Die Wesendonck-Lieder sind längst nicht mehr nur Sängerinnen vorbehalten – auch wenn sie so nicht gedacht waren. Sie sind die künstlerische Frucht der sehnsuchtsvollen Liebe zwischen Richard Wagner und der reichen Kaufmannsgattin Mathilde Wesendonck. Ort des Geschehens ist die Villa in Zürich. Während der idyllische Park die durch Briefe belegte schwärmerische Beziehung noch immer ahnen lässt, sind die Spuren in den dazugehörigen Gebäuden verweht. Aus der im Renaissancestil erbauten Villa Wesendonck ist das Museum Rietberg für außereuropäische Kunst aus Afrika, Amerika, Ozeanien und Asien geworden. Größer können Gegensätze nicht sein. Zwei der insgesamt fünf Lieder für eine Frauenstimme und Klavier – Im Treibhaus und Träume – sind als Studien für Tristan und Isolde ausgewiesen. Wagner instrumentierte nur Träume, die anderen Lieder versah der Dirigent und Komponist Felix Mottl mit Orchesterbegleitung. Als eine der ersten Sängerinnen nahm sich Frida Leider der Lieder an, verzichtete aber auf Stehe still! Die meisten Einspielungen und Mitschnitte – mindestens zehn – dürfte Kirsten Flagstad hinterlassen haben. Es gibt diverse Bearbeitungen und neue Orchestrierungen beispielsweise von Hans Werner Henze. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Herren der singenden Zunft nach den Liedern greifen würden. Mit dem Tenor Jonas Kaufmann (Decca), dem Bariton Konrad Jarnot (Oehms) und dem Bass Günther Groissböck (ebenfalls Decca) sind alle Stimmlagen dokumentiert. Nach einem Eindruck hat keiner von ihnen die Ausdruckspalette dieser feinsinnigen Liedkompositionen erweitern können. Es sind ehr beachtliche sportliche Leistungen gelungen. Jetzt fehlen noch die Countertenöre und Altisten.
Ein reizvolles Gegenstück zu diesen Eskapaden hat das Voyager Quartet bei Solo Musica vorgelegt (SM 358). Wesendonck-Lieder – Transcripted and recomposed by Andreas Höricht. Zu dem Ensemble hatten sich 2014 die orchester- und kammermusikerfahrenen Solisten Nico Christians (1. Violine), Maria Krebs (2. Violine), Klaus Kämper (Violoncello) und Höricht mit der Viola zusammengetan. Bei ihnen stellt sich die Frage nicht, ob dieser Zyklus nun gendergerecht dargeboten werden soll oder nicht. Sie kommen ganz ohne Säger aus. Und das verfehlt seine Wirkung nicht. Die feinsinnige Bearbeitung, mit der großer Respekt vor dem Original bekundet wird, findet zu einer Intimität, die auch der Entstehungsgeschichte und den Gedichten Mathildes inhaltlich mehr als gerecht wird. Es klingt, als müsste es so sein. Jedes Lied – die Reinfolge ist beibehalten – bildet einen eigenen Satz. Die größte Veränderung im Vergleich mit der Vorlage sind bei ist Stehe still! wahrzunehmen. Dieses zweite Lied erklingt im Quartett weniger drängend und bewegt und passt sich dadurch den anderen Nummern stilistisch besser an. „Boten der Liebe“ ist die Neuerscheinung getitelt. Zu Beginn erklingt passenderweise das Vorspiel zu Tristan und Isolde. Am Schluss steht ein Streichquartett von Gustav Mahler Nr. 1.0. Was es mit der seltsamen Nummerierung auf sich hat, klärt Andreas Höricht im Booklet auf und nennt das quasi neu geschaffene Stück „die größte Herausforderung“. Es würden Werke aus seinem gesamten musikalischen Schaffen zu etwas Neuen verbunden. „Angefangen mit dem Jugendwerk, dem fragmentarischen Klavierquartett, über das Adagietto aus der 5. Sinfonie hin zur wieder unvollendeten 10. Sinfonie werden Mahlers Kompositionen übertragen, verbunden und weitergeführt.“ So gehe das Voyager Quartet „auf Seelenwanderung, überbringt klingende Liebesbriefe, verschlüsselte Botschaften und geheime Nachrichten. Ein Psychogramm in betörenden Tönen, recomposed für Streichquartett, dem Medium für spirituelle Botschaften“. Rüdiger Winter