Christa Ludwig

 

Sie hatte eine der schönsten und vielseitigsten Mezzosopran-Stimmen ihrer Zeit. Sie war eine der führenden Sängerinnen ihres Fachs und stand fast ein halbes Jahrhundert auf der Bühne der Wiener Staatsoper, an der sie 43 Partien sang. Am 16. März 1928 wurde sie in Berlin geborenen. 1994 hatte die Ludwig als Klytämnestra mit ihrem 769. Auftritt in der Wiener Staatsoper ihren Bühnenabschied genommen.
1994 verabschiedete sie sich von der Bühne: die Mezzosopranistin Christa Ludwig. Nun ist sie mit 93 Jahren gestorben. Ein Weltstar der Oper.
Und doch war sie nie eine Primadonna. Obwohl sie auf allen großen, um nicht zu sagen ersten Bühnen der Neuen und der Alten Welt zuhause war, auch bei den internationalen Opernfest. Sie hatte mit den großen Dirigenten gearbeitet, mit Otto Klemperer (unvergessen und nie wieder erreicht ist die Einspielung des „Lieds von der Erde mit Fritz Wunderlich) und Karl Böhm, Herbert von Karajan, Georg Solti und Leonard Bernstein, sie wurde umjubelt und feierte einen Triumph nach dem anderen. Und doch blieb sie immer ganz „normal“, eine „Primadonna“ ist sie nie geworden, auch wenn der ironische Titel ihrer 1994 erschienenen Autobiographie den Wunsch danach suggerierte: Mir sagte sie einmal: „Ah… das ist mir viel zu viel Arbeit, ich bin ja von Hause aus faul und eine Primadonna zu sein, das ist ja eine furchtbare Anstrengung.“
Sie war ein Naturtalent. Ihre Stimme und ihre Musikalität wurden ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt, denn sie war die Tochter des Sängerpaares Anton Ludwig und Eugenie Besalla. Von ihr erhielt sie Gesangsunterricht. Sie wuchs in Aachen und Hanau auf und versuchte sich unter der Obhut der Mutter schon bald an Koloraturarien.

Schon mit Siebzehn trat sie ihr erstes Engagement in Gießen an. Nach Frankfurt, Darmstadt und Hannover wurde sie 1955 an der Wiener Staatsoper engagiert, und von dort aus eroberte sie die internationale Opernwelt, sowohl als Mozart-, wie als Verdi-, als Wagner- und als Richard Strauss-Sängerin, aber auch als gefragte Konzert- und Liedinterpretin.

Christa Ludwig hatte alles, was man von einer Sängerin verlangt: Eine kerngesunde, große, schöne und ausdrucksfähige Stimme, eine psychologisch intelligente Nuanciertheit im Sängerischen und absolute Wortverständlichkeit. Sie hatte auch die Chuzpe, sich schon sehr jung auf die Bühne zu stellen, enorme Bereitschaft zu Fleiß, den festen Willen, sich nie unterkriegen zu lassen, immer Neues zu wagen und auszuprobieren, aber sich zu nichts ihrer Stimme Abträglichem überreden zu lassen. Das waren Ihre Qualitäten.

Christa Ludwigs Repertoire umfasste die wichtigsten Alt- und Mezzosopranpartien von Mozart bis Bela Bartok, aber auch zahlreiche dramatische Sopranpartien. Sie sind gottlob alle auf Tonkonserven dokumentiert Zu ihren Glanzrollen zählen etwa die Marschallin im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss, die Kundry Richard Wagners und die Leonore Beethovens oder Giuseppe Verdis Lady Macbeth. Daneben erwies sich Ludwig zunehmend als glänzende Liedinterpretin, insbesondere der romantischen und spätromantischen Werke von Schumann, Brahms und Mahler und war später auch als Lehrerin Inspiration für Generation nachfolgender Sängerinnen und Sänger.

