Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Mit Orchesterbegleitung

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Nicht nur gute alte Bekannte, was Librettisten wie Antonio Ghislanzoni oder Luigi Illica betrifft, findet man auf der Puccini-CD mit dessen  I Canti, wieder, sondern auch Melodien, die man aus La Bohéme, Edgar, Le Villi oder Manon Lescaut kennt und die der Komponist für seine Frühwerke erfand und später noch einmal verwendete und einem weit höheren Bekanntheitsgrad entgegen geführt hat. Der amerikanische Tenor Charles Castronovo hat sich als Puccini verkleidet und blickt neben einem Foto des Komponisten sitzend und diesem täuschend ähnlich sehend vom Cover der CD und aus dem Booklet, und da er augenblicklich Artist of Resindence des Münchner Rundfunkorchesters ist, hat er sich nicht mit einer KLavierbegleitung begnügt, sondern sich von Johannes X. Schachtner eine Orchesterbegleitung komponieren lassen, die dieser, ebenfalls im Booklet, unter anderem damit legitimiert, dass sie nicht mit deutschem Liedgut zu vergleichen seien, sondern in der Tradition des Belcanto stünden.

Und noch etwas will uns das Booklet verraten: Charles Castronovo sei dem Publikum wegen seiner Erfolge in Mozartpartien oder einem Traviata-Alfredo, also als lyrischer Tenor, bekannt, was zutreffen mag, nicht aber noch  auf die auf der CD vernehmbare Stimme zutrifft, die sehr dunkel grundiert ist und hörbar in ein schwereres Fach, das des Spinto-Tenors, hinweist.

Das trifft bereits auf den ersten Track, die Canzone A te, zu, die viel eher eine Opernarie als ein Lied zu sein scheint und in der der Stimme Jugendlichkeit und zugleich eine reiche Substanz an Farben zuzusprechen ist. Im Salve erscheint sie besonders facettenreich und ausgesprochen nobel auch in der Höhe, so auch in Ad una morta, wo ein schönes Diminuendo in der Extremhöhe staunen lässt. Später für Des Grieux’ Donna non vidi mai verwendet wurde Mentia l’avviso, das aus einer Examensarbeit des Musikstudenten Puccini stammt. Der Wechsel der Stimmungen nachvollziehbar gemacht wird  in der Storiella d’amore, in der die Höhe als gut angebunden empfunden wird. Von der Sonne die Rede ist in Sole e amore, obwohl später daraus in La Bohémeè una notte di luna“ wurde.

Ein schöner vokaler Übermut lässt sich in Avanti, Urania! vernehmen und eine strahlende Höhe dazu. So behände wie das Orchester unter Ivan Repušić zeigt sich die Stimme in E l’uccellino. Weit holt die Opernpranke zum Schlag in Canto d’anime aus, eher deklamierend verhält sich der Sänger in Dios y Patria und ganz schlicht wird das Lob auf la casa mia gesungen. Für den sogno d’or wird eher Bronzematerial eingesetzt, das sich im Schluss auch ausgesprochen ätherisch geben kann. Einen starken Kontrast dazu bildet der martialische Inno a Roma, wo auch das Orchester mächtig auftrumpfen darf. Das abschließende Morire? spricht von einer reifen Interpretationskunst und geht dem Hörer nahe.

Drei Orchesterstücke bilden den Abschluss des beachtlichen Hörvergnügens mit Preludio sinfonico, Capriccio sinfonico und den populären Crisantemi, den Totenblumen der Italiener, einer Trauermusik, hier in der Bearbeitung für Streichorchester durch Lucas Drew. Hier beweist das Münchner Rundfunkorchester, dass es auch ohne das Mitwirken seines derzeitigen Artist in Residence der Aufmerksamkeit des Hörers wert ist (BRmedia 900349). Ingrid Wanja

Erstaunlich oft eingespielt

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Jean-Marie Leclairs Tragédie-lyrique Scylla et Glaucus, seine einzige Oper, ist auf dem Markt in mehreren Einspielungen vertreten. 1986 nahm John Eliot Gardiner das Stück mit seinen English Baroque Soloists für Erato auf, 2016 kam bei Alpha eine neue Version unter Leitung von Sébastien D’Hérin heraus. Die letzte Produktion entstand im April 2021 in Warschau unter Stefan Plewniak als Bestandteil der Collection Château de Versailles Spectacles. Nun legt GLOSSA eine im März 2022 in Budapest entstandene Aufnahme mit dem Orfeo Orchestra unter seinem Leiter György Vashegyi vor (GCD 924015, 2 CDs).

Auf diesen Seiten wurde die Version unter Plewniak bereits besprochen und in dieser Rezension auch die Handlung des Werkes sowie dessen musikalischer Umriss erläutert.

Vashegyi bringt die Höhepunkte der tragédie vom pastoralen Charme des 1. über die scène infernale mit dem Ausbruch des Ätna im 4. Akt bis zum tragischen Finale mit Scyllas Verwandlung in einen Felsen zu starker Wirkung. Auch ihre graziösen Tänze lässt er mit dem wunderbar musizierenden Orchester delikat ertönen.

Die drei Hauptrollen des Werkes sind idiomatisch besetzt. Mit leicht säuerlichem Sopran, aber musikalischem Gespür ist Judith van Wanroij eine gestandene Scylla. In Cyrille Dubois hat sie einen exquisiten Partner als Glaucus. Sein Tenor in der Nähe zum haute-contre schmeichelt bis in die Extremhöhe. Wunderbar harmonieren die Sänger der Titelrollen in beider Duo „Que le tendre Amour“ im 3. Akt. Als Circé wirkt mit Véronique Gens eine renommierte Spezialistin des französischen Barock mit und wieder überzeugt sie mit einer Ausnahmeleistung. Ihr Sopran klingt weich und gerundet, was ihre Soli zu kostbaren Momenten macht. Aber die Stimme verfügt auch über Koloratur-Attacke – zu hören beispielsweise in ihrem rasenden Air „Courons, courons à la vengeance“ am Ende des 2. Aktes. Nicht weniger als fünf Airs hat sie im 4. Akt, die vom flehentlichen „Reviens, ingrat mais cher amant“ über das furiose „Ah! que la vengeance“ und majestätische „Noires divinités“ bis zum erhabenen „Déesse redoutable“ reichen und die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten der Sängerin aufzeigen. Überwältigend endet das Werk mit der Symphonie pour les aboiements des monstres qui environnent Scylla.

Die Einspielung darf unter die besten des Jahres eingereiht werden und sei jedem Liebhaber des Genres empfohlen (31. 12. 23.). Bernd Hoppe

Französischer Dauerbrenner

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Die Glöckchen-Arie und das Blüten-Duett blieben stets präsent in der Erinnerung des Publikums und im Programm manchen Wunschkonzerts, aber das Duett zwischen Lakmé und Gérald aus dem ersten und die Tenorarie aus dem dritten Akt mussten bei der Uraufführung 1883 in der Opéra Comique in Paris wiederholt werden, was wohl vor allem an dem Startenor Jean-Alexandre Talazac lag. Anders als in Deutschland, wo man mit orientalischen, d.h. durch Kolonialherrschaft (angeblich „befleckten“) Themen zunehmend ein Problem hatte, war das in Paris keines, erst recht nicht, wenn nicht Franzosen, sondern Engländer die Kolonialherren waren. Und so konnte Lakmé 1960 bereits die 1500. Aufführung in Paris feiern, hatte 2022 die 7. Neuinszenierung in der 1610. Vorstellung in der Opéra Comique ihre Premiere. Bis dahin hatten viele Primadonnen ihre Visitenkarten in Lakmé abgegeben, angefangen von der Sängerin der Uraufführung Marie Van Zandt über Adelina Patti, Lily Pons, Janine Micheau, Mado Robin, Joan Sutherland, Christine Eda-Pierre und schließlich Natalie Dessay und Sabine Devieilhe, die nicht nur 2022 die Premiere in der Laurent-Pelly-Produktion singt, sondern bereits 2014 Lakmé war.

Das Libretto von Edmond Gondinet und Philippe Gille geht auf zwei Quellen zurück, einen Roman von Pierre Loti, der von der unglücklichen Liebe zwischen einem Mädchen aus Tahiti und einem Europäer handelt, und einem von Théodore Pavie, der ein ähnliches Thema in Indien behandelt, und wenn dazu noch in der Oper marokkanische Instrumente eingesetzt wurden, die der Komponist Léo Delibes aus Konstantinopel mitgebracht hatte, kann man ermessen, wie sorglos mit allem, was aber auf Teufel komm heraus exotisch sein musste, umgegangen wurde.

Nicht Modernisierung, sondern strenge Stilisierung ist das hervorstechendste Kennzeichen der Regie von Laurent Pelly, der zugleich für die Kostüme verantwortlich ist. Nicht exotische Buntheit, sondern ein strenges Weiß bis Hellbeige stehen für die Inder, was so weit geht, dass Lakmé recht unkleidsam weißhaarig bis hin zu Augenbrauen und Wimpern ist (In Alt-Berlin hätte man von Braunbier mit Spucke gesprochen.), dazu ist sie in härenes Unkleidsames gewandet. Die Briten bevorzugen die Farbe Hellgrau, im 3. Akt herrschen Schattierungen eines schönen Bleu vor, und alle bewegen sich in Kulissen (Camille Dugas), die wie aus Reispapierblättern gebaut zu sein scheinen, die sich mit-oder gegeneinander bewegen. Lakmé lebt in einem Käfig aus  Bambuslatten und wird in einem Bollerwagen aus eben diesem Material umhergefahren. Intimität anstelle von Massenaufmärschen, Strenge anstelle bunter Bewegtheit sind das Gebot der Produktion, und man kann dieser zunehmend Geschmack abgewinnen, vor allem, weil die Sängerin der Titelpartie nicht nur vorzüglich singt, sondern auch von den Intentionen der Regie überzeugt zu sein scheint und sie dementsprechend überzeugend umsetzt. Der silbrig klingende, leicht und lichte, in der Höhe leuchtend aufblühende („É l’amour“)  Sopran ist von grenzenloser Geschmeidigkeit und kann das Herz des Hörers berühren. Im ersten Akt steht ihr mit Ambroisine Bré eine adäquate Partnerin für das auch in moderner Werbung präsente Duett zur Seite und lässt es ätherisch erklingen, ganz anders als  Sutherland und Horne, aber auch schön und irgendwie französischer und intimer. Frédéric Antoun ist ein optisch attraktiver Gérald, dessen dunkel grundierter Tenor  aber nur im Einheitsforte eingesetzt wird, der in der Höhe steif klingt, weit weniger in der französischen Tradition zu stehen scheint als etwa der Hadji von François Rougier. Mit schlankem Bariton singt Philippe Estèphe den Frédéric, nur im Forte so richtig frei klingt der Nilakantha von Stéphane Degout, der einen imponierenden auch darstellerischen Einsatz zeigt, süß flötend gibt Elisabeth Boudreault die Ellen, die wie ihre Gesellschaft leicht karikierend angelegt ist. Mittlerweile in einem neuen Fach angelangt ist Mireille Delunsch mit der Mistress Bentson. Besonders im Vorspiel zum dritten Akt kann man goutieren, wie duftig und elegant die Partitur klingen kann, Verdienst von Raphael Pichon und Orchestra and Choir Pygmalion (Bluray Naxos NBD0177V). Ingrid Wanja               

Spurensuche

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Nach Jéliote, haute-contre de Rameau und Dumesny, haute-contre de Lully vollendet Reinoud Van Mechelen bei Alpha Classics seine haute-contre-Trilogie mit Legros, haute-contre de Gluck (ALPHA 554). Joseph Legros  (1739 – 93) sang an der Pariser Opéra, renommierte Komponisten wie Gossec, Grétry, J. C. Bach und Piccinni schrieben Partien für ihn. 1774 traf Gluck in Paris ein, was einen Wendepunkt in der Karriere des Sängers markierte. Er trat als Orphée und in beiden Iphigénie-Opern auf. Gerühmt wurde er für seine Musikalität, den enormen Tonumfang, die ungewöhnliche Virtuosität und die spektakulären Spitzentöne.

Van Mechelen wird bei dieser Einspielung, die im Dezember 2022 in Antwerpen entstand, wieder von seinem Ensemble a nocte temporis begleitet und macht mit für Legros komponierten Opern bekannt. Am Beginn steht Jean-Benjamin de La Borde mit drei Ausschnitten aus Thétis et Pelée. Das Orchester stimmt die muntere, von den Bläsern dominierte Ouverture an und gefällt mit musikantischem Schwung. Das Air „Que mon destin est déplorable“ wird dominiert von trauernden Tönen. Auch im zweiten Air, „Ciel! En voyant  ce temple redoutable“, wird das Schicksal beklagt, was dem Sänger Gelegenheit gibt, mit empfindsamem, schmerzlichem Ausdruck aufzuwarten.

Es folgt Pierre-Montan Berton, aus dessen Sylvie drei Szenen zu hören sind. In ihrer Anlage sind sie graziös, die erste vokal, orchestral die beiden anderen. Van Mechelen, der eben erst in der Berliner Staatsoper als Jason in Charpentiers Médée reüssierte, lässt einen hellen, silbrigen Tenor mit feinen Nuancen hören. Mit Jean-Claude Trial und dem sanften Air „Amour, si tu te plais“ aus La Fête de flore kommt ein weiterer unbekannter Komponist zu Wort, bevor mit Gluck, Gossec, Grétry. Piccinni und J. C. Bach die bekannten an der Reihe sind. Die Gluck-Abteilung ist überschrieben „Gluck arrive à Paris – 1774“ und wird eingeleitet  mit der Ouverture zu Iphigénie en Aulide, in welcher das Ensemble Gelegenheit hat, mit kontrastierenden Affekten zu brillieren. Das Air des Achille „J’obtiens l’objet que j’aime“ gehört zu den Glanzstücken in Van Mechelens Interpretation, ähnlich wie das Air „Accablé de regrets“, mit dem die Gruppe aus Orphée et Eurydice eröffnet wird. Im folgenden „Ballet des ombres heureuses“ wartet das Orchester mit wunderbar kantablem Spiel auf. Nach „Quel nouveau ciel“, welches der Solist mit berührender Zärtlichkeit anstimmt, darf natürlich auch das vokale Highlight der Partie nicht fehlen: „J’ai perdu mon Eurydice“, das durch sein forsches Tempo gar nicht sentimental daherkommt. Auch jedes Pathos ist diesem introvertierten Vortrag fremd. Mit dem Air des Pylade, „Quel langage accablant“ aus Iphigénie en Tauride endet die Anthologie in feinsinnig erfasster Stimmung.

Von Gossec erklingen zwei Airs des Titelhelden aus Alexis et Daphné – ersteres kontemplativ, das zweite lebhaft und auftrumpfend. Abwechslungsreich ist die Auswahl aus Grétrys Céphale et Procris mit zwei Airs und zwei Instrumentalstücken. Der Block zählt zu den Glanzlichtern des Albums. In dem Air des Titelhelden „Ô funeste amitié“ aus Piccinnis Atys sind dramatische Deklamation und energische Attacke gefordert, was der Solist beeindruckend erfüllt. Auch a nocte temporis darf noch einmal mit seinem kultivierten Spiel erfreuen – im Largo aus J. C. Bachs Amadis de Gaule. Und es gibt sogar einen Titel von Legros selbst – das Air „C’est ici que j’ai vu“ aus Hylas et Églé, welches in seinem lieblichen Melos in der Erinnerung das Bild eines schönen  Wesens heraufbeschwört.

Das Album ist in seiner Konzeption – ähnlich wie die Vorläufer dieser Trilogie – vorbildlich und lässt deutlich die Mitwirkung des Centre de musique baroque de Versailles erkennen (28. 12. 23) . Bernd Hoppe

Es bleibt noch viel zu tun

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1898 und 1938 und 2018 sind die Jahreszahlen auf der Stele, die an die mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich nicht nur aus der Wiener Volksoper, sondern auch aus Österreich vertriebenen oder, noch schlimmer, in einem der Konzentrationslager umgebracht wordenden Künstler erinnern soll. Die erste Zahl ist die der Gründung der Volksoper, die letzte die der Rückbesinnung auf ein dunkles Kapitel der Geschichte des Hauses und des Versuches einer Aufarbeitung, zu der auch die erste Ausgabe von Marie-Theres Arnboms BuchIhre Dienste werden nicht mehr benötigt gehört, von dem nun die zweite, erweiterte Auflage erschienen ist.

