Mit seinen Liedern, Orchesterwerken, Kantaten, Oratorien und Opern sowie seinem Engagement als Dirigent, Festspielleiter und Musikforscher gab Arthur Sullivan (1842-1900) dem britischen Musikleben entscheidende neue Impulse. Die Deutsche Sullivan-Gesellschaft e. V. bietet mit diesem zweiteiligen Sammelband über den bedeutendsten englischen Komponisten des 19. Jahrhunderts Beiträge in deutscher und englischer Sprache zur internationalen Sullivan-Forschung. Die Essays erkunden weitgehend kaum untersuchte Aspekte von Sullivans Lebenswerk und vermitteln neue Perspektiven (so der Verlag).
Arthur Sullivan war nicht nur der bedeutendste britische Komponist des 19. Jahrhunderts, sondern der erste von Weltrang überhaupt seit Henry Purcell. Doch er komponierte nicht nur, sondern spielte auch als Dirigent, Festspielleiter, Musikforscher und Herausgeber eine prägende Rolle im britischen Musikleben. Er war es, der britischer Musik wieder zur Weltgeltung verhalf, auch, indem er den Weg bereitete für Edward Elgar und Benjamin Britten, um nur zwei der großen britischen Komponisten des 20. Jahrhunderts zu nennen.
Dennoch ist er heute außerhalb des englischsprachigen Raumes weitgehend unbekannt, was insbesondere für Deutschland gilt. Einem kleinen Kreis sind allenfalls seine in Zusammenarbeit mit dem Librettisten William S. Gilbert entstandenen komischen Opern ein Begriff, die dann meist auch noch fälschlich als „Operetten“ etikettiert werden. Sullivans Name taucht dann meist nur als Bestandteil des Doppels „Gilbert & Sullivan“, oft sogar auf G&S verkürzt, auf. In England werden „G&S“ zwar häufig gespielt, nicht zuletzt im Rahmen einer Tradition von Laienaufführungen, aber dann darauf reduziert, während Sullivans übriges Schaffen auch in seiner Heimat noch einer angemessenen Würdigung harrt. Dies betrifft nicht nur die Opern, die mit anderen Librettisten als Gilbert entstanden sind, sondern auch seine Kantaten, Oratorien, Lieder und Orchesterwerke.
Um Sullivans Werk vor allem im deutschsprachigen Raum bekannter zu machen und dem Musiker zur überfälligen Würdigung zu verhelfen, wurde 2009 die Deutsche Sullivan Gesellschaft (DSG) gegründet. Nähere Informationen sind auf deren Website und ihrer Facebookseite zu finden. Ein ehrgeiziges Buchprojekt, das im Umfeld der DSG entstand, ist das zweibändige Werk SullivanPerspektiven. Herausgeber sind Albert Gier, der Erste Vorsitzende der Gesellschaft, und Meinhard Saremba, ihr geschäftsführender Vorsitzender und Benedict Taylor, der ihrem wissenschaftlichen Beirat angehört. Die Bände enthalten neben einigen deutschsprachigen überwiegend englischsprachige Beiträge, richten sich also bewusst auch an eine Leserschaft im englischsprachigen Raum, wo, wie bereits erwähnt, Sullivan zwar bekannt, die Rezeption aber dennoch sehr einseitig und lückenhaft ist.
In den Sammelbänden wird das Werk Sullivans nicht nur unter musikwissenschaftlichen und musikhistorischen Aspekten untersucht, auch literaturwissenschaftliche Betrachtungen der Libretti kommen nicht zu kurz. Sullivan wird nicht isoliert betrachtet, sondern thematisiert werden ebenso die historischen und zeitgenössischen Einflüsse, ohne die sein Werk nicht verständlich ist, und natürlich die Einflüsse, die er selber auf nachfolgende Generationen von Musikern ausgeübt hat.
Der erste Band widmet sich Sullivans Opern und Kantaten sowie seiner Orchester- und Sakralmusik. Dabei kommt zunächst Sullivan selbst zu Wort, als der Musikwissenschaftler, der er auch war. Das Manuskript seiner 1888 in Birmingham gehaltene Ansprache „About Music“ist in der englischen Originalfassung abgedruckt und leitet das Buch ein. Dort legt Sullivan sein Verhältnis zur Musik dar und veranschaulicht im historischen Rückblick die zentrale Bedeutung, die Großbritannien in der Geschichte der Musik hatte, eine Bedeutung, die es, so seine Forderung, zurückgewinnen müsse.
Im folgenden deutschsprachigen Aufsatz untersucht der Literaturwissenschaftler Albert Gier die „Dramaturgie des Absurden“ bei Gilbert, Sullivans wichtigstem Librettisten und deren Bedeutung für Sullivans Musik, wobei er auch mit einigen Mythen aufräumt. Den ersten Block des Buches zur Ästhetik Sullivans beschließt Meinhard Saremba – ebenfalls in deutscher Sprache – mit einer wesentlich auch psychologischen Betrachtung des Bösen und Diabolischen in Sullivans Werk, wobei er Bezüge zu den Werken anderer Komponisten sowohl vor als auch nach Sullivan herstellt.
