Ein Hauch von Hollywood weht durch das Foto auf dem Cover. Hollywood in den Dreißiger Jahren. Als die legendären Diven märchenhaft in einer Traumwelt inszeniert wurden, den Niederungen des Alltags völlig entrückt. Anna Netrebko ist in eine wallende Robe gehüllt, die Schultern frei. Der Farbton zwischen Pink und Rubin. Die lange Schleppe flattert im Wind. Die Künstlerin schreitet, schreitet durch Schnee. Die muss doch frieren, ist mein erster Gedanke. Schnee auch auf den Innenseiten des Albums, mit dem die Deutsche Grammophon die große Anhängerschar der gefeierten Sängerin im zu Ende gehenden Richard-Strauss-Jahr beglückt (479 3964). Äste im Schnee, die letzten Hagebutten im Schnee, zwei Menschen auf einer Brücke im Schnee. Dabei hat das Programm dieser CD eigentlich gar nichts mit Schnee zu tun. Es handelt sich um den Mitschnitt eines Konzerts der Staatskapelle Berlin vom August 2014 unter der Leitung von Daniel Barenboim, bei dem die Netrebko im ersten Teil die Vier letzten Lieder sang. Im zweiten Teil dann Ein Heldenleben. Zwei Werke aus absolut schneefreier Zone. Nun gut, die hübschen Fotos waren wohl noch vorrätig aus dem letzten Winter. Sie müssen auch mal weg. Das lässt sich ja nachzuvollziehen. Schön sehen sie aus.
Auf der CD selbst geht es nicht ganz so traumhaft zu wie auf dem Titelblatt. Die Sängerin muss sich erst hineinfinden in die entrückte Stimmung dieser Lieder. Sie ist um deutliche Aussprache bemüht, hat wohl intensiv am Text gearbeitet und ist über weite Strecken ganz gut zu verstehen. Wenn sie sich denn in nächster Zeit auch im deutschen Fach umtun will – die Elsa ist selbst für Bayreuth angekündigt – muss das auch sein. Potenzial ist vorhanden. Sie steigert sich von Lied zu Lied. Es dürfte kein Zufall sein, dass sie mit Im Abendrot am meisten berühren kann. Sehr gut gelingen ihr die lyrischen, zurück genommenen Momente, die aber noch besser verbunden werden können, auch mit dem Orchester. Sie zerfallen manchmal in ihre Einzelteile. Muss die Stimme in die Tiefe hinab oder aus der Tiefe heraus, klingt sie in diesen Übergängen leicht unliebenswürdig. Es wäre ungerecht und unfair, die Sängerinnen, die mit diesen Liedern Musikgeschichte geschrieben haben, gegen die Netrebko aufmarschieren zu lassen. Wir schreiben 2014 und leben nicht irgendwo zwischen 1960 und 1975. Aber die Konkurrenz ist nun einmal da und auch auf Tonträgern verfügbar. Man kommt nicht davon los, weil sich Anna Netrebko nicht genug durch eine eigene unverwechselbare Lesart davon abheben kann.
Eine Frage stellt sich: Warum live auf CD? Ich bin der festen Überzeugung, dass die Sopranistin mit diesen Liedern im Studio viel besser aufgehoben gewesen wäre. Dort ist der Druck weniger stark, dort gibt es die Möglichkeit der Wiederholung, der Korrektur. Die besten Aufnahmen, die ich kenne, sind im Studio entstanden. Selbst Elisabeth Schwarzkopf, die zwei Studioeinspielungen hinterlassen hat, die noch immer Referenzcharakter haben, war mit den Vier letzten Liedern im Konzert weniger überzeugend. Ich hätte es der Netrebko gegönnt, dass sie mit ihrer Aufnahme besser abgeschnitten hätte. Das Zeug dazu hat sie. Nun ist sie eine unter sehr vielen. Eben.
Die geballte Wucht des großen Orchesters nach dem intimen Einstieg halte ich nicht für die allerglücklichste Wahl. Nun ja, Barenboim will auch glänzen, und das tut er. Sein Heldenleben ist rauschhaft und verschwenderisch. Die Knöpfe für die Lautstärke dürfen ruhig etwas weiter aufgedreht werden, sonst wirkt diese Musik nicht. Aber es gibt auch hier wunderbare leise Momente der Einkehr, die besonders Wolfram Brandl mit der Solovioline zu verdanken sind.
Rüdiger Winter