Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Aufführungs-Kritiken

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Hier nun findet sich eine Übersicht der in operalounge.de besprochenen Live-Aufführungen der letzten Zeit, ob nun unter der Rubrik „Die besondere Oper“ oder unter „Festivals“ (und die Dame oben ist die Muse der Musik, Calliope, hier von Charles Meynier 1798 gemalt/Cleveland Museum of Art/Wikipedia).

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Die besondere Oper: Auch 2022/23 sind wir bei der Auswahl der besuchten Live-Aufführungen wählerisch und konzentrieren uns auf wenige und eben für uns interessante Operntitel. G. H.

Deutsche Oper Berlin Tschaikowsky Pique Dame (März 2024); Anhaltinisches Theater Dessau Szymanowsky König Roger (März 2024); Theater für Niedersachsen Hildesheim Berlioz Béatrice et Bénedict (Februar 2024); Deutsche Oper Berlin Benjamin Written on Skin (Januar 2024); Komische Oper Berlin Rimsky-Korssakoff Der goldene Hahn (Januar 2024); Theater Essen Bertin Fausto (Januar 2024); Theater Dortmund Holmés La Montagne Noir (Januar 2024); Berlin Deutsche Oper Bellini Anna Bolena (Dezember 2023); Verona Ponchielli Il Parlatore eterno (Dezember 2023); Pompeji Marzano I Normanni a Salerno (Dezember 2023);  Rugby  Temple Speech Room Bottini Elena e Gerado (Dezember 2023);  Straßburg, Opéra National du Rhin Délibes Lakmé (November 2023); Teatro alla Scala Mailand Faccio Amleto (Oktober 2023); Theater Bielefeld Zandonai Zaza (November 2023); Annaberg-Buchholz Eduard_von-Winterstein-Theater Zandonai Don Buonaparte (November 2023); Theater für Niedersachsen Hildesheim Adam Wenn ich König wäre (Oktober 2023); Theater an der Wien Donizetti Les Martyrs (Oktober 2023); Komische Oper Berlin Henze Das Floß der Medusa (September 2023): Theater Erfurt Weingarten Orestes (Juni 2023); Berlin Philharmonie Moniuszko Paria (September 2023); Komische Oper Berlin: Thomas Hamlet (23); Theater Braunschweig: Godard Dante (Oktober 23); Theater Bielefeld: Leoncavallos Zazà (Oktober 2023); Ernst-von-Winterstein Theater Annaberg-Bucholz: Alberto Franchettis Komödie Don Buonaparte (Oktober 2023);  Teatro Regio Turin: Fromenthal Halévy: La Juive (September 2023); Deutsche Oper Berlin: Jules Massenets Hérodiade (am 15. 6. 2023); Zandonais Francesca da Rimini an der Deutschen Oper Berlin am 29. 5. 2023 ; Felix Weingartners Orestes am Theater Erfurt. am 27.05.2023: Paria von Stanislaw Moniuszko in der Berliner Philharmonie; Ambroise Thomas` Hamlet an der Komischen Oper Berlin; Benjamin Godards Dante am Staatstheater Braunschweig: Krieg und Frieden von Sergej Prokofjew an der Bayerischen Staatoper 18 März 2023: Saverio Mercadantes Francesca da Rimini an der Oper Frankfurt 26.2.23:  Georges Bizets  Ivan IV am Staatstheater Meiningen am 24.2.23: Giacchino Rossini Le Siège de Corinth am Theater Erfurt am 25.2.23; Uraufführung in Ulm Charles Tournemires Legende  de Tristan; Massenets Hérodiade an der Opéra National de Lyon am 23. November 2022; Donizettis Caterina Cornaro am Stadttheater Gießen; Modest MusorgskysBoris Godunow am Teatro alla Scala 7. Dezember 2021;  Verdis Alzira Opéra de la Wallonie Liege 01.12.22; Asger Hameriks Vendetta an der Königlich Dänischen Oper in Aarhus; Wilhelmine von Bayreuth L’Homme Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth; Franz Schreker Der ferne Klang an der Opéra de Stasbourg; Albert Lortzings Undine an der Oper Leipzig 2022; Teatro Comunale Pavarotti Freni in Modena Mefistofele 9. Oktober 2022; Deutsche Oper Berlin Gioacchino Rossini Semiramide 20./22. 10. 2022; In der Berliner Philharmonie Léo Délibes Lakmé 27. 9. 2022; Opéra National de Montpellier Occintanie Ambroise Thomas Hamlet (Tenor) 27. 08. 22; Louise Bertin  Le loup garou an der Opera Southwest in Albuquerque 11. September 2022; Im Berliner Konzerthaus Mascagnis Zanetto und Wolf- Ferraris Il Segreto di Susanna 14.6.2022; Gustave Adolph Kerker The Belle of New York am TFN Hildesheim 26. Mai 2022; Guirauds/Masenets Fredegonde am Theater Dortmund 2022;  an der Budapest Staatsoper Erkels Hunyadi László 2022; Nino Rotas Aladin und die Wunderlampe am TFN Hildesheim 19.02.2022; In Budapest Hubays Geigenbauer von Cremona/ Dohnányis Tante Simona/ Poldinis Hochzeit im Fasching 2022;  An der Opéra National du Rhin in Straßburg Die Vögel von Walter Braunfels 2022;  Am Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg Ralph Benatzkys Der reichste Mann der Welt/ Erich Zeisls  Leonce und Lena 2022; In Osnabrück Theater am Domhof Karol Rathaus’ Fremde Erde 2022; 

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Festivals 2023: Musikfest Berlin: Les Troyens von Hector Berlioz 02. 09., 23; Bel Canto Ritrovato Festival Pesaro & Fano Luigi Riccis Il birraio di Preston & Konzert in Fano 24.8.2023; Salzburger Festspiele 2023 Orfeo ed Euridice/ Bohuslav Martinus The Greek Passion/ Bellinis Capuleti e i Montecchi/ Hector Berlioz´Les Troyens August 2022; Rossini Opera Festival Pesaro 2023 Eduardo e Cristina/ Adelaide di Borgogna/ Aureliano in Palmira August 2023; Festival Alte Musik Knechtsteden  Giovanni Alberto Ristori Orfeo August 2023; Bayreuther Festspiele 2023 Parsifal & Der fliegende Holländer August 2023; Innsbrucker Festwochen der Alten Musik Antonio Vivaldi Olimpiade 8. August 2023/ Bernardo Pasquinis Idalma 23. 6. 2023; Rossini in Wildbad: Giovanni Pacini Gli Arabi nelle Gallie August 2023; Festival Ancient Music New York/ Lincoln Center Ricci Crispino e la Comare; Festival Palazzetto Bru Zane 2023 Louise Bertin Fausto Paris 20. Juni 2023; Musikfestspiele Potsdam Sanssouci L’Huomo von Andrea Bernasconi Juni 2023/  Marc-Antoine Charpentier David et Jonathas; Schloss Rheinsberg Osterfestspiele Carl Heinrich Graun La clemenza di Silla

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Festivals 2022: Auch in 2022 waren wir bei der Auswahl der vorgestellten Festivals sehr wählerisch und konzentrierten uns – wie bei Live-Aufführungen überhaupt – auf wenige und für uns interessante Aufführungen, von denen wir einige Rezensionen der Wichtigkeit der Operntitel wegen weiterhin auf unserer Seite stehen lassen . G. H.

Donizetti-Festival Bergamo 2022 La Favorite, Chiara e Serafina, L´Aio nel´ imbarazzo; David und Halevy beim Wexford Festival Opera 2022 La tempesta & Lalla-Roukh 24 + 25 . Oktober 2022; Festival Radio France Opéra National de Montpellier Occintanie Ambroise Thomas Hamlet (Tenor) 27. 08. 22;  Bregenzer Festspiele 2022 Puccinis Madama Butterfly und Giordanos Siberia 20. + 21. Juli 22; Rossini in Wildbad 2022 Armida, Ermione 15. + 16. Juli 2022; Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Inseln Scarlattis I portentosi effetti della Madre Natura/ Johann Friedrich Reichardt Die Geisterinsel 18. 6. 2022/  Carlo Pallavicino Le Amazzoni nell’isole fortunate

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Unbekanntes aus Budapest

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Schon mehrfach wurde auf diesen Seiten über Einspielungen auf dem Label GLOSSA mit dem ungarischen Orfeo Orchestra unter seinem Leiter György Vashegyi berichtet. Jetzt gilt es, wieder eine neue Aufnahme  vorzustellen – und noch dazu eine veritable Rarität. Komponist dieser Tragédie lyrique Polydore ist der 1680 in Livorno geborene Jean-Baptiste Stuck. Die künstlerische Laufbahn führte den virtuosen Cellisten über Florenz und Neapel bis nach Paris, wo er 1755 starb. Von seinen Opernwerken sind vier komplett erhalten – eines in italienischer Sprache (Il Cid) für Livorno, die anderen in Französisch für Paris. Polydore ist das letzte von ihnen, uraufgeführt 1720 an der Académie royale de musique à Paris. Das Libretto aus dem 3. Buch der Aeneis stammt von Simon-Joseph Pellegrin, der sich auch als Autor von Rameaus Hippolyte et Aricie einen Namen machte.

Die trojanische Prinzessin Ilione wurde nach ihrer Heirat mit Polymnestor zur Königin von Thrakien. Ihr Gatte liefert ihren Bruder Polydore den Griechen aus, damit er geopfert werden kann. Dafür würden die Griechen die Hand ihrer Prinzessin Déidamie dem Sohn von Polymnestor, Déiphile, bieten. Der alte Timanthe offenbart jedoch, dass er die beiden Prinzen Polydore und Déiphile in deren Jugend vertauscht habe, womit Polymnestor seinen eigen Sohn den Griechen ausliefert, was er am Ende, geplagt vom Geist des Toten, mit seinem Leben büßt.

Die Oper vereint italienisches Melos und französische Elemente, die vor allem in den zahlreichen Tanzeinlagen zum Ausdruck kommen. Schon im Prologue finden sich Loure, Bourée, Sarabande und Premier et Deuxième Passepied. Deren reizvolle Instrumentierung erlaubt dem Orchester ein ungemein farbiges und vitales Spiel. Die Tragédie enthält einen Prologue, wie es derzeit üblich war, doch ohne die gängigen Lobreden auf den Herrscher, und fünf Actes. Die beiden ersten bieten jeweils am Ende ein Divertissement. Am Ende des 4. Aktes findet sich eine ombre-Szene, während der 5. ohne Divertissement und ganz überraschend mit dem Selbstmord von Polymnestor, König von Kreta, endet. Das war ein solch bestürzender Moment, dass bald ein Chor, der die Liebe von Déidamie und Polydore besingt, hinzugefügt wurde. Vashegyi jedoch hat sich in seiner Einspielung für das originale Finale mit Polymnestors ergreifendem Rezitativ „Terre, pour m’engloutir“ entschieden. Der Dirigent beweist wieder sein Gespür für die Musik mit ihrer Delikatesse und den wechselnden Stimmungen. Wie gewöhnlich hat er ein im französischen Barockgenre erfahrenes und versiertes Ensemble versammelt. In der Titelrolle imponiert der Bassist Tassis Christoyannis mit nobler Stimme und autoritärem Vortrag. Sein Air im 2. Akt, „Du plus charmant espoir“, steht für seine Fähigkeit, auch mit Zartheit und Süße zu singen. Thomas Dolié ist der Polymnestor und gleichfalls  kompetent in Gesang und Gestaltung. Judith van Wanroij gibt im Prologue die Vénus und dann die Déidamie. Ihr Sopran ist gewöhnungsbedürftig in seiner Larmoyanz und Strenge. Zu Beginn des 4. Aktes hat sie ein kantables Air zu singen („Beaux lieux“) und danach ein inniges Duo mit Polydore („Quel sort pour nos tendres amours“), wo die Stimme angenehmer klingt. Und am Ende der Oper findet sie in dramatischen Rezitativen („Il va combattre“/ „Quel bruit afffreux!“) zu überzeugendem Ausdruck. Hélène Guilmette ist mit beherztem Gesang eine starke Ilione, die die Angst um ihren Bruder ins Zentrum ihrer Interpretation rückt. In nicht weniger als fünf, allerdings kleineren Partien ist der renommierte Countertenor Cyrille Dubois besetzt, der freilich in der Höhe auch gequält klingen kann. Zudem ist der Bassist David Witczak in mehreren Rollen zu hören. Als Le Grand Prêtre hinterlässt er den stärksten Eindruck.

Zum glänzenden Gesamteindruck tragen das Orfeo Orchestra mit inspiriertem Musizieren und der Purcell Choir mit kultiviertem Gesang bei. Die Aufnahme dürfte jeden Liebhaber französischer Barockmusik erfreuen. Sie entstand im September 2022 in Budapest (GCD 924014, 3 CDs). Bernd Hoppe

Aus den Archiven

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Der SWR hatte schon seit langem seine Archive mit Aufnahme-Schätzen geöffnet, unter dem Titel Legendary Singers nun einen Schuber mit Einspielungen von Martina Arroyo, Marilyn Horne, Peter Anders (2 CD), Dietrich Fischer-Dieskau und Nicolai Gedda zusammengestellt. Da gibt es zunächst zwei Liederabende der Schwetzinger Festspiele: Im Schwetzinger Schloss wurde am 25.05.1968 ein Liederabend der fulminanten Martina Arroyo und des Altmeisters Leonard Hokanson am Flügel aufgezeichnet und übertragen. Die technisch geglättete Fassung lässt keinen Hinweis auf ein Live-Erlebnis mehr erkennen, begeistert aber nach wie vor. Mit ihrem klaren, in allen Lagen bestens durchgebildeten Sopran und differenzierter Gestaltungskunst fasziniert Martina Arroyo nach wie vor; in Liedern von Gioacchino Rossini, Franz Schubert, Johannes Brahms, 4 Spirituals und den Zigeunerliedern von Antonin Dvorak lässt sich ihre hohe Sangeskunst eindrücklich nachvollziehen. Leonard Hokanson ist ein partnerschaftlicher Mitgestalter (SWRmusic, 93.719).

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Fast 24 Jahre später, am 25.04.1992 fand ein reiner Rossini-Abend der stupenden Marilyn Horne und ihres kongenialen Begleiters Martin Katz statt – ein Beitrag zum 200.Geburtstag des Komponisten. In unseren Breiten hört man Rossini-Lieder leider viel zu selten. Besonders hervorzuheben sind das eindringlich vorgetragene Assisa à piè d’un salice, das kleine Koloraturfeuerwerk Canzonetta spagnuol und das nur auf einem Ton gesungene Adieux à la vie!, bei dem der Pianist die melodische Hauptaufgabe exquisit löst. Höhepunkt ist die von Rossini selbst als „Cantata“ bezeichnete Giovanna D’Arco aus seiner späten Schaffenszeit: Bei dieser teilweise opernhaft großen Szene zieht die Sängerin alle Register ihrer Koloraturfähigkeit und ihres großen Stimmumfangs; der Pianist geht auf jede Nuance der Interpretation mit subtiler Begleitung ein. Zwei kleine Schmankerln beenden den tollen Abend, das flotte Cruda sorte! Amor tiranno! aus L‘italiana in Algeri und Di tanti palpiti aus Tancredi (SWRmusic, CD 93.721).

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Dietrich Fischer-Dieskau sings Baroque Arias lautet der Titel der CD, die in den Jahren 1952-54 vom SWR eingespielt wurde, also in Dieskaus früher Zeit; in Wahrheit sind es allerdings geistliche Solo-Kantaten, nicht gerade typisch für seine Berühmtheit. Mit der fünfteiligen Kantate Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu dir von Gottfried Heinrich Stölzel beginnt der „Arienreigen“, gefolgt von Franz Tunders sehr basslastiger Kantate Da mihi, Domine. Bei Dietrich Buxtehudes Kantate Ich suchte des Nachts passen Dieskaus Bariton und der helle Tenor von Helmut Krebs gut zusammen, eine interessante Duett-Kantate! Die Streicher werden hier durch eine blitzsaubere Oboe ergänzt. Etwas schlicht kommt die Osterkantate Erstanden ist der heilige Christ von Nicolaus Bruhns daher; auch hier ergänzen sich die beiden Sänger ausgezeichnet. In Adam Kriegers Kantate An den Wassern zu Babel saßen wir tritt die sichere Altistin Erika Winkler hinzu; gemeinsam legen sie Kriegers verschlungene Melodik ansprechend frei. Mit Nicolaus Bruhns‘ Choralkantate De profundis clamavi beweist Dieskau einmal mehr, dass ihm die recht hoch liegende Bass-Kantate mit barocken Verzierungen besonders liegt. Die vorzüglichen Instrumentalisten schaffen den sicheren Boden, auf dem sich die Sänger in allen Kantaten frei entfalten können (SWR Music, CD 94.218).

