Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Renata Scotto

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Genau drei Zentimeter vor dem Matinée-Radio-Mikrophon starb Manon Lescaut in der stimmungsvoll-konservativen Inszenierung an der Met 1979 – Renata Scotto hatte sich durch Pappe und Wüstenersatz genau zu diesem strategischen Punkt der Riesenbühne hindurchgerobbt, um vor dem diskret aufragenden Mikrophon von Texaco unendlich wirkungsvoll an 3 Millionen Radiozuhörer ihre letzten Töne  zu verhauchen. Das war Kunst, das war Chuzpe, das war Können und Raffinement. Publikum wie  auch ich erstarrt, mesmerisiert, sprachlos, um dann in frenetischen Jubel auszubrechen. Diese zierliche Gestalt, die da ebenso gekonnt wie gerührt ihren unendlichen Applaus entgegen nahm („Wie? Ich? Wirklich?“ „Aber nein…“), schien nicht aus dieser Welt zu sein. Und dennoch hatte sie, Renata Scotto, uns drei Stunden lang Magie vorgeführt (Pausen an der Met sind lang), hatte uns glauben machen, sie sei ein junges Ding voller Sehnsucht nach dem Leben, voller Unschuld bis zum Schluss, voller Kraft in der in diesem Stück stark geforderten Stimme.

Renata Scotto und Placido Domingo in „Francesca da Rimini“ an der Met/Met Opera Archive

Ich werde auch nicht ihre Francesca da Rimini vergessen, wie sie in dieser unendlich luxuriösen Produktion (dto. 1984 recht reif an der Met und auf DVD bei DG) neben dem extrem sexy Domingo eine Jugendstil-Elfe gab, voller Poesie, voller rollengerechter Manier und erneut voller Sehnsucht nach der Liebe, nach Sterben auf höchstem Niveau, stimmlich von einer Perfektion der kleinen Noten, der schimmernden Valeurs, die sie mit sparsamen, mädchenhaften Gesten unterstrich.

Ihre Desdemona neben Domingo oder Vickers am selben Haus hatte für mich diese Modena-Entschlossenheit, dieses unglaublich Italienische, das ans Resolute grenzt und gleichzeitig mit festem Glauben am Fatalen festhält – eine wunderbare Charakterstudie einer Frau, die offenen Auges in ihr Verderben stürzt, die wie Carmen weiß, was ihr passieren wird.

Merkwürdiger Weise habe ich bei der Scotto selten nach dem Wie oder Womit gefragt – natürlich, die Stimme als solche wäre eigentlich fast immer zu klein für diese großen Partien gewesen, und die Höhe konnte auch sehr scharf klingen, manchmal auch sauer, zumal zu Beginn der Karriere. Aber die Scotto kompensierte ihre sehr lyrische Herkunft (wie man sie auf frühen Aufnahmen als Lucia oder Gilda hört) mit ungeheurer Intelligenz der Gestaltung, beherrschte ihr Instrument perfekt und über dessen natürliche Grenzen hinaus und machte aus jeder Phrase ein Ereignis, ein Puzzlestück im funkelnden Ganzen. Keine wie sie, möchte man sagen, folgte der Callas dichter nach. Keine wie sie beherrschte die Diktion so unglaublich raffiniert zur Gestaltung eines Charakters, keine wie sie machte beim Singen einen solchen Zauberladen an Illusion und Kunst auf. Sie war eine Magierin. Andere wucherten vielleicht mit mehr Kraft oder runderen Stimmen – die Scotto überzeugte durch Überzeugung. Ihr Illusionstheater war einfach perfekt.

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Renata Scotto als Marschallin in Catania/ Foto Teatro Bellini Catania/Th. Voigt

Über ihren Werdegang kann man alles bei Wikipedia nachlesen  – eine Frau ohne Skandale, privat immer eine Dame und immer eine Künstlerin, immer eine ebenso charmante wie entzückende Person (wie ich selber sie bei mehreren Gesprächen und in Meisterkursen in Italien  in Erinnerung habe). Dazu eine neugierige, die die Grenzen ihres Mediums vor allem gegen Ende ihrer Gesangskarriere auslotete mit der Femme von Poulenc, sogar mit Straussens Marschallin (in Palermo) und Klytämnestra (in Schwerin – che coraggio!) und Wagners Kundry (dto., mit Robenwechsel für den Mittelakt), letztere sehr eindrucksvoll konzentriert und erstaunlich wortdeutlich, selbst wenn dies nicht wirklich ihr Metier war zollte man doch der Künstlerin Bewunderung.

Dieser konsequente Werdegang von der Lyrischen zur Spinto-Sängerin zeitigte so viele glückliche Auftritte und Platteneinspielungen, dass sie für die Nach-Callas-Ära die ganz bestimmende Sängerin war, auch durch ihren klugen Schachzug, die Nachfolge der Tebaldi unter James Levine an der Met anzutreten, wo sie ihre größten Erfolge hatte. Aber eigentlich trat sie, außer als Einspringerin für die Callas-Sonnambula in Edinburgh 1978 (entzückend-charaktervoll hab ich sie in Erinnerung), mit ihrer allerersten Norma unter Muti 1979 in Florenz ins Rampenlicht der Welt (die bezaubernde Margherita Rinaldi als Sopran-Adalgisa nicht zu vergessen). Von nun ging´s voran. Und es gibt manche ihrer Einspielungen, ohne die ich nicht leben möchte – ihre Abigaille/EMI, Traviata/EMI, Butterfly/EMI und Sony, Francesca da Rimini/DG, Manon Lescaut/DG und Luisa Miller/DG, dazu ihre Lady Macbeth aus London und New York und vielleicht noch die für mich unerreichten Porträts liebender Frauen großen Formats auf den verschiedenen Sony-LPs/CDs. Renata Scotto hat exemplarisch vorgeführt, was man mit Willenskraft, einer bombigen Technik und vor allem größter musikalischer Intelligenz erreichen kann: die künstlerische Wahrheit. Sie starb am 16. August im Alter von 89 Jahren in Savona. Grazie Signora. Geerd Heinsen

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Nicht vergessen werden soll ihre pädagogische Tätigkeit in zahlreichen Meisterkursen, vor allem aber auch nicht ihre bedeutenden Regiearbeiten. Dazu fand sich in unserem Archiv ein Gespräch mit Samuel Zinsli anlässlich von Scottos Arbeit an der Wally Catalanis am Stadttheater Bern von 2005, das wir nachstehend noch einmal in Auszügen bringen./G. H.

Renata Scotto als Verdis Elisabetta an der Met/ Foto Davidson

„Die Oper ist für Emotionen gemacht!“: Gerade mal zwei Stunden vor der Premiere ihrer „Wally“­ Produktion am Stadttheater Bern erschien die Künstlerin blendend aufgelegt im stilvollen Foyer des Theaters und nahm sich viel Zeit für ein Gespräch über’s Regieführen, über Catalanis Wally – und natürlich auch über sich selbst.

Lange sind Sie als Sängerin in allen Opernhäusern zu Hause gewesen – nun kommen Sie als Regisseurin. Ist das ein großer Unterschied? Inszenieren ist schwierig. Als Sängerin habe ich die Musik, die mich führt. Auch beim Inszenieren kann ich mich von der Musik führen lassen, aber als Regisseurin bin ich noch jung … Ich habe nun eine neue Karriere, die ich ebenso liebe wie das Singen, aber es sind zwei sehr verschiedene Dinge – jetzt trage ich die Verantwortung für die ganze Produktion, auch für die Auswahl des Bühnenbildners, des Kostümbildners, des Theaters, der Beleuchtung … Und aufs Bühnenbild lege ich besonderen Wert. „La Wally“ in Bern ist nun meine vierte Produktion mit Carlo Diappi, der mein Lieblingsbühnen- und Kostümbildner ist. Ich mag Theater, das modern ist – und auch wieder nicht modern. Das heißt, ich vertraue auf die Musik, deshalb ziehe ich einfache, stilisierende Bühnenbilder vor, die eine klare Idee von der Handlung vermitteln. Und der romanticismo, den die Musik vorgibt, wird in den Kostümen und der Lichtgestaltung wiederaufgenommen. Mich interessiert das Ganze – da sind die Solisten und der Chor, und alle sind Menschen, die es zu respektieren und zu führen gilt. Die Arbeit mit den Sängern fällt mir verhältnismäßig leicht, weil ich ja selbst Sängerin war – sie vertrauen darauf , dass ich die vokalen Anforderungen verstehe und ihnen Bedingungen schaffe, in denen sie singen und spielen können. Denn für mich ist der perfekte Sänger der, der es schafft, singend darzustellen und darstellend zu singen.

Renata Scotto sings Christmas Songs/Vai

Wie sind Sie Regisseurin geworden? Ach, ganz zufällig! Ich hatte die Butterfly an der Met schon unzählige Male gesungen und wurde wieder dafür angefragt. Aber ich wollte es nicht mehr machen und sagte: „Gebt mir eine andere Oper!“ Und da kam die Antwort von der Met: „Dann geben wir dir die ganze Produktion – mach damit, was du willst!“ Ich hab drei, vier Monate lang überlegt. Das war eine sehr schöne Inszenierung von einem Japaner, in der ich oft aufgetreten war, die ich also sehr gut kannte. Aber im Laufe der Zeit hatten andere Regisseure und Assistenten sie verdorben, lauter unnützes Zeug dazugetan. Deshalb habe ich mir schließlich gesagt: Vielleicht könnte man zurück zum Original gehen – und dann habe ich eingewilligt. Das war ziemlich mühsam, aber an der Met kriegt man ja alle Hilfe, die man braucht. Das war 1986. Ich bin also – mit der Met! – ziemlich weit oben eingestiegen. Dann hat man mir schon für’s nächste Jahr eine neue „Butterfly“ in der Arena di Verona angeboten. 80 Choristen, 45 Geishas, 25 ballerine! Und einen künstlichen See haben wir konstruiert – ein schönes, untraditionelles Bühnenbild. Das war eine Erfahrung… Ich habe dabei fünf Kilo abgenommen. Aber man wächst ja mit seinen Aufgaben.

Von da an habe ich versucht, alle Aspekte des Theaters kennenzulernen, auch die Technik, die Arbeit der Bühnenarbeiter und der Elektriker. Dann kamen auch Regiearbeiten, um die Sängerinnen und Sänger mich gebeten haben, z. B. Deborah Voigts Tosca-Debüt in Miami. Und dann eine Traviata, auch in Miami, eine in New York an der City Opera, wo ich einen Emmy für die Fernsehübertragung gewonnen habe, SonnambulaAdriana Lecouvreur in Santiago, eben komme ich von einer Butterfly in Dallas – Sie sehen, ich bin fürchterlich beschäftigt! Ach ja, ich habe auch einmal Regie geführt und selber mitgesungen, das war im Medium von Menotti – da war ebenfalls Carlo Diappi der Bühnenbildner. Mit ihm habe ich dazu Pirata und Norma gemacht. Norma inszenieren – ah, che lavoro! Aber eine schöne Arbeit! Wir hatten zwei sehr gute Sängerinnen, Serena Farnocchia als Adalgisa und Cynthia Makris als Norma – und ihr Mann Raimo Sirkiä als Pollione. Das war eine unglaubliche Anstrengung, aber ich habe es sehr genossen, denn ich liebe Norma. Diappi hat dafür nur Holz verwendet, finnisches Holz in neoklassischen Strukturen, mit neoklassischen Kostümen.

Gibt es Regisseure, die Ihnen besondere Vorbilder geworden sind? Ja, mindestens fünf! Vor allem John Dexter, der mein großer Maestro an der Met war, ein unvergesslicher Regisseur. Piero Faggioni, Mauro Bolognini, Raf Vallone, Peter Hall, mit dem ich Macbeth gemacht habe – unvergesslich , wie er mit mir die Figur der Lady geformt hat. Mit Franco Zeffirelli habe ich leider nur die Musetta an der Met gemacht. Ich erinnere mich auch gern an Renato Castellani, aber das ist länger her. Von Faggioni, Hall und Dexter habe ich besonders viel gelernt – wie ich mich auf der Bühne bewegen muss, wie ich die Worte verinnerlichen kann und sie nicht nur singe. Ich muss sagen, ich habe immer versucht zuzuhören und zu lernen. Oft kann man auch von nicht besonders guten Regisseuren etwas lernen.

Renata Scotto als Marschallin mit Ruthhild Engert/ Octavian/ Foto Teatro Bellini Catania/Th. Voigt

Singen Sie noch? Es gab Gerüchte über eine Pique Dame: No, cantare basta. Ho chiuso. Nein! Ich mag keine alte Frau spielen, auch wenn ich nun eine bin. Genau, ich bin für die Rolle noch zu jung! Nein, ernsthaft, das wäre auch nicht mein Fach. Gut, ich habe Klytämnestra gesungen, aber dann hab ich gesagt: Jetzt ist Schluss! Man braucht zum Singen Körper und Geist, und – ich singe zwar noch gelegentlich in den zwei Kursen, die ich jährlich an der Accademia Santa Cecilia gebe, aber wenn ich heute eine Mädchenrolle interpretieren soll, fühle ich mich dabei nicht mehr wohl – das passt nicht. Und ich bin zufrieden damit, denn nun stehe ich morgens auf und muss nicht sofort testen, ob die Stimme in Ordnung ist, ich kann plaudern, lang aufbleiben … Ich habe so viele schöne Erinnerungen und Aufnahmen, warum also immer noch singen, jetzt, wo meine Stimme nicht mehr so schön ist wie vor 20 Jahren? Mir gefällt mein Leben, wie es ist. Ich bin Großmutter und genieße die Zeit mit meinem Enkel, der schon dreieinhalb ist, ich unterrichte und inszeniere – und ich gehe für mein Leben gern ins Theater, auch ins Sprechtheater, auch Modemes. Diese Woche war ich in Zürich in „Ariane et Barbe­ Bleu“, das hat mir sehr gefallen! Dagegen fällt es mir schwerer, z. B. in eine „Butterfly“ zu gehen – außer, es singt eine meiner Schülerinnen.

Renata Scortto als Norma an der Met/Publicity Photo/ Norman Mitchel/ Met Opera Archive

Wie stehen Sie zu der verbreiteten Meinung, es gebe heute weniger große Sängerpersönlichkeiten als früher? Wissen Sie, ich spreche nicht gern von der Vergangenheit , mich interessiert die Gegenwart. Wir haben heute großartige Sängerinnen und Sänger wie eine Renée Fleming, eine Deborah Voigt , einen Marcello Giordani und andere, und ich glaube, das sind die Künstler, die die Oper weitertragen. Es ist heute anders – die jungen Sänger glauben, sie hätten nur wenig Zeit zum Wachsen, zum Entwickeln. Es gibt unglaublich viel Konkurrenz, man braucht sofort die Aufmerksamkeit der Medien – und das ist nicht die beste Methode für organisches Wachsen, nicht wahr? Was man schnell, schnell aufbaut, hält meist auch nicht lange. Ich rate den Jungen immer, es adagio anzugehen – sie haben ja so viel Zeit. Ich habe aber Angst für das Genre Oper heute – dass das Publikum sich zu sehr an spektakuläre Effekte gewöhnt. Manche jungen Regisseure kennen und lieben die Musik nicht mehr, bedienen sich des Theaters nur noch. Und das ist kein Dienst am neuen Publikum. Das Publikum braucht Emotionen – wenn es kalt aus der Oper kommt, bringen wir das Theater nicht weiter. Auch manche Dirigenten verderben viel mit der Mode, alles ganz präzis und streng im Metrum und genau wie notiert zu nehmen. Die Oper ist doch für Emotionen gemacht , da muss mal eine Note länger gehalten werden, und dann wird applaudiert. Man applaudiert heute weniger in der Oper – warum? Fehlt da der Enthusiasmus, die Emotion? So. Ich habe alles gesagt – jetzt muss ich gehen (Foto oben Renata Scotto als Francesca da Rimini an deer Met/Foto DG Video).

Louise Bertins „Fausto“

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Mit Spannung erwartet ging in Paris Louise Bertins Oper Fausto von 1831 über die konzertanten Bretter des Pariser Théâtre Champs-Elysées am 20. Juni 2023, ein Projekt des Palazetto Bru Zane für seine CD-Veröffentlichung in der Reihe der Romantischen französischen Oper. Beim zehnten Festival Palazzetto Bru Zane präsentierten das auf alte Musik spezialisierte Ensemble Les Talens Lyriques und sein Dirigent Christophe Rousset eine historisch orientierte Aufführung mit Naturtrompeten und -Hörnern. Wie dieser Fausto mit modernem Instrumenten  klingt, kann man im Januar 2024 am Aalto-Theater in Essen hören.

Nach Esmeralda aus Montpellier (bei Accord) und Le Loup-garou (aus Albuquerque) ist dies nun bereits die dritte Oper der Komponistin, die ausgegraben wurde. Aber braucht die Welt nun noch eine derselben Komponistin? Angesichts der vielen, vielen Kenntnis-Lücken im französischen Repertoire der Zeit? Zumal der musikalische Eindruck mich zumindest „nicht vom Hocker“ reißt und sich in der Assoziation viele andere Werke der Epoche positiver und vor allem auch musikalisch interessanter hervordrängen… Und dieses „nur“ weil sie von einer Frau komponiert wurde? Manchmal schüttelt der Sammler doch den Kopf über die Programm-Auswahl des Palazzetto…

Nachstehend eine Einschätzung zum Werk von Charles Jernigan und einige Pressestimmen zur Uraufführung 1831.  Danach ein Blick auf die Aufnahme aus dem Umfeld der Pariser Aufführung.

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Zu Louise Bertins „Fausto“: Die Komponistin/ Wikipedia

Die Karriere der Komponistin Louise Bertin spielte sich in erster Linie auf der Opernbühne ab. Als die Romantik in der Musik zur vollen Entfaltung kam, leuchtete ihr Stern am Pariser Musikhimmel wie ein Meteor. Einige Monate nach den Huit Scènes de Faust von Berlioz ließ Louise Bertin sich ebenfalls von Goethe inspirierten und komponierte eine Oper für das Théâtre-Italien in Paris. Es gab nur drei Aufführungen. Die Uraufführung blieb fast unbemerkt (trotz einer sehr positiven Kritik) und die Oper wurde nicht wiederaufgenommen. Obwohl die Oper mit einem Tenor (Domenico Donzelli) in der Titelrolle uraufgeführt wurde, hat sich der Palazzetto Bru Zane entschieden, die Originalfassung dieser Oper zur Uraufführung zu bringen, aus deren Manuskript hervorgeht, dass die Rolle des Faust von einer Frau (Rosmunda Pisaroni) gesungen werden sollte.

Goethes Faust, Erster und Zweiter Teil, inspirierte im neunzehnten Jahrhundert mehrere Komponisten: Berlioz, Gounod, Schumann, Listz und Boito, um nur einige zu nennen. Die erste Faust-Oper auf der Grundlage von Goethes großem Versdrama stammt jedoch von einer Französin, Louise Bertin. Und sie komponierte sie nach einem italienischen Text. (Quelle Palazzetto/ G. H.)

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Louise Bertins Oper „Fausto“: Für Rosamunde Pisaroni war die Uraufführung 1831 gedacht, sie wurde krank und durch den Tenor Donzelli ersetzt; der Palazzetto Bru Zane folgt mit Konzert 2023 und Aufnahme der Intention der Erstfassung/ Opera Rara

Und nun Charles Jernigan zu Louise Bertins Fausto : Was für eine interessante Komponistin ist Louise Bertin (1805-77)! In ihrer Kindheit verkrüppelt, wahrscheinlich durch Kinderlähmung oder einen Unfall in der Kindheit, schlug sie nicht den traditionellen Weg einer Frau ihres Alters ein – Heirat und Kinder. Sie wurde weder in großem Reichtum noch in der Aristokratie geboren, war aber dennoch das Kind intelligenter Eltern, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Pariser Kunstwelt sehr gut vernetzt waren und sich um ihre Tochter kümmerten, indem sie ihr Möglichkeiten des Selbstausdrucks und der Selbstverwirklichung boten, die für eine Frau zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts sicherlich ungewöhnlich waren. Ausgebildet von Fétis und Anton Reicha, den wohl besten Musiklehrern der damaligen Zeit in Paris, begann Bertin schon früh eine Karriere als Komponistin und schrieb 1825, als sie 20 Jahre alt war, ihre erste Oper (Guy Mannering nach Walter Scott). Sie wurde privat aufgeführt, aber ihr erstes professionell produziertes Werk – an der Opéra-Comique – war 1827 der Einakter Le loup-garou, mit einem Libretto von keinem Geringeren als Eugène Scribe. (Es wurde im September 2022 von der Opera Southwest in Albuquerque, New Mexico, und im November von der Gothic Opera in London wiederaufgenommen).  1829 begann sie mit der Arbeit an einer Oper auf der Grundlage von Goethes Faust, der kurz zuvor in der französischen Übersetzung von Gerard Nerval erschienen war. Fausto wurde 1831 in Paris am Thèâtre-Italien ohne großen Erfolg uraufgeführt.  Nichtsdestotrotz begann Bertin mit der Arbeit an einer vierten Oper, die sich als ihr Hauptwerk entpuppte: La Esmeralda, eine große Oper mit einem Libretto von Victor Hugo selbst, das auf seinem eigenen großen Roman Notre-Dame de Paris basiert.  La Esmeralda wurde 1838 an der Opéra uraufgeführt und erlebte 2008 ihre moderne Premiere in Montpellier (eine Aufführung, die bei Accord aufgezeichnet wurde und auf youtube verfügbar ist).

Und dann Schweigen. Weder Fausto noch La Esmeralda hatten großen Erfolg, und die Kritiker fragten sich, ob Bertins Talent ihr den Zugang zu den drei großen Pariser Opernbühnen ihrer Zeit verschafft hatte – der Comique, der Italienischen und der Opéra – oder ob ihre Opern aufgrund ihrer familiären Beziehungen und ihrer Freundschaft mit bedeutenden Künstlern der Zeit, darunter Berlioz und Hugo, produziert wurden. Wurde sie kritisiert und sogar verspottet, weil sie eine Frau (und behindert) war, die es wagte, sich in der fast ausschließlich männlichen Welt der Opernkomposition durchzusetzen? Oder war sie eine Amateurin, die sich in einem Bereich bewegte, der ihre Fähigkeiten überstieg?

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Zu Louise Bertins „Fausto“: der originale „Norma“-Cast mit Domenico Donzelli (der in der Uraufführung 1831 die Titelpartie/ Fausto sang), Giuditta Pasta und Guilia Grisi/ zeitgen. Illustration/ Wiki

Fausto ist in vielerlei Hinsicht ein Unikat.  Zunächst einmal war es, soweit ich weiß, die erste Oper, die auf Goethes Faust basierte. (Louis Spohrs Singspiel Faust von 1816 basierte auf den mittelalterlichen Legenden, nicht auf Goethes 1808 entstandenem Versdrama Faust, Teil. Eins.) Gerard de Nervals französische Prosaübersetzung von Faust, Erster Teil, erschien 1828-29; fast gleichzeitig komponierte Berlioz seine Huit Scènes de Faust, sein erstes veröffentlichtes Werk, das schließlich 1845 zum Kernstück seiner „dramatischen Legende“ La damnation de Faust werden sollte. Bertin scheint fast zur gleichen Zeit mit der Arbeit an Fausto begonnen zu haben und plante dessen Aufführung am Thèâtre-Italien im Jahr 1830, die jedoch um ein Jahr verschoben wurde. Zum Vergleich mit anderen, berühmteren Faust-Opern: Gounods Faust wurde erst 1859 uraufgeführt, Boitos Mefistofele neun Jahre später, 1868, also 37 Jahre nach Fausto.

Fausto ist auch insofern einzigartig, als es sich um eine Oper eines französischen Komponisten zu einem italienischen Libretto auf ein damals in Frankreich unbekanntes deutsches Werk handelt. Bertin hatte sie für das Thèâtre-Italien bestimmt, das Werke in italienischer Sprache und im Belcanto-Stil der damaligen Zeit aufführte. Rossini selbst war eng mit diesem Theater verbunden und wurde im Oktober 1831 dessen Direktor. Der Text von Fausto wurde zunächst von Bertin selbst auf Französisch verfasst und von Luigi Balocchi, dem Hauslibrettisten der Italiener, ins Italienische übersetzt.  In einer weiteren Verbeugung vor den italienischen Formaten komponierte Bertin ihr Werk als Opera semi-seria, die Elemente der Komödie in ein ansonsten ernstes Werk einbrachte.

Bertins Werk ist natürlich auch deshalb ungewöhnlich, weil sie eine Frau war. Sie war nicht die erste französische Frau, die eine Oper schrieb, aber 1831 war dies sicherlich ungewöhnlich, ein Novum, das alle zeitgenössischen Kritiker bemerkten, die sie nicht beim Namen nannten, sondern als „demoiselle“ bezeichneten.

Zu Louise Bertins „Fausto“: Henriette Méric-Lalande sang die Margarita (hier in Bellinis „Straniera“)/ BNF Gallica

Interessant ist, dass bei den verschobenen Aufführungen der Oper 1830 die Hauptrolle des Fausto mit einer Sängerin in Travestie besetzt wurde, vielleicht eine weitere Verbeugung vor der italienischen Operntradition. Offenbar sollte Rosmunda Pisaroni den Mezzo-Fausto spielen, aber als die Premiere um ein Jahr verschoben wurde, stand sie nicht mehr zur Verfügung und Bertin schrieb die Rolle für Domenico Donzelli, einen Tenor, um.  Für die moderne Wiederaufnahme beschlossen Palazzetto Bru Zane, zur ursprünglichen Partitur zurückzukehren und die Rolle des Fausto mit der Mezzosopranistin Karine Deshayes zu besetzen. Vermutlich war dies das erste Mal, dass die Originalfassung zu hören war.

