Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Verzauberung auf Französisch

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Der Tod von Lully 1687 öffnete seinen Rivalen endlich die Türen der Pariser Opéra – neben Charpentier auch Henry Desmarest und seinen Werken, darunter die Tragédie en musique Circé. Das Libretto dieser 1694 in Paris uraufgeführter Oper stammt von Louise-Geneviève Gillot de Saintonge, einer Frau also, was höchst ungewöhnlich ist. Aber es gab in dieser Zeit auch eine Komponistin, Elizabeth Jacquet de la Guerre mit ihrer Oper Céphale et Procris, die gleichfalls 1694 ihre Premiere erlebte und vom starken Einfluss französischer Künstlerinnen in dieser Epoche zeugt.

Zur Renaissance der französischen Barockoper trägt auch diese Neuveröffentlichung der Circé auf zwei CDs von Chateaux de Versailles bei, die im Januar 2022 in Versailles aufgenommen wurde (CVS085). Die Oper in einem Prologue und fünf Akten sowie Divertissements gemäß der französischen Tradition schildert die schicksalshafte Begegnung von Ulysse mit der Zauberin Circé  Diese ist gleich der Medea eine mythische Figur – eine leidenschaftliche, von Rache erfüllte Frau, die am Ende der Oper spektakulär ihre Insel zerstört, welche in den Fluten versinkt.

Für die vorliegende Einspielung war es ein Glücksfall, die renommierte französische Sopranistin Véronique Gens für die Titelrolle verpflichten zu können. Beim Auftritt im 1. Akt zeigt sie sich in wehmütiger Stimmung über die Freuden und Schmerzen der Liebe („Ah! que l’amour aurait des charmes“) und Gens gibt dieser Szene berührend melancholischen Anstrich. Spätestens im 4. Akt ändert sich der Tonfall, wenn Circé erkennen muss, dass sie Ulysse an ihre Rivalin verloren hat. „Bei „Sombres marais du Styx“ färbt Gens die Stimme dunkel und düster, die Diktion wird kantiger, aggressiver. Ihre großen Szenen am Ende des  letzten Aktes („Ô rage! Ô douleur  mortelle!“/„Ah! quelle rigueur extrème“) verdeutlichen Circés Ausnahmezustand mit einer Deklamation, welche in ihrer Heftigkeit und Wucht ihresgleichen sucht.

Nach dem Prologue, der wie üblich eine Huldigung an den französischen König darstellt, offenbart Circé ihrer Gefährtin Astérie (Caroline Mutel mit lieblichem, doch etwas unausgeglichenem Sopran) Zweifel an der Aufrichtigkeit von Ulysses Zuneigung, da sie von Elphénor (Nicolas Courjal mit resonantem, gelegentlich stark vibrierendem Bariton) vernommen hat, dass dieser die Insel verlassen will. Die Zauberin verwandelt Ulysses Gefährten in Monster und die Insel in einen Garten, in welchem sie ein Fest geben will. Ulysses Bitte, seine Gefährten zu befreien, will Circé als Zeichen ihrer Macht erfüllen. Ihre Rivalin in der Gunst Ulysses ist Éolie (Cécile Achille mit feinem, kultiviertem Sopran), der Ulysse bei einer Begegnung im Wald erneut Liebe schwört („Quand on aime tendrement“), was Elphénor belauscht und Circe verrät. Als Belohnung verspricht ihm die Zauberin die Hand von Astérie. Als diese sich weigert, begeht Elphénor Selbstmord. An seinem Grab will Circé den Namen ihrer Rivalin erfahren, doch wird ihr diese Auskunft von Elphénors Schatten verweigert. Rasend ruft sie die Geschöpfe der Unterwelt herbei und lässt Ulysse von Eumeniden verfolgen. Ihm und seiner Éolie übergibt Mercure eine Blume, welche die Gabe besitzt, Verzauberungen aufzuheben. Das rettet beide vor Circés letztem verzweifeltem Versuch, die Liebenden zu vernichten.

Neben Gens singt ein weiterer angesehener französischer Interpret – der Tenor Mathias Vidal als Ulysse. Er ist ein versierter Stilist im Repertoire des französischen Barock und überzeugt auch hier mit markanter Deklamation,  prononciertem Gesang und starker Emphase.

Das Ensemble Les Nouveaux Caractères leitet Sebastien d’Hérin, der das auf historischen Instrumenten musizierende Orchester 2006 gegründet hatte. Spezialisiert auf seltene Werke des Barock, lebt seine Einspielung von großer musikantischer Frische und künstlerischer Freiheit. Im Prologue zeugen die majestätische Ouverture, das Air pour les Jeux et les Plaisirs sowie Tänze wie Menuet, Gigue, Bourrées und Gavotte vom festlichen Anlass der Aufführung. Am Ende unterstreicht d’Herin mit orchestralem Aufruhr die dramatischen Vorgänge der Handlung mit dem Untergang der Insel. Den Esprit des französischen Barock trifft der Dirigent mit seinem Orchester in bewundernswerter Vollkommenheit (03.06.23). Bernd Hoppe

Max von Schillings  „Pfeifertag“

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Und noch eine Oper aus der Schatzkiste Ingolf Huhns, bis 2021 Intendant am Ernst-von Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz und nun neuer Künstlerischer Leiter des Festivals Greizer Theaterherbst, ehemaliger Theaterleiter in Döbeln, Plauen Freiberg und anderen Häusern Mitteldeutschlands. Wir haben ja Ingolf Huhn genügend dicke Kränze bei operalounge.de gewunden um ihn noch näher vorzustellen zu müssen. In den Achtzigern bin ich ihm buchstäblich nachgereist, um diese vergessenen Trouvallien aus der Opernliteratur der Jahrhundertwende kennenzurlernen. Klar, es waren nicht Gala-Aufführungen in Paris oder London, aber es waren eben solche, in denen ein hochengagiertes Ensemble diese Werke mit Gewinn zum Leben erweckte. Und Huhns konservative Optik half diesen sehr zeitverhafteten Opern mehr als die meisten heutigen Vergewaltigungen, die die Handlung bis zur Unkenntlichkeit zurücktreten lassen. Mit Ingolf Huhn stieg – angesichts der oft langweiligen und vorhersehbaren Spielpläne der großen Bühnen – meine Hochachtung vor der „Provinz“ wieder einmal.

Zu Max von Schillings „Pfeifertag“/ Porträt des Komponisten/ Wikipedia

In Plauen also gab es 2006 den Pfeifertag von Max von Schillings, und auch da lohnte sich die Reise in die ehemalige Stadt der Spitzenindustrie mit ihren eindrucksvollen wilhelminischen Bürgerhäusern und dem hübschen kleinem Stadtkern. Nachstehendes nun zum Komponisten und zum Werk, leider gibt’s – außer bei Sammlern – kein Ton-Dokument dazu… 1907 nahm Schillings das Hexenlied und das Vorspiel zum III. Akt auf Rollen für das Reproduktionsklavier Welte-Mignon auf, inzwischen auf CD zum Leben erweckt. Das Vorspiel wurde sogar 1903 bei der BBC aufgenommen. Auch der „Trauermarsch“ aus dem 3. Akt erfreute sich vor dem Krieg längerer Zeit als Konzertstück Beliebtheit. G. H.

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Annelen Hasselwarder schreibt im Programmheft zur Aufführung in Plauen: Max Schillings wurde am 19. April 1868 in Düren in der Eifel geboren. Er stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus und wuchs auf einem hochherrschaftlichen Gutshof auf. Sein Vater Carl Schillings, Landwirt und Jager, war ein eher pragmatisch veranlagter, unmusikalischer Mensch; seine Mutter Johanna dagegen, stolz darauf, eine geborene Brentano zu sein, war feinsinnig und sehr gebildet. Sie erkannte die hohe musikalische Begabung ihres zweiten Sohnes und förderte sie. So erhielt Max Schillings sehr früh Violinunterricht. Das Klavierspielen brachte er sich selbst bei.

Zu Schillings „Pfeifertag“: Hermann Zumpe war der Dirigent in der Schweriner Uraufführung/ Wikipedia

Mit zwölf Jahren absolvierte Max Schillings seinen ersten Konzertauftritt, mit dreizehn vollendete er eine erste Komposition für Violine und Klavier. Der Besuch einer Parsifal-Vorstellung in Bayreuth ließ den Vierzehnjährigen zu einem glühenden Verehrer Richard Wagners werden. 1889 ging Max Schillings nach München, um auf den dringenden Wunsch seines Vaters Jura zu studieren. Doch bereits ein Jahr später gab er dieses Studium auf und versuchte, sich in München als Komponist zu etablieren. Er gehörte zum Kreis der jungen Münchner Modernen um den Doyen des Münchner Musiklebens, Alexander Ritter, in dem er außer Ludwig Thuille und Richard Strauss auch Ferdinand Graf Sporck kennenlernen sollte, den Librettisten sei­ner beiden ersten Opern Ingwelde und Der Pfeifertag.

Zu Max von Schilligs „Pfeifertag“/ Ferdinand Graf von Sporck, der Librettist/ Walchensee Museum

Sporck stammte aus Böhmen, war Schriftsteller und Librettist und war wie Schillings Wagnerianer. Schon als Schüler hatte er den Fliegenden Holländer ins Tschechische übersetzt. Mit Richard Strauss verband Max Schillings bald eine lebenslange Freundschaft. 1891 wurde der junge aufstrebende Musiker Assistent in Bayreuth. Wahrend dieser acht Monate lernte er zum Beispiel den Dirigenten und Komponisten Felix Mottl kennen, traf Engelbert Humperdinck wieder, den er schon aus der Gymnasialzeit kannte, spielte abends mit Cosima Wagner vierhändig Klavier, dirigierte die Waldhörner im Tannhäuser und durfte zusammen mit Humperdinck die Parsifal-Glocken schlagen. Im selben Jahr heiratete Schillings seine Cousine Caroline Peill und siedelte mit ihr zusammen endgültig nach München über. 1894 wurde Schillings‘ erste Oper Ingwelde in Karlsruhe uraufgeführt. Der Erfolg war derart groß, dass Max Schil­lings praktisch über Nacht mit 26 Jahren ein bekannter Komponist war.

Fünf Jahre danach folgte mit den Pfeifertag die zweite aufsehenerregende Uraufführung. Das Melodram Das Hexenlied aus dem Jahr 1902 steigerte Schillings‘ Bekanntheitsgrad noch weiter. 1906 wurde die Oper Moloch nach einem Dramenfragment von Christian Friedrich Hebbel in Dresden uraufgeführt.

1907 war ein Eintrag über Schillings in Meyers Konversationslexikon zu finden. Dort stand zu lesen, dass er „zu den besten Vertretern der Wagnerschen Schule“ gehöre. Im selben Jahr ging er als Kapellmeister an die Hofoper in Stuttgart. Ein Jahr später wurde er dort Generalmusikdirektor. Er blieb bis zum Ende des 1. Weltkrieges. 1912 wurde er in den Adelsstand erhoben.

Im Jahr 1915 wurde in Stuttgart von Schillings‘ viertes Opernwerk Mona Lisa uraufgeführt. Die Titelpartie sang die Sopranistin Bar­bara Kemp, die sieben Jahre später Max von Schillings‘ zweite Ehefrau wurde.

Zu Max von Schilligs „Pfeifertag“/ Szene Aufführung Plauen/ Huhn

Den Hohepunkt seiner Karriere bedeutete fur Max von Schillings die Intendanz der Preussischen Staatsoper Unter den Linden, die im Jahr 1919 begann. Seine an sich sehr erfolgreiche Direktion wurde jäh beendet, als er 1925 nach heftigen Querelen mit dem Kultusministerium iiber Etat- und Gagenfragen fristlos entlassen wurde. Der Skandal war so heftig, daft „der Fall Schillings“ sogar im Preussischen Landtag verhandelt wurde. Resigniert zog sich von Schillings zurück und horte auf zu komponieren. Erst 1932 kehrte er ins öffentliche Leben zuriick, als er zum Prasidenten der Preussischen Akademie der Künste gewählt wurde. Nach der “Machtergreifung” Hitlers im Jahr 1933 versuchten die Nationalsozialisten, Max von Schillings fur sich zu vereinnahmen. Im selben Jahr berief ihn die Stadt Berlin zum Intendanten der Städtischen Oper Charlottenburg. Wenige Monate danach, am 24. Juli 1933, starb Max von Schillings unerwartet an einer Lungenembolie nach einer Operation. Sein Tod löste Bestürzung in der deutschen Musikwelt aus.  

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Zu Schillings „Pfeifertag“: Marie Gutheil-Schoder sang die Alheit in der Uraufführung/ Wikipedia

Bereits während der Arbeit an Ingwelde, Schillings‘ erstem grossem Opernerfolg, machte ihn sein Librettist Ferdinand Graf Sporck im Mai 1893 auf den Stoff des „Pfeifertages“ aufmerksam. Sporck hatte die Legende vom Pfeiferkönig von Rappoltstein, die ihm für eine heitere Oper brauchbar erschien, in den elsässischen Sagenbüchern von Wilhelm Hertz entdeckt. Schillings war zunächst begeistert: „Ich darf aufrichtig sagen, dass ich fast eine schlaflose Nacht hatte vor Riesenfreude über den einzig herrlichen Pfeiferkonig.“ So schrieb er in einem Brief an Sporck. Zwei Jahre später begann Schillings im Mai 1895, sich genauer mit Sporcks Libretto zu befassen. Dabei verflog seine anfängliche Begeisterung offenbar schnell: „Ich muss mir nun das ganze Werk bis ins einzelne auf die musikalische Oekonomie hin zerlegen und zergliedern, und dann wird ein ausführlicher und offenherziger Wunschzettel an Dich abgehen für den ich täglich Notizen sammle.” schrieb er an Sporck im Juni 1899. über drei Jahre, bis zum Sommer 1899, dauerte die Arbeit an der Komposition. Dabei musste das Libretto auf Schillings‘ Wunsch immer wieder verändert werden. “Am 22. August habe ich den letzten Doppelstrich in der Partitur gemacht und dreimal laut Amen gerufen.“, meldete der Komponist seinem Librettisten in einem Brief.

Der Pfeifertag war die letzte Arbeit von Schil­lings und Sporck. Die Uraufführung fand am 26. November 1899, also wenige Monate nach der Fertigstellung, am Hoftheater Schwerin statt. Es dirigierte Hermann Zumpe, dem das Werk auch gewidmet ist. Regie fuhrte der mit Schillings befreundete Sanger und Regisseur Hermann Gura. Schillings‘ Musik wurde begeistert aufgenommen. Das Libretto allerdings wurde oft kritisiert. Richard Strauss zum Beispiel schrieb an Schillings: „Deine Musik ist famos: wollte Gott, ich konnte von Herzen dasselbe von den Sporckschen Versen sagen.“ 1930 erarbeitete Max von Schillings für eine Inszenierung an der Ber­liner Staatsoper unter dem Dirigat von Erich Kleiber eine Neufassung des Pfeifertages, in der er kleinere Veränderungen vor allem im 3. Aufzug vornahm. Annelen Hasselwander

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Zu Schillings „Pfeifertag“:Karl Zeller (hier als Tannhäuser) sang den Velten 1899 in Weimar/ Wikipedia

Dazu auch Christian Detig ebenfalls im Programmheft: Musikalisch erschienen die Anklänge an das Vorbild Richard Wagners nicht ganz so offenkundig. Durch den Rückgriff auf mittelalterliche Melodien zum Beispiel versuchte Schillings eine eigene Farbe für das Stuck zu finden. Die zeitgenössischen Kritiker machten denn auch zum erstenmal einen spezifischen Schillings-Ton aus. In der „Berliner Börsen-Zeitung“ heißt es: „Diese Musik hat, wenn nicht ihren eigenen Stil, so doch ihre besondere Physiognomie. Der Wagnersche Stil ist darin nicht einfach kopiert, sondern in eigener origineller Weise fortgebildet, in einer Weise, die überall eine ausgesprochene Individua­list erkennen lässt.“ Zum erstenmal begegnet uns anlässlich der Berliner Erstaufführung auch jenes Etikett, das in Urteilen über Schillings‘ Kompositionen zur feststehenden Redewendung werden wird: Die „Vossische Zeitung“ spricht von einem überaus „vornehmen Werk“. Die Vorschusslorbeeren anlässlich der Ingwelde hatten sich bestätigt. Mit dem Pfeifertag gehörte Schillings nun endgültig in die erste Reihe der fortschrittlichen Komponisten. Mit nur zwei Opern und zwei größeren symphonischen Werken hatte Schillings in wenigen Jahren eine rasante Karriere gemacht. In einem Atemzug wurde er nun mit Strauss und Pfitzner genannt, der den Pfeifertag überschwenglich begrüßte als „eines der seltenen Werke, die in ihrer zeitlichen Folge jenes Ewige darstellen, was man schlecht und ungenau etwa den deutschen Geist nennen konnte.“ Und Engelbert Humperdinck flachste ironisch, dass ihn nach dem Pfeifertag nun der Ehrgeiz plage, ein zweiter Schillings zu werden.“

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Zu Schillings „Pfeifertag“: Karl Erb (hier als Don Manuel de Guzman von Walter Braunfels, 1907 in Ravensburg) sang den Velten in Stuttgart/ Historicaltenors

Zum Inhalt – Wilhelm Hertz im Spielmannsbuch: Es war eine eigenthümliche Einrichtung des Mittelalters, dass einzelne vornehme Herren mit der Schutz- und Gerichtsherrschaft über gewisse Gewerbe belehnt waren. So standen die elsässischen Spielleute nach altem Rechte unter dem Herrn von Rappoltstein. Dieser als der oberste Pfeiferkönig (auch die Vorstände der Spielmannsinnungen freuten sich des stolzen Konigstitels) wählte einen Stellvertreter aus der Zahl der Spielleute, dem er zugleich den Königstitel übertrug. Alle Jahre, am Dienstag nach Maria Geburt, fand zu Rappoltsweiler der Pfeifertag statt. Da zogen der Pfeiferkönig und hinter ihm her in langer Reihe die Mitglieder der Bruderschaft zur Kirche unserer lieben Frau von Dusenbach, wo das wunderthatige Gnadenbild der vielgepriesenen Schutzpatronin der fahrenden Leute sich befand. Nach der Messe wandte sich der Zug zum herrschaftlichen Schlosse, wo dem Schutzherrn mit einem Konzert gehuldigt wurde, wofür die Schlossbeamten trefflichen Wein spendeten. Dann ging es ins Gasthaus zur Sonne. Hier wurde das Gericht gehalten, Streitigkeiten geschlichtet und die Angelegenheiten der Bruderschaft besprochen. Der letzte Pfeifertag wurde gefeiert im Jahre 1789. In den Stürmen der Revolution ging auch dieser Rest fröhlichen Mittelalters in Trümmer. Der letzte, oberste Pfeiferkönig war Maximilian Joseph von Pfalz-Zweibrücken, der spätere König von Bayern.

