Zwei neue Recitals von Opera Rara von Joyce El-Khoury und Michael Spyres lassen das Herz des Belcanto-Liebhabers höher schlagen. Beide wurden mit dem Orchestra The Hallé unter Carlo Rizzi aufgenommen und offenbar waren auch beide Interpreten gleichzeitig im Studio anwesend, denn auf jeder Platte gibt es ein Duett mit dem anderen Solisten.
Der französischen Sängerin Julie Dorus-Gras mit belgischen Wurzeln ist ein Recital gewidmet, das Joyce El-Khoury eingesungen und Echo betitelt hat (ORR252).Die libanesisch-kanadische Sopranistin erinnert in der Einführung zu ihrer CD an das historische Vorbild Julie Dorus-Gras. Diese Sängerin zählte zur Generation solcher Gesangslegenden wie Adolphe Nourrit und Cornélie Falcon – und natürlich Duprez. 1830 verließ sie Belgien und ging nach Paris, wo sie in Rossinis Le Comte Ory debütierte und ein Jahr später in der Premiere von Meyerbeers Robert le diable triumphierte, wo sie sogar beide Sopranrollen, die der Isabelle und Alice, zu interpretieren imstande war. Oft war sie Partnerin von Duprez’ Vorgänger Nourrit, bis dieser von seinem Nachfolger abgelöst wurde.
Die Sopranistin eröffnet ihre Anthologie mit der Lucia, welche zu Dorus-Gras’ Erfolgsrollen in London 1847/48 zählte. Im Auftritt „Regnava nel silenzio“ lässt sie eine reizvoll verschattete Mittellage und einen beklommen-geheimnisvollen Ausdruck hören. Nur in der exponierten Höhe gibt es grelle Töne und die Stimme klingt dann weniger angenehm. Mit Michael Spyres singt sie das Duett „Lucia, perdona“ und beide Sänger inspirieren sich gegenseitig zu einer leidenschaftlichen Darstellung dieser Szene.
Sehr verdienstvoll ist die Gegenüberstellung der zwei Sopranpartien aus Robert le diable. In der Premiere 1831 sang Dorus-Gras die Alice, ein Jahr danach erstmals die Isabelle und wechselte künftig zwischen den beiden Rollen. El-Khoury beginnt mit der Isabelle und deren „Robert, toi que j’aime“ und lässt später Alices Romanze „Va, dit-elle“ und ihr Couplet „Quand je quittai“ folgen. Ersteres schwingt sich nach melancholischem Beginn auf zu emphatischen Ausbrüchen bei „Grace pour moi“, während Alices Soli zum einen von eindringlich beschwörendem Charakter sind, zum anderen koketten Ausdruck erfordern. Beiden Figuren wird El-Khoury in ihrer Interpretation gerecht. Zwischen den beiden Nummern findet sich Agathes „Ma prière“ aus Webers Le Freyschütz in der Bearbeitung von Berlioz – ein Stück, das die Dorus-Gras gern bei ihren Konzert-Auftritten gegeben hat. Auch hier steht der fein gesponnenen Stimmführung und dem innigen Ausdruck von El-Khoury der verhärtete Klang ihres Soprans im euphorischen Schlussjubel gegenüber.
Nach der Premiere von Rossinis letzter Oper Guillaume Tell 1829 an der Opéra (mit Nourrit als Arnold) sang Duprez die fordernde Tenorpartie erstmals 1837 bei seinem Pariser Debüt. Die Mathilde an seiner Seite gehörte zu Dorus-Gras’ langjährigen Erfolgen. El–Khoury singt deren Romanze „Sombre foret“ mit Beklommenheit und feinen Schattierungen. Der Sopran klingt in dieser Lage besonders reizvoll.
Le Pré aux clercs ist die letzte Oper von Ferdinand Hérold, die 1832 an der Pariser Opéra-Comique herauskam und dort mehr als tausend Aufführungen erlebte. Da die Interpretin der Partie der Isabelle nach der Uraufführung wegen Erkrankung ausfiel, übernahm Dorus–Gras die Rolle in wenigen Tagen. Die Arie „Jours de mon enfance“ findet sich am Beginn des 2. Aktes und zeigt Isabelle im Konflikt, ob sie ihren Geliebten, den Baron de Mergy, heiraten kann oder auf Geheiß des Königs den Comte de Comminge ehelichen muss. In der von der Solovioline delikat umflorten Arie kann die libanesisch-kanadische Sopranistin mit fein gesponnenen Linien aufwarten.
Spektakulär war die Besetzung der Uraufführung von Halévys La Juive 1835 in Paris mit Nourrit als Eléazar, Falcon als Rachel und Dorus-Gras als Eudoxie. Die Arie der Prinzessin im 3. Akt „Assez longtemps/Tandis qu’il sommeille“ mit ihren kontrastierenden Abschnitten, dem sanft wiegenden ersten und dem virtuosen zweiten Teil, ist eine Herausforderung an jede Interpretin und El-Khoury zeigt sich dieser Vorgabe beeindruckend gewachsen.
Mit Duprez in der Titelrolle erschien Dorus-Gras als Teresa 1838 auf der Bühne der Pariser Opéra in der Premiere von Berlioz’ Benvenuto Cellini. Deren Arie „Entre l’amour et le devoir“ als Abschluss des Programms folgt dem Vorbild italienischer Machart mit Cantabile und Cabaletta und die Sopranistin setzt hier einen gelungenen Schlusspunkt, demonstriert noch einmal lyrische Qualität und bravouröses Vermögen. Bernd Hoppe