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Das Libretto: Opernbesucher, die die Partitur heute hören, werden wahrscheinlich Bertins Libretto, wenn nicht ihre Musik, mit dem bekannten Text von Gounods Faust vergleichen, und sie werden sie überraschend ähnlich finden. Wie Gounods Librettisten Barbier und Carré etwa dreißig Jahre später konzentriert sich Bertin auf Faustos Pakt mit dem Teufel, um seine Jugend wiederzuerlangen, weil er sich zu Margarita hingezogen fühlt, einer attraktiven jungen Frau, die zu einer Waise geworden ist; auf ihre aufkeimende Beziehung und Mefistofele’s Werben um die matronenhafte Catarina (Marthe bei Gounod), um ihre Aufmerksamkeit abzulenken, während Fausto Margherita umwirbt; Margheritas Scham, als sie von den Dorfbewohnern verspottet wird; die Entdeckung ihrer Verführung durch ihren Bruder Valentino und seine Ermordung durch Fausto mit Hilfe von Mefistofele; ihre Schwangerschaft und ihre Inhaftierung wegen Kindermordes; und ihre Erlösung, die sich gerade dann ankündigt, als Fausto verdammt wird.

Mit anderen Worten: Bertin reduziert Goethes vielschichtigen ersten Teil auf ein überschaubares Opernszenario, das den Erwartungen der Opernbühne seiner Zeit entspricht. Gounods Librettisten wurden lange Zeit dafür kritisiert, Goethes philosophische Ideen auf ein romantisches Opernmelodram zu reduzieren, aber Bertin verstand die Notwendigkeit, die Geschichte an die Formen anzupassen, die das Publikum auf dem Theater erwartete. Ihr Szenario erwies sich als haltbar.

Zu Bertins „Fausto“: Gèrard de Nerval (eigentlich Gérard Labrunie; 22. Mai 1808 in Paris; † 26. Januar 1855 ebenda) hatte 1826 Goethes „Faust“ ins Französische übersetzt/ Gravure von 1830/ Wikipedia

Könnte Bertins Libretto eine Vorlage für Gounods Librettisten Michel Carré gewesen sein, der ein populäres Theaterstück schrieb, das zur Grundlage für das Libretto wurde, das er und Jules Barbier für Gounod verfassten?  Die Ähnlichkeiten werden besonders deutlich, wenn man Fausto mit dem Libretto der ersten Fassung von Faust aus dem Jahr 1859 vergleicht, die Palazzetto Bru Zane 2018 aufgenommen hat und die am 14. Juni desselben Jahres im Théâtre des Champs-Élysées konzertant aufgeführt wurde. Diese erste Fassung, die Gounod für das Théâtre Lyrique schrieb, verwendet umfangreiche gesprochene Dialoge und füllt die Charaktere von Wagner und Dame Marthe aus; sie enthält auch ein gutes Stück mehr Komik als die revidierte Fassung mit begleiteten Rezitativen, an die wir gewöhnt sind – so wie Bertins Oper Semi-Seria viel von der Laune und sogar Komik bewahrt hatte, die in Goethes Mephistopheles zu finden ist.

Es gibt Unterschiede. In Fausto wird Margarita dem alten Fausto gleich zu Beginn vorgestellt, als sie ihn um Hilfe bei der Beschaffung eines Heilmittels für ihre kranke Gefährtin/Vormundin Catarina bittet, und nicht wie bei Gounod durch eine verlockende magische Vision von Méphistophélès.  Sie wird von den Nachbarn und den Frauen des Dorfes in einer Szene auf einem öffentlichen Platz verspottet und nicht von unsichtbaren Teufeln in der Kathedrale. Außerdem endet der erste Akt mit einer Szene, in der eine Hexe den Trank zubereitet, der Fausto verjüngt, anstatt dass Méphistophélès die Verwandlung einfach selbst vornimmt.

Kannten Carré oder Gounod das Libretto-Szenario von Bertin? Gounod hatte in den 1830er Jahren bei Anton Reicha studiert, der auch Bertins Lehrer gewesen war, und wurde von Berlioz beeinflusst, der Bertin nahe stand. Ob Bertins Fausto das Libretto von Gounod beeinflusst hat oder ob alle Librettisten bei der Bearbeitung von Goethes Stück für die Opernbühne nach einem ähnlichen Schema vorgegangen sind.

Es ist erwähnenswert, dass Bertins Libretto viel stärker auf Ensembles setzt als die Norm. Einzelne Arien, die mit einer zum Applaus einladenden Kadenz enden, werden vermieden, so dass wir ein Werk vorfinden, das kontinuierlicher oder durchkomponierter ist als die meisten Opern dieser Zeit. Obwohl wir Arien, Duette, Trios usw. unterscheiden können, scheint es nicht Bertins Absicht gewesen zu sein, einzelne Nummern, wie sie in der Belcanto-Oper üblich sind, zu komponieren.

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Die Musik: Das erste, was an der Musik überrascht, ist, dass sie nicht wie die italienische oder französische Opernmusik dieser Zeit klingt. Es ist eine viel symphonischere, orchestrale Partitur, als wir es 1831 gewohnt sind, und sicherlich germanischer, als man es in einer Oper der Belcanto-Komponisten finden würde.  Tatsächlich gibt es in dieser noch von Rossini dominierten Epoche nur ein einziges Stück, das nach ihm klingt, nämlich Valentinos Tenorarie „Ah! Mi batte il cor nel petto“ im dritten Akt.  Der musikalische Fluss der Oper wird eher durch kurze melodische Phrasen als durch lange, ohrwurmartige Kantilenen erzeugt, und die Orchestrierung ist „dick“, wie Alan Jackson es in einer Rezension der Donizetti-Gesellschaft ausdrückt. Die Musik klingt nicht nach Bellini, dessen La sonambula und Norma im selben Jahr (1831) entstanden, und auch nicht nach Meyerbeers bahnbrechendem Robert le diable, das ebenfalls aus dem Jahr 1831 stammt. Die zeitgenössischen Kritiken (die auf der Website des Palazzetto Bru Zane zusammengestellt sind) sind zwar gemischt, verweisen aber eindeutig auf die Neuartigkeit von Bertins Stil. In der Gazette nationale vom 8. März 1831 heißt es: „… zahlreiche Stücke, die … ein Gütesiegel echter Originalität haben“.  Es wird auch darauf hingewiesen, dass die Komposition „souvent“ gehört werden muss, um sie voll zu würdigen.  Man könnte erwarten, dass das Journal des debats, das sich im Besitz von Bertins Vater befand, sich wohlwollend äußern würde, und das tut es auch. Es bietet eine ausführliche Rezension der Oper, in der auch die Geschichte detailliert erzählt wird, da 1831 nicht viele Franzosen mit Goethes Werk vertraut waren. In mehreren Rezensionen wird darauf hingewiesen, dass das neue Werk vom Publikum mit großem Beifall bedacht wurde. Charles Jernigan

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Zu Bertins „Fausto“: Konzert in Paris 2023 ( Karina Gauvin, Karine Deshayes, Christophe Rousset, Ante Jerkunica/ Foto Nico Schaumbourg/Palazzetto)

Gegenüber der  öffentlichen Aufführung im Juni 23 in Paris durch die Solisten und Les Talens Lyrique unter der Leitung von Christophe Rousset hat die neue CD beim Palazzetto deutlich gewonnen. Rousset ist ein Meister dieses Fachs nach langen Jahren im Barock. Seine Orchesterbehandlung ist durchsichtig und differenziert, kann aber die langen Strecken von Langeweile nicht verdecken. Man ahnt, warum dieses Werk kein Erfolg wurde. Zum Orchester (etwa 45 Spieler) gehörten eine Harfe, drei Posaunen und mehrere Hörner. Sie machen auch mal einen teuflischen Lärm!

Die Entscheidung, Bertins ursprüngliche Idee aufzugreifen und Fausto mit einem Mezzosopran zu besetzen, war richtig und interessant, aber ich würde das Werk gerne auch mit einem Tenor hören.  Karine Deshayes, die regelmäßig mit dem Palazzetto Bru Zane auftritt, wird in der Titelrolle im Laufe der Aufnahme (die beim Hören mit Kopfhörern deutliche digitale Löcher aufweist, es wurde doch recht viel korrigiert…) immer besser, mir vielleicht im Timbre zu reif, zu „fruchtig“ für eine Hosenrolle. .  Das Gleiche kann man von Karina Gauvin, einer Barockspezialistin, nicht sagen, die mir zu allgemein bleibt – leider versteht man selbst von diesen francophonen Damen nicht genug Text, was vielleicht auch kein wirklicher Verlust ist. Nico Darmanin, der Tenor Valentino, besitzt ein schönes Timbre und meistert seine Koloraturen mit Belcanto-Bravour hervorragend. Ante Herkunja brilliert als Teufel – eine ganze Höllenpracht! Marie Gautrot (Catarina), Diana Axentil (Una strega/Marta) und Thibault de Damas (Wagner) sind in kleineren Partien erfreulich, und der flämische Rundfunkchor leistete seinen erfreulichen Beitrag wie stets. Booklet und Beiträge (nur in französich und englisch, wobei die drei deuschsprachigen Länder Europas einen starken Markt abgeben und ich diese „nur“ zwei sprachen diskriminierend finde) sind informativ wie stets. G.H.

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Zu Bertins „Fausto“: Auch Mephisto wurde von einer Frau gegeben, hier in Schwerin 1979 Wolf-Dieter Lingk und Lore Tappe/ Foto Staatstheater Schwerin (auch das Theater Magdeburg folgte jüngst dem nach)

Pressestimmen zur Uraufführung: Gazette nationale, 8 mars 1831 [Fausto de Louise Bertin]: Es war ein sehr außergewöhnliches Spektakel, das das Interesse der Liebhaber stark erregte, dass eine junge Person es wagte, eine große musikalische Komposition zwischen die Meisterwerke des Italienischen Theaters zu stellen; ihr Versuch war erfolgreich; ihre Partitur bot zahlreiche Stücke von unbestreitbarem Wert, die einen echten Stempel der Originalität tragen. Diese Komposition gehört zu denjenigen, die oft gehört werden müssen, um würdig geschätzt zu werden.

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JOURNAL DE PARIS, 11 MARS 1831 [FAUSTO DE LOUISE BERTIN]: Es gibt Umstände, in denen die reine Wahrheit eine sehr harte Sache ist; in denen der gute Glaube, seine Gedanken zu äußern, eine so strenge Tugend ist, dass im Ausdruck die naive Einfalt hart klingt, die ruhige Diskussion wie eine bösartige Kritik und die unparteiische Darstellung wie ein feindseliger Bericht. Diese Überlegungen stellte ich an, nachdem ich die Musik von Fausto gehört hatte, die übrigens von einem Teil des Publikums, das der Uraufführung beiwohnte, mit großem Beifall bedacht wurde. Dieser Umstand ist an sich ziemlich gleichgültig und man kann es niemandem verübeln, wenn er guten Willen zeigt, denn gute Herzen sind so selten! In diesen feierlichen Tagen der Uraufführung muss man mit dem Lob von Freunden und dem Tadel von Rivalen rechnen und sich darauf einigen, dass die Wahrheit selten in diesen entgegengesetzten Reihen zu finden ist. Was mich betrifft, so schien es mir, dass Töne, die teils von Blasinstrumenten, teils von Streichinstrumenten erzeugt wurden, mit einer gewissen Unregelmäßigkeit aufeinander folgten; dass die Akzente, die der Komponist den Figuren in den Mund legte, eine große Affinität zur Arbeit des Orchesters hatten; und dass das gesamte Werk eine ziemlich unzusammenhängende Mischung aus seltenen Gesangsphrasen, Modulationen ohne bestimmten Zweck, zufällig zusammengewürfelten Rhythmen darstellte, alles beherrscht von einem allgemeinen Gefühl der jungen Unerfahrenheit. Diese Darstellung mag von Strenge geprägt sein; dies ist jedoch die Wirkung, die die zahlreichen, in Arien, Duette, Trios, Quartette, Chöre usw. usw. verteilten Takte, die in der Masse die drei Akte von Fausto bilden, auf den uninteressierten Hörer haben. Ich habe vor, mich in einem späteren Artikel einer etwas ernsthafteren Prüfung dieser Opera semiseria zu widmen. Ich möchte mich hier darauf beschränken zu sagen, dass sie einem Fräulein zugeschrieben wird und dass, wenn man diese Komposition nur unter dem Gesichtspunkt der Mittel und des Ergebnisses betrachtet, genug Überraschung entsteht, um sie zu einer Art Ruhm zu machen. Das Unternehmen war kühn und verdient mehr als nur Ermutigung. Die junge Muse kann ihre Stirn mit einem Kranz schmücken, den nur sie unter ihren Gefährtinnen tragen wird. Bevor dieser Kranz am Abend verwelkt, wird Miss ***, wie ich hoffe, einen anderen Kranz flechten und einige Unsterbliche darunter mischen können. […]

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Zu Bertins „Fausto“ Und auch für die Kids gibts den Faust als Frau (und japanische EMO)/ OBE

JOURNAL DES DÉBATS, 4 AVRIL 1831 [FAUSTO DE LOUISE BERTIN]: Die Saison unseres Italienischen Theaters endete mit dem Monat März. Der Direktor dieses Unternehmens gewährt den Amateuren eine Verlängerung um einen Monat; der Abschluss wird erst in den ersten Tagen des Mai stattfinden. Frau Meric-Lalande und Santini werden nach London berufen. Donzelli wird ein Engagement in Livorno erfüllen. Die Abreise dieser drei Virtuosen stoppt die Aufführungen von Fausto; die schönen Dinge, die diese Oper enthält, wurden von den Kennern geschätzt. Das Publikum, das eine besondere Vorliebe für Musik hat, die mit flinken Strichen und glänzenden Rouladen geschmückt ist, machte alle Zugeständnisse, die die Seltsamkeit des Themas und die dramatische Wahrheit erforderten. Fausto hatte vollen Erfolg, obwohl ihm das sicherste Mittel zum Erfolg fehlte. Das Unternehmen war kühn: Es ist selten, dass ein Autor zu Beginn seines Schaffens einen Weg einschlägt, der dem üblichen entgegengesetzt ist. Es ist ärgerlich, dass der Erfolg von Fausto auf diese Weise unterbrochen wurde und die Kämpfer sich trennten, als noch viele Lanzen zu brechen waren. Meyerbeers Crociato war nicht glücklicher: Dieser tapfere Ritter blieb in seinem Lauf stehen und sah sich gezwungen, den Umständen nachzugeben. Wenn die Handänderungssteuer Millionen in die Registrierungskasse spült, bringt sie die Opern in Unordnung und ruiniert die Autoren. Die drei Schauspieler, die Fausto, Mefistofele und Margarita darstellten, werden in einigen Tagen in einer einzigen Reihe in vierhundert Lieues Entfernung aufgestellt. Zwar könnte Mefistofele durch einen Trick seines Handwerks Fausto und Margarita zu Hilfe rufen; die Teufel haben lange Arme: Mefistofele müsste nur die seinen ausbreiten, und die beiden Flüchtigen würden bald wieder in die richtige Entfernung gebracht, um ein Trio zu singen. Aber die Zeit der Wunder ist vorbei; der Teufel hat gekündigt; er muss sich, wie wir, den Anordnungen der Theaterdirektoren beugen.

Bei der letzten Aufführung von Fausto wurden viele Nachlässigkeiten in der Aufführung bemerkt. Den Schauspielern fehlte in mehreren Szenen das Gedächtnis, die Chöre liefen schief und selbst das Orchester ist trotz des seltenen Talents und des ganzen Eifers seines Dirigenten nicht vor Vorwürfen gefeit. Trotz dieser Abweichungen wurde der so originelle Chor der Zauberer, das Trio, das Duett im zweiten Akt, die Arie der Margarita mit dem Oboensolo stark beklatscht, und Frau Méric-Lalande sprach mit ihrer gewohnten Verve die schöne Gefängnisszene.

Eine Frau, die es unternimmt, eine Oper wie Fausto zu vertonen, und die dies auf diese Weise tut, hat eine glänzende Zukunft vor sich, wenn sie, wie ich gerne glaube, ein besonderes Studium der Partituren der großen Meister betreiben will, um das zu erwerben, was ihr an Erfahrung auf der Bühne und im Orchester fehlt. (Quelle Palazzetto Bru Zane)

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Foto oben: die Schaupielerin Sarah Bernhardt als Hamlet – sie machte daraus eine notorische Berühmtheit/ Wikipedia. .Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hierG. H.

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Wer kennt Paul?

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Bühnenmusik steht im Mittelpunkt des nächsten Teils, bereits Vol. 6 der Paul Wranitzky gewidmeten Edition bei Naxos (8.574454). Mittlerweile ist es fast unnötig, die verantwortlich Zeichnenden, das Tschechische Philharmonische Kammerorchester Pardubice unter der Stabführung des Dirigenten Marek Štilec, zu erwähnen. Das eingespielte Team erzielt auch diesmal ausgezeichnete Ergebnisse bei diesen abermaligen Weltersteinspielungen.

Konkret sind diesmal Werke der Jahre 1795 bis 1797, gleichsam zum Höhepunkt des Wirkens Wranitzkys, berücksichtigt worden: Mit August von Kotzebues fünfaktiger Tragödie Die Spanier in Peru, oder Rollas Tod (1795) wird der Anfang gemacht. Es handelt sich um die Fortsetzung des beliebten Stücks Die Sonnenjungfrau und setzt die Geschichte um den berühmt-berüchtigten spanischen Konquistador Francisco Pizarro und die Eroberung des Inkareichs 1532/33 fort. Drei der fünf Ouvertüren zu den einzelnen Aufzügen sind inkludiert, wobei die Introduktion zum dritten Akt vom Komponisten als Adagio in seiner Sinfonie C-Dur op. 33 Nr. 2 (bereits erschienen auf Vol. 3) wie auch die für eine weitere Folge aufgesparte Einleitung zu Akt 5, die wiederum als langsamer Satz einer weiteren Sinfonie Neuverwendung fand, nicht willkürlich ausgelassen wurden. Hinzukommt ein durchaus hörenswerter Marsch. Nur wegen des Fehlens der beiden genannten Ouvertüren kommt diese Bühnenmusik lediglich auf gut 19 Minuten Spielzeit.

Von der Bühnenmusik zu Jolantha, Königin von Jerusalem (1797), einer Tragödie in vier Akten von Friedrich Wilhelm Ziegler, sind hingegen alle vier Akteinleitungen enthalten. Die fiktive Handlung ist in der Heiligen Stadt Jerusalem im Jahre 1135 angesiedelt. Neben dem Auftreten rivalisierender Brautwerber um die Hand der jungen Herrscherin spielen angreifende Sarazenen und die Wahl eines neuen Großmeisters des Templerordens eine Rolle. Tatsächlich hat Wranitzky auch Schlachtenlärm in die Ouvertüre zum zweiten Aufzug eingebaut. Ein Trauermarsch gedenkt der christlichen Opfer der Walstatt. Insgesamt wird der Komponist den religiösen, militärischen und dramatischen Erfordernissen der Bühnenhandlung gerecht. Die Spieldauer fällt hier 24-minütig aus.

Mit Achmet und Zenide (1796) tritt ein weiteres fünfaktiges Drama, dieses Mal von August Wilhelm Iffland, auf den Plan. Es spielt im Gouverneurspalast einer türkischen Provinz. Die Dreiecksbeziehung des Paschas, seiner Lieblingskonkubine und eines europäischen Besuchers sorgt für eine ereignisreiche Handlung. Freilich steht des Sujet damit unter dem Eindruck der seinerzeit sehr populären Türkenoper; der letzte Krieg Österreichs gegen das Osmanische Reich lag nur wenige Jahre zurück. Hier wurden tatsächlich alle fünf Ouvertüren der jeweiligen Aufzüge eingespielt. Gleichsam als Bonus ist der Marsch aus dem vierten Akt beigegeben, was zu einer Spielzeit von gut 25 Minuten führt. Die sinfonisch angelegte Konzeption Wranitzkys wird gerade bei dieser Bühnenmusik deutlich.

Es bleibt auch beim sechsten Male bei Worten des Lobes für die Ausführenden und die Tontechnik (aufgenommen im bewährten Haus der Musik zu Pardubice im Februar 2022). Das englischsprachige Booklet kommt gewohnt gediegen und ausreichend informativ daher. Man darf sich auf weitere Teile dieser bereits jetzt erfolgreichen Reihe freuen. Daniel Hauser

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Nun also der Rest. Die noch ausstehenden beiden Teile der Wranitzky-Reihe bei Naxos, Vol. 3 (8.574289) und Vol. 5 (8.574399), runden das großangelegte und begrüßenswerte Projekt auf dem gewohnten hohen Niveau ab. Wie könnte es anders sein, dass auch dort Marek Štilec und das Tschechische Philharmonische Kammerorchester verantwortlich zeichnen. Eingespielt wurde abermals im Haus der Musik in Pardubice (Juni/Juli 2020 und September 2021).

Im Mittelpunkt stehen in der dritten Folge der Serie jeweils zwei Ouvertüren und zwei Sinfonien, wobei ein Zeitraum von gut zehn Jahren (komponiert zwischen 1793 und 1804) abgedeckt wird. Während sich die zweiaktige Oper Die gute Mutter (1795) mit einem kurzen Vorspiel von kaum vier Minuten begnügen muss, stellte Wranitzky dem sogenannten Liederspiel Mitgefühl (1804) eine doppelt so lange Orchesterintroduktion voran. Das einaktige Werk stellt eine Unterart des Singspiels dar, in welches existierende Gedichte mit neuer Musik untermalt wurden und eine schlichte bäuerliche Geschichte darum gestrickt wurde. Beide Stücke repräsentieren den publikumswirksamen Stil des heute zu Unrecht vergessenen Komponisten.

Gewichtigeren Charakters sind naturgemäß die Sinfonien, wobei diejenige in C-Dur op. 33 Nr. 2 (1798), knapp 33-minütig, nunmehr die Drey grossen Sinfonien beschließt; die beiden anderen waren in Vol. 1 bzw. Vol. 2 enthalten. Die C-Dur-Sinfonie stellt eine Art Wiederverwertung zuvor komponierter Musik für die Bühne dar. Der Kopfsatz beruht auf der Ouvertüre zu Siri Brahe oder Die Neugierigen (1794), das darauffolgende Adagio auf dem Vorspiel zum dritten Akt von Die Spanier in Peru, oder Rollas Tod (1795) und das Finale schließlich auf der Ouvertüre zum Ballett Die Weinlese (1794). Lediglich das Menuett scheint komplett neu geschrieben worden zu sein. Bei der anderen hier inkludierten Sinfonie D-Dur op. 25 La Chasse (1793) begegnet der seit Haydn geläufige Typus der Jagd-Sinfonie, was durch die Hörner verdeutlicht wird. Ursprünglich waren keine Trompeten vorgesehen, doch fügte Wranitzky solche anlässlich einer Aufführung für Ferdinand III. von Toskana, der im Exil in Wien lebte, hinzu, wie im als La Caccia bezeichneten Schlusssatz auch eine große Kesselpauke (timpanone). Glücklicherweise entschied sich Štilec für diese reizvollere Fassung. Ebenfalls viersätzig, jedoch zehn Minuten kürzer, folgt in der Jagd-Sinfonie das Menuett an zweiter und der langsame Satz erst an dritter Stelle, was bereits in die Zukunft weist.

In der fünften Folge der Reihe steht die über 50-minütige Ballettmusik Das listige Bauernmädchen (zwischen 1795 und 1805) im Zentrum. Diese fand sich im Nachlass der musikbegeisterten Kaiserin Maria Theresia, gebürtiger Prinzessin von Neapel-Sizilien und zweiter Gemahlin Kaiser Franz‘ II., und umfasst eine attraktive Ouvertüre und 17 nachfolgende Nummern. Diese untergliedern sich in ländliche Tänze und komplexere Pantomimen. Hinzugesellt sich ein Marsch mit Cello-Solo (Solist: David Matoušek). Beschlossen wird das Werk festlich und fröhlich mit einer Contredanse.

Die beiden anderen auf der CD enthaltenen Stücke entstanden im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten anlässlich des Kaisergeburtstag des besagten Franz II. am 13. Februar 1803. Das Divertissement Vorstellungen dauert 17 Minuten und besteht nach einer kurzen Introduktion aus sechs weiteren Nummern. Eine szenische Darbietung ist absolut naheliegend, auch wenn sich kein Szenarium erhalten hat. Nach dieser Balletteinlage, die interessanterweise ruhig ausklingt, schloss sich mit dem sogenannten Quodlibet ein zweiter Teil an. Hieraus wählte Naxos die abschließende, neunminütige Contredanse zur passenden Abrundung des Ganzen. Dieser Kontratanz ist tatsächlich in mehrere Teile untergliedert, welche folgende Bezeichnungen tragen: Krankheit, Arbeit, Fröhlichkeit, Galopp, Laune, Lastthier, Bär und Beurtheilung. Fanfaren in D-Dur sorgen für einen festlichen Abschluss.