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Vorgeschichte:   Rappoltsweiler im 15. Jahrhundert. Die Grafen von Rappoltstein sind als Obrigkeit und Schutzherren für alle fahrenden Spielleute im Elsass eingesetzt, und Schmasmann von Rappoltstein nimmt sich dieser Aufgabe auch gem und engagiert an. Was ihm Kummer bereitet, ist, daft sein Sohn Ruhmland so sehr von der Kraft der Musik ergriffen worden ist, dass er nicht nur der Beschützer der Musiker, sondern selber fahrender Spielmann sein wollte. Im Zorn hat er ihn deshalb vor Jahren verbannt; seine Tochter Herzland hingegen liebt heimlich Velten Stacher, einen jungen, aufrührerischen Spielmann, der aus der Fremde ins Elsass gekommen ist und hier gegen die hergebrachten Regeln im Pfeiferwesen kämpft. Jedes Jahr Anfang September versammeln sich die fahrenden Musiker in Rappoltsweiler zum Pfeifertag, wo die Verbandsgeschäfte besprochen werden, eine gemeinsame Prozession zur Marienkapelle im nahegelegenen Dusenbachtal unternommen wird und wo der Lehnsherr Gericht hält.

Grabplatte für Max von Schillings in der 1828 erbauten klassizistischen Gruftenhalle in Form einer Galerie auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main /Foto Georg Hart

Erster Aufzug: Der Pfeifertag beginnt wie jedes Jahr vor Sonnenaufgang mit dem Vortrag der Einsetzungslegende. Wahrend die Pfeifer dann zur Kapelle Unserer Lieben Frau von Dusenbach ziehen, bleibt der Pfeiferrat – vier gewählte Vorstände mit dem Unterpfeiferkönig Jockel an der Spitze – zurück und bespricht die Chancen, auch in diesem Jahr wiedergewählt zu werden. Sie befürchten Konkurrenz von den jungen Pfeifern, die hier jetzt offenbar nach der Macht streben: Velten Stacher mit seiner Agitation gegen den Pfeiferzoll, eine kleine Abgabe, die jeder Musiker einmal im Jahr zu entrichten hat, und ein allen bisher unbekannter junger Spielmann mit Namen Rasbert.

Der Pfeiferrat läuft der Prozession nach und der Lehnsherr, Graf Rappolt­stein, inspiziert mit seiner Tochter die Vorbereitungen zum Festtag. Sein Behagen über das schon Geglückte seiner Bemühungen der letzten Jahre für die Stellung und Lebensumstände der Musiker währt nicht lange; Herzland erklart ihm, daft sie Velten heiraten wolle oder in den Tod gehen. Nachdem der Vater wütend gegangen ist, zaubert Herzlands Freundin Alheit Velten und den Bruder Ruhmland aus einem Versteck im Graben hervor, und die Paare liegen sich in den Armen, denn auch Ruhmland und Alheit gehören zusammen. Gemeinsam entsteht der Plan, die Einwilligung des Vaters zur Verbindung von Herzland und Velten dadurch zu erreichen, dass Veltens Tod vorgetäuscht werden und in der Trauer und den lobenden Nachreden der Vater für ihn eingenommen werden solle. Rappoltstein, der jetzt auf die jungen Leute trifft, befragt Velten, ob er endlich seine Meinung zum Pfeiferzoll geändert habe, aber Velten versucht ihm in einem Liede klarzumachen, daft von alters her die Sänger immer ganz nah bei den Fürsten gewesen und eigentlich ihnen ebenbürtig seien.

Zu Schillings „Pfeifertag“/ Programmzettel Weimar 1900/ Wikipedia

Die Pfeifer kehren von der Prozession zuriick und die große Versammlung beginnt mit einer Huldigung. Rasbert, der unbekannte junge Mann, in dem Rappoltstein den eigenen Sohn noch nicht erkennt, singt ein Lied von der Macht der Musik, ein Lied von der Rabenschlacht mit Dietrich von Bern, bei der Rappoltsteins Vorfahr nur durch seine Pfeifer gewonnen habe. Er endet aber seinen Gesang mit einer Klage, dass der Stamm dieses Geschlechts nun aussterben werde, da der einzige männliche Erbe ja verbannt und in der Fremde sei.

Um Rappoltsteins nahenden Unmut zu vertreiben, wird Velten aufgefordert, rasch weiterzusingen, und er singt nun ein Paradieslied, ein Lied von Adam und Eva als Musikanten, die aus dem Garten Eden vertrieben worden seien, weil sie zu klein musiziert hatten. Und in einer ebenso kühnen Wendung schließt er, dass dadurch der Spielmann dem Edelmann, dem Fürsten, jedem Edelmann verwandt sei. Das verärgert Rappoltstein nun vollends; er geht wütend fort, und der Beginn des Pfeifertages endet im Eklat.

Zweiter Aufzug: Velten sinniert in einem großen Monolog über das unstete, dornenreiche Schicksal der fahrenden Spielleute und schläft dabei ein. Die anderen drei jungen Leute finden ihn; unter den Planungen für den vorzutäuschenden Tod werden sie vom Vater überrascht, der seine Tochter zur Rede stellen will und sich im Zorn zu der Versicherung hinreißen lafk, notfalls würde er Herzland mit Velten auch im Tode verheiraten. Das lässt sich Alheit schnell durch einen Handschlag bestätigen.

Die Gerichtsversammlung beginnt und der Unterpfeiferkönig Jockel berichtet über die Lage der Musiker im Land, auch über das Eindringen neuer, fremder Weisen, an denen alle viel Freude hatten. Das provoziert Ruhmland, der noch immer unerkannt ist und für alle Rasbert heißt, zu einer scharfen Erwiderung, in der er auf sehr abweisende Art vor fremden Schmarotzern und Kletten im heimischen Pfeiferwald warnt und beklagt, daft man der eigenen Spielleute Scherz und Schmerz am liebsten das Herz versage und statt dessen den Fremden sich zum Wirte wähle. Und mit den Worten „0 raubt uns nicht die starke Macht, den Glauben an das, was wir selbst erdacht!“ und „Verstoßt nicht länger Eure Söhne, lasst künden Euch in reiner Schöne aus ihres Herzens Überschwang, was tief in ihrer Seele klang!“ singt er ein Triumphlied auf „Spielmannswonne, Spielmannsnot, zeugungsgewaltiges, wundergestaltiges Machtgebot“. Damit sind die Kampfpositionen klar. Velten aber greift jetzt zu unredlichen Mitteln und denunziert Jockel, er habe Geld aus der Kasse der Pfeifer unterschlagen. In den wütenden Protest Jockels und die beginnende Prügelei hinein bricht ein gewaltiges Unwetter, das das ganze Wirtshaus anzuzünden und fortzuschwemmen droht. Als es kaum noch keinen Ausweg zu geben scheint, beschwören alle Velten, ihnen einen Weg aus dem Haus heraus zu bahnen; Velten steigt aus dem Fenster und ein direkt dabei einschlagender Blitz scheint ihn erschlagen zu haben.

Intendant und Musikarchäologe Ingolf Huhn/Foto Hihn/EVWT

Dritter Aufzug: In die Trauerzeremonie für Velten hinein tritt Herzland als Braut. Sie zwingt den Vater, sein Wort zu halten und sie mit dem Toten zu vermählen. Tatsächlich werden nun ruhmvolle Nachreden auf Velten gehalten, und selbst Jockel kann nur Gutes von ihm berichten. Als Rappoltstein, ratlos, den toten Bräutigam fragen muss, ob er Herzland zur Frau wolle, springt Velten quicklebendig auf und sagt Ja. Zwischen Entsetzen, Staunen und Freude muss Rappoltstein erkennen, daft er besiegt worden ist und er nun nur noch den Wunsch hat, den verlorenen Sohn wiederzufinden. Diesen Wunsch kann ihm Rasbert erfüllen: Er geht Verzeihung erbittend auf die Knie; und mit den Worten „ Vater, hier bin ich“ nimmt er seinen falschen Bart ab und ist wieder zu Hause. Rappoltstein, am Ende, befreit die fahrenden Musiker vom Pfeiferzoll, aber das ist schon nicht mehr so wichtig. Annelen Hasselwander

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Theater Plauen-Zwickau (2. 6. 2006) Der Pfeifertag; Ein Spielmannsscherz in drei Aufzügen; Dichtung von Ferdinand Graf Sporck Musik von Max von Schillings; Opernchor des Theaters Plauen-Zwickau; Es spielt das Philharmonische Orchester Plauen-Zwickau; Robert-Schumann-Preisträger; Musikalische Leitung-Georg Christoph Sandmann ; Inszenierung-Ingolf Huhn; mit Hagen Erkrath; Gessler; Guido Hackhausen; Katrin Kapplusch/Uta Simone u. a./ Abbildung oben: Èdouard Manet: Pfeiferjunge/ Musée d´Orsay/Wikipedia/ Bisherige Beiträge in unserer Serie Die vergessene Oper finden Sie hier

Und wieder einer …

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Jahrelang ein Blickfang für die Touristen war in Verona zwischen der Arena und der Fontana der Piazza Bra ein Haufen erzenen (so schien es, war aber Plastik) Kriegsgeräts, mit einem riesigen darnieder gestreckten Rittersmann, Wehrtürmen und im Geschützfeuer versengten Fahnen. Es handelte sich um Requisiten der Trovatore-Produktion von Franco Zeffirelli, dem Spezialisten für großartige Opernaufführungen in nicht nur großräumigem Ambiente, sondern auch einer eindrucksvollen Aida im klitzekleinen Opernhaus von Busseto neben der monumentalen im Veroneser Amphitheater. Die Arena hatte sich außerhalb der Magazine noch einen Aufbewahrungsplatz für die umfangreichen Bühnenbilder geschaffen, vertrauend auf das meistens zuverlässige Wetter. Das ganz große Wunder allerdings, das dem Publikum jeden Abend beschert wurde, konnte man beim Anblick der im Tageslicht doch recht nüchtern wirkenden Teile nicht erahnen. Eine Woge bewundernder Ahs und Ohs zog jedes Mal durch das Arenarund, wenn sich die Wehrtürme öffneten und den Blick auf einen hellleuchtenden gotischen Altar freigaben. Nun gibt es eine DVD aus dem Jahre 2019, kurz nach Zeffirellis Ableben entstanden und das Arena-Debüt von Anna Netrebko bedeutend und auch am Fernseher Eindruck machend. Da nimmt man auch vom Sofa aus in Kauf, dass sehr viel, ja zusätzliches Ballett einer fahrenden Volksgruppe dem Geschmack opernungewohnter Publikumsschichten entgegen kommt, umso mehr, als man feststellen kann, dass bei der Lenkung der umfangreichen Komparserie durchaus auf Individualisierung geachtet wurde. Geschick bewies Zeffirelli auch bei der Einbeziehung der hoch hinter der Bühne aufragenden Gradinate in das Bühnengeschehen, und sicherlich hat ein Teil des Publikums auch goutiert, dass Schimmel Leonora und Manrico aus der Kirche, Braune die Mannen Lunas in die Schlacht führten. Vorenthalten wird dem DVD-Betrachter das Kerzenmeer zu Beginn des Abends, die dreimalige Ankündigung des baldigen Beginns durch Gongschläger in zum Werk passendem Kostüm, das Geleiten des Dirigenten zu seinem Arbeitsplatz und der Ruf „Bravo, Maestro“ durch den Claqueur vom Dienst.

Kommt man mit alle diesem dem Geschmack eines nicht operngewöhnten Publikums entgegen, so ist die Besetzung, zumindest für die jeweilig ersten Aufführungen (Im August hat oft der Nachwuchs eine Chance.), eine hochklassige.

In jeder Hinsicht strahlender Mittelpunkt der Vorstellungen des Trovatore im Juli 2019 war also Anna Netrebko, hoch attraktiv in den mittelalterlichen Gewändern, unangestrengt den Sopran in dunklem Reichtum fließen lassend, schlank und rein in der „casto amor“ und alle Finessen samt Cabaletta der  „D’amor sull‘ ali rosee“ auskostend. Den Zenit ihrer Karriere bereits überschritten hatte damals Dolora Zajick, die zwar optisch eine anrührende Azucena war, vokal jedoch in der Tiefe nicht farbig, in der Höhe nicht präsent genug , woran auch ein schneidendes „Mi vendica“ nichts ändern konnte. Fermatenverliebt gab sich Yusif Eyvazov als Manrico, „edel „bleich geschminkt, mit robuster Arenastimme  auch in der sicher gesungenen Stretta. Hohl und röhrend und allzu sehr auf Überpräsenz bedacht, war Luca Salsi ein die Akustik der Arena wohl unterschätzender vokaler Schlagetot, der auch „Il balen del suo sorriso“ keine Poesie entlocken konnte. Auf die Frage, auf welche Leistung er besonders stolz sei, hatte der Veroneser Ivo Vinco, immerhin auch ein Filippo-Sänger, den Ferrando genannt. Hörte man nun Riccardo Fassi mit der langen Erzählung der Vorgeschichte des angeblich unverständlichen Plots, dann wusste man warum, denn die fordert vom Bass alle Finessen eines authentischen Verdigesangs. Und Fassi lieferte. Eindrucksvoll erfüllt der Chor seine Aufgaben, sicher leitet Pier Giorgio Morandi das Orchester- einem erfüllten Opernabend vom Sofa aus steht nichts im Wege.   (C-Major 754608). Ingrid Wanja    

Wolf-Dieter Hauschild

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Der Dirigent Wolf-Dieter Hauschild (* 6. September 1937 in Greiz) starb am 18. Mai 2023 in Leipzig. Er studierte ab 1954 in Weimar an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Klavier, Komposition bei Ottmar Gerster und Dirigieren bei Hermann Abendroth und Gerhard Pflüger. Außerdem besuchte er Meisterkurse bei Hermann Scherchen und Sergiu Celibidache. Nach Abschluss des Studiums ging er 1959 als Korrepetitor ans Nationaltheater Weimar. 1963 war er dann Chefdirigent am Kleist-Theater Frankfurt (Oder). Danach war er von 1973 bis 1978 Leiter des Rundfunkchors Berlin. Während seiner Berliner Zeit war er als Gastdirigent der Deutschen Staatsoper und der Komischen Oper tätig.
Ab 1978 ging er nach Leipzig als Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters und des Rundfunkchors Leipzig. Dort hatte er auch eine Professur an der Hochschule für Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“ inne. International bekannt wurde Hauschild durch die Fernsehübertragung von Webers „Freischütz“, den er am 40. Jahrestag der Zerstörung Dresdens (13. Februar 1985) zur Wiedereröffnung der Semperoper dirigierte. Im selben Jahr verließ er die DDR und leitete als Generalmusikdirektor der Stadt Stuttgart die Stuttgarter Philharmoniker. Ab 1991 war er Chefdirigent der Essener Philharmoniker und leitete als Opernintendant von 1992 bis 1997 das Aalto-Theater in Essen. An der Hochschule für Musik Karlsruhe lehrte Hauschild von 1998 bis 2003 als Professor für Dirigieren.
Seit 2001 war Hauschild Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Halle (Saale). Jedoch löste er seinen bis Juli 2004 laufenden Vertrags vorzeitig auf, weil die „Voraussetzungen für eine künstlerisch fruchtbare Zusammenarbeit“ wegen der aus Kostengründen geplanten und 2006 auch erfolgten Fusion des Philharmonischen Staatsorchesters Halle mit dem Orchester des Opernhauses Halle zur Staatskapelle Halle „nicht länger gewährleistet“ gewesen seien. Daneben war er seit August 2002 als Generalmusikdirektor des Volkstheaters Rostock Chefdirigent der Norddeutschen Philharmonie, des größten Klangkörper des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Dieses Amt übte er bis 2004 aus. Er hält regelmäßig Meisterkurse beim Dirigentenforum des Deutschen Musikrats.
Hauschild hat das gesamte Chorwerk von Johannes Brahms sowie mehrere Händel-Oratorien, Schumanns Das Paradies und die Peri sowie Sinfonien von Anton Bruckner und Werke Max Regers für Schallplatte und CD eingespielt. Zudem brachte er Werke von Edison Denissow, Friedrich Goldmann, Georg Katzer, Milko Kelemen, Luca Lombardi, Siegfried Matthus, Friedrich Schenker, Josef Tal und Yun I-sang zur Ur- bzw. Erstaufführung. Er dirigierte u. a. das NHK-Sinfonieorchester und das Orchestra della Svizzera italiana in Lugano.

