Bewährte Interpreten

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Aus dem Wunsch des endlich anerkannten Komponisten, einen ähnlichen Erfolg wie den des Nabucco zu erzielen, und dem Verlangen des Publikums nach einer weiteren Oper, mit der man sich wie mit dem Drama um die geknechteten Hebräer identifizieren könne, ist die Oper I Lombardi alla prima crociata entstanden und erfuhr einen ähnlich starken Zuspruch wie ihre Vorgängerin. Es war nicht Va pensiero, der nach der Einigung Italiens zur vorübergehenden Nationalhymne wurde, sondern O Signore, dal tetto natio aus den Lombardi übte vorübergehend diese Funktion aus.

Noch vor Nabucco wurden die Lombardi in den USA 1847 aufgeführt, bereits 1845 in vielen europäischen Städten von Odessa bis Berlin, und 1847 erlebte das Werk in französischer Sprache, erweitert und mit dem obligatorischen Ballett versehen als Jérusalem in Paris eine umjubelte Aufführung. Diese Fassung wurde ins Italienische zurückübersetzt und hatte unter dem Titel Gerusalemme als Scala-Eröffnung 1850 ihre Erstaufführung.

Im Frühjahr 2023 wurde die Erstfassung konzertant in München mit dem Münchner Rundfunkorchester unter dem Verdi-erfahrenen Dirigenten Ivan Repušić aufgeführt und aufgezeichnet, nachdem es in den vergangenen Jahren bereits andere frühe Werke Verdis in gleicher Besetzung mit Luisa Miller, I due Foscari und Attila, allesamt von BR Klassik zu verantworten, gegeben hatte. Das ansonsten informationsreiche Booklet geht streng mit der Oper um, da sie einen Angriffskrieg verherrliche, übersieht dabei, dass es sich beim ersten Kreuzzug um das Bemühen handelte, den christlichen Pilgern die Wallfahrt nach Jerusalem wieder möglich zu machen, die durch die Eroberungen der türkischen Seldschuken unmöglich geworden war, und dass sich Gottfried von Bouillon weigerte, sich zum König von Jerusalem krönen zu lassen.

Die Erfahrung mit dieser Musik merkt man nicht nur dem Orchester, sondern auch dem Chor des Bayerischen Rundfunks an, was gut ist, denn wie Nabucco sind die Lombardi eine Choroper mit vielfältigen Aufgaben für den Klangkörper, seien es die bösen Verschwörer um den Vatermörder Pagano, die frommen Nonnen in Mailand, die Kreuzfahrer in Not oder Jubel, die Haremsdamen, Pilger und Pilgerinnen in wechselnder Verfassung.

Auch die Solisten-Besetzung ist wie bei den vergangenen Aufnahmen, die Marina Rebeka, Leo Nucci und Ildebrando D’Arcangelo aufführten, eine prominente.  An der Spitze des Ensembles steht der italienische Bass Michele Pertusi, der einen zunächst dunkel dräuenden, danach balsamisch den Ohren schmeichelnden Pagano singt, hörbar belcantogeschult, präsent auch in den kleinen Notenwerten, mit viel slancio in der Cabaletta O speranza di vendetta und Nachdruck für Chi accusa Iddio. Die vielfältigen Gemütsregungen der Figur finden stets ihren adäquaten Ausdruck. Ein großes Plus für die Aufnahme stellt auch die Griselda von Nino Machaidze dar, deren Sopran an Gilda denken lässt, im Gebet des ersten Akts frisch, apart und klar klingt, die sanfte Tongespinste für den zweiten Akt hat, sicher die Intervallsprünge der Cabaletta meistert und innig das O belle, a questa misera klingen lässt. Den einzigen Schlager des Werks singt mit La mia letizia infondere der Oronte, quasi das Mio babbino caro für Tenöre und gern als Zugabe gesungen. Piero Pretti verfügt über ein recht anonymes Timbre, eine sichere Höhe und steht damit auf der Habenseite dieser CD. Es gibt aber erstaunlicherweise noch einen zweiten Tenor mit einer tragenden Rolle, den Arvino, Anführer der Lombardi und Vater Griseldas. Diese Partie wird gern mit alternden Sängern besetzt, was hier ganz und gar nicht der Fall ist, denn Galeano Salas konkurriert durchaus mit Pretti um die schönste Tenorstimme der Aufnahme, so mit einem machtvollen Parricida. Seine Gattin Viclinda wird von Réka Kristȯf rollengemäß gesungen, während Ruth Volpert eine mütterlich klingende Sofia ist.

Hat man diese Aufnahme gehört, fragt man sich ein weiteres Mal, warum das Werk es nicht ins Repertoire der Opernhäuser geschafft hat (BR Klassik 900351). Ingrid Wanja