Die letzte Aufführung in der Volksoper, bevor diese einen Großteil ihres Personals verlor, war Jara BenesGruß und Kuss aus der Wachau, 2023 nun ließ man sich mit der Uraufführung von Lasst uns die Welt vergessen – Volksoper 1938 von den Lebensgeschichten der ehemaligen Mitglieder inspirieren, wie die derzeitige Direktorin des Hauses, Lotte de Beer, in ihrem Vorwort bekundet. Christoph Ladstätter, Geschäftsführer der Volksoper, weist in dem seinen darauf hin, dass nur durch die Beschränkung auf die Mitwirkenden von Gruß und Kuss die Fülle des Materials bewältigt werden konnte.

Vom Direktor bis zum Souffleur, von der Primadonna bis zum Dirigenten reicht die Reihe der der Herkunft, viel seltener dem Glauben nach jüdischen Mitwirkenden. Das Titelfoto zeigt ein Gruppenbild des Ensembles vor 1938, auf dem die jüdischen Mitglieder nur noch als weiße Schatten erscheinen. Am Schluss des Buches gibt es eine Liste  mit den Lebensdaten aller jüdischen Künstler an der Volksoper in dieser Zeit, und nur bei ungefähr jedem Zehnten ist Auschwitz als Todesort genannt, die meisten haben das Schicksalsjahr 1945 überlebt, allerdings nicht in Wien, sondern in den USA, in Südamerika, kaum ein Teil der Welt ist nicht vertreten. Erst auf einer der letzten Seiten wird darauf hingewiesen, wie viel leichter  Musiker mit der ihnen zur Verfügung stehenden Sprache, der Musik, es in allen Breiten der Erde hatten, wieder Fuß zu fassen, dass die fremde Sprache oft ein Grund war, dessetwegen Juden bis zum bitteren Ende hofften, in Deutschland überleben zu können, auch nicht über die internationalen Verbindungen verfügten, die Musiker bereits in besseren Zeiten geknüpft hatten.

Liest man die vielen Erfolgsgeschichten, so eines  Kurt Pahlen, Fritz Fall, Kurt Herbert Adler oder Walter Herbert, die mit den berühmtesten Opernhäusern der USA verbunden sind, die sogar zu Opernhausgründern wurden oder sogar dafür sorgten, dass die schwarze Bevölkerung zumindest im Bereich der Musik sich Rechte erkämpfen konnte, dann könnte leicht ein zu positives Bild entstehen, vor allem wenn immer wieder betont wird, dass die aus Europa Geflohenen Wesentliches dazu beitrugen, dass sich die europäische Musik in der ganzen Welt verbreiten konnte.

 Marie-Theres Arnbom ist österreichische Historikerin, Autorin, Kuratorin, Kulturmanagerin und seit Jänner 2022 Direktorin des Theatermuseum Wien/ Foto Thalia/Buchmesse Wien

Dass dem nicht so ist, dafür sorgt zum Glück das umfangreiche Kapitel über das Künstlerpaar Victor Flemming und Ada Hecht, die die letzten ihnen verbliebenen Preziosen ihrem Sohn nach Amerika mitgaben, der verzweifelt versuchte, den Eltern Visa und Schiffspassagen zu beschaffen, was ihm zu spät erst gelangt, so dass beide in Auschwitz umkamen. Der umfangreiche, von wachsender Verzweiflung geprägte Briefwechsel zwischen Eltern und Kind, Berichte und Dokumente wie Theaterplakate aus Theresienstadt, wo Ada Hecht noch bis zur Deportation nach Auschwitz als Micaela oder Tosca auftrat, sind ein berührendes, nein aufwühlendes Zeugnis dafür, was es bedeutete, von heute auf morgen aus einer glücklichen, erfüllten Existenz in eine völlig rechtlose, von ständiger Todesangst geprägte geworfen und am Ende noch voneinander getrennt zu werden. Die Autorin spürt empfindsam den Spuren eines immer mehr der Verzweiflung anheim gegebenen Lebens nach, sieht in der Veränderung der Schrift in den Briefen das Nachlassen der Lebenskraft und kommt zu dem Schluss, es sei „ein Verschulden der ganzen Welt, dass Menschen….nicht rechtzeitig entkommen können.“ Doch selbst wer entkommen war, war nicht in Sicherheit, wie das Schicksal von Hans Holewas, des „Botschafters der Moderne“,  Bruder zeigt, der von Schweden ausgewiesen wurde und in Auschwitz starb. Übrigens wiederholte sich diese Haltung der um ihre Neutralität kämpfenden Skandinavier 1945, als die auf deutscher Seite kämpfenden Balten an die SU ausgeliefert wurden. Wer sich nicht vor dem Abtransport das Leben genommen hatte, verschwand in sibirischen Arbeitslagern. Aber das gehört in ein anderes Buch.

Das letzte Foto in Arnboms Buch ist das der 99jährigen Tänzerin Elissa Fuchs, Gattin von Peter Paul Fuchs, der in die USA emigrierte, 1954 mit einem Forschungsauftrag nach Deutschland kam, sich in Bayreuth mit Wieland und Wolfgang Wagner anfreundete und das Buch The Music Theater of Walter Felsenstein schrieb. Letzterer führte an der Komischen Oper Fuchs‘ White Agony auf. Der Nachlass von Fuchs wartet noch auf eine Aufarbeitung, die sicherlich zu weiteren wertvollen Erkenntnissen führen dürfte, das Buch von Marie-Theres Arnbom sollte dazu ermutigen, sich seiner anzunehmen und damit nicht zuletzt ein Stück Wiedergutmachung zu leisten (Amalthea Verlag 2023, 208 Seiten; ISBN 978 3 99050 263 1). Ingrid Wanja          

Geschichte statt Musik

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Aufmerksam den genauen Titel des dickleibigen Buches von Michael Lemster in Augenschein nehmen sollte der Musikfreund, denn da heißt es, auch wenn die drei Musiker der Familie Mozart mit ihren Instrumenten auf dem Cover erscheinen: Die Mozarts- Geschichte einer Familie, und von der Musik des Salzburger Genies, dessen Wurzeln in Augsburg zu verorten sind, wird kaum die Rede sein. Wer also mit den Kompositionen Wolfgang Amadeus Mozarts  nicht vertraut ist, der wird kaum ein Interesse haben, dessen Familie näher kennen zu lernen, wem es aber vor allem um die Musik geht, der geht beim Lesen leer aus. Trotzdem dürfte das Werk seine Liebhaber finden, denn es befriedigt die Neugier eines jeden, der an Genealogie interessiert ist, nicht nur mit einem Stammbaum auf den letzten Seiten, der die Vorfahren Mozarts bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt und bis zum Aussterben der Familie , der direkten Nachfolger Mozarts bereits mit dessen zwei kinderlosen Söhnen, reicht, sondern auch mit einer detaillierten Darstellung der Lebenswege der Vorfahren, soweit diese bekannt sind. Da es dabei aus verständlichen Gründen an Material mangelt, gibt es umfangreiche Ausflüge in alle möglichen anderen Lebens- und Wissensbereiche, angefangen von der Historie der Stadt Augsburg und der Salzburgs, ausgeweitet auf die des gesamten Mitteleuropa. Der Numismatiker wird ebenso mit Wissen beglückt wie der Militärhistoriker, wenn vom Dreißigjährigen Krieg die Rede ist. Der Jurist wird ebenso belehrt über zivil- wie strafrechtliche Verfahren früherer Zeiten wie der an Mode einschließlich der Haartrachten Interessierte, und der Mediziner wird den Kopf schütteln über die irren Diagnosen und noch verrückteren Therapien, die zum frühen Ableben auch der im Zentrum des Buches stehenden Figur führen. Man wird vertraut gemacht mit den Verkehrswegen in mehreren Jahrhunderten und vielen Ländern, den Gefahren, die auf Reisen lauerten und den Verkehrsmitteln, deren Zustand jede Klage über die mangelnde Zuverlässigkeit heutiger Bahnen und Flugzeuge verstummen lässt. Vieles, wie die Ausführungen über die Fuggerei, ist durchaus von Interesse, wirkt aber doch, da die Mozarts nicht direkt betreffend, wie Füllmaterial. Auch die ausführliche Schilderung der Arbeit eines Buchbinders gehört dazu.

Stilistisch bewegt sich das Buch zwischen Roman und wissenschaftlicher Abhandlung, wechselt so auch zwischen Präsens und Imperfekt und versucht durch dessen direkte Ansprache den Leser bei der Stange zu halten. Es es setzt sich zum Ziel, durch eine Häufung von Substantiven (Todesarten im Dreißigjährigen Krieg) oder Adjektiven zu überwältigen, arbeitet dank unsicherer Quellenlage viel mit dem Konjunktiv, mit Fragesätzen, den Vokabeln „vermutlich“, „dürfte“, „wahrscheinlich“ oder „dabei muss uns die Phantasie helfen“. Ein Vertrauensverhältnis zum Leser zu schaffen ist bei so unsicherer Quellenlage natürlich oberstes Bestreben, und ein behäbig wirkendes Plaudern scheint dafür besonders geeignet zu sein, wozu auch die seitenlang durchgehende Verwendung des Namens „Wolferl“ gehört oder ein „Natürlich kann sich Constanze von öffentlicher Trauer nichts herunterbeißen.“ Auch das fast durchgehende „Wowi“ für den Mozart-Sohn wirkt zumindest auf Berliner Leser seltsam.

Interessant ist der Versuch des Autors, dem Vater Leopold Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ebenso wie er Salieri von dem allerdings längst ausgeräumten Verdacht befreit, am frühen Tod Mozarts Schuld zu sein. Auch wer noch immer glaubte, Mozart sei in einem Armengrab verscharrt worden, erfährt, dass eine Anordnung Josephs II. aufwändige Begräbnisse verboten hatte. Es geht also nicht um keinen, sondern nur um einen wieder verwendbaren Klappsarg. Andeutungen über Constanzes Untreue und „die bewusste Sache“ (Ein uneheliches Kind?) führen natürlich zu nichts, was man aber keineswegs bedauert. Man hätte eher ein Interesse an dem Verhältnis zu Da Ponte oder Schikaneder gehabt, die nur kurz erwähnt werden. Sympathisch und kenntnisreich erscheinen die gelungenen Versuche des Autors, die viel geschmähte Constanze zu rehabilitieren (Vollendung des Requiems), und so gibt es einiges auch für den Musikinteressierten, insgesamt jedoch eher Profit für den allgemein an Geschichte Interessierten zu entdecken.  

Am Schluss finden sich Anmerkungen, ein Verzeichnis weiterführender Literatur, ein Personenregister und ein Bildnachweis, wobei die sehr spärlich gesät sind.

Gewidmet ist das Werk „Allen liebenden Familien“, wobei im folgenden Text offen bleibt, ob der Autor die Mozarts zu diesen zählte, allerdings angenehm auffällt, dass nicht von der hochmütigen Warthe eines heutigen Besserwissers aus über von vielfältigen Zwängen bedrückte Menschen einer vergangenen Zeit ge- und damit verurteilt wird (2. Auflage 2020 Benevento Verlag München, Salzburg; ISBN 978 3 7109 0073 -0). Ingrid Wanja          

Russell Oberlin

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Ganz genau erinnere ich mich daran, als ich in New York bei Sam Goodies eine Cut-out-LP der Columbia kaufte: ein Monteverdi-Programm der New Yorker Pro Musica Antiqua unter Noah Greenberg, damals eine der Pionier-Organisationen in Sachen Alter Musik. Das war in den Siebzigern, und die Aufnahme stammte aus den Fünfzigern. „Zeffiro torna“ war für mich der Hit, in dem zwei hohe Männerstimmen diese aberwitzige Verschnellung der Dynamiken ausführten, die Stimmen sich umschlingend wie Girlanden, wie Arme eines Daphne-Lorbeerbaums. Und das waren Russell Oberlin und Charles Bressler, letzterer damals ein gesuchter hoher Tenor. Aber Russell Oberlin – der öffnete den Himmel für mich. Eine Stimme voller Süße, androgyn, beweglich, ausdrucksvoll-überirdisch – ein natürlicher, sehr hoher Tenor auch er, ein haute contre im französischen Sinn, kein Falsettist/Counter und darin bis heute absolut unerreicht.. Lange bevor ich Paul Esswood erlebte (und der war dann eine Klasse für sich und zudem dunkler, plaintiver) öffenete mir der Tenor Russell Oberlin das Ohr. Und ich versuchte in der Folge, soviel wie möglich von ihm zu sammeln, namentlich die wunderbare Decca-LP mit den Händel-Arien, die nun – gelobt sei Gott – wieder bei DG erschienen ist (477 6541).

Nun hat die Deutsche Grammophon alle seine Amerikanischen Decca Aufnahmen in einer attraktiven Box mit 9 CDs herausgegeben (486 11034) und dabei für Übreraschungen gesorgt, denn es finden sich auch die erstmal auf CD veröffentlichte Facade von William Walton mit der wunderbaren Hermione Gingold, Comediènne sans pareille, sowie rare Lieder-Aufnahmen von Wolf, Jones, Schumann und sogar zwei Musical-/Film-Songs, die zeigen, wie vielseitig der Tenor war.

Und ein ganz prachtvolles Video bei VAI (America´s Legendary Counter Tenor) bietet die optische Verstärkung aus Live-Auftritten bei Festivals und Fernsehen (neben einer CD mit Liedern von Blow und Purcell/ VAIA 1258).

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Russell Oberlin kann als ein ganz, ganz früher Pionier des Haute-contre-Gesangs gelten, eben kein Falsettiost oder Counter, in der selben Generation wie Hans-Ulrich Mielsch (dessen Nerone bei Vox mich ebenfalls elektrisierte) und nicht Alfred Deller. Beide im Gegensatz zu Deller keine Counter, sondern echte Haute-Contres, hohe Tenöre im Sinne der französischen Tradition, die keine Kastraten duldete. Weil sie die Tenorstimme in die obere Falsettlage hochziehen, statt wie Counter diese ausschließlich zu verwenden. Bei Oberlin gibt es keinen Bruch, keine bizarre  tiefe Note. Keine Karikatur, wie sie so oft bei Countern vorkommt. Oberlin – dessen Italienisch zeitbedingt in seiner amerikanischen Generation etwas gewöhnungsbedürftig klingt – hat einen puren, sofort erkennbaren Ton, eine Sicherheit der Stimmproduktion, die für mich einzig ist. Und die berühmte Aufnahme von Bachs „Ach widerstehe doch der Sünde“ mit Glenn Gould oder die überirdisch gesungenen Anteile am Messiah unter Bernstein zählen neben den Händel-Arien zu den Aufnahmen für meine einsame Insel. Nun ist er am 26. November 2016 mit knapp 90 in New York gestorben – ein Leuchtturm in seiner Zeit und ein großer Künstler. Danke für die Begegnung mit ihm.

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Russell Keys Oberlin (* 11. Oktober 1928 in Akron, Ohio; † 26. November 2016 in New York City, New York ) hatte bereits als Kind in verschiedenen Jungen- und Kinderchören gesungen. Im Alter von 14 Jahren veränderte sich Oberlins Stimme zum Bariton, zwei Jahre später sang er Tenor. Nach seinem High School-Abschluss 1946 an der John R. Buchtel High School in Akron, Ohio studierte er Gesang an der berühmten Juilliard School of Music in New York City, wo er 1951 seinen Abschluss machte. Zu jener Zeit sang Oberlin ausschließlich in normaler Tenor-Lage. Erst als Mitglied des 1953 gegründeten New Yorker Vokal- und Instrumentalensembles The Pro Musica Antiqua versuchte sich Oberlin an der Alt-Lage. Damit war er so erfolgreich, dass er bald allgemein (und fälschlich) als Countertenor angesehen wurde. Bekannt wurde Oberlin vor allem mit Interpretationen von Musik aus Renaissance und Barock. Seine Einspielung mit Arien von Georg Friedrich Händel wurde weltberühmt. Oberlin musizierte unter anderem zusammen mit dem kanadischen Pianisten Glenn Gould: Die gemeinsame Aufnahme der Kantate BWV 54 Widerstehe doch der Sünde von Johann Sebastian Bach ist als seltenes Filmdokument der Gesangskunst Oberlins auf der DVD Hereafter, einer Dokumentation über Glenn Gould von Bruno Monsaingeon, zu sehen.

