Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Francese all´Italiana

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„Favorita del Re“ oder vielmehr „La Maitresse du Roi“  in der französischen und damit ursprünglichen Fassung lautet der Schreckensruf von Fernand, als er erfährt, dass die für keusch gehaltene geliebte Leonor bereits ein aktives Liebesleben hinter sich hat. Jedes Jahr im Herbst wird in Bergamo, der Geburtstag von Gaetano Donizetti, ein ihm gewidmetes Festival veranstaltet, in dem 2022 Valentina Carrasco darüber nachdachte, in welcher Epoche die bittere Erkenntnis von der Nichtjungfräulichkeit der Braut eine Tragödie auslösen könnte. Zwar ist das Personal der Oper historisch nachweisbar, hatte König Alfons XI. tatsächlich eine Geliebte mit Namen Leonora di Guzman, die allerdings nicht jung verstarb, sondern ihm ein knappes Dutzend Kinder gebar.

Die Regisseurin unterstellt der Zeit noch vor der Reconquista mehr Freizügigkeit als der Entstehungszeit der Oper und versetzt deswegen die Handlung in die Lebenszeit Donizettis, womit allerdings noch lange nicht die Frage geklärt ist, wie es einem Novizen gelingen kann, als Feldherr zu brillieren und die Spanien besetzt haltenden Mauren zu besiegen. Als weiterer Stolperstein erwies sich das für eine französische Oper unverzichtbare Ballett, dem Dirigent Riccardo Frizza zwar zumindest teilweise musikalische Qualitäten bescheinigt, das jedoch eigentlich nichts mit der Handlung zu tun hat, außer sie zu unterbrechen.

Die Regie in Bergamo lässt zur Ballettmusik in dieser Version der Favorite eine Gruppe älterer Damen ihren Betten entsteigen und sich einer ausgedehnten Morgentoilette einschließlich Zähneputzen widmen, womit auch die Frage nach dem Sinn von vielen verhüllten Kästen, die in den beiden ersten Akten die Bühne zustellten, beantwortet wird (Bühne Carles Berger und Peter van Pret). Die sich zeitweise in Tüllröcke (Ballett!) hüllenden Damen aus der  Bevölkerung von Bergamo sollen die abgelegten Geliebten des Königs sein und rücken diesem auch einmal bedrohlich auf den Leib. Das Ballett dürfte Anlass für die größte Verlegenheit der Regie gewesen sein, denn ansonsten nimmt die Handlung, abgesehen davon, dass die Kostüme mit Hosenträgern und Kummerbund für die Herren (Silvia Aymonino) nicht ins 14. Jahrhundert passen, mit vielem Schreiten für das Personal ihren Lauf  und stört die Sänger nicht bei ihrer eigentlichen Beschäftigung, dem Singen.

Das allerdings gibt durchaus Anlass zur Freude. Annalisa Stroppa hat einen auch für Rossini bestens geeigneten Mezzosopran mit einheitlicher Färbung für den gesamten Stimmumfang, klar konturiert und von schlankem Ebenmaß. „Oh mon Fernand“ klingt schön und die Herzen berührend, für die Cabaletta steht der attraktiven Sängerin das notwendige vokale Feuer zur Verfügung. Ein optisch höchst attraktiver Alphonse XI ist Florian Sempey, der seinen lyrischen Bariton sehr unter Druck setzt, manchmal recht dumpf klingt, aber die Gewähr für eine idiomatische Verkörperung der Partie bietet. Ebenso attraktiv, dazu balsamisch Glaubensgewissheit verkündend, ist Evgeny Stavinsky als Balthazar, der sich nur im Presto auch einmal hohl anhört. Erfüllen diese Drei optisch alle Anforderungen an heutige Opernsänger, so fällt Javier Camarena in dieser Hinsicht doch etwas aus dem Rahmen, kann es sich jedoch leisten, weil er schließlich Tenor und dazu noch einer der spektakulärsten für dieses Fach ist. Sein Fernand verfügt über eine strahlende Höhe, ein beachtliches Falsettone für die allerextremsten Töne, eine solide Mittellage und singt ein wunderschönes, inniges „ Ange si pur“.  Edoardo Milletti als Don Gaspar und Caterina Di Tonno als Inés sorgen zusätzlich neben dem Chor aus Bergamo und dem Coro dell‘ Accademia Teatro alla Scala und dem Orchestra Donizetti Opera unter Riccardo Frizza dafür, dass sich man doch eher in einer italienischen als einer französischen Oper wähnt und darüber ganz und gar nicht böse ist.

Dem Genueser Label Dynamic ist es einmal mehr zu verdanken, dass man am italienischen Opernleben teilnehmen kann, nicht nachvollziehen allerdings kann man, dass diese Produktion den Abbiati Prize 2022 in Italien gewonnen hat (Dynamic 57992). Ingrid Wanja      

Urfasssung

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Muss es denn noch eine Cavalleria Rusticana sein und dazu noch mit einem Orchester, das bisher nicht gerade als Spezialist für den italienischen Verismo aufgefallen ist? Muss es nicht, aber kann es gern, wenn es sich um die Urfasssung der Partitur des jungen Pietro Mascagni handelt, so wie er seinen Einakter hoffnungsvoll der Kommission, die über den Gewinner des vom Mailänder Verleger Edoardo Sonzogno zum zweiten Mal veranstalteten Wettbewerbs entscheiden sollte, vorgelegt hatte. Als Sieger stand der Komponist aus Livorno schnell fest, auch weil sein Konkurrent Leoncavallo keinen Ein-, sondern einen Zweiakter eingereicht hatte, aber die Proben erwiesen sich als schwierig, da der Chor des Teatro Costanzi in Rom Schwierigkeiten mit seiner umfangreichen und anspruchsvollen Partie hatte und Sopran und Tenor mit der Tessitura nicht zurechtkamen, eine Transposition um einen halben oder sogar ganzen Ton für Teile ihrer Rolle forderten. Mascagni kam den Forderungen nach, auch wenn es ihm, so berichtet er in einem Briefwechsel, schwer fiel, die geänderten Bruchstücke wieder sinnvoll in die Partitur einzubetten, er verkürzte das Auftrittslied des Baritons um eine der vorgesehenen drei Strophen, so dass am Ende mehr als zehn Prozent der Oper dem Rotstift zum Opfer fielen. Da die dritte Strophe von Alfios Arie eigentlich zum Verständnis des formalen Aufbaus des Stücks notwendig ist, war der Verzicht auf sie auch der für Mascagni schmerzlichste. Cavalleria Rusticana fällt auch durch die Besetzung aller drei Frauenpartien mit einer tiefen Frauenstimme auf. Zwar haben auch viele Soprane, darunter Callas, die Partie gesungen, aber die großen, unvergesslichen Santuzzas waren Mezzosoprane wie Simionato oder Cossotto. Auf der nun vorliegenden CD ist die Partie einem lyrischen Sopran anvertraut, nachdem die Transpositionen rückgängig gemacht worden sind. Außerdem ist das Auftrittslied des Alfio wieder dreistrophig, was eindeutig einen Gewinn darstellt.

Der Balthasar Neumann Choir und das gleichnamige Orchestra unter Thomas Hengelbrock geben sich im November 2022 in Baden Baden  eher sanft melodisch als scharf akzentuierend, das Orchester gewinnt an Gewicht nach Turiddus Preislied, das sehr aus der Ferne erklingt, filigran zeichnet das Zwischenspiel die herrschende Stimmung nach.

Die Santuzza von Carolina López Moreno singt mit zartem, apartem, hellem Sopran, sehr delikat, auch spritzig, sanft verhauchend im „io son dannata“. Insgesamt ist sie verletzlicher, aber auch unbedeutender als Person, der man die leidenschaftliche sizilianische Bäuerin nicht recht abnimmt. Sie mag an Höhe gegenüber den traditionellen Santuzzas gewinnen, nicht aber an Glaubwürdigkeit, zumindest was die inzwischen entstandenen Hörgewohnheiten betrifft. Giorgio Berrugi ist ein italienischer Tenor mit dem entsprechend passenden Timbre, das er aber auch für den Siegmund einsetzt.  Einen schlanken, zunächst gar nicht bärbeißigen Alfio singt Domen Križaj, geht auch mal im Chor unter, steigert sich aber im Verlauf des Geschehens zu dunkel tönender Tragik. Auch einmal eine gute Santuzza war Elisabetta Fiorillo, die nun als Mamma Lucia wesentlich zur angemessenen dichten akustischen Atmosphäre beiträgt und nicht nur Stimmreste anzubieten hat. Eva Zaȉcik tändelt als verführerische Lola durch die Musik.

Was einmal als Ergebnis des Unvermögens der ausführenden Kräfte dem jungen Mascagni Kopfzerbrechen bereitete, scheint doch, insbesondere die Stimmlage der Santuzza betreffend, die bessere, zumindest die lieb gewordene Lösung für den unsterblichen Einakter zu sein (Prosp0088). Ingrid Wanja        

Sohn der Stadt

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Das Schicksal  nicht allzu mutwillig herausfordern wollte wohl Dirigent Federico Maria Sardelli, als er 2022 bei der Aufführung von Jean-Baptiste Lullys pastorale heroique Acis et Galatée beim Maggio Musicale Fiorentino nur zu Beginn und zum Schluss mit dem zu Lebzeiten des Komponisten üblichen Dirigierstock hantierte, solange das Auge der Kamera auf ihm ruhte. Dem Komponisten war bei seiner letzten Amtshandlung die Spitze desselben in den Fuß eingedrungen, was zu Wundfieber und zum Tod von Lully geführt hatte. In der Sala Zubin Mehta beginnt das Werk  in der Regie von Benjamin Lazar als eine Art immer wieder von Tänzchen oder auch einmal einem Blinde-Kuh-Spiel unterbrochenes Picknick, eine riesige Videowand täuscht eine Lichtung im Wald  (Adelin Caron), zwei Gemälde  intimere Räume vor, und die Kostüme von Alain Blanchot wirken gewollt improvisiert. Insgesamt wird keinerlei Virtuosität vorgetäuscht, sondern eher der Eindruck erweckt, Amateure hätten sich mit einer ihre Möglichkeiten übersteigenden Aufführung etwas übernommen. Das hat alles einigen Charme, ermüdet mit der Zeit aber doch durch seine wohl gewollte Unbeholfenheit.

