Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Futuristisch

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Bei dieser Turandot gibt es vier Rätsel: Drei stellt Turandot an den Prinzen Calaf, eines stellt der Regisseur Franc Aleu (aus der Künstlergruppe La Fura dels Baus) an das Publikum. Denn diese Turandot vom Gran Teatre del Liceu in Barcelona aus dem Jahr 2019 ist reichlich futuristisch ausgefallen. Man wird eher in die Welt der Science-Fiction-Filme als in die der Oper versetzt. Dabei bleiben die Bezüge zur Oper Turandot oft rätselhaft. Aleu arbeitet überwiegend mit Projektionsmapping und 3D-Technik und erschafft eine an Phantasie kaum zu übertreffende Bilderwelt aus Formen und Farben. Das Geschehen findet oft in einer Art Glaskugel oder Blase statt. Häufig wird der Gaze-Vorhang bemüht. Bei den von Turandot aufgegebenen Rätsellösungen (Hoffnung, Blut, Turandot) taucht Aleu die Bühne in die korrespondierenden Farben Grün, Rot und Blau. Die finden sich auch in den Kostümen der drei Minister, die sich mitunter wie Roboter bewegen und aus fremden Welten zu kommen scheinen. Alle (außer Liu und Timur) tragen Argumented-Reality-Brillen, wie man sie inzwischen aus Bayreuth kennt. Auch Lichtschwerter gehören zur Ausstattung. Mit den sich ständig wechselnden Lichtstimmungen wird dem Auge viel geboten. Aleu sorgt für eine Orgie aus Licht und Farben. Wenn bei Lius Arie Tränen vom Himmel fallen, ist das nachvollziehbar, wenn aber Büsten herunterfallen und am Boden zerschellen, ist es nicht unbedingt so. Man hat mitunter den Eindruck, dass die Technik hier zum Selbstzweck wird und nicht unbedingt im Dienste des Werkes steht. Eines muss man aber zugeben: Interessant und faszinierend ist es allemal.

Ein paar Besonderheiten gibt es in der Inszenierung von Aleu. Liu begeht hier keinen Selbstmord sondern wird mit elektrischen Stromstößen gefoltert und hingerichtet. Die geschundene Leiche weckt das Mitleid von Turandot. Der Prinz Calaf interessiert sie eher nicht . Und Calaf? Der singt nur noch die bizarre Krone an, die er Turandot vom Kopf gerissen hat. Macht scheint wichtiger zu sein als Liebe.

Bei den sängerischen Leistungen ragt die von Ermonela Jaho als Liu heraus. Sie singt zartstimmig und mit schwebenden Tönen. Ihr Darstellung trifft ins Herz. Iréne Theorin punktet als Turandot vor allem mit ihrer messerscharfen und durchschlagskräftigen Höhe. Für ihr hässliches Kostüm kann sie nichts. Beim Calaf von Jorge De León braucht man um die hohen Töne und sein Durchhaltevermögen keine Angst zu haben. Er hat eine wuchtige, virile Stimme, mit der er seine Partie aber mitunter zum reinen Kraftakt werden lässt. Der Timur ist mit Alexander Vinogradov stimmig und zuverlässig besetzt. Ein Wiedersehen gibt es mit Chris Merritt, der als Altoum mit Helm und Brustpanzer immer noch mit altersgerechter Stimme beeindruckt.

Chor und Orchester unter der Leitung von Josep Pons sorgen für eine Ausgefeilte, aber auch wuchtige Wiedergabe. Fazit: Eine Turandot der besonderen Art, die durchaus faszinieren kann. (C-Major 763604 Blu-ray)Wolfgang Denker

Janet Baker zum Neunzigsten

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Nur wenige Stimme haben mich so erreicht wie die von Janet Baker! Diese intensive, nicht einmal auf den ersten Moment wirklich schöne, aber hochintensive helle Mezzostimme gehört für mich zu den unvergesslichen, einmaligen meines langen Musiklebens. Ich hatte das große Glück (die Gnade der frühen Geburt im Westen …) sie als Dido von Berlioz 1969 beim Edinburgh-Festival zu erleben, ein Sommer mit vielen Wundern wie Leyla Gencer als Rossinis Elisabetta, Renata Scotto als Bellinis Amina und zudem Jessye Norman in einem ihrer frühen Liederabende kurz nach ihrem Berliner Debut im Amerika-Haus.

Die Baker (stark erkältet und diskret mit dem Griff nach einem hankie im Décolletée, wenn sie sich umwenden konnte) ließ mit ihrer intensiven, fast manischen Darstellung der verzweifelten  Königin zum Schluss („Rome, Rome…“) alle neben sich verblassen, auch Helga Dernesch als Cassandra im ersten Teil. Sie raste. Sie war die empörte, verletzte, wutschäumende Königin Kartagos, die zuvor mit ihrem Partner Ronald Dowd im Liebesduett  zärtlichste, süßeste Töne gefunden hatte.