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Nicolai Gedda sings Arias & Lieder umfasst Studioeinspielungen mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, die Lieder sind Live-Konzertmitschnitte. Vom  schwedischen Tenor mit intonationsreinen Spitzentönen und großer Koloratur-Geläufigkeit sind sechs Opern-Highlights zusammengestellt: Adolphe Adams spritziges Mes amis écoutez l’histoire (Le postillon de Lonjumeau), Christoph Willibald Glucks ausdrucksstarkes Welch Gefühl schwellt meine Brust (Alceste)  und das flotte, höhensichere Auf Kalchas falle dieses Schwert (Iphigenie in Aulis), W.A. Mozarts emotionsreiches Fuor del mar (Idomeneo), Giacchino Rossinis mit Höchstschwierigkeiten gespicktes Que les destins prospères… (Le Comte Ory) und Michail Glinkas kriegerisches Brüder, im Sturm (Ein Leben für den Zaren) mit lyrischem Zwischenteil. Unter der versierten Leitung von Ernest Bour begleitet das Orchester schwungvoll. Mit den Liedern von Franz Schubert, Francis Poulenc und Nicolai Rimsky-Korsakov mit dem sicheren Pianisten Werner Singer beweist Gedda beim Bruchsaler Schlosskonzert am 19.10.1960, dass er auch die Kunst der „Miniaturen“ versteht und in mehreren Sprachen beste Textverständlichkeit erzielt. Das gilt gleichermaßen für die Lieder von Claude Debussy, Joaquin Nin und Ottorino Respighi, sowie für die weniger bekannten, aber lohnenden Lieder von Francesco Balilla Pratella, Alfredo Casella und Vito Carnevali, die im Schloss Ludwigsburg am 03.04.1965 mit Erik Werba als ebenbürtigem Partner am Klavier erklangen (SWR Music,  CLASSIC CD 94.212).

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Last not least: Peter Anders singt Arien und Lieder, jeweils eine CD, eingespielt in den Jahren 1946-52. Zu den Opern-Aufnahmen leitet Otto Ackermann das in allen Gruppen sicher aufspielende Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg: Die Gralserzählung aus Lohengrin, die Blumenarie aus Carmen, Wilhelm Kienzls Selig sind… aus dem Evangelimann, Florestans große Szene aus Fidelio und Durch die Wälder, durch die Auen aus dem Freischütz sind die Solo-Nummern, in denen Peter Anders die Strahlkraft und Farbpalette seiner klaren Tenorstimme eindrücklich beweist. Gemeinsam mitt Sena Jurinac erklingen Duette aus der verkauften Braut, Otello, Madama Butterfly, La Bohème und Carmen, in denen sich die beiden Stimmen nahezu ideal verbinden. Zwei Operetten-Einspielungen aus Johann Strauß‘ Zigeunerbaron, wobei das Orchester von dem versierten Paul Burkhard geleitet wird und die Sopranistin Nata Tüscher im Duett mitwirkt, runden die Opern-CD ab.

Die Lieder-CD enthält Vertonungen von Franz Schubert, Robert Schumann, Ludwig van Beethoven und Peter Tschaikowsky. Der Liedgesang scheint dem Sänger ein besonderes Anliegen gewesen zu sein; hier kommt seine hohe Gestaltungskunst besonders gut zur Geltung. In der von dem erfahrenen Pianisten Heinz Mende begleiteten Schubert-Gruppe fällt der muntere Musensohn durch seine Frische auf. Die übrigen Lieder werden vom ebenfalls eindrucksvoll auf den Sänger eingehenden Hubert Giesen mitgestaltet. In der Schumann-Gruppe zwingen z.B. in Intermezzo die zwischendurch eigenwilligen Tempoverzögerungen zu intensiverem Hinhören. Beethovens An die ferne Geliebte gefällt ebenso wie die wunderbaren Romanzen Tschaikowskys wie Einst zum Narr’n, Unendliche Liebe oder Warum?. Diese CDs sind eine gute Erinnerung an den Ausnahmesänger Peter Anders (SWR Music,  CD 1-2 94.214).                (25.09.2023)   Marion Eckels

Gemischte Platte

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Piotr Beczala hat im spanischen Valencia mit dem Orquestra de la Comunitat Valenciana Arien und Szenen aus dem Verismo aufgenommen, die PENTATONE unter dem passenden Titel VINCERÒ! herausgebracht hat Die CD enthält Puccini-„Schlager“ aus u.a. Tosca, Fanciulla, Butterfly und natürlich Turandot, aber auch die beiden berühmten Szenen aus Mascagnis Cavalleria rusticana und Leoncavallos Pagliacci; Adriana Lecouvreur und Andrea Chénier sind ebenfalls vertreten. So kann der Opern-Star unserer Zeit die ganze Fülle und vielfarbige Palette seines charakteristischen Tenors ausbreiten. Wieder beeindruckt die gleichmäßige Linienführung der Stimme durch alle Lagen bis in strahlende Höhen. Unterstützt wird er von dem sicheren spanischen Orchester und in wenigen Szenen von dem klangausgewogenen Cor de la Generalitat Valencia, beide souverän von Marco Boemi geleitet (PENTATONE PTC 5186 993).

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Ein schönes Beispiel dafür, dass der polnische Tenor auch die intimere Form des Lieds beherrscht, ist die CD mit Romanzen von Pyotr Tchaikovsky und Sergei Rachmaninoff, die Piotr Beczala und Helmut Deutsch im Markus-Sittikus-Saal Hohenems (Veranstaltungsort der Schubertiade) aufgenommen haben. Die Künstler haben insgesamt 31 meist recht kurze Romanzen ausgewählt, die sie mit ihrem ganzen Können ausdeuten. Dabei fällt auf, wie technisch ausgereift die Stimmführung des Sängers ist: Bei durchgehend perfekter Intonationsreinheit vermag er die Stimme in wunderbar klangschönes piano zurückzunehmen, aber ebenso an passenden Stellen dramatische, fast opernhafte Aufschwünge zu präsentieren. Wie selbstverständlich trifft er den oft schwelgerischen Duktus der Romanzen und die lyrisch zurückhaltende Nachdenklichkeit der russischen Lieder. Wesentlich an den Interpretationen beteiligt ist der Altmeister der Klavierbegleitung, der stets sensibel auf den Sänger eingeht, gute Tempi bei den Vorspielen vorgibt und den unterschiedlichen Stimmungen der Lieder in den Nachspielen weiter nachspürt. Auf diese Weise kann man bestes partnerschaftliches Musizieren erleben (PENTATONE PTC 5186 866).

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Ganz anders kommt die CD mit dem Titel Remembering Tebaldi daher: Die US-amerikanische Sopranistin Melody Moore erinnert an den 100. Geburtstag der großen Renata Tebaldi, indem sie mit dem Transylvania State Philharmonic Choir & Orchestra unter Lawrence Foster Opernarien singt. Geordnet  sind diese nach drei Wirkungsperioden der Tebaldi: Aus ihrer frühen Zeit gibt es Arien aus Mefistofele, L’amico Fritz, Andrea Chenier und La Bohème, die die Sängerin mit ruhiger Stimmführung in allen Lagen stets höhensicher interpretiert. Aus der Periode an der Mailänder Scala hört man neben Ausschnitten aus Rossinis Mosè in Egitto und Verdis Quattro pezzi sacri Aidas Ritorno vincitor! sowie eine Szene aus Catalanis La Wally. In diesen recht unterschiedlichen Stücken beeindruckt die Vielseitigkeit des Soprans, der z.B. in der Aida-Arie schön aufblüht und im Gebet aus Mosè die soliden Chor-Solisten und den Chor unaufdringlich überstrahlt. Der dritte Teil der CD betrifft die MET-Periode mit Leonoras Pace-Arie sowie Ausschnitten aus Manon Lescaut, La Traviata, Adriana Lecouvreur und Suor Angelica. Auch hier gefällt, wie die Sängerin ihre volltimbrierte Stimme entsprechend der jeweiligen Stimmung ausschwingen lässt. Am Schluss wird an das letzte Konzert der Tebaldi mit italienischen Liedern und Arien in der Carnegie-Hall erinnert, indem ein Scarlatti-Lied, arrangiert für Sopran, Oboe und Streicher, musiziert wird. Durchweg ist das Orchester unter der umsichtigen Leitung von Lawrence Foster der Sängerin eine sichere Unterstützung (PENTATONE PTC 5187 070).

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Schließlich soll über eine CD mit Spirituals berichtet werden, die der amerikanische Countertenor Reginald Mobley und der französische Pianist Baptiste Trotignon präsentieren. Traditionals in besonderen Arrangements sind gemischt mit  Transkriptionen und Melodien von Harry T. Burleigh (1866-1949) und Florence Price (1887-1953), dabei das titelgebende Because und so bekannte Spirituals wie Sometimes, Nobody knows, My Lord, what a morning oder Deep river. Die beiden Künstler korrespondieren aufs Feinste miteinander, indem der Counter mit seiner klaren Stimme großen Umfangs die Spirituals eindringlich interpretiert und der versierte Pianist ebenso wie der Sänger diese gekonnt und variantenreich vom Jazz aus betrachtet (ALPHA 936) (25. 09. 23).  Gerhard Eckels

Barocker Zauberkasten

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Nie werde ich diese typisch französisch-eleganten LPs der Firma Erato vergessen: Diese schimmernden Covers mit den Blumen oder Obststilleben als Bilder vorne, mit der fabelhaft gestylten Optik und dem unverkennbaren, prägnanten Logo des griechischen Schriftzeichens (schon Tacitus sagte: cui nomen erato eaque brevi…).

Was für ein Cornocupium an (früh-)barocker Musik ließ sich hier finden. Komponisten  von denen ich bis dahin als Student noch nie etwas gehört hatte: Ingegneri, Carissimi, Marcello, Delalande, Jannequin, Goudimel, Cavalli, Bassano – eine Fülle an Musik und Komponisten, die mir absolut neu waren.

Im Schallplattenladen am Berliner Kudamm waltete Herr von Malottki, der ein Herz für uns arme, Studenten hatte. Er ließ uns diese luxuriösen Wunder hören, die ich mir nicht leisten konnte (25.- DMark, per Kopfhörer an der Schallplattenbar – das waren noch Zeiten). Dort begann meine Liebe zu Eric Tappy, der bei Erato der Haustenor war. Er sang fast alles dort. Und seine hochindividuelle, nicht wirklich schöne, aber durchaus auch sinnliche und kernige Stimme erfüllte mich mit einem Gefühl, das bis heute an Verehrung grenzt. Ich habe ihn als eleganten, stets früh-weißhaarigen Sänger dann später recht oft live gehört und erinnere mich an das damalige Musikfestival im Jura nahe Lausanne, open-air vor einem bezaubernden Holztheater an einem warmen Sommerabend, wo er der packende Nerone in Monteverdis Poppea war, wahnsinnig toll und unvergesslich.

Er war mein aller erster Monteverdi-Orfeo in dieser schönen braunen Pappschachtel mit dem stilisierten Titelhelden nebst Leier in antiker Pose darauf. Kein anderer hat es bislang geschafft, sich einen solchen Platz in meinem Herzen zu erobern. Seine unglaubliche Poesie, sein erfüllter Gesang, sein Flehen an die Geister und seine Klage in der Unterwelt lässt bis heute mich erschauern.

Zu Michel Corboz: Eric Tappy und Rachel Yakar in Monteverdis „Poppea“ in Zürich/Unitel

Tappy gehörte zum Hausensemble von Michel Corbos, der Schweizer Dirigent, der noch von Nikolaus Harnoncourt sich umfassend mit der Renaissance- und Barockmusik befasst und aufgenommen hat. Neben Ewerhart in Münster und Edwin Loehrer vom italienischen Rundfunk der Schweiz grub er bereits in den Sechzigern Monteverdi und seine Zeit aus. Und Monteverdi ist (neben Bach) auch der Eckstein der großen 74-CD-Box nun bei Warner (die in den 90ern die Erato nach deren Konkurs aufkaufte) erschienen ist: The complete Erato-Recordings (Baroque & Renaisance Eras, eine weitere befasst sich dann mit Corboz-Aufnahmen von Mozart etc., sogar Verdi, meistens mit dem Gulbenkian Orchester Lissabon (und ist in meinen Augen nicht mehr so gültig wie seine frühen Aufnahmen aus den Sechzigern/Siebzigern).

Zum Hausensemble von Michel Corboz gehörten denn auch für die frühen Aufnahmen nicht die internationalen, zum Abwinken bekannten Vokalkräfte jener Zeit, sondern Schweizer Spezialisten wie Luciana Ticinelli-Fattori, Maria Grazia, Magali Schwartz, das Ehepaar Stämpfli, Enrico Fissore, Francois Loup und natürlich der unverwüstliche Hugues Coenod, der bereits unter Nadia Boulanger in der Vorkiegszeit Monterverdi aufgenommen und der unter Noah Greenberg bei Columbia in Amerika neben Russell Oberlin dieses unglaublich tolle „Zeffiro torna“ Monterverdis eingespielt hatte (und ich erlebte ihn noch zwerchfellerschütternd als hinreißende, lüsterne Nymphe in Cavallis Calisto in Glyndebourne neben Janet Bakers Diana). Auch Philippe Huttenlocher darf man nicht vergessen, ein Debussy-Golo von Format und auf den Aufnahmen von Corboz nicht wegzudenken.

Erst später gings dann (leider muss man sagen) internationaler zu. Die Solisten waren dann Teresa Berganza, Margaret Marshall, Sandrine Piau, Barbara Schlick, Felicity Palmer, Birgit Finnilä, Helen Watts, Rene Jacobs, Kurt Equiluz, Anthony Rolfe Johnson und viele mehr. Sie alle sicher kompetent, aber meine Liebe hängt an den frühen Aufnahmen und ihren Solisten der ersten Stunde, die frisch, unverstellt und vielleicht auch weniger raffiniert musizierten, etwa auch Edwin Tarr und sein fabelhaftes Bläserensemble, dass für die Vor-Monteverdi-Zeit nicht wegzudenken war.

Zu Michel Corboz: Auch Magali Schwartz gehörte zum Sängerensemble/Discogs

Corboz´ Hausensemble war lange das Ensemble Vocal et Instrumental de Lausanne, prachtvoll geschult und hochmotiviert, wie man in der fast swingenden Vespro della beata Vergine Monteverdis mit den eindrucksvollen Doppelchören und den lebendigen Antiphonen hört (wieder die tollen Bläser von Edwin Tarr), die ein wichtiger Bestandteil dieser Aufnahme bei Erato/Warner ist. Monteverdi ist denn auch ein Löwenanteil der Aufnahmen gewidmet. Seine Missa wurde erwähnt, seine wunderbare Sammlung „Selva morale“ und eine Auswahl seiner Madrigale umfassen ein Weltall an Gefühlen, zumal sie auf die hohe Literatur der zeitgenössischen Dichter geschrieben sind. Aber die Krone ist für mich der besagte Orfeo, dem Tappy und seine Kollegen einen Drive und überzeitliche Auslegung zuteilwerden lassen, wie ich das später nie wieder gefunden habe. Und ganz ehrlich finde ich seine folgenden Erato-Einspielungen mit dem English Bach Orchestra und anderen nicht mehr so aufregend, wie auch das Gulbenkian später. Corboz verließ mit dem Ruhm auch seinen Urgrund und wurde allgemeiner.