Das Werk beginnt mit der für die  Zeit  typischen Lobpreisung Ludwigs XIV., d.h. eher des Dauphin, der die Uraufführung als Gast aristokratischer Gastgeber auf Chateau d‘Anet, 80 Kilometer von Paris entfernt, erlebte. Erst nach einigen Aufführungen in der Provinz gelangte die Oper nach Paris, wo sie mit allem Bühnenzauber, dessen man damals fähig war, aufgeführt wurde. Auf diesen nun verzichtet man in Florenz bewusst, allerdings leider auch auf eine, was die Sänger betrifft, durchgehend zufriedenstellende Besetzung. Dabei handelt es sich schließlich um die italienische Erstaufführung eines Werks von Jeanbattista Lulli, der ein Sohn der Stadt war. Ganz anders und dem Anlass entsprechend verhält es sich mit dem Orchestra e Coro del Maggio Musicale, denen der Dirigent feierliche Pracht wie graziöse Detailverliebtheit entlocken kann. Die vier professionellen Tänzer Caroline Ducrest, Robert Le Nuz, Alberto Arcos und Gudrun Skamletz  heben sich unter Leitung der Letzteren nicht sonderlich von den tanzenden Sängern ab, was bei der immensen Bedeutung, die das Ballett hat, recht ärgerlich ist.

Insgesamt schlägt sich das weibliche Personal besser als vor allem die hohen Männerstimmen. Der haute-contre Jean-Francois Lombard hat für den Acis recht wenig vokale Substanz, gibt aber immerhin einen liebenswerten, seine Naivität glaubwürdig vermittelnden Hirten. Seinen Kollegen Teléme verkörpert Sebastian Monti mit Schwierigkeiten beim Registerausgleich, der sich stärker noch beim Apollon bemerkbar macht. Außerdem singt er den Priester der Juno. Erfreulich gut schlagen sich die dunkleren Stimmen, so der Polipheme von Luigi De Donato mit markantem Bass oder der Neptune mit götterwürdiger Präsenz von Guido Loconsolo. Eine zarte, aber zu virtuosem Einsatz fähige Sopranstimme hat Valeria La Grotta für Diane, Zweite Najade und Scylla, mehr Glanz und Fülle besitzt der Sopran von Francesca Lombardi Mazzulli, die zutreffend L’Abbondanza, dazu Aminte und Erste Najade singt. Der unangefochtene Star der Aufführung, und das nicht nur wegen ihres langen Solos am Schluss, ist Elena Harsány als Galatée mit lyrischem Feuer und anmutigem Spiel. Das war hoch professionell und stimmte versöhnlich gegenüber mancher Unzulänglichkeit im Geamtablauf (Dynamic 57971). Ingrid Wanja   

Betörend

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Fast immer wird in Einspielungen der Liederzyklus Les Nuits d’été von Hector Berlioz mit Maurice Ravels Shéhérazade kombiniert. Viele Aufnahmen auf dem Markt zeugen von dieser Praxis und so muss sich Marie-Nicole Lemieux mit ihrer Neuaufnahme bei ERATO dem Vergleich mit einer Vielzahl von Konkurrenzversionen stellen. Aber diese Platte, eingespielt im Mai 2021 und Juli 2022 in Monte-Carlo (5054 197659409), weist einen Trumpf auf, denn sie präsentiert als zusätzliches Werk die Mélodies persanes op. 26 von Camille Saint-Saëns, welche auf Tonträgern kaum  anzutreffen sind. Die Neuedition des Palazzetto Bru Zane ist sogar eine Erstaufnahme, denn hier ist Saint-Saëns’  Orchestration der Lieder nach Texten von Armand Renaud, die er ursprünglich für Gesang und Klavier schrieb, zu hören. Außerdem wurden die ursprüngliche Reihenfolge der Titel wieder hergestellt und zwei Zwischenspiele aus der sinfonischen Ode Nuit persane eingefügt. Das begleitende Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo unter Kazuki Yamada malt diese atmosphärisch aus und ist der Garant für ein authentisches Klangidiom. „La Brise“ erinnert in ihrem sinnlichen Rhythmus an Bizets Carmen-Figur und Lemieux kann hier mit lockenden Tönen bezaubern. „La Splendeur vide“ ist von ähnlicher Stimmung, nur hintergründig-verhaltender und lässt den Alt der Sängerin schimmern und schweben. „La Solitaire“ erinnert in seinem spanischen Duktus an eine Zarzuela und gibt der Interpretin Gelegenheit für einen temperamentvollen Auftritt. „Sabre en main“ wirkt dramatischer und verlangt beinahe nach maskuliner Energie für ein martialisches Marsch-Thema. Wie bei Berlioz findet sich auch bei Saint-Saëns ein Stück mit dem Titel „Au cimetière“, aber natürlich mit anderem Text. Die Komposition ist von verhaltener Diskretion, erlaubt der Interpretin fein getupfte Passagen von nobler Zurückhaltung. Den Abschluss bildet „Tournoiement“ – ein Songe d’opium von fiebriger Nervosität.

Zu Beginn der CD erklingt der Berlioz-Zyklus mit seinen sechs Titeln. Der erste, „Villanelle“, ist von pulsierendem Rhythmus und Lemieux kann mit ihrer sinnlichen Stimme einen starken Auftakt bieten. Es folgt der melancholische Gesang „Le Spectre de la rose“, in welchem der Altistin betörende Momente mit schwebenden, flirrenden Klängen gelingen. „Sur les lagunes“ ist von schwermütigem Gestus, die Solistin setzt hier prägnante Akzente und lässt faszinierend dunkle Töne hören. Vom Ausdruck der Sehnsucht getragen ist „Absence“ und auch für „Au cimetière“ findet Lemieux delikate Stimmungen. Den Zyklus beschließt „L’Île inconnue“ mit ihrem schwelgerischen Melos, von der Solistin mit weitem dynamischem Radius erfasst.

Zum Schluss der CD sind die drei Stücke von Ravel auf Texte von Tristan Klingsor zu hören. Geheimnisvoll ertönt Asie, gestattet der Sängerin, die ganze Spanne ihrer stimmlichen Möglichkeiten auszureizen – von intimen Bekenntnissen bis zu dramatischen Ausbrüchen, bei denen dann auch ein greller Spitzenton zu hören ist. „La Flûte enchantée“ beginnt geheimnisvoll flirrend und steigert sich zu schwelgerischem, fremdartigem Melos. „L’Indifférent“ lässt an Debussys Klangidiom denken und bietet der Altistin zum Schluss nochmals Gelegenheit, ihre Ausnahmestimme bewundern zu lassen. Bernd Hoppe

Verstörend und ärgerlich

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Es kostet sehr viel Überwindung, sich das Video von der Inszenierung von Puccinis Tosca aus dem Theater an der Wien bis zum Ende anzugucken, so sehr ist die Inszenierung von Martin Kušej von Willkür gegenüber Inhalt und Text, von dem Streben nach Sex und Crime um jeden Preis geprägt, dass sie Übelkeit verursacht und wütende Verachtung gegenüber ihrem Produzenten. Da werden mehrere Personen zusammengefasst, so wie Sciarrone, der zugleich Mesner und Schließer ist, so dass er im dritten Akt Cavaradossi hohnlachend den Ring vom Finger reißen kann, dieser als Trost dafür aber auch den Hirten singen darf,  da wird eine Figur als szenisch präsente Gestalt hinzu erfunden, die Marchesa Attavanti, die von Anfang an in der Schneelandschaft mit Wohnwagen, in der das Stück nun spielt, umhergeistert, um schließlich Tosca zu erschießen, da offeriert Tosca Scarpia verschiedenste Kamasutrapositionen, ehe überhaupt von einem Handel um das Leben Cavaradossis die Rede ist, sind ihre Kostüme, ehe sie in Reizwäsche den Rest der Oper bewältigt, nicht die einer aus dem Konzert herbei geeilten Operndiva, sondern Herbertstraße letzte Ecke. Und als einziges Detail der Regie ist die Frage, ob die Laufmasche in ihren halterlosen Strümpfen Regieidee oder Bühnenunfall ist, einer Überlegung wert (Kostüme Su Sigmund, die wie viele ihrer Kolleginnen ein Faible für Schiesser-Feinripp hat ). Cavaradossi ist ein rechter Blödmann, weil er auf seine Erschießung wartet, statt in aller Ruhe nach Hause zu gehen, denn der Wohnwagen ist im dritten Akt verschwunden und weit und breit ist  kein Hindernis zu sehen.  Anette Murschetz hat eine kongeniale Bühne geschaffen, die zunächst  Eugen Onegins Duell mit Lenski erwarten lässt, ehe man außer der Schneelandschaft plus knorrigem Eichstamm den blutigen Torso an denselben, weitere abgetrennte Gliedmaßen und ein Marienbild erblickt. Im zweiten Akt öffnet sich die Vorderfront eines schäbigen Wohnwagens mit zwei Stühlen und einem Kofferradio (Schaub-Lorenz), Unmengen von Schergen kommen und gehen, Scarpia hat sich im Schnee ein Feuerchen angezündet und seine povera cena ist  wirklich eine solche, denn es gibt nichts zu essen. Das würde man ertragen, wenn nicht die Regie durch eine Häufung von Schockmomenten jede Aufmerksamkeit von der Musik ablenkt, Tosca nicht einmal gestattet, Vissi d’Arte ins Publikum, sondern mit dem Rücken zu demselben zu singen. Liegt es auch daran, dass die Arie seltsam kühl und flach klingt, auch ansonsten der Sopran zu leicht, eine typische Puccinistimme ist das zumindest in dieser Aufnahme nicht. So ist Kristine  Opolais zwar eine optisch ideale Tosca, aber auch eine mit substanzloser Mittellage und ohne ein schönes Aufblühen in der Höhe. Was für eine Angst müssen Sänger haben, dass sie sich lieber um die Wirkung ihrer Kunst bringen lassen, ehe sie sich Unzumutbarem verweigern, und wo bleibt die Verantwortung der Dirigenten gegenüber Werk und Publikum, das übrigens den Regisseur mit einem Buhorkan bedacht haben soll. Ingo Metzmacher hatte abgesagt, und was Marc Albrecht aus dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien an feinen Stimmungen (Vorspiel 3. Akt) herausholte, wäre einer besseren Optik wert gewesen.