Wolf-Dieter Hauschild war Dirigent, Chorleiter, Intendant, Komponist, Cembalist und Hochschullehrer.
Nachdem er ab 1971 beim Berliner Rundfunk tätig gewesen war, wirkte er von 1978 bis 1985 als Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters und des Rundfunkchors Leipzig. Noch 1984 mit dem Nationalpreis ausgezeichnet, überwarf er sich 1985 mit den DDR-Behörden und siedelte in die BRD über.
In Stuttgart wurde er zum Generalmusikdirektor ernannt und verhalf den dortigen Philharmonikern zu überregionaler Anerkennung. 1991 ging er nach Essen, wo er von 1992 bis 1997 auch Opernintendant des Aalto-Theaters war. In den 2000er Jahren kehrte er zurück in die neuen Bundesländer und leitete das Philharmonische Staatsorchester Halle und die Norddeutsche Philharmonie Rostock. Letztere ernannte ihn 2004 zu ihrem Ehrendirigenten.
Insbesondere mit den Berliner und Leipziger Rundfunkklangkörpern brachte er zahlreiche zeitgenössische Werke zur Uraufführung. Außerdem spielte er das gesamte Chorwerk von Johannes Brahms ein. In Essen konnte er den kompletten Ring von Richard Wagner realisieren.
Wolf-Dieter Hauschild wurde 1937 als Sohn des Journalisten und Theaterdramaturgen Franz Hauschild (1907–1996) im thüringischen Greiz geboren. Sein Vater war Mitbegründer der „Greizer Musikwochen“ und des „Stavenhagen-Wettbewerbes“. Im Alter von fünf Jahren erhielt Wolf-Dieter Hauschild seinen ersten Klavierunterricht, später machte er Theater. Rückblickend erinnerte er sich an Käthe Reichel, Reimar Johannes Baur und Dieter Franke, mit denen er in Greiz gespielt hatte.[5] Früh begann er mit dem Komponieren u. a. schrieb er eine Kinderoper. Ab dem fünfzehnten Lebensjahr komponierte er Schauspielmusiken für das Theater seiner Heimatstadt. Als Oberschüler erhielt er ferner Kompositionsunterricht bei Ottmar Gerster in Leipzig.
Mit siebzehn Jahren nahm er an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar ein Musikstudium auf, das er 1959 mit drei Staatsexamen beendete: Komposition (Ottmar Gerster), Dirigieren (zunächst bei Hermann Abendroth, dann Gerhard Pflüger) und Klavier.[6] Für seine Abschlussarbeit gestaltete er eine Bühnenfassung zu Mozarts Singspiel Bastien und Bastienne, die an der Deutschen Staatsoper Berlin aufgeführt wurde.[5] Seine Ausbildung vervollständigte er in Meisterkursen bei Hermann Scherchen und Sergiu Celibidache.[7] Bis 1956 wurde er vor allem durch seinen Lehrer Hermann Abendroth geprägt, dessen „Gesamtpersönlichkeit und Autorität“ er sehr schätzte.[5] Dieser ließ ihn in selbständig in Weimar mit dem Hochschulorchester und Laienchören arbeiten.[5] Ferner war für Hauschild der Musiker und Kulturpolitiker Helmut Koch „eine künstlerische und menschliche Vaterfigur“.
Nach seinem Studium begann er seine künstlerische Karriere als Solorepetitor am Deutschen Nationaltheater Weimar.[8] Auch hier komponierte er Schauspielmusiken. Schon bald durfte er zeitgenössische Werke nachdirigieren und einstudieren. Nach zwei Jahren wurde er Kapellmeister. In Weimar brachte er 1963 die Nasreddin-Oper Der fröhliche Sünder seines Lehrers, Ottmar Gerster, zur Uraufführung.
Von 1963 bis 1970 war er Musikalischer Oberleiter am Kleist-Theater und ständiger Dirigent der Philharmonie in Frankfurt (Oder). Seine dortigen Aufgaben erstreckten sich entsprechend sowohl auf das Musiktheater als auf die Konzertreihen. Zu seinem Repertoire gehörten u. a. Verdi, Mozart und Bizet. 1966 dirigierte er die Kurt-Hübenthal-Inszenierung von Händels Oper Serse. Ferner verantwortete er hier die Uraufführung des sinfonischen Werks Schwedter Impulse von Nikolai Badinski sowie die DDR-Erstaufführungen der Opern Der zerbrochene Krug von Zbyněk Vostřák und The Rake’s Progress von Igor Strawinsky. Durch die Nähe zu Berlin, wie Hauschild ausführte, konnten namhafte Sänger wie beispielsweise Reiner Süß für Partien gewonnen werden. Mit dem Politiker Erich Mückenberger setzte sich Hauschild seinerzeit für einen neuen Veranstaltungsort, die nachmalige Konzerthalle Carl Philipp Emanuel Bach, ein.
Im Jahr 1971 wurde Hauschild am Berliner Rundfunk verpflichtet, wo er zunächst den Berliner Rundfunkchor leitete. Von 1973 bis 1976 war er Stellvertreter Heinz Rögners beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Beim Rundfunk traf er erneut auf Helmut Koch, eine „schicksalhafte Bekanntschaft“, wie er sich später erinnern sollte. So vertrat er ihn auch bei der Uraufführung von Fritz Geißlers Oratorium Schöpfer Mensch. Weitere Uraufführungen bei der Musik-Biennale Berlin sollten folgen u. a. 1975 Wilbrandts Mein Haus hat Erde und Meer (Sprecher: Horst Westphal) und Zechlins Klavierkonzert (mit Eva Ander), 1976 Strauß’ 4. Sinfonie mit Sopran-Solo (mit Renate Frank-Reinecke) und Matthus’ Laudate pacem (mit Renate Krahmer, Elisabeth Breul, Annelies Burmeister, Armin Ude und Hermann Christian Polster) und 1977 Köhlers Der gefesselte Orpheus und Voigtländers Canto General (mit Brigita Šulcová).
Im Jahr 1976 wurde er in der Nachfolge von Herbert Kegel Leiter des Rundfunk-Musikschulorchester der DDR. Auch nach seinem Wechsel nach Leipzig pflegte er die Verbindung in die Hauptstadt und wirkte als Gastdirigent an der Deutschen Staatsoper und der Komischen Oper. So übernahm er an letzterer die musikalische Leitung bei der Götz-Friedrich-Inszenierung von Verdis Il trovatore.
Chefdirigat beim RSO und Rundfunkchor Leipzig. Nachdem er Ende 1977 in Leipzig Werke Luciano Berios dirigiert hatte, wurde er ab der Spielzeit 1978/79 Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters und parallel Leiter des Rundfunkchors Leipzig. Er konnte sich gegen den Leipziger Generalmusikdirektor Rolf Reuter und den Halleschen Musikdirektor Thomas Sanderling durchsetzten, die allesamt noch vom legendären Vorgänger Herbert Kegel als Gastdirigenten verpflichtet worden waren. In Leipzig pflegte Hauschild zum einen die Wiener Klassik,[22] so führte er die von Kegel begonnenen „Mozartiana“-Reihe fort. Auch setzte er weiterhin konzertante Opernaufführungen auf den Spielplan (Janáček, Wagner u. a.). Zum anderen brachte er mit dem Sinfonieorchester und dem Kammerorchester diverse zeitgenössische Werke zur Uraufführung u. a. 1978 Denissows Konzert für Klavier und Orchester (mit Günter Philipp), 1979 Lombardis Sinfonie, Neuberts Notturno, Lohses Konzert für Klavier und Orchester (mit Gerhard Erber) und Dessaus Vierzehn Stücke aus „Internationale Kriegsfibel“ (mit Helga Termer, Elisabeth Wilke, Horst Gebhardt und Bernd Elze), 1980 Katzers Konzert für Klavier und Orchester (mit Rolf-Dieter Arens) und Wallmanns Stadien für Orchester und Klavier (mit Bettina Otto), 1981 Schenkers „Fanal Spanien 1936“, 1983 Lombardis Zweite Sinfonie und Krätzschmars „Heine-Szenen“ (mit Wolfgang Hellmich). Außerdem verantwortete er hier mehrere DDR-Erstaufführungen u. a. 1979 Ives’ Holiday Symphony[26] und 1984 Zimmermanns Pax Questuosa[27] und Dittrichs „Etym“. Wie auch Kegel zuvor, stellte er am Saisonende der 9. Sinfonie Beethovens stets zeitgenössische Musik voran. Überdies lud er wieder Komponisten-Dirigenten nach Leipzig ein, etwa Milko Kelemen, Ernst Krenek und Witold Lutosławski. Mit der Saison 1979/80 führte er in der Kongreßhalle Leipzig allwöchentliche Vormittagskonzerte ein. Nach der Eröffnung des Neuen Gewandhauses 1981 spielte das Rundfunkorchester dann regelmäßig im neuen Konzertgebäude.[30] Es folgte die Erhöhung der Anrechtskonzerte. Mit dem Klangkörper legte Hauschild mehrere Schallplattenaufnahmen vor, die von der Musik Telemanns über die Schumanns zu der Ives’ sowie Denissows, Thieles und Krätzschmars reichen, darunter auch das gesamte Chorwerk von Johannes Brahms und mehrere Händel-Oratorien. Ausgedehntes Gastspiele führten ihn mit dem Orchester u. a. in die Sowjetunion und nach Japan. Nach seinem Weggang aus Leipzig dauerte es zwei Spielzeiten bis die Leitungsposten mit Max Pommer (Orchester) und Jörg-Peter Weigle (Chor) wiederbesetzt werden konnte.

Im Zuge seiner Opernaufführungen in Leipzig, Berlin und Dresden avancierte Hauschild bis Mitte der 1980er Jahre zum „Wagner-Dirigent der Stunde“, wie Robert Schuppert formulierte. Zum Jahreswechsel 1984/85 dirigierte er die im Palast der Republik in Berlin unter Beteiligung der Leipziger Rundfunkklangkörper und den Solisten Reiner Goldberg, Magdalena Falewicz, Uta Priew und Hermann Christian Polster Beethovens 9. Sinfonie, die im ersten Programm des Fernsehens der DDR live übertragen wurde.[35] International bekannt wurde Hauschild im Februar 1985 durch die Fernsehübertragung der Joachim-Herz-Inszenierung von Webers Freischütz, den er anlässlich des 40. Jahrestags der Zerstörung Dresdens zur Wiedereröffnung der Semperoper dirigierte. So wurde sein Dirigat von John Rockwell in der New York Times außerordentlich gelobt. Der Dresdner Musikwissenschaftler Dieter Härtwig rechnete Hauschild „zu den führenden Dirigenten in der DDR“.[38]
Übersiedlung in die BRD und Stuttgarter Jahre.. Nachdem ein ursprünglich zugesagtes Doppelengagement Leipzig-Stuttgart wegen „der starren Haltung der DDR-Behörden“, wie Jörg Clemen ausführte, nicht zustande kam, siedelte er im Frühjahr 1985 anlässlich eines Stuttgarter Gastspiels in die BRD über. Dort wurde er mit Beginn der Spielzeit 1985/86 Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker. In einer Erklärung führte er aus, dass im Sommer 1984 die Stadt Stuttgart mit der Bitte um ein ständiges Gastdirigat an ihn herangetreten sei, wodurch er teilweise Aufgaben Hans Zanotellis übernehmen sollte. Nachdem die DDR-Behörden dem zustimmten, willigte er in Stuttgart ein. Im April 1985 aber wurde ihm klar, dass die DDR-Behörden „nicht mehr voll zu ihrer Zusage standen“. Er sah sich bei den Orchestermitgliedern und bei der Stadtverwaltung Stuttgart nun in der Pflicht und entschied sich „schweren Herzens“ zur Übersiedlung in die BRD. In der DDR wurde er demgegenüber zur „persona non grata“ erklärt und war fortan auch unter Musikerkollegen als „Klassenfeind“ verschrien; seine Familie erhielt erst zwei Jahre darauf die Ausreisegenehmigung. 1985 brachte er in der Stuttgarter Liederhalle Kelemens Phantasmen (mit Eckart Schloifer) und 1987 Yuns 2. Violinkonzert (mit Akiko Tatsumi)[42] zur Uraufführung. Konzertreisen führten ihn mit den Philharmonikern durch Europa, Japan und die USA.[38] Nach dem Kulturjournalisten Frank Armbruster führte er die Philharmoniker „zu einem Höhepunkt ihrer Geschichte“. Letztlich verließ Hauschild aber Stuttgart, weil es „ihm nicht gelungen war, die Stadt von der Notwendigkeit weiterer Orchesterstellen für die Philharmoniker zu überzeugen“, wie Armbruster bemerkte.
Neben seiner Verpflichtung in Stuttgart war er ab der Saison 1985/86 Gastdirigent beim Niedersächsischen Staatsorchester Hannover, mit dem er 1986 Kelemens Archetypon zur Uraufführung brachte. 1986 dirigiere er das Staatsorchester Stuttgart bei der Loriot-Inszenierung von Flotows Martha am Württembergischen Staatstheater. Mit dem Rundfunkorchester des NDR Hannover oblag ihm 1992 die Uraufführung von Tals 6. Sinfonie.
Intendanz am Aalto-Theater in Essen. Im Jahr 1991 wurde Hauschild Dirigent der Essener Philharmoniker und 1992 zusätzlich Intendant und Generalmusikdirektor am dortigen Aalto-Theater, eine Doppelfunktion, die eigens für ihn geschaffen worden war. Während seiner Amtszeit wurde der Klangkörper vom Deutschen Musikverleger-Verband mit dem Preis „Bestes Konzertprogramm der Spielzeit“ 1991/92 ausgezeichnet.[50] In seiner Ära wurden u. a. die Ballette Giselle von Adolphe Adam und Der grüne Tisch von Frederic Cohen sowie die Opern Lady Macbeth von Mzensk von Dmitri Schostakowitsch und Tosca von Giacomo Puccini inszeniert. Am Aalto-Theater widmete er sich aber vor allem der Werke Richard Wagners, so ließ er hier den Parsifal (1991/92) und Tristan und Isolde (1992/93) aufführen. Nach siebzig Jahren brachte er von 1994 bis 1997 zusammen mit dem Regisseur Klaus Dieter Kirst, den er aus Dresden kannte, die Tetralogie Der Ring des Nibelungen auf die Bühne. Bereits zu DDR-Zeiten hatte er über die sinfonischen Werke Bruckners und Mahlers eine „Liebe zu Wagner“ entwickelt, die aber lange „platonisch bleiben“ musste, wie er in einem früheren Interview erklärte. Außerdem wandte sich Hauschild der zeitgenössischen osteuropäischen Musik zu, so führte er mit der Philharmonischen Orchester 1993 Suslins Leb’ wohl und 1996 Denissows Konzert für Flöte, Klarinette und Orchester (mit Dagmar Becker und Wolfgang Meyer) urauf. 1997 endete sein Engagement in Essen.
Von 1998 bis 2001 war er als freier Dirigent tätig u. a. beim Orchestra della Svizzera italiana in Lugano.
Von 2001 bis 2004 war er als Nachfolger des festen Gastdirigenten Bernhard Klee[54] Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Halle. Im Jahr 2003 brachte er im Neuen Theater Halle Martis H aspiré zur Uraufführung.[56] Mit Verweis auf die geplante Orchesterfusion, die er ablehnte, beendete er sein Engagement beim Philharmonischen Staatsorchester frühzeitig.
Neben seinem Hallenser Engagement er war von August[14] 2002 bis 2004 Generalmusikdirektor des Volkstheaters Rostock und Chefdirigent der Norddeutschen Philharmonie,[58] wo er bereits im Jahr 2000 ein ständiges Gastdirigat übernahm. Weil er, wie er später erklärte, „keinen künstlerischen und menschlichen Konsens“ mit dem Intendanten Steffen Piontek finden konnte, verließ er das Orchester.
Gastdirigate absolvierte er u. a. in der Schweiz, in Österreich, Italien, Spanien, Finnland und Taiwan.
Lehrverpflichtungen.
Nachdem er in Berlin (Ost) und Leipzig zunächst Lehraufträge innehatte,[3] erhielt er 1981 an beiden Musikhochschulen eine Professur für Orchesterleitung. 1988 wurde er Professor für Orchesterleitung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. An der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe lehrte Hauschild von 1989 bis 2003 ebenfalls als Professor für Dirigieren.
Im Jahr 1983 gründete er in Altenburg das „Seminar für Junge Operndirigenten“. Wiederholt war er dann auch Künstlerischer Leiter für Orchesterdirigieren beim Forum Dirigieren des Deutschen Musikrats (Essen 1994, Koblenz 1998 und 2005, Halle (Saale) 2001, Rostock 2002 und 2004 und Bremen 2006). Außerdem war er im Wintersemester 2005/06 und im Sommersemester 2007 Dozent für Probespielstellen im Orchesterverbund / Sinfoniekonzert am Orchesterzentrum NRW. Zu seinen Schülern gehören u. a. Michael Gläser, Constantin Trinks und Hendrik Vestmann. Quelle Wikipedia

Venezianische Stimmungsbilder

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Teatro Sant’Angelo nennt sich eine neue Platte bei ALPHA mit der französischen Mezzosopranistin Adèle Charvet (938). Der Titel bezieht sich auf das legendäre Opernhaus in Venedig, welches sich nach seiner Gründung 1677 zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus einer Vielzahl von Theatern in der Lagunenstadt zu profilieren vermochte als preiswertes, alternatives Haus für Jedermann und damit einen deutlichen Kontrast herstellte zum aristokratischen Teatro San Giovanni Grisostomo, wo sich der venezianische Adel versammelte.
Die Sänger waren weitgehend jung und unbekannt. Kastraten fehlten fast völlig wegen ihrer hohen Gagen. Es wurden auch Tänzer, Schauspieler, Artisten und Zauberer engagiert, die in den Pausen und bei Szenenwechseln auftraten. Als Impresario fungierte Antonio Vivaldi, dessen Opern ab 1705 regelmäßig aufgeführt wurden und den Aufschwung des Unternehmens bewirkten. Im Programm der CD mit 17 Titeln sind dem prete rosso nicht weniger als sechs gewidmet, darunter finden sich sogar zwei Weltersteinspielungen. Erstere, die Arie „Ah non so“, stammt aus Arsilda, regina di Ponto, die 1716 im Sant’Angelo uraufgeführt wurde. In diesem Stück von schmerzlichem Zuschnitt kann Adèle Charvet vor allem ihr Ausdruckspotential einbringen, wenn sie auch larmoyante Momente nicht vermeiden kann. Zweite Neuheit ist die Arie „Quella bianca“ aus L’Incoronazione di Dario, die 1717 im Sant’Angelo ihre Premiere erlebte – ein munteres, übermütiges Stück, in welchem die Sängerin keck und ausgelassen auftrumpft.
Die weiteren Zeugnisse aus der Feder Vivaldis sind die Arien „Siam Navi“ aus L’Olimpiade (bekannt und von virtuosem Anspruch) und „Sovvente il sole“ aus Andromeda liberata (in wiegendem Duktus und von sanftem Ausdruck). Danach gibt es noch zwei Arien aus La verità in cimento. „Con più diletto“ ist mit seinen Koloraturgirlanden eine Herausforderung an das virtuose Vermögen der Interpretin und „Tu m’offendi“ im Kontrast dazu getragen und von empfindsamem Melos.
Vivaldi lud auch Komponisten seiner Zeit ein, ihre Werke am Sant’Angelo zu präsentieren. Dazu zählten Fortunato Chelleri und Giovanni Alberto Ristori. Von ersterem erklingen zwei Titel als Weltpremieren – die Arien „Astri aversi“ (stürmisch und bravourös) und „La navicella“ (lyrisch-emphatisch) aus Amalasunta. Ristori ist sogar mit sechs Arien aus insgesamt vier verschiedenen Werken vertreten. Drei stammen als Erstaufnahmen aus seiner Cleonice und sind in ihrer Anlage höchst unterschiedlich. „Con favella de’ pianti“ ist von getragenem Duktus und klagendem Ausdruck, „Quel pianto che vedi“ bewegt und virtuos, „Qual crudo vivere“ wiegend und sanft. Aus Un pazzo ne fa cento erklingt die Arie „Su robusti“ als Ersteinspielung, welche die Solistin beherzt und pointiert bietet. Aus Temistocle ist ebenfalls als Premiere die Arie „Astri rimorsi“ zu hören, in welcher der Mezzo besonders apart und volltönend klingt. Auch die lieblich-sanfte Arie „Nell’onda chiara“ aus Arianna ist erstmals auf CD eingespielt.
Einige Werke von Verwandten Vivaldis waren ebenfalls im Spielplan anzutreffen, wie Michelangelo Gasparini, dessen Arie „Il mio crudele amor“ aus Rodomonte sdegnato das Programm eröffnet und der Solistin einen klangvollen Einstieg ermöglicht, oder Giovanni Porta, dessen „Patrona reverita“ aus Arie Nove da Batello als sanfter Ausklang am Ende steht.
Die Solistin wird begleitet vom Ensemble Le Consort, das der Geiger Théotime Langlois de Swarte leitet. Neben der inspirierenden Begleitung der Sängerin kann es im Adagio aus Chelleris Trio-Sonate g-Moll auch solistisch wirken (08. 06. 23). Bernd Hoppe

Barries schlechter Geschmack

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Warum geht der gemeine Opernbesucher selbst nach dem Ableben, gewaltsam, freiwillig oder zufällig, eines Großteils des Personals der gerade gesehenen Oper mit einem erhebenden, ja erhabenen Gefühl nach Hause? Natürlich weil das Dahinsterben von wunderschöner Musik begleitet wurde, aber auch, weil Leonora im Trovatore sich für den Geliebten opfern wollte, weil Violetta versöhnt mit den Menschen, die ihr etwas bedeuteten, mit einem „Oh Gioia“ von hinnen geht, Brünnhilde sich wieder mit Siegfried vereint und den Rheintöchtern den Ring zurückgibt. In Tosca sterben gleich alle vier Protagonisten, die Hälfte davon durch Freitod. Trotzdem stellt sich auch hier die Gewissheit ein, ein schönes Erlebnis genossen zu haben, es sei denn, man geht in die Amsterdamer Oper und erlebt die von Barrie Kosky inszenierte Puccini-Oper. Es ist als schwebe der Geist Gerald Mortiers noch über dem Haus, der bekanntlich Puccini verabscheute und in Salzburg partout keine seiner Opern aufführen wollte.