Zu Michel Corboz: Wally Srampli war einer der frühen Sängerinnen für ihn/ Discogs

Natürlich kommen die Vorläufer Monterverdis zu Wort, bzw. zu Ton. Gabrieli ist ja einer der wichtigsten Polyphoniker vor ihm, und einmal ihn im Dom von Venedig zu erleben, war eines der bewegendsten Erlebnisse meines Lebens. Seine Sacrae Symphoniae und sein Magnificat lässt Corboz in klanglicher Pracht erschallen. Zudem ist es ein kluger Einfall von Warner, mit dem Komponisten Ingegneri, eben dem Vorläufer Monteverdis, zu beginnen (CD 1), mit dem ja fast alles anfing. Und wo sonst haben wir diese prachtvollen Dolce frutti mit ihrer wunderbaren Versammlung galanter canzoni als  sinnenfreudige Dokumente der Gonzaga- und Medici-Höfe, wo Schiffsschlachten im ersten Stock der Paläste stattfanden und die Troubadoure von Liebe sangen. Das schafft Cavallis Ercole amante mit einer etwas diskutablen Besetzung (Felicity Palmer et al.) nicht ganz, aber es spricht für Corboz und die Firma Erato, sich so früh an barocke Gesamtaufnahmen heran zu trauen, die sicher nicht gut verkauft wurden – die Zeit war dafür noch nicht reif, im Gegensatz zu heute. Pioniere sind eben auch Mutige. Auch in Sachen Vivaldi geht es dann weiter (so mit z. B.  Canto in Prato RV 623; In Furore giustissimae Irae RV 626; Dixit Dominus RV 594 & 595; Juravit Dominus dixit Dominus RV 594; O qui Caeli RV 631; Stabat Mater RV 621; Nisi Dominus RV 608; Lauda Jerusalem RV 609) – Sinnenfreude par excellence auch hier.

Zu Michel Corboz: Hugues Cuenod war eine Institution in Alter Musik, unverkennbar und unüberhörbar/Discogs

Der Blick auf die frühe Musik in Frankreich spricht für Michel Corboz´ musikalische Neugier. Die spannende Gesamt-Aufnahme von Charpentiers David et Jonathas mit der bezaubernden Colette Allioz-Lugas, dem frühen Paul Esswood (immer mein Schwarm unter den Countern) und natürlich Philippe Huttenlocher war die erste überhaupt und bringt uns frühes geistliches Drama aus Frankreich näher. Werke von Clement Janequin, Pierre Attaignant, Jacotin, Adrian Le Roy, Pierre Passereau, Josquin Desprez, Claudin de Sermisy, Adrian Petit Colico, Pierre Sandrin, Pierre Phalese, Pierre Certon und anderen ergänzen diesen Ausflug ins nahe Nachbarland der Schweiz.

Auch Johann Sebastian Bach wird gewürdigt, wenngleich etwas später und nicht in der ersten Phase von Corboz´ Erato-Aufnahmen (Matthäus-Passion BWV 243; Johannes-Passion BWV 245; Weihnachts-Oratorium BWV 248; Magnificat BWV 243 (in zwei Einspielungen); Kantaten; Messe h-moll BWV 232 in drei Einspielungen; Missae breves und vieles meh. Namentlich seine kleinen Messen waren damals neu und so bedeutend schwungvoller, als man sie von Richter hätte hören können. Auch hier macht sich ein Lebensgefühl aus der Region jenseits der Alpen, eine cisalpine, franco-italienische Sinnlichkeit hörbar, wie wir sie – die Kinder der Gardasee-Urlaubs-.Generation – bis dahin nicht zu Hause erlebten. Vielleicht ist es dieses Süd-Schweizer Lebensgefühl, zwischen Frankreich und Italien, zwischen dieser gallischen Strenge und südlicher Sinnlichkeit, die sich in diesen Aufnahmen widerspiegelt und so gar nichts von der calvinistischen Zugeknöpftheit der Nordschweiz hat.

Zu Michel Corboz: Philippe Huttenlocher war der Bariton vom Dienst bei vielen Aufnahmen der Erato/Huttenlocher

Das eben liebe ich an Michel Corboz. Diese Lebensfreude, dieses eben nicht sinnenferne Musizieren, wie wir es heute von der Alten Musik zur Genüge und zum Verdruss kennen, und wo uns eingeredet wird, man habe damals so vibratoarm und frugal musiziert. Seine Instrumente und Stimmen sind zwar sicher auch historisch orientiert, aber eben vibratoreicher, sinnlicher, wohlklingender, lebenslustiger und unerhört präsent. Es ist diese cisalpine Freude am Leben, die uns hier begegnet. Und deshalb ist diese erste Box (von zweien), die das Gesamtwerk Corboz´ bei seiner treuen Stammfirma Erato vorstellt, ein so unerhörter Gewinn für Liebhaber früher Musik. Agogisch, prall an Lust, wunderbar gesungen. Was will man mehr? Ich nicht. Danke an Warner und an Michel Corboz. Geerd Heinsen

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Michel Corboz – The Complete Erato Recordings (Renaissance & Baroque Eras)  Mit Werken von: Benedetto Marcello (1686-1739) , Claudio Monteverdi (1567-1643) , Johann Sebastian Bach (1685-1750) , Antonio Vivaldi (1678-1741) , Johann Christian Bach (1735-1782) , Marc-Antoine Charpentier (1643-1704), Francesco Cavalli (1602-1676) , Georg Friedrich Händel (1685-1759) , Henry Purcell (1659-1695) , Alessandro Scarlatti (1660-1725) , Claude Goudimel (1510-1572) , Michel Richard Delalande (1657-1726) und weitere.
Mitwirkende: Colette Alliot-Lugaz, Teresa Berganza, Margaret Marshall, Sandrine Piau, Barbara Schlick, Felicity Palmer, Wally Staempfli, Rachel Yakar, Bernarda Fink, Alicia Nafe, Birgit Finnilä, Helen Watts und weitere. 

Claudio Monteverdi: L’Orfeo (Gesamtaufnahme in zwei Einspielungen); Vespro della Beata Vergine (in zwei Einspielungen); Missa a 4 voci da capella; Selva Morale e Spirituale (Gesamtaufnahme); Madrigale aus den Büchern 2, 4-8 +Marc‘ Antonio Ingegneri: Motette „Tenebrae factae sunt“;

Lamentations de Jeremie +Alessandro Scarlatti: Missa ad usum Cappellae Pontificiae; Motetten „Intellige clamorem meum“, „Salvum fac populum tuum“, „Exaltabo te Domine quoniam“, „Domine vivica me“, „Ad te Domine levavi“, „Exultate Deo adjutori“ +Claude Goudimel: Messe „Le Bien que j’ay“; Or sus tous Humains;

Que Dieu se Montre Seulement; Goudimel Laisse moi desormais; Mon Coeur Rempli; O Seigneur; Du Fons de ma Pensee +Michel Richard Delalande: De Profundis; Regina coeli +Giovanni Gabrieli: Sacrae Symphoniae; Canzon primi toni; Ergo rogabo ad Patrem; Magnificat +Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion BWV 243; Johannes-Passion BWV 245; Weihnachts-Oratorium BWV 248; Magnificat BWV 243 (in zwei Enspielungen); Kantaten BWV 11, 58, 78, 187, 198; Messe h-moll BWV 232 (in drei Einspielungen); Missae breves BWV 233-236; Sancti BWV 237-241; Christe eleison BWV 242; Cembalokonzerte BWV 1052, 1055, 1056 +

Antonio Vivaldi: Glorias RV 588 & 589; Kyrie RV 587; Credo RV 591; Beatus Vir RV 597 & 598; Nulla in Mondo Pax sincera RV 630; Magnificat RV 610; Canto in Prato RV 623; In Furore giustissimae Irae RV 626; Dixit Dominus RV 594 & 595; Juravit Dominus dixit Dominus RV 594; O qui Caeli RV 631; Stabat Mater RV 621; Nisi Dominus RV 608; Lauda Jerusalem RV 609 +Giacomo Carissimi: Historia di Jephte; Historia di Ezechias; Historia di Abraham et Isaac; Motetten „O quam pulchra es“, „O Vulnera doloris“, „Salve, salve Puellule“; Tolle sponsa; Messa a otto voci +Marc-Antoine Charpentier: David et Jonathas (Gesamtaufnahme); Messe pour les trepasses; Motet pour les trepasses; Miserere des Jesuites; Te Deum; Salve Regina; Tenebrae factae sunt; In Nativitatem Domini canticum; Le Jugement dernier; Beatus vir; Extremum Dei Judicium +Bendetto Marcello: 7 Psalmen „L’Estro poetico-armonico“ +Johann Christian Bach: Cembalokonzerte op. 7 Nr. 1-4 +Francesco Cavallí: Ercole amante (Gesamtaufnahme) +

Und zum Schluss natürlich noch einmal Eric Tappy, hier 1965 in „La finta giardinera“mit Teresa Stich-Randall am Théâtre de Champs-Elysées in Paris (aus dem Buch „Tappy l´enchanteur“ von Myriam Meuwly bei Edition Favre

Georg Friedrich Händel: Der Messias (in der Bearbeitung von Wolfgang Amadeus Mozart); Muzio Scevola-Ouvertüre; , Orchesterstücke aus Rodrigo; Orchesterstücke aus Il Pastor fido; Silla-Ouvertüre +Henry Purcell: Dido and Aeneas (Gesamtaufnahme) +La Chanson et la Danse (Paris 1540) – Werke von Clement Janequin, Tilman Susato, Pierre Attaignant, Jacotin, Adrian Le Roy, Pierre Passereau, Josquin Desprez, Claudin de Sermisy, Adrian Petit Colico, Pierre Sandrin, Pierre Phalese, Pierre Certon +La Chanson de Lausanne – Le Crieur public; Le Chant du Paysan; Te Voici Vigneron; Au Petit Jardin +Chansons et Madrigaux de la Renaissance avec leur Double orne par Bassano; Künstler: Colette Alliot-Lugaz, Teresa Berganza, Margaret Marshall, Sandrine Piau, Barbara Schlick, Felicity Palmer, Wally Staempfli, Rachel Yakar, Bernarda Fink, Alicia Nafe, Birgit Finnilä, Helen Watts, Paul Esswood, Rene Jacobs, Kurt Equiluz, Anthony Rolfe Johnson, Philippe Huttenlocher, Gino Quilico, Jose van Dam, Ruud van der Meer, Maria Joao Pires, Ensemble Vocal de Lausanne, Maitrise de l’Opera National de Lyon, Ensemble Instrumental de Lausanne, Gulbenkian Orchestra, Orchestre de l’Opera National de Lyon, Drottningholm Baroque Ensemble, Michel Corboz Label: Erato, ADD/DDD, 1964-1996: Warner Erato 01902962167463 74 CDs ; (erschienen 2022)

Vielseitig, temperamentvoll, subtil

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Ferenc Fricsay brannte für die Musik und verbrannte vielleicht an ihr. Fricsay war, wie Peter Sühring in einer neu erschienenen Monographie über den Dirigenten schreibt „als musikalischer Künstler ein Besessener, dessen Drang zu musizieren, Musik unter seinen Händen entstehen zu lassen, unersättlich war.“ Das berichten auch die ihn kannten und Musiker, die mit ihm arbeiteten. In den penibel vorbereiteten Proben rasch und zielstrebig voranschreitend, unerbittlich in seinen Forderungen –dabei gelegentlich auch ungerecht und unangenehm gegenüber den Musikern. Er war aber alles Andere als ein eitler Musik- oder gar Selbstdarsteller. „Er hatte die Vorstellung, dass man die Musik erschaffe, indem man als Dirigent – wie ein werkbezogener Doppelgänger des Komponisten – die Musiker des Orchesters dazu inspiriert, ihre jeweilige Stimme im Sinne der Partitur und des in ihr vorgestellten Gesamtklangs zu spielen, sofern dieser aus den Noten erkennbar sei“ (Sühring, S. 21, dazu die Besprechung des Buches s. unten)

Fricsay selbst betonte, dem Dirigenten stünden im Konzert „sein Gesichtsausdruck, seine Hände, sein Dirigentenstab, außerdem die mit diesen Mitteln ausgeführten Bewegungen und schließlich die Fähigkeit zum Führen … kurz Suggestion zur Verfügung. Und weiter: „Das Hauptziel ist, dass der Dirigent die in den Proben gegebenen Anweisungen bei den Musikern wieder wachruft und diese noch womöglich mit neuen Gedanken erweitert, ohne dass er damit den musikalischen Ablauf mit unpassenden Bemerkungen stört oder die Leitung des Orchesters hemmt.“ Fricsay war sogar der Auffassung, ein guter Dirigent spiele „das ganze Werk als Pantomime dem Orchester und auch dem Publikum vor, doch ständig etwas früher, als das Orchester es zum Klingen bringt, denn die Verzögerung zwischen der Wahrnehmung und der Ausführung darf nicht außer Acht gelassen werden“ (zit. nach Sühring, S. 21 f.). Wie er selbst dieses Ideal umsetzte, kann man anhand von Probenausschnitten auf einer CD und einer DVD verfolgen. Wie minuziös und detailliert Fricsay probte, verrät der (akustische) Mitschnitt einer Probe von Smetanas Moldau mit dem Symphonieorchester des Süddeutschen Rundfunks. Allerdings zeigt die anschließende Aufführung doch, dass die Musiker eher über ein Kurzzeitgedächtnis verfügen. Denn manches klingt eben nicht ganz so, wie vorher geprobt und wie der Dirigent es eigentlich wollte.

Fricsay mag dem heutigen Musikpublikum nur noch bedingt in Erinnerung sein. Bis zu seinem frühen Tod war er vor allem in Berlin zu erleben. Hier hatte er mit dem RIAS- und späteren Radio-Symphonie-Orchester (heute Deutsches Symphonie-Orchester) seine wohl künstlerisch bedeutendste Heimat gefunden. Die Deutsche Grammophon-Gesellschaft versicherte sich schon 1949 des jungen, talentierten Dirigenten, der nicht nur als Chefdirigent des RSO Berlin sondern auch als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin das Musikleben der Stadt stark prägte. Die meisten Aufnahmen dieser 86-CD-Box entstanden mit dem RSO Berlin. Außerdem ging Fricsay mit den Berliner Philharmonikern, den Wiener Philharmonikern, dem Bayerischen Staatsorchester sowie dem Pariser Lamoureux-Orchester ins Aufnahmestudio.

Wenn der Name Fricsay fällt, dann denken viele gleich an ungarische Musik. Fricsays Repertoire war freilich breit und vielseitig. In der vorliegenden Box sind 60 Komponisten vertreten – von Bartók, Beethoven, Brahms, Mozart bis zu Verdi, Wagner und Weber. Außerdem enthält die Sammlung allein acht Operneinspielungen von Gewicht.

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Mozart war ein, wenn nicht der Schwerpunkt von Fricsays Arbeit. Das belegen allein knapp 50 Aufnahmen mit Symphonien, Klavierkonzerten, Opern, geistlichen Werken und unterschiedlich besetzter Orchestermusik. Bleibende Highlights sind dabei die Klavierkonzerte Nr. 19, 20 und 27 mit Clara Haskil und Symphonien mit dem RIAS-Orchester und den Wiener Symphonikern, wobei die Wiener Aufnahme gelungener erscheint. Neben Mozart war Bartók der wichtigste Komponist in Fricsays Repertoire, hier hat er exemplarische Einspielungen hinterlassen – man denke nur an die auch heute noch faszinierende Gesamtaufnahme der Klavierkonzerte und der Klavierrhapsodie mit seinem Landsmann Géza Anda, die durch ihre Luzidität sowie ein faszinierendes, fabelhaftes Zusammenspiel aller Beteiligten imponiert. Weitere Bartók-Höhepunkte sind das zweite Violinkonzert mit Tibor Varga, das Klavierkonzert Nr. 3 mit Monique Haas und der Operneinakter Herzog Blaubarts Burg mit Dietrich Fischer-Dieskau und Hertha Töpper. Auch die Musik des anderen großen ungarischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, Zoltán Kodály, ist bei Fricsay in besten Händen, wie anhand der Maroszeker Tänze, der Tänze aus Galánta, der Háry-János-Suite oder des Psalmus Hungaricus erfahrbar ist.

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Beim klassischen und romantischen Repertoire ging es Fricsay mehr um die Vielfalt denn um vermeintliche Vollständigkeit. Mit den Berliner Philharmonikern entstand ein fast kompletter Zyklus der BeethovenSymphonien (mit Ausnahme der Nr. 2, 4, 6): stellenweise etwas konventionell in Ton und Gangart, aber immer deutlich, sehr artikuliert, spannend, nie falsch heroisch, manchmal unerwartet drängend im Tempo. Sehr ausgewogen und zugleich voller Überraschungen spielt Annie Fischer das Dritte Klavierkonzert. Zu bewundern ist, wie Géza Anda, Wolfgang Schneiderhan und Pierre Fournier das Tripelkonzert musizieren, wie hier die Solisten miteinander und mit dem Orchester konzertieren. Symphonien von Haydn werden animiert, spannungsreich, nie behäbig oder gar zopfig musiziert. Brahms ist u. a. mit dem Zweiten Klavierkonzert (G. Anda), dem Konzert für Violine und Violoncello (W. Schneiderhan, Janos Starker) in beseelten und leidenschaftlichen Interpretationen vertreten.

