Eine Lücke, die den meisten Klassikfreunden gar nicht bewusst sein dürfte, schließt die über 800-seitige Monographie Alexander Ritter. Leben und Werk eines Komponisten zwischen Wagner und Strauss, welche vom Autor Michael Hofmeister zugleich als Dissertation an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main eingereicht wurde. 1833 im seinerzeit kaiserlich russischen, heute estnischen Narva geboren, stand Ritter von Kindestagen an, die er in Dresden verlebte, im Banne des zwanzig Jahre älteren Richard Wagner. Später, 1854, sollte er Wagners Nichte Franziska heiraten. Ritters Mutter Julie ermöglichte Wagner mittels ihrer pekuniären Zuwendungen gar zeitweise sein Auskommen im notwendig gewordenen Exil in der Schweiz. Den späteren Bayreuther Meister lernte Ritter persönlich erst 1861 kennen. Er verkehrte im Kreise von Franz Liszt, Hans von Bülow und Peter Cornelius und wurde zu einem frühen Förderer von Richard Strauss. Seit seinem Tode im Jahre 1896 in München verblasste sein Nachruhm indes zusehends, so dass er mittlerweile nur mehr Insidern überhaupt etwas sagt.
Das vorliegende Buch könnte das endlich ändern. Die Monographie untergliedert sich in drei Großkapitel. Bei den Voraussetzungen wird auf den Forschungsgegenstand Ritter eingegangen, die primären und sekundären Quellen sowie den Werkbestand und die Überlieferung. Das Gros des Buches macht freilich das zweite Großkapitel Alexander Ritter – Stationen seines Lebens und Schaffens aus, beinahe 650 Seiten stark. Eine knappe Schlussbetrachtung beschließt den eigentlichen Text. Sehr nützlich das angehängte, gut 70-seitige Alexander-Ritter-Werkverzeichnis (ARWV). Abgerundet wird diese Fleißarbeit durch eine minutiöse Auflistung der Editionen (Artikel und Notizen, unveröffentlichte Briefe) und Verzeichnisse (Abkürzungen, Abbildungen, Quellen, Sekundärliteratur, Personenregister).
Der Hauptteil orientiert sich chronologisch am Leben Ritters. Sein Weg zur Musik und die ersten Kontakte zu Liszt und Wagner gehen von der Kindheit in Narva (1833-1841) über die Jugendzeit in Dresden (1841-1849) bis hin zu seinem Wirken als „Conservatorist“ in Leipzig (1849-1851). Auf eine Rückkehr nach Dresden (1851-1854) folgte die fruchtbare Weimarer Episode (1854-1856) inmitten des Kreises um Franz Liszt; hier entstanden Ritters erste Kompositionen. Über Stettin (1856-1858) ging es abermals nach Dresden (1858-1860) und Leipzig (1860-1863). Bereits hier deutete sich eine Rastlosigkeit an, die Ritters Leben auch später bestimmen sollte. Wiederholt musste er sich trotz zeitweiliger Erfolge das eigene Scheitern eingestehen, versuchte sich in Würzburg zu etablieren, wo er die Jahre 1863-1867, 1870-1872 und 1873-1882 zubrachte. Diese fast zwei Jahrzehnte wurden immer wieder unterbrochen durch glücklose Bestrebungen, sich andernorts niederzulassen. Ob München, Berlin oder besonders als „Stadtmusikdirector“ in Chemnitz (1872/73) – es wollte nicht gelingen. Die späten Meininger Jahre (1882-1886), wo er an der Seite Hans von Bülows wirkte, bereicherten Ritters eigenes Œuvre. Hier traf er auch auf den blutjungen Richard Strauss, den er zeitweise durchaus beeinflusste. Nicht ausgespart wird Ritters Antisemitismus, der sich etwa im schwierigen Verhältnis zum Dirigenten Hermann Levi zeigte.
Als Wagner-Vermittler und Wegbegleiter von Strauss verbrachte Ritter sein letztes Lebensjahrzehnt in München, wo er in der sogenannten „Ritterschen Tafelrunde“ neben der Wagner- auch Liszt-Pflege betrieb. Obwohl sich Ritter für den jungen Strauss mächtig ins Zeug legte, u. a. nachträglich das programmatische Gedicht zu dessen Tondichtung Tod und Verklärung verfasste und ihm den Stoff für dessen erste Oper Guntram nahebrachte, kam es zum Zerwürfnis. Indes setzte sich Strauss seinerseits postum wiederum für Ritter ein, nannte sogar seinen Sohn ihm zu Ehren Franz Alexander und bekundete, dass er Ritter geliebt habe. In seiner Zeit als Wiener Staatsoperndirektor erwog Strauss noch Mitte der 1920er Jahre, eine Ritter-Oper aufzuführen; freilich kam es niemals dazu. Es ist ein Jammer, dass sich die Tonträgerindustrie bis zum heutigen Tage der Werke Alexander Ritters nicht angenommen hat (mit Ausnahme von Thorofon mit dem Melodram Graf Walther und die Waldfrau für Sprecher und Klavier nach einem Text von Felix Dahn – auch musikalisch mit Tannhäuser-Anklängen). Diese umfassen in erster Linie Klavierlieder, wobei Texte u. a. von Heine, Eichendorff, Cornelius, Rückert und Lenau Pate standen. Daneben gibt es an solistischer Vokalmusik orchestrierte Lieder, geistliche Gesänge und Melodramen. Große Chorwerke wie die Hymne an das Licht stehen neben Orchesterwerken, darunter die sinfonische Dichtung Erotische Legende und die Symphonische Trauermusik Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe. Zwei Opern, jeweils in einem Akt, krönen sein Werkverzeichnis: Der faule Hans nach Felix Dahn, mit Widmung an Liszt, von 1885 sowie Wem die Krone? nach Karl Ferdinand Dräxler-Manfred, Strauss gewidmet, von 1890. Es wäre zu wünschen, dass diese ausgezeichnete Monographie ihren Teil dazu beiträgt, ein Klassiklabel endlich auch auf die Kompositionen von Alexander Ritter aufmerksam zu machen. Daniel Hauser
Michael Hofmeister: Alexander Ritter. Leben und Werk eines Komponisten zwischen Wagner und Strauss (= Frankfurter Wagner-Kontexte, Bd. 1), Baden-Baden 2018, Tectum Verlag, 807 Seiten, ISBN: 978-8288-4138-3.