Der klagende Hund

 

Was ist das? Nicht Oper oder Musiktheater, kein Schauspiel mit Musik und keine Performance. Eine Konzert-Installation? Am ehesten erinnert der Abend von  Philippe Manourys kein licht nach Elfriede Jelinek als französische Erstaufführung in Straßburg an die szenischen Aufbereitungen der Stockhausen-Uraufführungen einst in Mailand. Philippe Manoury hat für den Abend, der kürzlich bei der Ruhrtriennale seine Uraufführung erlebte und nun in Straßburg zu sehen ist, mit der englisch-deutschen Wortschöpfung Thinkspiel sein eigenes Ding. erdacht. Der 65jährige, eng mit dem IRCAM verbundene Manoury hatte 2001 an der Pariser Oper mit seiner Kafka-Opera K… Aufmerksamkeit gefunden und an der Opéra National du Rhin vor sieben Jahren mit La nuit de Gutenberg zum großen Exkurs über die Entstehung der Schrift von der Antike bis zur Internetgesellschaft im 21. Jahrhundert ausgeholt.

Nun war er bei Elfriede Jelinek und ihrer „kein licht“– Reaktion auf die Unfallserie 2011 in Fukushima gestrandet, deren Unterzeile „(2011/2012/2017)“ anzeigt, dass der Wortblock 2012 um einen Epilog und aktuell um ein weiteren Teil „Der Einzige, sein Eigentum (Hello Darkness my old friend)“ über einen König, der bekommt, was er will, ergänzt wurde, „Und wenn die Welt einstürzt, er verliert seine Fassung nicht“. Wer wohl? Aphorismen und Hellsichtigkeit, Kalauer und Klischees, Witziges und Schales montiert der Text zu einer Wortflut, die keine lineare Erzählweise kennt. Und im aktuellen dritten Teil mit den Trump-Bezügen fast ein bisschen peinlich wirkt.

Cheery erklettert einen Wassertank und liefert sich mittels der Handzeichen seiner Hundeführerin ein fast wie ausnotiert wirkendes Duett mit der Trompete. Der virtuose Dressurakt mit dem niedlichen, punktgenau jaulenden und schwanzwedelnden Terrier lässt bei diesem Klagegesang nicht nur Hundefreunden das Herz aufgehen. Drei Sätze der dreiteiligen musiktheatralischen Aktion sind explizit als Lamento betitelt, wovon das letzte, das bereits von Mahler in seiner dritten Sinfonie aufgegriffene Nachtwanderlied Zarathustras „O Mensch! Gib Acht!“, hier ebenfalls von einem Alt gesungen wird. Doch auch gegen Ende seines gut zweistündigen Stück sammelt Philippe Manoury mit diesem Nietzsche -Zitat nicht spätromantische Fitzelchen ein, sondern bleibt seinem Ton aus herb ausgesplitterter Moderne und Elektronik treu, mit dem er Elfriede Jelineks Text-Würmer umgib. „Und was haben wir gelernt“ fragt B. „Irgendwas werden wir wohl gelernt haben“ antwortet A., die uns sozusagen durch den Abend geleitet haben und nun, in große, durchsichtigen Ballons gepackt, über die vollgeschwemmte Bühne rollen. Nochmals Bellen.

Philippe Manourys Oper „kein licht“ in Strasbourg/ Szene/ Foto Klara Beck

Manoury untermalt das Textungeheuer mit einer gut hörbaren, ja dann doch fast schon spätromantischen, sanft rieselnden und energisch klopfenden, klangsatten Musik sowie wie in Echtzeit elektronisch produzierten Modulen, deren komplizierte Funktionsweise er im Zwischenspiel ebenso aufgreift wie die Folgen des deutschen Atom-Ausstiegs und die Frage, wie man in Zeiten des Internets, das mehrere „Schichten von Daten, Wirklichkeiten … bereitstellt – und die Wirklichkeit darunter verschüttet“, eine Geschichte erzählen soll. Manourys Versuch beschäftigt ein halbes Dutzend europäischer Bühnen. Neben der Ruhrtriennale und der Pariser Opéra-Comique (Oktober) und der Opéra National du Rhin noch die Grands Théâtres de la Ville de Luxenbourg, die Münchner Kammerspiele, das IRCAM und das Kroatische Nationaltheater in Zagreb, die u.a. das Vokalquartett der Zagreber Oper und das von Julien Leroy geleiteten United instruments of Lucilin-Kammerorchester aus Luxenburg beigesteuert haben. In Straßburg hatte das Publikum vor allem seine Freude an der „Hans und Gretel aus Deutschland“-Sequenz mit viel „o lala“, „amour“ und „Moulin Roge“-Kalauern und Drolerien: „Nous sommes Allemands. Nous n’ aiment pas la égerie atom, Mais les Francais ils aiment la énergie atom“ – welche die wunderbar vielseitige Caroline Peters und der trocken charmante Niels Bormann als clowneske Nummer servieren. Ansonsten bleiben die eloquenten Darsteller in dieser konzertmäßigen Installation (Bühne: Katrin Nottrodt. Lange Konzertkleider für Frauen und Männer von Marysol del Castillo) mit Orchester im Hintergrund, Chorquartett und vier Solisten (Sara Maria Sun, Olivia Vermeulen, Christina Daletska und Lionel Peintre) als Elementarteilchen, Überlebende, Gestrandete und Steinzeitmenschen doch deutlich unterfordert. Den vollgepfropften Abend hatte Jelinek-Spezialist Nicolas Stemann als assoziationsreiche Collage eingerichtet mit vielen Video-Einblendungen, die vom Paris-Sightseeing bis zur Umweltkatastrophe reichen, angereichert mit der Trump-Entourage aus Ivana, Ivanka und Melania und einer Atomi-Handpuppen-Spielerei. Das ist manchmal komisch, witzig, mahnend, aber auch ennuyierend-plump, ein Kessel Buntes für Insider. Der eigentliche Start der auf Marc Clémeur gefolgten Eva Kleinitz folgt in einem Monat mit Mozarts Nozze di Figaro (Foto oben: Philippe Manourys Oper „kein licht“ in Strasbourg/ Szene/ Foto Klara Beck)  Rolf Fath