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Seit seinem hinreißenden Orfeo in Glucks Azione teatrale an der Berliner Komischen Oper war der italienische Countertenor Carlo Vistoli für mich ein Ereignis. Berliner Barockliebhaber freuen sich schon jetzt auf seinen Farnace in Mozarts Mitridate im Rahmen der Barocktage der Staatsoper. Jetzt gibt es Gelegenheit, den Sänger in der Titelrolle von Francesco Cavallis Dramma per musica Il Xerse zu erleben, das DYNAMIC auf einer Blu-ray Disc vom Festival della Valle d’Itria aus dem Teatro Verdi in Martina Franca 2022 herausgebracht hat (57983).
Das Libretto zu diesem Werk, das für den Karneval in Venedig 1655 komponiert wurde, stammt von Nicolò Minato und wurde nach Cavalli auch von Giovanni Bononcini und Georg Friedrich Händel vertont mit entsprechend unterschiedlicher Schreibweise von Xerse bis Serse. Es erzählt von der Liebe des persischen Königs zu Romilda, die ihrerseits in dessen Bruder Arsamene verliebt ist, was die in den Werken des Barockgenres üblichen Verwirrungen mit sich bringt.
Die Aufführung im Teatro Verdi von Martina Franca zeigt eine lebendige, zuweilen überdrehte Inszenierung von Leo Muscato in den stimmigen Bühnenbildern von Andrea Belli, denen persische Miniaturen zugrunde liegen. Die Kostüme von Giovanna Fiorentini sind historisch orientiert, aber karikierend, die Uniformen prachtvoll dekoriert, die Perücken monströs. Die Ausrüstung der Soldaten des Perserkönigs mit Maschinengewehren ist ein störendes Detail und Zugeständnis an das aktuelle Regietheater, zumal im Text mehrfach von Schwertern die Rede ist.
Carlo Vistoli führt glanzvoll die Sängerbesetzung an. Der Hit „Ombra mai fu“ erklingt auch hier zu Beginn nach der einleitenden. kurzen Sinfonia, und der Counter vermag sogleich mit seiner wohltönenden Stimme zu bezaubern. Bs zum Schluss sorgt er für die vokalen Höhepunkte der Aufführung. Sein letztes Solo ist ein Lamento con violini kurz vor Schluss („Lasciatemi morir“), welches er mit tiefer Empfindung gestaltet. Als seine angebetete Romilda tritt Carolina Lippo auf, die in ihrer Eingangsarie einen bohrenden, heulenden Sopran hören lässt. Auch später ist ihr Gesang eine Prüfung. Einzig die Arie „Amante non è“ im 2. Akt überzeugt in ihrer zupackenden Entschlossenheit. Die Hosenrolle des Arsamene nimmt Gala Petrone mit herbem Mezzo wahr. Einen klangvollen Sopran lässt Dioklea Hoxha als Adelanta hören. Jubelnd und leuchtend singt Ekaterina Protsenko Amastres Arien „Regie stelle“ am Ende des 1. und „Speranze, fuggite“ zu Beginn des 2. Aktes. Mit der heroischen Arie „Già la tromba“ kann Carlo Alemano als Ariodate mit reifem Bass glänzen. Für Koloraturläufe allerdings ist die Stimme mittlerweile zu schwerfällig. Elviro ist die komische Figur des Stückes, Aco Biscevic gibt ihr mit mit individueller Stimme zwischen handfestem Tenor und krähendem Altus markantes Profil. Mit Nicolò Balducci als Botschafter Periarco gibt es noch einen echten Countertenor, der zudem mit angenehmer Stimme gefällt.
Das Orchestra Barocca Modo Antiquo leitet Federico Maria Sardelli – ein im Barock renommierter Dirigent am Pult eines in diesem Genre gleichfalls bekannten Ensembles. Dessen Spiel ist reich an Farben, Kontrasten und Affekten. Bernd Hoppe