Raumgreifende Christa Ludwig/ Foto Scholz

Sie sie trat im Vollbesitz ihrer Stimme ab und bekannte nach Ende ihrer Karriere: „Sängerin möchte ich nie wieder sein!“, vor allem ihr Privatleben wurde immer hintan gestellt für die Gesangskunst. Sie opferte weitgehend dem Schönklang ihr Leben.
Das Motto der Marschallin aus dem Rosenkavalier war ihr Altersmotto: „Leicht muss man sein, mit leichtem Herzen und leichten Händen, halten und nehmen, halten und lassen“, diese Worte hat sie mir auch bei einem denkwürdigen Interview mitgegeben.
Nun ist sie von der Bühne des Lebens abgetreten. Ganz leise, bis zuletzt hatte sie sie Charisma, Witz und Humor. Sie war eine gefragte Gesangspädagogin bei vielen Masterclasses. Aber sie nahm sich die Freiheit, die Sängerausbildung an den Hochschulen scharf zu kritisieren. Vor allem monierte sie, dass die heutigen Gesangsstudenten vor lauter Theorie die Praxis vernachlässigen und zu spät mit dem Singen beginnen und dann oft der Verlockung erliegen, am Beginn ihrer Laufbahn mit viel zu großen Partien zu singen. Dieter David Scholz
Und nun eine Hommage und ein Blick auf wichtige Dokumente der Ludwig von Rüdiger Winter: Der Zufall wollte es, dass Christa Ludwig und Jessye Norman im Osten Berlins kurz hintereinander in Liederabenden auftraten. Das war in den späten 1980er Jahren. Die Mauer war noch nicht gefallen. Die Norman glamourös. Phantastisch gewandet, rauschte sie herein und flog förmlich in die Arme des Publikums.  Anders die Ludwig. Im schlichten klassischen Abendkleid betrat sie das Podium. Selbstbewusst, würdevoll und diskret zugleich. Sich ihrer und ihrer Kunst absolut sicher. Ich würde mich wohl nicht so genau erinnern, hätten beide Sängerinnen mit mehr zeitlichem Abstand zueinander gastiert.

Wer nun in beiden Vorstellungen gesessen hatte, fühlte sich (eigentlich überflüssiger Weise) zu einem Vergleich genötigt. Die Ludwig oder die Norman? Im Freundeskreis wurde damals heftig darüber gestritten. Ich entschied mich für die Ludwig. Sie verkörperte nach meinem Empfinden die hohe Schule des Liedgesangs, den bleibenden Wert. Während die Norman mich mehr enthusiasmierte, lehrte mich die Ludwig, genau zuzuhören, mich einzulassen. Meine Liebe zu Liedern habe ich in einem hohen Maße ihr zu verdanken. Während ich selten zu den Liederplatten von Jessye Norman greife, werden die mir wichtigen Aufnahmen von Christa Ludwig gar nicht erst weggeräumt. Sie sind stets griffbereit, stapeln sich gleich neben dem Player. Bei der Menge ist es allerdings nicht einfach, die Übersicht zu behalten.
Eine Box der alten EMI-Bestände, nun von Warner, kommt mir da allein unter praktischen Gesichtspunkten gerade recht. Denn sie reduziert den CD-Turm ihrer vielen Aufnahmen  beträchtlich. Christa Ludwig – The Complete Recitals on Warner Classics (0190295690205). Die Box war eine Würdigung zum 90. Geburtstag der Sängerin, die am 16. März 1928 in Berlin zur Welt kam. Die Aufnahmen sind zwischen 1957 und 1969 von der EMI meist im legendären Abbey Road Studio No. 1 produziert worden. Für mich sind diese Jahre die besten in der langen Karriere der Ludwig. Und es erweist sich im Nachhinein als eine sehr weitsichtige Entscheidung der EMI, das Hauptaugenmerk bei Recitals auf den Liedgesang zu legen. Einzelne Arien konnten auch viele ihrer Kolleginnen exzellent singen, die Begabung für Lieder war – wie bei Elisabeth Schwarzkopf oder Dietrich Fischer-Dieskau – ein kostbares Alleinstellungsmerkmal. Und noch etwas fällt auf. Nach so langer Zeit klingen die Aufnahmen, zumal schon meist in Stereo und durchweg gut aufgefrischt, überhaupt nicht historisch. Ihr Alter ist ihnen auch deshalb nicht anzuhören, weil der Stil der Sängerin jenes klassische Ebenmaß hatte, das kein rasches Verfallsdatum kennt. Schallplattenaufnahmen als Masterklasse. Junge Sängerinnen und Sänger können viel aus diesen Dokumenten lernen, wenn sie sich denn darauf einlassen.