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Russell Oberlin 1961 als Oberon in Brittens „Midsummer Night´s Dream“ in San Francisco/ Foto Thomas/ SFO/ SFO Archive

Dazu auch noch ein Interview mit Russell Oberlin, 2006: Anfang der 1950er Jahre kam ein erstklassiger Blockflötist, den ich damals nur flüchtig kannte, Bernard Krainis, nach einem Konzert, das ich mit Suzanne Bloch, einer bekannten Lautenistin und Spezialistin für Alte Musik in New York, gegeben hatte, hinter die Bühne. Aus seiner Aktentasche holte Bernie (wie ich ihn fortan nannte) ein Exemplar von „An Ode on the Death of Mr. Henry Purcell“ von John Blow hervor und bat mich, es mir anzusehen, um mit ihm eine kommerzielle Aufnahme davon zu machen. Die „Ode“, die für zwei Countertenöre, zwei Blockflöten und Continuo geschrieben ist, ist ein langes Werk in drei Sätzen auf einen Text von John Dryden. Ich war sofort fasziniert, denn die erste Countertenor-Stimme war in einem sehr angenehmen Bereich meines Stimmumfangs geschrieben und enthielt außerdem eine beträchtliche Anzahl von Koloraturen, was meinem wachsenden Interesse an Gesangsmaterial entgegenkam, das diesen Teil meiner Gesangstechnik nutzte, den ich bisher noch nicht wirklich einsetzen konnte. Die zweite hohe Tenor-Partie war bereits dem versierten Sänger Arthur Squires zugeteilt worden, dessen Stimme mehr Tenor als Countertenor war, und während der Proben begann er sich mit dem anspruchsvollen Umfang der Rolle unwohl zu fühlen. Ungefähr zu dieser Zeit kehrte mein Freund aus der Juilliard-Studentenzeit, der Tenor Charles Bressler, mit dem ich in der Schule oft gesungen hatte, von einem Einsatz bei der Marine nach New York zurück, und da ich seine Stimme sehr gut kannte, vermutete ich, dass er die hohe Lage der Rolle ohne allzu große Anstrengung bewältigen könnte, und schlug ihm vor, es zu versuchen. Zu Arthurs Ehrenrettung sei gesagt, dass er, nachdem er Charles bei einer Probe gehört hatte, sofort sagte, dass die Rolle Charles gehören sollte.

Russell Oberlin in Concert/ VAI

Die Aufnahmen fanden also in einer kleinen Einraumkirche im Keller von Greenwich Village statt, in der West Eleventh Street, gleich westlich der Seventh Avenue. Esoteric Records war damals eine von mehreren bescheidenen, jungen Plattenfirmen in der Stadt und hatte die Ehre, mit einem wirklich guten Toningenieur, Jerry Newman, gesegnet zu sein. Ich erinnere mich, dass wir alle Aufnahmen spät in der Nacht machten, wenn der Verkehrslärm am geringsten war. Wir hatten alle eine wunderbare Zeit bei der gemeinsamen Arbeit an The Blow und wurden schnell Freunde. In der Tat, die Entstehungsgeschichte

der New York Pro Musica entstand zum Teil durch unsere Proben und Vorbereitungen für diese Aufnahme.

Das Soloalbum mit Purcell-Liedern entstand etwas später. Die Pro Musica war zu diesem Zeitpunkt bereits gegründet worden, und mehrere der „Ode“-Interpreten waren Gründungsmitglieder dieser inzwischen legendären Gruppe für Alte Musik. Aufgrund des Erfolgs der Blow-Aufnahme fragte mich Esoteric, ob ich ein Soloalbum für sie machen wolle, und wenn ja, was ich gerne aufnehmen würde. Ohne zu zögern schlug ich Henry Purcell vor. Paul Maynard und Seymour Barab würden mich und Maynard, unseren Cembalisten von Pro Musica, den ich sehr bewunderte, begleiten, und ich wählte die Stücke für die Aufnahme aus. Ich erinnere mich, dass ich damals nur wenige der berühmtesten Lieder von Purcell kannte. Das gab mir die Gelegenheit, sein Gesamtwerk durchzusehen, was sich als eine der lohnendsten Lernerfahrungen in meinem musikalischen Leben herausstellte. Es erübrigt sich zu sagen, dass fast alles, was ich mir ansah, meinen Geschmack und meine musikalischen Interessen in jeder Hinsicht mehr als befriedigte. Was für ein tiefgründiger Meister der Musik war Henry Purcell! Die Auswahl war in der Tat so groß, dass es mir schwerfiel, die Auswahl einzugrenzen. Viele der wunderbaren Airs und weltlichen Kantaten (wie einige sie genannt haben), die für diese Aufnahme ausgewählt wurden, sind bis heute nur selten in Programmen zu hören, die den Werken Purcells gewidmet

Ich fühle mich geehrt, jetzt, mehr als fünfzig Jahre nachdem ich das große Vergnügen hatte, diese beiden Aufnahmen zu machen, sie wieder zu hören und in der Lage zu sein, diese herrliche Vokalmusik mit einer ganz neuen Generation von Musikliebhabern zu teilen. Ich hoffe, dass die vorliegende CD dem Hörer einen kleinen Teil der Freude vermitteln kann, die ich erlebte, als ich sie vor vielen Jahren mit meinen Freunden in der kleinen Einraumkirche im Keller sang und aufnahm. Russell Oberlin/ Venedig, 2006 (aus der CD mit Blow und Purcell bei VAIA 1258) www.vaimusic.com

 

Und auch noch:Russell Oberlin – Eine Diskographie/ Konzeption & Recherche:Pierre-F. Roberge/ Letzte Aktualisierung: 23.08.2009 / Russell Oberlin, Thomas Hunter, ehemaliger Musikprofessor und Direktor des Collegium Musicum am Hunter College, ist ein international gefeierter Sänger, der als Amerikas führender Countertenor gilt. Russell Keys Oberlin wurde am 28. Oktober 1928 in Akron, Ohio, geboren. Als Absolvent der Juilliard School of Music lernte er dort in den frühen 50er Jahren Noah Greenberg, einen der prominentesten Spezialisten für Alte Musik, kennen. Oberlin war Gründungsmitglied von Greenbergs New Yorker Pro Musica, wo er sich schnell einen Namen machte. Einer seiner bemerkenswertesten Erfolge war die Mitwirkung in „The Play of Daniel“.

Er begann, mit einer kleinen Firma namens „Expériences Anonymes“ Aufnahmen zu machen, aus denen später das bekannte Lyrichord-Label hervorging. Er machte 10 Aufnahmen für EA, hauptsächlich von mittelalterlichem Repertoire; er war der erste, der eine komplette LP der Cantigas de Santa Maria aufnahm, eine LP, die meiner Meinung nach immer noch eine der lebendigsten Interpretationen ist, auch wenn der Ansatz eher minimal war (Stimme und Laute). Mitte der 50er und Anfang der 60er Jahre machte er zahlreiche Aufnahmen, gab Liederabende und trat als Solist mit führenden Orchestern in den USA und im Ausland auf (von den meisten Aufnahmen gibt es leider immer noch keine Neuauflagen im CD-Format) und sang Purcell, Händel-Arien, Bach und Schumann.

Im Gegensatz zu Deller war er ein echter Schauspieler: Er spielte sogar Sprechrollen bei der American Shakespeare Company. Zu seinen Opernrollen zählen Auftritte am Royal Opera House und am Convent Garden, wo er in der Londoner Premiere von Benjamin Brittens „Sommernachtstraum“ die Rolle des Oberon sang (Alfred Deller fühlte sich offenbar zutiefst gedemütigt, weil er nicht für die Rolle ausgewählt wurde). Im Gegensatz zu Deller war er auch kein Falsettist, sondern ein echter hoher Tenor (a la John McCormack) oder das, was man in der Vergangenheit manchmal als irischen Tenor bezeichnet hat. Während der amerikanischen Erstaufführung in San Francisco nahm er Bachs Werke mit Leonard Bernstein und Glenn Gould auf. Ein Kritiker sagte sogar, dass „Deller ein Engel war, Oberlin ein Mann“. Mitte der Sechzigerjahre hörte er auf, Aufnahmen zu machen und in der Öffentlichkeit aufzutreten. Er begann eine Karriere als Pädagoge und bildete Willard Cobb und den verstorbenen John Ferrante aus. Als hochrangiger Fullbright-Forschungsstipendiat hat Oberlin in den USA und in England gelehrt und Vorträge gehalten. Der eine wurde heiliggesprochen, der andere vergessen…, zumindest in letzter Zeit, und vielleicht hilft diese Website ein wenig dabei, die Anerkennung zu fördern, die dieser große Künstler verdient.

(Dieser Text wurde frei aus einer Notiz im Booklet der Decca-Lyrichord-CDs und aus einem Artikel von Yvan A. Alexandre in der französischen Zeitschrift Diapason (Oktober 1995) übernommen. Auch ein sehr interessanter Artikel über Expériences Anonymes/Lyrichord in seinen Anfängen und das Debüt von R. Oberlin erschien in Fanfare, Vol. 18 # 1.)

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Russell Oberlin – The Compete Recordings on American Decca. Mit Werken von: Thomas Tallis (1505-1585) , Georg Friedrich Händel (1685-1759) , Josquin Desprez (1440-1521) , Dieterich Buxtehude (1637-1707) , Georg Philipp Telemann (1681-1767) , Henry Purcell (1659-1695) , Robert Schumann (1810-1856) , Hugo Wolf (1860-1903) , William Walton (1902-1983); Mitwirkende: Russell Oberlin, New York Pro Musica Antiqua, Baroque Chamber Orchestra, Noah Greenberg, Thomas Dunn; 9 CDs DGG, ADD, 1957-1964 (9 CDs 486 11034)

»Music of Medieval Court and Countryside (for the Christmas Season)« – Leonin: Viderunt omnes; Guillaume Dufay: Hostie Herodes; Vergille bella; Ave Regina; Martin de Rivaflecha: Salve Regina; Pierre Attaignant: 4 Dances; Richard Smert: Nowell, Nowell; Anonymus: 2 French Dances; There is no Rose; Saltarello; Riu, Riu; Te Deum (1957 / The New York Pro Musica Antiqua, Noah Greenberg)
+»The Play of Daniel – A Twelfth Century Musical Drama« (1958 / The New York Pro Musica Antiqua, Noah Greenberg)
+Thomas Tallis: Lamentationes Jeremiae; Mass for four Voices; Motette »In jejunio et fletu« (The New York Pro Musica Antiqua, Noah Greenberg)
+»Elizabethan and Jacobean Ayres, Madrigals and Dances« – Werke von Thomas Morley, John Dowland, William Byrd, Tobias Hume, Orlando Gibbons, John Coperario, Robert Jones, John Farmer, Thomas Campion, Anonymus (The New York Pro Musica Antiqua, Noah Greenberg)
+Georg Friedrich Händel: But who may abide the day of his coming & How beautiful are the feet aus Der Messias; Their land brought forth frogs & Theo shalt bring them in aus Israel in Egypt; Ah, dolce nome aus Muzio Scevola; Vivi, tirammo & Pompe vane di morte…Dove sei, amato bene aus Rodelinda; Ombra cara aus Radamisto (1960 / Albert Fuller, Baroque Chamber Orchestra, Thomas Dunn)
+Josquin Desprez: Missa pange lingua; Fama Malum; Dulces exuviae; La Bernadina; Tu solus; Fanfare for Louis XII; Anonymus (flämisch): Heth sold ein meisken; Si j’ai perdu mon ami (New York Pro Musica Motet Choir & Wind Ensemble, Noah Greenberg)
+»Baroque Cantatas« – Georg Philipp Telemann: Kantaten TVW 1: 213 »Deine Toten werden leben« & TWV 1: 694 »Gott will Mensch und sterblich werden«; Dieterich Buxtehude: Kantate BuxWV 64 »Jubilate Domino«; Georg Friedrich Händel: Kantate HWV 162 »Siete rose rugiadose« (George Ricci, Cello; Morris Newman, Fagott; Douglas Williams, Cembalo)
+»A Russell Oberlin Recital« – Robert Jones: Love is a Bable; Ite caldi sospiri; As I lay lately in a Dream; Goe to Bed sweete Muze; Henry Purcell: Hark! The Echoing Air aus The Fairy Queen; I love and i must; Music for a While aus Oedipus; Robert Schumann: Sängers Trost; Meine Rose; Ihre Stimme, Dein Angesicht; Hugo Wolf: Auch kleine Dinge können uns entzücken; Ach, im Maien war es; Auf ein altes Bild; Verschwiegene Liebe; Nun wandre, Maria; Er ist’s; Anonymus: The Saint Godric Songs; Love is a Many splendored Thing aus Love is a many splendored Thing; Little Girl blue aus Jumbo; More and more aus Can’t help singing; You always love the same Girl aus A Connecticut Yankee (Joseph Iadone, Laute; Paul Maynard, Cembalo; Martha Blackman, Viola da gamba; Douglas Williams, Klavier)
+William Walton: Facade (1961 / Hermione Gingold, John Solum, Theodore Weis, Charles Russo, Vincent J. Abato, Charles McCracken, Harold Farberman, Thomas Dunn)

Künstler: Russell Oberlin, New York Pro Musica Antiqua, Baroque Chamber Orchestra, Noah Greenberg, Thomas Dunn;

Maria Callas zum 100.

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Kein anderer Künstler oder Künstlerin ist in unserer Zeit so hochgehypt, so ausgequetscht, so vermarktet worden wie Maria Callas. Ihr Name ist selbst bei Klassik-Abgeneigten ein fester Begriff. Ihre Aufnahmen, vor allem auch die Live-Aufnahmen, sind (ehemals auf dem grauen Markt und manche bei der EMI, zuletzt nun Warner als deren Erbin) milliardenfach ganz oder auseinandergerissen verkauft worden. Sie erfüllte die Sehnsüchte der Fans nach Teilhabe am glamourösen Leben, sie verkörperte das Märchen von der grauen Ente, die zum stolzen Schwan wurde Sie ist bis heute Projektionsfläche für alles, was mit Kunst und Glamour zusammenhängt. Keine wie sie steht so repräsentativ für das Genre Oper. Anna Netrebko, Beverly Sills, Joan Sutherland und viele viele andere segelten und segeln in ihrem Fahrwasser. Bis heute. Sie hat der Welt der Oper die ideale, überdimensionale Diva zurückgegeben. Die Göttlichkeit der Kunst oder das Göttliche in dieser. Aber eben auch die zerbrechliche Menschlichkeit des Künstlers.

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Maria Callas in Hamburg/ Foto EMI

Am 2. Dezember 2023 jährt sich der Geburtstag von Maria Callas zum 100. Mal. Alles, alles, absolut alles ist über sie gesagt, und nur ganz wenige von uns Lebenden haben sie live erlebt (vielleicht ihre letzten Konzerte noch, und die optischen Dokumente vermitteln natürlich nicht die Magie ihrer Auftritte und haben oft – wie die Londoner Tosca – eher etwas unfreiwillig Komisches, Gestriges).

Ihre eigentliche Stärke, Ausdruckskraft, Vehemenz ebenso wie Sensibilität erschließen sich am ehesten und besten für die Nachgeborenen in ihren Live-Aufnahmen, von denen viele erhalten sind und von denen die Sammler alle haben. In unterschiedlichen Pressungen und akustischen Bedingungen.

