Aus den Barock-Archiven

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Für das neue Album bei seiner Stammfirma ERATO hat Philippe Jaroussky ein reizvolles Programm ausgewählt und in Musikbibliotheken nach vergessenen Werken gesucht, welche dort Jahrhunderte lang „der Welt abhanden gekommen“ waren. Forgotten Arias ist der Titel dieser CD, die im November/Dezember 2022 in Paris aufgenommen wurde (5054197633881). Die Platte ist auch eine Würdigung des Librettisten Pietro Metastasio, denn alle Arientexte stammen aus seiner Feder. Auf dem Album werden die aus dem Spätbarock stammenden Titel als Welterstveröffentlichungen präsentiert. Neun Komponisten sind vertreten, darunter auch unbekanntere wie Andrea Bernasconi, dessen L’Olimpiade die Anthologie eröffnet. Das Solo des Aminta „Siam navi all’onde algenti“ ist eine Gleichnisarie vom Schiff und seinem Steuermann in ungestümen Wogen. Vom Orchester mit erregten Figuren eröffnet, nimmt der Sänger diese Stimmung auf und überrascht vor allem mit seiner nachgedunkelten, gereiften Stimme. Sein früher knabenhafter, keuscher Ton war ja stets Geschmackssache und für heroische Arien weniger geeignet. Später gibt es diese Oper noch in der Vertonung von Tommaso Traetta. Daraus erklingt die Arie des Licida „Gemo in un punto“. Mit aufgewühlten Klängen des Orchesters wird sie eröffnet und der Counter nimmt diese Vorgabe auf, lässt einen dramatisch betonten Gesang hören.

Weniger bekannt ist auch Giovanni Battista Ferrandini, aus dessen 24 Arias Nr. 11, „Gelido in ogni vena“, ausgewählt wurde. Berühmt wurde diese in der Vertonung durch Vivaldi in dessen Oper Farnace. Auch in dieser Version wird das Stück von frostigen Akkorden des Orchesters eingeleitet. Auch der Sänger versucht, eingefrorene Klänge in seiner Stimme zu entfalten, was reizvolle Effekte mit sich bringt.

Catone in Utica existiert in Kompositionen von Vinci, Vivaldi, Jommelli, Leo, Graun, Hasse u. a. Jaroussky wählte die Version von Niccolo Piccinni und daraus die Arie des Arbace „Che legge spietata“. Diese ist von stürmischem Zuschnitt und der Interpret bemüht sich um adäquate Interpretation, die freilich etwas harmlos ausfällt. Auch von Il re pastore finden sich mehrere Versionen, von denen die Mozarts am bekanntesten ist. Hier ist die von Christoph Willibald Gluck zu hören und aus dieser die Arie des Agenore „Sol può dir“. Sie ist getragen von inniger Empfindung, was Jaroussky überzeugend zum Ausdruck bringt.

Ein weiterer Unbekannter ist Michelangelo Valentini, dessen Oper La clemenza di Tito natürlich vor allem in der Vertonung durch Mozart populär wurde. Die ausgedehnte Arie des Sesto „Se mai senti“ gibt es freilich dort nicht. Sie ist von kantablem Charakter und gibt der Stimme mannigfaltige Möglichkeiten zur Entfaltung.

Aus Johann Adolph Hasses Demofoonte stellt der Counter zwei Arien des Timante vor: „Sperai vicino il lido“ und „Misero pargoletto“. Erstere ist ein zunächst getragenes Stück, das sich dann zu lebhaftem Rhythmus wandelt, die zweite von kantablem Charakter und in beiden kann der Interpret mit stimmlicher Schönheit aufwarten.

Zum Abschluss gibt es eine interessante Gegenüberstellung der Oper Artaserse in zwei Vertonungen durch Johann Chrstian Bach und Niccolò Jommelli – aus der ersten „Per quel paterno amplesso“ in zunächst introvertierter, dann explosiver Manier, aus der zweiten „Fra cento affanni“. das in seinem stürmischen Duktus für einen vehementen Ausklang sorgt.

Der Counter wird begleitet vom Ensemble Le Concert de la Loge unter Julien Chauvin – ein neuer Partner also an der Seite des Sängers, der in der kontrastreichen dreisätzigen Sinfonia aus Hasses Demofoonte auch Gelegenheit zu orchestralem Einsatz hat und diesen glänzend absolviert. Bernd Hoppe