Tosca ist ein wahrlich blutrünstiges Stück mit Folterung, Erschießung, Vergewaltigungsversuchen. In der Kosky-Inszenierung wird all dem Schrecklichen noch eins draufgesetzt, indem bereits dem Mesner im ersten Akt übel zugesetzt wird, Cavaradossi nicht nur die spitzige Folterkrone aufgesetzt, sondern das Gesicht zerfleischt, ein Finger abgeschnitten, die rechte Malerhand verstümmelt und kurz vor Beginn des dritten Akts noch ein Liter Blut über den Kopf gegossen wird, damit das ansonsten wohl längst getrocknete so recht schön dramatisch an ihm herunterläuft und an Tosca wie auch am Gemäuer seine Spuren hinterlassen kann. Das gesamte Personal ist brutalisiert, die Schergen Scarpias üben Selbstjustiz, der Schließer auf der Engelsburg, der einst an der DDR-Staatsoper den Ring edel zurückwies, ist nun selbst ein Schläger, der gierig nach dem Ring greift, den eigentlich bereits Scarpia, da am abgeschlagenen Finger befindlich, an sich gerafft hatte. Wird das alles genüsslich vor den Augen des Zuschauers ausgebreitet, so werden die Passagen, die beweisen, dass Tosca und Cavaradossi ihre Würde behalten, selbstbestimmt handeln, eher beiläufig dargeboten, so das „La vita mi costasse, ti salverò“, das „Vittoria“, das „Trionfans“, das sich Hineinversetzen in eine bessere Welt im „Parla mi ancor“ eher beiläufig zu Gehör gebracht, wozu auch die seltsamen Tempi, die Marcello Viotti mit dem Orchester wählt, ihren Teil beitragen. Ähnlich geht es Tosca, die ihr „Vissi d’arte“ nicht als Gebet, sondern zu Scarpia singt, deren Glaubensgewissheit lächerlich gemacht wird, indem sie zwar ihr „Oh, Scarpia, davanti a Dio“ singen darf, dem Zuschauer aber danach gezeigt wird, dass sie als erbärmliches Bündel am Fuße der Mauer liegt. Scarpia selbst wird alles eindimensionales fieses Untier gezeichnet, umso attraktiver sind seine Schergen, wohl einem Dressmen-Katalog entsprungen.

Die Bühne von Rufus Didwiszus ist denkbar kahl, im ersten Akt eine Malerstaffelei und eine Blumenvase, die auch als Weihwasserbecken dient, im Nichts, im zweiten  einen riesigen Küchentisch, im dritten eine Wellblechwand zeigend. Das Te Deum allerdings wird mit einem Gemälde des Jüngsten Gerichts geschmückt, mit den Chorknaben als lebende Höllenbewohner. Von Klaus Bruns sind die Kostüme, für Tosca elegant, so ein schwarzer Glitzerhosenanzug mit Perlengeschmeide über dem nackten Rücken für die Flucht über Civitavecchia.  

Einem solchen Ambiente als Kontrast entgegengesetzt, wirkt die Musik fast obszön.  Sie hat es schwer, wenn zum Beispiel das Vorspiel zum dritten Akt in Bruchstücke zerfällt, der Orchesterpart durchweg schwerfällig wirkt.

Malin Byström ist eine moderne Tosca mit hellem, kühlem, höhensicherem Sopran, singt ein schönes „Vissi d’arte“ ohne besondere Raffinesse, aber weich und geschmeidig klingend. Im dritten Akt gibt es kaum einen Kontakt zwischen ihr und dem unseligen Cavaradossi. Dieser findet in Joshua Guerrero einen engagierten Darsteller mit solidem Tenor, dessen Stärke ein kraftvolles Forte für den zweiten Akt ist, der jedoch „E lucevan le stelle“ keinerlei Poesie oder agogikreiche Raffinesse abgewinnen kann.  Dunkel-süffig-dräuend ist der Bariton, den Gevorg Hakobyan für den Scarpia einsetzt, damit rollendeckend, wenn auch nicht für jede Partie empfehlenswert. Martijn Sanders macht den Fehler vieler Angelottis, nämlich zur Fallsucht zu neigen, sein Bassbariton ist, wenn er nicht nur flüstern,  sondern auch singen darf, angenehm. Das trifft auch auf den Sagrestano von Federico De Michelis zu, während der Spoletta von Lucas van Lierop zwar schön, aber nur mit einem sehr kleinen Tenor begabt ist. Nach dem Genuss dieser Tosca heißt es erst einmal, Stress und daraus erwachsende Aggressionen abzubauen (Naxos NBD0166V). Ingrid Wanja

Obsessive Fluchten

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Was fängt ein Rezensent, der hoffnungslos heterosexuell ist und dessen Musicalerfahrungen sich auf My Fair Lady im Theater des Westens, La Cage aux Folles ebenda und auf The Rocky HorrorPicture Show in den Berliner Kammerspielen beschränken, mit einem Buch über Die wunderbare Welt des LGBTQ-Musicals, so der Untertitel, an? Breaking Free nach dem Song in einem Hochschulmusical heißt das Buch, als dessen Herausgeber auf dem Cover Kevin Clarke genannt wird, was mehr als bescheiden ist, denn auch die Mehrheit der Beiträge stammt von ihm, der sich trotz üppiger mehr als 300 Seiten, die er vorlegt, wünscht, dass sie nicht einen „Abschluss“, sondern einen „Anfang“ einer Diskussion in einem Land wie dem unseren, dass in Sachen Musical viel Nachholbedarf hat, werden. Toleranz herrscht glücklicherweise nicht nur in puncto Sexualität, sondern auch, was das Gendern betrifft. So kann sich der konservative Leser auch schnell von einem Satz wie: “Jeder*jedem Autor*in wurde freigestellt, ob und wie sie*er ihre*seine Texte gendern will“, erholen.

„Breaking free“: Harvey Fierstein in „Torchsong Trilogie“, Film von Paul Bogart 2009/ crtikat.com

Das Vorwort schrieb Barrie Kosky und betitelt es als Zeichen seiner Unkonventionalität mit einem „What the f***?!?“, was immer das heißen mag. Ansonsten geht er über das, was gerade mit seiner Biographie erschien, hinaus, wenn er  u.a. ausführlicher über seine Arbeit mit Kiss me, Kate berichtet, in der er in jeder Zeile Queeres entdeckte, über seine Gewissheit, die lautet:“ Man braucht eine Schwuchtel an der Spitze des Theaterbetriebs, um alle Besucher anzusprechen. Erstaunen erregt nicht nur hier die Ansicht, dass sich Schwule auch in der West Side Story als Ausgegrenzte erkennen, obwohl das deutsche Theater als „heteronormativ“ durchschaut wird, woraus folgt, dass man „Deutschland aus der Provinzialität herausholen muss“.

Weniger offenherzig, er ist schließlich Politiker, wenn als Kultur-Senator auch nur Ex, ist im Nachwort Klaus Lederer, der seiner Freude darüber, dass man sich an der Humboldt-Universität nun auch mit Musical und LGBTQ befasst, Ausdruck verleiht.

„Breaking free“: Der Frauendarsteller Iwai Shijaku in der Rolle der Ohatsu (Aus dem Kabuki-Schauspiel Altertümliche B – Utagawa Kuniyoshi) Wikipedia

Zahlreich und durchweg interessant sind die vielen Interviews, die mit queeren Künstlern, die mit der Kunstform Musical zu tun haben, gehalten wurden. Die Interviewer sind Kevin Clarke und Nick-Martin Sternitzke. Es beginnt mit Helmut Baumann, einst umjubelte Zaza nicht nur im Theater des Westens 1984 und vor kurzem in einer kleineren Partie in La Cage aux Folles in der Komischen Oper. Ihm wird wie fast allen Interviewten zunächst die Frage gestellt, welches sein allererstes Musical gewesen sei. Da werden köstliche Erinnerungen wach an Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller, Boy Gobert und Hildegard Knef, an Operntenor Donald Grobe, und hier wie bei fast allen Interviews wird deutlich, dass das Musical die Kunstform war und ist, mit der sich die Schwulen, die als erste vor allen anderen innerhalb des LGBTQ aus dem von der Gesellschaft verordneten Schatten heraustreten, identifizieren konnten und dass sie bei der Arbeit an demselben auch am häufigsten auf Gleichgesinnte trafen und treffen. Angenehm berührt die sachlich- nüchterne Art der Antworten, die auch Selbstkritik nicht ausschließen: “In Deutschland wollen alle nur sehen, was sie schon kennen. Das gilt auch für die Schwulen“.

Es folgen Interviews mit Stephanie Kuhnen, die dem nicht eingeweihten Leser Rätsel aufgibt mit einem „gendertypisch bibliophil, butchesk, und katzoman“, zu dem sie sich bekennt, die mehr Klarheit herrschen lässt, wenn sie meint, Musicals könnten sich als Coming-Out-Hilfe erweisen.

Nicht der Interviewte, sondern Interviewer ist Rosa von Praunheim, der Dagmar Manzel, „Star“ vieler Produktionen der Komischen Oper, befragte und ihr die Absage an ein „aufgewärmtes spießiges Leben, das man sowieso schon immer um sich hat“, entlockt, die meint, Frauenbewegung und Schwulenbewegung würden einander bedingen.

„Breaking free“: „Le Cage aux Folles“/ Michel Galabrou und Ugo Tognazzi/ Film von Edouard Molinaro 1979/ Cinema.de

Richard McCowen, ein schwarzer Musicaldarsteller, äußert sich im Interview angenehm nüchtern, berichtet einerseits davon, dass in den USA früher als in Deutschland das Schwarzschminken verpönt war, findet andererseits Schwarze mit blonder Perücke „toll“. Wie viele andere Befragte bedauert er die scharfe Grenze, die in Deutschland zwischen U- Und E-Musik gezogen wird.

Interessant auch für Historiker sind die Aussagen von Pierre Sanoussi-Bliss zum Leben eines schwulen Schwarzen in der DDR, die zwar auf dem Gesetzes-Papier fortschrittlicher war als der Westen, die aber praktisch Intoleranz übte und oft versuchte, Schwule zu erpressen, sie mit Drohgebärde zum Spitzeln zu bringen. Schockierend mag nicht nur für Heteros, sondern auch für Schwule das Bekenntnis sein, der Sänger habe für Schallplatten aus dem Westen Liebesdienste angeboten.

Wenn sogar Oma und Opa zufrieden waren, kann es ganz so schlimm, wie es der Befragte escheinen lässt, mit dem ersten Schwulen-Porno-Musical nicht gewesen sein. Der sich Hans Berlin nennende (und als „Pornohengst“ bei Männer.de bezeichnete) Interviewpartner Kevin Clarkes war HIV positiv, als er über sein Bemühen (und seinen Erfolg), diese Gattung auf der Bühne zu etablieren, berichtet.

Aufgeklärt über Sex-Praktiken im Orient wird der Leser durch das Interview mit Yousef Iskander, der aus dem Libanon floh und mit der Verbindung verschiedenster europäischer und arabischer Elemente eine neue Kunstform schuf. In Deutschland sieht er inzwischen das Schreckgespenst der Zensur am Horizont, hofft aber, einmal die Sally Bowles spielen zu dürfen.

„Breaking free“: Harvey Fierstein in „Birdcage“/ Cinema.de

Wer kennt nicht die Geschwister Pfister, deren einer Teil Christoph Marti ist, besser bekannt als Ursli Pfister. Schon im Schillertheater spielte er Frauenrollen, empfindet sich als Schauspielerin in einem Männerkörper und bekennt: “Man darf vorm Trivialen keine Angst haben, wenn man Musicals macht.“ Nicht nur er singt das Lob des deutschen Stadttheaters, das oft mutiger ist als die großen Bühnen, die Angst vor dem Experiment haben.

Es folgen noch Interviews mit Rory Six, der noch immer eine Transfrau für sein Musical sucht, mit Brix Schaumburg, der bedauert, dass queere Menschen nicht im Grundgesetzt berücksichtigt werden und Transmenschen unterrepräsentiert im Musical sind. Auch Lyon Roque, der den Modeladen Trüffelschwein in Berlin hat, hat ein besonderes Thema mit der angeblichen sexuellen Unattraktivität von Asiaten, was das Thema des Colour-Blind-Casting aufs Tapet bringt.

Nicht immer einfach ist es, als Hetero die sonstigen Artikel des Buches zu verstehen, hat die Gemeinde von LGBTQ doch längst auch eine eigene Fachsprache entwickelt. Da Deutschland zudem in Sachen LGBTQ-Musicals ein hoffnungslos hinterherhinkendes Entwicklungsland ist, das weder mit Broadway, Off-Broadway, Off-Off-Broadway oder dem Londoner Westend mithalten kann, befassen sich die meisten Artikel mit diesen Paradiesen des wie immer gearteten Musicals. Diskussionswürdig ist die Behauptung, die in mehreren Artikeln auftaucht und die Nazizeit verantwortlich macht, für die Beendigung einer Tradition- und das kann man nachvollziehen- aber auch dafür, dass eine Entwicklung wie in den englischsprachigen Ländern nach dem Krieg ausblieb. Da kann man schon eher den Ausführungen von Wollmann/Clarke folgen, die die Frankfurter Schule mit ihrer Verdammnis von allem Populären als eine m wesentliche Ursache für die Musical-Abstinenz ansehen.

„Breaking free“: Ensemble des Kleinen Theaters im Kaiserlichen Militär-Genesungsheim Spa (Belgien), 1. Weltkrieg/ Schwules Museum (dazu auch unser Artikel über die Ausstellung/ Katalog im Berliner Schwules Museum)

Von der Musical Conference der Long Island University über die ab 2007 erscheinende Zeitschrift Studies in Musical Theatre bis hin zum Oxford Handbook of the American Musical wird eine Entwicklung verfolgt, während in Deutschland Volker Klotz noch eisern an der Vorstellung festhielt, Musicals seien minderwertig. Im Beitrag Musicals als Maske bezeichnet Clarke die Musicals als Zufluchtsort für Schwule, ehe sie ein breites Publikum fanden, in den USA wurden früh auch andere „Außenseiter“ einbezogen, und die Maske wurde zur Manier.

Nach Olivia Maria Schaaf spielten Peter Lund und die Neuköllner Oper lange Zeit eine wichtige Rolle für Lesben und Schwule, waren ein „offenes Versteck“, was nichts daran änderte, dass lange Zeit Schwule in der darstellenden Kunst entweder böse oder komisch waren, das Schwein, das ein Hahn werden will, erste queere Wunschträume auf die Bühne brachte. Lesben tauchen relativ spät auf, so die Frozen-Elsa im Disney-Film. Meine drei Enkeltöchter allerdings haben sie nicht als solche identifiziert und hoffen im dritten Teil auf einen Gatten für die Königin.

Ulrich Linke gibt eine Übersicht über die Gay Musicals der Siebziger, die erst möglich waren nach der Überwindung von Puritanertum und McCarthy, der nicht nur Kommunisten nachjagte. Durch Übersichtlichkeit und Faktenreichtum, den Abdruck von Dialogen und den umfangreichen wissenschaftlichen Anhang überzeugt dieser Aufsatz ganz besonders.

Brigitte Elisabeth Tautscher äußert sich in ihrer kommentierenden Inhaltsangabe über Falsetto, dem sie vorwirft, dass die weibliche Hauptrolle nach dem Outing des Gatten in einer neuen Ehe ihr Glück finden muss. Da wäre Toleranz in die andere Richtung auch angebracht.

Kay Link entdeckt Prince Charming in Cinderella als Fortschritt in der Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Liebesverhältnisse, setzt sich aber auch kritisch auseinander mit scheinbaren oder tatsächlichen Diskriminierungen in Musicals.

Einen höhnischen Kommentar gibt Manuel Brug zum deutschen Musical-Geschehen ab, das die Massen in Bussen zu den Großereignissen chauffiert, wo aber nichts Queeres auszumachen ist . Gleichzeitig macht er sich zum Anwalt für Ute Lemper, deren Genie in Deutschland nicht wahrgenommen wurde. In keinem Verhältnis zueinander stehen seiner Meinung nach die zahlreichen Outings von Künstlern und die wenigen queeren Stücke.

Olaf Jubin wirft den Übersetzern von Songs ins Deutsche vor, dass sie vor der Unübersetzbarkeit der „signifikanten Symbole“ kapitulieren, dass Übersetzungen einen Text oft entsexualisieren.

Kevin Clarke steuert nicht nur einen Beitrag über das amerikanische Hochschul-Musical bei. Wie weit gespannt seine Interessen sind, zeigt er, indem  er sich mit den Problemen schwuler Muslime, ausgehend von den Erlebnissen Lord Byrons im Orient, auseinandersetzt. „Cyanide wrapped in Chocolade“ könnte man auch die Frage nennen, ob Homosexualität und Christentum oder Islam miteinander vereinbar sind, und dieser widmet sich Clarke kenntnisreich, einfühlsam und engagiert.

„Breaking free“: Frauendarsteller in amerikanischer Burleske um 1880 / Wikipedia

Über den Beruf des Musicaldarstellers in Zeiten von Identitätspolitik äußert sich Till Randolf Amelung, mutig über die White-Washing-Hysterie (siehe Absage in der Arena di Verona 2022 ), die Inflation von Vorwürfen, man habe jemanden verletzt, über den „virtuellen Mob“. Da hilft wohl nur eine gemeinsame Abwehrfront von Hetereos und LGBTQ.

Noch einmal historisch wird es mit Clarkes Beitrag über Trans und Travestie im Musical, deren Anfänge der Verfasser bereits in Gefangenenlagern sieht, für die er viele Beispiele aufzuführen versteht, aber auch hier den tiefen Einschnitt, den AIDS bedeutete, anerkennen muss. Auch die Präsidentschaft Trumps diente nicht dem Fortschritt auf diesem Gebiet, aber man kann beruhigt sein, denn der Verfasser sieht die „Forschung auf dem Vormarsch“.