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Die wichtigsten Opern-Dokumente sind die Aufnahmen von Mozarts Entführung aus dem Serail, Die Zauberflöte, Don Giovanni, Le nozze di Figaro mit den bedeutenden und bewährten Sängerinnen und Sängern der Zeit (wie Ernst Haefliger, Maria Stader, Josef Greindl, Dietrich Fischer-Dieskau, Sena Jurinac, Irmgard Seefried), dem fabelhaften RIAS-Kammerchor und dem RSO Berlin. Mozarts Idomeneo entstand 1961 mit Waldemar Kmennt, Ernst Haefliger, Elisabeth Grümmer, Pilar Lorengar u.a., dem Chor der Wiener Staatsoper und den Wiener Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen. Insbesondere der Berliner Don Giovanni mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelrolle, Karl Christian Kohn als Leporello, Sena Jurinac als Donna Anna und Maria Stader als Donna Elvira ist nach wie vor eine mitreißende Referenzaufnahme. 1956 entstand Glucks Orpheus und Eurydike mit Dietrich Fischer-Dieskau und Maria Stader als Protagonisten, 1952 wurde in Berlin Wagners Der fliegende Holländer mit Josef Metternich, Josef Greindl, Annelies Kupper, Wolfgang Windgassen u. a. eingespielt. Beethovens Fidelio nahm Fricsay 1957 in München mit Leonie Rysanek, Ernst Haefliger, Dietrich Fischer-Dieskau u. a sowie dem Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper auf. Bei den Vokal– bzw. Chorwerken reicht die Spannweite von Mozarts Requiem und Großer Messe c-Moll, Haydns Jahreszeiten über Rossinis Stabat Mater und Verdis Messa da Requiem bis zu Kodálys Psalmus Hungaricus und Strawinskys Oratorium Oedipus Rex.

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Manche Werke sind in zwei Einspielungen vertreten – mit dem gleichen oder verschiedenen Orchester/n. Die Wahl für die eine oder andere Aufnahme ist weitestgehend subjektiv. Auffällig ist indes, dass ein Fortschritt in der Aufnahmetechnik (wie der Wechsel von Mono zu Stereo) kein qualitativer Sprung sein muss. Bedeutender scheint mir, dass Fricsay in seinen frühen Interpretationen vielfach raschere Tempi wählte, mit mehr Temperament und Leidenschaft musizieren ließ. Beispielhaft: Die Aufnahme der Neunten Symphonie von Dvořák mit den Berliner Philharmonikern imponiert auch heute noch, doch ungleich drängender, packender, feuriger und auch (in Mono!) klanglich direkter ist die Einspielung mit dem RIAS-Symphonieorchester. Auch Tschaikowskys Sechste Symphonie wurde zweimal aufgenommen. Die frühere (Mono-) Einspielung mit den Berliner Philharmonikern ist interessanter, zügiger in den Tempi, spannender als die spätere (stereophone) mit dem RIAS-Orchester, die mir konventioneller und spannungsärmer erscheint. Verdis Messa da Requiem (großenteils ähnlich besetzt) ist in der Aufnahme von 1953 drängender, eindringlicher, nicht über-dramatisch, klanglich gelungener als die Produktion von 1960, die stellenweise zu getragen ist und dadurch an Spannung verliert, aber andererseits auch sehr feine pianissimi bietet.

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Die Edition erinnert erfreulicherweise auch an seinerzeit bedeutende Interpretinnen und ihre männlichen Kollegen. An erster Stelle ist die ziemlich in Vergessenheit geratene schweizerische Pianistin Margrit Weber (1924-2001) zu nennen, deren Karriere 1955 begann, als Fricsay sie in Winterthur kennenlernte und gleich von ihrem Klavierspiel beeindruckt war. Er lud sie zu Konzerten ein und nahm mit ihr eine Reihe konzertanter Kompositionen auf: de Fallas „Nächte in spanischen Gärten“, Rachmaninows Paganini-Rhapsodie, seltener gespielte Werke wie die Concertinos von Francaix und Honegger, die reizvollen Bagatellen von Alexander Tscherepnin, nicht zu vergessen die Strauss’sche Burleske und die spröden Mouvements von Strawinsky. Die Geigerinnen Johanna Martzy und Erica Morini sind mit den Konzerten von Dvorák bzw. Bruch und Glasunow zu erleben. Sie spielen diese Werke virtuos, schlank, gefühlvoll, aber nicht sentimental und werden vom RSO subtil begleitet. Mit Wolfgang Schneiderhan erlebt man Mendelssohns Violinkonzert e-Moll ebenfalls schlank, frei von Schnörkeln, ohne jedes Auftrumpfen, immer gut eingebettet in den Orchesterklang.

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Von den Komponisten des 20. Jahrhunderts lagen Fricsay – wenn man das an seinen Aufnahmen misst – besonders Boris Blacher, Rolf Liebermann, Gottfried von Einem, Werner Egk, aber auch Hans Werner Henze und die schon als Klassiker zählenden Igor Strawinsky, Paul Hindemith, Karl Amadeus Hartmann – außerdem Frank Martin, dessen apart besetzte Petite symphonie concertante schon dank der vortrefflichen Solistinnen Irmgard Helmis (Cembalo), Gerty Herzog (Klavier), Sylvia Kind (Harfe) eine der wertvollsten und schönen Einspielungen mit dem RIAS-Symphonie-Orchester ist.

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Fricsay beherrscht als gebürtiger Ungar auch die „leichte“ Musik, war mit dem Idiom Österreich-Ungarns bestens vertraut, konnte den Orchestern, mit denen er arbeitete, sogar eine gewisse Walzerseligkeit abgewinnen. Mit Peter Anders, Anny Schlemm und weiteren Solisten, dem RIAS-Orchester und RIAS-Kammerchor stellte er eine respektable Fledermaus auf die Beine. Lange vor anderen Dirigenten interpretierte er die Symphonien von Tschaikowsky schlank, unsentimental, ohne Pathos, sehr temperamentvoll. Er setzte sich auch für den russischen Komponisten Reinhold Glière ein, dessen Dritte Symphonie „Ilja Murometz“, eher ein grandioses Orchesterpoem denn eine herkömmliche Symphonie ist. Nicht zuletzt nahm er sich auch der „kleineren“ Orchesterwerke der Klassik und Romantik an, widmete diesen die gleiche Sorgfalt in der Aufführung und Inszenierung wie den „großen“ Werken des Repertoires.

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Der Autor unseres Artikels zu Ferenc Fricsay, Helge Grünewald: Jahrgang 1947, studierte in Berlin Politikwissenschaft, Soziologie und Musikwissenschaft. Seit 1973 als Musikjournalist tätig. Arbeit für verschiedene Rundfunkanstalten (SFB, DeutschlandRadio), Orchester (Radio-Symphonie-Orchester Berlin, Berliner Philharmoniker), die Berliner Festspiele, Zeitschriften (FONO FORUM, Klassik heute), Zeitungen sowie Schallplattenfirmen. Von 1989 bis 2006 Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Philharmoniker, danach bis 2016 Dramaturg mit Zuständigkeit für Ausstellungen, das Archiv des Orchesters, die Herausgabe historischer Aufnahmen sowie die von ihm initiierte Filmreihe »Musik bewegt Bilder«. Seit 2016 ist er Präsident der Wilhelm-Furtwängler-Gesellschaft, seit 2011 Juror beim PdSK/ Foto Ines Grabner

Zur Edition gibt es ein stattliches, informatives Begleitbuch mit vielen Abbildungen. Ausgesprochen ärgerlich ist allerdings die Gewohnheit, die CDs bei solchen „Complete“-Editionen in den miniaturisierten Hüllen der Originalausgaben zu präsentieren. Doch leider finden sich zu oft gar nicht Werke in der Hülle, die auf dem Cover stehen. So darf die Hörerschaft dann mühsam anhand des Booklets mit seinem Verzeichnis aller CDs die Titel suchen, die sich zwar auf dem Cover, aber nicht auf der enthaltenen CD finden. Das trübt den Genuss!

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.Eine ideale Ergänzung, informative und anregende Lektüre zu der umfangreichen Edition der DG bietet das fast zeitgleich erschienene Buch von Peter Sühring: „Ferenc Fricsay – der Dirigent als Musiker“ (edition text & kritik im Richard Boorberg Verlag, München 2023). Der Autor versucht in seiner Monographie, „eine neue Sicht auf Leben und Wirken des Dirigenten zu geben“, vor allem „auf Grundlage einer Erschließung seines Nachlasses im Archiv der Akademie der Künste in Berlin“. Der 200 Seiten starke Band ist (zum Glück) keine der Musikerbiographien, wie man sie kennt.

Sühring verfolgt weniger die persönliche Biographie des Dirigenten als dessen künstlerische Entwicklung: von der Kindheit und Jugend und der musikalischen Ausbildung über die Arbeit als Kapellmeister von Militärorchestern (die auch Unterhaltungsmusik und anspruchsvolle symphonische Werke aufführten), als Dirigent des Philharmonischen Orchesters in Szeged (auch Opern) über die Tätigkeit am Budapester Opernhaus bis zum internationalen Debüt in Salzburg (1947) und der Entscheidung für Berlin als künstlerischer Mittelpunkt. Hier dirigierte Fricsay im Herbst 1948 zunächst das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester, reüssierte dann rasch an der Städtischen Oper (später Deutscher Oper Berlin). Erst danach begann seine Arbeit mit dem RIAS-Orchester.

Das Verdienst von Peter Sühring ist es, auch die Komplikationen bei Fricsays künstlerischer Arbeit in Berlin detailliert aufzuzeigen: die Schwierigkeiten, die das RIAS-Orchester hatte, seine Auflösung und Neugründung als Radio-Symphonie-Orchester Berlin, die Probleme, die Fricsay als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper und auch an der Münchner Oper hatte, weil er sich weigerte, faule Kompromisse einzugehen und seine hochgesteckten künstlerischen Ziele und Forderungen aufzugeben. Das Buch ist zugleich eine Geschichte des Musiklebens in Nachkriegsdeutschland, besonders in Berlin.

Zum Glück ist die vorliegende Monographie keine „Hagiographie“ Ferenc Fricsays. So bleibt sein persönliches Schicksal, seine Krankheitsgeschichte nicht ausgespart. Auf der einen Seite standen Verausgabung, kräftezehrende Arbeit, auf der anderen Enttäuschung über das Nichterreichen hochgesteckter Ziele. Fricsays Schwachstelle waren sein Magen und Darm, er litt an psychisch bedingten somatischen Störungen und Krankheiten, die letztendlich zu seinem frühen Tod führten. Nach Jahren, in denen die Krankheit immer wieder zuschlug, und mehreren Operationen mit zum Teil folgenden Komplikationen starb Ferenc Fricsay am 20. Februar 1963 im Alter von 48 Jahren in Basel. Die Erinnerung an ihn kommt 60 Jahre nach seinem Tod genau zur richtigen Zeit. Helge Grünewald

Vatroslav Lisinskis „Porin“

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Nationalopern: Wir bei operalounge.de sind ja stets bemüht, mit unseren Nachbarn in Ost wie West im kulturellen Austausch zu sein und machen deshalb auf Vergessene Opern aufmerksam, die bei ihnen so etwas wie ein Nationales Erbe sind. Das haben wir mit Opern von Ivan Zajc (mein großer Favorit) oder Viktor Palma gemacht, mit dem Yiddish Theatre in New York, mit Opern von Gomes ebenso wie Tschukadian, Samara, Carrer oder Erkel, Nowowiejski oder Balfe. Der Name Vatroslav Lisinski ist sicher nicht jedem im Westen bekannt, aber Fans der großen kroatischen Sopranistin Sena Jurinac werden sich vielleicht daran erinnern, dass sie – jung und unbekannt, aber damals schon eine Beautée – 1944 im kroatischen Spielfilm Lisinski über den Komponisten mitwirkte und mit ihren aller ersten Tondokumenten zu erleben ist. Inzwischen gibt es den alten Film bestens restauriert bei youtube zu sehen, ein anrührendes Dokument.

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Vatroslav Llisinski/OBA

Mit der Uraufführung der Oper Porin von Vatroslav Lisinski, die als einer der Höhepunkte der kroatischen nationalen Wiedergeburt gilt, im Zagreber Stanković-Theater 1897, waren die Kroaten nach den Deutschen, Polen, Balten und Russen eine weitere Nation in Europa, die eine Nationaloper erhielt.

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Die Geburtsstunde der ersten zeitgenössischen Oper in kroatischer Sprache, und noch vor Ivan Zajc,  ereignete sich in einer Stadt , die damals etwa fünfzehntausend Einwohner hatte, und das Theater des Unternehmers Stanković am Ende der damaligen Gospodska-Straße in Gornje Grad bot 750 Zuschauern Platz.

Am 200. Geburtstag von Vatroslav Lisinski (getauft als Ignaz Fuchs 8. Juli 1819 in Zagreb; † 31. Mai 1854 ebenda) fand am 28. März 2019  eine konzertante Aufführung der im Konzertsaal Vatroslav Lisinski seine Oper Porin in Gänze am Zagreber Nationaltheater statt, nachdem es nur wenige Tondokumente vorher gab (1944, 1958 und 1980, davon nachstehend mehr). Das beschwingte Thema der Ouvertüre ist  dank der Erkennungsmusik des gleichnamigen kroatischen Musikpreises in Kroatien sehr populär, doch die Oper bietet viel mehr, vielleicht das Beste, was Lisinski in seinem kurzen Leben zu schreiben vermochte. Die Oper, die von einem Ereignis aus der frühen Geschichte der Kroaten in Dalmatien inspiriert ist, als sie gegen die fränkische Besatzung rebellierten, ist geprägt von beeindruckenden Arien, Romanzen, Chören und einer stilistischen Dualität, die die Konfliktparteien stark hervorhebt. Der größte Teil entstand während der Ausbildung des Komponisten in Prag; Lisinski vollendete den Rest nach seiner Rückkehr nach Zagreb, fünf Jahre nach Liebe und Bosheit, seiner ersten Oper, im Jahr 1851. Allerdings erlebte er die Premiere nicht. Seine romantische Oper in fünf Akten wurde erst 43 Jahre nach seinem Tod uraufgeführt.

Lisinskis „Porin“: Sena Jurinac als Gräfin Sidonia Erdoedy/Rubio-Film

Vatroslav Lisinski gilt als als Mitbegründer der Illyrischen Bewegung, der Rückbesinnung auf kroatisches Kulturerbe. Sie entstand als Antwort auf Repressionen seitens des bedrängenden Ungarn. Angeregt von der Illyrischen (i. e. nationalistischen) Bewegung kroatisierte er seinen Namen. Er studierte in Zagreb (Agram) Philosophie (1837–40) und Jus (1840–42) und nahm privaten Musikunterricht (bis 1837 bei Juraj Sojka und bis 1847 bei Georg [Juraj] Karl Wisner von Morgenstern). Er übersiedelte nach Prag, wo er aber für das Konservatorium bereits zu alt war und 1847–50 weiterhin privat studierte (bei K. Fr. Pitsch und Johann Friedrich Kittl). 1842–47 hatte L. einen unbezahlten Posten als Beamter, 1850–52 als unbezahlter Organisator, Dirigent und Mitglied eines Komitees, das die neuen Statuten des Zagreber Musikvereins vorbereitete. Da er von Klavierunterricht und gelegentlichen Zuwendungen nicht leben konnte, gab er das Komponieren auf und wurde 1852 fester Beamter. Seine Werke im Stil der Frühromantik erinnern an tschechische und kroatische Volksmusik.  (Österreichisches Musiklexikon)

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Das Libretto der Oper Porin wurde von einem Ereignis aus der frühen Geschichte der Kroaten in Dalmatien inspiriert, das von Konstantin Porphyrogenet (De administrando imperio) im 10. Jahrhundert aufgezeichnet wurde, als unter der Führung von Kiez Porinus (in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts) die Kroaten sich gegen die grausame fränkische Regierung und ihre Führung auflehnten. Der Anführer/Stammesfürst Kocelin befreite sich von diesem Joch und ließ sich taufen.