Die informative Textbeilage (auf Englisch) besorgte in beiden Fällen Daniel Bernhardsson. Eine geglückte Abrundung der Reihe und eine weitere diskographische Großtat hinsichtlich eines Komponisten der sogenannten zweiten Reihe. Daniel Hauser

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Mittlerweile bereits bei Vol. 4 angelangt ist man in der Reihe der Orchesterwerke des tschechischen Komponisten Paul Wranitzky (Naxos 8.574290). Abermals zeichnet die bewährte Kombination, bestehend aus dem Tschechischen Philharmonischen Kammerorchester Pardubice unter Dirigent Marek Štilec, verantwortlich und hält das gewohnte hohe Niveau, das durch idiomatischen Zugriff kennzeichnet ist, unterstützt durch den sehr gut eingefangenen Klang (Aufnahme: Haus der Musik, Pardubice, 13.-16. Juli 2020).

Diesmal steht die Musik zur Ballett-Pantomime Das Waldmädchen im Zentrum. Dieses Ballett, das am 23. September 1796 im Wiener Kärntnertortheater seine Premiere feierte, entwickelte sich rasch zum Publikumsliebling und erfuhr in den darauffolgenden Jahren über 130 Aufführungen (selbst Beethovens Geschöpfe des Prometheus lagen mit gerade 28 Vorstellungen weit abgeschlagen zurück). Für die Choreographie sorgte Giuseppe Traffieri. Die Popularität des Stoffes führte 1799 gar zu einer Romanadaption. Kammermusikalische Arrangements besonders des russischen Tanzes, einer Variation der Kamarinskaja, wirkten sich inspirierend auf andere Komponisten aus, darunter den genannten Beethoven, dessen Zwölf Variationen über den russischen Tanz aus Das Waldmädchen WoO 71 1797 entstanden. Die erste, 1800 vollendete Oper des blutjungen Carl Maria von Weber trägt gewiss nicht allein zufällig denselben Titel wie das Werk Wranitzkys. Noch in den 1870er Jahren war Das Waldmädchen nicht vergessen. Auf solch ungewöhnlich langanhaltenden Beliebtheitswerte deutet heutzutage freilich nicht mehr das Geringste hin, wofür schon der Umstand spricht, dass es sich hier tatsächlich um die Weltersteinspielung handelt. Die Handlung dreht sich um den polnischen Fürsten Floresky, der auf die als Kleinkind in den litauischen Wäldern ausgesetzte Azémia stößt, bei der es sich eben um das titelgebende Waldmädchen handelt. Der Fürst nimmt dieses auf sein Schloss mit, wo man sich an den Tanzkünsten der vermeintlich Wilden erfreut. Schließlich wird die wahre Identität des Waldmädchens enthüllt, welches sich als Prinzessin aus dem Hause Floresky entpuppt. Bereits zuvor hatte Fürst Lovinsky, der Bruder der Fürstin Floreska, Gefallen an Azémia gefunden. Am Ende hält Lovinsky um ihre Hand an, worauf die Verlobung der beiden von allen Anwesenden freudig gefeiert wird. Dem Charme, den diese liebliche Musik auch ohne die szenische Umsetzung ausstrahlt, kann man sich auch nach über zwei Jahrhunderten schwer entziehen und ist nun dankenswerter Weise in der Lage nachzuvollziehen, warum dieses Ballett einst so beliebt war.

Gleichsam als kleine Zugabe hat Naxos die Pastorale und Allemande beigesteuert, ein gerade sechsminütiges Stück, das Wranitzky für Maria Theresia von Neapel-Sizilien, die Gemahlin von Kaiser Franz II., schrieb. Tatsächlich hat sich das Werk einzig im Nachlass der Kaiserin erhalten. Die rustikal-dörfliche Pastorale imitiert einen Leierkasten, die Allemande gerät sehr tänzerisch und höfisch.

In der Summe also abermals ein gelungener Beitrag des Naxos-Labels zur Repertoire-Erweiterung der Hörerschaft. Daniel Hauser

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Wenige Monate nachdem Vol. 1 erschienen ist, folgt nun bereits Vol. 2 der Orchesterwerke von Paul Wranitzky bei Naxos (8.574255). Diesmal ist neben drei zwischen 1791 und 1798 entstandenen Sinfonien noch die Opernouvertüre Der Schreiner von 1799 inkludiert (sämtlich Weltersteinspielungen), die auch den Anfang macht. In ihrer Farbigkeit zeigt das nur gut vierminütige Stück den Komponisten auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Wiederum fühlt man sich zu Vergleichen mit Haydn, Mozart und Beethoven bemüßigt und muss letztlich doch eine eigenständige Tonsprache Wranitzkys konstatieren.

Die d-Moll-Sinfonie mit dem Titel La Tempesta entstand vor 1795, ist als einzige der hier enthaltenen Sinfonien bloß dreisätzig, mit knapp 28 Minuten aber trotzdem am längsten, was sowohl am gewichtigen Kopfsatz wie auch am titelgebenden Finale liegt (beides etwa elfminütig). Die Grundstimmung ist tatsächlich stürmisch und gemahnt an Mozarts Don Giovanni. Die drei Sätze erklangen als Teil der Bühnenmusik zum Schauspiel Die Rache, was ihren in den Ecksätzen ungemein theatralischen Charakter erklärt. Man ahnt bereits den nicht mehr allzu fernen Schritt zur Romantik.

Die vergleichsweise leichtgewichtige viersätzige Sinfonie A-Dur op. 16 Nr. 2 wurde 1791 veröffentlicht und stellt insofern das früheste auf der CD versammelte Werk dar. Ihre Grundstimmung ist von gänzlich anderer Natur, fröhlich und teils verspielt. Stilistisch ist sie noch stark an die Sinfonik Wranitzkys Mitte der 1780er Jahre angelehnt, absolut klassizistisch und ohne revolutionäre Anflüge.

Mit der charaktervollen Sinfonie F-Dur von 1798, ebenfalls viersätzig, wird diesmal die dritte Nummer des bereits aus Vol. 1 geläufigen op. 33 beigesteuert. Allein äußerlich überragt sie die A-Dur-Sinfonie, ist mit 23:30 Spieldauer fünfeinhalb Minuten länger. Schon durch die langsame Einleitung im Kopfsatz entsteht ein feierlicherer Charakter, der sich im Allegro-Teil fortsetzt, ohne ins Pompöse abzugleiten. Im langsamen Satz variiert Wranitzky Hans Georg Nägelis Freut euch des Lebens, ein beliebtes Volkslied von 1795; im Menuett folgen schließlich Variationen des populären Wiener Volksliedes O du lieber Augustin. Der Finalsatz steht in Sonatensatz-Rondo-Form und klingt in der Coda lebensbejahend und strahlend aus.

Wie bei der ersten Folge kam auch diesmal das Tschechische Philharmonische Kammerorchester Pardubice unter Marek Štilec zum Zuge. Die präsent und klar klingenden Einspielungen entstanden wie zuvor im Dukla Kulturhaus in Pardubice in der Tschechischen Republik (25.-29. November 2019). Die nur englischsprachige Booklet-Beigabe ist recht spartanisch, aber ausreichend. In Sonderheit die d-Moll- sowie die F-Dur-Sinfonie machen diese Neuerscheinung besitzenswert. Daniel Hauser

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Dem ging die Rezension der ersten CD voran: Der im k. k. Mähren als Pavel Vranický geborene tschechische Komponist, der zwischen 1756 und 1808 lebte, galt als eine der wichtigen Gestalten der Wiener Klassik, obwohl er heutzutage nahezu vergessen ist. Auch als Dirigent erlangte er großen Ruhm, wurde 1785 Konzertmeister des kaiserlichen Hofopernorchesters in Wien und übernahm 1795 die Direktion der Wiener Hofoper im Theater am Kärntnertor. In der zweiten Hälfte der 1790er Jahre galt er in Wien als der fraglos wichtigste Sinfoniker, also in der Zeit, als Haydn keine Sinfonien mehr schrieb und Beethoven noch nicht am Start war.

Naxos startet nun eine neue Reihe mit seinen Orchesterwerken. Den Anfang macht Vol. 1 (Naxos 8.574227), welches zwei Sinfonien, zwei Ouvertüren und eine Serenade enthält. Verantwortlich zeichnet einmal mehr das bewährte Tschechische Philharmonische Kammerorchester Pardubice unter der Stabführung von Marek Štilec. Tatsächlich handelt es sich sämtlich um Weltersteinspielungen, welche die doch sehr überschaubare Wranitzky-Diskographie ergänzen. Im Mittelpunkt steht ohne Frage die auch historisch interessante, knapp halbstündige Grosse Sinfonie bei Gelegenheit der Erhebung Franzens zum Deutschen Kaiser C-Dur op. 19, die anlässlich der Wahl von Franz II. zum (letzten) Kaiser des Heiligen Römischen Reiches im Jahre 1792 entstand.

Paul Wranitzky/ wranitzky.com

Paukenstark und mit Fanfaren entfaltet sie, gemessen an der Entstehungszeit, durchaus imperialen Glanz. Etwas später, nämlich 1798, wurde die etwa gleichlange Sinfonie B-Dur op. 33 Nr. 1 veröffentlicht, zusammen mit zwei weiteren. Sie ist etwas leichtgewichtiger. Anklänge sowohl an Haydn wie auch an Mozart sind unverkennbar. Besonders der Schlusssatz lässt an ersteren denken. Die restlichen auf der Compact Disc enthaltenen Stücke entstanden zwei im selben Jahre 1794 entstandenen Opern. Zum einen die Ouvertüre zu Die Poststation, zum anderen die Ouvertüre sowie die dreiteilige Serenade aus dem zweiten Akt von Das Fest der Lazzaroni, alles jeweils etwa fünfminütig. Musikalisch am innovativsten wohl die letztgenannte Ouvertüre, in welcher mittels Piccoloflöten heulender Wind und mit einem sogenannten Timpanone Donnergrollen dargestellt wird. Hier fließt unverkennbar auch der Einfluss Glucks mit ein. Entstanden sind die Aufnahmen von 25. bis 28. November 2019 im Dukla Kulturhaus Pardubice in Tschechien; am Klang gibt es nichts zu beanstanden. Das Beiheft (nur auf Englisch) fällt Naxos-typisch recht mager aus. Eine hübsche, nicht weltbewegende Repertoireerweiterung in sehr gediegener Präsentation. Daniel Hauser

Félicien Davids „Lalla-Roukh“

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Während Halevys Shakespeare-Oper La tempesta nicht überzeugen konnte, brachte Davids Lalla-Roukh dem 71. Festival von Wexford 2022 die Ehre zurück. Es ist schwer zu verstehen, warum dieses Werk, das so voller kontinuierlicher und einprägsamer Melodien ist, nicht zum Standardrepertoire gehört, und doch war Wexfords Produktion erst die zweite Wiederaufnahme in der Neuzeit und die erste in Europa. Die erste Wiederaufnahme erfolgte durch die amerikanische Opera Lafayette, die Lalla-Roukh 2013 in Washington und New York aufführte; bei einer späteren CD-Aufnahme bei Naxos dieser Aufführung wurden alle gesprochenen Dialoge gestrichen, die von der frankophonen Besetzung in New York gekonnt vorgetragen worden waren. G. H.

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Dazu zum einen die Rezension der bislang erstmaligen europäischen Aufführung aus Wexford 2022 von Charles Jernigan, zum anderen und zuvor den einführenden Artikel Ralph P. Locke zur Oper anlässlich der Erstaufnahme bei Naxos von der Opéra Lafayette unter Ryan Brown 2013, den wir mit Dank dem Booklet zur Einspielung entnahmen.

Ralph P. Locke: Felicien David (1810-1876) Lalla Roukh. Die Literatur und die Künste reagierten auf dieses wachsende Bewusstsein für die fernen Länder und Kulturen mit einer Flut von Romanen, Kurzgeschichten, Theaterstücken, Gemälden und Buchillustrationen, die alle vorgaben, ein Gefühl für das Leben im „Osten“ (oder „Orient“) zu vermitteln – ein Begriff, der damals alle Länder der riesigen Region von Nordafrika, der Türkei und der arabischen Halbinsel bis nach Südasien, China und Japan umfassen konnte. Museumsbesucher können diese Faszination heute dank der lebendigen Gemälde – von Ingres, Delacroix und anderen – von Haremsfrauen und arabischen Häuptlingen nachvollziehen. Selbst wenn Schriftsteller und Maler die Länder, die sie darstellten, nicht persönlich kannten, fühlten sie sich oft frei, die extravaganten Fabeln zu imitieren, die sie in Tausendundeiner Nacht (erstmals 1707-14 übersetzt) gelesen hatten, Fabeln, die zwar auf Arabisch geschrieben waren, aber manchmal in weiter östlich gelegenen Ländern wie Persien oder Indien spielten.

Davids „Lallah-Roukh“: Bühnenbild zuu Uraufführung/Wikipedia

Die Opernwelt, insbesondere die französische, beteiligte sich aktiv an diesem Trend, „den Orient“ für den westlichen Konsum darzustellen. Georges Bizet basierte seinen exquisiten Einakter Djamileh (1872) auf einer Haremserzählung von Alfred de Musset. Leo Delibes‘ faszinierendes Lakmé (1883) beschreibt die zum Scheitern verurteilte Liebesbeziehung zwischen einem englischen Soldaten und der Tochter eines Brahmanenpriesters. („Lakmé“ war vermutlich eine Vereinfachung des gängigen indischen Frauennamens Lakshmi).

Einer der Pioniere des „musikalischen Orientalismus“, wie er manchmal genannt wurde, war Felicien David. Der schüchterne Musiker aus dem Dorf Cadenet in der Nähe von Aix-en-Provence war mit Anfang zwanzig als Mitglied der Saint-Simonian-Bewegung in die Türkei und nach Ägypten gereist, einer frühen sozialistischen (oder „utopisch-sozialistischen“) Bewegung – etwa zeitgleich mit den Fourieristen und den Oweniten -, die versuchte, den Vizekönig von Ägypten davon zu überzeugen, einen Kanal durch die Landenge von Suez zu schlagen. Die Saint-Simonisten argumentierten, dass ein verbesserter Handel zwischen den Nationen eine größere gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Völkern schaffen würde, was wiederum Spannungen abbauen und Kriege verhindern würde. (Das Kanalprojekt wurde schließlich drei Jahrzehnte später von einem internationalen Konsortium aus Regierungen und Banken verwirklicht).

David: „Lalla-Roukh“/ Frontespiece zum  Walzer aus der Oper als Klavierauzug in New York/Wikipedia

Nach der Rückkehr der Missionare aus Saint-Simon nach Frankreich begann David, Klavierstücke und Lieder zu veröffentlichen, die auf Melodien und Trommelrhythmen basierten, die er im Nahen Osten gehört hatte. Im Dezember 1844 machte er in der Pariser und internationalen Musikpresse Schlagzeilen mit der Uraufführung von Le desert, einem weltlichen Oratorium mit gesprochener Erzählung, das eine arabische Karawane, den vom Wind verwehten Wüstensand und die Wonnen der Nacht in einer Oase beschreibt. Le desert ist erst kürzlich durch den Mitschnitt einer Live-Aufführung in Berlin (1989) wieder in das Bewusstsein des musikbegeisterten Publikums gerückt (dazu auch den Artikel in operalounge.de im Rahmen der „Vergessenen Oper“).

Felicien David ließ Le desert weitere Werke folgen, die an Orte erinnern, die im Westen eher als exotisch empfunden werden. Dazu gehören zwei biblische Oratorien (das eine handelt von Moses auf dem Sinai, das andere von Adam und Eva im Garten Eden); ein Werk – wiederum mit gesprochener Erzählung – über Christoph Kolumbus‘ erste Reise in die Karibik (es enthält einen „Tanz der Wilden“ und ein Wiegenlied, gesungen von einer reinen Indianerin); und La perle du Bresil, dessen Hauptfigur eine Eingeborene aus Südamerika ist, die sich in einen portugiesischen Seemann verliebt. Davids nicht exotische Instrumentalwerke – vor allem mehrere Klaviertrios, Streichquartette und kurze Stücke für Streichquintett – wurden vor kurzem mit großem Erfolg in Konzerten und auf Tonträgern wiederaufgenommen. Aber das wohl stärkste seiner Werke ist eine andere exotische (oder spezifisch „orientalistische“) Oper, Lalla Roukh (1862), die dank der Opera Lafayette nun zum ersten Mal seit vielleicht einem Jahrhundert oder mehr wiederaufgeführt wird.

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David: „Lalla-Roukh“/Emma Calvé im Kostüm der Titelheldin/Wikipedia

Lalla Roukh, benannt nach ihrer Hauptfigur, basiert auf einem viel gelesenen literarischen Werk, Lalla Rookh, des irischen Dichters (und Freund von Lord Byron) Thomas Moore. Die Rahmenhandlung in Moores Buch ist eine Prosaerzählung über eine mogulische – also muslimische – Prinzessin aus Delhi, die nach „Bucharia“ (Buchara, im heutigen Usbekistan) reist, um den Mann zu treffen, mit dem sie verheiratet werden soll. Auf dem Weg dorthin singt ihr ein Minnesänger namens Feramorz vier bemerkenswerte Geschichten vor und gewinnt nach und nach ihre Liebe. (Moore hat diese vier Geschichten nicht in Prosa, sondern in Versen verfasst.) Am Ende der Reise erfährt die Prinzessin zu ihrer Freude, dass Feramorz in Wirklichkeit der verkleidete König von Bukarien ist. Moore stellt abschließend fest, dass der König, der ihre Liebe als einfacher Minnesänger gewonnen hatte, es nun verdiente, sie als König zu genießen“, und fügt hinzu, „dass die entzückte Lalla Rookh in Erinnerung an ihre gemeinsamen Reisen den König nie bei einem anderen Namen als Feramorz nannte“.

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Robert Schumann hat eine der vier Erzählungen des Buches als Grundlage für sein Oratorium Paradies und die Peri (1843) verwendet. Die Librettisten von Lalla Roukh, Michel Carre und Hippolyte Lucas, entschieden sich stattdessen dafür, die grundlegende Prosaerzählung der Prinzessin und des Minnesängers zu adaptieren; sie benannten die letztgenannte Figur in Noureddin um und entfernten jede Erwähnung des Islams und der Moguln, wodurch sie die Handlung aus der jüngeren Geschichte herauslösten und ihr eher einen märchenhaften Charakter verliehen. (Der Kämmerer Baskir beschwört mehrmals Brahma und gibt sich damit eindeutig als gläubiger Hindu zu erkennen.) Lalla Roukh wurde 1862 in Paris (an der Opera Comique) uraufgeführt. Es wurde sofort als ein Höhepunkt in Davids abwechslungsreicher Karriere anerkannt und erreichte in weniger als einem Jahr hundert Aufführungen. Eine Musikzeitschrift berichtete, dass der Klavierauszug, der in einer Auflage von 1000 Exemplaren erschien, bereits am ersten Morgen ausverkauft war.

„La perle du Brésil“/Poster für die Oper von David/OBA

Kein anderes Stück aus Lalla Roukh erlangte jemals den dauerhaften Ruhm von „Charmant oiseau“, einer Arie mit Flötenobligato (aus La perle du Bresil), die im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts von vielleicht einem Dutzend berühmter Sopranistinnen aufgenommen wurde, darunter Luisa Tetrazzini, Emma Calve, Mado Robin und in jüngerer Zeit Sumi Jo. Doch die Partitur von Lalla Roukh ist mit Juwelen gespickt. Häufig bewundert wurden seinerzeit die Nummern mit dem mehr oder weniger komischen „zweiten Paar“: Mirza, Lalla Roukhs Diener, und Baskir, der pompöse und hinterhältige Kammerherr des Königs von Buchara. Baskir erhält zwei melodiöse Strophenlieder, in denen er seinem Ärger („De pres ou de loin“ (CD 1 4)) und später seiner Angst („Ah! funeste ambassade (CD 2 5)) Luft machen kann. In ähnlicher Weise erhält Mirza eine Reihe attraktiver Strophenpaare (Baskir wird als alt und dumm verspottet: „Si vous ne savezplus charmed“. (CD 1 0)).

Besonders bezaubernd ist ein komisches Duett („Tout ira bien demain“ (CD 2 7)) für Baskir und den Minnesänger Noureddin, in dem die beiden einen Plan entwickeln – und darüber lachen -, um den großen König von Buccharie zu überlisten. Da Noureddin in Wirklichkeit eben dieser König ist, ist der wahre Betrüger Baskir, der sowohl dem Publikum als auch seinem (unerkannten) Meister wie wenig vertrauenswürdig er ist. Opernliebhabern mag die generelle Ähnlichkeit zwischen diesem Duo-Bouffe und einem der wunderbarsten komischen Ensembles der gesamten Oper auffallen: dem Quintett des zweiten Aktes in Bizets Carmen (1875) für die Titelfigur und die vier Zigeunerschmuggler („Nous avons en tete une affaire“). Beide Nummern enthalten einen kontrastierenden langsamen Mittelteil, der die Rückkehr der schnellen Eröffnungsmusik (mit im „Patter“-Stil gesungenen Worten) noch atemloser klingen lässt als zuvor. Bizet war sicherlich vertraut mit

Davids Werk vertraut. Die Ähnlichkeit könnte jedoch eher darauf zurückzuführen sein, dass sich beide Komponisten an den Normen der französischen komischen Opern und Operetten zeitgenössischer Komponisten wie Auber und – ab den 1850er Jahren – Offenbach orientierten.

David: „Lalla-Roukh“/Illiustration von David selbst und das Frontespiece zur Ausgabe seiner Oper/Wikipedia

Vielleicht neidisch auf die Aufmerksamkeit, die David immer wieder erhielt, wurde Auber mehrmals mit den Worten zitiert: „Ich wünschte, er würde von seinem Kamel herunterkommen!“ Mit anderen Worten: Gibt es in David mehr als sanfte Beschwörungen von fernen, halb erdachten Schauplätzen? Die vielen Stärken von Davids großer Oper Herculanum (1859, im alten Rom angesiedelt und beim Palazzetto Bru Zane als CD erschienen) sind eine klare Antwort auf Aubers Spott. Aber das gilt auch für die bereits erwähnten effektvollen komischen Nummern in Lalla Roukh, von denen keine im musikalischen Stil exotisch ist.

Das Gleiche gilt für die beiden bemerkenswerten Arien der Titelfigur, die jeweils zu Beginn des jeweiligen Aktes stehen: Sous le feuillage sombre“ (CD 1 3) und „O nuit d’amouf“ (CD 2 2). Die melodischen Linien in diesen beiden Sopranarien sind so schön geformt und so geschickt harmonisiert und orchestriert, dass man sich fragt, warum sie noch nicht den Weg in Arienkonzerte und -aufnahmen gefunden haben. Die emotionale Tiefe von Davids Prinzessin aus Delhi wird hier anschaulich dargestellt und lässt uns an ihrem Schicksal teilhaben. Besonders hinreißend ist die eröffnende Gesangsmelodie der ersten Arie: Auf eine fünftaktige Phrase folgt eine siebentaktige Phrase, die die Unkonventionalität der Prinzessin, aber auch ihre Unruhe andeuten soll. Das Unbehagen von Lalla Roukh ist verständlich: Sie ist einem fremden König versprochen, den sie nie kennengelernt hat, und wird sich allmählich eines einsamen, wortgewandten Mannes bewusst, der Nacht für Nacht in ihrer Nähe süß singt. Die zweite melodische Phrase ihrer Arie dehnt sich über den ersten Taktschlag hinaus – „mes yeux ont pu le voir“ – und lässt die Musik weiterfließen, als wolle sie ihre innere Sehnsucht signalisieren.

David: „Lalla-Roukh“/Buchwerbung für den Roman von Moore/Danaorg

Der aufrichtige, liebevolle Mann, der Lalla Roukh ein Ständchen bringt, ist natürlich Noureddin (d. h. der König von Buchara). Vielleicht weil er sich so sehr bemüht, wie ein Inder von bescheidener Herkunft zu klingen, gibt ihm der Komponist ein Gesangssolo, das mit auffälligen pseudo-östlichen Anklängen versehen ist, die typisch für französische Werke dieser Zeit sind, die im Nahen Osten, in Zentralasien oder in Indien spielen. Diese Romanze, „Ma maftresse a quitte la tente“ (CD 1 9) – aufgeführt von

Noureddin auf Anweisung von Lalla Roukh – dient als Kernstück eines ausgedehnten Szenenkomplexes in der Mitte des 1. Aktes (im 2. Akt wird Noureddin eine nicht weniger attraktive Barcarolle singen: uO! ma mattresse? (CD 2 6).) Wir können diesen exotischen Stil – mit seinen schnellen, trommelähnlichen Rhythmen auf dem Abwärtsschlag, seinen lang ausklingenden Pedaltönen (auf der Tonika, der Dominante oder einer offenen Quinte) und seiner dekorativen Verwendung chromatischer Bewegungen (hier dem Orchester zugewiesen) – als ein identifizierendes musikalisches Merkmal der Unterschicht (oder der niedrigen Kaste) des Ostens betrachten. Viele der gleichen stilistischen Merkmale finden sich in dem klangvollen Chor für die Sklaven der Prinzessin, die das Abendmahl servieren, der dieselbe Szene einleitet und beendet („Voici le repas du soi?“ (CD 1 5)). Einige der gleichen exotischen Elemente tauchen auch in den Ballettnummern des 1. Aktes auf. Hier werden die unaufhörlichen Trommelrhythmen durch Tamburine unterstrichen, und manchmal werden eigenartige melodische Phrasen einer Solo-Oboe zugeordnet, als ob sie ein „nasal“ klingendes Instrument wie die Schlangenbeschwörer des Nahen Ostens und Indiens imitieren sollten, die zu jener Zeit oft gezeigt wurden.

