Durch die Todesanzeige erfuhr ich vom Ableben meiner alten Freundin Helga Moira (28.6.1935 Hamburg – 28.8.2017 Berlin), die mit 82 Jahren in einem Berliner Altersheim verstarb. Wir hatten seit einer Ewigkeit nichts mehr von einander gehört, aber ihre starke Persönlichkeit und ihr selbst für Berliner Verhältnisse exzentrisches Auftreten sind mir im Kopf eingebrannt: Ich hatte sie immer für ihre Kompromisslosigkeit bewundert, für ihren fast übermenschlichen Willen, ihre Träume und Sehnsüchte durchzusetzen, ihre Kunst zu leben. Sie war eine Besessene, die keine Abstriche von ihren Zielen hinnahm. Und sie war eine außerordentlich charmante, liebenswürdige Gastgeberin, eine gebildete Freundin, eine herausfordernde Gesprächspartnerin. Daneben war sie auch eine Zerrissene, Unglückliche, Frustrierte. Beide Seiten gehörten zu ihrem Charakter.
Ich erinnere mich an manche schöne Abendessen in ihrem Haus in Berlin oder in Veronas Restaurants ihrer ganz eigenen Wahl. Sie verbrachte die Sommer mit Blick auf die Arena. Dann riss durch viele Umstände unsere Verbindung ab. Ich sah sie gelegentlich in der Stadt, wenn sie mit ihrem roten Flitzer irgendwo vorbeirauschte. Wir trafen uns nicht mehr, aber ich hörte, dass sie angefangen hatte zu malen, ganz offenbar mit Erfolg und vielleicht damit auch kompensierend, dass ihre Sängerlaufbahn nicht diesen Weg genommen hatte. Nun ist sie gestorben, und es ist mir ein Bedürfnis, ihr mit dem nachfolgenden Interview einen kleinen Gedenkstein setzen zu können. Mein Kollege Stefan Lauter führte 1981 mit ihr ein Gespräch und fuhr im folgenden Jahr ins spanische Vigo, um sie dort als Lady Macbeth zu erleben und von ihr zu schwärmen. Ich möchte, dass Helga Moira, die mich damals so beeindruckt hat, nicht vergessen wird.
Kompromisslos – das ist der Begriff, der sich bei einem Gespräch mit der charmanten und attraktiven Berliner Sopranistin Helga Moira aufdrängt. Sie ist keine „langweilige“ Schönsängerin; ihre Stimme, die vom hohen Sopran einer Turandot bis zum tiefen Alt einer Dalila reicht, ist keine bequeme, sondern verlangt vom Zuhörer ebenso viel Engagement wie von der Sängerin selbst, die sich ohne Schonung gegen sich und gegen ihr Publikum in die Verkörperung ihrer Rollen stürzt. Sie hatte aber auch die besten Pädagogen als Ausbilder ihrer ungewöhnlichen Stimme gehabt: Margarete Klose, Richard Sengeleitner, Margarete Lohmann und Sergio Ravazzin, dem ehemaligen Intendanten der Arena di Verona.
In Deutschland ist Helga Moira – wie der sprichwörtliche Prophet im eigenen Vaterland – erstaunlicherweise weniger aufgetreten als in Italien und in anderen Ländern. Möglicherweise liegt das an der oben erwähnten Kompromisslosigkeit ihres künstlerischen Credos, vielleicht aber auch daran, daß ihre Stimme nicht unbedingt den kategorisierenden Vorstellungen eines deutschen Konzert- und Opernbetriebs entspricht. Ihre Kompromisslosigkeit hat es der Sopranistin ungarischer Abstammung nie leicht gemacht, in einem normalen Opernbetrieb zwischen Verbeamtung und unzureichenden Probenbedingungen Fuß zu fassen. Ihre Ansprüche an künstlerisch zumutbare Arbeitsbedingungen bei ihren Auftritten im Opernhaus sind groß. Sie wünscht sich lange Probenzeiten und einen guten Dirigenten, und sie zählt zu ihren schönsten Gesangserfahrungen die Auftritte mit dem inzwischen verstorbenen Dirigenten Yuri Ahronovitch in Köln oder ihre zahlreichen Liederabende in Verona. Arienrecitals führten sie nach Salzburg, Treviso, Soave, Neapel, Rimini und Zevio, wo sie im Rahmen der Maria-Callas·Stiftung am Eröffnungskonzert teilnahm. Ihre Suor Angelica in Köln unter Ahronovitch zeigte jedoch deutlich, dass ihre Stimme gerade im dramatisch-italienischen Fach zu Hause ist. Ein Arien-Abend mit Ausschnitten aus Macbeth, Forza del Destino, Aida und Un Ballo in Maschera bescheinigte der Sängerin eine schonungslose Anlage der Partien und ein absolutes Identifikationsvermögen mit der jeweiligen Rolle. Dass sie außer in verschiedenen Operettenauftritten (in Hamburg und Berlin) vor allem im Liedgesang in Deutschland auffällt – besonders in Berlin, ihrem Wohnsitz – zeigen die vielen Soloabende, die sie in regelmäßigen Abständen gibt und bei denen sie auf ein festes Publikum rechnen kann. Rundfunkaufnahmen sind ein weiterer Bestandteil ihrer vielseitigen künstlerischen Arbeit.
