Zeugnisse grosser Kunst

 

Im Rahmen der Callas Live Remastered Edition der Warner Classics gibt es auch drei Blu-Ray-DVDs mit den Konzerten der Diva in Paris 1958, Hamburg 1959 und 1962 sowie London 1962 und 1964, darin enthaltend jeweils der 2. Akt der Tosca in der Pariser Opéra und in Covent Garden. Letzteres sollte eigentlich eine optische Gesamtaufnahme der Oper werden, aber sie kam nur zum zweiten Akt.

Natürlich sind alle diese Dokumente mehr als bekannt, Fans der Diva werden sich das in verschiedenen Ausgaben bei Arthaus oder EMI bereits gekauft haben. Aber die Blu-Ray-Edition macht schon Sinn, weil die Bilder wirklich gestochen plastisch und scharf sind. Vielleicht manchmal zu scharf, denn die Zeitlichkeit ist auch über die Selige dahin gegangen, und vieles wirkt antiquiert und altmodisch – vor allem die Haartrachten, die von Farah-Dibah-Hochfrisur bis zum kunstvollen Mob rangieren und oft humoristische Kommentare fordern. Auch die Damen des Pariser-Norma-Chores strahlen in ihren weißen Blusen den spießigen Charme von Floristinnen im 10. Arrondissement aus, und niemand kann den von mir so hochgeschätzten Albert Lance gegenüber dem eleganten Renato Cioni für einen strahlenden Herzensbrecher halten. Unglaublich, dass das 1958 als Gala galt . Dennoch – gegen die Pressebälle in Berlin zur selben Zeit ist dies hier la Grande Vie, was man an Funkeln und Glitzern im Publikum der Nerzstolen und Fracks sieht.

Über allem Lässlichen aber triumphiert die Diva. Was sie mit den sparsamen Gesten in den Hamburger Konzerten vor allem in ihrer Vorbereitung vor dem aktuellen Singen schafft, wie sie die Arien andenkt  und mental verinnerlicht  ist nach wie vor umwerfend. Vor ihrer Kunst im Konzert (mehr vielleicht als vor ihrer etwas zu melodramatisch-stereotypen Schauspielkunst in der Tosca gegenüber dem immer noch histrionisch eindrucksvollen Tito Gobbi) verstummt jede spöttische Bemerkung, selbst nach rund 60 Jahren. Auch wenn man manche ihrer Gesten und koketten Seitenblicke auf Maestro Rescigno outriert finden mag. Aber die Essenz, die ureigene Schöpfungskraft der Callas ist in diesen kostbaren Dokumenten bewahrt, den mehr oder weniger einzigen zudem in so hervorragender Bildqualität, sodass diese drei DVDs in jeden Haushalt gehören, der sich mit Oper beschäftigt. Noch immer ist sie die Große, Wunderbare und vor allem Singuläre (Maria Callas in Concert, in den genannten Locations Arien von Bellini, Rossini, Puccini, Verdi, Spontini sowie 2x 2. Akt ToscaWarner Classics  3 DVD Blu-Ray  0190295804206). G. H.

 

Maria Callas in Concert, Paris 1958/ youtube

Nachstehend noch ein paar Informationen zu den hier festgehaltenen Konzerten aus dem beiliegenden Booklet zur 3-DVD-Blu-Ray-Ausgabe bei Warner. Paris 1958: Maria Callas debütierte erst recht spät in ihrer Karriere in Paris. Sie sang ihre erste Oper im Jahr 1939, erlebte ihren ersten Erfolg auf der italienischen Bühne 1947 in Verona, gab 1949 ihr Debüt in Südamerika, schaffte es 1950 an die Scala und wurde 1952 in London, 1954 in Chicago, 1955 in Berlin und 1956 in Wien bejubelt. Auch ihr heiß ersehntes, lange überfälliges Debüt an der Metropolitan Opera in New York gab sie 1956, bevor sie im darauffolgenden Jahr in ihre Heimat Athen zurückkehrte. In Venedig, Rom, Palermo, Mexico City, Philadelphia, Dallas, Madrid, Lissabon und Edinburgh waren die Erfolge und Kontroversen dieses Ausnahme-Jahrzehnts ebenfalls zu erleben. Paris war Maria Callas‘ letzte Station: Hier ließ sie sich bis zu ihrem Tod nieder.