Es gibt da noch keinerlei Verschleißerscheinungen. Die Ludwig muss nichts kaschieren. Ruhig und pastos fließt die Stimme dahin. Sie schöpft aus dem Vollen ihres farbenreichen ins Dunkle gehenden Mezzo. Alle Register sind perfekt verblendet. Sie singt immer mit einer Stimme. Immer wieder drängt sich der Gedanke an Vollendung auf. Weil sie technisch offenbar mit keinerlei Problemen zu kämpfen hat, kann sie so viel Sorgfalt und Phantasie in den Ausdruck legen. Ich kenne kein Lied, das mal eben mit links so runtergesungen ist. Immer vermittelt sich eine Botschaft, eine Mitteilung. Sie ist sehr gut zu verstehen. Routine hat bei ihr nicht die geringste Chance. Ihre Mutter, selbst eine erfolgreiche Sängerin, war ihr Lehrerin und strenge Kritikerin. Obwohl Christa Ludwig viele Opernpartien und Oratorien gesungen hat und noch mit der Callas bei der Norma im Studio war – für mich hat sie ihre bedeutendsten Leistungen als Liedsängerin erbracht.

Für jede einzelne Nummer wird akribisch belegt. Nach der Übernahme der EMI durch die Warner hat man gelernt, das zu erwartren. Zumal sich viele Sammler noch an die originalen Schallplattencover erinnern, die nun auf den CD-Hüllen im verkleinerten Format nachempfunden werden. Denn das Auge hört mit. Der künstlerische Vorteil besteht daran, dass das Konzept der einzelnen Recitals in ihrer ursprünglichen Anlage bewahrt bleibt. In dieser Zuordnung bildet sich auch die stimmliche Leistungsfähigkeit zum jeweiligen Zeitpunkt des Entstehend der Platten ab. In den meisten Fällen wurden die originalen Langspielplatten eins zu eins auf CD übernommen. Deshalb ist zwar viel Platz verschenkt. Doch besser so, als den Freiraum mit irgendwelcher Füllmasse zu schließen. Also bleibt die berühmte von Geoffrey Parsons begleitete Brahms-LP von 1969 mit etwas mehr als dreiundvierzig Minuten erhalten. Mein Lieblingslied „Von ewige Liebe“ ist dabei. Ich scheue mich nicht, es meinen Brahms’sche Tristan zu nennen. Diese schier endlose Melodie zieht einen hinein, so dass man nur schwer wieder herausfindet. Auch das ist eine Ähnlichkeit mit Wagner, die ich nicht gesucht habe. Sie drängte sich mir auf. Komplett ist das Lied von der Erde mit Fritz Wunderlich unter Otto Klemperer – eine der schönsten Musikaufnahmen, die ich kennen – übernommen, ergänzt um drei der Sieben frühen Lieder von Alban Berg mit Orchesterbegleitung durch Charles Mackerras. Sie waren wie der ebenfalls von Mackerras begleitete Gesang „An die Hoffnung“ von Max Reger und das Wesendonck-Lied „Im Treibhaus“ unter Sir Adrian Boult bisher noch nie an die Öffentlichkeit gelangt. In diese Kategorie fallen auch die Lieder „Um Mitternacht“ von Hugo Wolf, „Im Frühling“, „Dithyrambe“, „Nacht und Träume“, „Wiegenlied“, „Im Abendrot“, „Die junge Nonne“ und „Wandrers Nachtlied“ von Franz Schubert und das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“. Woher die unbekannten Stücke, die die Edition so unverhofft bereichern? Sie seien „wohl aus Gründen begrenzter damaliger LP-Spielzeit wie aus Repertoire-Erwägungen des jeweiligen Produzenten“ nicht veröffentlicht worden, ist aus dem Booklet zu erfahren.

Brahms kehrt noch auf weiteren Zusammenstellungen wieder. Den früheren von Gerald Moore begleiteten Zigeunerliedern von 1959 aus dem Studio wird – was nahe liegt – der hochexpressive Livemitschnitt aus dem Jahr 1972 aus dem Wiener Konzerthaus gegenübergestellt, bei dem Leonard Bernstein den Flügel fast zum Bersten bringt. Mit dem Lied von der Erde hat sich Mahler nicht erschöpft. Es gibt auch die Lieder eines fahrenden Gesellen, die Kindertotenlieder sowie diverse Rückert– und Wunderhornlieder aus unterschiedlichen Aufnahmesitzungen, in Teilen auch mit Orchesterbegleitung. Ihr musikalischer Leiter Otto Klemperer dirigiert auch die Wesendonck-Lieder, Isoldes Liebestod aus Tristan und Isolde sowie mit der Alt-Rhapsodie noch einen Brahms. Das üppige auf mehrere CDs verteilte Schubert’sche Kontingent überragt mit seinen fast zwölf Minuten „Der Hirt auf dem Felsen“.