Linsinskis „Porin“/ Szene aus der Aufführung in Ossijek/OBA

Die Vorlage wurde von Josip Car nach der Idee von Albert Ognjan Štriga verfasst und anschließend von Dimitrija Demeter, der stets als Autor des Librettos genannt wird, überarbeitet. Die Instrumentierung wurde von J. K. Wisner Morgenstern, Lisinskis Musiklehrer, angepasst.

Dimitrija Demeter  modifizierte die historischen Daten und fügte – wie üblich – der Geschichte von Porfirogenet eine Liebesgeschichte hinzu. Den vorliegenden Unterlagen zufolge schickte Demeter das Libretto mehrfach an Lisinski nach Prag, so dass er zum Zeitpunkt der Komposition des ersten Teils keinen Einblick in die gesamte Handlung hatte, und hier sehen einige Theoretiker die Ursachen dafür dramaturgische Mängel dieser Oper.

Wie ihre Vorgängerin ist also auch Porin, und damit die vorhergehende kroatische Oper, das Produkt eines jüdischen Komponisten und eines griechischen Dichters, also eigentlich gar nicht kroatisch, zumindest nicht ethnisch. In Anbetracht der Tatsache, dass das Werk eine Hommage an Meyerbeer sein soll, ist es schwer zu sagen, ob das fertige Produkt nicht tatsächlich eher ein Beispiel für jüdische als für kroatische Kunst ist.

Porin sollte das kroatische Äquivalent zu einer großen Meyerbeer-Oper sein, hatte aber nie wirklich eine Chance, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, da es erst Jahrzehnte nach dem Tod des Komponisten uraufgeführt wurde und sein Stil zu diesem Zeitpunkt bereits veraltet war.

Lisinskis „Porin“: Aufführung der Oper Porin , HNK Zagreb, 1949 Abteilung für Geschichte des kroatischen Theaters HAZU, Theatersammlung, Porin 1949

Dazu die Musikwisenschaftlerin  Vjera Katalinic: „In Bezug auf die Oper Liebe und Bosheit zeigt Porin den Fortschritt des Komponisten bei der Beherrschung musikalischer und technischer Fähigkeiten, bei der dramaturgischen Entwicklung der Charaktere und des Chors sowie bei der Wahrnehmung des Nationalen. Dennoch ist der in einem solchen Werk zu erwartende unvermeidliche Widerstand von Kroaten und Franken durch die Abschwächung der negativen Eigenschaften des Feindes erheblich geschwächt: Der Hauptschurke ist hier zwar Kocelin, aber am Ende vergibt er auch seiner Schwester und bereut; Irmengarda schenkt Zorka großzügig ihr Leben, und ihr Geliebter Soma opfert sich. Und selbst das Volk freut sich nicht über den Sieg über die Franken, sondern deren Niederlage tut ihm leid. Verwirklicht wird dies nach dem Prinzip des Stildualismus zwischen dem virtuosen, konzertanten Schwung in den französisch orientierten Teilen (besonders in den anspruchsvollen Partien von Irmengarde). ) einerseits und andererseits durch die naive Einfachheit der Melodie und Phrasierung, die gelegentlich dem Folklore-Idiom nahesteht. Dies alles ergänzt durch eine raffinierte Instrumentierung, wobei Sveslavs Arie im Kerker „Strogi“/„Vater im Himmel“ bemerkenswert ist., auch der lyrisch transparente und archaische Refrain von „Hrvatica“ „Alles ist weiß“ mit Reminiszenzen an die Modalität und auch  Porins lyrische Romanze „Zorko moja“.

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Lisinskis „Porin“: Josip Gostic sang 1958 die Titelrolle und ist zugleich auf der einzigen Aufnahme der Oper vertreten/Wikipedia

Die Handlung ist der frühen kroatischen Nationalgeschichte entnommen. Das fränkisch besetzte Kroatien, irgendwann zwischen 823 und 830 n. Chr. Die Story dreht sich um Kocelin (Bariton), den fränkischen Statthalter von Kroatien, und seine ältere Schwester Irmengarda (Sopran), die in unerwiderter Liebe zu dem kroatischen Adligen Porin (Tenor) lebt, der wiederum in die kroatische Prinzessin Zorka (Sopran) verliebt ist, die Tochter des kürzlich verstorbenen Fürsten Ljudevit Posavski und Enkelin des alten Sveslav (Bass). Als Kocelin versucht, die kroatischen Adligen zu täuschen, indem er sie zu einem Fest einlädt, bei dem er sie alle ermorden will, um sich all ihre Ländereien anzueignen, warnt Irmengarda ihren geliebten Porin vor dem Komplott, und keiner der Adligen erscheint zu dem Fest. Sveslav und Zorka werden verhaftet und eingekerkert, doch Irmengarda befreit Zorka. Am Ende versucht Irmengarda, ihren im Sterben liegenden Bruder zu trösten, der sie verflucht, weil sie das Komplott gegen die Kroaten aufgedeckt hat. Porin besiegt die Franken, wird mit Zorka wieder vereint, und Irmengarda begeht aus Scham Selbstmord.

.Für eine Oper, die nach dieser Tenorrolle benannt ist, ist dies eigentlich eher eine Sopranoper. Irmengarda ist offensichtlich die Hauptfigur, oder zumindest diejenige, die die meiste Sympathie des Komponisten genießt und mit bemerkenswerter Musik versehen ist. Porin bekommt zwar zwei eindrucksvolle Arien im zweiten und dritten Akt, ist aber ansonsten dramaturgisch eine eher unbedeutende Figur. Seine Ablehnung von Irmengarda kann nur darauf zurückgeführt werden, dass er gegen die Franken  sein muss, da ihre unerwiderte Liebe das Motiv ist, was das Herz des Zuhörers mehr als alles andere in der Oper rührt.

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Seine beste Musik in der Partitur schreibt Lisinski auch für das Geschwisterduo, das die Bösewichte des Stücks sein sollen, während die heldenhaften Kroaten meist eher langweilig bleiben. Vielleicht wird der Titel dadurch gerechtfertigt, dass er von der interessanteren Figur der Irmengarda geliebt wird. Zorka ist vergleichsweise eher eine Projektion Kroatiens , eine theatralische und patriotische Idealisierung dar. Ihr Großvater ist da menschlicher, vor allem im vierten Akt mit seinem Gebet und dann in der Interaktion mit Irmengarda, bevor sie freigelassen werden. Die Idealisierung von Zorka kann das Finale des dritten Aktes (in dem Porin über ihre Gefangenschaft trauert) bestenfalls rührend erscheinen lassen.

Lisinskis „Porin“: P. Grba als Kocelin 1958/Barbieri

Lisinski versucht sicherlich, die Szenerie als große Oper darzustellen, mit Balletten, großen Chorszenen, symphonischen Schlachten, während er gleichzeitig die intime Zeichnung von mindestens vier der Figuren beibehält. . . (Phil).

Leider wurde Porin nicht zu Lebzeiten des Komponisten uraufgeführt, sondern fast ein halbes Jahrhundert später. Lisinski starb 1854. Als Ivan Zajc 1870 die Kroatische Oper gründete, nahm er sie nicht in das Repertoire auf, verfügte aber über zwei zukünftige Welt-Operngrößen – den Tenor Ivan Denegri, d. h. Giovanni Battista De Negri und Milka Trnina… Darüber kann man nur spekulieren.

Und so heißt es auf dem Cover des Klavierauszugs: „Porin ertönte  zum ersten Mal im Kroatischen Landestheater für den Intendanten Stj. pl. Miletić am 2. Oktober 1897, und Herr Vulaković sang Kocelina; Frau Brückl Irmengard; Porina Herr Cammarot; ein großes Lob an Herrn Aschenbrenner; Frau Zorka Matoušek; Clotilda Fräulein Glivarec und Klodviga Herr Zvonimir Freudenreich. Die Oper wurde vom Operndirektor, Herrn Nikola pl., geleitet. Faller.“  Der Erfolg war sensationell. Klaić schrieb in einer sehr ausführlichen Rezension der Uraufführung in Vijevac am 16. August 1897: „Einige nannten die Oper klassisch; wenn es diesen Namen verdienen würde, dann wegen der völlig korrekten und schönen Harmonisierung, des schönen und regelmäßigen Flusses einzelner Gesangs- und Orchesterstimmen, wegen der korrekten kontrapunktischen Verarbeitung“, und fügte hinzu: „Lisinskis Instrumentierung ist vollkommen richtig, und auch wenn es nicht so großartig ist, wie das moderne Orchester es kennt, so ist es doch immer charakteristisch, ansehnlich, schön – und niemals leer oder eintönig.“  .

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Lisinskis „Porin: Joseip Krizaj/Barbieri

Personen/Partien in der Oper: Die Figur des Porin wurde für den Sänger Franjo Stazić geschrieben, der mit seinen späteren Erfolgen, besonders in den Opern von Meyerbeer, eindrucksvoll seine Eignung dafür demonstrierte. Allerdings war die Rolle eigentlich für einen dramatischen Tenor gedacht, seine beiden Arien sind jedoch von lyrischem Charakter. In Porin verwendete Lisinski eine wichtige Neuheit – das Leitmotiv von Porin, das am deutlichsten in der beliebtesten Passage der Oper, der vielleicht berühmtesten Arie im kroatischen Opernrepertoire, zum Ausdruck kommt – dem Dumki Porins aus dem dritten Akt „Zorko moja , Zorko mila“. Mit dezenter Chorbegleitung und Rezitativ, in dem der junge Held seinem Schmerz Luft macht, ist die Arie in einer harmonischen Verflechtung von Liebesgefühlen zu seiner Geliebten und dem Bewusstsein seiner Kampfmission komponiert. Hier reift Porin als heroischer Charakter heran, und Lisinski bestätigt sich als sehr talentierter Komponist. Selbst der frühe Verdi oder Bellini hätten sich dieser Romanze nicht geschäm! Und während Lisinski mit seiner Ljubica in Ljubava i zlobi größtenteils die Tradition der für den lyrischen Sopran komponierten Figuren fortsetzt, ist es mit Zorka in Porin ist grundlegend anders. Zorka ist die Figur einer jungen Kriegerin, eines Mädchens, das die Freiheit seines eigenen Volkes liebt, aber vor allem dafür kämpft, und den Tod ihres Vaters Ljudevit Posavski rächen will. Ihre Klage zeichnet sich durch melodische Schönheit und Ausdruckskraft aus, sie enthält Trauer und Sehnsucht nach verlorener Freiheit. Die Sehnsucht nach Freiheit wird Zorka in einer brillanten, im Rhythmus der Polonaise geschriebenen, Arie zum Ausdruck bringen, die ihre Figur am besten in das slawische Umfeld einordnet, das dem fränkischen (französischen) in der Oper gegenübergestellt werden sollte. Zorka wird zur treibenden Hauptfigur, sie entwickelt sich logisch, sie ist mutig, unternehmungslustig, bereit, für ihre Liebe zu sterben, am Ende aber auch, sich mit ihrer Rivalin zu verbrüdern. Und es war die Entwicklung ihrer Figur, in der Demeter und Lisinski ihre beste dramatische Leistung zeigten. Der frühe Verdi hat in der europäischen Opernliteratur normalerweise eine solche weibliche Figur, aber er vertraut sie einer dramatischen Sopranistin mit Koloratur an, und die Sublimierung des Charakters der Kriegerin wird Wagner in ihrer Brünnhilde geben, einer selbstbewussten und starken dramatischen Sopranistin. Zorka ist sicherlich die vollständigste und logischste Figur.

Zu Lisinskis „Poirin“/Branka Stilinović/ Foto Opernhaus Zagreb

Irmengard ist schwer zu bestimmen. In ihrer Liebe zu Porin gibt es kein Verlangen nach Besitz, in ihrer Liebe zu ihrem Bruder nimmt sie die ganze Schuld auf sich, in ihrer Beziehung zu ihrem Rivalen gibt es keinen Hass, aber ihre Versuchung ist eine weitere Bestätigung ihrer Liebe zu Porin, also ist alles nur und ausschließlich ein edler Drang. Schließlich ist ihr Tod selbst ein Opfer. Ihre Arie der Erwartungen ist voller Vornehmheit und Wärme, aufrichtiger Liebe zu Porin, sie ist harmonisch reich und enthält schwere, aber wirkungsvolle Koloraturen, die ihrem Sopran eine besondere Farbe verleihen. Auf Irmengardes Arie folgt unmittelbar ihr Duett mit Porin. Beide Charaktere zeigen ihren Adel im größtmöglichen Ausmaß – Porins tiefe Dankbarkeit dafür, dass das fränkische Mädchen ihm das Leben gerettet hat, ohne zu ahnen, dass dieses Gefühl in ihr Liebe erweckte. Obwohl sie gegensätzlichen Seiten angehören, entsteht aus ihrer melodischen  Inspiration und in der Tradition der besten frühromantischen Opernabschnitte zu keinem Zeitpunkt eine Feindschaft. Das Duett zwischen Irmengard und Kocelin, dem Bruder und der Schwester, die sein Vertrauen verraten haben, ist eine der gelungensten Passagen in Porin. Die Schönheit der Melodie verschmilzt wunderbar mit der Orchesterbegleitung mit besonders prominenten Motiven der Violinen und beide drücken die Spannung in den Beziehungen der Charaktere aus.

Mit der Darstellung der Franken steht Lisinski ganz im Sinne der europäischen, insbesondere italienischen, romantischen Oper. Obwohl wir in der Opernliteratur nicht oft eine Heldenfigur finden, die ausschließlich aus edlen Motiven gewebt ist, wie Irmengard, ist ihre musikalische Komposition Bellini, Donizetti oder Verdi am nächsten. Ihre in ihrer Unwirklichkeit schöne Erwartungsarie sowie ein ganz besonderes Duett mit Porin haben mit ihrer Mischung aus Dankbarkeit und Liebe die Reinheit italienischer frühromantischer Heldinnen. Interessant ist die Figur von Irmengards Bruder Kocelin. Durch die Entwicklung der Handlung – durch die Niederlage auf dem Schlachtfeld und die Verwundung in der ersten Szene des vierten Akts, der auch Kocelins dreiteilige Arie enthält, die an italienische Vorbilder erinnert, verwandelt er sich am Ende in einen umsichtigen Bruder der Oper. Ein mutiger und furchtloser Kämpfer vergibt seiner Schwester und stirbt zusammen mit ihr im Akt der Vergebung. Der Vater der Hauptfigur ist fast immer barsch, würdevoll und meist edel. Und er singt die vielleicht schönsten Arien.

Lisinskis „Porin“: Giuorgio Surjan sang in der Aufführung und viel auch in Deutschl
land, so an der Deutschen Oper Berlin(Surjan

Die in allen Analysen anerkannte hervorragende Passage aus der Oper Porin ist die Arie von Sveslav, der hier sogar der Großvater der Hauptheldin ist. Das Cellosolo bringt eine wehmütige Melodie, die die Stimmung von Sveslav und seiner Enkelin Zorka im Kerker zeigt. Sein von Bratsche und Cello begleitetes Gebet trifft den Kern seiner Persönlichkeit und zeigt Lisinski als Spitzenmeister, als Maler der Atmosphäre und des psychologischen Zustands einer Figur. Und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass vor dreißig Jahren ein erfahrener italienischer Musikkenner, als er diese Arie mit unserem Giorgio Surjan an der Scala vorbereitete, von ihrer Schönheit begeistert war. „Die musikalische Atmosphäre, die sich aus diesen Beschreibungen ergibt“, schreibt der Musikwissenschaftler Županović, „ähnelt in ihren Merkmalen der Arie von Ivan Susanjin, die er im vierten Akt von Glinkas Oper Leben für den Zaren singt “.

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In Porin gibt es zwei Trios – das erste aus dem dritten Akt zwischen Irmengarde, Klodvig und Kocelin und das berühmtere aus dem vierten Akt zwischen Zorka, Irmengard und Sveslav. Während Duette in der Opernliteratur sehr verbreitet sind und die Kombinationen sehr vielfältig sind, sind Terzette deutlich seltener, aber die Stimmenkombinationen darin sind sehr interessant. Nach Sopran, Tenor und Bariton im dritten Akt verfügt Lisinski im vierten Akt über zwei Soprane und einen Bass. Irmengard kommt, um Zorkas Liebe zu Porin auf die Probe zu stellen, und als sie von ihrer Stärke und Standhaftigkeit überzeugt ist, lässt sie das Mädchen und ihren Vater frei. Etwas heterogen im Inhalt, mit einem etwas wenig überzeugenden Anfang, gewinnt das Trio im zweiten Teil mit der Leitmelodie von Zorka, aufgebaut auf dem Motiv von Porin, die Kraft des spontanen Ausdrucks und bestimmt dramaturgisch die Handlung: Zorka gesellt sich zu Porin. Irmengard ist ihrer Welt fremd.