Diese Bandbreite der Emotionen zeigte sie auch bei den Auftritten in den Troyens in Covent Garden, sie stets in Englisch neben Josephine Veasey und Jon Vickers in Französisch. Sie blieb (fast) bei allen Opernauftritten bei ihrer Überzeugung, dass ihr britisches Publikum sie auch verstehen sollte, was in den Troyens zu putzigen Situationen führte,

Nur in Glyndebourne, wo ich sie in der mahler-nahen Bearbeitung Raymond Leppards von Monteverdis Ritorno d´Ulisse erlebte, und 1981 am Ende ihrer Karriere eben hier als Orfeo und in Glucks Alceste in Covent Garden (dort auch vorher als Mozarts Vitellia), trat sie in den Originalsprachen Sprachen auf.

Ihre Alceste ist mir eingebrannt, und es ist ein Jammer, dass es nur das akustische Dokument davon gibt – hier noch einmal sah man die Kunst der Baker wie in einer großen Nuss-Schale: Intensität, Diktion, starke Emotionen durch eben die Sprache und eine hochpräsente, stark engagierte Bühnenerscheinung.

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Das klingt jetzt sehr technisch, und ich muss auch sagen, dass ich bei aller Verehrung und Affinität zu ihr auch gelegentlich das Gefühl hatte, dass sie eine Mauer um sich herum hatte. Sie kommunizierte durch ihre überspringende Kunst, nicht durch eine solche Empathie. Martha Mödl hat mal von der von mir heiß geliebten Sena Jurinac gesagt, sie habe stets das Gefühl gehabt, durch eine Glasscheibe von ihr auf der Bühne getrennt gewesen zu sein. Dieses Simile fällt mir bei der Erinnerung an Janet Baker auch ein: Sie war und sang in einer Welt für sich, ihrem eigenen Kosmos, ihre Figuren hatten wenig Kontakt mit den übrigen auf der Bühne – soweit meine Erinnerung. Der ihr anhaftende Ruf der gewissen Humorlosigkeit und Strenge der Interpretation ebenso wie im sozialen Kontakt erklärt sich vielleicht daraus. Dennoch konnte man sie auch gelöst und heiter außerhalb des Theaters erleben. Das Interview mit dem Schauspieler  Simon Callow in der Londoner Wigmore Hall lässt sie in einem viel menschlicheren Licht erscheinen als manchmal dargestellt. Es wurden mehrere Video-Interviews mit Janet Baker online gestellt, und in allen spricht sie mit dieser außergewöhnlichen Mischung aus Autorität, Bescheidenheit, Klarheit, Würde und spiritueller Anmut, die ihren Gesang durchdrungen hat. Dieses ist mein absoluter Favorit, vor allem, weil sie sich mit Simon Callow so ganz offensichtlich wohlfühlt. Dass sie auch unter ihrer Karriere gelitten hat, unter der großen Verantwortung als Künstlerin gegenüber ihrem Publikum und dass diese Beziehung ihr auch Selbstzweifel und Depressionen bereitete,  berichtet sie – sehr anrührend – in ihrem bemerkenswerten Buch „Full Circle“ 1981 nach dem Bühnenabschied mit Alceste, den auch eine ebenso sehenswerte BBC-Dokumentation dieses Abschiedsjahres ihrer letzten drei Partien – Orfeo/Glyndebourne, Mary Stuard/ENO und Alceste/CG – begleitet. Auch die bei youtube verfügbare Dokumentation „Janet Baker – in her own words“ ist absolut ein Muss.

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In den vielen wunderbaren Liederabenden war sie das Zentrum ihres und unseres Erlebens, wo sie akzentfrei eben dieses klassische Konzert-Repertoire (erst italienische, dann französische und zum Schluss deutsche Lieder) durchmaß, auch hier mit ihr eigenen breiten Palette des Ausdrucks und der Intensität. Ich habe sie sehr, sehr oft in Liederabenden gehört und bin ihr auch nachgereist, um mich dieser für mich einmaligen Stimme und Interpretation hinzugeben. An ihrem Kosmos teilzuhaben.

Keine Stimme wie die ihre hat mir Lieder so nahegebracht. Und ich bin dem gebildeten Verkäufer (Peter) im damaligen Berliner Platten-Laden Bote & Bock im Europacenter bis heute unendlich dankbar, mir ihre LPs nahegebracht zu haben. Ihre allererste bei Saga hatte ich mir aus den USA mitgebracht, Brahms, Schubert, Schumann mit Martin Isepp am Klavier, dem Sohn ihrer Lehrerin. Und wie sehr oft bei Stimmen war es diese erste Platte, die meine Verehrung für Janet Baker triggerte. Ihr Musensohn ist mir bis heute die einzige Variante, die ich gelten lasse. Dank eben Bote & Bock dann öffnete sich mir der Himmel mit mehr von Schubert (Ellens Gesänge) und dem klassischen Repertoire, den vielen Aufnahmen bei EMI, namentlich den „Nuits d´éé“ unter Barbirolli (unerreicht das „Spectre de la rose“ mit dem Ritardando von „J´arrive, j´arrive aux Paradis..“), ihr Mahler, Brahms, Elgar später und die vielen anderen Memorabilien.