Die vokalen Stärken von Jonathan Tetelmans Cavaradossi zeigen sich im Vittoria und La vita mi costasse, denn sein Tenor ist kraftvoll und klingt mühelos. Anzuerkennen ist auch, dass er für E lucevan le stelle sich um ein agogikreiches Singen bemühte, auch wenn es Piano und mezza voce noch etwas an Farbe mangelt. Gábor Bretz klingt als Scarpia im ersten Akt noch etwas hohl, kann aber zu Beginn des zweiten Akts mit seiner großen Soloszene mit farbigem, substanzreichem Bariton überzeugen. Schön höhnisch hört sich das Scrivete von Rafal Pawnuk als Schließer an, wie ein baritenore klingt Andrew Morstein als Spoletta, Ivan Zinovievs Angelotti darf sich noch lange im Schnee quälen, ein selbstbestimmter Tod im Brunnenschacht ist ihm nicht vergönnt. Diese Aufnahme kann man nur mit spitzen Fingern in der hintersten Schublade versenken, o meglio…. (Unitel 809704). Ingrid Wanja

           

Auf den Spuren einer Legende

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Regelmäßig arbeitet GLOSSA mit Filippo Mineccia zusammen und hat schon mehrere Alben mit dem italienischen Countertenor produziert. Das neueste ist Il castrato del granduca betitelt und bietet Arien, die für den Kastraten des toskanischen Großherzogs, Gaetano Berenstadt, komponiert wurden (GCD 923539). Das Booklet beinhaltet einen Einführungstext vom Sänger selbst in mehreren Sprachen und eine tabellarische Übersicht über die Karriere des Kastraten, welche 1708 in Neapel begann und ihn 1717 nach London führte. Dort trat er zunächst in Opern von A. Scarlatti, Mancini und Ariosti auf, bis er 1717 in Händels Rinaldo die Rolle des Argante übernahm. Der Komponist hatte sie bei dieser vierten Wiederaufnahme des Werkes eigens für Berenstadt von einer Bass- zu einer Altkastratenpartie umgearbeitet. Danach folgte eine mehrjährige Periode in Deutschland und Italien, bis er 1722 in die britische Metropole zurückkehrte und dort in mehreren Opern Händels mitwirkte. Diese Jahre bis 1724 gestalteten sich zum Höhepunkt in der Laufbahn des Sängers. Es waren vor allem Ratgeber, Väter und Schurken, die er interpretierte, auch wegen seiner riesigen Statur, die ihn für Frauenrollen ungeeignet erscheinen ließ. Händel komponierte für ihn die Titelrolle in Flavio (1723), den Adelberto in Ottone (1723) und den Tolomeo in Giulio Cesare (1724). Von London kehrte er nach Italien zurück, das er bis zu seinem Tod 1734 nicht mehr verlassen sollte. Er sang dort in Opern von Vinci, Sarro, Hasse, Giay, Giacomelli und im letzten Auftritt im Jahr seines Todes in Orlandinis La Semiramide.

Mineccia hat die Reihenfolge der Arien in seiner Anthologie streng chronologisch geordnet, was dem Hörer Gelegenheit bietet, die Karriere des legendären Sängers in ihrer Entwicklung zu verfolgen. Zu Beginn erklingen drei Arien des Argante aus Händels Rinaldo, also jener Oper, welche 1717 einen Wendepunkt in der Karriere des Kastraten markierte. Die erste, „Sorte amor“, bietet einen vehementen Einstieg in das Programm und erlaubt dem Sänger, auch seine tiefe Lage auszureizen. Auffällig ist ein zuweilen heulender Ton, der früher nicht zu bemerken war. Er findet sich in der zweiten Arie, „Ogni tua bella“, besonders stark. Das  dritte Solo, „Pregio è sol“, ist von lebhaftem Charakter und virtuosem Anspruch. Es folgt die Arie des Oreste „L’incauto che non teme“ aus Lottis Ascanio (Dresden, 1718). Sie ist von rasendem Duktus, den das Orchester mit stampfendem Rhythmus unterstützt. Mineccia kann den Erregungszustand der Figur plastisch einfangen. Die Arie des Pilade, „Vezzosetta tra questi fiori“, stammt aus Gasparinis Astianatte, in der Berenstadt 1719 in Rom auftrat. Sie gibt sich kontemplativ-gemessener. 1722 kam es in Venedig zur Aufführung von Giulio Flavio Crispo von Capelli, in der Berenstadt die Rolle des Flavio Costantino sang. Dessen Arie „Piaccia agli astri“ verlangt eine flexible Stimmführung für die Verzierungen, was Mineccia keine Probleme bereitet. Danach präsentiert er mit der Arie des Adelberto, „Bel labro formato“, aus Händels Ottone wieder ein Glanzstück des Kastraten, kann in seiner Interpretation aber einen jammernden Tonfall nicht vermeiden. Besser gefallt die folgende, munter hüpfende Arie des Sicino  „Nel tuo figlio“ aus Ariostis Oper Cajo Marzio Coriolano. Sie wurde 1723 in London gezeigt wie auch Bononcinis Farnace, in der Berenstadt den Osmano sang. Dessen Arie „O della sorte“ ist ein Klagegesang – für Mineccias Stimme wie geschaffen.

Die letzten vier Beispiele stammen aus Werken, die in Italien zur Premiere kamen: Hasses Astarto 1726 in Neapel, Vincis Didone abbandonata 1726 in Rom, Sarros Siroe 1726 in Neapel und Giays Demetrio 1732 in Rom. In der Arie des Jarba aus Vincis Oper ist der Einsatz baritonal tiefer Töne effektvoll, bei Cosroas Arie „Gelido in ogni vena“ aus Siroe ist der Vergleich mit Vivaldis Vertonung dieses Textes aufschlussreich. Stürmisch wird die Anthologie beendet mit der tobenden Arie „Non fidi al mar“ aus Demetrio – eine jener Gleichnisarien vom schwankenden Schiff auf stürmischer See, welche dem Interpreten neben starkem Ausdruck auch virtuoses Zierwerk abverlangt. Mineccia setzt hier einen glänzenden Schlusspunkt.

Mit dem Ensemble I Musici del Gran Principe unter Leitung von Samuele Lastrucci tritt ein hierzulande weniger bekannter Klangkörper in Erscheinung, der das Programm mit orchestralen Beiträgen schmückt, so mit der lebhaften Ouverture zu Tito Manlio von Ariosti, der Ouverture zu Händels Ottone und der aufgewühlten zu Hasses Astarto. Das Ensemble legt hier mit engagiertem und affektgeladenem Spiel hohe Ehre ein. Bernd Hoppe

Zwischen Paradiesen

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Ralph Fischer (promovierter Pädagoge, Buchhändler und Privatgelehrter) gehör­te zu den besten Offenbach-Kennern weltweit. Als Journalist, Vortragender und Publizist (vor allem beim Offenbachfestival Bad Ems) hat er sich über Jahre gro­ße Verdienste erworben. Im vergangenen Jahr erlag er, viel zu jung, einem Krebsleiden. Seit Jahren hatte er daran gearbeitet, sein Lebenswerk in Sachen Offenbach herauszubringen. Der Tod nahm ihm die Feder aus der Hand. Glück­licherweise hinterließ er mehrere Computerdateien, die zusammenge­nommen so etwas wie sein summum opus darstellten, welches er bereits 2019, zu Offenbachs 200. Geburtstag veröffentlichen wollte.

Fischer gehörte zu den bedeutenden deutschen Kennern des CEuvres von Jacques Offenbach, den er als Person verehrte und dessen Musik er seit seinem ersten Klavierunterricht zutiefst in sich aufgesogen hatte. Mit der ihm eigenen Wissbegierde und seinem Hang zu ungewöhnlichen Wegen ist er seit Schul­zeiten sinnend, forschend und schreibend allem, was Offenbach betraf, nach­gegangen. Ein imponierendes Textcorpus ist die Frucht dieser jahrzehnte­langen Denkarbeit. Sie schlug sich vielfach in Veröffentlichungen im Rahmen der ,,Bad Emser Hefte“ nieder, mit deren Herausgeber, Dr. Ulrich Brand, Fischer ein freundschaftliches Verhältnis verband. In gewisser Weise ist der hier vorli­egende Band die logische Fortsetzung und Vollendung der Arbeit mit den Bad Emser Heften“, so Peter Hawig (selbst einer der renommiertesten Offenbach-Spezialisten). Er hat die Texte aus dem Nachlass geordnet, zusammen­geführt und postum als Buch herausgebracht, nicht ohne zu betonen:

