Der in Lucca geborene Bariton Massimo Cavalletti zählt bereits seit einigen Jahren zu den gefragten Solisten der internationalen Opernhäuser: Er tritt an der Mailänder Scala, der Metropolitan Opera New York, dem Royal Opera House Covent Garden oder der Wiener Staatsoper auf. Er erweitert wie nur wenige langsam und vorsichtig sein Repertoire und hat dabei einen klaren, langfristigen Karriereplan vor Augen. Cavalletti hatte das Privileg, sich sein jetziges Repertoire sowohl an der Mailänder Scala, an deren Accademia er ausgebildet wurde, als auch als Ensemblemitglied des Opernhaus Zürich mit einigen der besten Dirigenten und Regisseure aufbauen zu können. Mit Beat Schmidt sprach er während der Probenphase zur Wiederaufnahme von L’elisir d’amore in Zürich unter anderem über die Rolle des Belcore, seine Zeit im Zürcher Opernensemble, über Hoffnungsschimmer in der italienischen Opernkrise und seine Pläne einer behutsamen Repertoireerweiterung.
Als Belcore im Elisir d’amore kehren Sie im Juni und Juli ans Opernhaus Zürich zurück. Welche Bedeutung hatte die Zeit im Zürcher Opernensemble für Ihre Karriere? Die Zeit am Opernhaus Zürich hat sicherlich eine fundamentale Rolle in meiner künstlerischen Entwicklung gespielt. Die Erfahrungen, die ich dort in sechs Jahren konstanter Zusammenarbeit und über 150 Vorstellungen in wichtigen Partien sammeln konnte, haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Auch die Arbeit und Nähe zu Künstlern von Weltformat haben mir sehr viel gegeben. Ich durfte dort in vielen Rollen debütieren, die heute die Basis meiner Karriere und künstlerischen Aktivität bilden. Am Opernhaus Zürich hatte ich Zeit, in Ruhe zu lernen und Dinge auszuprobieren. Ich würde jedem vorschlagen, eine ähnliche Erfahrung zu machen!
Wo liegen für Sie die Schwierigkeiten, eine komische Rolle wie den Belcore überzeugend darzustellen? Den Belcore kann man sicherlich als eine komische Rolle bezeichnen, es gibt aber auch durchaus ein Paar Stellen, an denen die Komödie von Schatten durchsetzt wird, wie beispielsweise im Finale des ersten Aktes. In dieser Inszenierung wird ein großer Schwerpunkt auf den märchenhaften Charakter des Stückes gesetzt. Belcore ist ein unbeholfener und zu oft exzessiver, aber sympatischer Feldwebel. Ich habe viel Spaß in dieser Produktion, in der ich bereits im Jahr 2011 aufgetreten bin.
Einen hohen Stellenwert nimmt in Ihrem Repertoire Giuseppe Verdi ein. Vor allem den Ford haben Sie bereits an vielen großen Bühnen verkörpert, unter anderem an der Mailänder Scala und bei den Salzburger Festspielen. Nun folgt im Juli ein wichtiges Verdi-Debüt: Renato in Un ballo in maschera unter Zubin Mehta in Israel. Wann werden Partien wie Rigoletto, Conte di Luna oder Germont kommen? Ich denke, dass ich noch genug Zeit habe, bevor ich in diesen Rollen der „Trilogia popolare“ debütieren werde. Was ich Ihnen schon sagen kann ist, dass die drei Partien, die Sie genannt haben, schon seit Jahren in Arbeit sind. Die Musik ist schon in meinem Kopf und zum Teil auch in meiner Kehle, vor allem Luna und Germont. Bevor ich sie zum ersten Mal singen werde, will ich aber noch warten. Solch ein entscheidender Sprung in meiner Karriere würde mir die Türen zu den tollen Partien, die ich momentan singe, vor allem zu den Belcanto-Rollen verschließen. Und somit würde ich lehrreiche Jahre des künstlerischen Wachstums in meinem aktuellen Repertoire verlieren, die mir bei meinen Debüts in diesen Rollen helfen werden. Diese drei Partien sind nicht unbedingt für Sänger geschrieben worden, die wie ich erst 36 Jahre alt sind, sondern verlangen eine andere Reife. Renato ist eine Art Probe, auf speziellen Wunsch von Maestro Mehta hin und es ist eine Ehre für mich, diese Rolle mit ihm zu debütieren. Es handelt sich aber um konzertante Vorstellungen, das ist etwas ganz anderes, als die Rolle szenisch zu singen. Ich werde noch mindestens ein oder zwei Jahre warten, bis ich mein szenisches Debüt als Renato geben werde.
Dieses Jahr haben Sie in Florenz mit dem Riccardo in I puritani ein weiteres wichtiges Rollendebüt gegeben. Können wir uns in Zukunft auf weitere Belcanto-Partien von Ihnen freuen? Im nächsten Jahr stehen keine Rollendebüts auf dem Programm. Ich plane aber, als Ezio in Attila zu debütieren. Natürlich nur, wenn das Theater und die restliche Besetzung stimmt. Ezio ist eine wunderbare Rolle und ausgesprochen lyrisch. Perfekt also, um weiter ins Verdi-Fach hineinzuwachsen.
Wie schätzen Sie die derzeitige Situation der italienischen Opernhäuser ein? Man hat den Eindruck, dass die dortige Lage sich mit der Zeit etwas entspannt hat. Eine realistische Einschätzung? Ja, die Dinge haben sich mit der Regierung Renzi geändert. Die Theater werden wieder mit mehr Geld vom Staat unterstützt, spielen und produzieren nicht nur wieder, sondern haben auch angefangen, die Schulden abzubezahlen, die sich in der jüngsten Vergangenheit angehäuft hatten. Man kann von einer ganz klaren Erholung sprechen. Ich hoffe, dass man nun die Gelegenheit ergreift, langfristig zu investieren, Produktionen nicht nur eine Spielzeit lang verwendet und vor allem Touristen verstärkt in die Oper lockt.
