Vergleicht man Mozart-Einspielungen unterschiedlicher Jahrzehnte, oder gar durch ein halbes Jahrhundert Abstand der Aufnahmedaten getrennte Interpretationen, so lassen sich gänzlich gegenläufige Entwicklungen beobachten. Kann man bei Werktreue und editorischer Sorgfalt deutliche Fortschritte beobachten, so ist andererseits die Qualität des Mozart-Gesanges auf ein erschütterndes Allzeit-Tief gesunken. Ersteres ist mit Sicherheit den Innovationen wie das Spiel auf Originalinstrumenten der Zeit und neue Notentexteditionen auf dem Gebiet der “Alten Musik“ geschuldet, Letzteres leider kein auf Mozart beschränktes Phänomen.
Eine Wiederbegegnung mit dem unverwüstlichen Idomeneo von 1956 aus Glyndebourne (als erste Gesamtaufnahme des Werkes, ehemals bei EMI, nun Brilliant 94497) ist durchaus lohnend, aber trotz John Pritchards kompetenter Leitung sind es in erster Linie die Sänger, deren Leistungen auch heute noch den Referenzcharakter dieser Einspielung ausmachen. Allen voran Sena Jurinac mit ihrem unverwechselbaren, warmen und (und gegenüber der ersten Aufnahme von 1951 bei Immortal Performances/IPCD 1015-2) gedeckterem Klang als Ilia, Léopold Simoneau als stilsicherer Idamante, Richard Lewis englisch-heroisch in der Titelrolle und die Elettra der etwas scharfzüngigen Lucille Udovick (statt Birgit Nilsson 1951 unter Busch, dessen Assistent Pritchard war). Dem entgegen steht eine gewisse Verstümmelung der Oper, verzichtet die Aufführung doch komplett auf die von Mozart als wichtiges dramaturgisches Element vorgesehene Ballettmusik. Die Besetzung des Idamante mit einem Tenor wird inzwischen nach Möglichkeit vermieden. Dazu kommt ein dumpfes Klangbild der gesamten Aufnahme. Sicher, die Einspielung ist beinahe sechzig Jahre alt, aber ein wenig hätte man schon in die Restaurierung dieses Dokuments investieren können.
Der gänzlich entgegen gesetzte Eindruck stellt sich bei der brandneuen Einspielung der Jugendoper Mitridate ein, die beim Label Signum herausgekommen ist (SIGCD 400). Das Orchestra of Classical Opera unter Ian Page folgt der neuen Mozart-Ausgabe von Bärenreiter, in Zusammenarbeit mit dem Verlag ist sie auch entstanden. Einmal mehr versetzt einen das Genie Mozarts in ungläubiges Staunen: Diese Vollblut-Oper, randvoll mit unzähligen musikalischen Einfällen und großem dramatischem Bogen ist das Werk eines Vierzehnjährigen! Gespart hat der Komponist auch nicht mit virtuosen Arien und Ensembles, und hier beginnt das Problem nicht nur dieser Aufnahme: Die aufgebotenen Sänger mühen sich redlich, den großen Herausforderungen gerecht zu werden, scheitern aber fast ausnahmslos an ihren Partien. Barry Banks in der Titelrolle bringt einen schönen, frischen Tenor für seine Rolle mit, verfügt aber leider über keinerlei Tiefe, die Stimme wirkt ab einem gewissen Punkt wie abgeschnitten. Miah Persson als Aspasia ist durchaus auf der Haben-Seite des Ensembles zu verbuchen, aber auch sie gerät immer wieder an ihre Grenzen. Sophie Bevan (Sifare) und Klara Ek (Ismene) haben schöne Momente, aber auch solche der Überforderung. Gänzlich unzureichend ist der Countertenor Lawrence Zazzo als Farnace. Er wirkt etwas hilflos verloren zwischen den Registern, vereinzelt versucht er, Töne aus dem Baritonregister einzuschmuggeln, was durchaus Eindruck machen kann – wenn man es beherrscht. Der negativen vokalen Bilanz steht ein engagiert musizierendes Ensemble unter Ian Page, der für diese Musik den richtigen „Drive“ mitbringt und ein guter Sängerbegleiter ist. Als Bonus ist der Aufnahme noch eine vierte CD mit alternativen Versionen einiger Arien beigegeben, was editorisch verdienstvoll ist, in Anbetracht der sängerischen Leistungen aber nur ein halbes Vergnügen darstellt.
Das selbe Label legt auch ein von der Idee her originelles A-Z of Mozart Opera vor (SIGCD 373) . Es scheint sich um eine Art Promotion für das Projekt einer Gesamteinspielung der Mozart’schen Opern zu handeln. Dem entgegen spricht das Copyright, welches die Aufnahmen als Übernahme von Sony BMG von 2007 ausweist. Wie auch immer, die etwas wahllos zusammen geführten Ensembles und Arien mit Sängern wie Susan Gritton, Andrew Staples, Mark Stone können in den wenigsten Fällen überzeugen, auch sie illustrieren deutlich das erschreckend niedrige Niveau, auf dem Mozart heute in vielen Fällen gesungen wird, wobei auch hier die Begleitung durch das Orchestra of Classical Opera unter Ian Page auf hohem Niveau erfolgt. Lust auf komplette Opern mit solchen Besetzungen will sich nicht unbedingt einstellen.
Peter Sommeregger