Disney kommt beim Thema Diversity im Beitrag von Ralf Rühmeier nicht gut weg, muss sich einem Plädoyer für einen Cinderello oder einer Prinzessin, die statt des Prinzen den Schuh bringt, stellen. David Savran aber stellt betrübt fest: „(In Deutschland) bleiben doch Gender und Sexualität so etwas wie ein blinder Fleck“.

Zumindest dürfte das fakten- und informationsreiche Buch, das sich außerdem durch sein Engagement für das LGBTQ-Musical und seine Anhänger auszeichnet, für etwas Glanz sorgen (315 Seiten, Querverlag GmbH 2022 Berlin; ISBN 978 3 89656 322 4). Ingrid Wanja 

Irina Lungu im Gespräch

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Bei unserem letzten Gespräch im Jahr 2015 hatten Sie gerade Ihre 100. Traviata gesungen. Wie viele Violettas sind es mittlerweile?  Eine meiner Vorstellungen jetzt in Berlin war die 250., aber ich habe nach 200 Vorstellungen nicht mehr wirklich genau gezählt. (lacht)

Wie hat sich Ihr Blick auf Violetta und damit Ihre Interpretation dieser legendären Opernfigur in den letzten Jahren verändert? Ich habe Violetta mittlerweile in derselben Spielzeit wie Lucia gesungen, und jetzt diese Saison singe ich sie gleich nach der Mimì. In der nächsten Spielzeit kommt Amelia in „Simon Boccanegra“. Violetta ist meine stetige Begleiterin während meiner gesamten Reise durch verschiedenes Sopranrepertoire. Meine Interpretation von Violetta ändert sich nicht etwa jedes Jahr, sie ändert sich bei jeder Aufführung. Ich lebe eine derartige Symbiose mit dieser Figur, dass es sehr von meiner jeweiligen Stimmung abhängt. Wenn ich einen melancholischen Tag habe, werden sicher die melancholischen Seiten stärker betont, und wenn ich super gelaunt und fröhlich bin, ist der erste Akt brillanter. Aber ich habe da keinen Schaltplan. Ich kenne Violetta derart gut und ich liebe sie so sehr, dass ich mich einfach von dem Moment mitreißen lasse und wenn ich mich an einem Abend so fühle und an einem anderen Abend anders, dann gehört das einfach zum Leben eines Künstlers. Deshalb liebe ich sie so sehr, weil sie der Sängerin verschiedene Möglichkeiten bietet, in den verschiedenen Aspekten des Charakters dieser Figur sie selbst zu sein.

Irina Lungu als Violetta in der Arena di Verona/ Foto Ennevi / Fondazione Arena di Verona

Was sind die größten Herausforderungen dieser Rolle? Ich werde nicht genauer auf die stimmlichen Ansprüche eingehen. Es ist stimmlich eine wirklich anspruchsvolle Rolle und um sich ihr zu stellen, braucht man ein sehr solides Fundament, man muss fast eine „Assoluta“ sein. Aber die eigentliche Herausforderung dieser Figur besteht darin, während der gesamten Aufführung intensiv zu sein. Intensiv, kohärent und überzeugend, denn es ist eine sehr intensive Rolle, die auf wirklich brillante Weise geschrieben ist. Jede Silbe, jedes Wort, jeder Ton bedeutet etwas und man darf sich nie ablenken lassen, nicht abschalten und man muss immer seine eigene Linie haben, vom ersten bis zum letzten Ton. Nicht einmal ein einziges Wort darf automatisch kommen, auch nach 250 Vorstellungen. Denn sie hat viele verschiedene Facetten. All ihre Stimmungen muss man durch die eigene Seele, das eigene Herz und die eigene Stimme ausdrücken. Ihrer Seele muss in jeder Sekunde, in jeder Silbe und in jedem Ton eine Stimme gegeben werden. Für mich ist genau das die eigentliche Herausforderung der Violetta.

2015 sagten Sie, dass Sie gerne Amina in „La sonnambula“, Elvira in „I puritani“ und die Titelrolle von „Anna Bolena“ singen würden. Wenn man Ihre Biografie liest, scheint es, als hätten Sie die letzten beiden gesungen. Gibt es einen Grund, warum es nicht zur Amina gekommen ist? Ja, seit 2015 habe ich viele Belcanto-Debüts gegeben. Einige Opern habe ich in verschiedenen Produktionen gesungen, etwa „L’elisir d’amore“ oder „I puritani“. Ich bin sehr glücklich, dass ich diese wunderschönen Stücke dieses Repertoires, das mir besonders am Herzen liegt gesungen habe. Nur die Amina in „La sonnambula“ habe ich tatsächlich nicht gesungen, und das wird vielleicht das sein, das ich in meiner Karriere am meisten bedauern werde. Aber sag niemals nie, oder?

Irina Lungu vor der Berliner Staatsoper/ Foto Weiler

Vor kurzem haben Sie Ihr Repertoire um Rollen wie Imogene in „Il pirata“ und Alice Ford in „Falstaff“ erweitert: War das ein erster Schritt in Richtung eines neuen Repertoires? Diese Debüts als Imogene in „Il pirata“ und Alice Ford in „Falstaff“ habe ich jeweils letztes Jahr gegeben, beide am Opernhaus Zürich. In „Falstaff“ hatte ich zuvor immer Nannetta gesungen. In der nächsten Saison werde ich mein Debüt als Amelia in „Simon Boccanegra“ geben. Ich sage es so: Ich ändere mein Repertoire nicht, sondern erweitere es und bin nun etwa auch endlich bereit, die Norma zu singen. In dieser Rolle würde ich furchtbar gerne debütieren und wir schauen schon, wo ich sie erstmals singen könnte.

Welche anderen Rollen würden Sie abgesehen von der Norma gerne singen? Abgesehen von der Norma fühle ich mich bereit für weitere Debüts im Belcanto-Fach, wie etwa „Roberto Devereux“, „Lucrezia Borgia“ und andere vielleicht weniger bekannte Werke. Ich habe mich sehr über „Il pirata“ gefreut, da dieses Stück absolut meiner stimmlichen und künstlerischen Persönlichkeit entspricht. Wenn wir von Verdi-Debüts sprechen, dann sprechen wir wie gesagt von meinem Debüt in „Simon Boccanegra“ dieses Jahr und die nächste Verdi-Rolle wäre dann sicher die Desdemona in „Otello“. Aber es gibt auch viele Rollen, die ich gerne in meinem Repertoire behalten würde, wie zum Beispiel einige französische Partien, zu denen ich gerne die Thaïs hinzufügen würde. Ich werde in der nächsten Saison mein Debüt als Nedda in „Pagliacci“ geben und dann schauen wir, wohin mich meine Stimme und mein künstlerischer Weg führen werden.

Irina Lungu als Bellinis Imogene beim Konzert in Zürich/ Foto Weiler

Erst im vergangenen März hatten Sie einen großen Erfolg als Mimì und Musetta in „La bohème“ an der Mailänder Scala und waren dabei die erste Sopranistin, die dort diese beiden Rollen in derselben Saison interpretiert hat. Was waren die größten Herausforderungen bei diesem Unterfangen? Es handelt sich um ein sowohl anregendes, als auch ungewöhnliches Projekt. Wenige andere Sopranistinnen haben in ihrer Karriere diese beiden Rollen in derselben Vorstellungsserie gesungen. Mein Konzept zu diesen beiden Frauen ist eine Art Austauschbarkeit der beiden Rollen. Die große Renata Scotto [die selbst Mimì und Musetta in derselben Serie an der Met gesungen hat] hat über Mimì und Musetta gesagt, dass es sich bei ihnen eigentlich um dieselbe Frau handelt, nur dass eine krank ist und die andere nicht. Und ich glaube, dass es sich wirklich um dieselbe Frau handeln könnte, in verschiedenen Lebensphasen, so wie auch ich in manchen Momenten meines Lebens Musetta und in anderen Mimì war. Ich verstehe also beide, ich liebe beide und könnte nicht auf eine von ihnen verzichten. Für mich stehen diese beide Rollen nicht im Konflikt miteinander. Es war eher eine Genugtuung und Erfüllung in künstlerischer Hinsicht als eine Herausforderung. So vielseitig und unterschiedlich sein zu können und in ein und derselben Produktion so interessante Impulse zu finden war einfach wunderbar.

Irina Lungu als Mimì an der Mailänder Scala/ Foto Brescia e Amisano / Teatro alla Scala

Natürlich will ich nicht sagen, dass es gar keine Herausforderung ist, die beiden Rollen zu singen. Auch wenn man sie nicht zusammen in derselben Serie singt, handelt es sich nicht um zwei einfache Rollen und einfache Charaktere. Ich wollte gegen das Klischee ankämpfen, dass Musetta von einer bestimmten Art von Stimme und Mimì von einer anderen Art von Stimme gesungen werden muss. Weil die Glaubwürdigkeit der Charaktere nicht von der Art der Stimme abhängt. Beispielsweise kann Musettas Koketterie auch dann ausgedrückt werden, wenn sie keine Koloratursopranistin ist, so wie ich keine Koloratursopranistin bin. Diese beiden Charaktere stehen für Künstler mit Sensibilität nicht im Widerspruch.

Wo werden wir Sie in Zukunft auf der Bühne sehen können? Gleich nach „La traviata“ und „Rigoletto“ an der Berliner Staatsoper geht es für mich nach Florenz zum Maggio Musicale, wo ich Alice Ford in „Falstaff“ unter Daniele Gatti singen werde. Anschließend gebe ich mein Debüt am Teatro Colón in Buenos Aires als Fiorilla in „Il turco in Italia“, gefolgt von meinem Rollendebüt als Amelia Grimaldi in „Simon Boccanegra“ am New National Theatre Tokyo. Kommende Spielzeit singe ich außerdem mein erstes Verdi-Requiem in Angers und Nantes und habe verschiedene Projekte in Italien, unter anderem an der Mailänder Scala. Das Interview führte Beat Schmid (Foto oben: Irina Lungu als Bellinis Imogene im Konzert in Japan/ Foto Weiler)

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Für Enzyklopädiker

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Claudio Abbado war im Laufe seines 80 Jahre währenden Lebens immer wieder für Überraschungen gut. Er ließ sich in kein Schema und keine gängige Schublade pressen – weder hinsichtlich seiner beruflichen Karriere, noch seines musikalischen Repertoires. Seine Wahl zum Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker 1989, kurz nach Herbert von Karajans Rücktritt, war gewiss eine Überraschung – für alle Beteiligten: für den Dirigenten, das Orchester, die kulturpolitischen Instanzen und das Publikum. Eine noch größere Überraschung war vielleicht Abbados Entscheidung, über das Jahr 2002 hinaus auf eine Verlängerung seines Vertrages zu verzichten. Seine Erklärung, er wolle frei(er) sein, sich intensiver dem Studium der Musik, dem Lesen von Büchern und anderen schönen Dingen des Lebens widmen, ist nicht die ganze Wahrheit (die sicher nur ganz wenige Lebende noch kennen und diskret für sich behalten mögen).

Seine Zeit bei und mit den Berliner Philharmonikern bot eben auch wieder Überraschungen. Nicht nur lernte man die große Breite und Vielfalt seines Repertoires kennen, Werke der Klassik, Romantik, des 20. Jahrhunderts und ganz aktuelle zeitgenössische Komponisten, seine Leidenschaft für die Oper und sein Wirken für kunstsparten-übergreifende Programme (thematische Zyklen), für die er geschickt die Protagonistinnen und Protagonisten anderer Künste „ins philharmonische Boot“ holte und sich und dem Haus große Anerkennung erwarb. Schließlich überraschte er auch in der Rolle des Chef-Dirigenten. Er war der künstlerische Leiter auf seine Art, „Chef“ wollte er nicht sein, er prägte einen offenen, verantwortungsvollen Umgang aller Beteiligten miteinander. Gleichwohl wusste er mit „sanfter Gewalt“ doch seine Vorstellungen und Konzepte umzusetzen. Ulrich Eckhardt, lange Intendant der Berliner Festspiele und enger Vertrauter, ja Freund des Dirigenten, charakterisierte Abbado einmal so: „Als behutsamer Sachwalter motiviert er die ihm anvertrauten, sich ihm anvertrauenden Orchestermitglieder durch Kollegialität; denn seine Autorität erweist sich in der Sache, ohne persönliche Eitelkeit. Er praktiziert als Dirigent einen Stil antiautoritären, demokratischen Musizierens. Für ihn ist Musik eine Sprache für Menschen i, und er ist überzeugt von der Notwendigkeit der Freiheit des einzelnen, gepaart mit dem wechselseitigen Respekt vor der Würde und Leistung des anderen… Er ist glaubwürdig, weil er die Musik lebt, in sich trägt, nicht vor sich herträgt… Und am Schluss tritt kein Triumphator oder Priester ab, sondern ein Diener oder Mittler, der die Erschöpfung nicht verbirgt, wenn er sich verausgabt hat.“

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Abbado hat ein beträchtliches Oeuvre auf Tonträgern hinterlassen. Davon zeugt die imposante Edition der DG, die mit 257 CDs Dimensionen einer Diskothek hat. Der Begriff „complete recordings“, sämtliche Aufnahmen ist allerdings fragwürdig und marktschreierisch. In etlichen Fällen bieten so annoncierte Editionen im Bereich der Tonträger nur bedingt das, was sie suggerieren oder versprechen. Vielfach finden Afficionados oder Archivexperten dann doch noch etwas das fehlt und entlarven eine großspurige Ankündigung. Im vorliegenden Fall sind die Aufnahmen, die unter Abbados Leitung für die Deutsche Grammophon Gesellschaft und Decca in einer umfangreichen Edition zusammengefasst bzw. präsentiert. Immerhin wird im Impressum des großformatigen Begleitbuchs doch von den Herausgebern darauf hingewiesen, dass aus urheberrechtlichen Gründen einige wenige Aufnahmen fehlen müssen, die früher zeitweise unter dem DG-Label erschienen waren.

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Was die Box mit 257 CDs und 8 DVDs bietet, ist zunächst eine „einschüchternde“ Quantität. Neu ist davon nichts, diese Aufnahmen sind allesamt bekannt, Sammler, Kenner und Musikfreunde haben sie in ihren Regalen, kennen und schätzen sie. Erfahrungsgemäß sind einige Produkte dann nach Jahren nicht mehr zu haben oder nur noch in digitaler Form. Doch da greift man vermutlich nicht zu einer Box dieser Größe, die ja auch ihren stattlichen Preis (rund 760 Euro, 2023) hat. Das sind auf die Objekte gerechnet knapp 2,90 € pro Stück, also handelt es sich (noch) um ein günstiges Angebot.

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Kommen wir zur Bedeutung der Edition. Sie hat einen unschätzbaren Vorteil insofern, als sie die Karriere des Dirigenten Claudio Abbado von den Anfängen, als noch weniger bekannter Interpret, bis zu den späten Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern sowie den von Abbado gegründeten oder maßgeblich geförderten Orchestern (Lucerne Festival Orchestra, Mahler Chamber Orchestra oder Orchestra Mozart) abbildet. Und natürlich ist seine Zusammenarbeit mit dem Teatro alla Scala Milano, mit dem London Symphony und dem Chicago Symphony Orchestra, den Wiener Philharmonikern, dem Chamber Orchestra of Europe berücksichtigt, sind aber auch „Ausflüge“ zur Staatskapelle Dresden und dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks dokumentiert. In seinen letzten Jahren erschienen CDs oder DVDs meist als Mitschnitte von Konzerten – vor allem mit den Berliner Philharmonikern (bei EMI und im Eigenlabel des Orchesters) aber auch mit dem Lucerne Festival Orchestra oder dem Simon Bolivár Symphony Orchestra aus Venezuela.

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Mancher Konzert- oder Opernmitschnitt vermittelt gut, dass Abbado – darin ähnlich Wilhelm Furtwängler, seinem Vorvorgänger bei den Berliner Philharmonikern – in einer Live-Aufführung mehr wirkte und bewirkte als in einer minuziösen Studioproduktion. Im Konzert wirkte er direkter, suggestiver, vermochte das Publikum zu ergreifen, zu fesseln, ja zu überwältigen, freilich ohne Gewalt. Man denke nur exemplarisch an seine Interpretationen der Neunten Symphonie von Mahler mit den Berliner Philharmonikern und dem Luzerner Festspielorchester. Kaum auszuhalten ist die ungeheure Spannung am Schluss, den meisten Zuhörern stockte der Atem. Hier werden wirklich letzte Dinge verhandelt: der Abschied, nicht nur der des von Krankheit und Tod gezeichneten Komponisten, sondern auch Abbados, der seine schwere Krebserkrankung nicht überwinden konnte.

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Manchmal ist es aufschlussreich unterschiedliche Interpretationen bzw. Aufnahmen ein und desselben Werkes mit verschiedenen Ensembles zu hören. Genannt sei exemplarisch nur ein schlagendes Beispiel: Rossinis witzige Oper „Viaggio a Reims“ ist um Längen besser in der – allerdings für Sony eingespielten – Berliner Produktion von 1992, bei der die Berliner Philharmonie buchstäblich kochte, als die später entstandene DG-Aufnahme mit dem Chamber Orchestra of Europe.

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Höhepunkte von Abbados Aufnahmekarriere bei DG und Decca sind und bleiben: frühe Einspielungen von Prokofjews Dritter Symphonie (mit unglaublicher Vehemenz, Expression und Modernität; das hätte man gern im Konzertsaal gehört), der Skythischen Suite oder der Leutnant Kije-Suite; die kongeniale Einspielung des Klavierkonzertes G-Dur von Ravel und des dritten Klavierkonzerts von Prokofjew mit Martha Argerich; der Zyklus der Brahms-Symphonien mit den Berliner Philharmonikern, Mahlers Erste (Mitschnitt seines „Antrittskonzertes“ als Chefdirigent der Berliner 1989), die Fünfte, Siebte und Neunte; der frühe Zyklus der Mendelssohn-Symphonien mit dem LSO, eine Reihe von Mozart-Klavierkonzerten mit dem unvergesslichen Rudolf Serkin und dem LSO.