Polyphone Formen sind weder in der slawischen Musik noch in der europäischen Opernmusik im Allgemeinen besonders verbreitet. Quartette sind recht häufig, Quintette, Sextette und Septette kommen jedoch nur gelegentlich vor. Umso überraschender ist es, dass ein Komponist ohne Opernerfahrung bereits in seiner ersten Oper ein Quintett komponiert. In Porin gibt es kein Quartett, kein Quintett, kein Sextett, dafür aber ein Septett, mit dem die Oper endet. Der Chor nimmt daran teil, die Solisten stehen jedoch im Vordergrund. Gegen ein solches Ende der Heldenoper gab es Einwände, die im ideologischen Sinne akzeptiert werden konnten, so dass Mladen Bašić in seiner Adaption von 1954 die Oper mit „Davorija“ beendete, einem absoluten Rausschmeißer. Aber musikalisch gehört dieses Septett zu Lisinskis schönsten Schaffensmomenten. Es zeigt ihn als Meister einer recht komplexen Gesangsform – denn Septette sind in der Oper sehr selten – was wiederum seine Subtilität beim Zeichnen bestätigt die psychologischen Zustände der Charaktere, eine „ideale Synthese aus technischem Ausdruck und unmittelbarer Inspiration“.

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Niksa Bareza dirigierte „Porin“ mehrfach/Nationaltheater Zagreb

Nicht vergessen soll man den Chor der kroatischen Frauen, der sich mit der größten Opernkomponistin der Welt messen konnte, insbesondere aus der Romantik, also praktisch aus dem 19. Jahrhundert. Allein die Idee, dass der Gesang des versklavten Volkes nur durch Frauenstimmen zum Ausdruck gebracht wird, verdient Aufmerksamkeit. Lisinski orientierte sich dieses Mal an den Versen von Demeter und bereicherte sie mit einer warmen Melodie, der Frucht der originellsten Inspiration mit einer raffinierten Atmosphäre typisch kroatischer Melos. Der Atmosphäre nach behält das versklavte Volk den Glauben an die Freiheit, die eines Tages kommen muss, und aufgrund seiner Einfachheit, die die größte und elementarste Wirkung hat, könnte dieser Chor der Kroaten aus Porin dem berühmten Chor der versklavten Juden von Verdi am nächsten kommen, aus seinem 1842 uraufgeführten Nabucco? Es gibt keine Hinweise darauf, dass Lisinski ihn kannte! Der letzte Akt zeigt Passagen, die für jede Oper sehr charakteristisch sind. Sehr oft, insbesondere in Opern mit historischem Inhalt, aber auch in anderen, ist das gesamte Ensemble daran beteiligt, und sie haben Konzertcharakter mit einer Harmonie der Stimmen in einem wunderschönen melodischen Bogen.  Erst ein Aufruf zum Kampf, Heimlichkeit und Ungewissheit, Ungeduld und der feste Entschluss, das Finale zu beginnen, dann das Trio des Protagonisten mit einer lyrischen und raffinierten Atmosphäre unter Verwendung polyphoner Technik und schließlich das homophone Allegro mit dem Text „Wer zu sterben weiß, ist frei“ und der Höhepunkt mit dem Leitgedanken der gesamten Oper „Ja, Freiheit oder das Grab, tot ist besser als ein Sklave.“

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Zu Lisinskis „Porin“: Aufführung der Oper Porin , HNK Zagreb, 1949 Abteilung für Geschichte des kroatischen Theaters HAZU, Theatersammlung, Porin 1949

Porins Partitur zeigt zum Besten, wie viel musikalisches Wissen Lisinski in Prag erworben hat. „Liebe und Bosheit“ war ein talentierter Versuch, Porins die vollendete Oper, die gleichrangig neben der europäischen Opernproduktion der Zeit steht (mit Ausnahme der Großen Verdi und Wagner). Einen schöneren Frauenchor als den Hrvatica-Chor lässt sich in der gesamten slawischen (und nicht nur slawischen!) Opernliteratur kaum finden, und die Arie des Sveslav mit ihrer besonderen Instrumentalbegleitung dürfte zu den schönsten Bassarien überhaupt gehören. Das Finale des zweiten Akts findet sich in jeder großen Oper. Die beiden Tenor-Arien aus dieser Zeit stehen ähnlichen nicht weit hinterher, Zorkas Polonaise ist eine gekonnt komponierte Virtuosenarie, die Ensembles sind meisterhaft konzipiert und die Verwendung des Leitmotivs sowie die sehr seltene Form des Septetts mit Chor sowie die gut ausgebaute Ouvertüre und das Gespür für die Dramatik der Musikszene zeigen Lisinski als einen überaus begabten und guten frühromantischen Opernkomponisten, dem es gelang, die Schönheit des Belcanto mit slawischer Wärme zu verbinden. Er blieb sein eigener und erkennbarer Komponist, tief verwoben mit dem kroatischen Nationalwesen, ein wahrer Vertreter des kroatischen nationalen musikalischen Ausdrucks. In formaler Hinsicht respektierte er die Tradition der großen Oper mit fünf Akten und dem ersten Höhepunkt am Ende des zweiten Akts, er widersetzte sich aber auch dieser Tradition, da er kein Ballett- Divertissement einführte.

.Und man kommt nicht umhin, sich  zum x-ten Mal erneut zu fragen: Wo wäre die kroatische Musik, insbesondere die Oper, wenn Porin in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgeführt worden wäre und nicht erst Ende des 19. Jahrhunderts!

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Verbreitung/Dokumente: Porin etablierte sich fest im Repertoire der Zagreber Oper, erlebte aber auch verschiedene Veränderungen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde es mehrmals überarbeitet, wurde von den größten kroatischen Künstlern dirigiert und inszeniert und die sehr schwierige Titelrolle wurde von größten Tenören Kroatiens gesungen. Nikola Faller (1862-1938) kürzte die Oper für die Uraufführung, „verzichtete auf unnötige Verzierungen und Wiederholungen“, wie Vjekoslav Klaić schreibt, und entfernte das erste Bild des vierten Akts – die große dramatische Szene von Kocelin. Er trat in der Saison vierzehn Mal auf. Der glänzendste Auftritt fand am 23. Oktober 1897 statt, als der 50. Jahrestag der Einführung des Kroatischen als Amtssprache gefeiert wurde.

Lisinskis „Porin“: Natürlich noch einmal die wunderbare Sena Jurinac im Film „Lisinski“ 1944/Rubio

Nach der posthumen Premiere 1897 gab es noch weitere Aufführungen von Porin, so anlässlich des 60. Todestages von Lisinski 1914, dann anlässlich der Hundertjahrfeier der Eröffnung des Theaters am Markovo  Platz am 4. Oktober, 1934. Die Oper wurde nie vollständig aufgenommen, stattdessen wurden zweimal verschiedene Ausschnitte veröffentlicht (u. a. ca. 58 Minuten mit Ausschnitten aus den Akten 3, 4 und 5, aufgenommen 1980, und 52 Minuten mit Ausschnitten aus allen fünf Akten, aufgenommen 1958), darunter weniger als eine Stunde der Musik, sowie eine jugoslawische Verfilmung von 1967, die mit anderthalb Stunden Länge zumindest die gesamte Handlung der Oper wiedergibt.

Zu den Höhepunkten der Yugoton-LP-Aufnahme von 1958 (die inzwischen zur 200. Jahrfeier wieder als CD bei Croatia erschien) gehören die Ouvertüre, die Einleitung zum ersten Akt, die Arie für Irmengarda im ersten Akt und ihr Duett mit Porin, der Eröffnungschor der kroatischen Frauen und das Finale des zweiten Akts, das Finale des dritten Akts mit der Arie für Porin, die Gefängnisarie für Sveslav im vierten Akt und die Chor-Tanz-Schlussnummer im fünften Akt.

Die TV-Höhepunkte von 1980 stammen ausschließlich aus den letzten drei Akten, darunter das Duett zwischen Irmengarda und Kocelin, die Arie und das Finale für Porin im dritten Akt, die symphonische Schlacht in der ersten Szene des vierten Akts sowie die Arie für Sveslav und das Trio mit den beiden Frauen in der folgenden Szene, gefolgt von einer etwas längeren Wiedergabe des fünften Akts (mit dem, was am Ende die Ouvertüre zu sein scheint, oder möglicherweise ein Ballettteil).

Im Rahmen des Zyklus des Kanconijer-Chores und des HRT-Symphonieorchesters fand am 28. März 2019 eine konzertante Aufführung von Porin im Konzertsaal Vatroslav Lisinski statt. Chor und Symphonieorchester des HRT (Pavle Dešpalj, Dirigent; Ljubomir Puškarić, Bariton; Kristina Kolar, Sopran; Stjepan Franetović, Tenor; Luciano Batinić, Bass; Evelin Novak, Sopran; Irena Parlov, Mezzosopran), das nun gibt es nur akustisch bei youtube.

2016 führte das Nationaltheater Ossijek die Oper komplett auf (Dalibor Hanzalek, Tamara Franetović Felbinger, Domagoj Dorotić, Marijana Prohaska, Dirigent Mladen Tutavac).

Im Juli 2015 gab es eine Aufführung in der Vatroslav-Lisinski-Konzerthalle in Zagreb, diese wurde im TV-Studio aufgezeichnet mit dem Chor des Kroatischen Rundfunks und dem  Symphonieorchester des Kroatischen Rundfunks sowie die Gesangssolisten Evelin Novak, Leon Košavić, Domagoj Dorotić und Giorgio Surian , sowie Mario Bokun und Stefano Surian in den Nebenrollen. Die Leitung hatte Mladen Tarbuk. 1968 dirigirte Niksa Bareza die Oper in Zagreb Noni Žunec, Nada Ruždjak, Franjo Petrušanec, Franjo Lovrić, Branka Stilinović), (auch dieses in grauer Gräue bei youtube).

Die Aufführung von 1958 bietet Solisten und Orchester der Oper in Zagreb. Während die orchestrale Leistung durchaus zu überzeugen weiß, sind die Sängerinnen und Sänger nicht ganz einheitlich in ihren Gestaltungsmöglichkeiten.

Dazu dieses als Tondokument Auszüge von 1958 mit Josip Gostic (Porin), Franco Lovric (Kocelin), Mirka Klaric (Irmengarda), Dragutin Bernardic (Sveslav), Mira Stor (Zorka), Chor und Orchester der Oper Zagreb, Miladen Basic, Dirigent; 1 CD Croatia Records CD 6089208; Aufnahme 1958; Neuveröffentlichung 12/2019 (53’00) Eine kritische Ausgabe der Partitur von 1919 ist in der Petrucci Library erhältlich. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge in unserer Serie Die Vergessene Oper findet sich auf dieser Serie hier.

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Marija Barbieri, kroatische Musikwissenschaftlerin und Autorin

Wie stets hat ein Artikel mit vielen Quellen fremdsprachiger (diesmal amerikanischer und kroatischer Herkunft) viele Autoren, deren Informationen zum Teil mühsam zu besorgen waren. Vor allem bin ich Marija Barbieri, der Doyenne der kroatischen Musikjournalisten, verpflichtet, deren langer Einführungstext in KLASIKA.hr, 1. Oktober 2019 mir sehr geholfen hat. Spannend ist auch der wirklich gute Text von Phil´s Opera World, der die verbleibenden Tondokumente aufdröselt. Eine Einführung bietet auch die Rezension zur Aufführung 2019 von Uwe Krusch auf der Platform Pizzicato und natürlich auch die vielen vaterländischen Einträge in Lexika und Würdigungen. Aber wieder einmal verwundert, dass es keine brauchbare CD-Ausgabe dieser National-Oper gibt, darin gleicht Kroatien eben anderen Ländern wie Griechenland oder Bulgarien. Nix nationales Erbe. Geerd Heinsen

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.Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier

Osmanische Grüße

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Als Joseph Haydns Entführung aus dem Serail galt den Zeitgenossen dessen Oper L’Incontro improvviso und war damit eines der vielen Musikwerke in orientalischem Milieu und/oder zumindest mit orientalischem Personal, die nach der Aufhebung der Belagerung der Stadt Wien durch die Türken unter Zurücklassung nicht nur eines Sackes Kaffee, sondern auch einer Janitscharenkapelle sich großer Beliebtheit erfreuten. Allerdings musste erst einmal ein Jahrhundert seit der Bedrohung vergangen sein, und der Geist der Aufklärung musste die Gehirne durchlüftet haben, ehe man im Fremden nicht mehr den Feind, sondern durchaus, siehe Bassa Selim, den an Toleranz sogar Überlegenen zu schätzen gelernt hatte. Die opera semi seria wie der Incontro ist dabei bereits die zweite Form der Türkenoper, die zuvor lediglich als opera seria anzutreffen war. Mit ihrem teilweise komischen Personal gehören Entführung wie Incontro zu dieser Gattung.  Die reine opera buffa in orientalischem Milieu war erst einer späteren Zeit vorbehalten und fand mit Rossinis L’Italiana in Algeri oder IL Turco  in Italia ihren Höhepunkt. In den meisten dieser Werke ging es um die Entführung und Befreiung europäischer oder einheimischer Frauen aus dem Harem.

Haydn komponierte seine Oper anlässlich eines Festes, dass sein Brotherr Fürst Esterhazy zu Ehren der Kaiserin Maria Theresia und eines ihrer Söhne auf Schloss Eszterhaz gab. Wohl auch weil Haydns Werk ausschließlich orientalisches Personal hat, findet sich in ihm nicht der Kontrast zwischen „europäischer“ und an die türkischen Janitscharen erinnernder Musik, sondern eher eine an den Orient gemahnende Instrumentierung. Übrigens ging die Musik zu einigen wenigen Rezitativen verloren, so dass sie gesprochen werden.

Das Libretto ist eine Adaption eines bereits von Gluck verwendeten Textbuchs mit dem Titel La rencontre imprevue. Die persische Prinzessin Rezia ist von Seeräubern entführt und an den Sultan von Ägypten verkauft worden. In seinem Harem lebt sie in Gesellschaft zweier Gespielinnen, Balkis und Dardane.   Ihr Verlobter Ali, Prinz von Basra, sucht sie verzweifelt. Er hat einen  verfressenen Diener, Osmin, der vom Derwisch Calandro zum Eintritt in den reichen Essensprofit versprechenden Bettelorden überredet wird. Es wird die Flucht der Rezia und ihrer Gefährtinnen organisiert, sie scheitert, aber der Sultan vergibt allen und lässt sie ziehen.