Bei der BBC hat sie viele Aufnahmen gemacht, von sehr viel Händel bis zu Mahler, oft auch als Mitschnitte aus der Albert Hall, von Festivals und anderen Locations, die kursieren unter Sammlern, so auch der bedeutende Liederabend aus der New Yorker Town Hall 1966, wo sie am nächsten Abend für eine Kollegin als italienischer Smeton neben Marilyn Horne und Elena Suliotis in der konzertanten Anna Bolena in der Carnegie Hall nebenan einsprang (was für zwei Abende für mich, unvergesslich) – so wie später in EMIs Capuleti neben der Sills für die Horne.

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Aber die ersten Aufnahmen lagen dann doch bei der Decca unter Anthony Lewis mit der singulären Dido Purcells 1961 unter Leppard mit der Diana Cavallis aus Glyndebourne 1971 oder als unglaubliche Phédre Rameaus (Hippolyte ed Aricie, 1966), die ich mir als Student mit klopfendem Herzen in London mit ebenso blutendem Herzens leistete (das Pfund stand barbarisch hoch für uns) und nach Berlin trug, noch als LP. Was für legendäre Aufnahmen, welche Kunst, welche Interpretation!

Universal/Decca nun – nicht EMI/Warner, da gab´s eine zum 80. – hat eine 21-CD-Box zu Janet Bakers 90. Geburtstag im August 2023 herausgebracht, die diese frühen Decca-Aufnahmen enthält, aber auch ihre (nach der EMI-Phase) späteren bei Philips, vorher Deutsche Grammophon und zuletzt Hyperion, diese sehr reif und abgeklärt.

Janet Baker war ja eng im Kreis von Benjamin Britten und Aldeburgh eingebunden, und ihre Aufnahmen eben dieses Komponisten zählen zu den besten. Aber ihre Bandbreite scheint fast unendlich, wenn man die nachstehende Auflistung der Box liest, von Carissimi oder Purcell bis zur Moderne, Händel oder Gluck nicht vergessend. Wobei manches unter Raymond Leppards Stokowski-Sound-Orchester-Bearbeitung leidet. Das macht die Aufnahmen auch gelegentlich altmodisch. Oder ärgerlich.

Janet Bakers Aussehen hat sich in den langen Jahren ihrer Karriere sehr verändert – aus der etwas provinziell wirkenden jungen Frau mit Hochfrisur der Zeit ist eine elegante ältere Dame mit einem wirklich schönen, durchgeistigten Antlitz geworden, die in ihren wenigen Auftritten dezidiert Kluges sagt. Die Sing-Stimme hatte sich dagegen kaum verändert, gewiss zum Schluss auch lockerer, weiter schwingend geworden, aber immer von dieser unglaublichen Intensität, dieser Verbindung aus Wort und Musik, darin der Kollegin Callas so ähnlich, die im Dezember 100 geworden wäre. Inhalt durch gesungenes Wort zu transportieren, den Zuhörer mit diesen beiden Mitteln zu verzaubern – was für eine Kunst. Happy Birthday, Dame Janet. Geerd Heinsen

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Die wunderbaren Fotos von Janet Baker (mit 86!) sind der BBC-TV-Dokumentation Janet Baker in her own Words bei youtube entnommen (14. April 2019 BBC Four, Regie  John Bridcut)

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Anlässlich des 90. Geburtstages der großen Janet Baker (* 21. August 1933 in Hatfield, South Yorkshire, England) erschien bei Decca eine 21-CD-Edition (4854438), die alle Recitals und Liederaufnahmen der großen britischen Mezzosopranistin bei Philips, L’Oiseau-Lyre, Argo, Deutsche Grammophon und Hyperion enthält. Diese Edition feiert so die vielen Facetten der unvergleichlichen Kunst von Janet Baker – Opernsängerin, Konzertsängerin und eine der letzten lebende Repräsentantinnen des Golden Zeitalters des Gesangs. „Janet Baker – A Celebration“ beeindruckt mit Original Jackets, seltenen Fotografien von Aufnahmesitzungen und Archivfotos sowie umfassenden Booklet-Texten, die diese Edition zu einer besonderen Würdigung der außergewöhnlichen Sängerin machen. (Decca)

Janet Baker – A Celebration (Argo, L’Oiseau-Lyre, Deutsche Grammophon, Philips & Hyperion-Recordings); Mit Werken von : Henry Purcell (1659-1695) , Francesco Cavalli (1602-1676) , Jean Philippe Rameau (1683-1764) , Georg Friedrich Händel (1685-1759) , Johann Sebastian Bach (1685-1750) , Antonio Vivaldi (1678-1741) , Francesco Durante (1684-1755) , Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) , Joseph Haydn (1732-1809) , Christoph Willibald Gluck (1714-1787) , Ludwig van Beethoven (1770-1827) , Franz Schubert (1797-1828) und weitere; Mitwirkende: Janet Baker, Robert Tear, Felicity Palmer, Felicity Lott, Peter Pears, Norma Burrowes, Simon Preston, John Shirley-Quirk, Dietrich Fischer-Dieskau, Ian Partridge, Ileana Cotrubas, Gerald Moore und weitere 21 CDs 