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Bei aller Fülle der DG- und Decca-Produktionen sei doch noch an einige Aufnahmen erinnert, die bei anderen Labels erschienen, vor allem an die Sony Aufnahmen aus den Jahren 1990 bis 1997 mit den Berliner Philharmonikern. Sie erschienen zunächst einzeln und wurden danach in drei Boxen wieder veröffentlicht: Mussorgskijs Oper Boris Godunow und die Lieder und Tänze des Todes, Tschaikowskys Fünfte Symphonie, das Erste Violinkonzert von Schostakowitsch mit Midori, Mendelssohns Sommernachtstraum-Musik und anderes mehr. 2014 waren sie Bestandteil der aus 39 CDs bestehenden „Complete RCA and Sony Album Collection“ mit Werken von Bach bis Nono – ein gutes Beispiel für die Weite von Abbados Repertoire. Schließlich sind zu nennen Hindemiths Kammermusiken und ein viel gelobtes Verdi-Requiem für EMI (heute Warner). Helge Grünewald

Halléns „Waldemarsskatten“

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„Das Gold, das uns Gott gegeben hat, leuchtet nicht mehr im Meer“, singt die eine. „Wir bewachten das leuchtende Gold vor der List des Diebes“, die andere. Und „Es leuchtet auf der Spitze des Kirchturms und schützt den Schatz vor den Rössern des Seegottes“, die dritte. Vorbild für Agirs Töchter Dufna, Unna und Dröfn, die den Raub ihres Schatzes beklagen und zu denen sich später als vierte noch Bylgia gesellt, sind unverkennbar die Rheintöchter. Kein Zufall. Als 19jähriger konnte der 1846 in Göteborg geborene Andreas Hallén, dessen musikalisches Talent früh erkannt wurde, durch die Unterstützung wohlhabender Verwandte seine Ausbildung in Leipzig aufnehmen, wo er nicht nur mit den konservativen, sondern im Kreis um Liszt und Wagner auch mit modernen Musikströmungen in Berührung kam. Zu seinen Lehrern gehörte Carl Reinicke, der Generationen nicht nur skandinavischer Komponisten den Weg gewiesen hatte, später in München Joseph Rheinberger und in Dresden Julius Rietz. Zurück in Göteborg machte sich Hallén ab 1872 an die Neuorganisation des Musiklebens seiner Geburtsstadt, kehrte zwischenzeitlich nach Deutschland zurück, wo sich der Wagner- und Liszt-Einfluss erstmals in seinen Kompositionen zeigte und sein Opern-Erstling Harald, der Wikinger auf Liszts Empfehlung 1881 in Leipzig unter Arthur Nickisch zur Uraufführung gelangte. Im Beiheft zu Waldemarsskatten heißt es zur Wikinger-Oper, „Harald the Wiking was the first Swedish musical drama in the Wagner style“.

Andreas Halléns Oper „Waldemarsskatten“: Der Komponist/ Wikipedia

Ab 1884 bis zu seinem Tod 1925 lebte Hallén, unterbrochen von einem fünfjährigen Aufenthalt in Malmö, in Stockholm und wurde sowohl in Malmö wie in Stockholm in zahlreichen Funktionen zum wesentlichen Motor des schwedischen Musiklebens. Seine ursprünglich für die Eröffnung des neuen Königlichen Theaters 1898 in Stockholm geplante und nach Harald der Wikinger und Hexfällan dritte Oper Waldemarsskatten/ Waldemars Geheimnis kam im April 1899 mit John Forsell, dem langjährigen Bariton-Star des Hauses und späterem Direktor, in der Titelrolle zur Uraufführung. Waldemars Geheimnis, das auch 1903 in Karlsruhe gegeben wurde, blieb bis 1924 im Repertoire des Königlichen Theaters, wo es mit über 60 Aufführungen zu den meist gespielten schwedischen Opern gehört. Dann verschwand die Oper.

Kein großer Verlust, wie der von Bengt Tommy Andersson mit dem Swedish Radio Symphony Orchestra und dem Radio Choir 2000 und 2001 in der Stockholmer Berwald Hall unternommene Versuch einer Ehrenrettung zeigt, der jetzt in der zehnten Ausgabe von The Romantic Opera in Sweden (Sterling CDO 1131/1132-2 wie stets hervorragend ausgestattet mit englisch-schwedischem Libretto und dto. Artikeln)) nachzuerleben ist. Die historischen Ereignisse um den dänischen König Waldemar IV. Atterdag und seine Invasion der schwedischen Insel Gotland, die im Juli 1361 mit der Niederschlagung des Bauernaufstandes und der Kapitulation der Stadt Visby endete, wird im Libretto des Forschers und Schriftstellers Axel Klinckowström mit fantastischen Elementen und einer Liebesgeschichte zwischen Waldemar und Ava ummantelt, der Tochter des reichen Bürgers Ung Hanse, die von Waldemar überredet wird, die Tore von Visby für die dänischen Soldaten zu öffnen. Der Ton ist im kurzen Prolog mit den Seegeistern dunkel raunend. Das Beste am Werk. Auch in der eigentlichen Oper ist in der Verwendung unendlicher Melodien und Leitmotive gelegentlich die Wagner-Nähe unverkennbar, doch nur noch als ferner Nachklang, der sich mehr und mehr verliert.

Andreas Halléns „Waldemarsskatten“: John Forsell als Valdemar Atterdag & Axel Elmblad als Abboten ich Valdemarsskatten, Königliches Theater 1899 Stockholm/ Ipernity

Auffallend ist in dem Vierakter vielmehr ein spätromantisch webender Klang, der das martialisch dröhnende ferne Mittelalter gefällig umkleidet, in den leidenschaftlichen Auseinandersetzungen selten an dramatischer Schärfe gewinnt und vor allem in den Tanz- und Feierszenen des zweiten Aktes während des Mittsommerfestes vor den Toren Visbys einen originären Klang schwedisch sommerlich schwebender Leichtigkeit annimmt. Schwedische Heiterkeit, wie wir sie auch in den schönsten Szenen von Wilhelm Stennhammars ebenfalls in dieser Reihe vorliegendem Das Fest auf Solhaug finden. Übrigens war auch Stenhammars erste Oper zuerst in Deutschland herausgekommen. Atmosphärisch dicht breitet sich im dritten Akt von Waldemars Geheimnis die Szene vor der Kathedrale in Visby mit den Mönchen und den tiefen Stimmen von Bürgermeister (Stig Tysklind), Ung Hanse (Lars Arvidsson) und Abbot Klemens (Anders Lorentzon) aus.

Dazu viel länglich rezitativische Fleißarbeit, der B. Tommy Andersson immer wieder Akzente verlieht. Waldemar Atterdag ist eine schöne Partie für einen Kavaliersbariton. Der 1969 geborene Anders Larsson brachte zum Zeitpunkt der Aufnahme erste Erfahrungen mit Mozart- und leichteren italienischen Partien mit und gestaltet mit festem Ton einen jugendlich beherzten Eroberer. Weniger profiliert und ein wenig harsch und scharf klingt Lena Hoel als Ava, deren Kerkerszene mit Gebet nahezu den ganzen vierten Akt ausmacht und kein Ende zu nehmen scheint. Die kraftvoll zupackenden Chöre sind als Meerjungfrauen, Nymphen, Mönche, Krieger und Bevölkerung von Visby stark im Einsatz, bevor die Meerjungfrauen (Christina Green, Karin Ingebäck, Martina Dike, Ingrid Tobiasson) mit „Heil“-Rufen das zurückgewonnene Gold bejubeln.  Rolf Fath

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Zum Inhalt: Die Oper Waldermarsskatten ist eine Fantasie um ein reales historisches Ereignis auf der Insel Gotland an der Ostküste Schwedens, „Der Valdemar Atterdag, der Visby 1361 als Lösegeld erpresst“. Der Ostseehandel wurde beherrscht von dem deutschen Handelsmonopol der Hanse Liga, die von 1150 bis 1650 bestand. Die Stadt Visby gehörte zu diesem Verband. Nach einer Pestepidemie in den nordischen Ländern in den den 1350er Jahren, dem so genannten „Schwarzen Tod“, an dem ein Drittel der Bevölkerung starb, wollte der dänische König Valdemar Atterdag von den reichen Kaufleuten der Hanse für eine Erneuerung ihrer Handelsprivilegien ihrer Handelsprivilegien bezahlen. Valdemar machte sich auf den Weg nach Visby Ende Juli mit etwa dreißig Schiffen nach Gotland Juli 1361. Es kam zu Gefechten, zunächst an der Küste dann an der Stadtmauer von Visby, und insgesamt sollen etwa 1800 Schweden sollen ihr Leben verloren haben, während die Dänen etwa 300 Menschen verloren. Ein unfairer Kampf, könnte man meinen, denn das dänische Heer bestand aus deutschen Söldnern bestand, während Gotland von zivilen Bauern verteidigt wurde.

Andreas Halléns „Waldemarsskatten“: John Forsell som Valdemar Atterdag 1899 Musik-och teaterbiblioteket.Helledays Samling. kabinettsportträt

Es gibt nur wenige historische Quellen über diese Ereignisse. Einer Legende zufolge sollen sich die Einwohner von Visby sich ergeben und die Stadttore für Valdemar und seine Männer geöffnet Stadttore für Valdemar und seine Männer geöffnet, die dann Reichtümern plünderten. Die wahrscheinlichste Version ist jedoch, dass die Bürger von Visby beschlossen, Valdemar Atterdag als neuer Herrscher von Visby und Gotland anzuerkennen , um das Überleben der Stadt zu sichern. Was geschah, war keine Plünderung, sondern eine sogenannte Brandschatzung (ein Brandschatzung, d. h. die Bürger zahlten eine Bürger zahlten eine hohe Summe, ein Lösegeld, um zu verhindern dass Visby geplündert und niedergebrannt wurde. Dies ist ähnlich wie die italienische Mafia, die „Pizzo“ einfordert, Patronatsgelder, mit blutigen Konsequenzen für diejenigen, die sich weigern zu zahlen.

Valdemar Atterdag unterzeichnete am 29. Juli 1361 einen Privilegienbrief, der die früheren Privilegien der Stadt bestätigte, woraufhin er und seine Soldaten Gotland verließen.

Hallén hatte den ersten Kontakt mit dem Thema mit dem Thema in einem Gedichtzyklus, Gotländska sägner, Kung Valdemars skatt (Visby, 1891) von Algot Sandberg (1865-1922), der ihn bereits im 1891 dazu veranlasste, eine Orchestersuite der Fabeln über Ung-Hanses Tochter und ihren Ung-Hanses Tochter und ihren Verrat, sowie wie König Waldemar Atterdag Visby besteuert. Diese Suite mit dem Titel Ur Valdemarssagan, mit vier Szenen aus der Geschichte (Morgonväckt i St. Nikolaus; Valdemarsdansen; Ung-Hanse’s dotter; Svarthäll), wurde einige Jahre vor Waldemarsskatten geschrieben, aber die Musik wurde teilweise in der Oper wiederverwendet.

Andreas Hallén: Wer sich für Hallén interessiert, sollte unbedingt auch diese CD haben. Seine „Gustaf Wasa Saga“ unter dem Hallén-Champion Christopher Fifield bei Sterling (CDS 1070-2) vereint diese spannende, spätromantische Tondichtung mit weiteren atmosphärischen Klangbildern.
Und im geistlichen Bereich wird der Interessierte bei Halléns interessanter „Missa Solemnis“ für kleine Besetzung am Klavier bei der Swedish Society (SCD 1178) fündig (alle über Naxos). Der in Deutschland absolut unbekannte Hallén erschein damit doch greifbarer, zumal auch Blick zu youtube weitere Informationen ermöglicht. G. H.

Eine weitere Inspiration für die Oper war das berühmte Gemälde Der Valdemar Atterdag, der Visby zu erpressen (Valdemar Atterdag brandskattar Visby) von 1881 von Carl Gustaf Hellqvist (1851- 90), das sich im Nationalmuseum in Stockholm befindet. Es war zu seiner Zeit sehr beliebt und wurde häufig reproduziert, vor allem als Schulplakat im Geschichtsunterricht verwendet. Es hat das Bild vieler Generationen von Schweden von dem Ereignis in Visby im Jahr 1361 in gleichem Maße geprägt wie sich Gustaf Cederströms (1845-1933) das Gemälde Der Trauerzug Karls XII (Karl XII:s likfärd) (1878) in das nationale Bewusstsein in das nationale Bewusstsein eingebrannt hat. Diese beiden Gemälde repräsentieren den nationalistischen Zeitgeist des späten 19. Jahrhunderts.

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Erster Akt. Die Handlung der Oper hat mehrere Ebenen als die rein historische. Der erste Akt spielt an einem Meeresufer mit Stora Karlsö im Hintergrund. Wir werden von vier Meeresbewohnern empfangen, Ägirs Töchter“ (Bylgia, Dufva, Unna, Dröfn)13, die sich beschweren, dass ihr Schatz gestohlen wurde. In der nordischen Mythologie war Ägir ein Riese, der über über das Meer herrscht. Er bläst zu einem Sturm auf. In der Oper kommt Valdemar nicht mit seinem Heer in Gotland an, sondern als einziger Überlebender nach einem Schiffbruch. Als die Töchter von Ägir herausfinden, wer er ist, erkennen sie, dass er ihre Rettung sein könnte, um ihren Schatz zu bergen. Sie haben einen Pakt mit Valdemar geschlossen. Er wird die Macht über alle drei nordischen Länder bekommen, wenn er ihnen ihren Schatz zurückholt.

Zweiter Akt. Mittsommerfest auf einem freien Platz vor dem Hofes des reichen Bürgers Ung-Hanse in der Nähe von Visby. (In der der deutschen Fassung der Oper heißt er Peder Brand.) Alle amüsieren sich und tanzen. Es wird gemunkelt, dass die Dänen Visby angreifen werden. Valdemar erscheint, als Hirte verkleidet, und nimmt an der Feier teil. Keiner weiß, wer wer er ist, aber die junge Ava (Tochter von Ung-Hanse) interessiert sich für den geheimnisvollen Fremden. Sie ahnt, dass er kein einfacher Hirte ist, denn während des Tanzes sah sie zufällig eine Ritterkette unter seinem abgetragenen Gewand. Er gibt zu dass er ein Ritter ist, aber er behauptet, er sei in Verkleidung gekommen, um eine Braut zu finden, was Ava glaubt. Valdemar begreift, dass die Lüge nicht von Dauer sein kann und dass er enttarnt werden könnte, also macht er sich an Ava heran und schafft es, sie sie zu verführen (Intermezzo für Streicher und Harfe). Danach drücken sie ihre Liebe zueinander aus im Duett „Brenn Stern, brenn“. Unvermittelt gesteht Valdemar Ava, dass er gehen muss, aber er verspricht, zurückzukommen und ihr und ihrem Volk zu helfen wenn die Stadt von den Dänen umzingelt ist. Alles Ava muss nur das Stadttor öffnen, wenn er das das Zeichen gibt.

Andreas Halléns „Waldemarsskatten“: Carl Gustaf Hellqvists Gemälde von 1875, „Valdemar Atterdag raubt Visbys Lösegeld“ 1361, prägte das Geschichtsdenken ganzer Generationen in Schweden/ Foto oben ein Ausschnitt daraus/ Stockholmer Nationalmuseum/ Wikipedia

3. Akt Der dritte Akt findet am folgenden Tag statt, am frühen Morgen auf dem Platz in Visby mit der St. Katharinenklosterkirche auf der rechten Seite. Zunächst scheint alles ruhig zu sein, aber nach einer Weile hört man in der Ferne die Trompeten der Dänen. Bewaffnete Bürger kommen aus den Häusern. Ava bricht zusammen und merkt, dass sie betrogen wurde. Als sie das Tor öffnete, wurde sie von einem Wald von Speeren und dänischen Soldaten begrüßt, die hereinstürmen. Die Bürger von Visby nennen sie bereits eine Verräterin. Unmittelbar danach erfährt sie, dass ihr Vater, Ung-Hanse, gefallen ist. Der Platz ist gefüllt mit dänischen Soldaten und schließlich Valdemar in voller Rüstung. Ava erkennt nun, wer er ist. Valdemar grüßt sie ganz frech mit „Ha! Der Schlüssel zu meiner neuen Schatulle“. Sie beschimpft ihn und verlässt den Platz. Ein Herold verliest die Forderungen: Drei leere Weinfässer sind auf dem Platz aufgestellt und müssen bis mittags mit Gold und Edelsteinen gefüllt sein, sonst wird Visby zerstört. Alle helfen, aber die Fässer werden nicht gefüllt. Das Volk verlangt, dass der Schatz der Kirche und das Kloster abtransportiert werden, um die die geforderte Summe zu sammeln. Abt Klemens erzählt uns, dass der Kirchenschatz in den Besitz des Klosters kam als Pfand für schreckliche Verbrechen eines Fischers. Er hatte den Schatz Ägir mit Hilfe aller Heiligen gewonnen, aber bevor er starb, drohte er demjenigen, der den Schatz raubte mit einem schrecklichen Fluch. Als dies klar wird, flehen sowohl die Einwohner von Visby, aber auch die Dänen, Valdemar an, den Schatz nicht zu nehmen, da sie den Fluch fürchten. Aber Valdemar weigert sich, denn er versteht nun, dass es genau dieser Schatz ist, den die Töchter von Ägir wollten, und er will ihn nicht hergeben. Abt Klemens exkommuniziert ihn.

Andreas Halléns Oper „Harold Viking“, 1912 Stockholm: Szene mit Julia Claussen som Drottning Bera, Åke Wallgren som Gudmund, Martin Oscàr som Erik, Anna Oscàr som Sigrun, David Stockman som Harald m.fl, Operan 1912/ Schwedisches Theatermuseum/ Swedisch Musical Heritage

4. Akt Im Jungfernturm, einem quadratischen Turmzimmer ohne jede Art von Dekoration. Auf beiden Seiten des Turms kann man die Stadtmauer sehen, mit Gängen, etc. Die unglückliche Ava wurde vom Rat und vom Volk wegen Hochverrats und Vatermordes dazu verurteilt, im Jungfernturm zum Sterben eingemauert zu enden. Der Bürgermeister, Abt Klemens und viele der Bürger haben sich angeschlossen. Nachdem sie eingemauert worden ist, singt sie eine lange Szene, die zum Teil ein Gebet an Gott ist und zum Teil eine Betrachtung über ihr Schicksal ist. Gegen Ende bittet sie Gott, sie zu rächen. In einer Vision sieht sie die dänischen Schiffe, die vor der Küste von Stora Karlsön bei Svarthällarna in einen Sturm geraten. Ava versteht, dass es Valdemars Schiff ist, das vom Blitz getroffen wird und in die Tiefe stürzt. Nun wandeln sich ihre Gefühle für ihn von Hass zu Mitleid und sie betet zu Gott, sein Leben zu retten. Sie hat gerade noch Zeit zu erkennen, dass Valdemar gerettet ist, bevor sie selbst leblos zu Boden sinkt. Der Sturm legt sich, und ein rosiges Leuchten strömt aus der Tiefe. Valdemar überlebt, verliert aber seine Beute an Ägirs Töchter, die so ihren Schatz zurückerhalten. Die Oper endet mit einem Chor von Ägirs Töchtern und Meeresnymphen, die sich über den wiedergefundenen Schatz freuen, aber gleichzeitig all die Sünden beklagen, all die Qualen, Tränen und Blut, die er verursacht hat./ B. Tommy Andersson, Januar 2023/ Übersetzung G. H.