L’Orfeo Barockorchester unter Michi Gaigg versetzt den Hörer unmittelbar in eine heitere Stimmung durch sei frisches, zupackendes Aufspielen, nicht zuletzt durch den leicht orientalischen Anstrich, den es der Musik verleiht. Vorwiegend hell, leicht und damit ein wenig eintönig wirkt das Gesangsensemble, denn erst ganz zum Schluss bringt der Sultan von Michael Wagner mit seinem dunklen Bass eine weitere Farbe ins musikalische Geschehen.  Empfindsam geht Bernhard Berchtold seine Partie, den Prinzen Ali, an, sein langes Rezitativ singt er kultiviert und sensibel, leider nicht mit einer Stimme wie aus einem Guss, sondern mit recht flach klingender Mittellage. Im Duett „Son quest‘ occhi“ mit seiner Partnerin kann er sich enorm steigern. Diese ist Elisabeth Breuer mit kindlich klingendem soprano leggerissimo, der klar und silbrig, dazu höhensicher erklingt, koloraturgeläufig ist und nur in der absoluten Extremhöhe an seine Grenzen gerät. Ihre Gefährtinnen sind Annastina Malm als apart klingende Dardane, manchmal etwa scharf, aber angenehm agogikereich, und Anna Willerding als Balkis, licht und fein der Sopran, doch leider etwas verwaschen und unbestimmt. Es gibt ein sehr anmutiges Terzett der Damen, in dem alle drei reüssieren können, so wie auch das Duett Osmin/Calandra zu den Höhepunkten der Aufnahme gehört. Angenehm textverständlich ist der Osmin von Markus Miesenberger, der seinen Charaktertenor mit schöner Geläufigkeit einsetzt, auffallend textverständlich ist. Weniger kann damit der Calandra von Rafael Fingerlos glänzen, dafür aber mit einer auffallend süffigen Farbe aufwarten kann. Insgesamt lohnt die Bekanntschaft mit dieser anderen Entführung durchaus, ist die CD höchst empfehlenswert und das dazu gehörende Booklet höchst informationsreich ( 2 CD CPO 555 327-2). Ingrid Wanja

Bezaubernde Violetta

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An DVD-Aufnahmen von Giuseppe Verdis Oper La Traviata besteht wahrlich kein Mangel. Die neue Aufnahme aus dem Teatro del Maggio Musicale Fiorentino ist vor allem wegen Nadine Sierra in der Titelpartie interessant. Die Sängerin verfügt über eine sehr schöne und wandlungsfähige Stimme, mit der sie die unterschiedlichen Anforderungen der drei Akte makellos erfüllt. Die Koloraturen in ihrer Arie „É strano“, die Melancholie und Betroffenheit des zweiten Akts sowie die Verklärung im Schlussbild –  für alles findet sie den richtigen Ausdruck. Auch rein optisch ist mit ihrer beredten Mimik und mit ihrer Körpersprache eine faszinierende Persönlichkeit: eine Violetta zum Verlieben. Auch Francesco Meli macht als Alfredo neben ihr eine gute Figur. Anfangs kommt er etwas lässig und schnöselig daher, verdeutlicht aber bald seine echten Gefühle. Sein schlanker Tenor verfügt über eine sichere Höhe und viel Differenzierungsvermögen. Der Dritte im Bunde war zum Zeitpunkt der Aufnahme am 28.9.2021 bereits 79 (!) Jahre alt. Es ist Leo Nucci, der als Giorgio Germont noch einmal das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit einbringt. Er macht seine Sache erstaunlich gut, muss aber mit manch steifem Ton dem Alter Tribut zollen. Seine Arie „Di Provenza“ gestaltet er mit viel resignativer Melancholie. Optisch sieht er ein bisschen wie Günter Wewel aus…

Regisseur Davide Livermore liefert eine solide, unspektakuläre Inszenierung. Die Bühne ist meistens in sanftes Halbdunkel getaucht. Im ersten Akt ist man Zeuge einer ausgelassenen Party, bei der ordentlich gequalmt und getrunken wird. Violetta sieht in ihrem kurzen Kleidchen wie ein Party-Girl aus. Alle vergnügen sich und tanzen wuselig umher. Die Getränke werden von einer alten Bediensteten auf einem Servierwagen gefahren, den sie wie einen Rollator vor sich herschiebt. Der taucht auch am Schluss wieder auf, nur sind jetzt Medikamente darauf.

Der zweite Akt zeigt kein Landhaus, sondern eher ein Filmset mit Scheinwerfern. Auch hier wuseln noch einige Party-Gäste herum. Im zweiten Bild dieses Aktes sieht es ähnlich aus wie im ersten. Zur Belustigung tritt sogar ein kleinwüchsiger Torero auf. Anrührend ist der Schluss gelungen. Violetta geht verklärt in ein Lichtermeer, während eine Doppelgängerin tot auf dem Sterbelager liegt. Auch die Party-Gäste sind wieder da. Sie schreiten jetzt wie Geister der Vergangenheit in einer Art Trauerzug durch die Szene.

Am Pult steht Altmeister Zubin Mehta, der die Aufführung routiniert, aber manchmal auch mit gemächlichem Tempo leitet. (Dynamic 37955). Wolfgang Denker

Schloss zu gewinnen

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In dramatischer wie musikalischer Hinsicht verdiene La Princesse de Trébizonde so viel Aufmerksamkeit wie La Belle Hélène oder La Grande Duchesse de Gérolstein. Der das sagt, ist Jean-Christophe Keck, dessen Ausgabe von Offenbachs Baden-Badener Opéra-bouffe im Rahmen seiner Offenbach Edition Keck das Material der Uraufführung im Schwarzwälder Kurort im Sommer 1869 und der wenige Monate in Paris aufgeführten Version sichtete und herausgab. Opera Rara griff zu und präsentiert die Princesse als Dreiakter in der Form, wie sie im Dezember 1869 am Théâtre des Bouffe-Parisiens erstmals aufgeführt wurde, ergänzt um Passagen aus der zweiaktigen Baden-Badener Fassung, die aus dramaturgischen Gründen geopfert wurden (2 CD ORC63).

Vielleicht liegt die Missachtung der Prinzessin von Trapezunt daran, dass es sich bei der Prinzessin aus dem Kaiserreich am Schwarzen Meer im Gegensatz zu den beiden anderen Damen nur um eine Puppe handelt. Sie ist die Attraktion des Schaustellers Cabriolo, der mit seiner Schwester Paola und seinen beiden Regina und Zanetta sowie dem Diener Tremolini seine Künste auf einem Marktplatz darbietet. Durch einen Zufall, ein unter die Tageseinnahmen geratenes Lotterielos, verschlägt es die Schausteller auf ein Schloss, während sich die Adeligen unters Volk mischen. In seinem musikalischem Vexierspiel nimmt Offenbach spätere TV Container-Formate vorweg, löst Standesunterschiede auf und gab einen Typus vor, von dem die Operetten noch ein halbes Jahrhundert zehren konnte. Die große Unbekannte aus Offenbach Werkkatalog war vor wenigen Jahren im Rahmen der Osterfestspiele in Baden-Baden erstmals wieder in das Theater zurückgekehrt, wo sie 1869 unter Offenbachs Leitung erstmals erklungen war; damals allerdings bereits in der dreiaktigen Fassung, die seit Offenbachs Überarbeitungen de rigieur war.

Trapezunt mutiert bei Offenbach nicht zu einem Sehnsuchtsort der Musikbühne des 19. Jahrhunderts. Die Prinzessin ist die Attraktion im Wachsfigurenkabinett Cabriolos. Versehentlich bricht ihr seine Tochter Zanetta die Nase ab, weshalb sie selbst als Puppe posiert. Prompt verliebt sich Prinz Raphael in sie. Ebenso prompt gewinnen die Gaukler mit dem Lotterielos des Prinzen ein Schloss. Eine hübsche Idee der Librettisten Nuitter und Tréfeu und Offenbachs, der immerhin durch den Casino-Betreiber Bénazet an die Oos gelockt worden war und im mondänen Modebad Stoff für weitere Operetten gefunden haben sollte. Cabriolos zweite Tochter Regina verliebt sich in den Clown Tremolino, seine Schwester Paola in Raphaels Erzieher Sparadrap. Das alles lässt sich nicht erzählen, muss man auch nicht, ist pure Buffonerie, welcher Karl Kraus ein „buntes Raketenfeuer phantastischer Erfindung“ beschied und Offenbach in erstaunlich viele kleine Chansons und Couplets verpackte, die er im rasanten Tempo ins erste Finale treibt, bevor die Handlung auf das Schloss Cabriolos schwenkt, wo sich die Truppe schrecklich langweilt. Nun kommt die Handlung richtig in Fahrt, bis zum dritten Finale drei heiratswillige Paare zusammenfinden und Raphaels Vater Prinz Casimir das Schlusswort spricht „Allons! Mariez-vous tous“.

Das geht musikalisch alles schwuppdiwupp. Kaum hat sich Antoinette Dennefeld als Régina mit dunkel schwerem Mezzo, der gerade noch apart und nicht ordinär wirkt, vorgestellt, lässt Virginie Verrez als Prinz Raphael mit seiner Tauben-Romanze, Romance de tourterelles, die Herzen dahinschmelzen; Raphael ist ein Romanzen-Prinz, denn im dritten Akt hat Offenbach ihm eine nicht minder schmachtende Romanze zugedacht. Anne-Catherine Gillet ist in Frankreich eine Konstante in Aufführungen komischer Oper von Offenbach, Auber, Varney, Lecocq und Messager und gestaltet die Zanetta mit Witz, Eleganz und mit Geschmack. Der Kanadier Josh Lovell klingt als Raphaels Vater zweifellos zu jung, doch das muss nicht stören, denn er kann hinsichtlich Tempo, Schmelz und Charme, etwa in den Couplets de la canne, gut mit mithalten mit solchen Buffonisten wie dem drollig stimmlosen, aber erfahrenen Christophe Mortagne als Tremolini und Loïc Félix als Erzieher Sparadar oder Christophe Gay als Cabriolo. Sie erweisen sich alle als idiomatisch glänzende, spritzige Singakteure, die durch die Ensembles wippen. Nicht nur die perlenden Ensembles zeigen, welchen Spaß die Truppe bei den konzertanten Aufführungen im September 2022 in London hatte, wobei es Paul Daniel gelingt, anfängliche Bedenken, dass er und das London Philharmonic Orchestra vielleicht doch zu akademisch klingen könnten, in den Eskapaden des dritten Aktes mit den herrlichen Nummern, darunter die Couplets und das Rondo der Pagen, die irrwitzigen Ariette du mal de dents und das Brindisi et Grand galop, wegwischt. Das hat alles Witz und Tempo, ist nie vorlaut und überschäumend. Und dann gibt es quasi als Zugabe noch eine gute halbe Stunde Musik aus der ursprünglichen Fassung. Viele Stücke wurden in Paris durch nicht minder originelle Alternativen, etwa das Grand duo zwischen Zanetta und Raphael oder „Mal de dents“-Ensemble, ersetzt bzw. wurden, wie das Quartett „Oh les belles femmes“ in Fantasio, anderweitig wiederverwendet. Ein großer Spaß. Rolf Fath

Dracula-Horror

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Mit gläserner Bravour stellt sich Anthony Roth Costanzo, der als altägyptischer Echnaton an der Met bereits mit Wesen jenseits unserer Vorstellungskraft vertraut wurde, als „I, Dionysos, son of Zeus“ vor. Erbost darüber, dass er aus Theben vertrieben wurde, sucht Dionysos einen neuen Ort und „a way for people to recognize me“. Roth Costanzo adelt mit seinem Kurzauftritt und den weiteren Dracula-Erscheinungen als Stranger und Wolf Prince die 140minütige Oper The Lord of Cries mit dem Untertitel A tragedy for singers and orchestra des amerikanischen Komponisten-Doyens John Corigliano. Ein Musiktheaterstück, das ungeachtet seiner bombastischen Anforderungen ohne harmonische und melodische Experimente auskommt, den großen Chor und die Sänger relativ konventionell einsetzt und sich durch ausgereifte technische und handwerkliche Meisterschaft und einen gewissen Instinkt für Bühnensituationen auszeichnet.

Er wollte es nochmals wissen. Rund 30 Jahre nach der Uraufführung von The Ghosts of Versailles an der Metropolitan Opera, an deren Erfolg das damalige Star-Ensemble nicht unwesentlichen Anteil hatte, brachte John Corigliano 2021 in New Mexico seine von der Santa Fe Opera beauftragte zweite Oper heraus. Eine stolze Leistung des damals 83jährigen, der wie bei The Ghosts of Versailles, wo er sich großzügig bei Beaumarchais, Mozart und Rossini bediente, wieder nach europäischer Kultur- und Literaturgeschichte griff. Aus der verwegenen Verbindung von Euripides‘ Drama Die Bacchantinnen und Bram Stokers Dracula -Roman entstand das Libretto zu The Lord of Cries, geschaffen von seinem Komponistenkollege und Lebenspartner Mark Adamo, was an Barbers Zusammenarbeit mit seinem Partner Menotti bei Vanessa und Anthony and Cleopatra denken lässt.

Adamo erzählt, wie er auf die Idee kam, „I remembered Bram Stoker’s Dracula, which is to The Bacchae what Nahum Tate’s King Lear is to Shakespeare’s: that is, the same story, with only a falsely happy ending distinguishing the compromised copy from the terrifying original. Euripides admitted what Stoker repressed: the monster isn’t on the mountain, or in the city, but in the mirror. …I concluded that mapping Dracula onto The Bacchae could accomplish two things. By using only what the book shared with the play, I could strip away all the unnecessary Gothic kitsch of the novel. And because Stoker’s Victorian England is more familiar to today’s listeners than Euripides’s Thebes is, the opera could use the novel to make the themes of The Bacchae clearer than even the original play could“. Das klingt sehr viel diffuser als es letztlich ist. Die Melange aus Griechischer Klassik und angelsächsischer Schauerliteratur belässt es mit dem London in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts als Schauplatz, wo Stokers Figuren – mit gewissen Abweichungen gegenüber dem Roman – mit einem geheimnisvollen Fremden, dem in unterschiedlicher Gestalt auftauchenden Dracula, konfrontiert werden: Lucy Westenra ist mit Jonathan Harker verheiratet, Professor Abraham Van Helsing ist der Ratgeber des Irrenarztes John Seward. Dionysos terrorisiert London und fordert von Seward die Carfax Abbey, was dieser dreimal verweigert. Lucy, derweilen zwischen ihren Gefühlen zu Seward und ihrem Gatten, dessen Geist nach Reisen zum Dracula Schloss verwirrt ist, hin- und hergerissen, verweigert sich ebenfalls Draculas Drängen. Dracula bringt Seward dazu, in Trance einem Wolf den Kopf abzuschlagen. Der Wolf verwandelt sich in Lucy, und Seward hält Lucys Haupt in Händen. Nachdem Dionysos höhnte, „Now look at what you’ve done“ und der das gesamte Geschehen kommentierende Korrespondent der Westminster Gazette vom Ende des wahnsinnig gewordenen Doctor Seward berichtet, erhebt der Chor am Ende warnend seine Stimme, „And deny him not“.

Ein Jahr nach der Uraufführung reiste die nahezu gleichbleibende Erstbesetzung nach Worcester unweit von Boston, wo im November 2022 im prachtvollen neo-renaissance Saal der Mechanics Hall mit dem vielfach bewährten Boston Modern Orchestra Project, dem Odyssey Opera Chorus und dem ebenso bewährten und eminent vielseitigen Gil Rose die als world premiere recording angekündigte Aufnahme von The Lord of Cries entstand (2 CD Pentatone PTC 5187 008). Ebenso wie die gleichfalls bei Pentatone erschienen Ghosts unter James Conlon präsentiert die Lord of Cries-Aufnahme ein effektvolles Stück Musiktheater. The Lord of Cries ist gelegentlich ein heftiger Schocker voll extremer Kontraste, zirzensischer Instrumentalfeinheiten und greller Klangkombinationen, in dem Corigliano seine Sänger vorbildlich bedient, weniger mit Arien, wenngleich Arien und Duette Bestandteil der Partitur sind, sondern mit explosiven Szenen für Chor und Solisten und sorgfältig austarierte Ensembles. Mit seinem keuschen, kindlich reinen Countertenor überzeugt Anthony Roth Costanzo in den vielen Gestalten des Dionysos durch einen verführerischen Sphärenklang. Der markant smarte Bariton von Jarrett Ott als Seward, David Portillos gepflegter Mozarttenor als Jonathan und Matt Boehlers nobler Bass als Van Helsing sind ausgezeichnet als seine Gegenspieler, Kathryn Henry bleibt als Lucy auf dramaturgisch nicht unrechte Weise etwas farblos. Eindringlich der intensive, sing- deklamierende Tenor von William Ferguson als Zeitungskorrespondent. Rolf Fath

Ein Wort über uns

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Ein erboster Leser rügte uns kürzlich für das Wort „indogene Ureinwohner“, nannte uns rassistisch, kolonialistisch und AfD-nah. Ein anderer warf uns dieselbe Nähe zu jenen, aber auch eine zu Frau Wagenknecht vor, was natürlich absurd ist. Ein weiterer bezeichnete eine gut fundierte Kritik als „böswillig“! Das brachte uns doch zum Nachdenken darüber, wie schnell Menschen gegenwärtig sich nicht nur in der Wortwahl sondern auch im Argument vergreifen und wie dicht uns die respektlose, gemeine Sprache der sogenannten social medias gerückt ist. Sie beherrscht unseren Alltag, ob wir es wollen oder nicht. Wir haben manche beleidigende Zuschriften im Laufe der letzten Jahre bekommen, keine wirklich zum Zitieren. Beschimpft zu werden ist das Los jeder Tätigkeit in der Öffentlichkeit.