Neben den bereits erwähnten Rollen liebt Helga Moira, wie diese Auswahl aus ihrem Fach bereits zeigt, die dramatischen Partien des italienischen Repertoires, in dem sie eine leidenschaftliche Verfechterin von Oper in der Originalsprache ist (1981 ein weiterer Grund für ihre „Fremdheit“ im Opernbetrieb kleinerer deutschsprachiger Häuser!).Ihr langer und häufiger Aufenthalt in Italien sichert ihr die musikalische und sprachliche Beherrschung dieses großen Repertoires. Ihre Wunschrollen sind die Gioconda, die Turandot (die ihr vor allem auch von der psychologischen Anlage der Figur liegt), aber auch die Carmen oder die Ortrud stehen ihre nahe.
Ein Anliegen ist ihr die Wiederbelebung der vergessenen Verismo-Opern (Catalani, Cilea, Mascagni), aber auch Salome oder die Ariadne liegen durchaus in ihrem künstlerischen und gefühlsmäßigen Bereich und als Wozzeck-Marie kann man sie sich vorstellen. Unter den modernen Komponisten – denn sie scheut sich nicht vor moderner und zeitgenössischer Musik – liebt sie vor allem Aribert Reimann, weil er „einer der wenigen Modernen ist , die für die menschliche Stimme zu schreiben verstehen!“. Viel Glück weiterhin, Helga Moira! Stefan Lauter
Opernfestival in Vigo, 23. – 28. März 1982 Spanien, nicht übermäßig reich an Opernspielstätten, hat ein neues Festival in Vigo, das auf die Initiative der Freunde der Oper und der kommunalen Verwaltung Vigo zustande gekommen ist und das seine wesentlichen Anregungen dem Bariton Sergio de Salas verdankt, der für einen anspruchsvollen Beginn des ersten Festivals sorgte, als er in zweien der drei ausgewählten Opern (Macbeth, Don Carlo und Il Barbiere di Siviglia) die Baritonpartien verkörperte (Macbeth und Rodrigo). Wenngleich es organisatorisch noch reichlich haperte, und vor allem in der Orchesterleitung sich unüberhörbare Mängel auftaten, muss doch der Wille zu einer geschlossenen Kulturleistung, zu einer anspruchsvollen Opernpräsentation gelobt werden, die im einzelnen Achtung – manchmal sogar Bewunderung – abnötigte und die, mit mehr Routine und Organisationserfahrung, sicherlich sehr vielversprechend ist.
Von drei Opern, die beim ersten Festival aufgeführt wurden, war Verdis Macbeth unzweifelhaft die erfolgreichste. Trotz des weitgehenden Ausfalls des Orchesters (für den der Dirigent Ivan Polidori nicht unbedingt verantwortlich zu machen war) gelangen den drei Hauptdarstellern außerordentlich packende Leistungen. Helga Moira war eine Lady Macbeth von intensiver Gestaltung, musikalisch absolut sicher, ohne jede Höhenschwierigkeit besonders in den finali, sehr eindrucksvoll in ihrer zunehmenden Verwirrung angesichts der Entfremdung von ihrem Gemahl, packend vor allem in der Nachtwandlerszene, in der sie ein faszinierendes Porträt dieser aus der Wirklichkeit verrückten Frau gestaltete. Optisch außerordentlich attraktiv, bot sie eine ausgefeilte und stimmlich wie schauspielerisch erregende Rollenstudie. Sergio de Salas als Macbeth konnte seine markante, höhensichere und gut tragende Baritonstimme mit großem Gewinn einbringen, seine letzte Arie fand ihn ohne ein Zeichen der Ermüdung, schauspielerisch wie stimmlich war auch er von großer Intensität. Nicola Ghiuselev als Banco nutzte seinen kurzen Auftritt mit allen Mitteln, sein Solo sang er mit schönem schwarzem Bass. Unter den restlichen Mitwirkenden in dieser nicht uninteressanten Inszenierung imponierte zudem der heldische Malcolm von José Gabiel Vivas mit schmetterndem Tenor. (…) Stefan Lauter
Gewürdigt wurde Helga Moira auch 2016 von der italienischen Zeitung Trentino libero in einem zusammenfassenden Artikel; Dank an Wolfgang Denker für die Text- und Fotorecherche!