1.CD Henry Purcell: Dido and Aeneas (Patricia Clarke, Eilen Poulter, Raimund Herincx, Monica Sinlair, English Chamber Orchestra, Anthony Lewis / 1961)
2.CD „Arie amorose“ – Italienische Lieder & Arien von Giulio Caccini, Alessandro Stradella, Domenico Sarro, Antonio Cesti, Antonio Lotti, Alessandro Scarlatti, Antonio Caldara, Giovanni Bononcini, Franceso Durante, Giovanni Battista Pergolesi, Niccolo Piccinni, Giovanni Paisiello (Academy of St. Martin-in-the-Fields, Neville Marriner / 1978); Francesco Cavalli: 3 Szenen aus La Calisto (Giovanni Faustini, James Bowman, London Philharmonic Orchestra, Raymond Leppard / 1971); Jean-Philippe Rameau: 2 Arien aus Hippolyte et Aricie (English Chamber Orchestra, Anthony Lewis / 1965)
3.CD Georg Friedrich Händel: Kantate „La Lucrezia“; Arien aus Ariodante, Atalanta, Hercules, Joshua, Rodelinda, Serse (English Chamber Orchestra, Raymond Leppard / 1973)
4.CD Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion BWV 244 (Auszüge / Karl Richter); Messe h-moll BWV 232 (Auszüge / Academy of St. Martin in the Fields, Neville Marriner); Georg Friedrich Händel: Judas Maccabaeus (Auszüge / Charles Mackerras)
5.CD Johann Sebastian Bach: Kantaten BWV 159 „Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem“ & BWV 170 „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“ (John Shirley-Quirk, Robert Tear, Academy of St. Martin-in-the-Fields, Neville Marriner / 1966); Kantate BWV 102 „Herr, deine Augen sehen mach dem Glauben“ (Dietrich Fischer-Dieskau, Peter Pears, English Chamber Orchestra, Benjamin Britten / 1965)
6.CD Antonio Vivaldi: Gloria D-Dur RV 589; Francesco Durante: Magnificat B-Dur (King’s College Choir Cambridge, Academy of St. Martin-in-the-Fields, David Willcocks / 1966)
7.CD Georg Friedrich Händel: Ariodante (Auszüge / Raymond Leppard); Wolfgang Amadeus Mozart: La Clemenza di Tito (Auszüge / Colin Davies); Cosi fan tutte (Auszüge / Colin Davis)
8.CD Joseph Haydn: Scena di Berenice; Arianna a Naxos; Wolfgang Amadeus Mozart: Cosi fan tutte (Auszüge); Abendempfindung; Das Veilchen (Raymond Leppard, Dirigent & Klavier)
9.CD Christoph Willibald Gluck: Arien aus Alceste, Armide, Iphigenie en Aulide, Iphigenie en Tauride, La Recontre imprevue, Orfeo ed Euridice, Paride ed Elena (English Chamber Orchestra, Raymond Leppard / 1975)
10.CD Ludwig van Beethoven: Ah perfido“; No, non turarti; Egmont (Auszüge); Franz Schubert: Arien aus Alfonso und Estrella, Lazarus, Rosamunde; Ständchen „Zögernd leise“ (Raymond Leppard, Dirigent & Klavier)
11.CD Franz Schubert (Duette): Hermann und Thusnelda D. 322; Antigone und Oedip D. 542; Cronnan D. 282; Singübungen D. 619; Selma und Selmar D. 286b; Licht und Liebe D. 352; Hektors Abschied D. 312; Mignon und der Harfner D. 877 Nr. 4; Szenen aus Goethes Faust D. 126 (Dietrich Fischer-Dieskau, RIAS Kammerchor, Gerald Moore / 1972)