Aber wir haben uns entschlossen, uns nicht diesem Diktat der opportunistischen political correctness zu beugen. Wir gendern nicht, weil wir das absolut albern finden (der shitstorm naht) und an das schallende Gelächter unserer europäischen Nachbarn denken, deren Sprache und Mentalität gendern zum Abwinken finden (zumal sich das nicht ins Französische, Englische, Italienische oder in slawische Sprachen übersetzen lässt). Gendern macht die Sprache kaputt, Straßenumbenennungen unsere Kultur auch – ganz nebenbei gesagt. Information zur Diskussion zu liefern statt Geschichte auslöschen ist viel wichtiger. Auslöschen haben manche Regime versucht, das hat nichts gebracht. Unter der verbieterischen, politisch korrekten Oberfläche butterts weiter. Und diese Unbildung junger Polit-Kader geht einem älteren gebildeten Menschen akut auf die Nerven. Dies Wikipedia-Wissen reicht eben nicht, nicht einmal für Doktorarbeiten oder Lebensläufe (die dann auch noch geschönt sind – Sie wissen, wen ich meine).

Wir weigern uns auch in Kategorien des LGBT zu denken und zu schreiben, weil wir an die binäre Schöpfung und die wissenschaftlichen Begründungen dazu glauben und weder uns noch anderen einen sticker auf die Stirn drücken oder in eine Box einsperren lassen wollen. Wobei wirklich jeder nach seiner facon leben muss und soll, nur nicht auf Kosten des anderen. Und jeder muss für sich entscheiden können, wie er leben will. Sich ständig zum Anwalt des anderen zu machen, weil das eigene Leben nicht genügend hergibt (spricht noch jemand von Hong-Kong, das damals ein deutsches Bundesland zu sein  schien…?), ist für jenen demütigend und patronisierend.

Und wir halten an unserem Gründungs-Credo fest, unabhängig von herrschenden Dogmen und opportunen Wohlstandsblasen-Doktrinen eine fundierte, gelebte und eben individuelle Berichterstattung zu liefern. Berichten auf Grund des eigenen gelebten Hörens/Sehens. Nicht Vorgekautes weiter zu geben. Nicht dem hype aufsitzen. Eben eine eigene Meinung haben. Man muss uns ja nicht lesen. Niemand zwingt dazu. Aber wir denken, wir liefern Vorlagen für Meinungsbildung und Anregung, für Information im besten Sinn. Nicht ideologisierte Wahrnehmung. Geerd Heinsen

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Und ein PS. aus aktuellem Anlass. Ich finde diese ganze Affäre um Anna Netrebko zum Abwinken. Diese verzerrten, fanatischen Gesichter von Protestierenden, die nie in die Oper gehen und sicher vorher von der Frau noch nichts gehört haben, dafür beleidigende und inhumane Plakate hochhalten, die genau die Sprache der social media tragen … das erinnert mich sehr an die (auch meine) Tage der 68er, die aus ihrer Ideologie heraus zum Schluss buchstäblich über Leichen gingen. Sprache erzeugt Gewalt. Vorsicht! Und auch hier wäre Information besser als Kurzschlüssigkeit. G. H.

Frauenpower

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Sollten etwa im Fahrwasser des mehr oder weniger eindringlichen Bemühens um die Gleichberechtigung der Frauen einschließlich Genderwahnsinns auch kaum oder gar nicht gewürdigte Komponistinnen zu Wort kommen bzw. zu Gehör gebracht werden? Gerade erschienen Auszüge aus den Schriften der englischen Musikerin Ethel Smyth, nun liegt eine CD mit Liedern der französischen Komponistin Cécile Chaminade mit dem Titel Saisons d’amour vor, die der Mezzosopran Katharina Kammerloher eingespielt hat. Gängige Meinung eines Teils der Musikwissenschaftler ist es, dass es einen weiblichen Mozart oder Beethoven nicht gibt, da Frauen daran gehindert wurden, ihr Talent, ja Genie zur Entfaltung zu bringen. Cécile Chaminade wurden keine derartigen Steine in den Weg gelegt, denn der Tochter aus wohlhabendem Pariser Hause wurde zwar nicht der Besuch des Konservatoriums gestattet, wohl aber der Privatunterricht in Komposition, Harmonielehre und Klavierspiel durch einige der renomiertesten Musiklehrer ihrer Zeit. Außerdem verkehrte im Salon ihrer Eltern das musikalische Paris. Bereits mit zwanzig Jahren trat sie öffentlich als Pianistin auf, sie war Mitglied der Société national de musique, die einige ihrer Werke aufführte, ihre Ballettmusik Callirhoe oder die opéra comique La Sévillane  und andere Werke erreichten eine gewisse Bekanntheit, und warum sie sich zunehmend der kleinen Form, Klavierstücken und Lieder, widmete, lässt sich nur vermuten. Tatsache aber ist, dass ihre Stücke nicht nur im Konzertsaal, sondern besonders häufig bei Veranstaltungen mit Hausmusik aufgeführt wurden, das Booklet zur CD berichtet von L’anneau d’argent, der 200 000 Mal gedruckt wurde. Chaminade konzertierte nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, ihre Karriere wurde durch den Ersten Weltkrieg nicht nur unter-, sondern abgebrochen. Noch bis 1944 lebte sie zurückgezogen in Monte Carlo.

Die seit vielen Jahren an der Berliner Staatsoper fest engagierte Katharina Kammerloher tat sich bereits des öfteren mit Liederabenden und Aufnahmen von Liedern hervor, und auch bei dieser CD zeigt sich die große Sorgfalt, mit der sie ihre Programme zusammenzustellen pflegt. So ergibt die Reihenfolge quasi eine Geschichte vom Erwachen der Liebe, dem Frühling, über Reifezeit und Welken in Sommer und Herbst bis hin zum Verlust, dem Winter. Die Texte stammen von zeitgenössischen Schriftstellern.

Bereits mit dem ersten Titel, Plaintes d’amour, fällt das schöne Ebenmaß der leicht androgyn klingenden Stimme auf, macht dem Hörer aber auch dir recht verwaschene, sich von Vokal zu Vokal hangelnde Aussprache zu schaffen. Schön wiegt die Stimme sich auf der Melodie, in Avril s’éveille überzeugt sie durch Frische und Beschwingtheit. Schön phrasiert wird in Fragilité, wo der beschriebene Zustand überzeugend vermittelt wird. Wie hingetupft wirken die Töne in Absence, bruchlos steigert sich die Sängerin, was die Lautstärke betrifft, während sie sich in  Sérénade Sévillana vom Rhythmus tragen lässt. Voll jugendlicher Beschwingtheit ertönt der Mezzo in Madrigal, energischer und entschiedener und zugleich dunkler in Mon coeur chante, in L Été herrscht flirrender Übermut. Feine Melancholie überschattet Madeleine, die weiche Wehmut der Stimme wird in Chanson naive vom Piano umspielt.

Auch in einem langen Track wie La Fiancée du soldat kann die Spannung gehalten werden, in Roulis des gréves bleibt die Sägerin der Grundstimmung treu und variiert doch zugleich. Ein sehnsüchtiger Ruf nach verlorenem Glück ist Le beau chanteur, mütterliche Klänge werden in Avenir angestimmt, und ganz zart und liebevoll erklingt  Jadis!.Infini gewinnt durch den Einsatz der Violine (Jiyoon Lee) noch an süßer Melancholie, einen schönen Jubelton gibt es für Portrait, und der durchweg einfühlsame Begleiter Johann Blanchard am Klavier zeigt hier noch einmal seine Qualitäten.

Das Booklet ist informationsreich in drei Sprachen und hilfreich durch die Liedtexte in Französisch und Englisch (MDG 908 2288-6). Ingrid Wanja   

Revolutionäres aus München

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2015 gab Jonas Kaufmann sein Rollendebüt als Titelheld von Giordanos Revolutionsdrama Andrea Chénier an der Royal Opera in London. Opus Arte hatte diese Produktion als DVD herausgebracht. Nun legt das Label Bayerische Staatsoper Recordings nach und veröffentlicht in Koproduktion mit Unitel einen Mitschnitt aus dem Münchner Nationaltheater vom Dezember 2017 mit dem deutschen Tenor und Anja Harteros, die hier ihr Rollendebüt als Maddalena gab (BSOREC 1004). Das „Münchner Traumpaar“ war also nach längerer Pause wieder vereint, was für einen Ansturm auf das Kartenbüro sorgte und am Ende der Premiere (12. 3. 2017) für euphorischen Jubel des Publikums.

Philipp Stölzl als Regisseur und Bühnenbildner (in Zusammenarbeit mit Heike Vollmer) hat die Szene in mehrere Räume auf verschiedenen Etagen unterteilt, was die Anmutung einer Puppenstube hat. Häufig laufen in einzelnen Kammern stumme Aktionen parallel zum eigentlichen Geschehen ab, was für Verwirrung sorgt und von den Hauptaktionen auch ablenkt. Zumeist agiert das hungernde, darbende Volk in der untersten Ebene. Nur beim Tribunal gehört die gesamte Szene der Volksversammlung und der Anklage. Die Kostüme von Anke Winckler orientieren sich an der Historie und bieten speziell für Maddalena originelle Kreationen und für die Hofschranzen rund um La Contessa di Coigny (Helena Zubanovich mit üppigem Mezzo) extravagante Rokoko-Roben.

George Petan eröffnet die Auftritte der Hauptpersonen mit Carlo Gérards „Compiacente a’colloqui“ und lässt einen kraftvollen, virilen Bariton hören. Im 3. Akt hat er mit seinem Monolog „Nemico della patria“ eine Glanznummer, die er mit expressiver Gestaltung und reicher Stimmfülle gebührend auskostet, was das Publikum entsprechend honoriert. Anja Harteros als Maddalena hat ihre große Szene im 3. Akt mit „La mamma morta“. Zuvor zeigt sie in der Auseinandersetzung mit Gérard eine solche Widerstandskraft, dass er sogar von ihr ablässt.  Die Arie beginnt sie mit visionärer Erinnerung und im Ton ganz zurückgenommen, steigert sie aber dann zu flammender Leidenschaft.

Dritter ist Jonas Kaufmann in der Titelrolle, der sich mit dem Auftrittsmonolog „Un dì all’azzuro spazio“ blendend einführt mit baritonal getöntem, sinnlichem Tenor und sogleich die Aufmerksamkeit von Maddalena (und natürlich auch des Publikums im Saal) erweckt. Glanzvolle Spitzentöne lässt er am Ende seiner Arie im 2. Akt hören. Sopran und Tenor vereinen sich erstmals im schwelgerischen Duett „Ecco l’altare“, das sich nach Maddalenas anfänglicher Verlegenheit und Intonationstrübungen des Tenors zu rauschhafter Lust steigert. Sein Solo im 3. Akt, „Sì, fui soldato“, ist geprägt von trotzigem Aufbegehren und enormem stimmlichem Einsatz. Die wehmütige Abschiedsstimmung von „Come un bel dì di maggio“ fängt er plastisch ein, muss lediglich am Schluss Zuflucht ins Forcieren nehmen. Davon ist auch das Schlussduett nicht ganz frei, doch überzeugt hier beider ekstatische Inbrunst.

Im 2. Akt setzen auch Rachael Wilson als Bersi und Tim Kuypers als Mathieu, der wie Joaquin Phoenix aus dem Film Joker daherkommt, markante Akzente. Im 3. Akt ist es Larissa Diadkova als reife Madelon mit ausladender Stimme, die mit ihrem Auftritt „Son la vecchia Madelon“ Erschütterung erzeugt.

Marco Armiliato am Pult des Bayerischen Staatsorchesters sorgt für Spannung und

Verismo-Stimmung. Auch der Bayerische Staatsopernchor (Stellario Fagone) bietet atmosphärische Momente – so im 1. Akt mit dem bukolischen „Passiamo la sera allegramente!“ oder dem aufgeheizten Finale des 3. Aktes nach Chéniers Verurteilung. Bernd Hoppe

Verdienstvoller Frieder Bernius

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Wie eine Art Wiedergutmachung an Johann Adolf Hasse mutet die höchst aufwändige Ausstattung der CD von seiner Oper L’Olimpiade an, nachdem es die Aufführung selbst in der Dresdner Semperoper nur verkürzt und als Matinee auf die Bühne brachte. Ein Sprecher unterrichtete das Publikum in deutscher Sprache jeweils über den Fortgang der Handlung. Es gibt nicht etwa ein knappes, sondern gleich zwei üppige Booklets, beide reich bebildert, das eine mit dem Librettto in Italienisch und Deutsch, das zweite mit dem Personenverzeichnis, mit  vielen zeitgenössischen Abbildungen einschließlich einiger Notenblätter, der Handlung und vieler Figurinen für die Uraufführung, die ebenfalls in Dresden und zwar 1756 stattfand. Kurzbiographien machen den Leser zudem mit den Sängern und anderen Ausführenden der vorliegenden Aufnahme bekannt.

Das Libretto stammt natürlich von Pietro Metastasio und vermischt Antikes mit Barockem bis Rokokohaftem mit der Geschichte vom peloponnesischen König Clistene, der nach der Geburt eines Zwillingspaares den Sohn Licida aussetzen lässt, weil ein Orakel verkündet hatte, dieser würde ihm nach dem Leben trachten. Bei den Jahre danach stattfindenden Olympischen Spielen setzt der König seine Tochter Aristea als Preis für den Sieger aus, der zudem sein Nachfolger werden soll. Aristea aber hat sich längst in den Athener Megacle verliebt, der sie aber wegen seiner Herkunft nicht heiraten darf. Bei seiner Flucht aus Kreta fällt er unter die Räuber, aus deren Händen er durch Licida gerettet wird, der seinerseits heimlich verlobt ist mit der Kreterin Argene, die Clistene heiraten soll und den Anfeindungen ihrer Familie durch die Flucht in ein Schäferleben entflieht. Licida will an der Olympiade teilnehmen, da er aber nicht gut genug vorbereitet ist, springt sein Freund Megacle für ihn ein und gewinnt. Daraus entstehen nun viele Verwicklungen, Eifersüchteleien, Racheschwüre, Wahnsinnsausbrüche und Selbstmordversuche, Todesurteile und damit Anlässe für virtuose Arien, ehe Priester und Volk verlangen, dass alle begnadigt und die jeweils einander Liebenden auch einander angetraut werden. Der strenge Glaube an die Erfüllung düsterer antiker Prophezeiungen wird durch eine Art barocken, die Konflikte lösenden Deus ex Machina abgelöst.

So sehr sich die Handlung in Extremen ergeht, so sehr ist die Musik, mit einigen im Booklet aufgeführten Ausnahmen, der in der Entstehungszeit wünschenswerten Gefasstheit der Personen verpflichtet. Den Artikel über die Musik Hasses im Booklet sollte man auf jeden Fall lesen.

Nach der Unterrichtung über deren Besonderheiten  kommt der Hörer in den Genuss eines entschiedenen Zugriffs der Cappella Sagittariana Dresden und des Kammerchors Stuttgart unter ihrem Dirigenten Frieder Bernius auf den schillernden Orchesterpart und die allerdings recht knappen Chorszenen. Die einzige „tiefe“ Stimme ist die des Tenors Christoph Prégardien, der den König Clistene geschmeidig singt, allerdings die Höhen recht farblos lediglich antippt. Die Königstochter Aristea erfährt mit dem Mezzosopran von Catherine Robbin die Vorzüge eines reicheren Farbspektrums und kann mit „Tu me da me dividi“ mächtig auftrumpfen, meistert  zudem die Intervallsprünge ohne Probleme. Dorothea Röschmann ist Argene und hat für diese, wenn die Handlung es erlaubt, einen schönen Jubelton, singt variationsreich, aber immer empfindsam und dabei sehr nachdrücklich. Recht weiblich klingt der verstoßene Licida von Randall Wong, weich und biegsam ist der Sopran mit zartem Glockenton. David Cordier ist Megacle mit koloraturgewandtem Sopran, etwas scharf in der Höhe und mit gewaltigen Bögen in „Superbo de me stesso“ prunkend, empfindsam im „Se cerca, se dice“. Der Countertenor Steven Richards singt den Haushofmeister Aminta und klingt bei „Insana gioventù“ gar nicht ältlich. Nach dem Hören dieser beiden CDs versteht man, warum Hasse zu seiner Zeit so äußerst beliebt war- und er hat auch das Zeug dazu, heute auf interessierte Zuhörer zu stoßen (Hänssler 3 CD PH21053). Ingrid Wanja