Auch die Zusammenarbeit mit der Mailänder Scala hat Ihre Karriere geprägt. An der dortigen Akademie haben Sie Ihre Technik bei Luciana Serra perfektioniert. Was haben Sie von Ihrer Zeit an der Akademie der Scala künstlerisch mitgenommen? Ich hatte das unglaubliche Glück, dort ausgebildet zu werden als Leyla Gencer die künstlerische Leitung inne hatte. Dank ihr hatte ich in dieser Zeit tolle Möglichkeiten und habe viel gelernt. Luciana Serra hat die Basis für meine Technik gelegt, mir beigebracht, auf dem Atem zu singen. In diesen Jahren konnte ich in Partien wie meinem geliebten Schaunard, aber auch als Enrico Ashton und Figaro im Barbiere debütieren. Für einen jungen Sänger von nicht einmal 26 Jahren war es eine außergewöhnliche Chance, diese Rollen an der Mailänder Scala singen zu dürfen.
Mittlerweile waren Sie bereits in 70 Vorstellungen und acht verschiedenen Rollen an der Scala zu erleben, eine beachtliche Statistik für solch einen jungen Sänger. Zur Expo in Mailand sind Sie von Juni bis November in vier verschiedenen Rollen zu hören: Escamillo, Figaro, Marcello und Ford. In Il barbiere di Siviglia sind Sie mit Leo Nucci als Figaro doppelt besetzt, den Sie als eine Ihrer großen Inspirationen bezeichnen und der Ihnen immer wieder künstlerische und technische Ratschläge gibt. Was genau konnten Sie von ihm lernen? Um es in einem Wort zu sagen: „Das Theater“. Leo hat mir wahnsinnig viel beigebracht, besonders, was die Verwendung der Musik und des Körpers im Dienste des Wortes betrifft. Zur Erklärung ein Beispiel für alle: Nicht immer ist eine Note oder ein Ton an und für sich effektvoll. Ein Ton schöpft seine wahre Kraft aus der Art und Weise, wie das Wort ausgedrückt wird. Das ist es, was ein wirklich großer Lehrer an seine Schüler weitergeben sollte. Es geht nicht nur um die Tonproduktion alleine. Man kann sehr gut singen, aber dabei sehr langweilig sein. Theater ist Leben und Vitalität, Ausdruck und Kommunikation.
Auch an der Metropolitan Opera New York sind Sie mittlerweile regelmäßiger Gast. Nächstes Jahr werden Sie in einer Neuproduktion von Manon Lescaut nach New York zurückkehren. Die Vorstellung am 5. März 2016 wird in High Definition in viele Kinosäle auf der ganzen Welt übertragen. Haben die Kinoübertragungen die Art und Weise der Arbeit auf der Opernbühne verändert? Ändert sich für Sie etwas in der Darstellung einer Rolle, wenn die Vorstellung im Kino übertragen wird und viele Zuschauer jede kleinste Regung und Bewegung auf der Leinwand verfolgen können? Die HD-Übertragungen sind die neueste Entdeckung, die dabei hilft, die Oper und das Theater in die ganze Welt zu bringen. Das Schöne und Tolle dabei ist der Enthusiasmus von Personen, die vorher nie in der Oper waren, aber ins Kino gegangen sind (zu sehr erschwinglichen Preisen), um sich eine Oper anzusehen und die Oper an und für sich kennenzulernen. Ohne Zweifel müssen die Geschehnisse auf der Bühne und die Interpretation kino- und kameratauglich sein. Man darf nicht ohne Weiteres die Position auf der Bühne verlassen und man muss immer präsent bleiben. Auch die Beleuchtung hat sich geändert und ist kinotauglicher geworden, ebenso die Maske, die so natürlich wie möglich sein muss. Die Vorstellungen, in denen ich bisher mitgewirkt habe und die im Kino übertragen wurden – an der MET (La Bohème 2014), bei den Salzburger Festspielen (La Bohème 2012) oder an der Mailänder Scala (Simon Boccanegra 2010) waren allesamt tolle Erlebnisse und schöne persönliche Erfahrungen.
Und die berühmte Frage zum Schluss: Was machen Sie in Ihrer freien Zeit und wie halten Sie sich fit für die immensen Herausforderungen der Sängerberufs? Ich koche gerne und mit der Zeit immer gesünder und verwende nur lokale Produkte aus biologischer Landwirtschaft. Mir macht es großen Spaß, spazieren zu gehen, Ausstellungen zu besuchen und jede Gelegenheit zu nutzen, in Kultur und Kunst einzutauchen. Mein liebstes Hobby ist es, Münzen zu sammeln, sowohl alte als auch neue. Wann immer ich die Gelegenheit dazu habe, gehe ich ans Meer oder an den See, denn das Wasser ist der beste Platz, um sich zu erholen. Ich liebe den Frieden eines Ufers und den wunderbaren Duft von Jod in der Luft. Wenn ich Zeit habe, entfliehe ich allem und fahre in meine geliebte Toscana, um meine Eltern zu besuchen und um diese perfekte Kombination von Licht und Land zu genießen, die ich nur dort finde.
Massimo Cavalletti ist nach dem 28. Juni noch am 2. und 5. Juli 2015 als Belcore in L’elisir d’amore am Opernhaus Zürich zu erleben. Zu seiner Ausbildung und Laufbahn: www.massimocavalletti.com / facebook.com/maxcavalletti/ twitter.com/MaxCavalletti/ instagram.com/maxcavalletti / Foto oben: Massimo Cavalletti/ Foto VictorSantiago