12. CD Franz Schubert (Vokalquartette): Der Tanz D. 826; Des Tages Weihe D. 763; Hymne an den Unendlichen D. 232; An die Sonne D. 439; Begräbnislied D. 168; Gott im Ungewitter D. 985; Gott der Weltschöpfer D. 986; Die Geselligkeit D. 609; Gebet D. 815 (Elly Ameling, Peter Schreier, Dietrich Fischer-Dieskau, Gerald Moore / 1973)
13.CD Franz Schubert (Schiller- & Goethe-Lieder): Der Jüngling am Bache D. 30; Thekla D. 73; Nähe des Geliebten D. 162; Meeres Stille D. 216; Amalia D. 195; Die Erwartung D. 159; Wandrers Nachtlied I D. 224; Der Fischer D. 225; Erster Verlust D. 226; Wonne der Wehmut D. 260; An den Mond D. 296; Das Geheimnis D. 250; Lied D. 284; Der Flüchtling D. 402; An den Frühling D. 587; Der Alpenjäher D. 588; Der Pilgrim D. 794; Sehnsucht D. 636 (Graham Johnson / 1987)
14.CD Gustav Mahler: Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit (Geoffrey Parsons / 1983)
15.CD Gustav Mahler: Das Lied von der Erde (Concertgebouw Orchestra, Bernard Haitink / 1975)
16.CD Hector Berlioz: La Mort de Cleopatre; Herminie; Szenen Nr. 5 & 6 aus L’Enfance du Christ (Auszüge); Non! Que viens-je d’entendre aus Beatrice et Benedict (Pierre-Ange Vieillard, Thomas Allen, John Alldis Choir, London Symphony Orchestra, Colin Davis / 1979)
17.CD Gabriel Faure: Le Papillon et la fleur op. 1 Nr. 1; Chanson du pecheur op. 4 Nr. 1; Reve d’amour op. 5 Nr. 2; Melodies op. 7 Nr. 1-3; Aubade op. 6 Nr. 1; Toujours op. 21 Nr. 2; Les Berceaux op. 23 Nr. 1; Le Secret op. 23 Nr. 3; Aurore op. 39 Nr. 1; Les Roses d’Ispahan op. 39 Nr. 4; En Priere; Les Presents op. 46 Nr. 1; La Chanson d’Eve op. 95; Spleen op. 51 Nr. 3; Green op. 58 Nr. 3; En Sourdine op. 58 Nr. 2; Mandoline op. 58 Nr. 1(Geoffrey Parsons / 1988)
18.CD Maurice Ravel: 3 Poemes de Stephane Mallarme; 3 Chansons madecasses; Ernest Chausson: Chanson perpetuell op. 37; Maurice Charles Delage: 4 Poemes hindous (Melos Ensemble / 1966)
19.CD Gustav Holst: Savitri op. 25 (Kammeroper in 1 Akt); Benjamin Britten: Kantate op. 93 „Phaedra“; Lucretia, Lucretia & Last Night Tarquinius aus The Rape of Lucretia op. 37; ah, Owen, what shall we do aus Owen Wingrave op. 85; Werner Egk: La Tentation de Saint Antoine (Robert Tear, Purcell Singers, John Shirley-Quirk, Benjamin Luxon, Koeckert Quartet, English Chamber Orchestra, Imogen Holst / 1961 / 1965)
20.CD Michael Tippett: A Child of our Time (Jessye Norman, John Shirley-Quirk, BBC Singers, BBC Symphony Orchestra, Colin Davis / 1975)
21.CD Henry Purcell: Dido and Aeneas (in der Fassung von Imogen Holst & Benjamin Britten / Robert Tear, Felicity Palmer, Felicity Lott, Peter Pears, Norma Burrowes, London Opera Chorus, Aldeburgh Festival Strings, Steuart Bedford / 1975)

