Spontinis „Agnese di Hohenstaufen“

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Das Theater Erfurt bot  am 1. Juni 2018 eine ganz besondere und von Fans mit rasender Spannung erwartete Premiere: endlich und erstmals in moderner Zeit die originale deutsche Fassung von Spontinis Agnes von Hohenstaufen auf das Libretto von Ernst Raupach. Immer wieder gab es Gerüchte, dass Riccardo Muti das im Original an der Scala oder Eve Queler das in Bonn aufführen wollte. Auch Georg Quander  hatte die Oper während seiner kurzen Amtszeit an der Berliner Staatsoper im Auge: Alle Pläne und Überlegungen kamen zu nichts. Nun endlich brachte Intendant Guy Montavon in seinem bezaubernden die Oper im Juni 2018 heraus. Und der Clou ist eben die originale deutsche Fassung für das Berliner Königliche Opernhaus 1829, an dem Spontini Operndirektor war. Das Werk selbst wird hier bei uns anlässlich der Erfurter Aufführung noch eingehend gewürdigt.

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Spontinis „Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ OF 007, 2 CD

Es ist ja ein Phänomen, dass sich die französischen Opern der Napoleon-Zeit besonders in Italien so lange und immer wieder auftauchend gehalten haben. Das liegt vor allem an dem französischsprachigen Hof des Napoleonbruders Joseph (dann Murat) auf dem Thron von Neapel, der für eine Übernahme des Pariser Repertoires in Italienisch für das San Carlo sorgte. In der Landesprache gingen viele der Ttitel wie Medée, Les Abencerages, Olimpie und andere mehr in das nationale Repertoire ein, anders als im heimischen Frankreich, wo sie von der Romantik und den Nachfolgenden der Wagnerbeeinflussten verdrängt wurden, während Wagner im Ganzen keinen wirklichen Nachruck auf italienische Komponisten bis 1900 ausübte.

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Aber im Vorfeld der Beschäftigung mit Agnes stieß ich auf eine Neuausgabe des bekannten Mitschnitts vom Maggio Musicale Fiorentino 1954 unter Vittorio Gui. Den kannte man nur von mehr oder weniger stumpfen Klanggemengen bei Cetra und manchen anderen grauen Labels. Und so war mein Misstrauen gegenüber der relativ neuen Ausgabe vom Theater selbst, der Opera di Firenze, die ich bei jpc entdeckte (preiswerter als bei Amazon, weil ohne Porto), groß. Dennoch – Corelli in seiner Glorie zu erleben und eine ganze Riege von ersten italienischen Sängern der Nachkriegszeit dazu (leider in der italienischen Fassung, die sprachlich wenig vom Original übriglässt) war die Anschaffung wert.

„Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/Vittorio Gui/ Naxos

Und wer beschreibt meine Übrraschung, dass – ähnlich wie bei der Callas-Vespri bei Testament ebenfalls (1951) aus Florenz – die originalen Masterbänder verwendet wurden, der Sound sich absolut drastisch verbessert hatte, die Stimmen und selbst die Chormassen relativ durchhörbar über die Zeit herüberklangen. Eine Offenbarung! Lucille Udovic überzeugt wesentlich mehr als die mulschigen Mitschnitte der Kolleginnen Leyla Gencer und Montserrat Caballé  unter Muti in Florenz und Rom, und die Florentiner Besetzung im Ganzen unter Vittorio Guis energischer, viriler Leitung allemal. Anita Cerquetti, von der es die überirdisch gesungene Arie gibt („Oh re dei cieli“) hat m. W. die Oper nicht ganz gesungen. Wenn man sich einstweilen mit der italienischen Bastardversion begnügen muss, dann mit dieser. Erfurt wartet.