„Insgesamt kann und soll das Fragmentarische der vorliegenden Veröffentli­chung nicht geleugnet werden. In diesem Sinne belassen wurde: kleine, eher liebenswürdige Inkonsequenzen des Autors, etwa die Werktitel einmal in Kur­sivschrift, einmal in Kapitälchen zu schreiben. Das verweist auf unter­schiedliche Entstehungs­zeiten der Texte. Der Leser wird sich zurechtfinden. Schließlich hat er, allem Fragmentarischen zum Trotz, ein Buch imponierenden Umfangs und Gewichts in den Händen, und ‚Gewicht‘ versteht sich hier auch in qualitativem Sinne. Denn Ralph Fischers summum opus weist so viele innovative Zugänge und Untersuchungsweisen, so viele gründliche Ergebnisse, einen so weiten Fun­dus an Informationen auf, dass es trotz seines unvollendeten Status einen erheblichen Fortschritt in der Offenbach-Forschung darstellt.“ Tatsächlich ist das im wahrsten Sinne des Wortes schwergewichtige Buch überwältigend. Die perspektivische Weite des schon ob seines Fleißes bewundernswerten Werks, seine Anlage, für jedermann eicht verständliche Sprache (sein überwältigender Informationsgehalt und seine Übersichtlichkeit der Gliederung machen das Werk zu einem konkurrenzlosen Nachschlage­werk in Sachen Offenbach, auf das man gewartet hat, denn immer noch scheiden sich an Offenbach (wie an Wagner) die Geister. Das hierzulande weit verbreitete Vorurteil, seine Werke seien anspruchs­lose, seichte „Operetten“, scheint nahezu unausrottbar. Das Offenbach-Ver­ständnis der Deutschen, das vorherrschende Offenbachbild hierzulande ist weitgehend verzerrt, verharmlost, ja falsch. Und der Umgang mit Offenbach ist schlichtweg respektlos. Wobei der Offenbach-Missbrauch, die Offenbach-Missachtung meist auf Unkenntnis und unhinter­fragten Vorurteilen beruht. Dem arbeitet das Buch von Ralph Fischer engagiert entgegen

Der obige Titel übrigens bezieht sich auf Siegfried Kracauers Gesellschaftsbiographie des Zweiten Kaiserreichs (Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit. Amsterdam 1937). Darin heißt es: „Offenbach erfüllt sie (die ,,Operette“, DDS) mit einer Musik, die das Paradies verspricht. Auch Halévy (Ludovic Halévy, Offenbachs wichtigster Librettist, DDS) ist dem Paradies zugewandt, wenn er der Operette (das gilt auch für die Opera bouffe, und die meint er, DDS) den Stempel seiner Skepsis aufdrückt; aber einem Paradies, das verloren ist. Zwischen verlorenem und verheißenem Paradies gaukelt so die Operette dahin – eine plötzlich auftauchende, rasch verschwindende Erscheinung, die sich dem groben Zugriff entzieht (…) Frivoler Doppeldeutigkeit voll (…) geht (sie) überhaupt nicht ganz ins gesellschaftliche Leben ein, schwingt sich vielmehr, im vergangenen und künftigen Paradies beheimatet, ungreifbar durch die Zeit und aus der Zeit hinaus.“

Fischers These lautet daher: „Ofenbachs Werk ist ein Werk des ,Dazwischen‘: ideell zwischen den Paradiesen, real zwischen den Kulturen. Es ist aber auch ein Werk zwischen den Gattungen.“+

Karl Kraus, auch einer der bedeutendsten Offenbach-Versteher, meinte in der Zeitschrift „Die Fackel“: Offenbachs Musik habe mehr Menschlichkeit als (…) sämtliche sozialen Heilsehren, deren Opfer erbarmungswürdig, deren Nutznießer erbärmlich bleiben.“

In diesem Sinne widmet Fischer gerade das Jüdische bei Offenbach, das schon Anton Hen­seler, der erste und wichtigste deutschsprachige Offenbachbiograph (Jakob Offenbach, Berlin 1930) herausstellte, besondere Aufmerksamkeit.  Die genealogischen Recherchen Fischers sind respektheischend. Vor allem des erste seiner fünf Kapitel widmet sich in diesem Sinne der Herkunft, Kindheit und Jugend des Komponisten „zwischen Offenbach und Köln“.

„Zwischen Oper und Operette“ ist das zweite Kapitel überschrieben, in dem der Versuch einer gattungsspezifischen Einordnung der Bühnenwerke Offenbachs gemacht wird. Hier könnte man Fischer eine gewisse Inkonsequent in der Ver­wendung der Gattungsbezeichnungen vorwerfen. Sei´s drum. Die Ent­wicklung von den Vorläufern Offenbachs bis zu seinen Nachfolgern wird zutreffend dargestellt.

Verdienstvoll sind auch seine Ausführungen zur Kompositions­weise und zur theaterpraktischen Arbeit des Komponisten, „weil es sie in dieser Kompaktheit bisher nicht gibt.“ ((Peter Hawig). Man erfährt interessantes über Komposi­tionstechnik, Formen der Bühnenwerke, Orchesterbesetzung und bekommt Einblicke in die „Kompositionswerkstatt“.

Fischer weist zurecht darauf hin: „Die Verengung Offenbachs allein auf Satire und Parodie verdeckt nicht nur Qualitäten seines Werks, die mit diesen Kate­gorien nicht zu fassen sind, sie sorgt auch für Missverständnisse. So ist mancher Autor geneigt, bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit, ‘Satire!‘ oder, Parodie!‘ zu rufen und jedes nur erdenkliche Rezitativ, das sich in Offenbachs Werken finden lässt, gleich zur Verspottung der Oper seiner Zeit zu erklären.” 

Der enormen Spannweite des Offenbachschen Œuvres zwischen Synagoge und Pariser Boulevard ist das vierte Kapitel gewid­met. Das fünfte ist ein Werkführer, der selbst mit seinen Lücken, „innerhalb der Forschung einzig“ dasteht, wie Peter Hawig zurecht betont.

Auf nahezu 450 Seiten werden Werk und nahezu vollständiges Werkverzeichnis, Gattungen und Phasen der Entstehung sowie Inhaltsangaben und Kommentare geliefert. Das allein macht das Besondere des Buches aus und sichert ihm seinen Stellenwert als Standardnachschlagewerk.

Ganz davon abgesehen, findet man in ihm diverse Literaturverzeichnisse unterschiedlicher Medien, ein Werkregister und einen Bildteil. Der Herausgeber hat auf eine Bebilderung des Buches abseits der üblichen ikonographischen Pfade Wert gelegt. Er zeigt im weitesten Sinne ,,Memoriale“, also Büsten, Gedenktafeln, Reliefs, Ausmalungen und Illustrationen, die auf verschiedene Weise und an verschiedenen Orten an Offenbach erinnern.  Es sei angemerkt, dass das bemerkenswerte Coverfoto des Buches die Offenbach-Büste aus dem Théâtre des Variétés zeigt, die man meines Wissens in der Offenbachliteratur nie sah.

Hervorheben möchte ich, dass fortlaufender Text samt zugehöriger Fußnoten jeweils auf derselben Seite gedruckt sind was dem Lesekomfort enorm zugute­kommt.

Man könnte einwenden: Die umfassende musik­geschichtliche Beschlagenheit des Autors zeigt sich in seinen aus­führ­lichen, vielleicht allzu ausführlichen Einordnungen und Exkursen. Aber wohl nur in dieser umfassenden Gründl­ichkeit vermittelt sich „der weit-gespannte Kosmos, in dem Offenbach sich bewegte, aus dem heraus er allein verständlich ist und in dem wir als Leser uns immer besser auskennen, fast wohlfühlen“ (Peter Hawig).

Um das klarzustellen: Das Buch von Ralph Fischer ist kein Buch der musik­wissenschaftlichen Analyse. Es will eher „Appetit machen auf die Musik Offenbachs“ (Hawig). Und das in einer Sprache, die frei ist von jeglichem musikologischen Fachjargon.

Ralph Fischer ist – wie der Herausgeber betont – nicht unparteiisch Offenbach gegenüber, „er wirbt fort­lau­fend für ihn… Er wirbt darum, dass man ihn anhöre, ihm zuhöre, auf sich wirken lasse, im Konzertsaal und vor allem im Musik­theater — nicht im Entziffern von Noten, sondern im neugierigen Sich-Einlassen.“

Ich darf daran erinnern, was Martin Geck in seiner Wagnerbiographie bekannte: „Ich kann nur über die Kunst schreiben, die mich, bei all ihrer Widersprüchlich­keit letztendlich fasziniert.“ Um das Wort “Liebe“ nicht zu gebrauchen. Warum denn auch nicht, nur wer von Liebe zu einem Komponisten erfüllt ist, hat einen Sinn für dessen Intimstes und die Nuancen seines Werks.

Man kann nach der Lektüre des Buches von Ralph Fischer nur Peter Hawig zustimmen, der als letzten Satz in einem seiner Offenbach-Bücher schrieb: „Offenbach macht glücklich.“ Dieter David Scholz (mit Dank an den Autor und das online-Magazin Der Opernfreund)

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Ralph Fischer: Ein Wegweiser zu Jacques Offenbach: Herkunft und Leben, Werk und Wirkung; Aus dem Nachlas herausgegeben von Peter Hawig. Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn 2023,926 S.,

Vor neuen Rollendebüts?

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Dass der deutsche Tenor Daniel Behle Spaß am Spiel mit der Sprache hat, kann man vermuten, wenn man von CD-Covern wie MoZart oder UN-ERHÖRT Kenntnis nimmt, und auch seine neueste Aufnahme gibt sich optisch verspielt mit einem in der Mitte thronenden Richard, der von einem Strauss und einem Wagner flankiert wird. Sicher ist der große Respekt des Sängers vor den Texten, die er singt, und zwar so ausgeprägt, dass man selbst bei üppiger Orchesterbegleitung, wie bei beiden Komponisten üblich, jedes Wort versteht, man tatsächlich einmal auf den Abdruck der Texte im übrigens liebevoll und vorzüglich gestalteten Booklet verzichten könnte.

Beworben wird die CD übrigens mit einer Aussage des Dirigenten Thomas Rösner, der das Lob des von ihm geleiteten Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra singt und dieses als  mit einem „sound…wonderfully soft and malleable“ begabt sieht und es damit für besonders geeignet für die Wiedergabe von deutscher romantischer Musik hält. Davon kann man sich beim Hören überzeugen, auch bei dem des Vorspiels zu Wagners Meistersingern, dem einzigen reinen Orchesterstück auf der CD, das eher leichtfüßig als stampfend, eher duftig als schwül daher kommt.