Künstler: Janet Baker, Robert Tear, Felicity Palmer, Felicity Lott, Peter Pears, Norma Burrowes, Simon Preston, John Shirley-Quirk, Dietrich Fischer-Dieskau, Ian Partridge, Ileana Cotrubas, Gerald Moore, Elly Ameling, Peter Schreier, Cord Garben, Graham Johnson, Geoffrey Parsons, Benjamin Luxon, Richard Cassilly, Jessye Norman, London Opera Chorus, Regensburger Domspatzen, RIAS Kammerchor, Purcell Singers, Academy of St. Martin in the Fields, Aldeburgh Strings, Orchestre symphonique de Montreal, London Philharmonic Orchestra, Münchener Bach-Orchester, Orchestra of the Royal Opera House Covent Garden, London Symphony Orchestra, Melos Ensemble, Koeckert Quartett, BBC Symphony Orchestra, Steuart Bedford, Neville Marriner, Karl Richter, Charles Mackerras, David Willcocks, Colin Davis, Bernard Haitink, Imogen Holst, Decca, ADD, 1961-1988

Biblisches aus der Küche

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Nach ihrer CD-Einspielung bei Erato im September 2021 verkörperte Joyce DiDonato die Rolle der Irene in Händels Theodora auch in einer szenischen Produktion des Oratoriums am Royal Opera House Covent Garden im Februar 2022. OPUS ARTE hat die Aufführung mitgeschnitten und auf einer Blu-ray Disc herausgebracht (OABD7313D). Regisseurin Katie Mitchell hat das Geschehen um die standhafte Christin Theodora im Römischen Reich ganz in die Gegenwart verlegt. Hier ist sie Angestellte in der Römischen Botschaft mit dessen Führer Valens, plant, diese zu zerstören. Schauplatz (Chloe Lamford) ist eine modern eingerichtete Küche, wo Theodora und Irene in roten Schürzen (Sussie Juhlin-Wallén) den Boden wischen und andere Arbeiten im Haushalt verrichten. Die Arbeit ist ein exemplarisches Beispiel für die zahlreichen Profanierungsversuche heutiger Regisseure. Gyula Orendt, eigentlich nicht auf Alte Musik spezialisiert, singt den Botschafter mit robuster, fast brutaler Tongebung. Während seines Airs „Racks, gibbets, sword and fire“ vergnügt er sich auf dem Tisch mit einer Angestellten – eine der vielen geschmacklosen Szenen in dieser Inszenierung. Auch bei seinem Air in Part II, „Wide spread his name“, rekeln sich leichte Mädchen in körperlichen Verrenkungen auf der langen Tafel. Stimmlich kann Jakub Józef Orlinski als Römer Didymus, der Theodora liebt, danach einen Kontrast schaffen mit seiner lieblichen Eingangsarie „The raptured soul“, auch wenn sein Counter oft einen jaulenden Beiklang aufweist. Am besten gelingt ihm das liebliche „Sweet rose and lily“ in Part II. Sein Freund, der römische Offizier Septimius, ist der Tenor Ed Lyon mit angenehm weicher Tongebung und stilistisch ganz der Tradition britischer Oratoriensänger verpflichtet. Die Titelrolleninterpretin Julia Bullock muss bis zur 3. Szene auf ihren Einsatz warten, kann dann aber bei „Fond, flattring world, adieu mit obertonreichem Sopran von schöner Fülle rundum überzeugen. Berührend ist ihr Solo „The pilgrim’s home“ im 2. Teil. Das folgende Duet mit Didymus, „To thee“,  bei dem sie ihre Kleidung tauschen, um Theodora die Flucht zu ermöglichen, und Didymus nun wie ein Transvestit im Fummel mit blonder Perücke daherkommt, lässt eine perfekte Verblendung beider Stimmen hören.

Joyce DiDonato wiederholt ihre Glanzleistung als Irene auf der Erato-Aufnahme und imponiert hier noch mit einer szenischen Darstellung von faszinierender Präsenz und packender Intensität. Gelegentlich, so gleich in ihrem ersten Air, „Bane of virtue“, riskiert sie auch derbe Akzente in Verismo-Nähe. Während Irenes Nummer baut Theodora an ihrer Bombe, unterstützt von den anderen Frauen. Irenes zweites Air, das gefühlsstarke As with rosy steps the morn, welches DiDonato betörend vorträgt, wird gestört durch Botschaftsangestellte, die die Frauen mit Pistolen bedrohen und fesseln. Darunter ist auch Septimius, der im an Koloraturen reichen Dread the fruits vehement auftrumpft und den zwiespältigen Charakter der Figur deutlich umreißt. Von ihm und den Sicherheitsleuten werden Theodora und Irene in einem Nebenraum erniedrigenden körperlichen Prozeduren ausgesetzt. Im zweiten Teil, der in ein Bordell mit roten Wänden und Table dance führt, tritt Theodora im silbernen Glitzerfummel und hellblonder Perücke auf, nun zur Prostituierten degradiert. Bedrängt von Septimius und gar in ein rotes Bett gedrängt, singt sie mit fiebriger Erregung „Oh, that I on wings could rise“.

Es musiziert das Orchestra of the Royal Opera House, also kein Originalklang-Ensemble. Aber mit Harry Bicket steht immerhin ein Spezialist für Barockmusik am Pult. Schon in der Overture setzt er markante Akzente mit flüssigem, Tempo betontem Spiel. Später trägt er die Sänger mit Verständnis und großem Einfühlungsvermögen, ohne dass sein Dirigat als reine Begleitung abzustempeln wäre.

Der Royal Opera Chorus (William Spaulding) singt engagiert und klangvoll, beschließt Part I mit dem feierlichen Go, genrous, pious youth, bei dem Didymus von Irene getauft wird. Am Ende von Part II singt er den Chorus  He saw the lovely youth, welchen der Komponist selbst noch über sein „Halleluja“ stellte. Und auch die letzte Nummer fällt dem Chor zu: „O love divine“ – zur erhabenen Musik sind der Schauplatz eines Schlachthofes mit aufgehängten Schweinehälften sowie die Bilder von Blut und Pistolen herbe Kontraste. Bernd Hoppe

Triumpf des Gesangs

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Seitdem Cecilia Bartoli künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele ist, zeichnet sich das Programm dieses Festivals durch eine originelle Programmkonzeption aus. 2019 feierte man die Kunst der Kastraten unter dem Motto „Voci celesti“. Im Mittelpunkt stand Nicola Porporas Oper Polifemo, welche an die Interpreten exorbitante Anforderungen hinsichtlich ihrer Gesangskunst stellt. Ein erlesenes Ensemble führte das Unternehmen zu triumphalem Erfolg – nach zu hören nun auf der CD-Einspielung der Oper beim Label parnassus arts productions, die im Juli/August 2021 (nach Aufführungen beim Festival Bayreuth Baroque) und August 2022 in Athen entstand (PARARTS003, 3 CDs). Bis auf die Nebenrolle der Nerea entspricht die Besetzung jener in der Salzburger Felsenreitschule 2019, wo der Counter Max Emanuel Cencic das Geschehen halbszenisch arrangiert hatte.