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Es ist ja nach wie vor ein unergründliches Geheimnis, warum diese Live-Aufnahmen nur als Unikate existieren (bis auf Bellinis Pirata aus New York, den es wie die Anna Bolena der Scala sogar als alternativen house wire in Stereo gibt, ebenso  auch die Vespri 1951 aus Florenz bei Testament in erstaunlicher Qualität).  Hat denn in ganz Italien der Fünfziger nur ein einziger Fan am Radio mitgeschnitten? Gibt es jeweils nur diese einzige Aufnahme? Die originalen Bänder der RAI sind es nicht, die hat die ihren vernichtet – unbegreiflich, aber eben leider wahr. Von anderen Vorstellungen, wie etwa dem Don Carlo oder der Fedora, gibt es nichts – wenn auch hier gemunkelt wird, Frau Corelli hätte „nur“ die Auftritte ihres Mannes festgehalten, aber die sind verschwunden, wenn sie denn je existiert haben. Ebenso auch ein Gesamt-Piraten-Mitschnitt der Fedora. Wie auch der Tristan oder die Walküre aus ihren Anfängen in Italien. Der Ursprung dieser erhaltenen Live-Bänder bleibt mysteriös. Im Macbeth hörte man zudem am Ende von Akt 1 auf den frühen LP-Ausgaben (so Morgan) noch den ab- und ausfallenden Ton, überlagert von den Nachrichten der RAI. Das wurde später von Nikos Vellissiotis für seine Arkadia-Edition repariert und das fehlende Ende von Akt 1 mit einem Ausschnitt aus der Palermo-Aufnahme der Oper mit Leyla Gencer repariert, so zu hören auch in der EMI-Übernahme. Vellissiotis verklagte damals erfolgreich die EMI wegen der „Übernahme“ „seines“ Macbeth auf einen Vergleich, in Ricordi Shops Italiens standen Arkadia und EMI lange friedlich nebeneinander in den Regalen.

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Aber eben: Woher stammen die Live-Aufnahmen ursprünglich? Dass die RAI-Bänder nicht mehr existieren, weiß ich von Ina Delcampo/Melodram, die beste Beziehungen zur RAI und viele ihrer Titel von dieser bezogen hatte, zumal ihr Sohn Stefan Felderer zu den begabtesten Tonrestauratoren gehörte und viele Sammler seine Überspielungen (und auch die von Naxos) anderen vorziehen…

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Nun hat die Nachfolgerin ihrer Exklusivfirma EMI, die Warner, alle ihre dort versammelten Aufnahmen  noch einmal herausgegeben, („Maria Callas in all her roles“, 131 CDs, 3 Blurays & HDBluray-CDs, 5054197473951),  dazu aufgehübscht ein paar Blurays ihrer optisch bekannten Konzerte, in HD-Bluray–Qualität ein paar nur-akustische Auftritte dazu, die schlecht beratenen Julliard-Masterclasses (nicht die ja auch vorhandenen Interview mit Davids Frost und anderen) – alles bekannt. Und auch nicht ganz richtig, denn „all her roles“ bedeutet, alle Partien, die sie gesungen hat, und zum einen sind nur Arien keine Partien, und zum zweiten gibt es weder der Fidelio, noch Marta/Tiefland, Smaragda (in O Protomastoras von Kalomiris), die Walküre, noch die Fedora, noch die Isolde und mehr. Es müsste heißen „in all her at Warner documented roles and arias“! Also ein wenig genauer wäre schön gewesen …

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Neu sind nur (die allerdings bei Divina bereits herausgekommenen)  „Studio altenative takes and studio-sessions“ aus den Jahren 1964 – 1968 in Paris unter Nicola Rescigno, Vor-Studien zu den von ihr auf ihren Recitals dann veröffentlichten Opernarien von Rossini, Donizetti, Verdi Weber, Bizet und Berlioz. Eingefangen sind auch einige Gespräche über der Interpretation mit Rescigno, also eine Art work-in-progress Dokument, was ganz spannend ist (CD 131).

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Vermissen tut der Fan die bei Philips unter Antonio de Almeida aufgenommenen und von ihr nicht freigegebenen Duette mit Giuseppe di Stefano (Forza del Destino; I Vespri Sicilani, Don Carlo, Aida, Otello) von 1972, die wären doch ein Schmankerl für Kauffreudige gewesen und hätten das Übernahme-Geld gelohnt. Und Duette mit Franco Corelli soll es auch geben (dto. Philips), munkelt die Szene der Accolyten… Es wäre vielleicht auch möglich gewesen, die wirklich erstaunlichen Dokumente aus dem bedeutenden Film „Maria by Callas“ zu übernehmen (Butterfly und anderes optisch, wirklich aufregend und zudem: was für ein toller, bewegender Film!). Und Callas-Fans wie ich hätten da noch eine längere Wunschliste …

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Aber – ganz ehrlich – ändern diese Schnipsel und geheimnisumwobenen Raritäten etwas an der Wirkung der Stimme und vor allem an der Kunst der Sängerin Maria Callas? Wir haben uns bei operalounge ja stets von dem Klatsch, den Schlüssellochberichten, den Sentimentalisierungen und Psychologisierungen der Diva ferngehalten. Zur Einschätzung ihrer Wirkung nützen weder ersteigerte Intimwäsche (doch noch, das gabs) noch Hochglanzfotos in verklebten Leitz-Klarsichttaschen. Was bleibt ist der ganz unmittelbare Eindruck ihrer gestalterischen Kunst, die vergessen macht, dass ihre Stimme eigentlich keine schöne, glatte, palatable war, sondern eine fordernde, aggressive, beunruhigende mit einer ganz eigenen „message“ und Farbe. „Keine wie sie“, möchte man sagen, und das ist in einer jetzigen Welt der Beliebigkeit und glattgebügelten Austauschbarkeit etwas bis heute Beunruhigendes, Wunderbares.

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Freundinnen und Kolleginnen: Maria Callas und Elisabeth Schwarzkopf in Mailand während der Aufnahmen zur „Turandot“/Piccagliani/Schwarzkopf/ISBN 978-3884530184

Und als PS.: eine interessante Richtigstellung zum relativ frühen Abstieg in der Stimme der Maria Callas, der ja allgemein ihrem neuen Jet-Set-Lebenswandel, ihrem Abhungern oder intensiven Privatleben mit Onasssis zugeschrieben wird. Elisabeth Schwarzkopf, die mit der Callas nicht nur in der Turandot-Aufnahme sang sondern auch mit ihr befreundet war, gibt als Grund eine nicht behandelte/auskurierte Sinusitis an. Was sie ganz sicher als Kollegin und besorgte Freundin beurteilen konnte. In den berühmten „Schwarzkopf-Tapes“, die der englische Musikjournalist Alan Sanders aufgrund seiner Gespräche mit Elisabeth Schwarzkopf über das Jefferson-Buch über die Schwarzkopf herausgegeben hat (Alan Jefferson: Elisabeth Schwarzkof, Gollancz 1996):. Er las ihr Stellen aus dem Jefferson-Buch vor. Sie antwortete empört und an sehr vielen Stellen vernichtend berichtigend dazu, war das Buch doch ohne sie und gegen ihren Willen geschrieben worden. Sie sagt zur Callas (ich zitiere den ganzen Absatz):

AS. (liest Jefferson vor): In the 1950s and early 1960s the leading international soprano from the special category of the Wagnerians, were Maria Callas and L Schwarzkopf so different…

ES: Oh no, no, no. Because there was still Tebaldi, also you know, for instance …

AS: Los Angeles?

ES: Los Angeles of course, you see, sure.

AS (liest weiter): … in every way that there could be no rivalry between them. Schwarzkopf was never one to make public scenes, to court the press or to walk out; she was totally professional, going about her job undemonstratively and producing a superbly finished product. This resulted in a far longer career than the tragic American-Greek diva, who burned herself out far too soon.

ES: He doesn’t know about it, what happened. He shouldn’t imagine, none of them knows – they should be silent about that, you see. Besides, they are now writing about a poor woman who cannot take sense to what they say and it is really a scandal of all time. Besides, what has it got to do with her singing? Nothing. And you know not even her deterioration had to do with her private life. Oh no. She had for two years suffered from – what do you call it? – Sinusitis, yes. It wasn’t detected and so she sang against all this being filled up and she wanted to find the resonances which were not possible to find because those things were filled with pus. And Walter took her to [Dr] Griffith that’s when he (i. e. Walter) sat there holding her hand and he said, „Maria, don´t be frightened – after all, you are a Greek“. And she said, „Yes, but I am a frightened little Greek“, you see.

AS: … the tragic American-Greek diva, who burned herself out far too so.

ES: What does he know about this, the silly clot?

(Interview mit Alan Sanders in „The Schwarzkopf Tapes“, 2010; Classical Recordings Quaterly/ The Elisabeth Schwarzkopf/Walter Legge Society ISBN 978-0-95673561-0-9, p. 29)

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Und noch ein PS.: Es gibt eine Theorie (von Harold Rosenthal, dem Begründer des englischen Opernmagazins Opera und eminenter Stimmenkenner seiner Zeit), dass die vielbeschworene Belcanto-Ausbildung der Callas bei Elvira del Hidalgo in Athen die ursprünglich riesige Stimme der Callas wie durch ein Nadelöhr zwängte und dadurch zwar wendig, aber auch klein machte, so als ob man einen Jeep mit einem Porsche-Motor versehen würde, was zur Kurzlebigkeit der Stimme beitrug. Darüber kann man sich streiten, wenngleich die Dokumente aus der üppigen, robusten Nachkriegsphase dem zuarbeiten würden. Es gibt aber noch eine Anekdote um Rosenthal, der – befragt zu seiner Meinung zur Callas-Norma in London 1952 – antwortete: „Wonderful, but isn´t it sad?“ und andeutete, dass er den kommenden Verschleiß bereits hören konnte – eine weitsichtige Bemerkung.

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Nachstehend nun der Artikel über die 131 CDs (nebst DVDs) in der Warner Box „Maria Callas in all her roles“, den wir mit freundlicher Genehmigung der Firma und mit Dank wiedergeben. Wobei man auf ein gewisses grano salis hinweisen muss, denn es gibt – anders als mit dieser Edition der Eindruck entstehen mag – hier nicht, wie erwähnt,  alle Rollen und eben auch recht viele weitere Live-Aufnahmen der Callas, die auf anderen Labels wie Melodram (der Mutter der Live-Aufnahmen), Divina et al. herauskamen. So die wirklich aufregende Lucia aus Rom 1957/Melodram neben Fernandi (die Callas krank und ihre ganze Kunst zusammenraffend zu überwältigendem Eindruck) oder die für mich unerreichte RAI-Norma konzertant 1955 (mit Stignani und del Monaco in Rom unter Serafin/Cetra im Sommer vor der Scala-Premiere). Diese und viele andere sind im Laufe der Bereinigung des „grauen Marktes“ von diesem verschwunden, zum Bedauern der Sammler.

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Nun also zur Box: Vor 100 Jahren, am 2. Dezember 1923, wurde Maria Callas im New Yorker Flower Hospital geboren, an der 5th Avenue beim Central Park. Nur wenige Monate zuvor waren ihre Eltern aus der griechischen Stadt Patras in die USA übergesiedelt, wo sie sich jenseits des East River, gegenüber von Manhattan, im Stadtteil Queens niederließen. Die vorliegende Sammlung La Divina: Maria Callas in all her roles geht den Etappen ihrer unvergleichlichen Karriere nach – im Aufnahmestudio, im Opernhaus und im Konzertsaal. Dafür wurden sämtliche verfügbaren Quellen aus den Jahren 1949 bis 1965 herangezogen – und als Überraschung einige Verdi-Aufnahmen, die 1969, vier Jahre nach Callas‘ letztem Buhnenauftritt, entstanden.

Die vorliegende Box kombiniert zum ersten Mal alle Studioaufnahmen der Callas, die 2014 in den Abbey Road Studios digital remastered wurden, mit Live-Aufnahmen ihrer Bühnenauftritte und Solokonzerte. Die Tonqualität dieser Mitschnitte, die größtenteils aus Radiosendungen stammen, ist zwangsläufig recht unterschiedlich, doch das Art et Son Studio in Annecy hat sie restauriert und optimiert. Die Sammlung folgt Callas‘ Opernrollen und hat sich zum Ziel gesetzt, jede Arie sowohl in einer Studio- als auch einer Live-Aufnahme vorzustellen. Beide Arten von Quellen ergänzen sich, und beide sind wichtig, um die Vielfalt der Rollen, die Maria Callas im jeweiligen Kontext gesungen hat, so gut wie möglich zu dokumentieren und zu illustrieren.

Nach einer Reihe von Übernahmen und Zusammenschlüssen von Unternehmen der Plattenindustrie sind alle Studioaufnahmen von Maria Callas heute bei Warner Classics gelistet. Anfänglich stand sie beim Label Cetra-Soria unter Vertrag, das der ehemalige CBS-Manager Dario Pellegrino Soria gegründet hatte (Kommentar s. unten). Im Jahr 1949 nahm sie dort drei Arien für 78er-Schallplatten auf. Von den vier Operngesamtaufnahmen, die ihr Vertrag vorsah, wurden nur zwei verwirklicht: La Gioconda im Jahr 1952 (Callas hatte 1947 ihr Italien-Debut in der Titelrolle gegeben) und La traviata im Jahr 1953. Manon Lescaut (eine Rolle, die Callas nie auf der Bühne gesungen hat) wurde erst 1957 für EMI eingespielt. Die geplante Studio-Aufnahme von Boitos Mefistofele kam nie zustande, 1954 interpretierte die Sängerin jedoch Margherita in Verona.

Im Jahr 1953, in dem Callas La traviata in Turin aufnahm, verkaufte Soria sein Label an Capitol Records und begann mit EMI und RCA zusammenzuarbeiten. Nach langwierigen Verhandlungen mit Walter Legge hatte Callas 1952 einen Folgevertrag mit dem mächtigen EMI-Produzenten unterzeichnet. Infolge der Übernahme der Rechte an den Aufnahmen verwaltet heute Warner Classics die gesamte Cetra-Soria- und EMI- Columbia-Diskografie von Maria Callas. Ihre Zusammenarbeit mit EMI begann Anfang 1953 mit einer spektakulären Lucia di Lammermoor unter Tullio Serafin, Callas‘ wichtigstem musikalischen Mentor neben Elvira de Hidalgo, ihrer Gesangslehrerin am Konservatorium in Athen. Es folgten I puritani, Cavalleria rusticana (Santuzza war 1939 ihre erste Opernrolle als Studentin in Athen gewesen) und eine gefeierte Tosca unter Victor de Sabata, ein Meilenstein des Opernrepertoires. Im Laufe dieser Zeit orientierte sie sich im Opernfach neu und setzte zunehmend auf Belcanto-Werke.

Maria Callas‘ Aufnahmetätigkeit war damals ausserordentlich rege: Von 1952 bis 1957 vollendete sie 21 Opern-Gesamtaufnahmen, die meisten davon mit dem Orchester der Mailänder Scala. Es folgten Stereoversionen von drei zuvor in Mono eingespielten Opern: Lucia di Lammermoor (1959), La Gioconda (1959) und Norma (1960). Ihre letzten Opern-Gesamtaufnahmen entstanden 1964 in Paris, wo sie Anfang der 1960er Jahre eine neue Heimat gefunden hatte: Carmen – eine Rolle, die sie nie auf der Buhne inter­pretierte – und eine weitere Tosca. Neben Opern nahm sie Soloalben auf, in denen sie nicht nur ihr Bühnenrepertoire verewigte, sondern sich auch an Rollen wagte, die sie nie komplett interpretiert hat, weder auf der Bühne noch im Studio. Nach den 1949 aufgezeichneten Arien entstanden zwischen 1954 und 1958 fünf Solo-LPs in London und Mailand sowie Anfang der 1960er-Jahre sechs weitere in Paris.