Drei Opernarien von Wagner in aufsteigender Linie vom Lyrischen über das Noch-Zwischenfach zum Heldischen, was die Anforderungen an die Stimme betrifft, sind auf der CD. Den Lohengrin hat Behle bereits auf der Bühne gesungen, Stolzing und Tannhäuser noch nicht. In der Gralserzählung ist die reine, klare, Stimme von müheloser Emission in allen Lagen und bei allen geforderten Lautstärken gleich präsent, gleich farbig, werden auch die kleinen Notenwerte präzise wiedergegeben, entzücken eine ätherische „Taube“ und ein strahlender „Gral“. Sehr berührend ist das schmerzlich umflorte „muss er von euch ziehn“.  Auch bereits bühnenreif dürfte der Stolzing sein, dessen Preislied sich zwischen Erzählton und Emphase bewegt, „Parnass“ wie „Paradies“ zum Strahlen bringt und nie der Versuchung eines Einheitsfortes erliegt. Bei der Romerzählung des Tannhäuser erscheinen vor dem geistigen Auge und auch dem Ohr des CD-Hörenden die bereits recht abgekämpften, sich mehr oder weniger schwer tuenden Heldentenöre vergangener Vorstellungen und scheinen sich anklagend zu äußern über so viel Ungerechtigkeit, einem frischen, von keinerlei Mühsal durchlebter Aufführungen berührten Kollegen zuhören zu müssen, dessen ausgeruhte, für die Partie recht leichte und helle Stimme nichts von der Mühsal zweier Preislieder für Venus und unzähliger „Erbarm dich mein“ verrät.

Die drei Wagner-Arien sind eingestreut in eine Auswahl bekannter Orchesterlieder von Richard Strauss, beginnend mit Cäcilie, die rauschhaft, sich von Strophe zu Strophe steigernd, Einzelheiten präzise hervorhebend wie diese in den Gesamtzusammenhang einbettend und die große Linie nie vernachlässigend daher kommt. Die Mittellage des Tenors hat im Vergleich zu frühen Aufnahmen bedeutend an farbiger Substanz gewonnen, es stehen ihr viele Ausdrucksmittel, so  das Hellerwerden für „lichter Sonnenschein“ im anschließenden Ruhe, meine Seele, zur Verfügung. Das bekannte Ständchen erfreut mit ganz lichtem und leichtem Beginn, um umso rauschhafter am Schluss zu klingen, eine ähnliche Entwicklung nimmt die Heimliche Aufforderung, die im Plauderton beginnt, um sich zu einem großen Bogen für die Schlusszeile zu steigern. Wunderschön ist die feine Differenzierung von einem zum nächsten, dann zum abschließenden „Welch ein Glück“, das ätherisch klingende Lächeln in Befreit. Den Abschluss für diese den Hörer beglückende CD bildet Morgen , in dem „stummes Schweigen“ zum Klingen gebracht wird (Prospero 0072). Ingrid Wanja  

Geld regiert auch Venedig

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I due Foscari ist Verdis sechste Oper, sie wurde 1844 in Rom uraufgeführt. In mancher Beziehung ist sie die „kleine Schwester“ seines 37 Jahre später entstandenen „Simon Boccanegra“, denn beide Opern behandeln das Schicksal eines Dogen. Bei den „Foscari“ ist es Francesco Foscari, der Doge von Venedig, dessen Sohn Jacopo unschuldig in die Verbannung geschickt wurde. Aus der kehrte er heimlich zurück, wird aber sofort erneut verurteilt. Das Flehen seiner Gattin Lucrezia bleibt fruchtlos, denn in dem Ankläger Loredano haben die Foscaris einen mächtigen Feind. Jacopo stirbt, bevor die Verbannung vollzogen wird. Und Loredano betreibt erfolgreich die Absetzung des Dogen Francesco, der völlig gebrochen tot zusammenbricht.

Man sollte dieses Frühwerk nicht unterschätzen. „I due Foscari“ bietet eine Fülle herrlichster Musik, in der große Duette eine ebenso breiten Raum einnehmen wie die eindrucksvollen Chorpassagen. Und Verdi arbeitet mit seinen thematischen Reminiszenzen mitunter fast leitmotivisch. Auch Carlo Bergonzi hat diese Oper offenbar sehr geschätzt und das von ihm gegründete Restaurant in Busseto „I due Foscari“ genannt.

Die vorliegende Aufnahme entstand 2022 bei den Opernfestspielen Heidenheim und überzeugt vor allem durch ihre musikalischen Qualitäten. Marcus Bosch am Pult der von ihm gegründeten Cappella Aquileia musiziert hier mit viel Impetus, mit großem Bogen und besonders mit viel Sinn für die Feinheiten der instrumentalen Details. Seine Interpretation ist von Gefühl und Spannung gleichermaßen getragen. Einen großen Anteil an dem positiven Eindruck hat auch der famose Tschechische Philharmonische Chor Brünn, der klangvoll und präzise singt.. Die Leistungen der Solisten bewegen sich durchweg auf hohem Niveau. Die Lucrezia verlangt eine Sängerin mit kraftvoller, aber auch koloraturfähiger Stimme. Beides seht Sophie Gordeladze zu Gebote. Mühelos überstrahlt sie Chor und Orchester. Darstellerisch kann sie den verzweifelten, hochemotionalen Kampf für ihren Mann Jacopo überzeugend verdeutlichen. Die Figur des Jacopo ist etwas eindimensional – eigentlich lamentiert er nur ständig über sein Schicksal oder nimmt Abschied von seiner Familie. Verdi hat dazu aber wunderschöne Arien und Duette geschrieben, die Héctor Sandoval mit sehr schöner Tenorfarbe und ansprechender Gestaltung auskostet. Francesco Foscari ist eine der vielen, berührenden Vaterfiguren Verdis. Der Konflikt, dass er wie ein Vater fühlt, aber wie ein Doge handeln muss, wird bei der sensiblen Gesangsleistung von Luca Grassi nachvollziehbar. Der Intrigant Loredano hat nur wenig zu singen, was man bei Robert Pomakov bedauern mag. Dafür ist er als diabolischer Strippenzieher omnipräsent. Musa Nkuna und Julia Rutigliano komplettieren als Barbarigo und Pisana das Ensemble.

Nicht ganz so viel Freude macht die szenische Seite. Regisseur Philipp Westerbarkei hat den Grundgedanken, dass Geld die Welt und insbesondere auch Venedig regiert, doch überzogen. Alle sind hier bestechlich – das Volk, der mächtige Rat der Zehn und auch Pisana, die eigentlich eine Vertraute von Lucrezia ist. Die lässt sich sogar auf ein Verhältnis mit Loredano ein. Scheine wechseln ständig den Besitzer, das Geld wird laufend aus Kübeln über die Bühne geschüttet. Das ist dann doch irgendwann zu viel des Guten. Der Chor und Loredano sind ständig präsent, auch bei den eigentlich intimeren Szenen. Jacopo wird mit einer Schlinge um den Hals hereingeführt, was nichts Gutes ahnen lässt. Warum Lucrezia mehrfach Kleider und Perücken wechselt, bleibt unklar. Ansonsten ist die Personenführung oft starr.

Die Bühne (von Tassilo Tesche) liegt weitgehend im Dunkel. Sie wird nur wenig variiert. Von Venedig ist nichts zu spüren, nur ein Holzsteg deutet auf die Anwesenheit von Wasser hin. Für Jacopos Verbannung wird ein gelbes Schlauchboot auf die Bühne gehievt. Störend ist die mitunter etwas unruhige Kameraführung. Insgesamt eine vor allem hörenswerte Aufführung. (Coviello Classics COV92314 Blu-Ray)

Wolfgang Denker

In einer anderen Welt

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In schöner Regelmäßigkeit veröffentlicht Erato neue Alben  mit ihrem Exklusivstar Jakub Józef Orlinski. Die aktuelle Ausgabe mit dem polnischen Countertenor ist Beyond betitelt und präsentiert Kompositionen des Frühbarock, des italienischen seicento, darunter mehrere Entdeckungen und Weltersteinspielungen. Wirklich bekannt in der Auswahl sind nur Claudio Monteverdi, Giulio Caccini und Francesco Cavalli. Von ersterem erklingen zu Beginn Ottones Auftrittsarie „E pur io torno qui“ aus der Poppea und die Canzone a voce sola „Voglio di vita uscir“. Der klangvollen Stimme ist ein klagender Ton eigen, der vielen Titeln der Anthologie entgegen kommt, so auch den beiden Monteverdi-Auszügen. Der zweite verlangt dazu eine äußerst flexible Stimmführung, über welche der Sänger souverän verfügt. Von Caccini ertönt das populäre Madrigale a voce sola „Amarilli, mia bella“, welches in allen Sammlungen der Arie antiche zu finden ist und unzählige Male interpretiert wurde. Seine Schlichtheit findet in Orlinskis Interpretation adäquaten Ausdruck. Von Cavalli gibt es eine Arie aus der seltenen Oper Pompeo Magno – die des Titelhelden „Incomprensibil nume“, eine der Weltpremieren des Albums. Den ernsten, getragenen Duktus der Komposition nimmt der Counter in seinem schmerzlichen Gesang auf.