David: „Lalla-Roukh“/Figurine zur Uraufführung/Wikipedia

„Orientalische“ Züge tauchen wieder in der Orchesterbegleitung eines Abschnitts des Liebesduetts für Lalla Roukh und Noureddin auf (bei den Worten „Charmante vallee, de fleurs etoilee“ (CD 1 !): Bezauberndes Tal, mit Blumen übersät). Die „Entscheidung“ des Orchesters, der von Lalla Roukh gesungenen und dann von Noureddin wiedergegebenen Musik diese Färbung hinzuzufügen, verkündet, dass diese beiden Menschen trotz oberflächlicher Unterschiede Seelenverwandte sind, und deutet an, dass Lalla Roukh schließlich die Kraft finden wird, der Welt ihre Liebe zu dem bescheidenen Sänger der Märchen zu erklären. Das kunstvolle Duett wird mit einer kraftvollen Erklärung Noureddins zu den Worten „Ah! je ne suis, helas, qu’un pauvre poete“ (Ach, ich bin nur ein armer Dichter!) fortgesetzt. Noureddins Melodie ähnelt hier Melodien, die Donizetti einigen seiner Tenorhelden zugewiesen hat (z. B. Edgardos letzte Cabaletta in Lucia di Lammermoor „Tu che a Dio spiegasti gl’ali“). Vermutlich wollte der Komponist damit die aufrichtige Hingabe Noureddins an diese Frau betonen, die – wie er behauptet – weit über seinem bescheidenen Stand steht. Wenn Noureddins erstes Solo ihn als einen „Orientalen“ aus einer niedrigeren Kaste auswies, so hilft uns dieser temperamentvolle Schrei italienischer dolore zu spüren, dass er – d. h. der König in der Verkleidung des Spielmanns – voll und ganz verdient.

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David: „Lalla-Roukh“/Buchillustration aus der Ausgabe von Thomas Moores Roman Paris 1886/Doverpress

Dass Davids Oper an einem magischen Ort spielt, wird durch die Musik verdeutlicht, die sofort erklingt, wenn sich der Vorhang hebt. Ebenso wie die Bühnenbilder und Kostüme (in der ursprünglichen Inszenierung gehörten dazu eine gemalte Kulisse mit Gipfeln des Himalaya und, was noch merkwürdiger ist, Bananenstauden), erzeugt auch Davids Musik den Eindruck einer fernen Andersartigkeit – wiederum ohne exotische musikalische Mittel. Die Diener der Prinzessin staunen über das fruchtbare Land, in dem sie, müde von der Reise, übernachten können („C’est ici le pays des roses“ (CD 1 2): Hier ist das Land der Rosen“), und ihre Melodie, die so anmutig und formschön ist wie jede in der leichten Oper des 19. Jahrhunderts, entführt uns in die besondere, halb imaginäre Welt, die Moore und die Pariser Librettisten erdacht haben.

In diesem geheimnisvollen Land hielten sich Davids Zeitgenossen gerne auf. Den Opernliebhabern von heute geht es vielleicht genauso. Lalla Roukh hat viel zu lange darauf gewartet, wiederentdeckt zu werden. Leon Durocher, der die erste Inszenierung in der Revue etgazette musicale de Paris besprach, hatte absolut Recht: „Alles an ihr ist fein, vornehm, edel und elegant. Die Melodie fließt reichlich, und die Harmonie ist immer einfach und natürlich, aber nie banal. Die Orchestrierung breitet geniale und prächtige Farben vor unseren Augen aus (sozusagen)“. Welch eine Freude, diese Oper aus den verstaubten Regalen zurückzuholen, in die sie zu lange verbannt warRalph P. Locke

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Den Artikel von Ralph P. Lockes entnahmen wir mit Dank aus der Naxos-Aufnahme der Oper von 2013/8.660338-39;  übersetzt durch DeepL/ Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier

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Und nun Charles Jernigan zur Aufführung der Oper in Wexford 2022: Lallah-Roukh balanciert die Liebesgeschichte mit einer Reihe von komischen Figuren aus: dem Botschafter, der die Prinzessin nach Samarkand bringen soll, Baskir (ein Bass) und der Hofdame der Prinzessin, Mirza.  Die Musik ist üppig und melodiös und geschickt instrumentiert.  Die „orientalische“ Atmosphäre wird durch den Einsatz bestimmter Instrumente und Harmonien erreicht, wobei keine authentischen indischen oder persischen Melodien verwendet werden.  Es ist schwer zu verstehen, warum eine Oper, die einst so beliebt war, nach 1900 so schnell und vollständig von der Bildfläche verschwand, obwohl sie in den letzten 40 Jahren des 19.

Lalla Roukh war auch sehr einflussreich, da sie praktisch die erste der „orientalischen“ Opern war.  Man kann Bruchstücke davon in Berlioz‘ Les Troyens (Berlioz war voll des Lobes über das Werk), in Les pêcheurs des perles und Carmen sowie in Lakmé hören.  Wenn Davids Werk überhaupt überlebt hat, dann nur durch die Werke anderer, bekannterer Komponisten.

Davids „Lallah Rouk“ in Wexford 2022/ Szene/ Foto Clive Barda

Wexfords Inszenierung, wie auch die der Opera Lafayette vor einem Jahrzehnt, trug der lautstark geäußerten Kritik Rechnung, dass „orientalische“ Opern Artefakte des Kolonialismus seien (???) und verbannt werden sollten (sogar Madama Butterfly!). Die Musik bietet jedem Hauptdarsteller eine Arie in jedem Akt.  Die beiden Arien der Lalla Roukh sind erstaunlich abwechslungsreich und schön: „Sous le feuillage sombre“ und „O nuit d’amour“.   Noureddin, der Minnesänger-König, singt im ersten Akt eine Romanze in typischer Couplet-Form („Ma maitresse a quitté la tente“), um die Prinzessin zu unterhalten, und im zweiten Akt singt er außerhalb der Bühne eine Barcarolle („O, ma maitresse“), ein äußerst charmantes Stück, das sicherlich von Ernestos Serenade in Donizettis Don Pasquale inspiriert wurde.  In beiden Akten gibt es Duette, und eines davon, ein komisches Duett zwischen Baskir und Noureddin, in dem ersterer darüber lacht, wie er den König überlisten wird, ohne zu wissen, dass er dem König in Verkleidung gesteht, könnte uns an das Schmugglerquintett in Carmen (1875) erinnern, würde aber die frühen Zuhörer von Carmen an Lalla-Roukh erinnern.  Das Liebesduett im zweiten Akt endet mit einem Abschnitt, der Ralph Locke, einen Musikwissenschaftler, der über David geschrieben hat, an Edgardos „Tu Che a Dio spiegasti l’ali“ in Lucia di Lammermoor erinnert. In Davids Händen sind all diese Nummern von einzigartiger Schönheit und suggestiver Wirkung.

Davids „Lallah Rouk“ in Wexford 2022/ Szene/ Foto Clive Barda

Gabrielle Philiponet, ein hervorragender französischer lyrischer Sopran mit einem kraftvollen unteren Register, führte die Besetzung an. Sie war eine wunderschöne und ausdrucksstarke Lalla Roukh, die das Märchen im Märchen überzeugend spielte. Pablo Bemsch, Mitglied des Young Artist Program am Covent Garden, war ihr Nourreddin, der Barde, der in Wirklichkeit ein König war. Seine Stimme war sanft im französischen Stil und hätte für die zarten Melodien, die er singt, ein wenig süßer sein können, aber auch er war überzeugend. Ben McAteer sang und spielte die komische Rolle des Baskir mit viel Humor und einer Stimme, die der Aufgabe leicht gewachsen war. Die vierte bemerkenswerte Rolle ist Mirza, der Diener von Lalla Roukh, dessen Duett mit Lalla an das Blumenduett aus Lakmé erinnert, das zwanzig Jahre später erscheinen wird. Die Mezzosopranistin Niamh O’Sullivan spielte die Rolle mit Bravour. Der bekannte Schauspieler Lorcan Cranitch gab den Erzähler mit gutem Humor und anrührender Empathie. Emyr Wyn Jones und Thomas D. Hopkinson spielten die Nebenrollen von Bakbara und Kaboul gekonnt. Stephen White dirigierte mit absoluter Überzeugung und einem Gespür für die hinreißenden Melodien.  Der Wexford Festival Opera Chorus wurde in seinen wilden, zirkusähnlichen Kostümen zu Individuen. Charles Jernigan/ Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator

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.Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier

Nachrichten

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HERE IS THE PROGRAMME  OF THE ROSSINI OPERA FESTIVAL 2024
During the second ROF Talks 2023, the programme of the 45th edition of the Rossini Opera Festival was announced. The Festival, which will take place in the year that Pesaro will be the Italian Capital of Culture, will offer five operas for a total of thirty performances from August 7th to 23rd 2024. A new production of Bianca e Falliero, directed by Roberto Abbado and staged by Jean-Louis Grinda, will open the festival. The opera has been absent from the ROf since 2005. It will be followed by another new production, Ermione, conducted by Michele Mariotti and directed by Johannes Erath. The title has not been performed at the Festival since 2008.

Two operas will be revived: L’equivoco stravagante, created for ROF 2019 by Moshe Leiser and Patrice Caurier and directed by Michele Spotti, and Il barbiere di Siviglia by Pier Luigi Pizzi, created for ROF 2018 and this time directed by Lorenzo Passerini.

The festival will close with the celebration of the 40th anniversary of the first modern performance of Il viaggio a Reims, with Diego Matheuz conducting.

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Klaus Heymann als Kommandeur des Rio-Branco-Ordens ausgezeichnet. Hongkong, 26. Juni 2023: Klaus Heymann, Gründer und Geschäftsführer der Naxos Music Group, wurde von der brasilianischen Regierung mit dem Auszeichnung „Kommandeur des Rio-Branco-Ordens“ für seinen Beitrag zum klassischen Musikerbe Brasiliens durch die preisgekrönte Reihe „The Music of Brazil“ des Plattenlabels Naxos geehrt.
„Als ich jung war, war Brasilien das Land meiner Träume, und ich hatte vor, auszuwandern und dort zu leben.“ Der Traum, in Brasilien zu leben, wurde nicht Wirklichkeit, aber das Interesse an dem Land blieb. „Die brasilianische Musik muss in der Welt mehr gehört werden. Die Musikverlage, die die Werke der großen Komponisten kontrollieren, müssen sich stärker dafür einsetzen, dass die Musik aufgeführt wird. Und wir brauchen mehr brasilianische Musikerinnern und Musiker auf internationaler Ebene, die dazu beitragen können, die Musik des Landes bekannt zu machen“, betonte Heymann, der das Projekt vom ersten Moment an befürwortete.

Botschafter Manuel Innocencio de Lacerda Santos Jr, brasilianischer Generalkonsul in Hong Kong and Macau und Klaus Heymann/ Naxos

In Anerkennung des Engagements von Herrn Heymann und seiner Bemühungen, die klassische Musik Brasiliens einem weltweiten Publikum vorzustellen und zu fördern, hat der Generalkonsul Brasiliens in Hongkong und Macau, Botschafter Manuel Innocencio de Lacerda Santos Jr., Herrn Heymann letzte Woche die Insignien des Ordens verliehen. Der Orden von Rio Branco zeichnet verdienstvollen Einsatz und bürgerliches Engagement aus, indem er zu Handlungen und Taten anregt, die einer ehrenvollen Erwähnung würdig sind. Zu den früheren Empfängern gehören Laurindo Almeida, Ryuichi Sakamoto, Toots Thielemans und Ban Ki-moon. Generalkonsul Lacerda Santos Jr. sagte: „Im Namen der brasilianischen Regierung und des brasilianischen Volkes gratuliere ich Herrn Heymann zur Verleihung des Ordens „Kommandeur des Rio-Branco-Ordens“, einer der höchsten Auszeichnungen, die Brasilien an einen ausländischen Bürger vergeben kann. Wir feiern nicht nur seine außergewöhnlichen Leistungen, sondern danken ihm auch von ganzem Herzen für seinen unschätzbaren Beitrag zur kulturellen Bereicherung unserer Gesellschaft. Diese Anerkennung zeugt von seinem unerschütterlichen Engagement für die Künste, seinem unermüdlichen Einsatz für die Förderung des kulturellen Verständnisses und seiner tiefen Wertschätzung für das klassische Musikerbe Brasiliens. Er ist ein Beispiel dafür, wie ein einzelner Mensch durch seine Arbeit und seine Ideale die Welt verändern kann. Er ist eine Inspiration für uns alle, die wir an die Kraft der Musik glauben, Menschen zusammenzubringen und unsere Welt zu einem besseren Ort zu machen.“ In seiner Dankesrede sagte Herr Heymann: „Brasilien ist ein Land mit 220 Millionen Einwohnern, und die meisten von ihnen sind Musikliebhaber. Es ist ein musikbegeistertes Land, wahrscheinlich mehr als jedes andere Land in der übrigen Welt. Ich hoffe, dass dieses Projekt nicht nur dazu beitragen wird, die brasilianische Musik in der Welt bekannter zu machen, sondern auch, Brasilien als ein Land der Kultur und mit einem großen musikalischen Hintergrund zu präsentieren.“

Das ehrgeizige Projekt Brasil em Concerto, das vom brasilianischen Außenministerium entwickelt wurde und zu dem auch die Reihe „The Music of Brazil“ gehört, fördert die Musik brasilianischer Komponisten, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Die Reihe hat bereits die Hälfte der 100 Orchesterwerke des 19. und 20. Jahrhunderts fertiggestellt, die vom São Paulo State Symphony Orchestra, dem Minas Gerais Philharmonic Orchestra und dem Goiás Philharmonic Orchestra aufgenommen werden, sowie eine Auswahl an Vokal- und Kammermusik mit brasilianischen Künstlerinnen und Künstlern, etwa der mit dem Latin Grammy ausgezeichneten Pianistin Sonia Rubinsky. Die meisten der waren außerhalb Brasiliens noch nie auf Tonträger erhältlich; viele andere sind und werden Weltersteinspielungen sein. Ein wichtiger Teil des Projekts ist die Vorbereitung von Neu- oder sogar Erstausgaben der aufzunehmenden Werke, von denen viele trotz ihrer Bedeutung bisher nur in den Manuskripten der Komponisten verfügbar waren. Diese Arbeit wird von der brasilianischen Musikakademie und von Musikwissenschaftlern in Zusammenarbeit mit den Orchestern durchgeführt. (Quelle Naxos)

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Eine neue Franchetti-Gesellschaft schreibt:  Nachdem wir uns zuvor als loser Haufen definiert hatten, sind wir nun zum Entschluss gelangt, die Freunde Franchettis künftig als eingetragenen gemeinnützigen Verein zu betreiben. Zu diesem Zweck fand am 15. Juli 2017 in Berlin Charlottenburg die Gründungsversammlung statt. Weiterhin gilt: die Mitgliedschaft wird durch formlosen Antrag per Mail erworben, Verpflichtungen entstehen keine. Die Vorsitzende der Freunde Franchettis e.V. ist Cornelia Wolter, Sachsenwaldstraße 3, 12157 Berlin; 0176-20506296; freundefranchettis@web.de

Wenn Sie den Freunden Franchettis helfen wollen, so freuen wir uns darüber. Auf Wunsch kann jedem Spender eine CD mit Musikbeispielen aus dem Schaffen Franchettis zugesandt werden. Alle Spender, es sei denn, sie möchten anonym bleiben, werden namentlich unter den Freunden Franchettis erwähnt.

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“IL BELCANTO RITROVATO”: la nascita di un festival a Pesaro II^ Edizione
24 agosto – 3 settembre 2023

L’Italia è il Paese per eccellenza della musica lirica, ma del suo periodo più fertile, la prima metà dell’Ottocento che comunemente va sotto il nome di “Belcanto”, si eseguono oggi solamente Rossini, Bellini, Donizetti e il primo Verdi, che rappresentano però la punta di un grande iceberg.

Questo periodo è stato, infatti, popolato anche da tantissimi altri compositori, che all’epoca erano importanti e famosi ma che poi la storia ha messo ingiustamente da parte. Contando solo i più noti si arriva ad oltre 60 nomi per un’imponente produzione di oltre 1300 opere praticamente tutte dimenticate o mai eseguite in tempi moderni. Questi compositori con le loro musiche infiammavano i teatri italiani, europei e spesso anche d’oltremare, contribuendo così largamente alla diffusione ed alla fama internazionale dell’opera lirica italiana. Solo per citarne alcuni, in rigoroso ordine alfabetico, vorremmo ricordare Carafa, Coccia, Fioravanti, Generali, Mercadante, i fratelli Mosca, Pacini, Pavesi, Persiani, Pucitta, Raimondi, i fratelli Ricci, Rossi e Vaccai.

Nel 2021 nacque l’idea di riscoprire e riproporre questo prezioso patrimonio italiano della musica; a partire da Rudolf Colm, passando per Daniele Agiman e arrivando a Saul Salucci, l’idea prese vita e si trasformò in un vero e proprio progetto intitolato “Festival Nazionale Il Belcanto ritrovato”.
Da subito l’Orchestra Sinfonica G. Rossini si è messa a disposizione per inserire nelle proprie iniziative questa nuova ed affascinante impresa.
Fu chiaro fin dall’esordio che le Marche e più in particolare il territorio pesarese caratterizzato da numerosi festival musicali e tanti riconoscimenti nell’arte, tra i quali quelli dell’UNESCO, offrivano le premesse ideali per la straordinaria disponibilità di competenze artistiche ed organizzative. La prima edizione ha previsto spettacoli a Pesaro, Fano, Urbino, Arcevia e Montemarciano.
Era però anche chiaro, fin dall’inizio, che questo festival avrebbe dovuto affrontare, rispetto a tutti gli altri, una sfida più complessa che prevedeva oltre all’esecuzione pubblica attraverso gli eventi del festival, una fase propedeutica di ricerca storica e musicologica e la selezione del materiale da eseguire attraverso la produzione di revisioni critiche.
In questa grande “caccia al tesoro” delle bellezze nascoste dell’opera lirica italiana è stata determinante la possibilità di collaborare localmente con istituzioni straordinarie come il Rossini Opera Festival, la Fondazione Rossini, l’Accademia Rossiniana Alberto Zedda, la Fondazione Teatro della Fortuna ed altre ancora. Il primo lavoro di riscoperta è stato il recupero dopo 199 anni di oblio della farsa in un atto del 1810 “Cecchina suonatrice di ghironda” del piemontese Pietro Generali. I Sovrintendenti Rudolf Colm, Saul Salucci/ https://youtu.be/FUuUBS2Ev-s?list=PLi2jd34Xa07eKOZn76lcH7SstT5pn4Dvi

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“LE INTERVISTE IMMAGINARIE”: introduzione

Il nuovo Festival Nazionale “Il Belcanto ritrovato” (IBR) che ha aperto i battenti al Teatro Rossini di Pesaro il 23 agosto 2022, vuole essere il primo palcoscenico integralmente ed esclusivamente dedicato a quei compositori più sopra citati che con le loro opere hanno infiammato all’epoca i teatri italiani, europei e spesso anche d’oltremare, contribuendo largamente alla diffusione e alla fama internazionale dell’opera lirica italiana.

Abbiamo quindi deciso di pubblicare, in occasione di questa prima edizione del Festival, alcune interviste immaginarie, realizzate dal Team IBR, con un primo gruppo di 14 compositori – circa un quarto della sessantina che abbiamo individuato – che sono stati riscoperti insieme al pubblico nelle serate del Festival. La prima intervista di questa serie è dedicata a Pietro Generali, il “main composer” della prima edizione del Festival, e per questa ragione anche più approfondita delle altre. Di Generali sono state eseguite nella prima edizione la farsa “Cecchina suonatrice di ghironda” del 1810 e una serie di brani tratti da sette delle sue opere più belle che coprono l’intero arco della sua produzione. Abbiamo così l’opportunità di mettere particolarmente a fuoco il profilo artistico di questo grande musicista piemontese. Tramite le interviste a questi compositori conosceremo particolari della loro vita, dei loro successi e delle loro traversie e, in generale, alcuni aneddoti che faranno sentire più attuali e a noi vicini questi artisti che, con le loro musiche, dimostrano di trasmettere emozioni in musica oggi come allora.
Rudolf Colm

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Die andere Salome

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Wer Florent Schmitts Drama Salomé und überhaupt diese Musik hört, der wird sich fragen (müssen), warum der Komponist Florent Schmitt so sträflich vernachlässigt wird, nicht nur hierzulande. In unseren Konzertsälen wird seine Musik nur ausnahmsweise aufgeführt. Dabei hätte sie es verdient, auch aufgrund der ungewöhnlichen künstlerischen Position ihres Schöpfers.

Schmitts Oeuvre besteht aus 138 mit Opuszahlen versehenen Kompositionen und einigen nicht veröffentlichten Werken. Er komponierte für fast alle Gattungen der Musik. In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war Schmitt einer der führenden Komponisten Frankreichs. Trotz seines eigenen und eigenwilligen Stils, trotz der Unabhängigkeit von Trends und Moden in der Musik der 1920-er bis 1950-er Jahre und trotz der Originalität und Qualität seines Komponierens spielte er nicht nur im französischen, sondern auch im internationalen Musikleben kaum eine Rolle.

Der Kritiker Pierre Petit hat Schmitt und sein Komponieren sehr treffend charakterisiert: Schmitt „hätte auch ein Anhänger von Strawinsky oder gar von Schönberg werden können. Stattdessen gelang es ihm, er selbst zu bleiben. Für den Musikwissenschaftler ist er daher ein einzigartiger Fall, ähnlich wie Paul Dukas. Schmitts Werk ist von den ersten Takten an unverkennbar. Es lässt sich in keine Schublade stecken, nicht einmal in eine Tendenz, trotz unvermeidlicher Ähnlichkeiten mit anderen zeitgenössischen Werken… Es gibt absolut nichts Außergewöhnliches oder Unerhörtes in seinem Vokabular: dennoch ist die Art und Weise, wie er es einsetzt, ganz persönlich – und in diesem Sinne ist Florent Schmitt wirklich klassisch… Seine Tragédie de Salome nimmt zwar spätere Werke anderer Komponisten vorweg, aber das war nicht beabsichtigt. Er war ein Einzelgänger und ist ein Einzelgänger geblieben. Die Bezeichnung ‚revolutionärer Anarchist‘ wurde mit böser Absicht auf ihn angewandt, ist aber in Wirklichkeit ziemlich zutreffend, da ein Anarchist ein Einzelgänger ist und die Revolution keine Sache der Nachahmung ist.“

La Tragédie de Salomé wurde als Ballett komponiert und am 9. November 1907 im Theâtre des Arts unter Leitung von Désirée Émile Inghelbrecht uraufgeführt, allerdings in einer kleinen Orchesterbesetzung. Die endgültige Form erhielt es 1910, um die Hälfte gekürzt und für großes Orchester instrumentiert als symphonische Suite. Deren Uraufführung fand 1911 in den Concerts Colonne unter Leitung von Gabriel Pierné in Paris statt. Das Werk basiert auf einem Gedicht von Robert d’Humières. Ihm liegt die bekannte Handlung zugrunde: Salome, die Tochter der Herodias, verführt ihren Onkel Herodes, um den Kopf des Propheten Johannes des Täufers zu fordern und büßt am Ende für ihre wahnsinnige Idee mit ihrem Leben.

„Schmitt nutzt dieses Thema, um ein Porträt zu zeichnen, das eine vor Sinnlichkeit strotzende Exotik mit einer Brutalität verbindet, die in den dunklen Instinkten der menschlichen Psyche wurzelt. Ein üppiges „Prélude“ beschreibt die Landschaft von Judäa, die den Palast des Herodes umgibt. Allein die Arabesken und die berauschende Klangfülle dieser Nummer machen Schmitt zu einem der führenden französischen Orientalisten. In „Les enchantements sur la mer“ (Die Verzauberungen des Meeres) erklingt eine eindringliche Threnodie („am Ufer des Toten Meeres aufgenommen“, wie es in der Partitur heißt) für einen Solosopran (oder Oboe). Nach dem „Danse des éclairs“ (Tanz der Blitze), der die Enthauptung von Johannes dem Täufer darstellt, bricht der „Danse de l’effroi“ (Tanz des Schreckens) mit unerwarteter Gewalt aus. Diese Nummer sollte bis zum Erscheinen eines gewissen Sacre du printemps (Frühlingsritus) sechs Jahre später einzigartig bleiben, dessen innovative rhythmische Merkmale ohne die großartige Tragédie de Salomé nicht denkbar gewesen wären.“ (Bru Zane)

Schmitts Werk vorangestellt – gleichsam als zeitgenössisches Präludium – ist die 2021 entstandene zweiteilige Komposition Loie des Zeitgenossen Fabien Touchard. Das passt zwar gut, zumal das Werk sehr atmosphärisch ist. Freilich kommt es doch nicht an die Wirkmächtigkeit der Schmitt‘schen Komposition heran. Les Apaches nennt sich ein Instrumentalensemble mit variabler Besetzung, das von dem Dirigenten Julien Masmondet gegründet und geleitet wird. Ziel des Ensembles ist es, Aufführungen zu kreieren und zu verbreiten, die Werke des Repertoires mit Uraufführungen heutiger Komponisten zu aktuellen Themen mischen und dabei Künstler mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenbringen: Komponisten, Sänger, Regisseure, Schriftsteller, Dichter, Videokünstler, Tänzer, Schauspieler, Architekten und Free-Runner. Dabei knüpfen sie an jene Künstlergruppe des frühen 20. Jahrhunderts an, die sich ebenfalls Les Apaches nannte – Maler, Schriftsteller, Musiker und andere Künstler, darunter die Komponisten Manuel de Falla, Maurice Ravel, Igor Strawinsky und eben Florent Schmitt.