Das Werk wurde 1735 im Londoner King’s Theatre am Haymarket uraufgeführt, brillant besetzt mit den zwei führenden Kastraten der Zeit: Senesino als Ulisse und Farinelli als Aci. Letzterem fiel jene Arie zu, welche der berühmte Sänger der Legende nach jede Nacht dem  depressiven spanischen König  Philipp V. vortrug und ihn damit aus seiner Melancholie befreite. Porporas Musik ist ein Fest für Gesangsvirtuosen und viele seiner Arien wurden von renommierten Interpreten in deren Konzerte und Recitals aufgenommen.

Das Libretto von Paolo Antonio Rolli fußt auf der von Ovid in seinen Metamorphosen geschilderten Dreiecksgeschichte mit der Nymphe Galatea, die den Hirten Aci liebt, und dem Zyklop Polifemo, der Galatea begehrt und Aci aus Eifersucht mit einem Felsbrocken erschlägt. Dieser aber wird in einen Fluss verwandelt, dessen Wellen die Nymphe auf ewig umspielen. Schon Händel hatte diese Geschichte 1732 in seiner Serenata Aci and Galatea in Musik gesetzt. Porporas Vertonung aber ist eine Huldigung an die Sänger und deren Bravour.

Gesanglich wird die Neuaufnahme von Yuriy Minenko als Aci diminiert – durchaus kein unbekannter Sänger, doch rangiert er bei weitem nicht in der Liga um Fagioli, Cencic, Jaroussky und Sabada, wohin er zweifellos gehörte. Schon in seinem Auftritt mit „Dolci, fresche aurette grate“ betört er mit schmeichelnden Tönen, wunderbar untermalt vom Orchester mit wiegendem, kosendem Melos. Am Ende des 1. Aktes setzt er in „Morirei del partir“ mit schmerzlichem Ausdruck einen einprägsamen Kontrast. Furios trumpft er auf bei „Nell’attendere il mio bene“ im 2. Akt, feuert die Koloraturen mit Attacke ab und kann auch seinen enormen Stimmumfang demonstrieren. Jeder Zuhörer wartet natürlich auf „Alto Giove“ im 3. Akt, in der Minenko magische Momente schafft mit überirdisch schwebenden Tönen und höchster Kunstfertigkeit im Vortrag. Und mit dem letzten Solo der Oper, der Aria „Senti il fato“, kann er noch einmal mit stürmischen Koloraturrouladen brillieren. Der zweite Counter, Max Emanuel Cencic als Ulisse, hat mit „Core avvezzo“ einen stürmischen Auftritt zu absolvieren, was ihm blendend gelingt. „Fortunate pecorelle“ im 2. Akt ist von getragenem Zuschnitt und profitiert von delikater Tongebung und feiner Phrasierung. „Quel vasto“ im 3. Akt verlangt wiederum Vehemenz im Ausdruck und furios herausgeschleuderte Koloraturläufe, was Cencic souverän meistert. Die anhaltende Hochform des Sängers ist erfreulich und soll hier explizit erwähnt werden.

Die russische Sopranistin Julia Lezhneva ist seit längerer Zeit eine feste Größe in den Produktionen von Max Emanuel Cencic. Auch hier als Galatea besticht sie wiederum mit ihrer scheinbar grenzenlosen Virtuosität, die sie schon in ihrer ersten, zärtlich getupften Aria, „Se al campo e al rio“, ausstellen kann. Mit der vehementen Aria „Ascoltar no“ beendet sie den 1. Akt in fulminanter Manier. Genüsslich kostet sie die Aria im 2. Akt „Fidati alla speranza“ mit kosenden Trillern und raffinierten Vorschlägen aus. Ein weiteres Glanzlicht setzt sie im 3. Akt mit ihrem letzten Solo „Smanie d’affanno“, welches sie mit schmerzerfüllten Tönen ausbreitet. Mit Aci hat sie im 2. Akt zwei Duette: In dem lieblichen „Placidetti zeffiretti“ umschmeicheln sich die Stimmen bezaubernd, in „Tacito movi e tardi“ ist die Stimmung geprägt von bangen Gedanken an die Zukunft. Am Ende des Werkes gibt es sogar ein Terzetto („La gioia immortal“), in welchem sich die Stimmen von Galatea, Aci und Ulisse höchst kunstvoll vereinen.

Selten wurde die Titelfigur einer Barockoper vom Komponisten einem Bassisten anvertraut – Pavel Kudinov absolviert sie mit Glanz und stilistischer Kompetenz. Mit der Aria „M’accendi in sen col guardo“ führt er sich Achtung gebietend ein. Im 3. Akt hat er mehrere Soli, von denen das pochende Arioso „Crudel“, die energische Aria „Dun disprezzato amor und das träumerische Arioso „Ma i piè“ in ihrer kontrastreichen Charakteristik hohe Anforderungen an den Interpreten stellen.