Die nächsten beiden, wieder englischsprachigen Aufsätze, untersuchen die Struktur von Sullivans Orchestermusik. Sir Roger Norrington, langjähriger Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart und Ehrenpräsident der Deutschen Sullivan Gesellschaft, widmet sich der Frage, wie Sullivans Orchesterwerke zu seiner Zeit geklungen haben. Er plädiert, nicht nur bezogen auf Sullivan, für eine historisch informierte und eben deshalb moderne Aufführungspraxis. Der Musikwissenschaftler Benedict Taylor analysiert ausführlich die Struktur von Sullivans Orchesterwerken, wobei er die „Irish Symphony“ ins Zentrum der Betrachtungen stellt. Taylors sorgfältige Untersuchung der musikalischen Einflüsse auf Sullivan und seines unorthodoxen Umgangs mit genretypischen Formen erweist sich als wesentlich zum Verständnis des Aufbaus dieser Kompositionen. Sofern nichts anderes verlautet, sind die im Folgenden genannten Aufsätze in englischer Sprache verfasst.
William Parry, Schatzmeister der britischen Sir Arthur Sullivan Society und der Theologe Ian Bradley befassen sich mit Sullivans Sakralmusik. Parry widmet sich der Koexistenz von Säkularismus und Christentum bei Sullivan, der als gläubiger anglikanischer Christ seine Religiosität undogmatisch lebte und sich keinen religiös vorgegebenen starren Moralvorstellungen unterwarf. Bradley thematisiert Sullivans Kirchenlieder und religiöse Hymnen. Er widerspricht der Behauptung, Sullivan habe diese nur zwecks Gelderwerbs geschrieben und charakterisiert ihn als einen der führenden Kirchenlied-Komponisten des viktorianischen Zeitalters.
Im nächsten Block geht es um Sullivans musikalische Dramaturgie. Der Musikwissenschaftler James Brooks Kuykendall zeigt, welch zentrale Bedeutung Sullivan der Musik als eigenständigem dramaturgischem Medium zuschrieb, das für ihn nicht nur eine Beigabe zum Libretto war, sondern diesem erst das Leben einhauchte. Dabei bürstete er, wenn nötig, auch die Vorgaben des Librettisten gegen den Strich. Benedict Taylor unterzieht die dramatische Kantate „The Golden Legend“ einer ausführlichen kritischen Strukturanalyse und charakterisiert sie als Sullivans modernstes und reifstes Werk. Richard Silverman, Musikwissenschaftler und selbst Komponist, befasst sich mit der Umsetzung mittelalterlicher Stoffe in zwei britischen Opern des ausgehenden 19. Jahrhunderts: Sullivans „Ivanhoe“ und Frederick Delius‘ „Irmelin“ und arbeitet Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus.
Ein weiterer Abschnitt des ersten Bandes thematisiert Sullivans Verhältnis zur englischen Nation und zum Imperialismus. Der renommierte Sullivan-Forscher David Eden zeichnet dieses Verhältnis anhand der Werke nach, in denen sich Sullivan mit nationalen Themen beschäftigt und lässt Sullivans Nationalismus als von Fortschrittsglauben geprägt erscheinen, ohne Kriegsbegeisterung und Militarismus. Kuykendall analysiert das Ballett „Victoria and Merry England“, das Sullivan zum diamantenen Thronjubiläum von Queen Victoria schrieb. Der Musikhistoriker Arne Stollberg stellt in seinem deutschsprachigen Aufsatz Sullivans Bestreben dar, mit „Ivanhoe“ eine spezifische englische Nationaloper zu schaffen.
Der Sullivan-Rezeption widmet sich der abschließende Teil des ersten Bandes. Martin Yates, Musikwissenschaftler und Dirigent, arbeitet die vielfachen Einflüsse Sullivans auf das Werk von Benjamin Britten heraus. Pierre Degot, Anglist an der Universität Metz, widmet sich der Problematik der Übersetzung der Libretti von Sullivans Opern am Beispiel der Übertragung des „Mikado“ ins Französische durch Tony Mayer. Er kommt zu dem Schluss, dass diese gelungene Kombination aus Treue zum Original und kreativer Eigenleistung Vorbildcharakter für künftige Übersetzungen von Gilberts Libretti in andere Sprachen haben sollte. Der letzte Aufsatz ist wieder in deutscher Sprache abgefasst: Meinhard Saremba kommt in seiner Beschäftigung mit der deutschen Sullivan-Rezeption um einen Verriss des diese bisher kennzeichnenden klamaukartigen Charakters nicht herum, um dann zu skizzieren, wie man es besser machen könnte, nicht zuletzt, indem Sullivans Werke in ihrer Komplexität ernstgenommen werden. Dazu gehört auch, sich nicht immer wieder auf den „Mikado“ und die „Pirates“ zu beschränken, sondern den anderen bedeutenden Werken des Komponisten ebenso Raum zu geben.
Sofern nichts anderes verlautet, sind die im Folgenden genannten Aufsätze in englischer Sprache verfasst. William Parry, Schatzmeister der britischen Sir Arthur Sullivan Society und der Theologe Ian Bradley befassen sich mit Sullivans Sakralmusik. Parry widmet sich der Koexistenz von Säkularismus und Christentum bei Sullivan, der als gläubiger anglikanischer Christ seine Religiosität undogmatisch lebte und sich keinen religiös vorgegebenen starren Moralvorstellungen unterwarf. Bradley thematisiert Sullivans Kirchenlieder und religiöse Hymnen. Er widerspricht der Behauptung, Sullivan habe diese nur zwecks Gelderwerbs geschrieben und charakterisiert ihn als einen der führenden Kirchenlied-Komponisten des viktorianischen Zeitalters (Oldib Verlag; 415 S., ISBN-13: 9783939556299/372 S. ISBN-13: 9783939556, 299 S.).
Klaus Blees