So verdienstvoll und eindrucksvoll der Einsatz aller Beteiligten ( darunter die Sopranistin Sandrine Buenda) für das Werk ist, so sehr man von Schmitts Musik gepackt wird, so sehr bedauert man zugleich, dass die Texte des als „Booklet“ fungierenden Faltblatts nur in Französisch und Englisch abgedruckt sind, aber wie immer nicht auch auf Deutsch, was man doch als Diskriminierung des potenten deutschen Marktes werten kann (b.records LBM 049/ 15. 08.23).  Helge Grünewald

Geistliches Polnisch

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Bei MDG ist unter dem Titel Requiem Aeternam eine interessante CD mit viel zu selten gespielten geistlichen Werken von Stanislaw Moniuszko herausgekommen: Kernstück der Aufnahme sind drei der vier Litaneien von Ostra Brama, die mit vier einzelnen kürzeren Stücken von Gesangssolisten, Sängern und Sängerinnen des Gellert Ensembles sowie dem Goldberg Baroque Ensemble unter der kompetenten Leitnung von Andrzej Szadejko erfrischend munter vorgetragen werden. Obwohl Moniuszkos kompositorischer Schwerpunkt die Oper war, beschäftigte er sich als gläubiger Mensch ebenfalls mit geistlicher Musik und begann um 1860 herum mit der Veröffentlichung eines Kirchen-Gesangbuches. Die Litaneien von Ostra Brama entstanden in den Jahren 1843 – 1855, als er noch in Vilnius lebte, bevor er 1858 mit seiner großen Familie nach Warschau übersiedelte. Für die inständigen Bitten und Gebete entwickelte er einen großen Melodienreichtum, der durch den häufigen Wechsel von intensiv ruhig und unruhig drängenden Gebeten stets lebendig bleibt und so große Spannungsbögen schlägt. Damit wirken die Litaneien ein wenig wie ein Vorläufer der 1863 verfassten Petite Messe Solennelle von Giacchino Rossini, der von Moniuszko sehr geschätzt wurde.

In der ersten Litanei eröffnet der Chor nach einem kurzen Vorspiel das tänzerische Kyrie, in dem die Dringlichkeit der Bitte durch Drive und ansteigende Tonlagen deutlich gemacht wird; erst dann treten die Solisten insistierend hinzu: Ingrida Gápová mit schlankem Sopran, die voll-timbrierte Altistin Marion Eckstein, der solide Tenor Sebastian Mach und Maximilian Argmann mit grundiertem Bariton. In dem getrageneren  Sancta Maria agieren sie als Vorsänger. Das pulsierende Salus infirmorum wird vom ruhigen Agnus dei abgelöst, bevor die Litanei nach einem eindringlichen Aufschrei des Chores Christe audi nos leise erlischt.

Eingefügt ist hier Sub tuum praesidium (Unter deinem Schutz), eine am Karfreitag 1857 in Vilnius uraufgeführte Antiphon zur Verehrung der Heiligen Jungfrau Maria von der Ostra Brama. Ursprünglich für Bariton und Orgel geschrieben, ist sie auf dieser CD in einer von Moniuszkos Schüler Zygmunt Noskowski erstellten Fassung mit Orchester eingespielt. Maximilian Argmann gibt der eher schlichten Melodie mit leichten Verzierungen ausdrucksvoll Gestalt.

Die beiden übrigen Litaneien ähneln im Aufbau und mit ihren Tempowechseln der ersten. Es seien hier nur einige Dinge hervorgehoben: In der zweiten Litanei zieht das melodiöse Kyrie mit positivem Schwung klangvoll vorbei; Solisten und Chor sind besonders ausgewogen. Mit Nachdruck werden die Bitten im Christe audi nos vorgetragen. Mit dem fast walzerartigem Agnus Dei endet die zweite Litanei gefällig. Ebenfalls von Noskowski instrumentiert wurde die Motette Ecce lignum crucis für Bariton, Chor und Orchester, die – obwohl erst 1868 komponiert – an dieser Stelle der CD eingesetzt wurde; der gut durchgebildete Bariton klingt hier in den Höhen allerdings angestrengt. Der folgende instrumentale Trauermarsch zu Ehren von Antoni Orlowski scheint nicht unbedingt von Moniuszko zu sein. Es ist möglicherweise ein Marsch von dem Verstorbenen selbst, den Moniuszko nur instrumentiert und bei der Beerdigung dirigiert hat. Witzig ist, dass der Marsch im Verlauf Tempo aufzunehmen scheint, als ob man es eilig hätte; dann wird das Tempo wieder eingefangen und führt über eine grandiose Steigerung zum ruhigen Schluss.

Das kurze, titelgebende Requiem Aeternam ist eine Kantate für 11 Solostimmen, Chor und Orchester. Ungewöhnlich durch die Kürze – nur 4’42 Minuten – ist es ein besonders eindringliches Werk, das mit intensiver Interpretation beeindruckt. Besondere Melodieführung und chromatisch auf- und absteigende Linien gelingen sehr gut.

Die dritte Litanei beschließt die Aufnahme; im Kyrie besticht abermals der homogene und ausgewogene Chorklang. Sehr flott akzentuiert kommt das Sancta Maria daher, schlichte Melodik beherrscht das Janua caeli. Das abschließende Agnus Dei überzeugt ebenso in den dramatischen Phasen wie in den ruhigeren Teilen bis zum eindrucksvollen Schluss.

Die ausgezeichnete Gesamtleistung aller Akteure macht diese Aufnahme besonders, so dass man gerne mehr von Moniuszko hören möchte (MDG 902 2278-6). Marion Eckels

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Darf sich ein Rezensent bei der Beschäftigung mit einer CD zunehmend mehr für das Leben des Komponisten interessieren als für das ihm vorliegende Werk?  So geschehen mit Feliks Nowowiejskis Oratorium Der verlorene Sohn, dessen 1877 im Ermland geborenem Schöpfer der ihn sein ganzes Leben begleitende Konflikt bereits in die Wiege gelegt worden war mit einer deutschen Mutter und einem polnischen Vater. Der junge Nowowiejski konnte besser Deutsch als Polnisch, sich schriftlich nur im Ersteren äußern, als er nach den Stationen Wartenberg und Allenstein nach Berlin ging, um seine musikalischen Studien zu vollenden, nachdem er bereits als Geiger und Komponist für das Preußische Grenadier-Regiment in seiner Heimat gewirkt hatte. In Berlin wurde Max Bruch sein Mentor, wirkte er als Organist an der St.-Hedwigs-Kathedrale und danach an St. Paulus in Moabit, wo eine Tafel an ihn erinnert. Gleichzeitig verkehrte er in polnischen Emigrantenkreisen, ging 1909 nach Krakau und schrieb 1910 zur Feier des Jahrestags der Schlacht von Tannenberg ein patriotisches Lied gegen die Germanisierung ursprünglich slawischer Gebiete. Davor hatte er bereits erste Erfolge als Komponist, für Der verlorene Sohn den Giacomo-Meyerbeer-Preis erhalten, und sein Oratorium Quo Vadis wurde in ganz Europa und sogar in der Carnegie Hall aufgeführt. 1914 zog er wegen der Anfeindungen durch seine polnischen Landsleute nach Deutschland und tat als Musiker Dienst im deutschen Militär, 1918 siegte die polnische Seele in ihm, seine davon diktierten propolnischen Äußerungen kosteten ihn die Freundschaft Max Bruchs, 1939 floh er vor den Deutschen nach Krakau, kehrte 1945 nach Posen zurück und verstarb dort 1946. In Polen wird seiner an vielen Orten und oftmals gedacht, in Berlin fanden immerhin 2009 und 2014 Festivals zu seinen Ehren statt.

Das Libretto zum Verlorenen Sohn stammt von Theobald Rehbaum, ist also in deutscher Sprache verfasst, in der es auch in der vorlegenden Aufnahme aus Allenstein, heute Olsztyn, gesungen wird. Die polnischen Solisten bemühen sich um eine gute Diktion, was ihnen nicht immer gelingt, so dass man den Text nicht durchgehend versteht,  beim Chor ist ein Verstehen völlig ausgeschlossen. Deshalb wäre ein Abdrucken des Librettos in der Originalsprache und natürlich in Polnisch eigentlich unverzichtbar. Auch demjenigen, der bibelfest ist und die Geschichte vom verlorenen Sohn aus dem Lukas-Evangelium gut kennt, ist nicht viel geholfen, denn sie wird hier mit den Protagonisten Vater-Mutter-Sohn und einem Chor erzählt, womit der Konflikt zwischen den Brüdern ausgespart wird, der Komponist wohl zugunsten der vokalen Vielfalt darauf verzichtete.

Das eher spröde Thema hindert den Komponisten nicht daran, im Vorspiel ungeheure spätromantische Klangwogen zu entfesseln, virtuose Soloeinlagen voller Raffinesse anzubieten, mit Orgel- wie Harfenklängen den Eindruck ungebändigter Naturgewalten oder  ungebremster erotischer Ergüsse zu erwecken, als nahe der Welt Ende, ehe die Vokalsolisten zu Wort kommen. In den Kapiteln Der Sohn, Die Mutter und Der Vater, wird also wohl Zerknirschung, Bitte um Vergebung und der Sieg mütterlicher und väterlicher Liebe dargestellt, ehe sich der Chor, ca. 70 Personen umfassend, noch einmal in monumentaler Weise eindrucksvoll zu Wort meldet. Die Solisten können mit robusten, gesunden Stimmen aufwarten: Agnieszka Rehlis mit sattem, tragfähigem Mezzosopran, Arnold Rutkowski mit frischem, slawisch herbem Tenor und Lukasz Konieczny mit kraftvollem, manchmal  etwas dumpfigem Bass. Der Szymanowski Philharmonische Chor Krakau unter Piotr Piwko ist mit viel Drive bei der Sache und weiß zu imponieren, das Sinfonieorchester der Feliks-Nowowiejski-Warmia-und-Masuren-Philharmonie unter Piotr Sulkowski kann man für die die Bewältigung der anspruchsvollen Partitur nur bewundern. Gut kann man sich die Ouvertüre als Teil eines Sinfoniekonzerts vorstellen (Dux 1693). Ingrid Wanja

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PS.: Zu Nowowiejski gibt es bei operalounge.de ebenfalls zwei sehr ausfühlichen Artikel zu Leben und Werk anläßlic seiner Oper Quo vadis (Die vergessene Oper 62) und seiner Baltischen Legende (Die vergessene Oper 123), diese nun in Polnisch, weshalb man Dux und Piotr Piwko nicht genug Anerkennung zollen kann, den Verlorenen Sohn im  originalen Deutsch herausgebracht zu haben. Das ist auch im heutigen Polen immer noch keine Selbstverständlichkeit. G. H.

Guerrinis „Enea“

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Guido Guerrini? Wer? 401Dutchoperas.com füllt die Wissenslücke mit eine Aufnahme des Enea von Guido Guerrini (1890 – 1965), ein Titel, den Fans von Franco Corelli erinnern werden, der darin an der Scala für Aufsehen gesorgt hatte. So ist denn diese RAI-Aufnahme ihm gewidmet und mit seinem Foto geziert. Die vorliegende Einspielung bei 401DutchOperas.com/FrancoCorelli.NL stammt von 1960 und bietet bei etwas gewöhnungsbedürftigem (für mich etwas sehr bearbeitetem, elektrischem) Klang Renato Gavarini in der Titelrolle, dazu Mario Petri, Renata Mattioli, Floriana Cavalli und alles was in Italien Füße hatte in jener Zeit unter der Leitung des bewährten Armando La Rosa Parodi bei der RAI Roma. Auch hier freut man sich über das umfangreiche historische Material wie auch das Libretto. Die Oper kostet 15.- Euro, ist per Paypal zu bezahlen und anschließend zum Downloaden bereit. G. H.

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Herausgeber, Musikwissenschaftler und Corelli-Fan René Seeghers schreibt auf der website der Firma: Zum Gedenken an Franco Corellis Geburtstag am 8. April 2014 haben wir eine äußerst seltene Aufnahme in unser Archiv aufgenommen: die Aufnahme von Guerrinis Enea, in der Franco Corelli einst die Rollen des Turno und des Orfeo verkörperte (daher das sexy Foto für die Fans).

Wir feiern Francos Geburtstag mit dem 2CD langen MP3 Download von Guido Guerrinis Oper Enea, die von Franco Corelli am 11. März 1953 kreiirt wurde. Leider sind keine Aufnahmen der Uraufführung aufgetaucht, aber wie in (meinem Buch) Franco Corelli Prince of Tenors erwähnt, gibt es zumindest eine Chance, die Musik als solche zu hören, und zwar durch eine spätere Radiosendung, die auf 1960 zurückgeht.

Diese Aufnahme zeigt Renato Gavarini in Corellis Rolle des Königs Turno von den Rutuli, den ursprünglichen Bewohnern der Region Lavinium, in der Eneas nach seiner Flucht aus Troja landete. Turno fordert Lavinias Wahl für Enea heraus, was in einem Duell im Stil eines epischen Films gipfelt. Corellis zweite Rollenschöpfung in der Oper, die Stimme des Orfeo, wurde leider aus der Aufführung von 1960 gestrichen, aber wir haben das Duett zwischen Orfeo und Euridice als Bonus auf Disc 1 hinzugefügt, das aus der Aufführung von Tiemin Wang und Vera Ramer bei der Prince of Tenors Buchpräsentation in Amsterdam 2008 stammt.

Guerrini: „Enea“/Armando La Rosa Parodi/youtube

Was die Musik betrifft, so wird die Besetzung von dem wohlklingenden Bass Mario Petri angeführt. In der Hauptrolle des Protagonisten Enea ist er sowohl stimmlich als auch körperlich ein überragender Riese. Um ihn herum spielt das Beste, was Italien außerhalb der international bekannten Top 10 zu bieten hatte. Wichtig aus unserer Sicht war Renato Gavarinis Darstellung des Königs Turno von den Rutuli. Er kommt erst im dritten Akt auf die Bühne, aber es gelingt ihm sehr gut, Turnos Aufregung über den drohenden Verlust von Lavinia an Enea zu vermitteln. Das Duell zwischen Turno und Enea ist in einem epischen Filmstil gehalten, der an solche Spektakel wie Blasettis 1860 (1934) und Carmine Gallones Scipio Africanus: The Defeat of Hannibal (1937) erinnert, um nur die bekanntesten zu nennen. Bei den Damen sticht Floriana Cavalli in der Dreifachrolle der Creùsa, Didone und Lavinia hervor, wenngleich die größte Wirkung von der kämpferischen Mezzosopranistin Dora Minarchi als Sybille von Cuma ausgeht.

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Guerrini: Renato Gavarini singt den Enea/OBA

Die Handlung beginnt mit der Flucht der Trojaner vor den plündernden Griechen in Troja. Der erste Akt endet mit Creusas Prophezeiung „Doce mio sposo“, in der sie ihren Mann Enea auffordert, dorthin zu segeln, wo der Tiber ins Meer fließt; dort wird Enea seine wahre Bestimmung in der Schaffung einer neuen Nation finden! Der zweite Akt mag den Librettisten Adolfo Angeli dazu inspiriert haben, die Oper als „Mito in tre atti“ zu bezeichnen. Der Akt beginnt mit einer Szene, in der Faune und Dryaden Eneas Ankunft in Cuma, in der Nähe von Neapel, willkommen heißen. Als Enea die elysischen Felder betritt, erhält die Musik eine ansprechende, an Tarzanfilme erinnernde Atmosphäre. Nachdem Orfeos „Hymne an Apollo“ bedauerlicherweise unterbrochen wurde, setzt die Aufnahme bei der „Hymne der gefallenen Helden“ ein, nach der Enea auf Didone trifft. Kaum ein paar Minuten nach ihrem Liebesgeflüster beginnt die Königin von Karthago ihre berühmten Komplimente gegen unseren trotzigen Helden, dessen einziger Wunsch es ist, sie nach Italien zu verlassen! Der dritte Akt beginnt mit den Trojanern in der Siedlung, die heute als Lavinium bekannt ist, so benannt nach Lavinia, der lokalen Schönheit, die das Herz von Enea erobert hat. Neben dem trojanischen Anführer wird sie auch vom örtlichen König der Rutuli, Turno, begehrt. Als sie ihn erneut zurückweist, gerät er in einen Streit mit Enea, der schließlich zu einem packenden Duell im Hollywood-Stil führt, bei dem Turno unterliegt. Nachdem die Kröte die Völker unter seiner Regierung vereint hat, singt Enea weise Worte über die blühende Nation, die aus den Böden der neu gegründeten Stadt, die er Lavinium nennt, entstehen wird.

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Guerrini: „Enea“/Mario Petri singt die Titelpartie/youtube

Faszinierend an Angelis Text ist der psychologische Aufbau von Enea, dessen Besetzung mit einer Bassstimme darauf zurückzuführen ist, dass Angli ihn eher als Philosophenkönig denn als Krieger sah. Dies verlangte vom Publikum damals wie heute viel Flexibilität, aber wenn man es akzeptiert, ist es zumindest ein originelles Konzept. Bei der Uraufführung mit der zunächst lyrischen, dann dramatischen (in der Hymne an Apoolo) Tenorpartie des Orfeo herrschte noch ein gewisses Gleichgewicht in der Verteilung. Dieses Gleichgewicht wurde leider durch die Streichung der Rolle des Orfeo bei der Aufführung 1960 gestört. Was bleibt, ist ein faszinierender Versuch, die Oper neu zu erfinden, und zwar nicht auf der avantgardistischen Linie der gleichzeitig komponierten Dallapiccola-Oper Il progioniero, sondern durch die Verbindung klassischer Opernidiome von der Antike bis zu Gluck mit italienischer epischer Filmmusik der späten 1930er und 40er Jahre. Obwohl die Oper in der Presse, beginnend mit dem „statischen Libretto“, verrissen wurde, kamen solche fantasievollen mythischen Ansätze Jahrzehnte später in Mode (man denke an Henzes Bassariden). Wer unvoreingenommen ist und wer einmal Filme wie Tarzan und die Amazonen, Tarzan und die Leopardenfrau oder Tarzan und die Meerjungfrauen genossen hat, wird in Guerrinis Enea viele fantastische Momente erleben!

Aus Warschau zum Dritten

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Unermüdlich setzt das Label Château de VERSAILLES seine Bemühungen um die Katalog-Erweiterung des französischen Barock-Repertoires fort. Im Falle von Jean-Marie Leclairs Tragédie-lyrique Scylla et Glaucus handelt es sich allerdings nicht um eine Ersteinspielung, denn 1986 nahm John Eliot Gardiner das Stück mit seinen English Baroque Soloists für Erato auf und sorgte damit viele Jahre für die einzig verfügbare Aufnahme. Erst 2016 kam bei Alpha eine neue Version unter Leitung von Sébastien D’Hérin heraus. Die aktuelle, hier vorliegende Produktion entstand im April 2021 in Warschau als Bestandteil der Collection Château de Versailles Spectacles (CVS068, 3 CDs).

Die Tragédie kam 1746 an der Pariser Opéra heraus, kurz vor dem 50. Geburtstag des Komponisten, dessen einzige Oper sie blieb. Das Libretto von d’Albaret folgt Ovids Metamorphosen und schildert das Schicksal der Nymphe Scylla, die die Annäherungsversuche des Halbgottes Glaucus zurückweist, worauf dieser sich an die Zauberin Circé wendet mit der Bitte, die Nymphe zu verzaubern. Circé jedoch verliebt sich in Glaucus und verwandelt Scylla in ein monströses Ungeheuer. An der Meerenge von Messina versetzt dieses künftig die Seeleute in Angst und Schrecken.

Das Werk in fünf Akten beginnt gemäß der Tradition mit einem Prologue, in welchem dem König gehuldigt wird. Sodann trägt der 1. Akt den Charakter einer Pastorale, der 3. wird bestimmt von einem maritimen Divertissement, der 4. mit dem Feuer speienden Vesuv schildert eine veritable Höllenszene und der 5. schließlich die finale Katastrophe. Dass Leclair ein Geigenvirtuose war, spiegelt sich auch in seiner Komposition wider. Sie ist einfallsreich und vielfältig, zeugt von dramatischem Gespür und den technischen, vor allem kontrapunktischen Fähigkeiten ihres Schöpfers.

Der ehemalige Musikdirektor der Warschauer Kammeroper Stefan Plewniak gründete 2012 das Ensemble Il Giardino d’Amore, mit welchem er bereits mehrere Projekte für das Label Château de Versailles realisierte. Seine Lesart profitiert vom energischen Zugriff, pulsiert mit furioser Dramatik, lässt aber auch delikate Momente von zauberischer Wirkung vernehmen (wie die Musette und das Menuet im 1. Akt). Die Besetzung weist drei Hauptrollen auf und sie alle sind blendend besetzt. Die Schweizerische Sopranistin Chiara Skerath, eine gestandene Mozart-Sängerin, bewältigt die hohe Tessitura der Scylla souverän, imponiert mit leuchtender, klangvoller Stimme und berührt ungemein in ihrer Todesszene am Ende. Die männliche Titelrolle nimmt der gleichermaßen als Tenor wie haute-contre erfolgreiche Mathias Vidal wahr. Einen jugendlichen Liebhaber vermag er nicht mehr abzugeben, doch ist er bemüht um einen schwärmerischen Klang und stilistisch noch immer erste Wahl. Circé, die ab dem 2. Akt auftritt, wird geprägt von hohem dramatischem Anspruch, besonders in Akt 4. Die Kanadierin Florie Valiquette vermittelt ihre Liebe zu Glaucus mit sinnlich flirrendem Sopran (05.08.23). Bernd Hoppe

Italiens neues Belcanto-Festival

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Nur noch wenige Monate trennen uns von der zweiten Ausgabe des Nationalen Festivals Il Belcanto ritrovato in Pesaro im August 2023, bei dem es möglich sein wird, Werke zu hören, die während einer goldenen Periode der italienischen Oper komponiert wurden, etwa vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, die wir nach fast zwei Jahrhunderten wieder ans Licht gebracht haben.

Spiritus rector und der Mann hinter der Organisation ist Rudolf Colm, Initiator und Superintendent des IBR, der in einem Gespräch seine Vision für das ambitionierte neue Festival ausbreitet:

Seit meiner Kindheit, d.h. seit über fünfzig Jahren, war ich ein echter Fan der Musik von Gioachino Rossini. Daher besuchte ich das Rossini Opera Festival von Anfang an.

Il belcanto ritrovato Pesaro: Intendant, Gründer und Organisator Rudolf Colm/ Foto IBR

Ich begeisterte mich allgemein für die Musik des italienischen Belcanto und anderer großer Komponisten wie Donizetti, Bellini und dem frühen Verdi. Irgendwann fragte ich mich, ob es nach diesen Musikern keine anderen mehr gäbe, und begann zu recherchieren und entdeckte eine außergewöhnliche Fülle italienischer Komponisten und ihrer Opern, die alle fast völlig vergessen waren. Ich zählte über 60 Komponisten mit insgesamt fast 1.300 Werken. Ich dachte, dass das Beste davon irgendwie den Weg zurück auf die Bühne finden sollte.

Ich sprach über diese Idee mit einigen Freunden in Mailand und Pesaro. So entstand im Jahr 2021 die Idee, ein Festival zu veranstalten, das ausschließlich diesen so genannten „kleinen Komponisten“ (compositori minori)und ihren Werken gewidmet ist.

Unsere Initiative „Il Belcanto ritrovato“ („Der wiederentdeckte Belcanto“) zielt darauf ab, vergessene italienische Komponisten, Opern und Musikstücke aus der Belcanto-Periode (1800-1850) wiederzuentdecken und wieder zum Leben zu erwecken.

Jedes Jahr hat das Festival „Il Belcanto ritrovato“ einen „kleineren“ Komponisten als Hauptthema („Hauptkomponist“) mit eigenen Konferenzen, auch wenn viele Stücke und Arien anderer italienischer Komponisten der Belcanto-Periode zu hören sind. Der Hauptkomponist des Jahres 2022 war Pietro Generali mit der farsa Cecchina suonatrice di ghironda nach 199 Jahren der Vergessenheit. In diesem Jahr wird Luigi Ricci mit seiner Oper Il birraio di Preston an der Reihe sein, nachdem sie 149 Jahre lang von den Bühnen verschwunden war.

Il belcanto ritrovato Pesaro: Pietro Generalis farsa „La Cecchina di Ghironda“ 2023/ Foto Luigi Angelucci/IBR

Das IBR ist eine Initiative des Orchestra Sinfonica Rossini (OSR), eines Orchesters mit Sitz in Pesaro und Fano, das vom Ministerium für kulturelles Erbe, Aktivitäten und Tourismus (Mibact) und von der Region Marken anerkannt ist. OSR ist Initiator, Organisator und Ausführender von Sinfonica 3.0, einer landesweit bekannten Sinfoniekonzertreihe. Neben den großen italienischen Theatern trat es international in Japan, China, Südkorea, Malta, der Türkei, Österreich, Frankreich, Deutschland, Schweden und der Schweiz auf. Neben der regelmäßigen Teilnahme am Rossini Opera Festival nahm es auch an renommierten Konzertsaisons und Festivals wie dem Ravello Festival oder dem Festival delle Nazioni teil. Im Jahr 2014 gewann OSR den Oscar della Lirica („Oscar der lyrischen Musik“) mit der DVD der Oper „Aureliano in Palmira“ von Gioachino Rossini, einer Produktion des Rossini Opera Festivals, die live auf Rai1 (dem wichtigsten italienischen Fernsehsender) aufgeführt wurde. Im Jahr 2016 trat OSR erneut im italienischen Fernsehen (auf Canale5) für die B&Z Night (Bocelli and Zanetti Night) auf.