Es gibt noch weitere Aufnahmen aus dem historischen Repertoire der Opera di Firenze auf deren website als Umschnitte von den originalen Masters – einige werden wir hier ebenfalls besprechen, so vor allem die Abengeragi/Abencerages mit Anita Cerquetti oder eine Traviata mit Cecilia Gasdia. Zu haben sind sie bei den bekannten deutschen Anbietern wie jpc. Und nicht nur wegen Corelli ist die Anschaffung wert („Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ OF 007, 2 CD). G. H.

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„Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ Franco Corelli/ Foto OF

Und nun ein Artikel zum Mitschnitt aus Florenz 1954, den wir dem Beiheft (mit schönen Fotos der Produktion) der oben genannten Edition der Opera di Firenze entnahmen:  Agnese di Hohenstaufen –  Eine Herausforderung für den Intendanten des Maggio Musicale,  Francesco Siciliani . Im Jahre 1819, nach sechzehn erfolgreichen Jahren in Paris, wurde Gaspare Spontini vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. nach Berlin eingeladen, um dort Musikdirektor am Hofe und am Königlichen Theater zu werden. Spontini gelang es, sich neunzehn Jahre auf diesem schwierigen Posten zu halten, trotz eines ihm extrem feindlich gesonnenen Milieus, ständiger Auseinandersetzungen mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten Graf Brühl und der wüsten Angriffe durch die Kritiker, angeführt von Ludwig Rellstab, die in ihm einen Antagonisten zur aufkeimenden deutschen Oper erblickten, einer Entwicklung, an welcher der Italiener ironischerweise einen bedeutsamen Einfluss hatte. Diese Epoche, zwischen Neuschöpfungen und der Neubearbeitung vorhergehender Werke, sah ebenso die Komposition der Bühnenmusik zu Thomas Moores Lalla Rookh (1821); Nuramhal, oder das Rosenfest von Kaschmir (1822), eine Oper in zwei Akten; die dreiaktive Fantasieoper Alcidor, komponiert anlässlich der Heirat von Prinzessin Louise mit Prinz Friedrich der Niederlande (1825); eine grandiose Kantate mit Versen von Ernst Raupach zu Ehren des Besuches von Zar Nikolaus I. in Berlin sowie die historisch-romantische Oper in drei Akten Agnes von Hohenstaufen zu einem Libretto, welches derselbe Raupach seiner eigenen Tragödie Kaiser Heinrich VI. entnahm. Diese monumentale Oper, Spontinis letztes Bühnenwerk, erlebte ihre Uraufführung, begrenzt auf den ersten, bereits zweieinhalbstündigen Aufzug, im Königlichen Theater zu Berlin am 28. Mai 1827. Die vollständige Oper hatte am 21. Juni 1829 Premiere und kam zur musikalischen Untermalung der Heirat Kronprinz Wilhelms mit Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach zustande. Eine radikale Überarbeitung führte zur Letztfassung (Erstaufführung am 6. Dezember 1837). Das Werk stieß größtenteils auf Unverständnis, wobei besonders das mittelmäßige Libretto viel Tadel auf sich zog. Dies führte dazu, dass die Oper bald von den Spielplänen verschwand und erst über ein Jahrhundert später wiederaufgeführt wurde.

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Die erste moderne Produktion 1954 hängt mit der Tradition des Maggio Musicale zusammen, vergessene Werke wieder auf die Bühne zu bringen. Dieses Verdienst gebührt hier, wie in anderen Fällen, Francesco Siciliani, künstlerischem Direktor der Florentiner Oper zwischen 1948 und 1957, einem Mann von vollendeter Kultur und Intuition. So brachte Siciliani bereits 1950 die italienische Premiere von Spontinis Olimpia zustande. Niemand Geringerer als Renata Tebaldi sang die Titelrolle; am Pult stand Tullio Serafin.