Nach zwei unergiebigen Jahren in New York (1945-47) debütierte Callas in Verona. Die um 1950 entstandenen Studioaufnahmen konnen ihren damaligen Glanz nur ansatzweise vermitteln. Zu dieser Zeit hatte sich ihre Stimme zu höchster Blüte entfaltet; im überaus arbeitsreichen Jahrzehnt von 1948 bis 1958 verfeinerte sie kontinuierlich ihre Gesangskunst, obwohl (oder vielleicht gerade weil) sie mit ersten stimmlichen Problemen zu kämpfen hatte, die in erster Linie aus einem geschwächten Selbstvertrauen resultierten. Dank ihrer verbesserten Gesangstechnik konnte sie die zunehmende Anfälligkeit ihrer Stimme ausgleichen. Deshalb sind auch die Aufnahmen von Callas‘ Radiosendungen (meist bei der italienischen Rundfunk-anstalt RAI) so bedeutsam: Sie ermöglichen es, dieser »Jahrhundertstimme« gerecht zu werden und – ergänzend zu ihren Cetra- und EMI-LPs – die gesamte Bandbreite ihres Repertoires zu erfassen, das von der Klassik (die starker vertreten ist, als man denken konnte) uber die Belcanto-Opern der Frühromantik bis zu Wagner, Verdi, den Komponisten des Verismo und Puccini reicht.

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Maria Callas: Fidelio in Athen 1944/Petsalis-Diomidis

Der früheste erhaltene Live-Mitschnitt einer kompletten Oper mit Callas ist ein Nabucco aus Neapel vom 20. 12. 1949. (Die beiden kompletten Mitschnitte von Norma und Turandot in Buenos Aires sind allerdings vom Mai und Juli desselben Jahres/s. Melodram/ G. H.) Die selbstbewusste junge Sopranistin läuft hier stimmlich und musikalisch zu Höchstform auf. Die weiteren Mitschnitte von (in dieser Box versammelten/G. H.) Opernvorstellungen aus den Jahren um 1950 umfassen: Parsifal (RAI, Rom 1950 – Callas‘ einzige aufgezeichnete Wagner-Rolle, auf Italienisch gesungen); I vespri siciliani (Florenz 1951); Aida (Mexiko 1951); Armida (Florenz 1952); Rigoletto (Mexiko 1952); Norma (London 1952) und Macbeth (Mailänder Scala 1952).

Ab 1952 erschienen ihre ersten Studioaufnahmen vollständiger Opern, die von Live-Mitschnitten, vor allem aus der Scala, »überschattet« wurden: 1953 Medea; 1954 Alceste und La vestale; 1955 Andrea Chenier, La sonnam­bula und La traviata (die legendäre Visconti-Inszenierung) an der Scala sowie Lucia di Lammermoor in Berlin; 1957 Anna Bolena, Ifigenia in Tauride (die letzte Zusammenarbeit von Visconti und Callas an der Scala) und Un ballo in maschera in Mailand sowie La sonnambula in Köln. In den folgenden Jahren entstanden die legendäre Aufnahme der Traviata von 1958 in Lissabon, Il pirata in der New Yorker Carnegie Hall (1959) und Poliuto (1960) an der Scala – die letzte Produktion, in der Callas eine neue Rolle übernahm. Hinzu kommt die 1964 im Londoner Royal Opera House aufgenommene Tosca, die Oper, mit der sie 1965 ihren Abschied von der Bühne nahm.

Maria Callas als Smaragda in Kalomiris´“O Protomastoras“, Athen 1942/in „The unknown Maria Callas – The Greek Years“ von Nicholas Petsalis-Diomidis, Amadeaus 2001 – absolut empfehlenswert über die frühen Jahre ihrer Karriere (ISBNB 978-1574670592/ Amazon)

Neben den erwähnten Live-Aufnahmen vollstandiger Opern sind eine Reihe von Konzertmitschnitten erhalten, darunter einige Radiosendungen, die die RAI zwischen 1951 und 1956 in der Reihe Grandi Concerti Martini & Rossi ausstrahlte; das Konzert, mit dem Callas 1957 ihre Rückkehr nach Athen feierte; ihr im Fernsehen übertragenes Pariser Debut von 1958 mit dem Zweiten Akt von Tosca (auch auf Blu-ray verfügbar); einige Etappen aus ihrer Tournee von 1959 (Hamburg, Stuttgart, Amsterdam) sowie Aufnah­men der frühen 1960er-Jahre aus London und Paris.

Die in der Box enthaltenen Blu-ray Discs umfassen auch Videos ihrer Konzerte in Hamburg 1959 und 1962, im Londoner Royal Opera House 1962 (mit einer Kostprobe ihrer Carmen) und eine weitere Fassung des Zweiten Akts von Tosca, die 1964 in London entstand. Quelle: Warner

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Und noch ein PS. zur Geschichte der italienischen Firma Cetra, die der obige Warner-Artikel als Produkt von Soria darstellt, was nicht richtig ist. Die staatliche Cetra war die Nachfolgerin der Staatsfirma EIAR (Turandot mit Gina Cigna etc.) und veröffentlichte weitgehend Radiomitschnitte der Fünfziger, so die Verdi-Opern aus dem Jubiläumsjahr 1951. Später fusionierte sie mit einer anderen Firme als Fonit Cetra und wurde in den Achtzigern von Warner aufgekauft. Soria war die amerikanische Vetriebsfirma, die auch andere Firmen im Programm hatte und das amerikanische Label Angel gründete, das später zum EMI-Imperium wanderte/daher der kleine Engel auf den Etiketten. G. H.

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Dazu Wikipedia: C.e.t.r.a. (the name is the acronym of Compagnia per edizioni, teatro, registrazioni ed affini) was born in Turin on April 10, 1933 on the initiative of the Italian Agency for Radio Auditions (EIAR), which decides to transform the Edizioni musicali Radiofono, active since 15 September 1923 (and owned by him) in the record company, changing its name to Cetra Società Anonima; later the company will become a joint stock company. Initially, the Cetra only made its own recordings and the distribution of the discs, for the printing of which it used instead of the Parlophon as easily found on the labels.

In a short time, also starting the printing of its own records and with its own machinery, it became one of the leading companies in the Italian discography (at the time only 78 rpm records were printed), thanks above all to the link with the radio company EIAR, that all the major singers broadcast by the radio then recorded for the Cetra. (…) With an act dated December 16, 1957, Fonit and Cetra decided to merge into a new company, Fonit Cetra; the Cetra brand continues to exist within the new company.. (…) The company was notable for issuing many recordings of obscure or seldom heard operas and the more obscure operas of Giuseppe Verdi to coincide with the 50th anniversary of the composer’s 1901 death in 1951. Cetra opera albums were first distributed in the United States on the Cetra-Soria label (founded by Dario and Dorle Soria, who later founded Angel Records). Beginning in 1966, several Cetra opera recordings were distributed in the U.S. by Everest Records. Quelle Wikipedia 

Mit süffigem Sound

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In der Gestaltung dramatischer Belcanto-Partien Donizettis  (Lucia, Maria Stuarda, Anna Bolena) hat Diana Damrau, offenbar an die Grenze ihrer stimmlichen Möglichkeiten gelangt, eine Pause eingelegt und sich dem „leichten Genre“ zugewandt. Davon zeugte schon das Doppelalbum von 2022 „My Christmas“. Nun bringt ihre Stammfirma ERATO eine neue Platte mit der deutschen Sopranistin heraus, die den schlichten Titel Operette trägt (vielleicht in Anlehnung an Noel Cowards Stück?) und von Januar bis Juli 2023 in München und Salzburg aufgenommen wurde (5054197827983). Einen besonderen Akzent setzt der Untertitel des Albums WIEN . BERLIN . PARIS, denn er steht für die fantastische Reise der Sängerin in die Welt der Operette des 19. Jahrhunderts mit diesen drei wichtigen Stationen. In der Programmfolge sind die Titel, welche für die Metropolen stehen, allerdings vermischt, was freilich eine reizvolle Abwechslung mit sich bringt.

Den Auftakt macht Manons „Du sollst der Kaiser meiner Seele sein“ aus Der Favorit von Robert Stolz – ein durch die legendären Interpretationen von Hilde Gueden und Anneliese Rothenberger bekannter Titel. Damrau hält sich im Vergleich dazu achtbar – weniger damenhaft-glamourös, mehr jugendlich-kokett. Auch der folgende Titel, „Schlösser, die im Monde liegen“, aus Paul Linckes Frau Luna ist populär, beispielsweise in der Gestaltung durch Lucia Popp. Auch hier setzt Damrau auf einen kessen Soubrettenton.

Mehrere Nummern stammen aus Werken von Franz Lehár, von denen eine sogar selten zu hören ist: „War es auch nichts als ein Traum“ aus Eva. Hier schwelgt die Solistin im Walzerrausch, lässt in der exponierten Lage freilich forcierte Töne hören. Dagegen sind „Warum hast du mich wachgeküsst?“ aus Friedericke, das in seiner melancholischen Stimmung einer der gelungensten Titel ist,  „Liebe, du Himmel auf Erden“ aus Paganini und „Hör’ ich Cymbalklänge“ aus Zigeunerliebe beliebte und immer wieder gehörte Schlager. Letztere Nummer entspricht in ihrer rasanten Anlage dem Temperament der Sängerin besonders, sie jauchzt und sprüht mit Schwung und Esprit.  Mit verführerischem Raffinement singt sie „Liebe, ich sehn` mich nach dir“ aus Kálmáns Die Faschingsfee, allerdings auch hier mit gestresster Höhe. Sehr gelungen ist das Solo der Titelheldin aus Millöckers Die Dubarry („Ich schenk mein Herz“).  Bemerkenswert der Ausschnitt aus Paul Abrahams Ball im Savoy, „In meinen weißen Armen“, bei dem Damrau ein erstaunlicher weillscher Tonfall gelingt, was ein Ausblick auf künftige Aktivitäten der Sängerin (analog zu Teresa Stratas) sein könnte. Der letzte Beitrag der Programmfolge, „Ich bin eine Frau“ aus Oscar Straus` Manon, ist in seiner auftrumpfenden Diven-Allüre ein stimmiger Ausklang.

Wirkliche Raritäten bieten die französischen Beiträge. Den Anfang macht „Ça fait tourner la tête“ aus Andalousie von Francis Lopez mit frechem Aplomb, gefolgt von „Rossignol, tout comme autrefois“ aus Monsieur Beaucaire von André Messager. Von diesem Komponisten gibt es später noch einen zweiten Titel: „J’ai deux amants“ aus L’Amour masqué. Ein weiterer französischer Beitrag, Aspasies „Mon cher Phi-Phi“, stammt von Henri Christiné aus dessen Operette Phi-Phi und ist ein flottes Couplet, dessen Wirkung sich die Sängerin mit prononcierten Akzenten nicht entgehen lässt.

In illustrer Gesellschaft befindet sich die Sopranistin bei den Titeln von Johann Strauss II (Das Lied der Liebe), Robert Stolz (Im weißen Rössl) und Richard Heuberger (Der Opernball), wo sich der Tenor Jonas Kaufmann zu ihr gesellt. Im „Flirt-Duett“ von J. Strauss II werfen sich die Sopranistin und der Tenor charmant die Bälle zu, im Opernball-Duett bieten sie eine atmosphärische Szene wie aus einer Live-Aufführung.

Bei „Wo die wilde Rose erblüht“ aus Das Spitzentuch der Königin von Johann Strauss II hat Diana Damrau Partnerschaft in der Sopranistin Elke Kottmair und der Mezzosopranistin Emily Sierra. Sie stimmt den walzerseligen Titel sehr atmosphärisch an und wird von ihren Kolleginnen bestens unterstützt. Das Münchner Rundfunkorchester, das mit süffigem Sound zur Reise einlädt, ist der Sängerin ein fabelhafter Partner. Dirigent  Ernst Theis setzt gekonnt eigene Akzente. Bernd Hoppe

Tanzvisionär

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Rechtzeitig vor dem Weihnachtsfest gibt der HENSCHEL Verlag einen prachtvollen Band über das Stuttgarter Ballett und seinen Intendanten John Cranko heraus (ISBN 978-3- 89487-842-9), der für alle Ballettfreunde der Höhepunkt auf dem Gabentisch sein dürfte. Auf fast 300 Seiten und zahlreichen Fotos (vorwiegend in Schwarz/Weiß) beleuchten die Autorinnen Julia Lutzeyer, Petra Olschowski, Angela Reinhard und Vivien Arnold Leben und Werk des Jahrhundert-Choreografen, der durch den tragischen Tod 1973 viel zu früh aus seinem Schaffen gerissen wurde.

Im ersten Kapitel (Vermächtns: Was bleibt von John Cranko?) widmet sich Angela Reinhard seinem künstlerische Erbe. Sie spricht von „Verklärung“ wenn die Rede auf den Choreografen kommt, der in Stuttgart noch heute hymnisch verehrt wird. Sie nennt natürlich die drei großen Handlungsballette (Romeo und Julia, 1962; Onegin, 1965; Der Widerspenstigen Zähmung, 1969), die zu Klassikern geworden sind und immer wieder in Neubesetzungen einstudiert wurden. Reinhard geht auf die technischen Besonderheiten im choreografischen Vokabular Crankos ein, hebt seine Repertoirepolitik hervor. Er lud berühmte Kollegen ein, ihre Arbeiten in Stuttgart zu zeigen, und förderte junge Nachwuchskräfte. Und sie beschreibt das so persönliche Verhältnis, das der Choreograf zu seinen Tänzern hatte. Davon ist im nächsten Kapitel vielfach zu lesen.

Es beinhaltet die Erinnerungen seiner Weggefährten – Tänzer, Ausstatter, Fotografen, Journalisten, Freunde… Da ist natürlich vor allem Marcia Haydée zu nennen, seine Assoluta, die in seinen drei Hauptwerken jeweils die zentrale weibliche Rolle kreierte, 1976 Direktorin der Compagnie wurde und 1987 mit Dornröschen ihr Debüt als Choreografin gab. Sie nennt Cranko „mein Glück im Leben“. Von einem „Menschenformer“ spricht Richard Cragun, der als Erster Solist wesentlichen Anteil am „Ballettwunder Stuttgart“ (so die amerikanische Presse) hatte. Nicht zu vergessen die andere Startänzerin des Ensembles und weltweit als „die deutsche Ballerina“ apostrophiert: Birgit Keil. Sie dankt Cranko, dass er auch in „sehr kritischen Phasen“ an sie geglaubt hat. Zu den wichtigen Mitgliedern der Compagnie zählen Egon Madsen und Ray Barra, für die Cranko viele Rollen schuf. Mit „Es war dieser Blick“ und „John suchte eine Familie“ sind ihre Beiträge sehr privat. Zwei in Stuttgart engagierte Tänzer wurden später gleichfalls bedeutende Ballett-Intendanten: Jirí Kylián und Jon Neumeier. Ersterer resümiert mit „Kreativ, lustig, wunderbar“ das Wesen Crankos denkbar kurz, doch treffend, der zweite empfindet die Zeit mit ihm als „besonders aufregend“. Nicht fehlen darf Jürgen Rose, dem Cranko die Ausstattung vieler seiner Ballette übertrug. Er nennt diese Schöpfungen „zeitlos gültig“ und zitiert Cranko mit „Wir hatten noch viel vor“, was angesichts seines tragischen Endes besonders schmerzlich klingt. Berührend ist der Beitrag von Georgette Tsinguirides, Solotänzerin und später Choreologin, nach deren Notaten die Ballette noch heute einstudiert werden. Er soll hier am Schluss stehen, denn darin wird Crankos Ausspruch „Wir dürfen kein Museum sein.“ zitiert, der für die kreative Zukunft des Stuttgarter Balletts steht.

Es folgt das letzte Interview, welches der Choreograf im Mai 1973 dem Journalisten Hartmut Regitz gab. Es ist ein wertvoller und aussagestarker Beitrag, gibt er doc darin Auskunft über Crankos Beziehung zu Gustav Mahler (dessen 10. Sinfonie er für seine vorletzte Arbeit, Spuren im Todesjahr 1973, nutzte), seine Russland-Erfahrungen und Zukunftspläne. Eine Biografie und das Werkverzeichnis sind nützliche  Nachschlagehilfen und runden den Inhalt ab. Bernd Hoppe

Nicht überflüssig

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Mindestens zwei Gründe gibt es, die Ankunft einer weiteren Tosca auf dem eigentlich übersättigten Markt willkommen zu heißen. Der erste ist das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Carlo Montanaro, der zweite die Sängerin der Titelpartie, Melody Moore. Mit harten Scarpia-Akzenten, drängend, zügig und feine Details ausmalend beginnt das Orchester , um später viele intime Momente zu Wort kommen , die bedrückende Stimmung der meisten Szenen sich dem Hörer mitteilen zu lassen. Eine Atmosphäre des Lauernden, des Bedrückten liegt über vielen Szenen, so der des Salva condotto, und das Vorspiel zum dritten Akt ist bei aller auch hörbaren Poesie ein einziges banges Warten.

