Die nunmehr dritte CD von Liszt – The Complete Songs ist bei hyperion erschienen, besungen von Gerald Finley, während die beiden ersten von Matthew Polenzani und Angelika Kirchschlager stammen, am Piano sitzt bei allen drei Aufnahmen Julius Drake. Das Konzept der Herausgeber ist nicht das einer chronologischen Abfolge oder einer Einteilung nach den Sprachen, in denen die Texte gehalten sind, sondern umfasst auf dieser dritten CD Lieder aus allen Schaffensperioden, wobei akribisch vermerkt ist, die wievielte Version der jeweiligen Vertonung gewählt wurde, und es werden vier Sprachen, Deutsch, Italienisch, Französisch und Englisch, angeboten. Es finden sich auf der CD sehr bekannte Lieder wie die auf Petrarca-Sonette in der zweiten Fassung und ganz unbekannte, wie Weimars Toten und Wir gedachten der Toten. Das Booklet gibt sehr kenntnisreich und umfassend Auskunft über die jeweilige Fassung der einzelnen Lieder. Die CD beginnt mit Liedern auf Texte von Heine, die in der Vertonung durch andere Komponisten populärer geworden sind, und der englische Bass-Bariton überzeugt sofort mit einer perfekten, akzentfreien Diktion. Für Morgens steh‘ ich auf nimmt die schön timbrierte Stimme einen schlafwandlerischen Ton an, wird die Verzweiflung des unglücklich Liebenden am Schluss sogar als ein Schatten von Wahnsinn hörbar. Für den Fichtenbaum findet er unterschiedliche Farben für Nord und Süd, überzeugt mit dem gut gestützten Piano, kostet das „einsam“ geradezu aus, wie generell auffällt, dass Finley sich eher dem Wort als dem Fluss der Melodie verpflichtet fühlt. Gleich vier Versionen gibt es von Anfangs wollt‘ ich fast verzagen , Finley wählt die letzte und vermittelt ihre Melancholie gekonnt. Für Weimars Toten muss der Sänger in tiefe Bassgefilde hinabsteigen, wenn es in die Gruft der Dichter und Denke gehtr, und er lässt die Stimme gewaltig anschwellen. In Wer nie sein Brot mit Tränen aß klingt die letzte Zeile markant wie ein Gottesurteil. Die drei Sonette kann man von italienischen Sängern ganz anders hören, hier wird besonders deutlich, dass zwar ein schönes Legato gesungen wird, aber die Textausdeutung als solche dominiert. So klingt der Text nicht mehr wie ein Sonett, sondern wie Prosa, weil gegen den Metrums-Strich gebürstet. Auch fällt auf, wie zergrübelt der Schluss von I‘ vidi in terra klingt. Weniger wegen des Textes als wegen der Vertonung und wegen der Stimme von Finley interessant sind Die Vätergruft und Die Fischerstochter, da in ihrer Thematik doch sehr zeitgebunden. In der Letzteren lässt sich der Sänger auf das Rollenspiel ein, in der Ersteren auf das heute unangemessen klingende Pathos. Im französischen Le vieux vagabond meistert der Bassbariton eine Oper im Kleinformat und zeigt sich sicher in den gewaltigen Intervallsprüngen, während er in Gastibelza zwischen Beschwingtheit und Abgründigkeit schwankt. Besonders deutlich wird im einzigen englischen Titel, Go not, happy day die Besonderheit von des reifen Liszt Technik, das Ende musikalisch „offen“ zu gestalten und damit den traurigen Fortgang der Geschichte anzudeuten (CDA 67956) Ingrid Wanja
Mit solch einer prominenten Fürsprecherin kann nichts mehr schief gehen. Brigitte Fassbaender stellt ihrer Fachkollegin ein vorzügliches Zeugnis aus: „Michaela Schuster, die wunderbare Sängerin, lotet im Verein mit dem einfühlsamen Markus Schlemmer in ihrem Programm die Schönheiten der romantischen Liedliteratur sensibel und begeisternd aus!… eine Interpretation der Sonderklasse“. Der Mitschnitt von Michaela Schusters Liederabend vom Liedsommer 2012 im südtirolischen Weinort Eppan stellt zwar keine „Bereicherung“ im Sinne der Repertoire-Auswahl dar, präsentiert uns aber unter dem Titel „Morgen!“ eine Opernsängerin, deren Repertoire sich derzeit zwischen Wagner und Knusperhexe einpendelt, mit einem gustösen Liedprogramm (Oehms Classics OC 1833). Schuster zeigt sich als aparte, temperamentvolle Liedsängerin und bringt uns Brahms, Schumann, Reger und Strauss, was sich alles für ihren vollen, gut sitzenden Mezzosopran bestens eignet. „Da unten im Tal“ von Brahms singt sie mit dem direkten Ausdruck eines Volksliedes, „Der Mond steht über dem Berge“ („Ständchen“) klingt so, dass man intensiv hinhört, ohne dass sie das Handwerkszeug eines auch im Charakterfach versierten Bühnentiers ausreizt, und das „Wiegenlied“ wiegt kleine Kinder sicher nicht in den Schlaf, ist aber berührend, dabei klangvoll und großformatig. Das hat alles einen natürlichen Fluss, sitzt sicher. Schuster lässt die Stimme aufgehen und aufblühen, lässt der Klangpracht freien Lauf und hat die Lagen ihrer Stimme sicher im Griff, etwa in „Morgen!“, wo einmal mehr Schlemmers Klangphantasie angenehm auffällt. Alles textdeutlich, klar und warmherzig gestaltet, großformatig und dennoch subtil, etwa in den Reger-Liedern oder in „Ruhe, meine Seele“, und auf eine ein wenig altmodische Art sehr willkommen. Fassbaender hat nicht übertrieben.