Wollten ergebene Pariser das späte Debüt in ihrer Stadt verteidigen, konnten sie argumentieren, dass der Zeitpunkt keine Rolle spielte. Ausschlaggebend war, dass Maria Callas‘ erster Auftritt an der Opéra den krönenden Abschluss ihrer Karriere, ihre letzte Eroberung darstellte, was die prachtvolle Aufführung im Palais Garnier an jenem Abend bezeugte. Hatte ihr je eine andere Stadt einen solch überragenden Empfang bereitet? Wo sonst hatte sich ein Staatsoberhaupt im strömenden Regen zu einem Opernhaus begeben, in dem sich alles drängte, was Rang und Namen hatte, um eine Aufführung mitzuerleben, die jenseits des Saals auf dem ganzen Kontinent übertragen wurde? Als ihr Auftritt kam, schritt diese schlanke, elegante Erscheinung in ihrem verschiedentlich als scharlachrot oder champagnerfarben beschriebenen Kleid, geschmückt mit geliehenen Juwelen im Wert von einer Million Dollar, die Stufen hinab und präsentierte sich diesem hochkarätigen Publikum — eine Szene wie im Märchen. Die Bühne, auf der sie im Rampenlicht stand, schien für diesen Moment das kulturelle Zentrum Europas, wenn nicht gar der ganzen Welt zu sein.

Das Frühjahr 1958 brachte Erfolge in Amerika mit sich, wenngleich diese von einer vorherigen Gerichtsverhandlung wegen eines Vertragsbruchs in San Francisco und einem Verweis durch die American Guild of Musical Artists überschattet wurden. Später hatte Maria Callas Ärger mit ihrer Mutter und dem Operndirektor Rudolf Bing, erlebte sowohl Erfolge als auch Kränkungen in Mailand, ihren bittersüßen Abschied von der Scala und eine angespannte, gesanglich dürftige und doch unvergessliche Darbietung von La traviata in London. Nach einer Konzerttournee durch die Vereinigten Staaten, die eine hervorragende, aber kräftezehrende Medea in Dallas und einen ebenso strapaziösen, von zahlreichen Schlagzeilen begleiteten Vorfall an der Met mit sich brachte, war sie bereit für Paris.

Maria Callas, Konzert in Hamburg 1962/ Still Warner

Ein weiterer Faktor bereitete ihr damals kontinuierlich größere Sorgen als jedes dieser vereinzelten Vorkommnisse. Schließlich hing alles von ihrer Stimme ab, die sie in der Vergangenheit arg strapaziert hatte: Die Isoldes, Brünnhildes und Turandots aus früheren Jahren hatten unweigerlich ihre Spuren hinterlassen, und auch die Verausgabung im höchsten Register während ihrer kurzen bravourösen Zeit als dramatischer Koloratursopran forderte ihren Tribut. Selbst in ihren besten Jahren, die wohl in den Erfolgen von 1955 gipfelten, hatte manch einer Bedenken an ihrer stimmlichen Darbietung geäußert, die sie nur durch die offensichtliche Genialität ihrer Interpretation ausräumen konnte. Doch Paris hatte sie in jenen Jahren verpasst, und die Stimme, die vor dem dortigen Publikum als Norma die kriegslüsternen Druiden zurechtwies, war bei Weitem nicht die lieblichste der Welt, und auch nicht so mächtig oder fest wie manch andere. Auch als sie die „Casta diva“ sang, kamen wohl einigen Zuhörern redliche Zweifel. Nach all der Publicity, der Keilerei um Karten, der aufwendigen Kostümgestaltung, den Fanfaren und dem Ehrengeleit war dies also nun die Stimme, um die solches Aufhebens gemacht wurde?