Wahrlich kein Star, zumindest nicht in Europa, ist die Sopranistin Melody Moore, die immerhin bereits auf drei Puccini-Einspielungen stolz sein kann mit Butterfly, Mimi und Giorgetta. Für Tosca steht ihr ein breiter Farbfächer einer weich und erotisch klingenden Stimme zur Verfügung, die Mittellage (sie singt auch Amneris) ist hochpräsent, Verletzbarkeit wie auffahrender Stolz werden gleich eindrucksvoll vermittelt, fein hingetupfte Töne wechseln sich mit stolz auffahrenden ab, und für „è l‘ Attavanti“ hat der Sopran einen bewegenden schmerzlichen Klang. Einzig die manchmal zu verwaschene Diktion stört den Gesamteindruck ein wenig, und stellenweise ist die Höhe nicht so präsent, wie sie es sein sollte. Voller Melancholie wird „Vissi d’arte“ gesungen, ein banges Zittern ist im „Ti straziano ancora“, und insgesamt vermittelt der Sopran den Eindruck einer wissenden Stimme, die sich aus dem Geist der Musik heraus vernehmen lässt.

Mit virilem, metallisch klingendem Tenor ist Stefan Pop ein Cavaradossi, bei dem weniger der sensible Künstler als der aufbegehrende Revolutionär zum Ausdruck kommt, sein Squillo ist beachtlich, seine größten Pluspunkte kann er mit „la vita mi costasse“ und dem „Vittoria“ erringen, aber auch im „Recondita armonia“ gefällt das diminuendo am Schluss, während „E lucevan le stelle“ mit schöner Klarinettenvorbereitung mehr Agogik vertragen hätte. Insgesamt geht es dem Tenor eher um die Ausstellung einer potenten Stimme als um feinsinnige Interpretation.

Zwischen bärbeißig und süffig bewegt sich der Bariton von Lester Lynch, der damit dem Scarpia und dessen Zwielichtigkeit gerecht wird. Im zweiten Akt könnte man sich noch mehr Facetten in der Gestaltung der Figur vorstellen, allerdings werden der Triumph im „nel pozzo del giardino“, das Schmeichelnde im „è vino di Spagna“, das tückisch Zärtliche in  „grazia ad un cadavere“ schön herausgearbeitet.

Kevin Short ist ein sonorer Angelotti, und auch alle anderen rollendeckend, und der Rundfunkchor Berlin und der Kinderchor der Deutschen Oper Berlin tragen das Ihre zum Gelingen von Konzert und Aufnahme bei (Pentatone PTC 5187 055). Ingrid Wanja 

Maria Callas zum 100.

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Und noch mehr Bücher über sie. Hatten wir nicht gerade beteuert, dass über Maria Callas, die Vielbesprochene und Vielausgebeutete, alles gesagt ist? Offenbar nicht, denn allein in diesem, ihrem 100sten Geburtsjahr erschienen erwartungsgemäß mindesten vier neue Bücher, die – so unsere Korrespondenten – von herausragend bis mehr als lässlich zu lesen sind. Diese nachstehend.

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Aber die eigentlichen Schätze finden sich – so meine Meinung – doch bei den Älteren, in der Vergangenheit. Nichts geht für mich über John Ardoins profunde und ungeschlagene Biographie (Maria Callas und ihr Vermächtnis; deutsch mit Verspätung bei Noack-Hübner 1979; ISBN-13 :-978-3884530146) mit seinen immer noch gültigen Einschätzungen, inzwischen auch als Hörbuch (Callas: The Voice the Story; Highbridge & Co, 1997) – für mich das Ultimative über die Sängerin Callas. Als Hörbuch ebenfalls verfügbar (Maria Callas in her own words (Highbridge Audio 1997; SBN-13978-1565112292). Ebenfalls von Ardoin The Callas Legacy (Scribner 1977; ISBN ISBN-13 ‏ : ‎ 978-0684152974). Gefolgt von dem Bild-/Biographie-Band Callas von John Ardoin und Gerald Fitzgerald (Thames & Hudson Ltd; 1. Edition, 1974). Auch die Biographie von Nadia Stancioff (Maria Callas Remembered; Da Capo Press Edition/ April 2000; ISBN-13 ‏ : ‎ 978-0306809675), der langjährigen loyalen Freundin und Begleiterin,  hat vieles für sich und keine Kolportagen wie nachstehendes Werk von Eva Gesine Bauer. Die beiden wunderbaren, in der alten Edition sehr großformatigen Bildbände von Schirmer & Mosel sind im optischen Bereich unerreicht (ah, die wunderbaren Scala-Fotos!!!). Auch Callas at Juilliard: The Masterclasses von John Ardon (Amadeus Press 2002; ISBN ‏ 0815412282) sagt vieles, auch Kritisches über ihren gegenstandlosen Versuch zu unterrichten. Die Biographie von Stelios Galliopoulos (Maria Callas: Sacred Monster; Forth Estate Press 1988; deutsch bei S. Fischer 2002;  ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3100244130) bringt viele Details und gehört zu meinen immer wieder aufgesuchten Standardwerken.

Jürgen Kestings – im deutschen Lesebereich als ultimativ geltendes Buch über die Callas ist mir zu akademisch und nicht sinnlich genug, eher ein Bericht von der Intensivstation, aber dies und seine Radio-Dauersendung über die Künstlerin haben sich einen festen Platz im deutschen Fanbewusstsein erobert (inzwischen als Taschenbuch bei List ISBN-13 ‏ : ‎ 978-354860260).

Absolut nicht zu vergessen ist The Unknown Callas: The Greek Years von Nicholas Petsalis-Diomidis (Hal Leonard Corporation; Illustrated Edition, neu herausgegeben 2001; ISBN-13 – ‎978-3100244130). Dies ist ein besonders spannendes Buch über die Callas, weil die zum Teil beklemmend zu lesenden Details über die italienische und schlimmer noch deutsche Besatzung Athens mehr als deutlich geschildert wird. Hunger-Leichen lagen in den Straßen, und die deutschen Besetzer schossen bei der geringsten Gelegenheit (danach kam der Widerstand und schoss ebenfalls) – kein Ruhmesblatt für uns hier. Die Callas und ihre Mutter sowie Schwester hatten jeweils italienische und dann deutsche Liebhaber, die sie vor dem Schlimmsten schützten. Und sie studierte Tiefland und Leonore mit ihrem Freund ein. Das reich illustrierte Buch, voll mit Zeitzeugen-Aussagen (Mireille Flery, Zoe Vlachopoulou, Constantin Stellakis)

und hervorragend recherchiert, ist absolut habens- und lesenswert. Und ein Exkurs in deutsch-griechischer Geschichte.

Aber ganz eigentlich und ungeschlagen ist der auf seine Weise bewegende Film Maria über Callas (Regie: Tom Volf, Studiocanal 2021) mit sensationellen und bislang unbekannten Live-Rollen-Aufnahmen.

Natürlich gibt es noch unendlich viele Bücher über die Seelige. Mein Freund Sergio Segalini hatte ein gutes, schmales verfasst und Attila Csampais inzwischen zum beklagenswerten Taschenbuch mutierte Bild-Biographe erwähnt Rolf Fath, und dazu nun. G. H.

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Arnold Jacobshagen: „Maria Callas. Kunst und Mythos“: La Divina wird sie genannt, „Die Göttliche“. Sie galt als „Primadonna asso­luta“ und war schon zu Lebzeiten ein Mythos. Maria Callas war eine hollywood­reife Diva, deren glamouröse Er­scheinung, deren gesellschaftliche Skandale und de­ren künstlerischen Erfolge Publikum und Presse (nicht nur die Regenbogen­presse) auf der ganzen Welt in Atem hielten. Maria Callas ist schon zu Lebzeiten ein Mythos geworden.

Jürgen Kesting, einer der führenden Callas-Biographen (Maria Callas 1990) schreibt in seinem Geleitwort zu Helge Klausers vorzüglichem Callas-Buch  („Maria Callas. Eine Chronik“) zurecht: „Die meisten Versuche, ,,the woman behind the legend“ zu finden, sind nicht über eine Kehrichtsammlung von Fakten und Fakes hinausgekommen“.

Wie sagte John F. Kennedy: „Der Mythos ist der große Feind der Wahrheit.“  Indeed: „Mythos Maria Callas: Uber keine zweite Musikerpersönlichkeit der letzten einhundert Jahre wurden so viele Bücher in so vielen unterschiedlichen Sprachen geschrieben. Neben den einschlägigen Biographien füllen auch viele Romane, Novellen und sogar Theaterstücke die Regale. Weder Caruso noch Karajan, weder Elvis noch Madonna können es in publizistischer Hinsicht mit ihr aufnehmen. Sie ist die absolute Primadonna in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts.“ So schreibt der renommierte Musikwissenschaftler Arnold Jacobshagen in seinem Callas-Buch.

Er unterscheidet in seinem Buch zwischen „Kunst und Mythos“ der Maria Callas und nimmt das sängerische Jahrhundertphänomen einmal mit wissen­schaftlicher Präzision genauer unter die Lupe genom­men. Mit wissenschaftl­icher Genauigkeit, und nicht eingetrübt durch irgend­welche Emotionen trennt er zwischen Le­ben, Kunst und Mythos, Callas heute und Callas morgen, stellt ihre wichtigen biografischen Stationen (New York, Athen, Italien und den Rest der Opernwelt) dar, beschreibt präzise ihre Stimme, ihre Interpretationen und Aufnahmen, schließlich sortiert er noch die unter­schied­lichen Aspekte des Mythos: Liebe, Märchen, Diva, Medien und Opfer.  Jacobshagen zieht eine Summe, er bilanziert und stellt fest:

„Allzu bereitwillig wurden in der Vergangenheit tradierte Fehlurteile und Gerüchte über die Sängerin fortgeschrieben und aufgebauscht. In vielen Fällen eröffnet ein quellenkritischer, musik- und geschichtswissenschaftlicher Blick andere Perspektiven. Die immense Überlieferung macht zugleich eine zeitge­mäße Auseinandersetzung mit dem facettenreichen Callas-Mythos unumgäng­lich. In seiner eigentümlichen Formulierungskraft hat Günter Grass einmal beklagt, dass in der postmodernen Gesellschaft ‚jeder Scheißhaufen ein Mythos genannt‘ werde. Für unser Thema ließe sich in Anlehnung an diese Metapher die konsequente Entsorgung abwegiger Callas-Fabeln fordern. Neue Untersuchung­en und Forschungsansitze aus den Kultur-, Musik- und Medien­wissenschaften, der Psychologie und Soziologie, der Staranalyse, den Celebrity Studies und der Fanforschung tragen zur Erhellung vieler Fragen bei. Noch wichtiger als die Klärung biographischer Details und Legenden bleibt die Würdigung ihrer einzigartigen künstlerischen Leistungen.“  

Jacobshagen löst diesen Anspruch faszinierend und respektgebietend ein und kommt zu dem Schluss: „Die herausragende Sängerin des 20. Jahrhunderts war Maria Callas nicht wegen der Schönheit, sondern wegen der Expressivität und Unver­wechselbarkeit ihrer Stimme. … Ingeborg Bachmann schrieb über Callas, sie habe mit ihrem Gesang ‚auf der Rasierklinge gelebt’. Erst durch sie, so scheint es, wurde auch der Operngesang zu einer existentiellen Erfahrung.“ Und er betont zurecht, dass „der künstlerische Einfluss von Maria Callas auf die Musik und das Musikleben der Gegenwart“ nach wie vor immens sei.

Über die Stimme der am 2. Dezember 1923 geborenen Maria Callas gehen die Meinungen weit auseinander. Eigentlich hatte sie drei Stimmen. Die drei Register – eine herb-getönte, dramatische Bruststimme, eine dunkel timbrierte, fast animalische, dämonische Mittellage und eine brillante Höhe bis zum dreigestrichenen Es waren je für sich beeindruckend, wenn auch nicht restlos ausgeglichen. Aber mit ihrer vielschichtigen Stimme konnte sie eine irritierende und oftmals schockierende Vielfalt von Klängen und Stimmfarben erzeugen und damit Seelisches zum Klingen bringen wie nur wenige andere Sängerinnen.

Tatsächlich war die Bedingungs­losigkeit, die Intensität, die Ernsthaftigkeit und Kompromiss­losigkeit ihres Singens, aber auch die ihres schauspielerischen Instinkts, und ihrer perfekten Beherrschung der Rolle der Primadonna hat das Publikum, trotz ihrer stimmlichen An­fecht­barkeit, schlichtweg hin­gerissen und überwältigt, denn sie hat mit ganzer Seele gesungen. Das war das Geheimnis der Callas. Das, was die Italiener „Canto espressivo“ nennen.

Sie hat die Sehnsüchte und Bedürfnisse des Publikums erfüllt, und sie hat den von ihr dargestellten Figuren der Vergangenheit eine Stimme unserer modernen Zeit gegeben. Vor allem den Belcantopartien, die sie fürs 20. Jahrhundert wieder entdeckt hat.

Die Karriere der Callas war vergleichsweise kurz. Nur 15 Jahre stand sie erfolgreich auf der Bühne. Sie hat sich durch ihren schonungslosen Einsatz regelrecht verbrannt. Singen war für sie mehr als Beruf und Big Business, auch wenn sie der teuerste Opernstar ihrer Zeit war. Maria Callas hat sich mit den Figuren, die sie darstellte, total identifiziert. Sie war ungewöhnlich fleißig. Sie hatte ein sehr breites Repertoire. Sie sang italienisches Fach, Französisches Fach, sie sang Wagner, Belcanto, Rossini und Spontini. Sie hatte das Leben lieben gelernt, daher hatte sie Raubbau an ihrer Stimme betrieben. Die Begeg­nung mit dem glamourösen Milliardär Onassis, durch die sie zur berühmtesten Frau der Welt wurde, hat ihr schließlich das Genick gebrochen, seelisch wie stimmlich. Ihr erster Mann, Meneghini, war nichts als Vaterersatz und ein skrupelloser Manager gewesen. Onassis war ihre große Liebe. Onassis versprach Maria Callas die Heirat. Sie wollte endlich ein ganz „normales“ Leben als Frau führen. Doch dann hat Onassis schließlich das Interesse an Maria Callas ver­loren und heiratete die ehemalige First Lady der USA, Jacqueline Kennedy. Darüber kam Maria Callas nicht hinweg. Sie war eine gebrochene Frau. Ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr. Das war ihr Ende. Darüber berichtet die Yellow Press genüsslich. Es war der Bodensatz, aus dem sich die Callas-Mythen und Legen­den speisten und speisen, bis heute.  Daran beteiligt sich Jacobshagen erfreulicherweise nicht.

Jacobshagen versteht es, diese durch Boulevardpresse, Klatsch und Sensations­gier verzerrte Sicht auf die Sängerin Maria Callas wieder auf den Boden der Tatsachen zu stellen und einzuordnen.

Die Callas, so Jacobshagen, sei ihrer Zeit weit voraus gewesen. „Sie leitete eine Repertoirewende des musikalischen Theaters und einen Paradigmenwechsel der Gesangsästhetik ein, den man als ‚Belcanto turn‘ bezeichnen könnte. Diese Wende ist heute noch längst nicht Geschichte. Im Gegenteil: Sie ist aktueller denn je.“

Last but not least: Jacobshagen nennt Zahlen und Fakten des bis heute andauern­den Medien­rummels, der Mythisierung und der Vermarktung der Callas dreht. Sorgfältige Anmer­kungen, Literaturverzeichnis und Register verstehen sich bei Jacobshagen von selbst. Er hat den Überblick über die vielseitige Auseinander­setzung mit dem Phänomen Callas behalten und eindrucksvoll eine Summe gezogen (Arnold Jacobshagen: „Maria Callas. Kunst und Mythos“ Reclam 366 S.) Dieter David Scholz..