Unser Festival findet dieses Jahr vom 24. August bis zum 4. September in der Region Marken (Mittelitalien) statt, hauptsächlich in der Stadt Pesaro und in anderen Städten in der Nähe (Urbino, Fano, Recanati und Matelica), an absolut einzigartigen Orten.

Das Programm für 2023 besteht aus vier verschiedenen Aufführungen und zwei Konferenzen. Alle Aufführungen werden aufgezeichnet.

Il belcanto ritrovato Pesaro: Pietro Generali/ IBR

Am 24. August eröffnen wir in Fano die zweite Ausgabe unseres Festivals mit einem ganz besonderen Konzert I Nostri per Rossini mit berühmten Arien aus Rossinis Opern, die eigentlich nicht von Rossini selbst stammen, sondern von einigen seiner Kollegen und Freunde, wie Michele Carafa, Stefano Pavesi, Luca Agolini und einigen anderen. Zum ersten Mal in der Musikgeschichte werden diese Stücke unter dem Namen ihres eigentlichen Komponisten aufgeführt!

Am 25. August wird in Pesaro das melodramma giocoso Il birraio di Preston des Neapolitaners Luigi Ricci aufgeführt. Luigi Ricci ist der Autor der berühmtesten neapolitanischen Tarantella; leider weiß niemand, dass diese Musik Teil des Finales einer anderen Oper von Luigi Ricci La festa di Piedigrotta ist.

Il belcanto ritrovato Pesaro: Michele Caraja/IBR

Wir werden auch zwei Konzerte mit regionalem Akzent präsentieren. Das eine ist Il Belcanto marchigiano mit Arien von wichtigen Komponisten der Region Marken wie Nicola Vaccaj, Lauro Rossi, Giuseppe Persiani und einigen anderen. Das andere wird In viaggio col Belcanto sein: Napoli mit Arien aus Opern der neapolitanischen Belcanto-Schule wie Nicola Zingarelli, Michele Carafa, Carlo Coccia und einigen anderen.

Alle Konzerte werden von einer Einführung und Erläuterung der Komponisten/Arien begleitet – ein Format, das sowohl Experten als auch Neueinsteiger ansprechen soll.

Il belcanto ritrovato Pesaro: Rudolf Colm und seine Kollegen (u. a. der Sovrintendenti Saul Salucci, der direttore artistico Daniele Agiman und Paolo Rosetti)/IBR

Außerdem veröffentlichen wir die zweite Ausgabe der Broschüre „Imaginäre Interviews“, die kurze „Interviews“ mit den vergessenen italienischen Komponisten der Belcanto-Periode enthält, um ihr Leben und ihre Werke besser kennen zu lernen.

Schließlich werden alle Veranstaltungen der zweiten Ausgabe von 2023 aufgezeichnet, und die ersten beiden werden auf dem YouTube-Kanal „Il Belcanto ritrovato“ live gestreamt. Bei Bongiovanni kommt die erste CD (Generalis Cecchina vom vergangenen Jahr) heraus. Weitere Informationen und Details über das Programm und das Festival sind auf der Website der Organisation https://www.ilbelcantoritrovato.it/ zu finden. (Quelle IBR; das Programm des IBR für 2023 s. unsere News-Seite)

Euclides Fonsecas „Leonor“

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Es wird den treuen Lesern von operalounge.de aufgefallen sein, dass wir uns seit Jahren verstärkt den nationalen Opern anderer Länder widmen, Opern, deren Bedeutung eben im Nationalen Aufbruch  liegt, eben solche die wichtig sind als Seismograph nationaler Entwicklungen. Oft sind sie Indikatoren von Freiheitsbestrebungen gegen Besatzungen oder soziale Verwerfungen oder sogar deren Instrumente zu einem gesellschaftlichen/politischen/konstitutionellen Umbruch wie Verdis Nabucco oder Ivan Zajc´ Nicolas Zrinski Subic im Kampf gegen die besatzenden Österreicher oder auch gegen Osmanen (so Carrers Marcos Botsaris). Freiheitsliebe ist neben sozialen oder politischen Spannungen das häufigste Motiv. Und diese Opern stellen auch nationale Defekte wie Sklaverei oder die Missachtung indigener Gruppen bloß wie Gomes dies tat und nun auch weiterer Landsmann.

Der Komponist Euclides de Aquino Fonseca (Recife, 6. Januar 1853 – Olinda, 31. Dezember 1929))/Wikipedia

Opern aus Brasilien – da fällt dem Kenner eben nur Carlos Gomes (* 11. Juli 1836 in Campinas; † 16. September 1896 in Belém) mit seinen inzwischen auch in Europa gelegentlich gespielten Werken ein. Wir haben in operalounge.de viel über ihn berichtet. Aber Opern aus der brasilianischen Provinz ohne das europäische backing, wie Gomes es dank seiner Ausbildung in Mailand hatte? Aus der Provinz? Ja! Spätestens seit dem 19. Jahrhundert. Leonor ist die erste Oper, die von einem aus Pernambuco stammenden Euclides Fonseca komponiert wurde, deren Material noch verfügbar ist. Sie wurde nur einmal, am 7. September 1883 in Refice im Teatro Santa Isabel, aufgeführt und nun mehr als 100 Jahre später, 2019, in ihrer ursprünglichen Konzeption in einer weiteren Aufführung am selben Ort erneut präsentiert. Das Projekt sollte diese historische Missachtung des Werks und des Autors beheben, indem es eine Oper mit nationalistischem Charakter rettete, die auf der Insel Itamaracá zur Zeit der holländischen Besetzung im 17. Jahrhundert in Pernambuco spielt.

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Diese erste, portugiesisch gesungene Oper aus der brasilianischen Provinz Pernambuco wurde 2019 Jahren in Recife aufgeführt –die moderne Erstaufführung der „Handlung in einem Akt“, Leonor, des Komponisten Euclides de Aquino Fonseca (Recife, 6. Januar 1853 – Olinda, 31. Dezember 1929) aus Pernambuco, Provinz in Brasiliens, in ihrer Gesamtheit

Das Werk passt zur Schule der Romantik, die damals auch in Brasiliens von der Oberschicht getragenen Kultur in Musik und Literatur ihre späten, letzten Momente erlebte.  Leonor zeigt die typische Musik aus der Blütezeit von Antônio Carlos Gomes. Man suchte eine Anpassung an das Modell der europäischen Musik, die seit der Besatzung durch die Europäer als wahre Kulturmusik galt. Sie erfordert von den Sängern eine immense stimmliche Virtuosität, die zeigt, dass Recife ein gewisses, anspruchsvolles Opern-Leben hatte. An seiner Art zu schreiben ist es bemerkenswert, dass sich der Komponist auf diesem Gebiet zu Hause fühlte.

Zu Fonsecas „Leonor“/Schluss-Szene Aufführung 2019/Foto Ribeiro/ ganze Oper auf youtube

Neben diesen europäischen ästhetischen Einflüsse zeigt die Oper ein weiteres sehr charakteristisches Merkmal der Romantik: den Nationalismus – da sie in die Zeit der Entstehung der nationalen Identität Brasiliens und der südamerikanischen Nachbarländer fällt. Dieses Merkmal erscheint in mehreren Aspekten: Die Handlung wird auf Portugiesisch gesungen, der Schauplatz ist in Itamaracá, wobei der Chor aus einzelnen Charakteren besteht, die die lokale Nachbarschaft, Fischer, Frauen der Insel und holländisches Personal repräsentieren. Der Krieg gegen die Holländer ist ein weiteres patriotisches Thema.

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Es ist dies ein nationales Thema aus der nationalen Literatur, das sich mit einer für Brasilien ganz besonderen folkloristischen Legende befasst. Das war auch zu einer Zeit, als in Brasilien – wie bei Gomes – auf Italienisch gesungen wurde. Die portugiesisch gesungene Oper Leonor hingegen war Teil einer Gegen-Bewegung, die nach nationaler Identität strebte, losgelöst von europäischen Einflüssen. Dennoch geriet Leonor in Vergessenheit, da der Komponist selbst für Eingeweihte heute ein illustrer Unbekannter ist.

Zu Fonsecas“Leonor“ 2019: das Teatro Santa Isabel in Refice/Wikipedia

Im vom Adel und eines prosperierenden Bürgertum bevölkerten Rio de Janeiro und anderen Städten Brasiliens kann die Oper von Euclides Fonseca auch als Produkt der Zeit ihrer Entstehung gewürdigt werden, als Spiegelbild jenes Übergangs, den wir heute als brasilianische Belle Époque kennen, die das Ende des 19. Jahrhunderts und Beginn des 20. Jahrhunderts markiert. Die Stadt Recife war neben Rio de Janeiro und Salvador und neben den Bundesstaaten Amazonas und Pará (Vertreter des Kautschukbooms) sowie São Paulo und Minas Gerais (Vertreter der Kaffeeregion) voll integriert in diese schnelle,. hektische wirtschaftliche Wachstumsperiode, kosmopolitisch ausgerichtet, mit bedeutenden Veränderungen in Kultur, Kunst, Politik und auch in der Technologie Brasiliens. Diese Periode, bekannt als das Goldene Zeitalter oder sogar als die tropische Belle Époque, erstreckte sich über die Jahre 1871 bis 1922, also das Ende des Imperiums. In Bezug auf die Künste zum Beispiel konnte Brasilien in dieser Zeit auf die Einweihung des Teatro Amazonas (1896), des Teatro da Paz (1878), des Teatro Municipal do Rio de Janeiro (1909) und auch des Teatro Municipal de São Paulo (1911) blicken. Die Künste suchten die Nähe zu französischen und italienischen Idealen, und die durch die Industrialisierung veränderte Wirtschaft garantierte den herrschenden Klassen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. So hatte die Belle Époque in mehreren Bereichen ihren Einfluss auf die nationale Wirtschaft.

In Bezug auf die Musikproduktionen und insbesondere die Opern von Euclides Fonseca hat die schöne Zeit auch schöne Musik hervorgebracht. In Bezug auf Fonsecas Libretti stellt man fest, dass die melodischen Linien und harmonischen Konstruktionen ziemlich vorhersehbar sind, wodurch die Schönheit der Gesangslinie und folglich die Schönheit der Klangfarben, die in diesen Werken zu finden sind, überlagert werden. Das elektrisierende Tempo des damaligen gesellschaftlichen Lebens lässt sich z. B. an den Frauenfiguren von A Princesa do Catete ablesen, deren Charakterzeichnungen die Jahrzehnte spätere Frauenbilder vorwegnehmen, so in Bezug auf Gleichheit und Freiheit der Gefühle.

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Leonor, die erste Oper, die von einem Einheimischen aus Pernambuco komponiert und 1883 aufgeführt wurde, geriet im Laufe des Jahrhunderts in Vergessenheit. Es ist die Geschichte eines adligen und jungen Mädchens, das sich in Antônio, einen schlichten  Indio, verliebt. Mit dem Hindernis für die Ehe aufgrund des Abgrunds der sozialen Klasse beschließt der junge Mann, sich auf der Suche nach Reichtum und Ruhm in den Krieg gegen die Holländer zu stürzen . Die Jahre gehen vorbei, aber er kehrt nicht zurück und wird für tot gehalten. So fällt Leonor in eine tiefe Depression. Aber der Junge kehrt als gereifter Mann in die Stadt zurück, diesmal aber als Priester. Es geht um ein Wiedersehen mit einem tragischen Ende, das hilft, die Entstehung Legende der Jasmin-Mango-Bäume zu verstehen: eine heute unbekannte Legende, genau wie diese Oper von einem weiteren Relikt der Populärkultur von Pernambuco, Die Legende von Jasmine Mangoes (aus dem 17. Jahrhundert), inspiriert.

Die Aufführungen von 2019 fanden im Teatro de Santa Isabel statt, derselben Bühne, auf der die Oper am 7. September 1883 gegeben wurde, noch vollständiger als in der Fassung des 19. Jahrhunderts, die ohne Mittel für Kulissen, Kostüme und im Orchesterformat aufgeführt wurde – mit Musikern auf der Bühne, anders als heute im Theater, wo die Kapelle im Graben spielt. Die Ausstattung von Marcondes Lima (Kostüme und Kulissen) in Refice basierte auf Werken von Franz Post und Albert Eckhout: Maler, die damals die niederländischen Truppen begleiteten. Als Einakter dauert Leonor etwa 1 Stunde und ist für drei Solisten komponiert – Sopran/Mezzosopran (Leonor), Tenor (D. Antônio – Diel Rodrigues/Lucas Melo) und Bariton (D. Nuno [Anderson Rodrigues / Tiago Costa] – Leonors Bruder), einen Chor aus gemischten und ein Symphonieorchester. Dirigent war Wendell Kettle. Das Ganze gibt es – wie auch Fonsecas Kurz-Oper Il Maledetto – in trüber Dunkelheit aber akustisch erfreulich auf youtube.

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Zu Fonsecas „Leonor“/ der Komponist – ein schöner Mann mit elegantem Schnauzbart/Wikipedia

Der Komponist: Der 1854 in Recife geborene Euclides de Aquino Fonseca war der musikalischer Exponent der Region und für Brasilien erwähnt als erster Opernkomponist in Pernambuco. Diesem Komponisten schuldet der Staat einen Lorbeerkranz, da er die ruhmreichen musikalischen Traditionen der Region rehabilitiert hat.  Euclides Fonseca wird’s oft als Gegner der Sklaverei (Abolitionist) , war Komponist, auch Musikkritiker, Lehrer, Gründer der offiziellen Normalschule von Recife und des Pernambucano Musical Center, Pianist und Dirigent des herausragenden Club Carlos Gomes, einem Amateurkünstler Gesellschaft, die aktiv im 19. Jahrhundert in der Provinz Pernambuco war. Als Professor an der Brasilianischen Musikakademie – war Fonseca eine der Säulen der musikalischen Tradition im Bundesstaat Pernambuco. In seiner am Tag seines Todes 1929 verfassten Autobiographie schreibt Euclides Fonseca, dass er eingeladen wurde, sein Klavierstudium in Deutschland fortzusetzen, aber er lehnte ab, weil er befürchtete, seinem Heimatland gegenüber undankbar zu werden und sich von seiner Familie zu entfernen.  Sein Schaffen umfasst vielfältige Kategorien, in denen man Stücke für Soloklavier, Kammerlieder, Orchesterkompositionen, Opern und Operetten findet, darunter Leonor, Il Maledetto (2023 wieder aufgeführt), A Princesa do Catete, As Donzelas d Honor. Von 1870 bis 1890 sieht man den größten Umfang seines musikalischen Schaffens. Euclides de Aquino Fonseca (1853-1929) war ein prominenter Verteidiger der Erinnerung und der Werte seiner Heimat; er war ein renommierter Pianist und Komponist. Als Kritiker und Pädagoge arbeitete er als Kolumnist für die Zeitungen Diario de Pernambuco und Jornal do Recife, außerdem war er Korrespondent für wichtige Zeitschriften in Europa, wo er Rezensionen über zeitgenössische Musik schrieb.

Zu Fonsecas „Leonor“: Euclides Fonseca und Künstlerkollegen/von links nach rechts: Paulo de Oliveira, der Maler Euclides Fonseca und Edgar Franco, stehend lovis de Gusmão, Farias Gama, Bruno de Menezes und de Campos Ribeiro. Dieses Foto wurde in der Zeitschrift Belém Nova (1920er Jahre) und in der Zeitschrift Amazônia (1950er Jahre) veröffentlicht. In den 1920er Jahren leitete Bruno de Menezes eine Gruppe von Intellektuellen an der Spitze der Zeitschrift „Belém Nova“, und dieses Foto zeigt die Ankunft des aus Pernambuco stammenden Künstlers Euclides A. Fonseca in der Stadt Belém/Foto Ribeiro

Euclides Rodrigues Pimenta da Cunha (so der volle Name) wurde am 20. Januar 1866 in Fazenda Saudade im Distrikt Santa Rita do Rio Negro, heute Euclidelândia, in Cantagalo, RJ, geboren. Er war der Sohn von Manuel Rodrigues Pimenta da Cunha und Eudóxia Alves Moreira da Cunha. Seine Mutter starb an Tuberkulose und ließ ihn im Alter von 3 Jahren mit seiner Schwester Adélia verwaist zurück. Er lebte bei seinen Onkeln und zog nach Bahia in das Haus seiner Großmutter väterlicherseits, wo er ein Jahr verbrachte. Im Alter von 13 Jahren kehrte er nach Rio de Janeiro zurück, wo er an 4 Schulen studierte. Am Colégio Aquino war er Schüler von Benjamin Constant, der ihn stark beeinflusste. Während dieser Zeit schrieb er viele Gedichte, die unter dem Titel „Ondas“ zusammengefasst wurden. Mit 19 Jahren entschied er sich für Ingenieurwesen, besuchte die Polytechnische Schule von Rio de Janeiro, eine teure Schule, die den Schwierigkeiten der Familie nicht gewachsen war. Im Alter von 20 Jahren trat er 1886 in die freie Militärschule (Praia Vermelha) ein, die ihm auch den Titel eines Ingenieurs einbrachte, und fand Benjamin Constant, der sich der republikanischen Bewegung anschloss. Am 19. November 1889, 4 Tage nach der Ausrufung der Republik, wurde Euclides wieder an der Militärschule eingesetzt. Er heiratete am 10. September 1890 im Alter von 24 Jahren Ana Emília Ribeiro, 18 Jahre alt, Tochter von General Solon Ribeiro. 1891 schloss er das Studium an der Escola Superior de Guerra mit dem Titel Bachelor of Mathematics, Physical and Natural Sciences ab. 1892 wurde er zum Oberleutnant befördert. Allmählich wurde Euclides von der Republik enttäuscht. Marschall Deodoro da Fonseca, Proklamierer und erster Präsident, inszenierte einen Putsch und schloss den Nationalkongress, was den Aufstand der Marine provozierte. Um dies zu vermeiden, trat Deodoro zurück. Der Vizepräsident, Marechal Floriano Peixoto, übernahm die Macht, anstatt eine neue Präsidentschaftswahl abzuhalten. Er eröffnete den Kongress wieder, der ihn zu unterstützen begann. Die Marine rebellierte erneut und Floriano stand ihr in einem monatelangen Bürgerkrieg gegenüber.

Zu Fonsecas „Leonor“: der von Fonseca anfangs unterstützte Marschall Floriano Peixoto spielte eine unrühmliche Rolle in den Bürgerkriegen der Zeit/ Centro Memoria/ Das Kaiserreich Brasilien (portugiesisch Império do Brasil) war ein Staat im Osten Südamerikas und bestand von 1822 bis 1889 auf dem Gebiet der heutigen Republiken Brasilien und zunächst auch Uruguay, das bereits 1828 seine Unabhängigkeit von Brasilien erlangte. Die beiden Kaiser Peter I. und Peter II. entstammten dem Haus Braganza. Das Kaiserreich entstand aus dem Vereinigten Königreich von Portugal, Brasilien und den Algarven. Die Monarchie wurde nach dem Putsch vom 15. November 1889 beseitigt und die erste brasilianische Republik gegründet.
Für die Zeit der portugiesischen Könige in Brasilien (1808–1821) ist die Bezeichnung Königreich Brasilien (Reino do Brasil) üblich, die Regierungszeit von Peter I. (1822–1831) wird als Erstes Brasilianisches Kaiserreich (Primeiro Império do Brasil) bezeichnet und diejenige von Peter II. als Zweites Brasilianisches Kaiserreich (Segundo Império do Brasil). Im Gegensatz zu den meisten benachbarten hispanoamerikanischen Republiken besaß Brasilien nach der Unabhängigkeit politische Stabilität, ein dynamisches Wirtschaftswachstum, verfassungsmäßig garantierte Redefreiheit und die Achtung der Bürgerrechte seiner Untertanen, allerdings mit rechtlichen Einschränkungen für Frauen und Sklaven. Das Zweikammerparlament des Reiches wurde für die Zeit, wie auch die Provinz- und Lokalparlamente, unter vergleichsweise demokratischen Methoden gewählt.Wikipedia

Euclides kämpfte für Floriano, distanzierte sich jedoch von ihm, als er Zeuge von Gewalt seiner Anhänger wurde. Euclides veröffentlichte Artikel, in denen er die Florianistas kritisierte, und wurde mit der Versetzung in die Stadt Campanha in Minas Gerais bestraft, wo er den Auftrag erhielt, ein Krankenhaus in eine Kaserne umzuwandeln … Enttäuscht von der Republik und ihren Führern gab er seine Militärkarriere auf und wurde 1896 von der Aufsichtsbehörde für öffentliche Arbeiten des Bundesstaates São Paulo als Hilfsingenieur erster Klasse eingestellt. 1897 wurde er von Júlio de Mesquita eingeladen, Kriegsberichterstatter in Canudos im Sertão von Bahia zu werden.

Am 14. März 1898 lebte Euclides bereits mit seiner Frau und zwei Kindern, dem 6-jährigen Sólon und dem 4-jährigen Euclides Filho („Quidinho“) in São José do Rio Pardo. Sie lebten in der Rua 13 de Maio, in dem Haus, in dem sich heute die Casa de Cultura Euclides da Cunha befindet. Und 1901 wurde in derselben Stadt ihr drittes Kind geboren, Manuel Afonso Ribeiro da Cunha. Neben der Überwachung der Brücke schrieb Euclides sein Buch Os Sertões.  Und am 18. Mai 1901 wurde die Brücke wiedereröffnet. 1902 erschien die 1. Auflage des überaus erfolgreichen Buches Os Sertões, das ihm die sofortige Wahl in die Brasilianische Akademie der Gelehrten garantierte.

Er verbrachte das Jahr 1905 im Amazonas, überquerte den Fluss Purus bis zu seinem Quellgebiet im benachbarten Peru, wo er plante, das Buch „Paraíso Perdido“ zu schreiben, skizziert, aber nicht vollendet. Und 1909 nahm er an einem Logikwettbewerb für das National College (nach D. Pedro II) teil, er wurde zum Professor ernannt, obwohl er den zweiten Platz belegt hatte. Schwerkrank, in einer Krise seiner Ehe, enttäuscht über das Schulversagen seiner Kinder, unzufrieden mit der politischen Situation des Landes, wagte Euclides den fatalen Schritt in seinem Leben. Noch 1909, genauer gesagt am 15. August, dringt Euclides in das Haus ein. Dilermando de Assis, der Liebhaber seiner Frau, trifft ihn mit mehreren Schüssen, wird aber von ihm mit vier Schüssen getötet. In zwei Prozessen, da im ersten ein Gleichstand zwischen Verurteilung und Freispruch bestand, wurde Dilermando im zweiten wegen „Notwehr“ freigesprochen. Was für ein  Finale: operneif. Geerd Heinsen

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Euclides Kurzoper „Il Maledetto“ wurde ebenfalls in Refice, 2023, aufgeführt/Szene/youtube

Wie immer hat ein Artikel über ein so obskures Werk und einen in Europa absolut unbekannten Komponisten viele Väter, zumal alle verfügbaren Dokumente in Portugiesisch verfasst sind, nicht eben eine sehr geläufige Sprache für einen deutschen Journalisten. Daher haben die hier zusammengetragenen Texte viele heterogene Quellen, Theaterberichte und Lexikoneinträge aus brasilianischen Unterlagen, die in ihrer Vielfalt hier nicht aufzuführen sind. Zum Nachhören gibt es das akustisch mäßige Dokument von 2019 wie schon erwähnt bei youtube, und die historische und zeit-politische Bedeutung der Oper scheint uns einen Artikel in der Reihe Die vergessene Oper zu rechtfertigen, auch bei gelegentlich etwas holpriger Übersetzung dank DeepL. Geerd Heinsen

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.Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier

Entstaubt: Die Salzburger Karajan-Opern

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Als „eine der denkwürdigsten Opernaufführungen der jüngeren Operngeschichte“ preist C-Major die Blu-ray-Ausgabe mit Verdis Don Carlo in Salzburg von 1986 unter der Stabführung und in der Regie des späten Herbert von Karajan an (die zusammen mit ebenfalls den Achtzigern entstammenden Aufnahmen von Don Giovanni, dem Verdi-Requiem und Falstaff nun Blu-ray-mäßig aufgepeppt auf dem Markt erschienen ist). Allerdings ist sie denkwürdig leider auch in einem Sinne, den das Label sicherlich nicht meinte. Musikfreunden war dieser Don Carlo immer recht verdächtig wegen der Unterschlagung von einer knappen halben Stunde Musik, so der jeweils zweiten Strophe der Canzone di Velo, Elisabettas Abschied von der Aremberg, und auch Posa muss vokale Federn lassen. Wurde bei den Herren das Beste vom Verfügbaren engagiert, so lässt die Besetzung der beiden großen Frauenpartie sehr zu wünschen übrig, denn die Elisabetta verfügt nur über das, was man in Italien una vocetta nennt, die Eboli über einen sogenannten soprano corto.