Die Kenner der Callas ließen sich von dieser Erfahrung allerdings nicht beirren: Das war nichts Neues, und sie wussten, dass der Glaube an die Sängerin sich am Ende auszahlen würde. Bald würde es wieder einen jener Momente geben, in denen sie ihr unvergleichliches Können mit einer Phrase, bei der Verkörperung einer Rolle oder mit einer besonderen klanglichen Interpretation bewies. Tatsächlich mussten die Pariser auf die Arie aus II trovatore und das „Miserere“ warten, um bestätigt zu sehen, dass sie wirklich die sagenhafte „Kaiserin des Belcanto“ in ihrer Mitte hatten. Es stimmt, dass sie dem Pariser Publikum (in dem sich unter anderem auch Charlie Chaplin, Aristoteles Onassis, Brigitte Bardot, Jean Cocteau und die Windsors befanden) viel Gesprächsstoff bot. 450 Gäste waren hinterher zu einem Galadinner eingeladen: Ich frage mich, wie viele Diskussionen um ihre Darbietung der Kantilene aus Normas Beschwörungsarie, der schelmischen Rosina, der gequälten Tosca oder der Melodiebögen in Leonoras bitteren Klagen vor dem Verlies ihres Geliebten zu den „Miserere“-Gesängen der Mönche kreisten …

 

Maria Callas in Hamburg/ Foto EMI

Hamburg 1959 & 1962: Maria Callas trat erstmals am 7. März 1949 im Auditorium des öffentlich-rechtlichen italienischen Radiosenders RAI in Turin zusammen mit einem Orchester auf. In den Folgejahren gab sie weitere Konzerte in Turin, Rom, San Remo und Mailand, die RAI übertrug. Später sang sie allmählich auch in anderen Ländern Konzerte mit Orchesterbegleitung, die gemeinhin große Ereignisse darstellten. So wurde beispielsweise das Konzert im Odeon des Herodes Atticus in Athen am 5. August 1957 als Heimkehr der Sopranistin gefeiert, die zwar in den USA geboren wurde, jedoch als Vollblutgriechin galt. Einige Monate später weihte sie die Dallas Civic Opera mit einem Konzert in der State Music Fair Hall ein, und trat ab diesem Zeitpunkt bis 1964 regelmäßig in Konzerten auf der ganzen Welt auf, selbst in der Phase, in der sie keine Opernrollen annahm.

Im Mai 1959 unternahm Maria Callas eine Konzerttournee durch Spanien und Deutschland, die in Madrid und Barcelona begann und sie später nach Hamburg, Stuttgart, München und Wiesbaden führte. Am Anfang dieser Tournee litt sie an einer Erkältung, deren Auswirkungen sich noch in Hamburg bemerkbar machten. Dennoch gelang ihr eine reife gesangliche Leistung: Sie meisterte höllisch schwierige Musik mit vollkommener Sicherheit, und ihre Besorgnis über die Konsequenzen der Erkältung auf ihr hohes Register schmälern kaum den beachtlichen Gesamteindruck, den die Sängerin hinterließ.

Anfang 1962 war Maria Callas‘ Bühnenkarriere praktisch zum Erliegen gekommen, und bis 1964, als sie die Tosca in Covent Garden sang, trat sie lediglich bei Konzerten öffentlich auf. Ihre größte Konzerttournee im Jahr 1962 begann am 27. Februar in der Londoner Royal Festival Hall und setzte sich bis März mit Auftritten in München, Hamburg, Essen und Bonn fort.

In den drei Jahren seit ihrem vorherigen Konzert in Hamburg hatte ihre Stimme zwar merklich an Volumen eingebüßt, doch die Sängerin beherrschte sie immer noch vollkommen und gab mit ihrer einzigartigen Mischung aus musikalischem Feingespür, interpretativem Können und schierer mitreißender Kraft, die nur die Callas in Höchstform bieten konnte, ein Konzert, das die Hamburger Fans nicht enttäuschte.

Maria Callas und Tito Gobbi in „Tosca“, London 1964/ Still Warner

London 1962 & 1964: Maria Callas gab ihr internationales Operndebüt 1947 als La Gioconda in Verona und sang während der 1950er Jahre mit wachsendem Erfolg an allen großen Opernhäusern der Welt. Ihre künstlerische Heimat war jedoch die Mailänder Scala, wo ihr Repertoire eine wirklich bemerkenswerte Bandbreite aufwies: von den Klassikern Gluck, Cherubini, Spontini und Mozart über die Belcanto-Opern von Rossini, Bellini und Donizetti bis zu den dramatischen Meisterwerken Verdis und Ponchiellis sowie den Verismo-Werken von Giordano. Zum letzten Mal stand sie in der Saison 1961/62 in Cherubinis Medea auf der Bühne der Scala. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihre Opernkarriere schon beinahe zugunsten der Verlockungen eines glamouröseren Lebens im internationalen Jetset unter der Führung der amerikanischen Gesellschaftsgastgeberin Elsa Maxwell aufgegeben. Die Hauptattraktion für die Callas war jedoch der griechische Schiffsmagnat Aristoteles Onassis, mit dem sie mittlerweile eine enge Beziehung verband.