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Sonderausgabe von Attila Csampais Callas: Eine solche Gewichtsabnahme um mehr als 20% hätte der Diva gefallen. Äußerlich abgespeckt vom coffee table book zum immer noch großformatigen, aber handlicheren Buch hat die Hommage, die rechtzeitig zum 100. Geburtstag der Callas am 2. Dezember wieder aufgelegt wurde, nichts von ihrer gediegenen Machart und Schönheit verloren, für die der Schirmer/Mosel Verlag steht („Callas – Gesichter eines Mediums“. 248 Seiten, 165 Duotone-Tafeln, 4 Farbtafeln; ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3829609821). Unverändert blickt sie uns auf Cecil Beatons Halbporträt aus dem Jahr 1956 im schwarzen Pullover und den das Gesicht einrahmenden aufgestützten Armen entgegen. Eine Sphinx. Ganz klar. Die Rätsel werden auch durch diese Sonderausgabe des erstmals 1993 erschienen Buches nicht gelöst, mit dem Attila Csampai seinerzeit den angelsächsischen Publikationen mit einer deutschen Veröffentlichung entgegentrat. Entsprechend des Untertitels „Gesichter eines Mediums“ zeigt der nahezu unverändert übertragene Band, der wieder durch Ingeborg Bachmanns „Hommage à Maria Callas“ eingeleitet wird („Es ist schwer oder sehr leicht, Größe anzuerkennen“), worauf Csampais Liebeserklärung-Essay „Augenblicke der Ewigkeit“ folgt, die vielen Gesichter der Callas privat und ihren Bühnenrollen, angefangen von den Familienbildern und Fotos mit Freunden in Griechenland über die ersten Proben und Auftritte, die zunehmend in Schönheit schwelgenden kunstvollen Rollenporträts bis zu den letzten Bühnenauftritten und dem wehmütigen Blick, mit dem sie aus ihrer Pariser Wohnung auf die Avenue Mandel schaut. Der Unterschied gegenüber der ursprünglichen Ausgabe findet sich im sog. Anhang, der auf die dreizehn Seiten mit der wertvolle Auflistung der Bühnenauftritte verzichtet und die aus unzähligen Live- und Studioaufnahmen bestehende und heute sicherlich überholte Diskographie, die Dieter Fuoss auf acht Seiten erstellt hatte, durch einen Hinweis auf die Warner Classics Gesamtedition der Callas-Audioaufnahmen (2014/2017) ersetzt, die ihrerseits inzwischen von einer noch umfangreicheren Studio-Edition „La Divina – Maria Callas in all her roles“ abgelöst wurde. Rolf Fath.

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Helge Klausener: Maria Callas. Eine Chronik: Tag für Tag – Jahr für Jahr. La Divina wird sie genannt, „Die Göttliche“. Sie galt als „Primadonna assoluta“. Sie war zu Lebzeiten schon ein Mythos und sie war eine hollywoodreife Diva, deren glamouröse Er­scheinung, deren gesellschaftliche Skandale und   deren künstlerischen Erfolge Publikum und Presse auf der ganzen Welt in Atem hielten.

Ihr Leben rieb sich zwischen den Polen Kunst und Liebe auf. Ihre filmreife und roman­hafte Vita ist eine bewegende Geschichte von Triumphen, Exzessen und Tragödien. Auch 100 Jahre nach ihrer Geburt am 2. Dezember 1923 bleibt Maria Callas eine der größten Opern-Diven schlechthin.

Maria Callas fasziniert nach wie vor als überragende Künstlerin, aber auch als Stilikone und mit ihrer Persönlichkeit. Dramatischer Gestus und musikalische Authentizität sind die unverwechselbaren Merkmale ihrer Interpretationen. Ebenso einzigartig ist der außergewöhnliche Tonumfang ihrer Stimme, ihr einzigartiges Timbre ist berührend. All dies verbindet sich zu einer Aura, mit der Maria Callas viele Protagonistinnen der Oper verkörperte und sie zum Inbegriff der Primadonna wurde.

Über die Stimme der Callas gehen die Meinungen weit auseinander. Eigentlich hatte sie drei Stimmen. Die drei Register – eine herb-getönte, dramatische Bruststimme, eine dunkel tim­brierte, fast animalische, dämonische Mittellage und eine brillante Höhe bis zum dreige­strichenen Es – waren je für sich beeindruckend, wenn auch nicht restlos ausgeglichen. Aber mit ihrer vielschichtigen Stimme konnte sie eine irritierende und oftmals schockierende Vielfalt von Klängen und Stimmfarben erzeugen und damit Seelisches zum Klingen bringen wie nur wenige andere Sängerinnen.

Die Karriere der Callas war vergleichsweise kurz. Nur 15 Jahre stand sie erfolgreich auf der Bühne.  Sie hat sich durch ihren schonungslosen Einsatz regelrecht verbrannt. Singen war für sie mehr als Beruf und Big Business, auch wenn sie der teuerste Opernstar ihrer Zeit war. Maria Callas hat sich mit den Figuren, die sie darstellte, total identifiziert. Und sie hat sich nicht geschont. Sie war ungewöhnlich fleißig. Sie hatte ein sehr breites Repertoire. Sie sang italienisches Fach, Französisches Fach, sie sang Wagner, Belcanto, Rossini und Spontini. Sie hatte Raubbau an ihrer Stimme betrieben. Die Begegnung mit dem Milliardär Onassis, durch die sie zur berühmtesten Frau der Welt wurde, hat ihr schließlich das Genick gebrochen, seelisch wie stimmlich. Ihr erster Mann, Meneghini, war nichts als Vaterersatz und ein skrupel­loser Manager gewesen. Onassis war ihre große Liebe. Onassis versprach Maria Callas die Heirat. Sie wollte endlich ein ganz normales Leben als Frau führen. Doch dann hat Onassis schließlich das Interesse an Maria Callas verloren und heiratete die ehemalige First Lady der USA, Jacqueline Kennedy. Darüber kam Maria Callas nicht hinweg. Sie war eine gebrochene Frau. Ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr.

Das Geheimnis der Callas und ihrer immensen Wirkung jenseits der Skandale und Bildzei­tungs­­sensationen, die natürlich auch zum Mythos Callas gehörten, hat niemand besser auf den Punkt gebracht als die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann.  Sie hat ein­mal gesagt: „Die Cal­las hat nicht Rollen gesungen, sondern auf der Rasierklinge gelebt“. Diese Bedingungs­losigkeit, die Intensität, die Ernsthaftigkeit und Kompromisslosigkeit ihres Singens, aber auch die ihres schauspielerischen Instinkts, und ihrer perfekten Beherrschung der Rolle der Primadonna hat das Publikum – trotz ihrer stimmlichen An­fecht­barkeit – schlichtweg hin­gerissen und überwältigt, denn sie hat mit ganzer Seele gesungen. Das, was die Italiener „Canto espressivo“ nennen. Sie hat die Sehnsüchte und Bedürfnisse des Publikums erfüllt, und sie hat den von ihr dargestellten Figuren der Vergangenheit eine Stimme unserer modernen Zeit gegeben. Vor allem den Belcantopartien, die sie fürs 20. Jahrhundert wieder entdeckt hat.

Ihre Skandale und Erfolge haben jahrelang die Schlagzeilen der internationalen Medien, nicht nur der Regenbogenpresse beherrscht. Sie ist dabei selbst zu einer der tragisch-romantischen Heldinnen geworden, die sie auf der Bühne unnach­ahmlich verkörperte. Maria Callas ist ein Mythos geworden, der bereits zu ihren Lebzeiten entstand.  Über den Mythos habe John F. Kennedy einmal gesagt, so zitiert ihn Klausener, er sei „der große Feind der Wahrheit.“  Man kann dies als Motto seines Buches verstehen.

Klausner hat aus gegebenem Anlass eines der bemerkenswertesten Callas-Bücher geschrieben. Er ist inzwischen pensioniert.  Er hat an der Universität Mainz Spanisch, Italienisch, Philo­sophie und Betriebswirtschaft studiert, arbeitete als Diplom-Übersetzer, bei der Bundesagentur für Arbeit, und in diversen Berufen in Italien. Musikwissen­schaftler ist er nicht, auch kein Stimmen- oder Sänger­spezialist. Er ist „nicht vom Fach“ wie er bekennt. „In meinem beruflichen Leben habe ich mit Gesang, Oper, Musik nichts zu tun gehabt.“ Vielleicht deshalb ist ihm gelungen, was so viele Bücher über La Divina vermissen lassen: die Sachlichkeit eines Archivars, der über Jahre gesammelt und geordnet hat

Jürgen Kesting, selbst einer der führenden Calls-Biographen (Maria Callas 1990) schreibt denn auch zurecht in seinem Geleitwort: „Die meisten Versuche, ,,the woman behind the legend“ zu finden, sind nicht über eine Kehricht­samm-lung von Fakten und Fakes hinausgekommen. … Dem Faszinosum der Sängerin, die Lanfranco Rasponi in seinen Gesprächen mit ,,The Last Prima Donnas“ als ,,The One and the Only“ führt – diesem mythisierten Wesen spürt Helge Klause­ner auf den 440 Seiten einer Akte nach, die sich an eine Maxime des ,,Spiegel“-Günders Rudolf Augstein hält: ,,Sagen, was ist.“

Das Buch von Klausener ist das Ergebnis akribischer Archiv­arbei­ten und Re­cher­chen: eine respektgebietende Sammlung von biographischen Daten, von Erinne­rungen und von Dokumenten (Zeitungs- und Magazin-Artikel, Rund­funksendungen, Erinnerungen von Kolle­ginnen und Kollegen) über die Ausbil­dung der Callas, über ihre ersten Aufführungen und Konzerte, über den Beginn ihrer Karriere, über den Aufstieg zur Primadonna und über ihre ruhmreichen Jahre bis zum Ende ihrer Karriere.

Die Sammlung von Fakten „wird kontrastiert oder auch konterkariert durch Berichte oder Kritiken, durch die sich ihr künstlerischer Weg erschließt. Es finden sich lange (und nicht geschönt zitierte) Passagen aus Kritiken nach wichtigen Premieren und Gastspielen, aus denen nicht zuletzt die Parameter abzulesen sind, nach denen sie beurteilt wurde. … Weiters finden sich Auszüge aus den wichtigsten Essays und Würdigungen bedeutender Connaisseurs, aus Erinnerungen von Dirigenten“ und aus legendären Callas Debatten. (Jürgen Kesting)

Chronologisch geordnet reiht Klausener nichts als Fakten aneinander, die die Konturen des Callas-Bildes deutlicher denn je erscheinen lassen. Wie gesagt: Dies ist keine Callas-Biografie. Es ist eher eine Aufführungs- und Rezeptions­geschichte der vielleicht bedeutendsten Sängerin des vergangenen Jahrhunderts. Gleichzeitig ist es der Versuch, die durch Boulevardpresse, Klatsch und Sensationsgier verzerrte Sicht auf die Sängerin Maria Callas wieder auf den Boden der Tatsachen zu stellen und biographische Fakten zu korrigieren.

Klausener ist bescheiden in seinem Anspruch an sich selbst. Er wolle mit seinem Callas-Buch nicht weniger, aber auch nicht mehr als „eine Chronik ihrer Lebensdaten mit all ihren Aufführungen und Schallplatteneinspielungen in bislang nicht vorliegender Ausführlichkeit und Präzision liefern; ihre Kolle­ginnen und Kollegen, ihre Kritiker, ihre Freunde und Gegner sollten zu Wort kommen. So, stellte ich mir vor, würde aus den Zeugnissen ihrer Zeit ein realitätsnahes und für heutige Leser authentisches Bild der Künstlerin Maria Callas entstehen. … So kann dieses Buch … einen Überblick über die inter­natio­nale Rezeption von Maria Callas geben, und es kann, unterfüttert mit gesi­cher­ten Daten und Fakten, auf meine persönliche Wertung als ,,Autor“ verzichten.“ Chapeau! Das nennt man Understatement.

Register, Quellenverzeichnis, ausführliche Anmerkungen und ein imponierendes Verzeichnis der Erinnerungen, Würdigungen und Porträts der Callas in TV und Radio sind angehängt und vervollständigen dieses vergleichslose Buch. Es herrscht wahrlich kein Mangel an Callas-Büchern. Aber dieses ist konkurrenzlos und wichtig (Helge Klausener: Maria Callas. Eine Chronik: Tag für Tag – Jahr für Jahr, Hollitzer Verlag Wien 2023. 476 S.; ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3990940648). Dieter David Scholz

 

Maria und Maria und Maria: Maria Callas heißt das Buch von Eva Gesine Baur im Beck Verlag, und darunter kann man sich viel vorstellen: einen Roman, eine Biographie, eine wissenschaftliche Abhandlung. Die Stimme der Leidenschaft ist das Werk untertitelt, und nun erwartet man ein Buch, dass sich mit der Sängerin Maria Callas auseinandersetzt. Eine Biographie liest man in der untersten Zeile, und wieder ist offen, um was es sich bei den immerhin mehr als 500 Seiten umfassenden Werk handelt. Für eine wissenschaftliche Abhandlung sprechen die mehr als fünfzig Seiten Anhang, bestehend aus vierzig Seiten Quellennachweisen, einem Literaturverzeichnis, einem Bildnachweis und einem Personenregister. Auf einen fiktionalen Text hingegen weisen die Überschriften für die einzelnen Kapitel hin wie Die umschwärmte Verschmähte, denen wiederum drei oder mehr Untertitel folgen wie Omero Lengrini wird entbunden und stirbt, Callas ist noch immer nicht schwanger und zeigt sich in  knappen Bikinis. Dabei fällt auf, dass fortlaufend und in schöner Konsequenz mit Gegensätzen gearbeitet wird, ja dass die Verfasserin das Objekt ihrer Betrachtungen als eine Art Doppelperson, zerfallend in eine Maria und eine Callas, sieht. Sehnt sich Maria nach Liebe und Mutterschaft, so strebt Callas nach Ruhm und Reichtum und vor allem nach künstlerischer Bestätigung, nach Vollkommenheit und die beiden Komponenten   dieses Gegensatzpaars werden in schöner, manchmal auch penetrant wirkender Konsequenz durch das gesamte Buch hindurch begleitet, zu jedem Ereignis, zu jeder neu auftretenden Persönlichkeit werden nacheinander Maria und Callas oder umgekehrt Callas und Maria quasi befragt, wobei vieles belegt ist, wie die Anmerkungen beweisen, vieles aber auch Spekulation zu sein scheint, auf jeden Fall viele Seiten damit gefüllt werden können, ohne dass es immer zu einem bedeutenden Erkenntnisgewinn kommt. Das extremste Beispiel dafür ist der angebliche Sohn von Callas und Onassis, den sie sich, so wollten Gerüchte wissen, vor dem Geburtstermin aus dem Leib schneiden ließ, um dem Erzeuger des Kindes nicht mit dickem Bauch entgegentreten zu müssen. Diese Geschichte wird erst erzählt, damit sie dann ebenso ausführlich widerlegt werden kann. Spektakuläre Gegensätze wie Ausnahmetalent in Kittelschürze oder Musikstudentin auf Abwegen sind besonders beliebt und immer eindrucksvoll.

Vor Eva Gesine Baur hatte bereits Pasolini erkannt, dass in Callas‘ Brust zwei Seelen wohnten: die einer antiken Tragödin und die einer modernen Frau, aber das ist eine andere Art der Gegenüberstellung als die von der Verfasserin praktizierte.

Dem Fiktionalen nähert sich die Autorin besonders dann, wenn sie vorgibt, die Gedanken von Callas zu kennen, Spekulationen sind dem Romanautoren durchaus erlaubt, ja erwünscht, auch Pauschalurteile wie die, dass Jackie, die Schwester, nach Geld, Maria aber nach Ruhm strebte. Und auch gewagte Thesen wie die, dass zur antiken Tragödie auch Vernunft gehört, erwecken das Erstaunen des Lesers.