Mit Girolamo Frescobaldi beginnt die Reihe der Titel weniger bekannter Tonsetzer. „Così mi disprezzate?“ ist eine Aria di passagaglia aus seinem Primo libro d’arie musicali per cantarsi. Orlinski serviert das Stück mit Verve und erregtem Ausdruck. Eines der ältesten Stücke der Sammlung (von 1620) ist „Udite, lagrimosi spirti“ aus Claudio Sacracinis Le seconde musiche. Es  steht für die damals gängige Monodia accompagnata. Auch hier besticht die farben- und affektreiche Gestaltung durch den Sänger. Rhythmisch reizvoll ist eine Tarantella, „Chi vuol ch’il cor gioisca“, aus Pietro Paolo Cappellinis Raccolta di Ariette. Der Sänger entspricht mit ausgelassen temperamentvollem Gesang ideal dem Charakter dieses Stückes. Als Ersteinspielung sind drei Arien aus Giovanni Cesare Nettis Oper La filli zu hören. Erstere, „Misero core“, ist ein wehmütiges Klagelied, die zweite, „Sí, sì, sciolga“, auftrumpfend, die letzte, „Dolcissime catene“, wiederum  wehmutsvoll. Später folgen noch zwei Szenen aus seiner Oper Crinalba als Kabinettstücke mit verstellter Stimme und imitiertem Gelächter. Pompeianos Arie „La certezza di sua fede“ aus Antonio Sartorios Antonino e Pompeiano ist ein tänzerisch inspirierter Gesang von fröhlicher Art. Wirklich heroisch mit seinem Trompetengeschmetter und dem fulminanten Gesang ist Eugerios „A battaglia“ aus Giuseppe Antonio Bernabeis Il segreto d’amore in petto del Savio – ein musikalischer Höhepunkt der Platte. Perfekt dazu passt das folgende Concerto „Tamburetta“ von Adam Jarzebski in seiner martialischen Verve. Die drei Arien in Giovanni Battista Vitalis Huldigungskantate „Donde avvien che tutt’ebro di vera gioia“ verlangen dem Interpreten ein Höchstmaß an Bravour ab und lassen Orlinskis Virtuosität hell erstrahlen. Mit einem Klagelied des Amore, „Lungi dai nostri cor“, aus Sebastiano Moratellis La faretra smarrita endet die Sammlung besinnlich.

Bei dem im Dezember 2022 in Padova entstandenen Album begleitet das renommierte Barock-Ensemble Il Pomo d’Oro. Dem Sänger ist es ein inspirierender Partner und mit mehreren Instrumentalbeiträgen von Johannes Hieronymus Kapsberger, Johann Caspar von Kerll, Carlo Pallavicino, Biagio Marini und Adam Jarzebski bietet es nicht nur veritable Raritäten, sondern auch exquisite musikalische Genüsse.

Aufwändig gestaltet ist das Artwork der CD (5054197726453) mit mehreren durch Wasserspritzer und Blattgoldteilchen verfremdeten Fotos. Wirklich ärgerlich ist die winzige Schriftgröße der Texte, zudem auf nervösem schwarz/grauem Fond, im Booklet. Bernd Hoppe

FRÉDÉRIC CHASLIN

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Frédéric Chaslin ist ein wahrer Tausendsassa. Seit Jahrzehnten einer der gefragtesten Dirigenten, ist der Franzose auch ein vielbeschäftigter Komponist mit einem beeindruckenden Werkverzeichnis, das unter anderem mehrere Opern beinhaltet. Auch als Pianist bestreitet Chaslin regelmäßig Konzerte und macht Studioaufnahmen, außerdem hat er verschiedene Bücher geschrieben. Zurzeit leitet er „Les Contes d’Hoffmann“ an der Dresdner Semperoper. Beat Schmid hat mit dem Künstler über Offenbachs Oper und deren verschiedene Fassungen gesprochen, sowie über seine Tätigkeit als Komponist, seine Ausbildung als Assistent Barenboims und Boulezs und vieles mehr.

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Im Oktober und November kehren Sie wieder an die Dresdner Semperoper zurück. Auf dem Programm steht „Les Contes d’Hoffmann“, in der Produktion, die unter Ihrer musikalischen Leitung in der Spielzeit 2016/17 dort Premiere feierte. Sie dirigieren diese Oper seit Jahrzehnten, in Häusern wie der Metropolitan Opera, der Wiener Staatsoper bis zuletzt in diesem Jahr an der Mailänder Scala. Könnten Sie Ihre Herangehensweise an diese Oper erklären, den Unterschied zwischen den verschiedenen Versionen und ob Sie sich letztendlich für eine bestimmte Ausgabe entschieden haben? Beabsichtigen Sie, eine eigene kritische Ausgabe zu veröffentlichen? Es gibt eigentlich nur noch drei offizielle Fassungen. Die ursprüngliche französische (Choudens), die damalige von Oeser für Alkor, für die viel Material plötzlich aufgetaucht ist, und natürlich die Fassung von Schott, die ein Haufen von Manuskripten auf den Markt gebracht hat. Ich bemühe mich seit Jahren darum, ein wenig Ordnung und Klarheit hinein zu bringen, aber das ist eine sehr schwierige Sache. Denn es ist völlig unklar, was Offenbach wirklich geschrieben hat und was seine Pläne für Hoffmann Erzählungen gewesen wären. Es ist wirklich eine Detektivarbeit « à la Sherlock Holmes ». Ich bereite eigentlich eine neue Edition vor, in der ich alles klar vorstellen werde, und mich besonders bemühen werde, die Orchestrierung zu vereinigen. Denn es gibt zu viele Hände, die sich im 20. Jahrhundert eingemischt haben. Und man spürt das stilistisch an manchen Stellen. Ich habe damit bereits im März für die Mailänder Scala begonnen, aber dann hat die Zeit gefehlt, diese neue Edition bis dahin fertigzustellen.

Ich habe den „Hoffmann“ in mehr als 30 verschiedenen neuen Produktionen und über 500 Vorstellungen im Laufe von 25 Jahren dirigiert. Für meine Herangehensweise ist sowohl meine Erfahrung, als auch meine eigene Ausbildung als Komponist, und natürlich als Dirigent zentral. Nachdem ich zwölf Opern selber geschrieben habe, und vieles von anderen Komponisten gründlich studiert habe, erlaube ich mir nun, ein wenig tiefer in diese Partitur zu schauen. Wie gesagt, ich bereite meine eigene Fassung vor. Ich bin der Meinung, dieses Stück wird für immer und ewig unvollendet bleiben, man muss aber eine richtige Anzahl von möglichen Kombinationen anbieten, sodass jede Produktion sich das Stück wieder „zusammenbasteln“ kann. Nur wichtig für mich ist, ganz genau zu wissen, was Offenbach ist, was 50 % Offenbach ist und was null Prozent Offenbach ist. Das ist das Ziel meiner zukünftigen Edition. Aber um Ihre Frage genauer zu beantworten:

Die „originale“ Choudens-Edition ist eine Mischung aus dem, was Offenbach und seine engen Freunde, Ernest Guiraud und Raoul Gunsbourg hinterlassen haben. Es hat bis zu 20 Jahre gedauert, bis der Antonia-Akt zu dem « vollendet » war, wie man es heute hören kann. Die « Barcarolle » zum Beispiel, war in der ersten Partitur im Antonia-Akt, denn es gab noch keinen Giulietta-Akt. Das kann man sogar auf IMSPL.COM nachlesen, unter Hoffmanns Erzählungen, ganze Partituren.

Dann hat Fritz Oeser für Alkor ein paar « Erfindungen » gemacht, besonders die « Violinen » Arie im Antonia-Akt für die Rolle des Nicklausse, und den ziemlich pompösen Schluss der Oper, der sehr wagnerisch klingt, wenig nach Offenbach. Aber jetzt liebt jeder dieses Finale. Ob es echt Offenbach ist, kann ich nicht sagen, denn ich habe umsonst mehrmals um das Manuskript gebeten und nie eine Antwort bekommen. Eines ist sicher: das Arrangement und die Orchestrierung sind von Oeser, denn Offenbach hat NUR die Arie des « Kleinzack » orchestriert. Das, zum Beispiel, wird bearbeitet, damit es nach einem echten Offenbach klingt.

Dann kam die Schott-Fassung mit extrem viel neuem Material. Die Quelle habe ich gefunden, und sie liegt nun in der Bibliothek der Universität Stanford, wo man sie online lesen kann. Mehrere hundert Seiten, die nicht aus Offenbachs Feder sind. Die Schott-Fassung hat auch sehr viele Fehler, manchmal «italienische Ausdrucks-Hinweise» wie « meno molto », was im Italienischen nicht existiert. « Wenig viel », oder « less much » oder « moins beaucoup » funktioniert in keiner Sprache. Ein kleines Beispiel von vielen anderen Fehlern.

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Sie sind ja auch Komponist und haben unter anderem mehrere Opern geschrieben. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben? Schreiben Sie lieber Instrumentalmusik oder Vokalmusik? Ich schreibe zwar Instrumentalmusik, aber meine Vorliebe geht zur Stimme, zur Oper, zu Liedern. Alles, was ursprünglich aus einem Text stammt. Das Drama interessiert mich mehr als alles andere, darum bin ich Opern-Dirigent geworden. Ebenso denke ich, dass eine Sinfonie ein inneres Drama hat, das man wie ein Opern-Dirigent oder Opernregisseur betrachten kann. Mein Stil würde ich etwas zwischen Britten und Bernstein ansiedeln, manchmal extrem in Richtung Popmusik gehend, aber immer durch den Filter meiner klassischen Ausbildung.

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Sprechen wir über Ihre neueste Oper, Monte Christo. Wie ist sie entstanden? Wie sind Sie auf das Thema gekommen, und was können Sie unseren Lesern über die Charakteristika dieser Oper erzählen? Es ist eigentlich nicht mehr meine neueste Oper, denn ich habe inzwischen ein 60 minütiges Stück nach Jean Cocteau für Mezzosopran und Orchester komponiert. Sozusagen der Zwillingsbruder von La Voix Humaine. Eine komische Oper für Lissabon, mit einem Text von Jose Saramago. Das Stück wird nächstes Jahr uraufgeführt. Und gerade schreibe ich die letzte Seite von „Der kleine Prinz“ nach Saint-Exupéry. Monte Christo habe ich vor drei Jahren fertig geschrieben und ich bin froh, dass das Werk noch nicht uraufgeführt worden ist. Denn vieles habe ich inzwischen verbessert. Es handelt sich um eine Oper, die eine Brücke zwischen der klassischen Oper und der musikalischen Komödie schlägt. Ein wenig wie Bernsteins Candide

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Zuletzt sind zwei Alben erschienen, für die Sie sowohl Musik geschrieben haben, als auch als Pianist beziehungsweise als Dirigent vertreten sind. Können Sie uns mehr über das Poulenc Album erzählen und über Rendez-Vous? Rendez-vous ist ein Zyklus von 6 Melodien für Sopran, Trompete und Klavier, nach drei verschiedenen Dichter. Die Idee war, das Repertoire für dieses Mini-Ensemble auszuweiten und ein richtiges Konzertprogramm zusammenzubauen. Deswegen haben wir auch sechs Texte schreiben lassen, die zu jeder Melodie passen.