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Die Inhaltsangabe entnahmen wir mit Dank dem Beiheft zur Sterling-Ausgabe der Oper. Bisherige Beiträge in unserer Serie Die vergessene Oper finden Sie hier.

Die unendliche Geschichte …

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Mit bewundernswertem Engagement setzt naïve ihre Vivaldi-Edition fort, die mittlerweile auf 70 Ausgaben angewachsen ist. Jüngste Veröffentlichung, die Serenata a tre, ist eine besondere Rarität, sind von Vivaldis acht Serenate doch nur drei erhalten. Die vorliegende Komposition wurde in einer einzigen Handschrift in Turin aufbewahrt. Es handelt sich um eine dramatische Kantate, die Vivaldi für die Hochzeit eines Freundes schrieb. Dieser französische Aristokrat heiratete 1718 eine einfache Frau aus dem Volke, doch musste dieses Liebesbündnis wegen des sozialen Unterschiedes der Eheleute heimlich und in privatem Rahmen geschlossen werden. Vermutlich erklang das Werk erstmals im Frühjahr 1719 in oder bei Venedig anlässlich einer Hochzeitsnachfeier.

Die Serenata a tre ist einer arkadischen Welt angesiedelt und vereint (gemäß dem Titel) drei Protagonisten – die Nymphe Eurilla, die sich von der Schönheit des Schäfers Alcindo bezaubern lässt, und Nice, die ihre Freundin Eurilla vor dem leichtfertigen und zynischen Mann warnt.

Vivaldis Musik ist delikat, leichtfüßig und sehr virtuos. Dem Orchester hat der Komponist farbige Klänge zugeordnet, wozu Oboen, Fagotte und Trompeten beitragen. Am Cembalo leitet Andrea Buccarella die Einspielung mit dem Abchordis Ensemble und sorgt für ein vibrierendes, kontrastreiches Klangbild.

Das Solistentrio führt die Sopranistin Marie Lys als Eurilla an, die bereits erfolgreich in der Vivaldi-Edition von naïve mitgewirkt hat. Sie beginnt die Komposition, welche keine Ouvertüre hat, mit der maßvollen Aria „Mio cor“ und bezaubert sogleich mit ihrer leuchtenden Stimme und dem innigen Ausdruck. Auch die zweite Aria des Werkes, „Con i vezzi lusinghieri“, ist ihr zugeteilt, und die Sängerin kann in dieser bewegten Nummer mit lebhaftem Vortrag wiederum reüssieren. „Se all’estivo ardor cocente“ ist dagegen ein Ruhepunkt von lieblichem Anstrich. Von Blechbläsern wird „Alla caccia  d’un core spietato“ martialisch eingeleitet und Lys kann hier vehement auftrumpfen. Kokett tupft sie „La dolce auretta“ in der Parte Seconda, während sie im letzten Solo der Komposition, „Vorresti lusingarmi“, mit schier endlosen Koloraturläufen noch einmal ein bravouröses Glanzlicht setzen kann.

Die Mezzosopranistin Sophie Rennert gibt die Nice und mit dem lebhaften „Digli che miro almeno“ einen überzeugenden Einstand. Die Stimme ist obertonreich und kultiviert. Am Ende der Parte Prima kann sie bei „Ad inflammar quel seno“, das von einem virtuosen Violinsolo begleitet wird, mit langen Koloraturgirlanden brillieren. Energischen Anstrich hat das „Di Cocito nell’orrido regno“ in der Parte Seconda, im Mittelteil aber einen betörend lyrischen Einschub, und die Sängerin kann hier überzeugend ihre Vielseitigkeit demonstrieren.

Der Tenor Anicio Zorzi Giustiniani komplettiert die Besetzung als Alcindo. Sein Auftritt „Mi sento in petto“ ist von buffoneskem Duktus, die folgende Aria „Nel suo carcere ristretto“ dagegen von stürmischer Art. Kontrastreich auch seine Soli in der Parte Seconda – dem wiegenden „Acque placide“ folgt ein energisches „Dell’alma superba“.

Die Einspielung entstand im Juni 2022 in Riehen/Schweiz und wurde auf einer CD veröffentlicht (OP 7901). Bernd Hoppe

Frei nach Fontane

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Vor dem Tangermünder Rathaus steht seit den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts eine Statue: eine junge Frau in Fesseln, die mit gebeugtem Haupt ihrem  Ende auf dem Scheiterhaufen entgegen schreitet. Es ist eine Art Wiedergutmachung an Grete Minde, die zu Unrecht der Brandstiftung beschuldigt, schrecklich gefoltert und hingerichtet wurde. Das geschah im Jahre 1617, also ein Jahr vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, der ganz Deutschland in Schutt und Asche legen und seine Bevölkerung dezimieren sollte. In dieser Zeit lag die der Blüte der Stadt bereits zweieinhalb Jahrhunderte zurück, denn im 14. Jahrhundert hatte Kaiser Karl IV.  erwogen, sie zu seiner Hauptresidenz zu erheben, entschied sich dann aber doch für Prag. Immerhin spielte Tangermünde innerhalb des Kurfürstentums Brandenburg noch eine bedeutende Rolle, wovon der Besuch des Fürsten in Theodor Fontanes Novelle Grete Minde Zeugnis ablegt. Der Schriftsteller musste davon ausgehen, dass Grete Minde schuldig war, erst spätere Untersuchungen brachten die Wahrheit ans Licht, aber trotzdem ist sie eine Romanheldin, denn ihr Handeln wird  als nachvollziehbar dargestellt, so wie auch Kleist seinen Michael Kohlhaas als zunächst Unschuldigen schuldig werden lässt.

Als Tochter des Kaufmanns Minde und seiner zweiten, aus Spanien stammenden und damit katholischen Frau wird Grete nach dem Tod ihres Vaters vom Stiefbruder und dessen Frau so lange schikaniert, bis sie mit dem ihr ergebenen Vantin flieht, sich mit ihm einer Schauspielertruppe anschließt, nach wenigen Jahren ihren nun Ehemann durch eine Krankheit verliert und nach Tangermünde zurückkehrt, um zunächst für sich und ihr Kind um Aufnahme im Elternhaus zu bitten. Als ihr diese verweigert wird, verlangt sie ihr Erbe, das ihr verwehrt wird, da ihr Stiefbruder vor der Ratsversammlung einen Meineid schwört. Danach setzt Grete die Tangermünder Stephanskirche in Brand, in dem sie selbst mit ihrem Kind und dem ihres Stiefbruders umkommt.

Dieser Stoff interessierte den Berliner Kaufmann Eugen Engel, der neben seinem Beruf komponierte und den die Arbeit zu dieser seiner einzigen Oper über Jahrzehnte hinweg beschäftigte. Der Librettist ist Hans Bodenstedt, der auch das Buch für Franz von Suppés Leichte Kavallerie schrieb, eine Übersetzung von Offenbachs Orpheus in der Unterwelt  und  der den zu seiner Zeit höchst populären Funkheinzelmann zu verantworten hat. Schlimmer ist, dass er auch Herausgeber mehrerer streng nationalsozialistischer Printerzeugnisse war, aber da hatte Hitler längst die Macht ergriffen und der Jude Eugen Engel hatte jede Hoffnung verloren, sein Werk in Deutschland aufgeführt zu sehen. Auch Bittschreiben an mehrere Dirigenten, darunter an Bruno Walter, führten zu keinem Erfolg, Engel emigrierte im Januar 1939 zu seiner Tochter Eva in die Niederlande, bemühte sich nach dem Einmarsch der deutschen Truppen um eine Einreise in die USA oder nach Kuba, wurde jedoch verhaftet und starb im März 1943 im Gas. Seine Tochter hatte in ihrem Gepäck einen Koffer ihres Vaters, den jedoch erst die Enkel öffneten und darin unter anderem die Partitur und einen Klavierauszug von Grete Minde fanden. Als in der Berliner Charlottenstraße, dem letzten Wohnsitz des Komponisten vor seiner Ausreise, Stolpersteine im Andenken an die Familie Engel verlegt wurden, kam die Partitur nach Deutschland zurück, und die Oper wurde endlich im Jahre 2022, fast 90 Jahre nach ihrer Vollendung und 80 Jahre nach dem Tod ihres Schöpfers, in Magdeburg uraufgeführt. Sie wurde vom Deutschlandfunk Kultur übertragen, und es gibt nun eine Doppel-CD vom Label Orfeo (dazu auch Die vergessene Oper 172 hier bei oprralounge.de)

Eigentlich ist Theodor Fontane in seiner gallisch-preußischen, eher unter- als übertreibenden Nüchternheit kein Opernstofflieferant. Daran ändert auch nichts, dass es zum Fontanejahr mit Effi Briest und Oceane zwei Vertonungen gab. Der eher holzschnittartige Chronikstil der Grete Minde scheint sich eher einer Vertonung, gar zu einer Oper, zu widersetzen, als diese zu befördern.

Vergleicht man Novelle und Libretto miteinander, so fällt auf, dass die Szenen zwischen Grete und Vantin in der Oper sehr knapp gehalten sind, dass vieles wegfällt zugunsten von Volksszenen und solchen der Schauspielertruppe für den Chor . Glaubt man der Oper, dann verlassen Grete und Vantin als 13- bzw. 14jährige nach dem ersten Streit mit Trud, der Schwägerin Gretes, die Stadt, während bei Fontane Jahre vergehen, ehe dies geschieht. Die aufschlussreichen Szenen im Forst, in dem sich die Beiden verlaufen, die Floßfahrt, die die erste Etappe der Flucht bildet, kommen nicht mehr vor, der Besuch Gretes im Nonnenkloster in Arendsee entfällt ebenso wie ihr Auftreten vor der Bürgerschaft. Die feinsinnigen Schilderungen der  Vertreter der einzelnen Religionsgruppen sind so gut wie vollständig unterschlagen worden, dafür gibt es eine durchaus verzichtbare Auseinandersetzung zwischen der Trud und ihrem Ehemann. Manches ist ohne ersichtlichen Grund verändert, so wenn Grete nun nicht mehr ihren Neffen mit auf den Kirchturm nimmt, sondern das Haus seiner Eltern in Brand setzt und ihn darin umkommen lässt. Die meisten Änderungen sind nicht den besonderen Bedürfnissen eines Musikdramas geschuldet, sondern scheinen reine Willkür zu sein. Im Vergleich der zum Glück zahlreichen wörtlichen Zitate aus Fontane mit dem von Bodenstedt stammenden Text stellt man fest, dass es eine starke Diskrepanz des Fontane-Textes zur streckenweise auftretenden Schwülstigkeit  des Librettisten gibt. Ebenfalls, aber hier gerechtfertigt, stehen einander liedhafte Schlichtheit und spätromantischer Klangrausch in der Partitur gegenüber. Am Schluss wird man mit der Wendung von der klanggewaltigen Untergangsmusik zur Verklärung in lichtem Dur an die Götterdämmerung erinnert.

Dirigentin Anna Skryleva leistet mit der Magdeburgischen Philharmonie Erstaunliches und wird volksliedhafter Schlichtheit wie überbordendem Klangrausch gleichermaßen gerecht. Der Opernchor des Theaters Magdeburg überzeugt im derben Trinklied ebenso wie im Schreckensszenario des Brandes oder in der turbulenten Vorfreude auf die Puppenspieler.

Ein Glücksfall, auch optisch, wie die Fotos beweisen, ist die Besetzung der Titelpartie mit Raffaella Linti, mit frischem, mädchenhaftem Sopran, der auch dem dramatischen „in Ekstase“ standhält, schön aufblüht in „frei“ und der den innig schlichten Volksliedton einschließlich den des Wiegenlieds genau trifft und auch in der „Schlussansprache“ nie schrill wird. In ihrer Rolle als Engel bei den Komödianten klingt die Stimme wie ein filigranes Gespinst. Angemessen schärfer ist er Ton der Trud von Kristi Anna Isene, weicher und wärmer klingt die Emrentz von Jadwiga Postrozna, zart bis schrill die Zenobia von Na’ama Shutman, keine 95 Jahre in der Stimme lässt Karina Repova als Domina vernehmen.

Mit textverständlicher Emphase geht Zoltan Nyani den Valtin an, dessen Tenor recht eng und scharf klingt. Gut tragend und durchdringend ist der Tenor von Benjamin Lee, der als Hanswurst  viel zu singen hat und dessen Parlando fein akzentuiert ist. Markant klingt der Puppenspieler von Johannes Wollrab, ebenso und dazu noch warmherzig der Gigas von Paul Skeltris, dessen Begegnung mit Grete und Trud in der Oper viel zu kurz kommt. So ergeht es auch dem Bürgermeister Guntz von Johannes Stermann, dessen Bass man nur in einem kurzen Auftritt hören kann. Abgründig tief ist die Stimme von Frank Heinrich, der den Wirt singt.         

Die Oper Grete Minde von Eugen Engel hört man sich mit Interesse und Sympathie an, die Novelle von Theodor Fontane muss man einfach lieben (Orfeo 2 CD  260352). Ingrid Wanja

Kathryn Harries

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Die Sopranistin Kathryn Harries (geb. am 15. Februar 1951) starb am 30. Mai 2023 im Alter von 72 Jahren. Kathryn war von 2008-2017 Direktorin des National Opera Studio und hat in dieser Zeit den Weg vieler junger NOS-Künstler geprägt. Auf ihrer website findet sich eine bemerkenswerte Autobiographie, die wir in Auszügen in unserer eigenen Übersetzung hier wiedergeben.

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Meine Eltern stammen aus Pembrokeshire in Westwales, und ich wurde 1951 am 15. Februar in Hampton Court, Middlesex, geboren. Gott sei Dank habe ich den Valentinstag um eine Viertelstunde verpasst, und dass ich an einem Donnerstag geboren wurde, war wohl prophetisch. Ein Donnerstagskind hat einen weiten Weg vor sich, und ich habe sicherlich eine verdammt lange Strecke zurückgelegt, in die eine wie in die andere Richtung.

Ich hatte das Glück, mit elf Jahren ein Stipendium für die Surbiton High School zu erhalten und eine großartige Ausbildung zu genießen, deren Höhepunkt das Studium bei Elizabeth Ashton war – einer der begabtesten Musiklehrerinnen meines Lebens.

Sie war es, die es mir ermöglichte, in nur vier Semestern ein A auf A-Level in Musik zu bekommen, und sie war es auch, die mich 1968 als Junior an der Royal Academy of Music unterbrachte.

Dort studierte ich dann als Senior: Gesang bei der großartigen Constance Shacklock; Klavier bei Mildred Litherland (die mich immer an Edward G. Robinson erinnerte); Harmonielehre bei Eric Fenby, der viel über Delius zu sagen hatte; und eine Vielzahl von Professoren, gute, schlechte und gelegentlich hässliche, mit denen ich für die GRSM und BMus arbeitete.

Nach meinem Abschluss unterrichtete ich mehrere Straßen mit Kleinkindern am Klavier, unterrichtete Gesang und Klavier am damaligen Kingston Polytechnic und bekam 1977 den Job als Moderatorin der preisgekrönten BBC-Sendung Music Time.

Seit meiner Studienzeit sang ich professionell in Konzerten, Liederabenden und Oratorien, hatte aber nie Erfahrung mit der Schauspielerei – ich durfte während meiner Zeit an der Akademie nicht in der Opernklasse mitmachen, weil ich nicht genug Zeit dafür aufbringen konnte! Wie sich am Ende herausstellte, war das ziemlich lustig.

Ich liebte es, beim Fernsehen zu arbeiten; am Anfang war es ziemlich beängstigend, und am Ende des ersten Aufnahmetages im Frühjahr 1977 hatte ich vor lauter Nervosität Kopfschmerzen monumentalen Ausmaßes.

1983 wurde ich von der renommierten Londoner Agentur Ingpen and Williams engagiert und begann meine Opernkarriere. Meine erste Anstellung verdanke ich Sir Richard Armstrong und Sir Brian McMaster, die mich als Blumenmädchen in Parsifal am WNO engagierten. Hätte Richard mir jedoch nicht die Rolle der Leonore in Beethovens Fidelio angeboten, würde ich jetzt nicht diesen Text schreiben.

Ich hatte immer gedacht, dass Oper grässlich ist. Wahrhaftig und furchtbar grässlich. Ich zog Film, Fernsehen und Theater vor, und nachdem ich einige Jahre beim Fernsehen gearbeitet hatte, fand ich in der Rolle des Blumenmädchens nur wenig Erfüllung.

Bei Leonore war das anders. Auf eine Weise, die mir im Laufe meiner Karriere schrecklich vertraut werden sollte, wurde ich ins kalte Wasser geworfen. Mein fünfter Opernauftritt überhaupt war die Leonore in Liverpool im März 1983, und ich fühlte mich, als hätte ich es mein ganzes Leben lang getan. Ich hatte zehn Probentage, und Richard organisierte freundlicherweise, dass ich mit dem Orchester singen sollte, um den Dreh raus zu bekommen.

Anne Evans, die eine meiner besten Freundinnen wurde, setzte sich mit mir und meinen beiden Babys vor ihren Fernseher in Acton und erklärte mir, wie ich die Rolle in dieser außergewöhnlichen WNO-Produktion angehen sollte. Toria und Will können sich nicht mehr daran erinnern, aber glücklicherweise hat sich Anne dreiundzwanzig Jahre später vollständig erholt.

Ich werde mich nicht mit all den Jahren aufhalten, die auf meine Anfänge in der Oper folgten. Ich habe eine Liste der Rollen und der Orte, an denen ich gesungen habe, an anderer Stelle auf diese Website gestellt, falls Sie die außergewöhnliche Vielfalt der Rollen, die ich gesungen habe, bewundern möchten.

Kathryn Harries als Hérodiade (hier mit Eric -Martin Bonnet) in St. Etienne 1996/ Théatre Massenet de St. Etienne

Wenn man mich fragt, warum ich diese oder jene Rolle gesungen habe – und es gibt definitiv einige, die ich nicht hätte singen sollen -, dann muss die Antwort lauten, dass ich dachte, ich könnte es, und dass ich eine Hypothek zu bezahlen, Kinder zu ernähren und zu erziehen und ein verfallenes Haus nach dem anderen zu renovieren hatte!

Ich hatte viel Spaß und viel Elend; es ist schrecklich, von seinen Kindern getrennt zu sein, aber gleichzeitig ist es wirklich schön, etwas Schlaf zu bekommen. Und Toria und Will waren nie krank, während ich weg war. Sie haben immer darauf gewartet, dass ich nach Hause komme.

Heuschnupfen und Bronchitis sind der Fluch meines Lebens, und es ist unglaublich anstrengend, nicht zu wissen, was die Stimme macht, weil man gegen Gräser, Bäume und Blumen allergisch ist. Aber das ist ein Klacks im Vergleich zu dem, womit viele Menschen zu kämpfen haben. Trotz der Probleme ist es etwas ganz Besonderes und ein echtes Privileg, mit den besten Musikern der Welt in den größten Opernhäusern zu arbeiten und dabei Erfolg zu haben.