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„Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ Giangiacomo Guelfi/ Foto OF

Spontinis letzte Oper war indes eine noch größere Herausforderung. Im Jahr seiner Berufung zum Opernchef in Florenz traf Siciliani dank Serafin auf die junge Maria Callas, deren außerordentliches Talent ihn darin ermutigte, den dramatischen Koloratursopran, der in diesem Repertoire typisch ist, wiederzubeleben. 1948 brachte Siciliani die Callas zu ihrem Debüt beim Comunale in Bellinis Norma. Im Jahr darauf sang sie in Perugia in Stradellas San Giovanni Battista und danach in Aufführungen in Florenz, die Geschichte schrieben: 1951 in Verdis La traviata und in I Vespri Sciiliani sowie in Haydns Orfeo ed Euridice (Dirigent Erich Kleiber), 1952 in Bellinis I Puritani, in Rossinis Armida (gerade wieder bei Warner) und schließlich 1953 in Donizettis Lucia di Lammermoor sowie in Cherubinis Medea unter Vittorio Gui. Eigentlich sollte Maria Callas auch bei der Wiederbelebung der Agnese di Hohenstaufen in der Titelrolle agieren, doch sprang sie am Ende ab. Sich den Schwierigkeiten dieser Rolle bewusst, setzte Siciliani schließlich auf die amerikanisch-kroatische Sopranistin Lucilla Udovich, die hier ihr Operndebüt hinlegte. Als besonders schwierig erwies sich die Rekonstruktion der Partitur, fehlte es doch an einer gedruckten Edition. Es bedurfte der Transkription von Mikrofilmen diverser Manuskripte, die in verschiedenen Bibliotheken lagen. Da es sich als unmöglich herausstellte, in der deutschen Originalsprache zu singen, fertigten Filippo Caffarelli und Vito Frazzi eine italienische Übersetzung an. Die Oper erlebte sodann drei Aufführungen ab dem 6. Mai 1954 im Teatro Comunale als Eröffnung des Festivals. Am Pult stand Vittorio Gui. Als Regisseur wirkte Maner Lualdi mit Bühnenbildern von Erberto Carboni und Kostümen von Silvano Tajuti.

Intendant Siciliani machte niemals einen Hehl aus seiner Meinung, dass es sich bei Agnes von Hohenstaufen um einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Musiktheaters handle. Viele Jahre später organisierte er eine konzertante Aufführung der Rai di Roma unter Riccardo Muti und Montserrat Caballé in der Titelrolle (30. April 1970). Zu diesem Anlass entstand eine neue italienische Übersetzung von Mario Bertoncini. Zudem erfolgten weitere Korrekturen an der Partitur. Der junge Muti war derart beeindruckt, dass er die Oper 1974 neuerlich beim Maggio Musicale Fiorentino mit Leyla Gencer dirigierte.

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„Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ Anselmo Colzani und Lucille Udovich/ Foto OF

Die 1954er Aufführung bleibt nichtsdestotrotz bahnbrechend in der Wiederentdeckung von Spontini wie auch in der Geschichte des Maggio. Der Mitschnitt von der Aufführung vom 9. Mai 1954 vermittelt einen Eindruck von der opulenten Darbietung mit ihren Höhepunkten sowohl im Florentiner Ensemble als auch in der Auswahl der Sängerbesetzung von exzeptioneller Qualität. Vittorio Gui gelingt es mittels gemessener und feierlicher Tempi, eine majestätische Wirkung zu erzielen. Gewisse Verbindungen mit Webers Euryanthe (1823), nicht zufällig beim selben Festival unter Carlo Maria Giuilini gespielt, und besonders zum jungen Wagner, von Rienzi bis Lohengrin, lassen sich feststellen. Trotz der heftigen Schnitte gelingt es Gui, Spontinis Rückbezüge zur Großartigkeit und zum Dekor der französischen Oper als auch zum ungezwungenen Tonfall der deutschen romantischen Oper herzustellen. Er betont die bewundernswerte Verbindung zwischen der spannungsgeladenen Erzählung der Handlung mit der statischen Monumentalität der großen Chor- und Ensembleszenen. Erwähnenswert ist zudem seine Fähigkeit, die Überlagerung von Klangabschnitten in verschiedenen komplexen Szenen stets unter Kontrolle zu halten, sie es im Bankett des ersten Akts mit den Hörnern abseits der Bühne, die Berlioz vorausahnen lassen, oder im superben Finale des zweiten Akts, welches Philipp Spitta als unvergleichlich bezeichnete, wenn zum gigantischen Orchester im Graben eine unsichtbare Gruppe von Streichern und Kontrabässen, die eine Orgel simulieren, der Chor und die Stimmen von nicht weniger als sechs Solisten hinzutreten.