Das Poulenc Album, das in Venedig am Teatro La Fenice aufgenommen worden ist, besteht aus « La Voix Humaine » mit Juli Cherrier-Hoffmann, meine Frau, und sieben Melodien von Poulenc, ursprünglich für Klavier, die ich für das Album orchestriert habe, damit nun auch ein Poulenc-Zyklus zum Konzertrepertoire für Sopran und Orchester zählt.

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Und welche Beziehung haben Sie zum deutschen Repertoire? Ich bin ja quasi im deutschen Repertoire geboren. Als Pianist, als Assistent in Bayreuth (1988), als Student in Salzburg, als Generalmusikdirektor in Mannheim (2004-2007) und generell in 22 Jahren an der Wiener Staatsoper.

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Sie waren der Assistent von Daniel Barenboim und Pierre Boulez. Wie war Ihre Beziehung zu diesen musikalischen Giganten und wie war die Zusammenarbeit mit ihnen? Diese Zusammenarbeit ist der Boden, auf dem ich jetzt stehe. Drei Jahre mit jedem. Barenboim hat mir alles über die Kunst des Klanges beigebracht, mit Boulez habe ich gelernt, die verschiedenen Aspekte der Musik gründlicher zu betrachten und die Organisation der Arbeit optimal vorzubereiten. Die beiden waren bzw sind extrem verschieden. Für mich deshalb wie zwei Seiten einer Medaille.

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Sie dirigieren gleichermaßen Opern und Symphonien: Haben Sie eine Vorliebe für eines der beiden Genres? Nein, beide sind notwendig, um ein kompletter Dirigenten zu sein. Und es ist wichtig, regelmäßig zur Symphonie zurückzukehren, denn nur da arbeitet man gründlich und bis zum Kern…

Und drei Worte zu ihrem musikalischen Werdegang? Wie haben Sie zur Musik gefunden? Wir wissen, dass Sie eine Art Wunderkind und mit 9 Jahren der jüngste Organist Frankreichs waren… Es hat mit fünf angefangen, mit Klavier und « Komposition ». Ich schrieb mit Zeichnungen, die für mich eine Bedeutung hatten. Das Heft habe ich noch immer, kann es leider nicht mehr entziffern. Die Orgel war eine Art Mini-Orchester für mich und eine Vorbereitung für das, was später gekommen ist. Regelmäßig kehre ich zurück zur Orgel, sowohl um die Technik nicht zu verlieren, als auch, weil ich einfach Lust darauf habe. (alle Fotos Martinez)

Aufpolsterung einer dürftigen Quellenlage

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Die Jahrhundertstimme ist der Untertitel zum Buch Kirsten Flagstad, das die Norwegerin Ingeborg Solbrekken geschrieben und das Gabriele Haefs ins Deutsche übersetzt hat. Den Schluss des Buches bildet eine Aussage von Flagstads inzwischen verstorbener Nichte gegenüber der Autorin. „Du hättest Tante Kirsten gefallen!“ „Und sie mir auch“, ist Sobrekkens Antwort. In diesen Schlussworten spiegelt sich Stärke wie Schwäche des Buches wider, denn einerseits wirkt es anziehend durch die unverhohlene Stellungnahme für die künstlerisch so erfolgreiche wie menschlich von Schicksalsschlägen heimgesuchte Sängerin, andererseits erfüllt es nicht den Anspruch des Untertitels, dem Leser die besonderen Qualitäten der Sängerin Kirsten Flagstadt nahe zu bringen. Es gibt zwar hin und wieder Aussagen von Kollegen, auch von Stars der internationalen Opernszene, aber die sind so blumig, so verlegen in poetische Vergleiche sich flüchtend wie Jessie Normans  „flüssiges Gold auf schwarzem Samt.

Statt also etwas über die Einmaligkeit dieses Soprans im Vergleich zu anderen zu erfahren, ihre Rollenauffassung von Brünnhilde, Isolde oder Leonore, wird man bis zum Überdruss informiert über eine Flagstad zwischen Intrigen norwegischer Diplomaten und dadurch Verursacher immer wiederkehrender Schuppenflechte und wird ermüdet mit einer akribischen Aufzählung der Solovorhänge an Met oder Covent Garden. Eher als der Melomane über eine Jahrhundertstimme, es sei denn, dieser interessiere sich auch brennend für all das Unrecht, das Flagstad angetan wurde, kann sich der Historiker und kann sich der Jurist über das von den Nazis seit 1941 besetzte Norwegen und dessen Umgang mit Kollaborateuren wie Widerstandskämpfern oder die Rechtmäßigkeit oder Ungerechtigkeit von Prozessen nach der Befreiung Norwegens informieren. Auch der Literaturwissenschaftler oder der Theologe wird zum Beispiel bei ausführlichen Ausführungen über isländische Mythologie pfündig werden. In dieser Hinsicht kann das Werk tatsächlich hoch gelobt werden, während es als Sängerbiographie im Klappentext nicht ganz zu Unrecht als „hochgelobt“ erscheint. Man kann aber auch die Vermutung äußern, dass es hier wegen eines Mangels an wirklich Neuem und Wissenswertem über die Flagstad um den Versuch einer Aufpolsterung der nicht üppigen Quellenlage geht. Kühn, aber immerhin nachvollziehbar ist die mehrfach wiederholte Behauptung, Flagstad habe durch ihre Kunst die Met mehrfach vor dem Konkurs bewahrt und die Oper als Kunstform für die USA gerettet. Nicht der Verführung von Klischees entgeht die Autorin, wenn sie die Freiheitsstatue aus dem Nebel auftauchen lässt, als Flagstad zum ersten Mal den Atlantik in Richtung Met überquert.

Streckenweise ist der Leser erstaunt über die sprachlichen Formulierungen, weiß nicht, ob er sie der Verfasserin oder der Übersetzerin anlasten soll, so ein vor Sehnsucht berstendes Präludium“ für Lohengrin, eine strahlende Gestalt aus der inneren, archaischen Welt“, einem Haus „wie ein luxuriöser Schwan“ oder auch mal einen Irrtum wie eine im  Brautgemach stattfindende Gralserzählung oder ein Kipnis, der den Stolzing singen soll,  eine Eleonore und eine Marcelline im Fidelio, eine Walküre, die „als Oper für Gleichgültige gegolten“ haben sollte. Auch dass Hitler seine Religion auf dem Parsifal aufbauen wollte, ist eine kühne Behauptung, so wie die, Flagstad habe über seherische Fähigkeiten verfügt.

Die Zusammenarbeit Flagstads mit Furtwängler könnte ein dankbares Thema sein, leider gilt das höchste Lob dessen Skilaufen, allerdings auch folgender Erkenntnis: Furtwänglers „Auffassung stimmt überein mit Platons Welt der Idee und Jungs Archetypen“.  

Kirsten Flagstad wurde nach 1945 ihr Pass entzogen, zwar nicht wegen persönlicher Verfehlungen und obwohl sie während des Kriegs nicht in Deutschland gesungen hatte, sondern wegen der vorübergehenden Mitgliedschaft ihres Mannes in der Quisling-Partei und dessen Zusammenarbeit als Unternehmer mit den Deutschen. Ein Hauptvorwurf gegen sie war die Tatsache, dass sie nach Kriegsausbruch in den USA ein rein deutsches Programm gesungen hatte, ihr Hauptfeind war der norwegische Diplomat Morgenstierne, der es im Verlauf der Geschichte zum Botschafter in den USA bringt und dessen Feindschaft gegenüber Flagstad darauf beruhen soll, dass sie nicht zu einem Empfang nach einer Vorstellung kommen mochte. Ganz nebenbei erfährt der Leser, dass auch die Weste des späteren ersten UNO-Generalsekretärs Lie nicht blütenrein gewesen sein soll. Aber alles ist mit Vorsicht zu genießen, denn weder waren Wien und Budapest „von Nazideutschland besetzte Länder“ noch Hitler auch nach 1940 Gast in Bayreuth.

Ein interessanter Teil des Buches ist der über die Verfolgung, der Flagstad nach 1945 ausgesetzt war, durch protestierende Partisanen vor der Scala oder Demonstrationen vor der Met und anderen amerikanischen Bühnen.

Die Geschichte von Schwarzkopfs hohen Cs für ihre Tristan-Plattenaufnahme ist bekannt, die Feststellung eines „Fehlen(s) eines deutlichen weiblichen Ausdrucks“ in Flagstads Stimme weniger, die Beschäftigung mit Strauss‘ Vier letzte Lieder lässt den Leser wieder aufmerken, die Übergabe ihrer Aufgaben an Astrid Varnay in London ihn Rührung verspüren. Weniger interessant als die Tatsache, dass der Sopran noch 1958 eine Fricka für Decca sang,  ist die, dass sie die Erlaubnis gab, eine Kuh Isolde zu nennen. Man sollte nach der Lektüre eine CD hören, um sich von dem Gedanken zu befreien, Flagstad sei ein höchst bemitleidenswertes Wesen gewesen, nur ganz nebenbei auch eine sehr gute Sängerin (Btb Verlag, 480 Seiten, ISBN: 9783442762712). Ingrid Wanja   5. November 2023

Tanzende Cowboys

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Man muss sich schon für tanzende Cowboys und Country und Hornpipe Tänze begeistern können und Gefallen an drollig naiven Liebeständeleien haben, um sich für Oklahoma! zu begeistern. Das Musical, das in den USA so etwas wie nationales Erbe darstellt, ist hierzulande eine ausgesprochene Rarität. Das deutsche Publikum lernte die Farmhaus-Geschichte erst 1973 in Münster kennen. Dreißig Jahr zuvor hatte die erste Zusammenarbeit von Richard Rodgers und Oscar Greeley Clendenning Hammerstein II. mit 2200 Aufführungen einen der größten Musicalerfolge am Broadway installiert.