Bevor sie 1957 Onassis traf, hatte sich die Callas ausschließlich ihrem Gesang gewidmet. Doch auf der Kreuzfahrt, zu der Onassis sie und ihren Ehemann 1959 auf seine Yacht einlud, verliebte sie sich plötzlich zum ersten Mal in ihrem Leben. Ihr Ehemann, der italienische Industrielle Giovanni Battista Meneghini, den sie 1949 geheiratet hatte, war 28 Jahre älter als sie und eher eine Vaterfigur als ein Objekt romantischer Liebe für die junge Maria, deren gerade beginnende Karriere Meneghini so sehr fördern sollte. Doch jetzt, nachdem sie die Opernwelt erobert hatte, war sie geblendet von der Welt der High Society, zu der sie nun gehörte, und vom charismatischen Onassis, von dem sie fest annahm und erwartete, er werde sie nach ihrer Scheidung von Meneghini heiraten. Da sie immer mehr Zeit mit Onassis verbrachte, nahmen ihre Bühnenauftritte rapide ab, bis sie sie 1962 schließlich ganz und gar einstellte und das Publikum sie nur noch gelegentlich bei Konzerten erleben konnte. Am 27. Februar 1962 gab sie in der Royal Festival Hall in London ein Konzert mit dem Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Georges Pretre. Das Konzert war ein Erfolg, obwohl die Kritiker sich teilweise negativ äußerten, und manche Leute begannen zu vermuten, die Callas bleibe der Opernbühne fern, weil ihre Stimme allmählich nachlasse. Dieser Eindruck wurde durch eine missglückte Aufführung von Medea an der Mailänder Scala am 29. Mai bestätigt, als ihre Stimme wirklich in schlechter Verfassung war; der Grund hierfür war jedoch eine schwere Sinusitis, an der sie schon seit mehr als einem Jahr litt. Es sorgte daher für einige Aufregung, als sie neben anderen Kollegen am 4. November 1962 überraschend an der TV-Liveübertragung eines Galakonzerts aus dem Royal Opera House, Covent Garden, teilnahm.

Maria Callas in Hamburg 1962/ Still Warner

Während des Jahres 1963 gab die Callas noch mehrere Konzerte und nahm bei ein paar Studioaufnahmen für EMI in Paris auch weiterhin sporadisch auf, aber ihre Beziehung zu Onassis wurde allmählich gespannt, und sie begrüßte die Chance, Anfang 1964 in einer neuen Inszenierung von Puccinis Tosca nach Covent Garden zurückzukehren. Diese sollte sich als ihr letzter Triumph erweisen.

Nach den sechs Aufführungen von Tosca wurde für Sonntagabend, den 9. Februar 1964, eine „Golden Hour“-TV-Gala in Covent Garden arrangiert, die den gesamten zweiten Akt der Tosca enthalten sollte. Nachdem dies eine Liveübertragung war, gab es keine Gelegenheit zum Schneiden, und in jenen Tagen war die Kameraführung bei so einem Ereignis noch recht primitiv, und die Kamera war meist auf das Gesicht der jeweils singenden Person gerichtet, selbst wenn dies bedeutete, dass man die Reaktion der Callas in gewissen dramatischen Augenblicken nicht sehen konnte. Aber trotz dieser Unzulänglichkeiten ist dieser Mitschnitt der Callas im zweiten Akt von Tosca ein unbezahlbares Dokument, das zumindest einen Teil jenes letzten Bühnentriumphs der großen Diva in einem ihrer Kunst würdigen Rahmen bewahrt.

Aus Texten von J.B. Steane (Paris) und Tony Locantro (Hamburg, London) Übersetzungen: Stefanie Schlatt (Paris, Hamburg), Johanna Mayr (London)/ Quelle Warner Classics)