Nicht unähnlich Wagner, bedarf Spontinis Agnes Stimmen von außerordentlicher Robustheit, die nicht vom massigen Orchesterapparat zugedeckt werden, und in dieser Hinsicht ist die Florentiner Aufführung von 1954 ohne Vergleich. In den Arien „Quando la brezza il volto“ in der zweiten Szene des ersten Akts und „O Re die cieli“ in der zweiten Szene des zweiten Akts beschwört Udovich eine Stimmgewalt herauf, die an die junge Callas gemahnt, auch wenn sie über eine geringere technische Finesse und Eigenart des Timbres verfügt. Selbst in den dichtesten Momenten des Ensembles kann sie problemlos herausgehört werden.

„Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ Szene/ Foto OF

Franco Corelli, hier drei Jahre nach seinem Debut in Carmen in Spoleto, sang bereits 1953 in Florenz die Rolle des Pierre Besuchow in der Weltpremiere von Prokofjews Krieg und Frieden unter Artur Rodzinski. Gleichwohl war es besonders sein Pollione in Norma in Rom und Triest an der Seite der Callas, die ihn aufgrund seiner männlichen Kraft im Tonnfall, seines polierten Timbres und seiner Brillanz in hohen Noten zum idealen Interpreten Heinrichs von Braunschweig machten. Tatsächlich erzielt der Tenor beeindruckende stimmliche Kraft und expressive Passion, ein wenig zu Lasten einer heutigen Hörern überbetont und heftig erscheinenden Phrasierung und besonders nachdrücklicher portamenti.

Der dritte große Protagonist dieser Aufnahme ist Giangiacomo Guelfi in der diabolischen Rolle des Kaisers Heinrich VI., ohne Arien oder Ariosi und stets mit eindrucksvoller Deklatomation. In diesem römischen Interpreten findet man einen Bariton mit bronzenem Timbre und imponierend mächtigem Klang. Es war kein Zufall, dass Siciliani sechzehn Jahre später bei einer weiteren Aufführung in Rom wiederum auf Guelfi setzte. Die restliche Besetzung ist ebenfalls von hohem Niveau: Die Amerikanerin Dorothy Dow (Irmengarda), die in dieser Zeit zwischen dramatischen Sopranrollen und Mezzosopranrollen besonders im deutschen Fach wechselte, der Tenor Francesco Albanese (Philipp von Hohenstaufen) und die Baritone Enzo Mascherini (Herzog von Burgund und an der Scala Mabeth zur Lady von Maria Callas) und Anselmo Colzani (Heinrich der Löwe), wie auch die nachdrückliche Präsenz des Erzbischofs von Mainz, gesungen vom Niederländer Arnold van Mill, eines gefeierten Wagnerbassisten. Alle befinden sich in umwerfender stimmlicher Verfassung und meistern das mörderische Libretto des Werkes, von dem Spontini immer behauptete, es sei sein Meisterwerk, und das er der Person widmete, die ihm am meisten bedeutete: seiner geliebten Frau Celeste Erard. Giuseppe Rossi

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Den vorliegenden Text entnahmen wir dem Beiheft zur bei der Opera di Firenze  herausgekommenen CD  (2 CD OF 007; Übersetzung ins Deutsche von Daniel Hauser; Foto oben: „Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ Szene/ Foto OF)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.