Vor dreißig Jahren habe ich mich mit einer ganz besonderen Gruppe von Menschen zusammengetan, die zu meinen besten Freunden geworden sind. Durch ihren Einfluss begann ich, Geld für eine Vielzahl von Wohltätigkeitsorganisationen zu sammeln. Meine Weihnachtskonzerte mit meinem Ladies Choir, meine anderen Wohltätigkeitskonzerte und meine Wanderung von John O’Groats nach Land’s End für Speakability im Jahr 2001 haben rund 700.000 Pfund eingebracht. Viele meiner Freunde singen, spielen, lesen und präsentieren Jahr für Jahr für mich, wofür ich ihnen von ganzem Herzen danke. Wir hatten in den letzten drei Jahrzehnten eine Menge Spaß und erwarten, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft mit Hilfe von Designer-Zimmerrahmen auftreten werden!

Wie jeder in meinem Alter habe auch ich Höhen und Tiefen erlebt, und das gilt nicht nur für meinen Stimmumfang.

Ich bin glücklich geschieden, ledig und lebe in einem schokoladenfarbenen Cottage in den wunderschönen Surrey Hills. Ich habe immer noch meine lebenslange Leidenschaft für Pferde, aber ich habe nicht vor, mir in nächster Zeit ein eigenes Pferd zuzulegen. Das Beste ist, dass ich meine Kinder habe, dass ich große Rollen so singe, dass sie die Menschen wirklich berühren, und dass ich die beste Familie, die besten Freunde und Kollegen habe, die man sich nur wünschen kann.

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Kathryn Harries war international für die außergewöhnliche Breite ihres Repertoires ihres Repertoires und für die dramatische Intensität ihrer Darbietungen. Sie studierte Gesang und Klavier an der Royal Academy of Music bei Constance Shacklock Shacklock und Flora N ielsen. Nachdem sie die Royal Academy verlassen hatte, verbrachte Kathryn Harries einige Jahre Jahre lang zwischen der Moderation der preisgekrönten Fernsehserie Music Time‘ (von der sie über 60 Sendungen auf über 60 Sendungen und eine dazugehörige LP) und einer sich entwickelnden Konzertkarriere. Sie gab ihr Debüt in der Royal Festival Hall 1977 in der Royal Festival Hall und ist seither Repertoire gefragt, das von Monteverdi Repertoire, das von Monteverdi bis zum 20. Jahrhundert. Kathryn Harries 1983 ihr Operndebüt als Leonore (Fidelio) für die Welsh National Opera. Opernaufführungen Opern-Engagements in Großbritannien seither unter anderem als Gutrune (Götterdämmerung) und Protagonista (Un Re in Ascolto) am Covent Garden; Sieglinde (Die Walküre), Gutrune, Adalgisa (Norma),und Komponist (Ariadne auf Naxos) für die Welsh National Opera; Irene (Rienzi), Katya Kabanova, Donna Anna (Der steinerne Gast), Leonore, Kundry (Parsifal), A Lady (von Morgen bis Mitternacht von David Sawer), Valerie von Kant (Die bitteren Tränen der Petra von Kant von Gerald Barry), alle für die English National Opera, Dido (Die Trojaner), Senta (Der Fliegende Holländer), Leonore, Judith (Duke Bluebeard’s Castle), Emilia Marty (Der Fall Makropulos), Hedda Gabler, Brangäne (Tristan und Isolde) und Kabanicha (Katya Kabanova) für die Scottish Opera, Donna Elvira (Don Giovanni) für die Opera North, Gräfin Geschwitz (Lulu) und Clairon(Capriccio )in Glyndebourne.

Kathryn Harries als Protagonista in Luciano Berio’s „Un re in ascolto“ [„A King in ascolta“/Holland Festival 1991/Harries website

Kathryn Harries gab ein sensationelles US-Debüt im Jahr 1986 als Kundry unter James Levine an der Metropolitan Opera New York, und ist seitdem als Gutrune (ebenfalls unter James Levine) und Clairon (Capriccio) zurückgekehrt. Für die Lyric Opera of Chicago sang sie die Marie (Wozzeck), Protagonista, Kostelnicka (Jenufa) und zuletzt die Weltpremiere der Uraufführung von Bolcoms A Wedding. In San Francisco hat sie Kostelnicka gesungen.

Sie war regelmäßig in Frankreich zu Gast, wo zu ihren zahlreichen Engagements gehören Dido in den ersten vollständigen Aufführungen Aufführungen von Les Troyens in Frankreich beim Berlioz Festival in Lyon, Carmen auf dem Orange Festival in Orange, Sieglinde in Paris und Nizza, Protagonista, Carmen, Kundry und Begbick (Mahagonny) und Mère Marie (Les Dialogues des Carmelites) an der Bastille in Paris, Giulietta (Hoffman) im Châtelet, die Titelrolle in der Herodiade in Lüttich, sowie Kabanicha und Kostelnicka in Lyon. Für die Niederländischen Oper in Amsterdam trat sie als Senta, Mere Marie, Kostelnicka, in der Titelrolle von Arianne et Barbe-Blue, und in Marco Polo (von Claude Vivier). In Brüssel hat sie hat sie große Erfolge als Carmen und Dido (Les Troyens).

Für die Genfer Oper sang sie die Gertrude (Hamlet). Engagements in Deutschland und Österreich Engagements, darunter Donna Elvira, die Titel Titelrolle in Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk und Nonos Intolleranza für die Oper Stuttgart, Madame Croissy (Les Dialogues des Carmelites) für die Hamburgische Staatsoper und konzertante Aufführungen von Der Fliegende Holländer in Linz und Bamberg. In Israel sang sie die Santuzza (Cavalleria Rusticana) und Carmen für die New Tel Aviv Oper. Bei den Salzburger Osterfestspielen Festspielen und in Berlin sang sie Mrs Sedley/Peter Grimes mit Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern, und hatte einen großen Erfolg als Kostelnicka beim Glyndebourne Festival 2004 Festspielen.

Zu ihren jüngsten Engagements gehörten Mahler’s Kindertotenlieder, Konzerte Konzerte mit der English Northern Philharmonia, eine Aufnahme von Brahms-Liedern für BBC Radio 3, Der Neue Orpheus im dem BBC Symphony Orchestra Weill Wochenende im Barbican, und Begbick (Mahagonny) bei den BBC Proms, in Bremen und Luzern mit dem BBC Philharmonic Philharmonie. Quelle: Kathryn Harris website

Mehr als eine Chronik

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Ein durch und durch seriöses, allein den Fakten verpflichtetes Buch ist Teresa Hrdlickas Das kaiserliche Sommertheater in Bad Ischl mit dem Untertitel Operette und Oper unter Kaiser Franz Joseph I., auch wenn Kaiser und Ischl in manchem Leser die Assoziation Kaiser und Katharina Schratt wach rufen mag. Es ist zugleich ein Buch, dass sich auch Beschränkungen anderer Art auferlegt, denn nicht nur die Musik, sondern auch das Sprechtheater, vertreten allerdings vorwiegend durch die Posse, diente der Unterhaltung der Kurgäste. Heute ist in Ischl die Operette zu Hause mit einem alljährlichen Festival, das für 2023 bereits Madame Pompadour, Der Vogelhändler und Schön ist die Welt angekündigt hat und damit der Operette und nur ihr treu blieb, während das andere den Österreichern zu verdankende Operettenfestival in Triest neben einer Principessa della Czarda auch ein Phantom der Oper anbietet.

Wie der Untertitel kundtut, endet das Buch mit dem Tod des Kaisers 1916 mitten im Ersten Weltkrieg, nachdem 1914 die Ermordung des Kronprinzen und seiner Frau nur eine dreitätige Unterbrechung der Lustbarkeiten verursacht hatte. Davor hatte der Kaiser, beginnend mit 1849, 66 Mal Ischl und die dortigen Aufführungen besucht. Im Jahre 1945 dann, das mag sie nicht unerwähnt lassen, war der Großvater der Verfasserin der älteste Kurgast in Ischl.

Das Buch ist nach den Direktoren des Festivals in neun Kapitel gegliedert, gewährt einen interessanten Einblick in die Entwicklung des Theaterwesens generell, wobei geschildert wird, wie in den ersten Saisons die Intendanten noch mit ihrem Vermögen für den Erfolg der jeweiligen Spielzeit garantieren  und eine Kaution hinterlegen mussten, dass häufig die Verbindung zu einem Wiener Theater bestand, dessen Produktionen im Sommer nach Ischl wanderten und dass bereits 1823 eine Wandertruppe für die Unterhaltung der Sommergäste gesorgt hatte.

Die Quellen für das informationsreiche Buch sind Kritiken der damaligen Presseorgane, Theaterzettel, Programmhefte, Auszüge aus Biographien und vieles anderes mehr. Ein Plakat zeigt in riesigen Lettern die Namen von Kaiser und Kaiserin, die erwartet werden, sehr viel kleiner den  Titel Ernani und winzig klein den Namen des Komponisten Josef Verdy (!). Beeindruckend ist nicht nur die Zahl der Künstler, die im Verlauf der Jahrzehnte in Ischl auftraten, sondern auch die Tatsache, dass die Bevölkerung von Ischl sich ein im Stil eines griechischen Tempels gehaltenes Theater mit vier Rängen und 600 Plätzen leistete. Oft noch prominenter als die Künstler waren die Sommergäste, zu denen 1848 Meyerbeer gehörte, Schnitzler mit seiner skandalbereiten Geliebten Adele Sandrock, Brahms, Wolf, Nikisch und viele, viele andere, darunter natürlich auch die Komponisten, die jeweils aufgeführt wurden und zum Teil ihre Werke selbst dirigierten.

In chronologischer Reihenfolge marschieren die Intendanten auf: Während der Direktion Kosky muss dieser auch mal den Kassierer oder Souffleur machen, der Direktion Jenke ist die Gasbeleuchtung zu verdanken, damals dominiert Offenbach die Operettenbühne, nach dem Börsenkrach von 1873 gibt Jenke auf. Während der Direktion Müller weilen Brahms und Clara Schumann in Ischl, wird Boccaccio zum ersten Mal aufgeführt. Die Direktion Dorn verbindet Linz und Ischl miteinander, führt die elektrische Beleuchtung ein und wagt sich trotz des verheerenden Brandes mit Hunderten von Toten in der Wiener Staatsoper an den anspruchsvollen Hoffmann. Zweimal leitet Ignaz Wild das Sommertheater von Ischl. Er ist Theateragent und kann sich über den Erfolg von Eine Nacht in Venedig, Gasparone und Zigeunerbaron freuen, der sogar vor Wien in Ischl gezeigt wird. Als eine Erzherzogin heiratet, spielt Bruckner die Orgel, die Verfasserin ist so diskret wie die damalige Presse, was „die teure Freundin Kaiser Franz Josephs“ angeht, und der Leser freut sich darüber, dass offensichtlich eine tiefe Freundschaft zwischen den Angehörigen beider Geschlechter möglich war, die sogar von der Gattin Kaiserin Elisabeth gefördert wurde. Interessiert nimmt er zur Kenntnis, dass die Stimmung des Orchesters einen halben Ton höher war als die in Wien und so manchen Sänger in Verlegenheit brachte und dass die Solisten, soweit nicht auf der Bühne, aus den Kulissen heraus den Chor mit seinen sechzehn Mitgliedern unterstützen mussten.

Die vielen Kritiken aus der jeweils abgehandelten Zeit sind auch insofern wertvoll für den Historiker, als sie Auskunft über die damalige Sicht auf künstlerische Leistungen geben.  „Die Regie des Herrn Friese war nicht immer eine glückliche zu nennen“, klingt allerdings gar nicht so altertümlich. Bei Sängern genügt oft ein „reizend“, „gefällig“ oder „vorzüglich“ ohne nähere Begutachtung.

Auch vor 125 Jahren gab es schon Hochwasser und eine Benefizveranstaltung für die Opfer, und was heute Kaufmann und Netrebko sind, waren damals Mizzi Günther und Louis Treumann, wobei auffällt, dass ungewöhnlich viele Sängerinnen und nicht nur die Soubretten putzige Namen trugen.

Nach der Goldenen Ära mit Johann Strauß kommt auch in Ischl die Silberne mit Lehar, Kálmán, Fall und Oscar Straus, kommen die Direktionen Door und Door-Müller sowie ein Skandal, der Adele Sandrock als Marguerite heißt, während eine bereits angesetzte Carmen mit ihr gerade noch verhindert werden kann. Lilli Lehmann als Traviata ist da willkommener.

Ischl wird offiziell „Bad“, Die lustige Witwe erobert auch das Kurbad, aber noch erfolgreicher ist hier Straus`Ein Walzertraum. Unter der Direktion Erich Müller genießt man in Ischl ein Wagner-Konzert, Maria Jeritza ist Dauergast und dann steht zum Stirnrunzeln animierend über eine Gruppe: „1937 verlieren sich die Spuren…..“ , wird aber festgestellt, dass ein großer Teil des Publikums aus Angehörigen des jüdischen Großbürgertums bestand . Lange vor dessen Vertreibung verfasst Kaiser Franz Joseph noch in Ischl das Manifest „An meine Völker“, und der Krieg und als seine Folge die Auflösung des Vielvölkerstaats sind nicht mehr fern. Aber bereits 1917 hat man kein Geld und 1918 gibt es nur Sprechtheater. Im „Ausklang“ wird er Leser noch über das Schicksal der in Ischl vertretenen Komponisten unterrichtet.

Das ist so kenntnisreich, so sachlich, dabei so interessant geschrieben, dass man sich von der Verfasserin noch eine Fortsetzung der Geschichte der Operette in Ischl bis zum heutigen Tag wünscht.

Im Anhang finden sich: Chronik der Direktionen, Besetzungen erster Rollen in Operette und Oper, Chronik der Operetten-Erstaufführungen, Bildnachweis und Quellen- und Literaturnachweis (Teresa Hrdlicka: Das kaiserliche Sommertheater in Bad Ischl – Operette und Oper unter Kaiser Franz Joseph I; 186 Seiten  LIT Verlag; Wien 2022; ISBN 978 3 643 51122 5). Ingrid Wanja

Technisch eindrucksvoll

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Seit langem den Opernfreunden bekannt ist das niederländische Label Pentatone und zwar beginnend mit dessen Aufzeichnung des konzertanten Ring in der Berliner Philharmonie unter der Stabführung von Marek Janowski. Aber auch die Krönungsfeierlichkeiten des holländischen Königs Willem Alexander fanden die Aufmerksamkeit des Labels, das inzwischen zur großen NaxosFamilie gehört und das 2022 in Dresden eine Studioaufnahme, wie von ihm gewohnt im Multi-Channel-Verfahren, von Giuseppe Verdis La Traviata mitten in der Corona-Krise wagte.

Ans Dirigentenpult hatte man mit Daniel Oren einen wenn auch ganz speziell und in jedem Jahr seit nunmehr Jahrzehnten unverzichtbar in der Arena di Verona wirkenden Dirigenten gerufen, der sich voller Elan mit rasanten bis frenetisch wirkenden Tempi in das Fest bei Violetta stürzt und auch bei dem von Flora alles andere als zimperlich ist, der aber auch ein kompetenter und rücksichtsvoller Sängerbegleiter ist und der aus der Dresdner Philharmonie sehr viel Italianità heraus zu kitzeln weiß. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden ist natürlich erfahren genug, den Orchestermitgliedern darin keineswegs nachzustehen.

An vielen großen Opernhäusern hat inzwischen Lisette Oropesa die Violetta gesungen, und sie verfügt durchaus über die drei unterschiedlichen Stimmen, die die Partie verlangt. Das Timbre ist apart, und in ihrer großen Szene im ersten Akt weiß die Sängerin angemessen zu wechseln zwischen fein Hingetupftem und hektisch Rasantem, Im È strano hat sie für l’amor einen sehr schönen Schwellton und generell ein feines Legato, dem allerdings stellenweise die Konsonanten geopfert werden. Genüsslich reizt sie die Extreme aus, lässt duftige Leichtigkeit mit frenetischem Aplomb in der Cabaletta einander abwechseln, erfreut den Hörer mit einer  reichen Agogik und kostet die sicher erreichte Extremhöhe genüsslich aus. Wie schwebend klingt im zweiten Akt das Dite alla giovine, auffallend generös wird im Morrò phrasiert und im Amami, Alfredo ein reiches Farbspektrum ausgebreitet. Ihre Klage im zweiten Bild des zweiten Akts zeichnet sich durch weitgespannte Bögen aus. Im dritten Akt vermeint man streckenweise Veristisches zu vernehmen, aber  ganz zart ist das Addio del passato mit einem schön ersterbenden Schlusston. Etwas unausgeglichen klingt das Parigi, o cara, was aber auch der Tenor zu verantworten hat, Prendi: quest’ è l‘immagine ist angemessen dumpf verhangen, der Schluss hoch dramatisch. Insgesamt ein überzeugendes Rollenportrait, das Lust darauf macht, diese Violetta auch auf der Bühne zu erleben.

Überhäuft mit Preisen wurde seiner Vita zufolge der amerikanische Tenor mit kubanischen Wurzeln René Barbera, dessen Stimmfarben ihn für Donizetti und Co. prädestinieren. Er verfügt über ein apartes Timbre, das zu dem seiner Partnerin passt, klingt allerdings etwas flach im Duett im ersten Akt, und die Stimme verliert an Farbe, wenn sie ins Piano wechselt. Immerhin weiß er sein Croce e delizia effektvoll zu singen, fällt in der Arie im zweiten Akt durch eine recht unruhige Stimmführung auf und hat in der tiefen Lage angenehm viel Substanz. Er singt beide Strophen der Cabaletta, wie später auch sein Vater, und auf dem sicher erreichten Spitzenton ruht er sich so genüsslich wie effektvoll aus. Im Forte wird die Stimme eher scharf als voluminös. Seine Leistung lässt nicht jubeln, aber auch nicht verzweifeln.

Eine gewaltige Baritonstimme, die allerdings durch ein eher dumpfes, gaumig klingendes Timbre irritiert, setzt Lester Lynch für den Giorgio Germont ein, und die italienische Diktion ist nicht perfekt. Pura siccome un angelo singt der Amerikaner in gut beherrschter mezza voce, er hält sich genau an die Anweisungen des Komponisten, was ihm hoch anzurechnen, weil nicht selbstverständlich ist. La provenza klingt empfindsam verhangen, die schwierige Cabaletta und sein Auftritt in der zweiten Szene des zweiten Akts haben die notwendige vokale Autorität, für die zweite Strophe der Cabaletta findet die Stimme feine Variationen.  Eine scharfzüngige Flora ist Ilseyar Khayrullova, eine sanfte Annina Menna Cazel und ein milder Grenvil Alexander Köpeczy. Ein in das Werk einführender Artikel und ein dreisprachiges Libretto erleichtern den Einstieg in die Oper (PIC 5186 956). Ingrid Wanja