Nicht wirklich sattelfest ist die Verfasserin, was Opernpartien, Opernarien und Opernsänger angeht. So war Benvenuto Franci nicht Dirigent (Das war sein Sohn Carlo.), sondern Bariton, will Amonasro Radames nicht „vernichtet sehen“, sondern zur Flucht animieren, ist Elena aus den Vespri nicht Königs-, sondern Herzogstochter, Imogen nicht Königin, hat Alfredo nur eine und nicht zwei große Arien, ruft Tosca nicht im 3. , sondern im 1. Akt dreimal „Mario“, singt Aida nicht im 1., sondern im 3. Akt „Oh patria“, können di Stefano und Björling nicht gemeinsam im Trovatore aufgetreten sein, ist Butterfly im zweiten und nicht im dritten Akt voller Freude, Norma hat nur zwei und nicht vier Akte, ist Verdis Jago kein Tenor. Das mögen Kleinigkeiten sein, sie zerstören aber das Vertrauen des Lesers in die Teile des Textes, die er nicht kontrollieren kann, weil ihm die Kenntnisse dazu fehlen.

Weite Teile des Buches gelten dem Berichten über Ereignisse, politische oder künstlerische, von denen irgendwann bekannt wird, dass Callas davon keine Kenntnis nahm, seien es Erfolge der Beatles oder seien es Unruhen in ihrer griechischen Heimat. Sie geschehen lediglich zeitgleich mit dem, was von Callas berichtet wird. So wird das Buch gespeist von einfühlsamen Betrachtungen über Karriere und Leben der Callas, aber auch von zum Verständnis ihrer Seelenlage oder ihres Handelns nicht notwendigen Abschweifungen oder Wiederholungen.

Außer Maria Callas ziehen am Auge des Lesers, und das macht einen beträchtlichen Wert des Buches aus, Persönlichkeiten wie Visconti und Zeffirelli, Toscanini und Serafin, di Stefano und Simionato, Gorlinski und Legge, Onassis und …vorbei. Und die Autorin hätte noch mehr über nur am Rande gestreifte Ereignisse erfahren können, so von Fiorenza Cossotto, dass Zeffirelli nie mehr ein Wort mit ihr sprach, nachdem sie ihre Töne länger als Callas‘ Norma gehalten hatte, und Raina Kabaivanska hätte ihr davon berichten können, dass Callas sie nach den misslungenen Vespri in Turin mit nach Paris nehmen wollte, um sie zu einem Star zu machen. Was diese dann auch ohne Nachhilfe wurde.

Leider spricht das Buch zwar von vielen Fotos, es sind aber nicht viele davon in dem Band zu finden. Es ist eine reiche Materialsammlung, informiert sehr ausführlich, wenn auch natürlich nicht mit dem Wahrheitsgehalt eines Dokuments, über den Menschen Maria Callas und lässt denjenigen Leser etwas enttäuscht zurück, der gern mehr über die Besonderheit der Kunst der Ausnahmesängerin  erfahren hätte (Eva Gesine Baur Maria Callas; C.H.Beck Verlag 2023; 510 Seiten; ISBN 978 3 406 79142 0, 2023). Ingrid Wanja 

Francese all´Italiana

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„Favorita del Re“ oder vielmehr „La Maitresse du Roi“  in der französischen und damit ursprünglichen Fassung lautet der Schreckensruf von Fernand, als er erfährt, dass die für keusch gehaltene geliebte Leonor bereits ein aktives Liebesleben hinter sich hat. Jedes Jahr im Herbst wird in Bergamo, der Geburtstag von Gaetano Donizetti, ein ihm gewidmetes Festival veranstaltet, in dem 2022 Valentina Carrasco darüber nachdachte, in welcher Epoche die bittere Erkenntnis von der Nichtjungfräulichkeit der Braut eine Tragödie auslösen könnte. Zwar ist das Personal der Oper historisch nachweisbar, hatte König Alfons XI. tatsächlich eine Geliebte mit Namen Leonora di Guzman, die allerdings nicht jung verstarb, sondern ihm ein knappes Dutzend Kinder gebar.

Die Regisseurin unterstellt der Zeit noch vor der Reconquista mehr Freizügigkeit als der Entstehungszeit der Oper und versetzt deswegen die Handlung in die Lebenszeit Donizettis, womit allerdings noch lange nicht die Frage geklärt ist, wie es einem Novizen gelingen kann, als Feldherr zu brillieren und die Spanien besetzt haltenden Mauren zu besiegen. Als weiterer Stolperstein erwies sich das für eine französische Oper unverzichtbare Ballett, dem Dirigent Riccardo Frizza zwar zumindest teilweise musikalische Qualitäten bescheinigt, das jedoch eigentlich nichts mit der Handlung zu tun hat, außer sie zu unterbrechen.

Die Regie in Bergamo lässt zur Ballettmusik in dieser Version der Favorite eine Gruppe älterer Damen ihren Betten entsteigen und sich einer ausgedehnten Morgentoilette einschließlich Zähneputzen widmen, womit auch die Frage nach dem Sinn von vielen verhüllten Kästen, die in den beiden ersten Akten die Bühne zustellten, beantwortet wird (Bühne Carles Berger und Peter van Pret). Die sich zeitweise in Tüllröcke (Ballett!) hüllenden Damen aus der  Bevölkerung von Bergamo sollen die abgelegten Geliebten des Königs sein und rücken diesem auch einmal bedrohlich auf den Leib. Das Ballett dürfte Anlass für die größte Verlegenheit der Regie gewesen sein, denn ansonsten nimmt die Handlung, abgesehen davon, dass die Kostüme mit Hosenträgern und Kummerbund für die Herren (Silvia Aymonino) nicht ins 14. Jahrhundert passen, mit vielem Schreiten für das Personal ihren Lauf  und stört die Sänger nicht bei ihrer eigentlichen Beschäftigung, dem Singen.

Das allerdings gibt durchaus Anlass zur Freude. Annalisa Stroppa hat einen auch für Rossini bestens geeigneten Mezzosopran mit einheitlicher Färbung für den gesamten Stimmumfang, klar konturiert und von schlankem Ebenmaß. „Oh mon Fernand“ klingt schön und die Herzen berührend, für die Cabaletta steht der attraktiven Sängerin das notwendige vokale Feuer zur Verfügung. Ein optisch höchst attraktiver Alphonse XI ist Florian Sempey, der seinen lyrischen Bariton sehr unter Druck setzt, manchmal recht dumpf klingt, aber die Gewähr für eine idiomatische Verkörperung der Partie bietet. Ebenso attraktiv, dazu balsamisch Glaubensgewissheit verkündend, ist Evgeny Stavinsky als Balthazar, der sich nur im Presto auch einmal hohl anhört. Erfüllen diese Drei optisch alle Anforderungen an heutige Opernsänger, so fällt Javier Camarena in dieser Hinsicht doch etwas aus dem Rahmen, kann es sich jedoch leisten, weil er schließlich Tenor und dazu noch einer der spektakulärsten für dieses Fach ist. Sein Fernand verfügt über eine strahlende Höhe, ein beachtliches Falsettone für die allerextremsten Töne, eine solide Mittellage und singt ein wunderschönes, inniges „ Ange si pur“.  Edoardo Milletti als Don Gaspar und Caterina Di Tonno als Inés sorgen zusätzlich neben dem Chor aus Bergamo und dem Coro dell‘ Accademia Teatro alla Scala und dem Orchestra Donizetti Opera unter Riccardo Frizza dafür, dass sich man doch eher in einer italienischen als einer französischen Oper wähnt und darüber ganz und gar nicht böse ist.

Dem Genueser Label Dynamic ist es einmal mehr zu verdanken, dass man am italienischen Opernleben teilnehmen kann, nicht nachvollziehen allerdings kann man, dass diese Produktion den Abbiati Prize 2022 in Italien gewonnen hat (Dynamic 57992). Ingrid Wanja      

Urfasssung

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Muss es denn noch eine Cavalleria Rusticana sein und dazu noch mit einem Orchester, das bisher nicht gerade als Spezialist für den italienischen Verismo aufgefallen ist? Muss es nicht, aber kann es gern, wenn es sich um die Urfasssung der Partitur des jungen Pietro Mascagni handelt, so wie er seinen Einakter hoffnungsvoll der Kommission, die über den Gewinner des vom Mailänder Verleger Edoardo Sonzogno zum zweiten Mal veranstalteten Wettbewerbs entscheiden sollte, vorgelegt hatte. Als Sieger stand der Komponist aus Livorno schnell fest, auch weil sein Konkurrent Leoncavallo keinen Ein-, sondern einen Zweiakter eingereicht hatte, aber die Proben erwiesen sich als schwierig, da der Chor des Teatro Costanzi in Rom Schwierigkeiten mit seiner umfangreichen und anspruchsvollen Partie hatte und Sopran und Tenor mit der Tessitura nicht zurechtkamen, eine Transposition um einen halben oder sogar ganzen Ton für Teile ihrer Rolle forderten. Mascagni kam den Forderungen nach, auch wenn es ihm, so berichtet er in einem Briefwechsel, schwer fiel, die geänderten Bruchstücke wieder sinnvoll in die Partitur einzubetten, er verkürzte das Auftrittslied des Baritons um eine der vorgesehenen drei Strophen, so dass am Ende mehr als zehn Prozent der Oper dem Rotstift zum Opfer fielen. Da die dritte Strophe von Alfios Arie eigentlich zum Verständnis des formalen Aufbaus des Stücks notwendig ist, war der Verzicht auf sie auch der für Mascagni schmerzlichste. Cavalleria Rusticana fällt auch durch die Besetzung aller drei Frauenpartien mit einer tiefen Frauenstimme auf. Zwar haben auch viele Soprane, darunter Callas, die Partie gesungen, aber die großen, unvergesslichen Santuzzas waren Mezzosoprane wie Simionato oder Cossotto. Auf der nun vorliegenden CD ist die Partie einem lyrischen Sopran anvertraut, nachdem die Transpositionen rückgängig gemacht worden sind. Außerdem ist das Auftrittslied des Alfio wieder dreistrophig, was eindeutig einen Gewinn darstellt.

Der Balthasar Neumann Choir und das gleichnamige Orchestra unter Thomas Hengelbrock geben sich im November 2022 in Baden Baden  eher sanft melodisch als scharf akzentuierend, das Orchester gewinnt an Gewicht nach Turiddus Preislied, das sehr aus der Ferne erklingt, filigran zeichnet das Zwischenspiel die herrschende Stimmung nach.

Die Santuzza von Carolina López Moreno singt mit zartem, apartem, hellem Sopran, sehr delikat, auch spritzig, sanft verhauchend im „io son dannata“. Insgesamt ist sie verletzlicher, aber auch unbedeutender als Person, der man die leidenschaftliche sizilianische Bäuerin nicht recht abnimmt. Sie mag an Höhe gegenüber den traditionellen Santuzzas gewinnen, nicht aber an Glaubwürdigkeit, zumindest was die inzwischen entstandenen Hörgewohnheiten betrifft. Giorgio Berrugi ist ein italienischer Tenor mit dem entsprechend passenden Timbre, das er aber auch für den Siegmund einsetzt.  Einen schlanken, zunächst gar nicht bärbeißigen Alfio singt Domen Križaj, geht auch mal im Chor unter, steigert sich aber im Verlauf des Geschehens zu dunkel tönender Tragik. Auch einmal eine gute Santuzza war Elisabetta Fiorillo, die nun als Mamma Lucia wesentlich zur angemessenen dichten akustischen Atmosphäre beiträgt und nicht nur Stimmreste anzubieten hat. Eva Zaȉcik tändelt als verführerische Lola durch die Musik.

Was einmal als Ergebnis des Unvermögens der ausführenden Kräfte dem jungen Mascagni Kopfzerbrechen bereitete, scheint doch, insbesondere die Stimmlage der Santuzza betreffend, die bessere, zumindest die lieb gewordene Lösung für den unsterblichen Einakter zu sein (Prosp0088). Ingrid Wanja        

Sohn der Stadt

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Das Schicksal  nicht allzu mutwillig herausfordern wollte wohl Dirigent Federico Maria Sardelli, als er 2022 bei der Aufführung von Jean-Baptiste Lullys pastorale heroique Acis et Galatée beim Maggio Musicale Fiorentino nur zu Beginn und zum Schluss mit dem zu Lebzeiten des Komponisten üblichen Dirigierstock hantierte, solange das Auge der Kamera auf ihm ruhte. Dem Komponisten war bei seiner letzten Amtshandlung die Spitze desselben in den Fuß eingedrungen, was zu Wundfieber und zum Tod von Lully geführt hatte. In der Sala Zubin Mehta beginnt das Werk  in der Regie von Benjamin Lazar als eine Art immer wieder von Tänzchen oder auch einmal einem Blinde-Kuh-Spiel unterbrochenes Picknick, eine riesige Videowand täuscht eine Lichtung im Wald  (Adelin Caron), zwei Gemälde  intimere Räume vor, und die Kostüme von Alain Blanchot wirken gewollt improvisiert. Insgesamt wird keinerlei Virtuosität vorgetäuscht, sondern eher der Eindruck erweckt, Amateure hätten sich mit einer ihre Möglichkeiten übersteigenden Aufführung etwas übernommen. Das hat alles einigen Charme, ermüdet mit der Zeit aber doch durch seine wohl gewollte Unbeholfenheit.

Das Werk beginnt mit der für die  Zeit  typischen Lobpreisung Ludwigs XIV., d.h. eher des Dauphin, der die Uraufführung als Gast aristokratischer Gastgeber auf Chateau d‘Anet, 80 Kilometer von Paris entfernt, erlebte. Erst nach einigen Aufführungen in der Provinz gelangte die Oper nach Paris, wo sie mit allem Bühnenzauber, dessen man damals fähig war, aufgeführt wurde. Auf diesen nun verzichtet man in Florenz bewusst, allerdings leider auch auf eine, was die Sänger betrifft, durchgehend zufriedenstellende Besetzung. Dabei handelt es sich schließlich um die italienische Erstaufführung eines Werks von Jeanbattista Lulli, der ein Sohn der Stadt war. Ganz anders und dem Anlass entsprechend verhält es sich mit dem Orchestra e Coro del Maggio Musicale, denen der Dirigent feierliche Pracht wie graziöse Detailverliebtheit entlocken kann. Die vier professionellen Tänzer Caroline Ducrest, Robert Le Nuz, Alberto Arcos und Gudrun Skamletz  heben sich unter Leitung der Letzteren nicht sonderlich von den tanzenden Sängern ab, was bei der immensen Bedeutung, die das Ballett hat, recht ärgerlich ist.

Insgesamt schlägt sich das weibliche Personal besser als vor allem die hohen Männerstimmen. Der haute-contre Jean-Francois Lombard hat für den Acis recht wenig vokale Substanz, gibt aber immerhin einen liebenswerten, seine Naivität glaubwürdig vermittelnden Hirten. Seinen Kollegen Teléme verkörpert Sebastian Monti mit Schwierigkeiten beim Registerausgleich, der sich stärker noch beim Apollon bemerkbar macht. Außerdem singt er den Priester der Juno. Erfreulich gut schlagen sich die dunkleren Stimmen, so der Polipheme von Luigi De Donato mit markantem Bass oder der Neptune mit götterwürdiger Präsenz von Guido Loconsolo. Eine zarte, aber zu virtuosem Einsatz fähige Sopranstimme hat Valeria La Grotta für Diane, Zweite Najade und Scylla, mehr Glanz und Fülle besitzt der Sopran von Francesca Lombardi Mazzulli, die zutreffend L’Abbondanza, dazu Aminte und Erste Najade singt. Der unangefochtene Star der Aufführung, und das nicht nur wegen ihres langen Solos am Schluss, ist Elena Harsány als Galatée mit lyrischem Feuer und anmutigem Spiel. Das war hoch professionell und stimmte versöhnlich gegenüber mancher Unzulänglichkeit im Geamtablauf (Dynamic 57971). Ingrid Wanja