Optisch ist erst einmal alles in den Dekorationen von Günther Schneider-Siemssen historisch getreu, üppig und der berühmten Visconti-Inszenierung mit edlen Vierbeinern, die von Kleinwüchsigen (Darf man Zwerg noch sagen?) an der Leine geführt werden, recht ähnlich. Personenregie findet nicht statt, das heißt, sie erschöpft sich in überlieferten Standardgesten. Die Kostüme von Georges Wakhevitch könnten Gemälden von Goya oder Velasquez entsprungen sein.

Heikel schien zunächst die ad-hoc-Besetzung des Filippo mit Ferruccio Furlanetto, der ganz kurzfristig für den erkrankten José van Dam eingesprungen war, zu sein, denn er war immerhin ein Jahr jünger als sein Bühnensohn José Carreras. Aber auch optisch nicht aus der Altherrenrolle fallend, macht der Friaulaner seine Sache sehr gut mit so machtvollem wie kultiviertem Bassgesang. Piero Cappuccilli lässt sein Bora-gestähltes Stimmmaterial triumphieren über optische Alterserscheinungen und ist wie immer ein wahrer Fels in der Opernbrandung. José Carreras hat nicht mehr ganz die frische Tenorstimme der ersten Opernjahre, aber immer noch sein kostbares Timbre, reiche Sfumature, und er arbeitet sich auch darstellerisch ab an der statuarischen Elisabetta. Angemessen hohl und fahl lässt sich der Gran Inquisitore von Matti Salminen vernehmen, Franco de Grandis muss als Mönch hinter seinen Basskollegen, was vokale Potenz betrifft, kaum zurückstehen. Unter den Deputati befindet sich immerhin ein Roberto Servile und der Araldo soll auch erwähnt werden, denn immerhin sang Volker Horn einst den Hirtenknaben in Bayreuth und war dann jahrzehntelang ein leider unterschätztes Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin.

Immer noch und immer wieder betörend: José Carréras als Don Carlo/ Foto Unitel/C-Major

War es die Autorität Karajans, die Fiamma Izzo D’amico vor einem Buhorkan in Salzburg rettete? Sie ist die pure Ausdruckslosigkeit, singt streckenweise wie nur markierend, und wenn sie über eine mezza voce hinausgeht, klingt sie scharf-säuerlich. Außer einer Mimi ist von ihr nichts weiter überliefert, ihre Karriere war extrem kurz, und sie und ihre drei Töchter führten später ein erfülltes Leben als Synchronsprecherinnen. Streckenweise wie eine Karikatur der Eboli wirkt Agnes Baltsa, stimmlich brustig-vulgär in der Parkszene, mit veristischen Anklängen im Don fatale und selten sich zu großen Gesangslinien, zu großzügiger Phrasierung aufschwingend.

Drei Chöre sorgen für ein ausdrucksvolles Autodafé, darunter natürlich der der Wiener Staatsoper unter Walter Hagen-Groll. Lage darf man Herbert von Karajan zu Beginn beobachten und bewundert die Modulation des Orchesterklangs, die absolute Konzentration. Damals wurde von einem zu langsamen Dirigat gesprochen, das sich bei dieser insgesamt und wegen der Herren Sänger sehr sehens- und hörenswerten Aufnahme nicht bemerken lässt.

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Don Giovanni: Zwei Jahre nach der Studioaufnahme von Mozarts Don Giovanni gab es in Salzburg das Werk wieder mit lediglich das Orchester und die Elvira betreffend geänderter Besetzung. Anstelle der Berliner Philharmoniker sind 1987 die Wiener Philharmoniker zu erleben und anstelle von Agnes Baltsa nun Julia Varady. Für pünktliche Auftritte und Abgänge sorgte Michael Hampe, die viel schwarzen Marmor vortäuschenden Dekorationen von Mauro Pagano für eine angemessen düstere Stimmung, wenn nicht ein Postkartensevilla Urlaubsfreude aufkommen lässt. Der Commentatore erscheint direkt vom Himmel kommend zum Abendmahl und Donna Anna muss nicht eine falsch verstandene Emanzipation vortäuschen, indem sie Don Giovanni nachgiert und Don Ottavio, der hier noch edel und nicht dämlich ist, betrügt. Von unvorstellbarer Opulenz sind die Kostüme Paganos, allein der mehrfach wechselnde Kopfputz der Donna Anna dürfte die Salzburger Putzmacherinnen auf Monate beschäftigt haben.

Mit seidigem Klang breiten die Wiener unter Karajan sich alle Zeit nehmend, einen wunderbaren Klangteppich aus, auf dem sich die Sängerstimmen optimal entfalten können. Der Leporello von Ferruccio Furlanetto ist der einzige Muttersprachler unter den Solisten, und man hört es, denn das Italienisch seines Herrn Samuel Ramey ist alles andere als perfekt. Der Italiener singt eine bravouröse Registerarie und ist optisch wie akustisch die Beweglichkeit in Person. Der Amerikaner trägt mit viel Anstand seine wunderbaren Kostüme, die in Virtuosität rossinigeschulte Stimme tut auch der Champagnerarie gut, die Serenade allerdings klingt recht grob, die Spitzentöne manchmal offen. Kein Schwächling ist der Don Ottavio von Gösta Winbergh, sondern nobel und im Dalla sua pace nicht anämisch, sondern empfindsam, kein Säusler, sondern mit einem besonders schönen Piano für die zweite Strophe von Il mio tesoro, und nicht einmal ein derbes „lo tschuro“ anstelle von „lo giuro“ kann den guten Eindruck ernsthaft beeinträchtigen. Alexander Malta bleibt ein eher unauffälliger Masetto, Paata Burchuladze ist ein Furcht einflößender Commendatore mit Grabesstimme.

Die beiden prime donne übertreffen einander an szenischer Präsenz und beglückendem Gesang. Anna Tomowa-Sintow hat für die Namensvetterin das tragische Timbre einer Rachegöttin, das Verständnis für die Bedeutung der Rezitative  und die Virtuosität für „non mi dir“. Mit leichtester Emission der Stimme ist Julia Varady eine Donna Elvira der sich aus Virtuosität, Ebenmaß der Tongebung und Identifikation mit ihrer Partie ergebenden Perfektion. Allein im È mio marito spiegelt sich eine Vielzahl von Empfindungen. Eigentlich ein Plädoyer für die Besetzung mit einem Mezzosopran ist die Zerlina von Kathleen Battle, die vokal allzu püppchenhaft bleibt. Insgesamt aber kann man einer solchen Aufnahme nur nachweinen, bzw. glücklich darüber sein, dass man sie besitzt.

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Auf dem Papier oder vielmehr dem Cover der Bluray mit Verdis Falstaff scheint sich der Himmel für den Opernliebhaber zu öffnen: die ideale Besetzung in fast allen Partien, die Wiener Philharmoniker in Salzburg und natürlich mit Herbert von Karajan, der auch Regie geführt hat. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1982, als man generell noch vor Regieabstrusitäten sicher war.

Optisch wirkt die Bühne von Günther Schneider-Siemssen mit ihren naturalistischen Pappkulissen doch recht verstaubt und altmodisch, dazu kommt zumindest für den Park von Windsor noch Karajans Vorliebe für eine dunkle Bühne zum Tragen, die einst eine Birgit Nilsson zum Scherz mit der Grubenleuchte trieb. Eine Spur zu kostbar sind die Kostüme von Georges Wakhevitch, so könnte die Alice gut und gern auch als Maria Stuart oder Elisabetta aus Don Carlo durchgehen, und auch Falstaffs Festkleidung scheint im Wirtshaus zum Hosenbandorden gut gepflegt worden zu sein. Insgesamt aber erfreut man sich an der liebevollen Sorgfalt, mit der Falstaffs Behausung wie Fords Heim ausgestattet wurden, und an der Phantasie, mit der die Kostüme des Elfenvolks im letzten Bild bedacht wurden.

Was heute Ambrogio Maestri ist, war zu seiner Zeit Giuseppe Taddei, ohne den beinahe keine hochkarätige Falstaff-Produktion denkbar war. Darstellerisch ist er noch immer die Erfüllung mit seiner Ausgewogenheit zwischen derber Komik und feinem Humor, zwischen Resten von Nobilität und weinseliger Kreatürlichkeit. Vokal ist der Bariton allerdings über den Zenit seiner Fähigkeiten bereits hinaus, wobei man sich immer wieder fragt, ob das häufige Verfallen in den Sprechgesang, das unangenehme Chargieren, die Lautverzerrungen dem Alter oder den Anweisungen der Regie zu verdanken sind. Zumindest bei „Va, vecchio John“, das im ersten Bild zerpflückt, in der Wiederholung im zweiten Akt jedoch mit schönem Legato gesungen wird, neigt man dazu, an Absicht und nicht an Unvermögen zu glauben. Der zweite Star der Aufnahme ist Christa Ludwig, die nicht wie eine Feodora Barbieri ihr „Reverenza“ und „povera donna“ extrem orgelnd ausreizt, sondern die durchweg zwar farbig-vollmundig auftritt, aber sehr geschmackvoll bleibt. Nicht ganz die Tragödin ablegen kann Raina Kabaivanska als Alice, die mit leuchtendem Sopran wie darstellerischer Souveränität die Szene beherrscht. Wie kaum ein anderer Dirigent unterstützt Karajan ihren Hang zu weit ausladender Phrasierung. Eine Luxusbesetzung für die Meg ist Trudeliese Schmidt, mit zartem lyrischem Sopran beschwört Janet Perry als Nannetta das Volk der Elfen.

Einen schmucken Fenton gibt Francisco Araiza mit italienisch geschultem Tenor, Rolando Panerai hat nicht oder hat nicht mehr  das Volumen für einen souveränen Ford, so dass er als ungehobelter Polterkopf mit Timbrespreizung erscheinen muss. Ganz besonders er weicht in Verismogesang aus, wenn die generöse Gesangslinie nicht mehr gelingt. Ungehobelt klingt der Pistola von Federico Davià , als auch vorzüglicher Schauspieler erweist sich Heinz Zednik als Bardolfo, Piero de Palma ist ein wunderbar textverständlicher Dr. Cajus. Walter Hagen-Groll, auch den Berlinern bestens bekannt, hat den im letzten Bild trotz aller Turbulenzen sicheren Chor einstudiert, das Orchester ist überaus freundlich zu den Solisten, um umso mehr entfaltet es luxuriöse Klangpracht, wenn dies ohne vokale Verluste möglich ist.

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Verdi-Requiem: Viele Male hat Herbert von Karajan das Verdi-Requiem aufgenommen oder es wurde mitgeschnitten, so bereits 1949 mit den Wienern und Zadek, Klose, Roswaenge und Christoff, 1958 mit eben diesen und Rysanek, Ludwig, Zampieri und Siepi, 1962  in Salzburg mit Price, Simionato, Zampieri und Ghiaurov, 1972 mit den Berlinern und Freni, Ludwig, Cossutta und Ghiaurov,  dazu Caballé, Janowitz, Cossotto, Bergonzi und einspringend für diesen Pavarotti, sie alle haben mit dem Dirigenten Verdis Totenmesse aufgeführt. Von 1984 aus Salzburg stammt die Aufnahme mit Anna Tomova-Sintow, Agnes Baltsa, José Carreras und José van Dam als DVD-Bluray und ist nicht geprägt durch die Mitwirkung von Clouzot wie die in der leeren Scala, wirkt insgesamt viel weniger theatralisch, sondern eher verinnerlicht, und es ist schön zu sehen und zu hören, wie der Dirigent sich mit Hingabe seiner Aufgabe widmet. Anna Tomowa-Sintow ist souverän in den Intervallsprüngen des Libera me und verfügt über wunderbare Schwelltöne, Carreras beginnt mit einem wunderbaren Pianissimo für das Hostias und sein Timbre ist anbetungswürdig, José van Dams Bass ist so nobel wie markant, Baltsas Mezzo ist recht hell, so dass das Lacrymosa doch einiges an Wirkung einbüßt. Den Gesichtern den Chormitglieder sieht man die Magie an, die das Stück auf sie ausübt, sie singen übrigens ohne Noten, während die Solisten die ihren etwas verschämt unter der Brüstung halten, die Kamera bemüht ist, ihnen dabei behilflich zu sein. Aber was zählt das schon bei einer solchen Aufnahme (das DVD-Coverfoto des Verdi-Requiem zeigt allerdings den Wiener Musikverein, korrekterweise. Nicht Salzburg .../ C-Major 761604, 761504, 761404, 761704)! Ingrid Wanja     

Hochmanieriertes aus dem Wohnzimmer

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Mein Musik-Unterricht wurde von mir nicht geliebt und führte damals zu keinem Erfolg. Die Absicht unseres Musiklehrers war nur die beste. Mittels der Kodály-Methode sollte jedes Kind lernen, zunächst ganz schlichte, dann auch anspruchsvollere Volkslieder quasi vom Blatt zu singen. Abgelauscht hatte Zoltán Kodály seine Lieder den Bauern in den Dörfern im Norden Ungarns und im ungarisch-rumänischen Grenzgebiet, wo er – dem Beispiel seines Freundes Béla Bartók folgend – auf der Suche nach der ursprünglichen Musik der ländlichen Bevölkerung war.

Diesen Spuren folgte kurzzeitig auch der im rumänischen Cluj aufgewachsene, in Budapest ausgebildete György Ligeti bei seiner Untersuchung ungarisch-rumänischer Volksmusik. Ursprüngliche Volksmusik und avantgardistische Formen verband Ligeti in seinem wichtigsten Spätwerk, einem Stück für Mezzosopran und vier Schlagzeuger Síppal, dobbal, nádihegedűvel / Mit Pfeifen, Trommeln, Schilfgeigen, das er Katalin Károlyi widmete.

Ihre von der Pianistin Klára Würtz begleitete Sammlung Hungarian Songs beginnt Katalin Károlyi deshalb mit einer Ligeti-Referenz und ebenfalls mit Liedern nach Gedichten von Ligetis Zeitgenossen Sandor Weöres, den drei Weöres-Liedern/ Három Weöres-dal, die sie bis zum heftigen Aufschrei ausdrucksvoll und kernig gestaltet; gemäßigter im Ausdruck und volksliedhafter in der Anlage sind Ligetis aus den 1950er Jahren stammende fünf Lieder nach Gedichten von János Arany, einem wichtigen ungarischen Dichter des 19. Jahrhunderts.

Die folgenden rund 25 Lieder von Kodály und Bartók stammen aus verschiedenen Sammlungen aus den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, so auch Bartóks erst 2002 im Druck erschienen Zehn Ungarische Volkslieder BB 43. Károlyi kreischt und schreit, ist wiegenliedhaft sanft, lockend und immer wieder rau und derb und versteht es aus Sprachpartikeln Gesangslinien zu formen. Besonders ausdruckvoll, archaisch hämmernd, rhythmisch grob und grell im Ausdruck sind die 1924 entstandenen Dorfszenen BB 87 nach Liedern, die Bartók wenige Jahre zuvor in der heutigen Slowakei aufspürte und die Károlyi auf Ungarisch singt. Die schöne Auswahl, bei der es Klára Würtz in den manchmal kaum minutenlangen Liedern innerhalb Sekunden gelingt, eine besondere Atmosphäre zu erzeugen, entstand im Juni 2018 im niederländischen Schiedam (Brillant Classics 96926). Der Eindruck ist intensiv und bezwingend.

In eine andere Welt katapultiert Aylish Kerrigan sings Kurt Weill. Im Stile einer frivolen Vortragskünstlerin unternimmt Kerrigan eine kaschemmenschwülstige Reise durch Weills Oeuvre von der Dreigroschenoper bis zu den Broadway-Stücken wie Lady in the Dark, One Touch of Venus und Street Scene. Mutig und unerschrocken. Hochmanieriertes aus dem Wohnzimmer. Auf der Liebhaber-CD (métier 15631) wird sie von Vladimir Valdivia begleitet. Rolf Fath

Pacinis Oper „Gli arabi nelle Gallie“

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Mit Spannung erwartet gab das Rossini-Festival in Wildbad dieses Jahr (2023) eine absolute Welterstaufführung, nämlich Pacinis Oper Gli arabi nelle Gallie, konzertant in der Trinkhalle und ebenfalls sehr verdientermaßen im DLR-Radio (vielleicht dann auf CD bei Naxos, wenngleich das Tenor-Unglück daran Zweifel haben lässt). Man kann Wildbads Initiative – trotz der gelegentlich problematischen  Sängerauswahl – gar nicht hoch genug loben, haben sie doch in der Vergangenheit neben dem Rossini-Kanon immer wieder absolut Seltenes ausgegraben, worüber wir in operalounge.de immer wieder berichtet haben (auch dank der unermüdlichen Besuche unseres Korrespondenten Rolf Fath).

Sein Bericht findet sich unter den diesjährigen Festspielen. Und der englische Musikwissenschaftler und Belcanto-Spezialist Alexander Weatherson, (operalounge.de-Lesern kein Unbekannter wegen seiner vielen klugen Texte, darunter der fundamentale Beitrag zu Donizettis Duc d´Albe und Maria di Rohan), hat uns seinen Artikel zu Pacinis Oper überlassen, den wir mit seiner freundlichen Genehmigung der website der Londoner Donizetti Gesellschaft entnahmen und ins Deutsche übersetzten. Danke Alex

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Die Oper von Pacini ist um so spannender, als sie uns an einen Abschnitt der muslimischen und europäischen Geschichte erinnert, der kaum noch bekannt ist. Natürlich wissen wir von den Arabern in Süd-Spanien und dem sogenannten Goldenen Zeitalter der Toleranz, Kunst und Wissenschaft ebendort. Aber kaum bekannt ist, dass die spanischen Araber bis nach Süd-Frankreich vorgedrungen waren und in der berühmten Schlacht von Narbonne 732 von Karl Martell vernichtend geschlagen und damit zurückgedrängt wurden. Bis heute ist dieser arabischen Einfluss in der Region noch zu finden. Auch wenn der historische Back-drop der Opern-Handlung nur als Staffage für die konventionelle Liebesgeschichte dient (und sich in ähnlichen Werken wie Maometto II, Les Abencerages oder I Normanni a Salerno wiederfindet), so ist sie für uns Heutige von Interesse ob der ethnischen Anklänge an eine vergessene Vergangenheit im Zusammenleben von Europäern und Muslimen (dazu auch der Artikel bei Wikipedia: Der Islam in Europa).

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Giovanni Pacini/ Wikipedia

Nun also Alex Weatherson: Von all seinen unglaublichen Opern (und er behauptete, einhundert geschrieben zu haben) sind Giovanni Pacinis Gli arabi nelle Gallie sicherlich die fantastischste. Aus irgendeinem Grund – und obwohl die ursprüngliche Fassung durchaus gelungen war – betrachtete er sie als ein elastisches Produkt, das nach Belieben erweitert oder verkleinert werden kann. Unzählige Hinzufügungen, Kürzungen, Änderungen und so weiter, so dass es für jeden Hörer mindestens eine Ausgabe gab, die dessen Geschmack entsprach. Zwischen der Uraufführung 1827 und 1855 wurde in einer unendlichen Reihe von Wiederaufnahmen jede Arie, jedes Duett, jedes Ensemble ganz oder teilweise, manchmal auch immer wieder neu geschrieben, ebenso wie jeder Chor, jedes concertato, jedes Finale, jede preghiera – sogar in einer Art obsessione  concertata für Korrekturen. Selbst die hochgelobte introduzione des ersten Aktes war nicht sakrosankt, denn im tragischen finale ultimo, in dem der berühmte Tenor Giovanni David sterbend vor einem weinenden Kreis von Freunden und Feinden stottert, musste sich der maurisch-merowingische Held immer wieder leise davonschleichen, damit die Primadonna, der Sopran oder der Mezzosopran, das Rampenlicht in einem wahren Feuerwerk an Fioritur einnehmen konnte. Es war der Fall der Würfel, dass sowohl die Musik als auch die Handlung von der Laune des Komponisten abhingen.

Und wie launisch konnte man sein? Es gibt ein Alternativmaterial zu dieser Oper, das dreimal so lang ist wie die Originalpartitur! Gli arabi nelle Gallie ist wie ein chinesischer Würfel, dessen Seiten sich drehen lassen, um beliebig viele Abbilder, beliebig viele Bühnenbilder zu erhalten: Für jede neue Besetzung – für jedes neue Theater – gab es eine immer größere Auswahl an Arien und Cabaletten, die Oper konnte Platz für jede Art von Stimme finden, Sopran, Mezzosopran, Tenor oder Bass, jeder der comprimari konnte einen schmeichelhaften Soloplatz in der einen oder anderen der verfügbaren Versionen finden. Keine Tonart und kein Tempo waren jemals festgelegt, die Soloinstrumente waren immer verhandelbar, und mit der Hinzufügung weiterer Stücke wurde die Auswahl immer größer, so dass neue Musik, die für diese oder jene Bühne geschrieben wurde, mit der Musik aller vorangegangenen Aufführungen gekreuzt werden konnte, und zwar bis ins Unendliche…

Sanquirico: Volte_Sotterranee_(Scena“Gli Arabi nelle Gallie“ zur Oper von Giovanni_Pacini)/ Wikipedia

Den Theatern, den Direktionen, den Impressarii und den großen und kleinen Künstlern stand Musik in allen Schwierigkeitsgraden zur Verfügung, sowohl Vokal- als auch Orchestermusik. Pacini scheint seine all-passenden Gli arabi nelle Gallie wie ein Allzweck-Kleidungsstück geschneidert zu haben, mit Anpassungen und Ausstattungen, die kein Komponist zuvor in Erwägung gezogen hatte – oder wieder in Erwägung ziehen würde. Was Jahrhunderte lang oft auf eine einfache Gleichsetzung von einem Mann zwischen zwei Frauen oder einer Frau zwischen zwei Männern hinausläuft, lieferte Achille de Lauzières 1855 (wenn auch unbeabsichtigt) Pacini beide Szenarien auf einmal mit der bemerkenswerten Folge, dass Adelaide Borghi-Mamos „männliche“ Schwangerschaft das Publikum zum Lachen brachte. In diesem Fall bot er ein modernes – radikales – Modell für die Opern-Bühne: nicht nur eine Oper für alle Jahreszeiten, sondern eine androgyne Oper für beide Geschlechter!

Warum hat er das getan? Wir können nur raten. Sein Kampf um die Vorherrschaft mit Bellini begann 1827. Bellini, der Publikumsliebling, war weder vielseitig noch besonders fließend im Stil, Pacini war beides. Bellini musste „Blut schwitzen“, um seine Opern zu schreiben, Pacini wollte seine Rivalen zum Schwitzen bringen. Doch der Änderungswahn hielt noch lange an, nachdem Bellini von der Bildfläche verschwunden war, und gipfelte in der überdimensionalen Pariser Ausgabe von 1855, die auf Wunsch von Kaiser Napoléon III. inszeniert wurde. Natürlich mit einer überbordenden Anzahl neuer Stücke – auf den neuesten Stand gebracht und vom Anheben des Taktstocks bis zum letzten Ton der Partitur märchenhaft neu komponiert.

Zu Pacinis „Arabi nelle Gallie“: Der Tenor Giovanni David als Algenor in der Uraufführung/ Gemälde von Hayez/ Wikipedia

Sofern nicht noch frühere, verworfene Partituren auftauchen (was keineswegs unmöglich ist), können Gli arabi nelle Gallie als Pacinis 35. Oper gelten. Er selbst wurde am 11. Februar 1796 in Catania geboren und war zum Zeitpunkt der Komposition 31 Jahre alt. Seit seinem fünfzehnten Lebensjahr komponierte er für die Bühne und hatte auch sechsundfünfzig Jahre später, als er starb, noch immer Lust auf das Theater. Er hörte nie auf, Musik zu schreiben, seine Musik war unaufhaltsam. Jeden Tag verbrachte er Stunden am Schreibtisch, keine Abschweifung, keine Romantik, keine amourösen Verwicklungen (er hatte drei Ehefrauen in Folge und eine Reihe hochkarätiger Mätressen, darunter Pauline Bonaparte) unterbrachen jemals den Fluss. Er schrieb während der Mahlzeiten, in seinem Bad, in seiner Kutsche, im Schlaf (wie seine Kritiker behaupten), in den Pausen zwischen den Aufführungen einer Oper, die er gerade schrieb. Er erzürnte seine Feinde, verblüffte seine Freunde und unterhielt ein großes Publikum mit seinen öffentlichkeitswirksamen Possen und seinem Gespür für Publicity.

Er war auch ein äußerst professioneller Komponist, der seine Verträge pünktlich und schnell erfüllte und eine ganze Reihe von unbestrittenen Erfolgen vorweisen konnte. Sowohl sein Il barone di Dolsheim vom 23. September 1818 als auch sein Il falegname di Livonia vom 12. April 1819, die an der Scala aufgeführt wurden, wurden bei ihrer Premiere mehr als vierzig Mal gespielt; La schiava in Bagdad, das am 28. Oktober 1819 am Carignano in Turin aufgeführt wurde, hatte Giuditta Pasta in der Titelrolle; La gioventù di Enrico quinto, das am 26. Dezember 1820 am Teatro Valle in Rom gegeben wurde, hatte eine proto-shakespearische Handlung und eine lange Lebensdauer.