 

Im Gegensatz zu Warner hat sich die Deutsche Grammophon in ihrer Christa Ludwig Edition aus dem selben  Anlass für einen umfassenden Überblick ihres Wirkens aus dem eignen Katalog und ein paar Zukäufen entschieden (00289 479 9707). Reichlich Lieder auch hier. Die neunundzwanzig Schubert-Lieder mit Erwin Gage am Klavier sowie die von James Levine begleitete Winterreise sind ebenso berücksichtigt wie die Mignon-Lieder von Wolf, die Kindertotenlieder und die Rückert-Lieder mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan. Aus Wolfs Italienischem Liederbuch unter Daniel Barenboim sind nur ihre Titel ausgewählt. Dietrich Fischer-Dieskau wird als Partner schlicht unterschlagen. Das geht nicht, weil der Zyklus, der komplett auf CD vorliegt, erst im Wechselspiel zwischen beiden Solisten seine Wirkung und seinen Zauber entfalten kann. Nun ist es so, als würde aus einem Duett eine der beiden Seiten herausgeschnitten. Noch unglücklicher ist die Entscheidung, den Liederkreis op. 39 von Robert Schumann auf nur sechs Lieder – „Waldgespräch“, „Die Stille“, „Mondnacht“, „Schöne Fremde“, „Wehmut“ und „Im Walde“ zu stutzen. Warum? Da es im Booklet keine Erklärung dazu gibt, liegt die Vermutung nahe, dass der Liederkreis nicht vollständig eingespielt wurde. Bereits in früheren Alben war immer nur die Auswahl erschienen. Der entscheidende Hinweis findet sich in der Walter-Berry-Biografie von Elisabeth Birnbaum (Henschel) auf Seite 220: „Mit Christa Ludwig zusammen gibt es noch eine Liederplatte mit Schumanns Liederzyklus op. 39, der schon als Werk an sich wunderbar ist und in der Aufteilung der Lieder noch interessanter wird.“ Soll heißen, Berry, der damalige Ehemann der Ludwig, sang die restlichen Titel. Komplett ist der Zyklus bislang nur auf einer LP zu finden. Schon deshalb hätte es sich angeboten, ihn nun erstmals auf CD zu veröffentlichen. Unbenommen davon, ob die Aufteilung wirklich Sinn macht. Überhaupt neigt die Edition zum scharfen Schnitt. Auch bei Opern und Oratorien. Abgesehen von einigen Liedgruppen und Sammlungen sowie der von Karl Böhm dirigierten Alt-Rhapsodie von Brahms, wird auf Szenen aus Gesamtaufnahmen zurückgriffen, die alle aktuell zu haben sind und Sammler im Schrank haben dürften. Was nützen an die fünfzehn Minuten aus dem berühmten Bayreuther Tristan (Brangäne) von 1966, der erst kürzlich in zweifacher Ausführung wieder auf den Markt gelangte – nämlich als Remastering der originalen Bänder und als Blu-ray-Audio-Disc. Ohne Seltenheitswert sind die Szenen aus Cosi fan tutte (Dorabella), Le nozze die Figaro (Cherubino),  Rosenkavalier (Marschallin/alle unter Karl Böhm).

