Peter Schreier musste sich oft anhören, dass seine internationale Karriere erst nach dem Unfalltod von Fritz Wunderlich so richtig Fahrt aufnahm. Fakten sprechen dafür, die tragischen Umstände aber dürften ihm genauso nahegegangen sein wie dem Rest der Welt. Beide kannten sich. Ein zweiter Wunderlich aber wurde Schreier nie, wollte das auch wohl nicht. Warum auch? In der DDR, wo nichts dem Zufall überlassen blieb, wäre es gewiss sehr gern gesehen worden, wenn die Popularität Wunderlichs nahtlos auf Schreier übergegangen wäre. Beide sangen das gleiche Fach, in Teilen sogar dieselben Partien. Selbst Pfitzners Palestrina gehörte dazu. Von Mozart und Bach ganz zu schweigen. Nur in Operetten und in der so genannten heiteren Muse ganz allgemein war der um fünf Jahre ältere Pfälzer seinem Kollegen aus Sachsen um Längen voraus. Das dürfte auch an ihrer unterschiedlichen biographischen Prägung gelegen haben. Wunderlichs Eltern waren zwar musikalisch gebildet und verdingten sich zweitweise als Gastwirte. Der Sohn entwickelte ein frühes Interesse an Tanzmusik. Schreier Vater war Kantor und legte bei ihm die Grundlagen für die Aufnahme in den Dresdener Kreuzchor. Und doch hat sich auch Schreier an leichter Kost versucht. Dabei ist unter anderen die Eterna-Platte Schöne, strahlende Welt herausgekommen, die nun von Berlin Classics erstmals eins zu eins auf CD übernommen wurde (0301746BC). Um die Kapazität auszulasten, wurden noch fünf Titel des Albums O sole mio dazu gepackt.
„Granada“, „In mir klingt ein Lied“, „Heute Nacht oder nie“, „Grüß mir die süßen, die reizenden Frauen“ aus Kalmans Operette Gräfin Mariza … Technisch ist am Vortrag nicht herumzumäkeln. Schreier singt ungemein genau, mit perfekt verblendeten Registern und mit absolut sicherer Höhe. Die Töne fließen ihm regelrecht aus der Kehle, und er hat auch hörbaren Spaß an diesem Repertoire. Und doch nimmt man es ihm nicht ab. Es klingt zu gewollt, zu eingeübt, zu verklemmt, nicht selbstverständlich genug. Auch nicht frech, und schon gar nicht erotisch. Was er abliefert, ist hohe Kunst. Als verströmten die süßen Frauen ihre Reize in Kirchenbänken. Noch am meisten überzeugen kann er mit der Arie im alten Stil „Vaghissima sembianza“ von Stefano Donaudy. Verstärkt wird der gemischte Eindruck bei der Wiederbegegnung mit den historischen Aufnahmen von 1977 noch durch die klischeebehafteten und verzuckerten Arrangements von Gerhard Kneifel (1927-1992). Der komponierte Operetten und Revuen und wirkte als Chefarrangeur am Berliner Friedrichstadtpalast. Begleitet wird Peter Schreier vom Großen Rundfunkorchester Berlin unter der Leitung von Robert Hanell. Der Klang der CD ist ohne jeden Tadel. Rüdiger Winter