Lena Belkina, Ukrainerin und Jahrgang 1987, gehörte einige Jahre zum Ensemble der Leipziger Oper und wurde u.a. bekannt durch eine Verfilmung der Rossinischen Aschenbrödel-Oper. Auf der neuen Sony-CD Dolci Momenti, ohne magische Bilder, schrumpft ihr Zauber beträchtlich. Zwar besitzt sie weiche, samtige Tiefen, wirkt aber grell und steifleinern in den Höhen und deutet die so wichtigen kleinen staccati und gruppetti, also all die schönen akustischen Rossini-Loopings nur verwaschen an. Auch die herzliche Geste und Wärme fehlt mir im hier gesungenen Cenerentola-Schlussrondo, die große Botschaft des Verzeihens, denn schließlich steht ja hier Aschenbrödel vor Ihren Verwandten und vergibt ihnen großzügig alle Schandtaten.
Die Bellini- und Donizetti-Arien klingen etwas besser, bleiben aber deutlich unter Weltniveau. Zugegeben, da ist einiges Bewundernswertes zu hören – einen phänomenalen Stimmumfang besitzt die Sängerin und einen Sinn für die große pathetische Geste. Auf einer Bühne oder im Film macht das gewiss Effekt. Doch im Soloalbum ist der Sänger nackt und allein – da heißt es die Arie so nuanciert zu gestalten, dass man in ihr wie in einem Brennspiegel die ganze Figur entwickelt sieht. Und da scheitert für mich Lena Belkina. Ihre Heldinnen sind mir zu schemenhaft und verwechselbar. Sie leben auf Planeten ohne Atmosphäre, es gibt keine Zwischentöne, nur Vollschatten oder grelles Licht. Erstaunlich auch, wie angestrengt die Stimme klingt! Selten habe ich so peinlich laut den Willen zum Erfolg aus einem Album herausgehört – in dem kaum eine gelöste, in sich ruhende Note erklingt.
Das Label Sony Classics bringt oft und gern neue Opernstimmen auf den Markt – und wagt den Schritt des ersten Solo-Albums. Volltreffer finden sich unter diesen Experimenten ebenso wie Eintagsfliegen. Hoffnung oder Fehlstart? Nun soll man ja den Mut von Labels, sich mit jungen Stimmen an die Öffentlichkeit zu wagen, nicht noch durch allzu strenge Kritiken untergraben. Doch wie mutig war Sony hier? Wäre es dem Label ernst gewesen, hätte es mehr unternommen als nur zwei wunderhübsche Fotos der gutaussehenden Sängerin in die CD einzulegen und einen launigen kleinen Text bei Karl Dietrich Gräwe zu bestellen. Zum Beispiel wären ein paar Zeilen zur Sängerin in Booklet ganz nett gewesen, auch als Geste der Sängerin als Vertragspartnerin gegenüber. Schon komisch – eine Weltfirma wie Sony classics scheint nicht einmal die Basics der Höflichkeit in ihrem Geschäft zu kennen. Vermutlich sind die Produzenten der Meinung, eine kleingedruckte Internetadresse sei gut genug für einen Newcomer. Man soll ja bescheiden anfangen.
Auch sonst entspricht die Präsentation der Arien nicht immer ganz den Standards des 21. Jahrhunderts. Chöre wurden weggelassen, wo sie wichtig sind (wie kann man Romeo in Bellinis I Capuleti e i Montecchi in der Cabaletta so peinlich ins Leere singen lassen?), Zwischenpassagen wurden ebenso gestrichen (Giovannas Arie in Donizettis Anna Bolena ohne die dramaturgisch so wichtige Szene mit Heinrich VIII in der Mitte des Stücks) wie Reprisen (Leonoras Cabaletta aus La Favorite). Da kann auch ein Ausnahmedirigent wie Alessandro de Marchi nicht mehr viel retten (Dolci Momenti: Belcanto – Arien von Rossini, Donizetti und Bellini; Lena Belkina, Mezzosopran
Münchner Rundfunkorchester; Alessandro de Marchi; Sony Classics 88875051432). M. K.