Interessanter sind da schon die Alt-Arien und Rezitative aus Bachs Matthäus-Passion. Die von Herbert von Karajan geleitete Gesamteinspielung könnte eine Neuauflage vertragen, während das Weihnachtsoratorium aus München mit Karl Richter am Pult nun wirklich zur Grundausstattung selbst der bescheidensten Sammlung gehört. Auch wegen der Ludwig. Für mich gehört es zu ihren besten Aufnahmen, weil sie sich von diversen Vorgängerinnen löst, indem sie ihre Szenen mit einem dezenten erotischen Touch versieht. Als Wagner-Sängerin tritt Christa Ludwig auch in Szenen hervor, die aus Decca-Produktionen ausgeliehen und ebenfalls weit verbreitet sind: als Fricka in der Walküre und Waltraute in der Götterdämmerung (beide unter Georg Solti) sowie ebenfalls unter diesem Dirigenten Kundry im Parsifal. Als seien eine Fricka und eine Waltraute nicht genug, werden die gleichen Szenen zusätzlich aus der Met-Produktion unter James Levine und aus dem Karajan-Ring wiederholt. Warum? Für diese Großzügigkeit wird an anderer Stelle drastisch gespart, indem sich beispielsweis ihre grandiose Judith in Bela Bartoks Blaubart auf nicht einmal zehn Minuten zusammengedampft wiederfindet. Dieser dicht gestrickte Einakter ist nun am wenigsten dazu geeignet, zerpflückt zu werden. Neugierig auf das gesamte Werke macht ein Ausschnitt aus Carl Orffs De temporum fine Comoedia (Das Spiel vom Ende der Zeiten) in der Produktion der Salzburger Uraufführung von 1973 unter Herbert von Karajan, mit der übrigens Anna Tomowa-Sintow als eine der Sibyllen ihre internationale Karriere startete. Vielleicht ist es das, was die Edition will, Neugierde wecken auf Christa Ludwig, Anstöße geben, sich wieder mit ihrer Kunst zu beschäftigen. Etwas setzt sich immer fest. Ich kann mir vorstellen, dass das scheinheilige „Reverenza!“ der Mrs. Quickly aus dem dritten Akt von Verdis Falstaff zur Anschaffung der Gesamtaufnahme führt. Und dieses „O Röslein rot“ erst, das so genannte „Urlicht“ aus der 2. Sinfonie von Gustav Mahler. Keine andere Sängerin hat das nach meiner festen Überzeugung so perfekt und sicher aus dem Stand, aus dem Nichts hervorgeholt wie die Ludwig. Hätte ich sie nicht vorrätig, ich würde umgehend zur Anschaffung der kompletten Sinfonie schreiten.

Die Edition der Deutschen Grammophon gewinnt durch die Gespräche, die der Musikautor und Stimmenkenner Thomas Voigt mit Christa Ludwig führte. In gedruckter Form steuert Voigt auch ein Interview für die Warner-Sammlung bei. Foto: Facebook

Der unschlagbare Vorteil, der letztlich auch die Anschaffung dieser Geburtstagsedition lohnt, sind die Gespräche, die der Musikautor und Stimmenkenner Thomas Voigt mit der Sängerin führt. Man findet sie zwischen Musikaufnahmen. Wie ein roter Faden ziehen sie sich durch die Sammlung, geben ihr inhaltlichen Halt und Zusammenhang. Wer so kenntnisreich fragt wie Voigt, bringt vieles heraus. Man hört auch ihm gern zu, er aber lässt der Diva immer den Vortritt. Die Ludwig dankt es mit großer Offenheit, selbstkritischen Erkenntnissen und vielen anekdotischen Geschichten. Aus dem Interview, das sich in englischer Übersetzung abgedruckt auch im Booklet findet, wird ein Austausch unter Gleichgesinnten. Zusätzlichen Lesestoff bietet ein übersetztes Interview mit James Jolly, das auch einen Zusammenhang zwischen beiden Geburtstags-Editionen herstellt. Christa Ludwig: „Als ich bei EMI exklusiv unter Vertrag war und ein Angebot von der Deutschen Grammophon bekam, war da immer ein Gerangel darum mich freizubekommen.“ Und dann habe Karajan gefragt, warum sie, die Ludwig, eigentlich exklusiv bei der EMI sei. „Nun, sie holen mich mit einer großen Limousine vom Flughafen oder Hafen ab.“ Ob sie es sich denn nicht selbst eine Taxi oder eine Limousine leisten können, habe Karajan wissen wollen. Und sie dachte: „Er hat recht, ich bin so abhängig von EMI und Walter Legge, aber ich könnte das selbst zahlen.“ Und dies sei der Grund, „warum ich von diesem Moment an – ich war vielleicht 35 damals – stets tat, was immer ich wollte.“ (Foto oben: Fayer, Wien, im Booklet der Warner-Edition, Ausschnitt). Rüdiger Winter

 