Zu Pacinis „Arabi nelle Gallie“: Brigida Lorenzani sang den Leodate der Uraufführung/ Wikipedia

Im folgenden Jahr feierte Cesare in Egitto dank Pauline Bonaparte Borghese einen römischen Triumph bei der Eröffnung des Karnevals im Teatro Argentina (26. Dezember 1821), wobei die Rolle der Kleopatra allgemein als Darstellung der sich in ihrer Loge räkelnden Prinzessin galt; Amazilia (6. Juli 1825); L’ultimo giorno di Pompei (19. November 1825) und Niobe mit der unübertroffenen Besetzung von Giuditte Pasta, Luigi Lablache und Giovanni Battista Rubini (aufgeführt am 19. November 1826), alle drei für das Teatro S. Carlo in Neapel komponiert und allesamt große Erfolge, wobei das letzte von ihnen die wichtigste Opernmelodie der damaligen Zeit lieferte: „I tuoi frequenti palpiti“, eine unwiderstehliche Cabaletta, die für Rubini geschrieben wurde und später von einem Anwärter nach dem anderen auf den vokalen Ruhm übernommen wurde, um sie in so unpassende Werke wie Semiramide, Norma und Lucia di Lammermoor einzufügen, unabhängig von der Handlung – eine Erkennungsmelodie, die in einer Transkription von Liszt eine Apotheose über den Alpen erreichte, eine Hommage an die pacinische Bravour, die damals wie heute zum Zuhören zwingt.

Es war Niobe, die seinem ersten ehrgeizigen Versuch, berühmt zu werden, unmittelbar vorausging: Die Oper, die am 8. März 1827 auf die berühmte Bühne kam, basierte wie so viele andere der damaligen Zeit auf einer französischen Quelle, in diesem Fall auf der absurden Novelle Le Rénégat des Vicomte d’Arlincourt von 1822 – byronisch, erschütternd, aber anständig und mit nicht existierenden historischen Referenzen. Aus dem Ausgangsfeuilleton wurde eine Folge von Versen abgeleitet, die zwar brauchbar, aber nicht im Geringsten vornehm waren, ja, der schlaffe Text von Gli arabi könnte sogar der fons et origo für das seltsame Schicksal dieser Oper gewesen sein: Pacini, der Texte von fast allen Theaterdichtern mit der gleichen Melodienfröhlichkeit vertonte, scheint geglaubt zu haben, dass einige von ihnen (Angelo Anelli, Andrea Leone Tottola, Gaetano Rossi, Salvadore Cammarano und Francesco Maria Piave) es wert waren, respektiert zu werden, während ein großer Teil aller anderen (einschließlich Giovanni Federico Schmidt, Luigi Romanelli und Felice Romani) es nicht waren. Und er  fühlte sich daher frei, ihre Verse zu ändern, wann und so oft er wollte. Dass dies nicht immer der Hackordnung der zeitgenössischen Vorstellungen von poetischem Verdienst entsprach, beunruhigte ihn überhaupt nicht, sondern war symptomatisch für seine Weigerung, sich anzupassen, was seine Zeitgenossen gleichermaßen verblüffte und bestürzte.

Zu Pacinis „Arabi nelle Gallie“: Stefania Favelli sang die Ezilda der Uraufführung/ Wikipedia

Das Ergebnis war, dass der ursprüngliche Text von Romanellis Gli arabi nelle Gallie nach einigen Aufführungen nur noch in einigen wichtigen Teilen erhalten blieb. Die Oper wurde noch vor der Premiere auf den Kopf gestellt (wie ein Manuskript der ersten Strophe in Neapel zeigt), und ein großer Teil der Verse wurde vom Komponisten selbst hinzugefügt. Die ursprüngliche Besetzung war kompetent, wenn auch nicht herausragend: Ezilda, die gallische Prinzessin, wurde von der Sopranistin Stefania Favelli gesungen; Agobar, ihr lange verschollener Kindheitsverlobter, der zum Anführer der Mauren wurde, wurde von dem virtuosen Tenor Giovanni David gesungen; Sein Rivale um ihre Hand, der verwirrte General Leodato, wurde von der Mezzosopranistin Brigida Lorenzani gesungen, während die nicht unbedeutenden Rollen von Gondair, Zarele, Aloar und Mohamud von Vincenzo Galli, Teresa Ruggeri, Lorenzo Lombardi bzw. Carlo Poggiali übernommen wurden.

Die Oper sorgte von Anfang an für Furore, die Weite des Schauplatzes, der neo-stereophone Einsatz der spektakulären Eröffnung (Pacini hatte Il crociato in Egitto mit eifrigem Gehör bearbeitet) brachten das Publikum auf einen Siedepunkt der Begeisterung, der die ganze Zeit über anhielt, aber es war erstaunt zu entdecken, dass die ansteckend synkopierten cabaletten, für die er berühmt war, zum ersten Mal durch eine gewaltige Schlussszene für David in einem orchestral herausragenden Bühnenbild, das wirklich bewegend war, in den Schatten gestellt wurde.

Alle erwarteten ein brillantes envoi, und alle waren überrascht. In dieser Oper, so rühmte sich Pacini stolz, hatte er zum ersten Mal seine Muse über die leichte Publikumsbeschwörung seiner früheren Opern hinausgetrieben und strebte nun nach einem emotionalen Kern. Seine Instrumentierung, die bereits (wie wenige bemerkt haben) eine seiner besten Eigenschaften war, wurde nuancierter, luftiger, bitterer, idiosynkratischer. Und er drängte seine Darsteller in eine neue Arena, indem er sie zwang, affektiv im Einklang mit gut eingesetzten Soloinstrumenten zu singen – insbesondere den unverschämten Giovanni David, dessen Missbrauch seiner Kopfnoten zu stören begann. Dieses Kunststück allein wurde als geradezu wundersam angesehen, und auch Bellini nahm davon Kenntnis. Selbst der feindseligste Kritiker berichtete, dass die Oper „als meisterhafte Inszenierung“ angesehen wurde, dass Pacini als „der große Erneuerer der modernen Musik“ hochgehalten wurde (z. B. Harmonicon in London). Eine Ansicht, die bei seinem Catania-Konkurrenten nicht gerade auf Gegenliebe stoßen dürfte…

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Zu Pacinis „Arabi nelle Gallie“: Vincenzo Galli war der Gondoir der Uraufführung/ Lithographie von C. Biron, Königliche Bibliothek Stockholm

Die Handlung ist (wenn auch nicht immer) wie folgt: Clodomiro (Tenor), der Thronfolger der Merowinger-Könige, ist mit der kleinen Prinzessin Ezilda (Sopran) verlobt. Nachdem seine Dynastie gestürzt wurde, wurde er nach Spanien verschleppt und von den Mauren zum Islam bekehrt. Nun ist er als Krieger mit Turban zurückgekehrt, um unter dem Namen Agobar Frankreich für seine islamischen Herren zu erobern. Der Vormarsch seiner Truppen zwingt Ezilda, in einer ihrer Burgen Zuflucht zu suchen, unterstützt von ihrem Heerführer Leodato (Mezzosopran), Prinz der Auvergne, der sowohl an ihrer Hand als auch an einem möglichen Sieg über die Mauren verzweifelt. Er wird gefangen genommen, und Agobar droht, ihn zu töten, wird aber von dem klugen Aloar (Tenor) und auch von einem erwachenden Gefühl für seine verschwundene Vergangenheit zurückgehalten. Als er sich in der Gegenwart von Ezilda wiederfindet, die in einer Kirche Zuflucht gesucht hat, werden beide von halb vergessenen Erinnerungen geplagt. Agobar belauscht sie beim Weinen, sie besteht darauf, dass sie um ihren toten Ehemann weint und zeigt ihm den Ring, den Clodomiro ihr als Kind an die Hand gesteckt hat. Agobar zeigt ihr das Paar an seiner eigenen Hand. Ezilda weist ihn wütend als Schwindler, Lügner und Feind ihres Landes zurück. Agobar beschließt in seiner Verwirrung, nach Spanien zurückzukehren, doch Leodato warnt ihn, dass er damit den Verrat durch seine eigenen Soldaten riskiert, und vertraut ihm gleichzeitig an, dass seine Loyalität nicht Karl Martel gilt, sondern seinem lange verschollenen, rechtmäßigen Herrscher (den er natürlich nicht anerkannt hat) Clodomiro. Die Truppen von Karl Martel greifen die Mauren an und fügen ihnen angesichts der Unentschlossenheit von Agobar eine Niederlage zu, aber Ezilda weint – zur Überraschung aller – über die Schande des maurischen Generals aus, den sie zum großen Erstaunen ihrer Damen zurückgewiesen hat. Agobar, der von Aloar über seine Identität aufgeklärt wird, lässt sich von Gondair (Bass) versichern, dass Ezilda bereit ist, ihn zu akzeptieren, und beschließt, mit seinen dezimierten Truppen erneut in die Schlacht zu ziehen. Diesmal jedoch gegen die Truppen von Karl Martel, um die Geschicke seiner eigenen Dynastie (und nicht die seiner muslimischen Herren) wiederherzustellen. Bevor er dies tun kann, wird er von Mohamud (Bass), einem maurischen Loyalisten, niedergestochen. Tödlich verwundet taumelt er zu Ezilda und stirbt in ihren Armen.

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Zu Pacinis „Arabi nelle Gallie“: Die Trinkhalle in Bad Wildbad/ Rossini in Wildbad

Diese Partitur birgt viele Überraschungen, vor allem in der Erstfassung: Während Leodato eine stattliche entrata hat, tritt Ezilda unauffällig auf (mit einer preghiera in der Fassung der stesura prima; die berühmte Diva Henriette Méric-Lalande fand diese zurückhaltende Ankunft auf der Bühne einfach unzureichend für ihren Status und bestand, als sie die Rolle bei der ersten Wiederaufnahme an der Scala im Karneval 1827/1828 übernahm, darauf, dass Pacini ihr eine brillante Kavatine lieferte, wie sie sie für angemessen hielt). Der erfahrene Pacini hatte eine eiserne Technik im Umgang mit Damen dieser Eminenz – er kapitulierte einfach (eine Philosophie, die Bellini – und später auch Giuseppe Verdi – wütend machte). Was ihn betraf, so konnte er jede noch so unbequeme oder unlogische Änderung durchsetzen, die von ihm verlangt wurde.  Die Kavatine „Quando o Duce, a te ridendo“ wurde ordnungsgemäß geliefert und versetzte alle in Erstaunen.
Was Gli arabi nelle Gallie betrifft, so wurde diese zweite Ausgabe, wie auch die dritte und vierte Ausgabe und so weiter, mit einem crescendo von Beifall bedacht. Niemand scheint diese Änderungen bedauert zu haben, denn sie hielten die eingefleischten aficionados, die jeden Abend in die Oper gingen, auf Trab. Die Ansicht Verdis, dass eine Oper endlich, unveränderlich und in Stein gemeißelt sein sollte, dass die Künstler vertraglich verpflichtet waren, die von ihm komponierte Musik zu singen, wurde vom Publikum im primo Ottocento nicht geteilt. Agobar, der die Hauptrolle hat (Pacini machte von Anfang an klar, dass er diese Oper für seinen Freund Giovanni David schrieb), hatte zunächst eine auffällige arie di sortita „Non è ver, che sia diletto“ (die mindestens fünfmal umgeschrieben wurde), der in der prima eine weitere preghiera für Ezilda „Lo sguardo tuo, Signor“ mit ihrer köstlich-berührenden Melodie folgte. Ein großartiger Moment der Ruhe in einer geschäftigen Partitur und überhaupt nicht brillant.

Zu Pacinis „Arabi nelle Gallie“: Duett aus der Oper zum Klavier/Frontespiece/ Sammlung Philipp Gossett

Eine solche Zuflucht war keineswegs nach dem Geschmack eines ganzen Stammes von primedonne, nicht nur von La Méric-Lalande, und wurde bald wieder abgeschafft. Das finale primo des ersten Aktes ist ein concertato, wie es üblich war, mit lebhaften Auseinandersetzungen, die sowohl amourös als auch kriegerisch sind. Es wurde in den folgenden Spielzeiten außerordentlichen Veränderungen unterworfen – mit einer Fülle von verschiedenen stretten jeder Art, jeder Form, jeder Dynamik – mal als piano, mal als fortissimo bezeichnet – mal unisono, mal kanonisch strukturiert, mal mit Arioso-Einschüben wie Johannisbeeren im Kuchen – man kann es sich aussuchen. Die Originalfassung jedoch, mit einem wütenden Agobar, einer klagenden Ezilda, einem verwirrten Leodato und einem Chor des Dissenses von allen Seiten in einer unwiderstehlichen Woge der Melodie, war eine der besten Versionen von allen. Ebenso enthielt der zweite Akt Neuerungen, die zunehmend verschwammen oder brutal ersetzt wurden. Der zweite Akt enthielt Neuerungen, die zunehmend verschwammen und brutal ersetzt wurden. Er begann mit einem düsteren coro und verlief ursprünglich logisch über ein Duett für Tenor und Mezzosopran, dann eine große Arie für Ezilda, gefolgt von einem Trio, einem weiteren Coro, einer gewaltigen Arie für Agobar (von der es mindestens vier Versionen gibt) und dem ergreifenden Höhepunkt seiner Sterbeszene – eine jener langgezogenen, endgültigen Präsentationen des Opern-Ablebens, die fast zu einer Blaupause für das gesamte melodramma romantico des kommenden halben Jahrhunderts wurde.

Zu Pacinis „Arabi nelle Gallie“: Niederlage der Muslime in der Schlacht von Narbonne 759/ Wikipedia

In diesem Fall war sie so wirkungsvoll und berührend wie keine andere, und fast zum ersten Mal wurde dieser letzte Ritterschlag einer anderen Stimme als der einer Sopranprimadonna zuteil! Das konnte natürlich nicht von Dauer sein. Pacini lieferte Giulia Grisi am 12. Mai 1832 im Londoner King’s Theatre ein robustes Arienfinale, das ihren Platz einnehmen sollte: „Nel suo rapido passagio“, dessen rasante (Gesangs-)Passagen ihr solche Beifallsstürme einbrachten, dass die gesamte Musik und Handlung, die zuvor stattgefunden hatten, zynisch in den Schatten gestellt wurden.

Es muss sofort gesagt werden, dass wenig von dieser Musik – und nur wenige der Ersatzstücke – nach Rossini klingt, was auch immer behauptet wurde, Pacini war ein Komponist, der die ererbten Formen beharrlich aushöhlte – nicht mit einem kühnen Meisterstreich wie ein Donizetti oder ein Verdi, sondern Schritt für Schritt mit der Umsicht eines Überlebenden. Trotz einer respektlosen Geschichte von Veränderungen, Anpassungen, Zweifeln und regelrechten Widersprüchen behielten Gli arabi nelle Gallie eine Eigendynamik, die von einer atemberaubenden, auf ihre Art einzigartigen Umsetzung abhing – mit einer völligen Verachtung für die vorhersehbaren Tonalitäten und visuellen Klischees der italienischen Bühne.

Zu Pacinis „Arabi nelle Gallie“: In der Schlacht von Tours und Poitiers im Oktober 732 besiegten die Franken unter dem Kommando von Karl Martell die nach Gallien vorgestoßenen muslimischen Araber und stoppten deren Vormarsch im Westen/ Gemälde von Emile Bayard, 1880, Wikipedia

Es gibt also für jeden ein musikalisches Erlebnis. Man treffe seine  Wahl. Es gibt eine Version, in der Leodato der Star ist (geschrieben für Carolina Ungher), in der sie die ganze gute Musik und drei große Arien hat. Zwischen der ersten Besetzung von 1827 und der letzten von 1855 traten die meisten großen Namen der italienischen Oberschicht in diesem melodramma serio auf: Zu den Ezildas gehörten Adelaide Tosi, Violante Camporesi, Luigia Boccabadati, Caterina Lipparini, Carolina Cortesi, Marietta Albini (die Pacinis zweite Frau wurde), Mathilde Kyntherland, Emilia Bonini und Virginia Blasis sowie die bereits erwähnte Henriette Méric-Lalande (die in mehr als einer Wiederaufnahme sang) und Giulia Grisi. Zu den Leodatos gehörten Adele Cesari, Rosa Mariani, Annetta Fink-Lohr, Clorinda Corradi-Pantanelli, Teresa Cecconi und Amalia Schütz-Oldosi; die schräge, aber sympathische Rolle des Agobar wurde von Giovanni David (in mehr als zehn Wiederaufnahmen) gesungen, aber auch von Giovanni-Battista Rubini (in Vicenza), Domenico Reina, Giovanni Basadonna, Napoleone Moriani, Pietro Gentili und Salvatore Patti. Zu den Sängern kleinerer Rollen gehörten (überraschenderweise) Celestino Salvatori und Vincenzo Galli sowie Antonio Tamburini und Luigi Lablache!

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Zu Pacinis „Arabi“: Karte des arabischen Imperiums um 700/ Wikipedia

Die Wiederaufnahme durch das Théâtre Impérial-Italien am 30. Januar 1855 mit Napoleon III. in seiner Loge (als Neffe von Pauline Bonaparte im Exil erinnerte er sich mit Rührung an die Oper im Teatro Apollo in Rom am 17. Januar 1829, als er von den Gedanken an seine Heimat bewegt war) wurde mit angemessener Publizität aufgenommen, nun in Form einer winzigen Grand opéra in vier Teilen, einem wahrhaft radikalen rifacimento, mit Angiolina Bosio als Ezilda und dem wild-emotionalen Carlo Baucardé als Agobar. Jede Nummer wurde umgeschrieben oder neu orchestriert, der Text wurde fast durchgängig überarbeitet, und alle religiösen und patriotischen Elemente wurden zur Freude der Kaiserin Eugénie verdoppelt. (Dieser Höhepunkt der unsterblichen Partitur wurde als Gli arabi nelle Gallie und nicht als L’ultimo dei Clodovei herausgegeben, wie manchmal berichtet wird – dies war nur der Titel einer Zeitungsrezension). Es blieb nicht lange dabei. Pacini war nie ein Favorit in der französischen Hauptstadt, aber es war sein einzige Oper ebendort, die dem lokalen Geschmack entsprach. Gli arabi nelle Gallie waren ein großer Erfolg – ein alter Hut, ungeachtet seinet Umarbeitung unter kaiserlicher Schirmherrschaft. Und sollte nun für immer verschwinden, aber der Komponist wurde mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet.

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Zu Pacinis „Arabi““: Henriette Méric-Lalande sang Ezilda bei der ersten Wiederaufnahme an der Scala im Karneval 1827/1828 (hier in Bellinis „Straniera“)/ BNF Gallica

Die unendlich lange Liste der Wiederaufnahmen in drei Jahrzehnten gibt einen überzeugenden Einblick in die Nachfrage nach diesem tapfer aktualisierten Bühnenspektakel. Seine Unverwüstlichkeit könnte als sinnbildlich für Pacinis gesamte Karriere angesehen werden: Sein Leben drehte sich um ständige Wiederaufführungen. Er überlebte sowohl Bellini als auch Donizetti. Und ungeachtet der glanzvollen Oberfläche seines anfänglichen Schaffens entstanden seine wichtigsten Opern in der glücklichen Zwischenzeit, als der erste von ihnen gestorben war und der zweite sich ins Ausland abgesetzt hatte. In der Mitte seines Lebens, als andere seiner Generation einfach nur maestro di cappella dieses oder jenes Provinzdoms waren, war Pacini immer noch auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Mit seinem Saffo von 1840 begann er eine fast uneinnehmbare Reihe herausragender Kompositionen, von denen viele mit einer Begeisterung aufgenommen wurden, die durch das Aufkommen von Verdi nicht ausgelöscht wurde.

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Auf jeden Fall entstanden so aufsehenerregende und denkwürdige Opern wie La fidanzata corsa (1842), Medea (1843), Lorenzino de’Medici (1845), Bondelmonte (1845), Stella di Napoli (1845) (drei große Opern in einem Jahr), La regina di Cipro (1846), Merope (1847), Allan Cameron (1848) und Malvina di Scozia (1851) verdienen es, ernst genommen zu werden, ganz zu schweigen von dem außergewöhnlichen Il Cid (1853) und dem proto-veristischen Il saltimbanco von 1858 (begann der Verismo am Istituto Pacini in Lucca? ) zusammen mit den beiden Opern, mit denen er seine lange Parabel auf der Bühne abschloss: Don Diego de’Mendoza und Berta di Varnol (beide mit Libretti von Piave und beide von 1867), in dem Jahr, in dem er starb, immer noch an seinem Schreibtisch.

Der Autor: Aleander Weatherson, renommierter Fachmann für Opern des 18. und 19. Jahrhunderts, namentlich des Belcanto sowie Autor vieler Artikel und Bücher über eben dies Feld, zudem auch international gefragter „Lecturer“; er war der Begründer und langjähriger Chef der Londoner Donizetti Society/ AW

Und dann ist da noch der „posthume“ Niccolò dei Lapi, der zwischen 1852 und 1858 in mindestens drei Vorfassungen mit unterschiedlichen Titeln erprobt und nach seinem Tod 1873 als umfassender Abgesang inszeniert wurde, eine gewaltige Zusammenfassung seines gesamten Schaffens, die auf einen modernen Aufbruch wartet.

Alle diese Opern enthalten eine Musik, die nicht zu überhören ist, lebendig, erfinderisch und sich selbst erneuernd. Pacini – und kein anderer Komponist kann das von sich behaupten – war das lebendige Bindeglied zwischen Rossini und dem Realismus, der das 20. Jahrhundert einleitete. Mit seinen rationalen und irrationalen Veränderungen, mit seiner eifrigen Hingabe an die Launen der Interpreten, der Aufführung und des Publikums waren Gli arabi nelle Gallie das Kind einer populären Kultur, die hartnäckig daran festhielt, die Oper als einen lebendigen Organismus zu betrachten, als eine theatralische Erfahrung, die sich vor den Augen und Ohren der Zuschauer weiterentwickelte. Und noch nicht als das unveränderliche Monument, das sie werden sollte. Als solche war sie zweifellos das Sinnbild einer Kunstform, die im Sterben lag, aber dass es in der darauf folgenden Opern-Ära sowohl Verluste als auch Gewinne geben würde, ist ein Faktor, dem man sich stellen muss. In der Jetztzeit. Alexander Weatherso (Übersetzung/ Redaktion G. H.) Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

 

Fabrice Bollons Freiburger Janáček-Projekt

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Ist es ein Kinder- oder ein Covid-19 Projekt? Letztlich trug wohl mehreres zur Entstehung dieses Schlauen Füchsleins bei, das auch so etwas wie der Abschied von Fabrice Bollon als Generalmusikdirektor vom Freiburger Theater war. Letztlich verlängerte Bollon um ein Jahr und verabschiedete sich mit seiner Erasmus von Rotterdam-Oper The Folly von Freiburg, wo er seit 2008 amtierte. Wie er im Beiheft erzählt, fand es Bollon offenbar immer schon schade, dass Janáčeks Oper, die für große wie kleine Zuschauer gleichermaßen funktioniert, aufgrund ihres großen Orchesterapparates nur großen Kompagnien vorbehalten sei und deshalb viele Kinder nicht erreiche.

Dann kam die Pandemie. Da die Arbeit mit großen Orchestern unmöglich geworden war, erarbeitete der französische Dirigent eine Fassung für zwölf Musiker, die im April 2021 in Rostock unter Marcus Bosch erstmals aufgeführt wurde und im Herbst des gleichen Jahres in einer Inszenierung von Kateryna Sokolova an Bollons Stammhaus in Freiburg herauskam.

Diesmal dirigiert von Fabrice Bollon, der in seiner kammermusikalisch durchsichtigen Fassung mit Streichquartett, Kontrabass, Flöte, Oboe, Englischhorn, Klarinette, Fagott, Harfe, Klavier und Schlagwerk die spätimpressionistische Duftigkeit von Janáčeks Musik auskostet, die attraktiven instrumentalen Kombinationen ausspielt und dabei eine reizvolle Dezenz bewahrt, die den Singstimmen stets den Vortritt lässt, darunter Samantha Gaul und Irona Je-Eun Park als Füchslein und Fuchs, Michael Borth als Förster, Anja Jung als Försterin und Eule sowie Hans Gröning als Harašta. Diese orchestrale Zurückhaltung bei gleichwohl waldwebend lockender Farbigkeit kommt vor allem den Kinderstimmen zugute, denn nicht nur die Förster-Kinder Pepik und Frantik sind mit Mitgliedern des Cantus Juvenum Karlsruhe besetzt, sondern auch zahlreiche Waldtiere vom Frosch bis zu den Fuchskindern. Die Naxos- Aufnahme (2 CD 8.660526-27) entstand in Sankt Georgen. Man könnte bedauern, dass die offenbar reizvolle Freiburger Inszenierung nicht festgehalten wurde. Sokolova hatte die Bilderfolge von Stanislav Lolek, die Janáček zur siebten seiner zehn Opern inspirierte, die am Tag seines 70. Geburtstags 1924 in Brünn uraufgeführt wurde, ins Filmmilieu verlegt. Der Förster wirkt als Autor und Regisseur, die Welt des Films wird zum Ort der Träume und Sehnsüchte.

Ergänzt wird diese reduzierte Orchesterfassung des Schlauen Füchsleins, die durchaus Bestand haben könnte, durch Bollons Duo lyrique en trois acts für Violine und Cello, das Janáčeks erste Oper von 1887 über die Amazone Šárka in ein knapp 20minütiges Kammermusikstück fasst. Das spröde Stück wird von Muriel Cantoreggi und Dina Fortuna-Bollon gespielt. Bollons Janáček-Hommage setzt sich in Twelve Lilies for Leoš, einem fünfundzwanzigminütigen Stück in drei Sätzen für die Füchslein-Besetzung fort; unter Bezugnahme auf das zweite Streichquartett, das Bläsersextett, die Orchesterrhapsodie Taras Bulba und die erst posthum uraufgeführte Oper Osud schuf Bollon so etwas wie einen persönlichen Leitfaden durch Janáčeks Oeuvre. Rolf Fath