufgefasst, nur am Schluss geht die Sängerin wieder mehr aus sich heraus. Mit einem interessanten Spiel der Stimmfarben lässt sich noch einmal die Sandrina vernehmen, rasant zu Beginn; und „infelice, a morir“ hat den angemessenen Tonfall. Ilia aus Idomeneo  zeigt keinerlei Anzeichen von Verzweiflung, lässt vielmehr, der Arie entsprechend, die Stimme schön und ruhig fließen, maßvoll auch in der „gioia“. In ein sehnsüchtiges „ah, sposo“ legt die Sängerin der Giunia aus Lucio Silla viel Gefühl, die Gratwanderung zwischen Gefasstheit und Schmerzensausbruch beherrscht sie meisterhaft, nur der Schluss fällt etwas matt aus. Feine Klanggespinste gibt schließlich auf allerdings sehr weiblich klingende Art Aminta aus Il Re Pastore  zum Besten. So kontrastreich wie die Gestalten Mozarts untereinander erscheinen, ist der durchweg anmutige Gesang, in dem sie sich äußern, nicht (naive  V5366).

Ingrid Wanja

 

 

Nachtrag zum Gluck-Jahr

Le Belle Immagini heißt die neue CD von Valer Sabadus, der inzwischen den ersten Teil seines einstigen Doppelnamens abgelegt hat und nun bei SONY aufnimmt (8 88430 19242 3). Der Countertenor stellt in diesem Programm für den Soprankastraten Giuseppe Millico komponierte Arien von Christoph Willibald Gluck und Antonio Sacchini vor. Letzterer lebte von 1730 bis 86 und verzeichnete 1773 in London enormen Erfolg mit seiner Oper Le Cid – Millico in der Titelrolle hatte wesentlichen Anteil an diesem Triumph. Bei den drei von Sabadus gewählten Ausschnitten aus diesem Werk handelt es sich um Weltersteinspielungen, beginnend mit dem Rondo, „Vieni, o caro amato bene“. In seiner reichen melodischen Erfindung steht es Mozart nahe, die elegische pastorale Stimmung malt der Sänger mit betörender vokaler Schönheit aus. Seine mühelos bis in die Extremhöhe reichende Stimme hat mit den exponiert notierten Stücken keine Probleme, was auch das zweite Beispiel, die Arie „Placa lo sdegno o cara“, zeigt. Zudem ist sie ein Beweis, dass Millico, der eher ein Sänger des espressivo und weniger der bravura war, durchaus in anspruchsvollen Koloraturpassagen brillieren konnte. Sabadus glänzt damit gleichfalls mit einem vokalen Feuerwerk von stupender Mühelosigkeit, Letztes Stück aus dem Cid sind Rezitativ und Arie „Ecco, o cara nemica/Se pietà tu senti“, wo die Wehmut des Abschieds dominiert. Zeitgenossen nannten diesen Arien-Typ Air pathétique und Millico war der ungekrönte König dieses Genres. Auch für Sabadus, dem allgemein die getragenen, schmerzvollen Szenen besonders liegen, bietet diese Nummer Gelegenheit, neben der Schönheit seines Timbres eine ergreifende Ausdrucksdimension zu zeigen.

Es war eine sinnvolle Entscheidung, die Sacchini-Szenen mit solchen von Gluck zu ergänzen, war Millico doch ein bedeutender Interpret der Musik des Wiener Hofkomponisten. 1769 hatte er ihn in Parma erstmals getroffen und dort seinen Orfeo gesungen. Der Auftritt fand anlässlich der Vermählung von Maria Theresias Tochter, Maria Amalia, mit dem Herzog von Parma statt, wofür Gluck mit der Komposition einer Festoper beauftragt wurde. Diese umfasste einen Prolog und drei Einakter, deren einer die gekürzte Wiener Fassung des Orfeo bildete, nun Atto d’Orfeo betitelt. Die von dem Altisten Guadagni sieben Jahre zuvor kreierte Rolle transponierte Gluck für den Sopranisten nach oben, Millico sang sie auch in Paris unter Leitung des Komponisten und bei der Wiener Wiederaufnahme 1770. Auf der CD sind daraus zehn Nummern zu hören, beginnend mit der Overtura, wo die Hofkapelle München unter Leitung von Alessandro De Marchi – wie auch in Ballettmusiken aus dem Atto d’Orfeo und später aus dem Don Juan – mit federndem, dramatisch auftrumpfendem Spiel und spannenden  dynamischen Kontrasten fesselt, zudem mit delikaten Soli und feinen Nuancen in der Begleitung des Sängers imponiert. Sabadus singt die Arien „Che farò“, „Chiama il mio ben“, „Deh placatevi con me“ und „Che puro ciel“ – eine jede ausgewogen, empfindsam und mit subtilen Verzierungen.

Für Millico schrieb Gluck die männliche Titelrolle in seiner dritten Wiener Reformoper Paride ed Elena, die 1770 im Hofburgtheater uraufgeführt wurde. Mit der Arie „Oh, del mio dolce ardor“, ein beliebtes Stück zum Einsingen bei Tenor-Recitals, beginnt Sabadus seine Auswahl und schmeichelt dabei mit süßem, zärtlichem Ton. Später singt er daraus noch die Arie, welche der CD den Titel gab. In ihrer Stimmung ist sie verhaltener, ernster und verzichtet auf alle bravourösen Zutaten. Die letzte Nummer der Programmauswahl bringt mit der Arie des Scitalce aus Semiramide riconosciuta nochmals eine CD-Premiere. „Non saprei qual doppia voce“ erzählt von seelischem Zwiespalt, Zorn und Barmherzigkeit, Liebe und Feindschaft – noch einmal Gelegenheit für den Solisten, mit einem virtuosen Zierwerk von Koloraturen und Trillern zu glänzen. Die Platte ist eine würdige Hommage an den Soprankastraten Giuseppe Millico und für Valer Sabadus eine Referenzaufnahme.

Bernd Hoppe