Zum 90. Geburtstag Christa LKudwigs gab es ein Buch im Wiener Amalthea Verlag: Das Motto von Hofmannsthal/Strauss‘ Marschallin zu eigen gemacht hat sich Christa Ludwig, und dazu gehört auch, nicht in der Vergangenheit verhaftet zu bleiben, sondern so sehr in der Gegenwart zu leben, dass in dem zu ihrem 90. Geburtstag  (16. März 2018) erschienenen Buch bereits auf die Me-Too-Bewegung Bezug genommen , der manchmal forciert wirkenden Empörungswelle eine schöne Gelassenheit entgegengestellt wird, ja ein Bedauern darüber, dass es nun wohl verpönt sein werde, mit den „Waffen einer Frau“ Männer dazu zu bringen, auch Karrierewünsche zu erfüllen. Nicht nur gegen die „Empörungskultur“, auch gegen jede Sentimentalität, jedes Trauern um Vergangenes wendet sich die Sängerin, schildert stattdessen sehr beeindruckend das Gefühl der Befreiung, das sie befiel, als sie zum ersten Mal kalte Winterluft tief einatmete in dem Bewusstsein, nie mehr Rücksicht auf ihre Stimme nehmen zu müssen. Zu dieser hat sie ein sehr besonderes Verhältnis, das in einem Dialog seinen Ausdruck findet, ein von Ehrfurcht vor dem Geschenk, das Christa Ludwig gewährt wurde, geprägte, auch von einer Art Hassliebe bestimmte Auseinandersetzung mit ihrer Kunst, die gleichzeitig Erfüllung und dauernde Einschränkung bedeutete. Immer wieder wird das Singen als gleichermaßen Traum wie Albtraum beschrieben.

Wer sich für Christa Ludwigs Buch interessiert weiß natürlich, dass es bereits ihr zweites ist, das das erste den Titel „—ich wäre so gern Primadonna gewesen“ hat. In ihm konnte sie über ihre Karriere berichten, nach ihm passierte in dieser Hinsicht nichts mehr, beschränkt sich die künstlerische Tätigkeit auf das Lehren, das Rezitieren, auf öffentliche Gespräche. Aus dem Dilemma, sich wiederholen zu müssen, befreit sie die Zweiteilung des Buches in Abschnitte in der Ich-Form und solche in der dritten Person, für die die Autoren Erna Cuesta und Franz Zoglauer verantwortlich sind. Während die von Christa Ludwig selbst verfassten Abschnitte den Leser durch ihre Spontaneität, ihre Unmittelbarkeit und ihre offensichtliche „unerschrockene Ehrlichkeit“ direkt ansprechen, erscheinen die der beiden Autoren streckenweise klischeehaft und sich beim Leser anbiedernd. Auch ist einiges schon allzu bekannt wie die Sexverbote für Tenöre und den Unterschied zwischen der Berliner Busenquetsche und dem Wiener Brustleiberl. Das mindert den Wert des Buches aber kaum, denn es gibt viel zu erfahren, so über den Konkurrenzkampf zwischen der Ludwig und ihrem ersten Ehemann Walter Berry, den angeblichen oder tatsächlichen zwischen Karajan und Bernstein, dreistündige, zur Stimmkrise führende Kundry-Schreie für die Schallplatte, Kritikerstimmen, die Bedeutung der Sopranrollen Ariadne oder Fidelio für die Gesundheit der Stimme, das Eingeständnis, dass trotz der Bekanntschaft mit Carmen  bereits im Mutterleib die ihre mit einigem Recht als „Trotzköpfchens  Zigeunerhochzeit“ kritisiert wurde.

Zu Herzen gehen die Worte der Ludwig über den Liedgesang, schmunzeln kann man, wenn sie Wieland Wagner als „radikalen Regisseur“ bezeichnet, nachdenklich macht ihre Behauptung, eine „spießige Verbürgerlichung“ habe zur Ausrottung der Gattung Paradiesvogel unter den Opernsängern geführt.  Unter den Politikern will sie immerhin in Silvio Berlusconi einen solchen erkannt haben.  Das verwundert etwas, da sie selbst doch frei von den dazu gehörenden Starallüren war. Natürlich fehlt auch nicht eine nur allzu begründete Kritik am modernen Regietheater.

Warum der Untertitel „Erinnerungen an die Zukunft“ heißt, erklärt die Ludwig im Vorwort zu ihrem zweiten und vielleicht nicht letzten Buch: “Ich fühle mich immer noch auf dem Weg.“

Ein wahrer Schatz sind die aus dem Privatbesitz von Christa Ludwig stammenden zahlreichen Fotos. Als nicht minder wertvoll erweisen sich die Biographische Zeittafel, das Rollenverzeichnis, das Literaturverzeichnis und das Namenregister (Amalthea Verlag 2018; ISBN 978 3 99050 122 1). Ingrid Wanja