Schönbergs Vier Lieder op. 2 aus dem Jahr 1899 und Mahlers Kindertotenlieder von 1901-04 sowie seine Rückert-Lieder, deren vier erste 1901 entstanden, und drei Wunderhornlieder – „Das irdische Leben“, „Scheiden und Meiden“ und „Aus! Aus!“ – bilden das Programm der aktuellen Lied-Aufnahme von Anne Schwanewilms bei ONYX (ONYX 4146), wo sie unter dem Titel „Das himmlische Leben“ bereits Liszt und Mahler gesungen hat, damals mit Charles Spencer, während sie jetzt von Malcolm Martineau begleitet wird. Schwanewilms entfaltet in Schönbergs Liedern einen sublimen, jugendstilhaft glitzernden Klangzauber, in den sich in den Kinderotenliedern eine morbide trauernd-träumerische Distanz mischt. Schwanewilms singt die Kindertotenlieder, zu denen sie unter der Überschrift „Die Kindertotenlieder singen, ohne dass Zorn und Schmerz die Stimme ersticken“ auch einen Text beisteuert, ohne falsches Sentiment, dabei mit feinfühliger Delikatesse, höhensicher, hell und sicher im Ton, flammend in der inneren Aufruhr bei „In diesem Wetter“, getragen vom sprechenden Spiel ihres schottischen Partners, der sich hier einmal mehr als einer der führenden Lied-Begleiter erweist. Bei aller prachtvoll bannenden Strauss-Üppigkeit gleitet Schwanewilms niemals nur über die Oberfläche dieser Lieder, belässt es nicht bei entrücktem Klangraffinement („Um Mitternacht“), sondern betört unter der edlen Politur ihres strahlenden Soprans mit Farben und Finessen, die vor allem die Rückert-Lieder zu einer Referenz-Aufnahme machen.
Wohin es auch führen kann, wenn Sängerinnen Einführungen schreiben, zeigt Surrender. Voices of Persephone (Signum SIGCD419), in der die aus St. Petersburg stammende, in London ausgebildete Sopranistin Ilona Domnich über das Wort „surrender“ und die Unterweltsgöttin Persephone philosophiert, über die Balance zwischen „darkness and light“ schwafelt, André Gide und Nietzsche bemüht und letztlich die Figuren ihres nicht ungefälligen Arienprogramms für einen leichten bzw. lyrischen Sopran von den reinen Unschuldlämmern bis zu den weisen Frauen in drei Stadien eines Frauenlebens unterteilt. Da wird einem ganz schwindelig. Lust auf die CD macht es keine. Das alles gibt es zum Glück nur auf Englisch. Viele der Partien, Rosina, Gilda, Tatjana und die Figaro-Gräfin, hat sie bereits auf der Bühne gesungen, zumeist in Großbritannien, häufig an Orten, Bühnen oder bei Festivals, von den ich nie gehört habe, manche auch an der English National Opera. Domnich hat sich damit für manche einen guten Ruf erworben. Und sie bewältigt den Mix von Messager, Poulenc über Verdi und Mozart bis zu Rimsky-Korssakow recht gut. Lindas „Oh luce di quest‘ anima“ ist allerdings kein guter Start. Domnich kann Koloraturen singen, doch sie zündet in dieser Zugaben-Nummer kein Feuerwerk ab. Auch von der Rosina sollte sie die Finger lassen. Gut liegen ihr die Elle in Poulencs One-Woman-Show La voix humaine sowie die Jacqueline in Messagers Fortunio, die sie beide auf der Bühne verkörpert hat und deren Szenen sie hier mit silbernen Fäden und intensivem Stimmeinsatz spinnt. Manons Gavotte sing sie ebenfalls mit Charme und Esprit, mit der Fähigkeit zu Kommunizieren, wenn auch ohne feurige Koloraturbrillanz. Die französischen Nummern überzeugen dennoch am meisten. Für Puccinis Magda fehlt es ihr an der Erfahrung einer italienischen Diva, die Figaro-Gräfin ist ein wenig leichtgewichtig. Als Gilda steht ihr im Duett am Ende des zweiten Aktes sowie in der Schlussszene der Oper Leo Nuccis erfahrener Rigoletto zur Seite. Die 500 Aufführungen als buckliger Narr sind an dem damals 72jährigen – die Aufnahme mit der Southbank Sinfonia unter Simon Over entstand im August 2014 – nicht spurlos vorbei gegangen, denn die Stimme wirkt wie eine Ruine, doch dann kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Trotz so vieler Einschränkungen, statt der Gilda wäre vermutlich eine Mimì vorteilhafter gewesen, macht Domnich auf das besondere Potenzial ihrer Stimme aufmerksam.
Zur Neutralisation zwischen so viel Gesungenem eignen sich vorzüglich einige Orchesterstücke Reynaldo Hahns. Allein schon wegen der reizvollen siebenteiligen Ballettmusik Le Bal de Béatrice d‘ Este, die einen Sommerabend am Mailänder Hof der Fürstin illustriert, lohnt sich diese Aufnahme (timpani 1CD1231) mit dem Holzbläserensemble Initium und dem Orchestre de Pays de Savoie unter Nicolas Chalvin. Außerdem: zwei späte Stücke, die Sérénade von 1942 und das concerto provencal für Streicher und Holzbläser von 1944, in dem jeder Satz einen der typischen Bäume der Provence beschreibt (Platane, Pinie, Olive). Und als Gegenstück zum Renaissancefest der Béatrice d’Este evoziert das Divertimento pour une fȇte de nuit Wiener Szenen zwischen Haydn und Wiener Walzer. Rolf Fath