Im Juli 2022 begaben sich in London zahlreiche Musical-Spezialisten ins Sainsbury Theatre der Royal Academy of Music, um die erste komplette Aufnahme des Musicals zu realisieren, „where every note is played and where they are played as originally writen“. Den philologischen Ernst können wir bewundern, aber ebenso wenig einschätzen wie den korrekten Oklahoma-Akzent (2 CD Chandos CHSA 5322/2). Doch es ist schön, eines der zentralen „goldene age musicals“ aus der großen Zeit des amerikanischen Musicals in einer herausragenden Wiedergabe zu erleben, die beim mehrmaligen Hören die Brillanz, Leichtigkeit und Klarheit der originalen Orchestration von Robert Russell Bennett unterstreicht und von John Wilson und der Sinfonia of London punktgenau ausgespielt wird. Großartig sind die Chor- und Ensembleszenen mit den zahlreichen prägnanten Soloeinwürfe zu Beginn des zweiten Aktes. Der Chor des Oklahoma! Ensembles scheint handverlesen. Wilson, der von einer „informed historical performance“ spricht, benutzt die gleiche Besetzung wie 1943, darunter sechs erste und vier zweite Violinen, je zwei Bratschen, Celli und Bässe sowie umfangreiche Holzbläser, Schlagzeug und Gitarre.

Es singen erfahrene Kräfte, keine Opernstars, wie beispielsweise einst auf den John McGlinn-Aufnahmen von Jerome Kerns Show Boat und Cole Porters Kiss me Kate bei EMI. Kern wurde ursprünglich auch ins Auge gefasst, als Hammerstein aus dem nicht sonderlich erfolgreichen Broadway-Stück Green Grow the Lilacs von Lynn Riggs ein Musical machen sollte. Lynn Riggs, dem der Staat Oklahoma bei seinem Tod 1954 ein Ehrenbegräbnis ausrichtete, siedelte sein Stück im Jahr 1900 auf dem Indianergebiet seiner Kindheit wenige Jahre vor der Gründung des Staates Oklahoma an und zeigt eine Dreiecksgeschichte zwischen dem Cowboy Curley, der Farmertochter Laurey und dem Farmgehilfen Jud. Nathaniel Hackmann und Sierra Boggess geben ein reizendes Farmer-Paar ab, mehr Farbe und Charakter besitzt der wandelbare Bariton Rodney Earl Clarke als Jud. Auch die weiteren Rollen sind typgerecht besetzt: Jamie Parker als Will, Louise Ado als Annie und Nadim Naaman als Aki, die in einer Nebenhandlung den Hauptstrang spiegeln, sowie Sandra Marvin als Tante Eller. Das Musical erhält einen tragischen Anstrich, als bei der Eheschließung von Curly und Laurey, deren Hochzeit nie in Frage stand, sich Jud der Braut nähert und sich in einem Zweikampf mit Curly tödlich verwundet. In der adhoc anberaumten Verhandlung wird Curly freigesprochen. Das Brautpaar kann in die Flitterwochen reisen. Alle singen den Oklahoma-Hymnus „Oklahoma, where the wind comes sweepin‘ down the plain“, und schließlich zu allerletzt „Oh, what a beautiful mornin! Oh, what a beautiful day!“ Ungewöhnlicher als der Mord in einem Musical war die 15minütige Traumszene der Laurey am Ende des ersten Aktes, auch wenn sie nicht ohne Vorbild ist, und die von Agnes de Mill choreographierten Tanzszenen im zweiten Akt, die allesamt in die Handlung integriert sind und bis heute als stilprägend gelten; wie Rodgers, Hammerstein und Riggs firmiert de Mille, die sich durch die Choreographie zu Coplands Rodeo empfohlen hatte, auch auf der CD noch unter den Autoren.  Rolf Fath

 

Persisches all´Italiana

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Seit seinem hinreißenden Orfeo in Glucks Azione teatrale an der Berliner Komischen Oper war der italienische Countertenor Carlo Vistoli für mich ein Ereignis. Berliner Barockliebhaber freuen sich schon jetzt auf seinen Farnace in Mozarts Mitridate im Rahmen der Barocktage der Staatsoper. Jetzt gibt es Gelegenheit, den Sänger in der Titelrolle von Francesco Cavallis Dramma per musica Il Xerse zu erleben, das DYNAMIC auf einer Blu-ray Disc vom Festival della Valle d’Itria aus dem Teatro Verdi in Martina Franca 2022 herausgebracht hat (57983).

Das Libretto zu diesem Werk, das für den Karneval in Venedig 1655 komponiert wurde, stammt von Nicolò Minato und wurde nach Cavalli auch von Giovanni Bononcini und Georg Friedrich Händel vertont mit entsprechend unterschiedlicher Schreibweise von Xerse bis Serse. Es erzählt von der Liebe des persischen Königs zu Romilda, die ihrerseits in dessen Bruder Arsamene verliebt ist, was die in den Werken des Barockgenres üblichen Verwirrungen mit sich bringt.

Die Aufführung im Teatro Verdi von Martina Franca zeigt eine lebendige, zuweilen überdrehte Inszenierung von Leo Muscato in den stimmigen Bühnenbildern von Andrea Belli, denen persische Miniaturen zugrunde liegen. Die Kostüme von Giovanna Fiorentini sind historisch orientiert, aber karikierend, die Uniformen prachtvoll dekoriert, die Perücken monströs. Die Ausrüstung der Soldaten des Perserkönigs mit Maschinengewehren ist ein störendes Detail und Zugeständnis an das aktuelle Regietheater, zumal im Text mehrfach von Schwertern die Rede ist.

Carlo Vistoli führt glanzvoll die Sängerbesetzung an. Der Hit „Ombra mai fu“ erklingt auch hier zu Beginn nach der einleitenden. kurzen Sinfonia, und der Counter vermag sogleich mit seiner wohltönenden Stimme zu bezaubern. Bs zum Schluss sorgt er für die vokalen Höhepunkte der Aufführung. Sein letztes Solo ist ein Lamento con violini kurz vor Schluss („Lasciatemi morir“), welches er mit tiefer Empfindung gestaltet. Als seine angebetete Romilda tritt Carolina Lippo auf, die in ihrer Eingangsarie einen bohrenden, heulenden Sopran hören lässt. Auch später ist ihr Gesang eine Prüfung. Einzig die Arie „Amante non è“ im 2. Akt überzeugt in ihrer zupackenden Entschlossenheit. Die Hosenrolle des Arsamene nimmt Gala Petrone mit herbem Mezzo wahr. Einen klangvollen Sopran lässt Dioklea Hoxha als Adelanta hören. Jubelnd und leuchtend singt Ekaterina Protsenko Amastres Arien „Regie stelle“ am Ende des 1. und „Speranze, fuggite“ zu Beginn des 2. Aktes. Mit der heroischen Arie „Già la tromba“ kann Carlo Alemano als Ariodate mit reifem Bass glänzen. Für Koloraturläufe allerdings ist die Stimme mittlerweile zu schwerfällig. Elviro ist die komische Figur des Stückes, Aco Biscevic gibt ihr mit mit individueller Stimme zwischen handfestem Tenor und krähendem Altus markantes Profil. Mit Nicolò Balducci als Botschafter Periarco gibt es noch einen echten Countertenor, der zudem mit angenehmer Stimme gefällt.

Das Orchestra Barocca Modo Antiquo leitet Federico Maria Sardelli – ein im Barock renommierter Dirigent am Pult eines in diesem Genre gleichfalls bekannten Ensembles. Dessen Spiel ist reich an Farben, Kontrasten und Affekten. Bernd Hoppe

 

Peter Rahner

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Mit Bedauern las ich vom Tod Peter Rahners, der für die älteren Sammler von Opern und der Live-Raritäten für Deutschland vor allem der Sechziger/Siebziger unendlich wichtig war. Er vertrieb nicht nur die internationalen Labels des „grauen Marktes“ (solche wie Melodram, Arkadia, Morgan, LH und viele mehr, namentlich auch die wunderbaren LP-Ausgaben von MRF und BJR), sondern er produzierte – zumindest in den Anfängen – auch eigene LPs, meist Radio-Mitschnitte.

Ich erinnere mich an einen Tag in München 1971 im Untergeschoss des herrlichen Klassik-Geschäftes am Marienplatz, wo zwei sehr kenntnisreiche Herren ihrer Beratung weilten und sich ihr Laden zu einer Wärmestube für Opernfans fest installiert hatte. Ein Besuch ebendort war de rigeur für den Auswärtigen. Jedenfalls: Unser Gespräch, das gerne auch recht private Dimensionen einschloss, wurde an diesem Tage jäh unterbrochen, als feste Stiefel die Wendeltreppe herunterpolterten und eine herbe dunkle Frauenstimme robust rief: „Wo ist der Mozart, ich will drei Stück!“, meinend die gerade frisch gepresste Clemenza di Tito aus dem Cuvillies Theater mit eben ihr, Brigitte Fassbaender, und Julia Varady. Das Ganze auf den rot ettikettierten LPs von Peter Rahner. Gerade eingetroffen im schmucklosen schwarzen Schuber (Dank an unseren Leser für die richtigen Daten).

Peter Rahner war ein Schatz, er besorgte fast alles aus dem Opernmarkt, schickte in jeden Winkel Europas seine Päckchen mit Ware, die man am Telefon bestellte (wo die kleine Tochter aktiv zu hören  war). Oft schickte er auch Unverlangtes, in der Hoffnung, man würde das behalten, was auch mal ärgerlich war. Dennoch: Peter Rahner trug entscheidend zur Kenntnis des Unbekannten, Raren auf dem Gebiet der Oper für uns Fans bei.

Nun starb er mit 76 Jahren in seinem schwäbischen Heimatort Waldkirch-Kollnau. Er wird bei uns Opern-Liebhabern in Erinnerung bleiben (Foto oben Golfclub Gütersloh). G. H.