Die Besetzung komplettieren zwei weitere Nymphen – Calipso und Nerea -, die von der Mezzosopranistin Sonja Runje und der Sopranistin Narea Son wahrgenommen werden. Letzterer fällt, gemeinsam mit Galatea, die erste Nummer des Werkes zu – Aria e Duetto „Vo presagendo“, in der Lezhneva mit klagenden Tönen aufwartet, während Son eine sinnliche Stimmung beisteuert. Mit „Sorte un’umile capanna“ hat sie auch ein träumerisches Solo, in welchem die angenehme Stimme zu schöner Wirkung kommt. Reizend ist ihre muntere Aria Una beltà che sa zu Beginn des 2. Aktes, die sie kokett vorträgt und mit feinen Verzierungen schmückt. Calipso hat mit „Giusata non ha delle tue forze“ eine sublime Aria, die sie mit schwebender Stimme ungemein delikat singt. Alle Sänger vereinen ihre Stimmen in den tutti-Passagen – mit dem Ergebnis eines ausgewogenen Zusammenklanges.

Wie oft bei parnassus-Produktionen steht George Petrou am Pult des Ensembles Armonia Atenea und erweist sich einmal mehr als Spezialist für das Barockgenre. Sogleich in den beiden einleitenden Ouvertüren setzt er markante Akzente, differenziert prägnant zwischen den gravitätischen  und lebhaften Tempi. Das zeichnet insgesamt seine Interpretation aus, die von vielfachen Stimmungen und spannenden Affekten geprägt ist. parnassus gebührt Dank: Nach der Einspielung von Porporas Carlo il Calvo ist dieser Polifemo eine weitere Großtat. Bernd Hoppe

HERBERT HANDT

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Mit Bedauern hörte ich vom Tode des us-amerikanischen Tenors und Dirigenten Herbert Handt. Ich hatte noch das Glück ihn sowohl als Sänger wie auch als Leiter der Akademie in Lucca zu erleben, ein sehr liebenswürdiger älterer Herr, der sich freute, dass ich seine frühen Aufnahmen kannte und schätze. In Grossetto oben auf dem Berg, wo die feuchte Nachtluft das zirpende Cembalo im Laufe des Abends um einen Tod tiefer klingen ließ erlebte ich ihn in einer Oper des Settecento, ich kann mich nicht mehr an den Titel erinnern. Cimarosa? Matrimonio? Egal, er ist mir im Gedächtnis geblieben, auch weil ich seine Aufnahmen unter Loehrer oder Prohaska mein eigen nenne und er defintiv ein Bestandteil  italienischer Musikgeschichte war. Ein wichtiger und formativer. Geerd Heinsen

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Herbert Handt (Tenor, Dirigent), Geboren: 26. Mai 1926 in Philadelphia starb am 4. Oktober 2023 in Rom. Der amerikanische Tenor (und Dirigent) war ein Cousin des Dirigenten Otto Ackermann (1909–1960) und erhielt seine Ausbildung an der Juilliard School of Music in New York, dann an der Wiener Musikakademie. Herbert Handt gab 1949 sein Operndebüt an der Wiener Staatsoper. Als lyrischer Tenor trat er in den 1950er Jahren mit Erfolg an bedeutenden europäischen Opernhäusern auf. Er trat auf deutschen, italienischen und französischen Bühnen auf und gastierte in Belgien und Holland. 1957 sang er am Teatro della Pergola in Florenz in der Uraufführung von Venere Prigioniera von Gian-Francesco Malipiero. Im Rahmen der Brüsseler Weltausstellung nahm er im August 1958 an der Uraufführung der Oper Maria Golovin von GC Menotti Teil. Er spielte Rollen in Werken moderner Komponisten wie Gian-Francesco Malipiero, Alban Berg, Ferruccio Busoni, Hans Werner Henze und Benjamin Britten. Auch im Konzertbereich hatte er eine große Karriere, wobei er sich besonders als Oratoriensolist auszeichnen konnte. 1966 wirkte er in Zürich bei der Uraufführung des Oratoriums Jeremia von E. Hess mit.

Höhepunkte seines Repertoires auf der Bühne waren die lyrischen Partien in Opern von WA Mozart und in den Belcanto-Opern von Rossini, Bellini und Donizetti. Besonders hervorzuheben sind sein Don Ottavio in Don Giovanni , sein Orfeo in Orfeo ed Euridice von J. Haydn und im Otello von Rossini neben Virginia Zeani.

Herbert Handt, der lange Zeit seinen Wohnsitz in Rom hatte, trat ab 1960 auch als Dirigent in Erscheinung. 1960 schuf er in Rom eine eigene Gesangs- und Instrumentalmusik, mit der er ausgedehnte Konzertreisen unternahm. Mit seinem Ensemble führte er alte und selten gehörte italienische Partituren auf, für die er Aufführungsausgaben vorbereitete (darunter Opern von Boccherini, Geminiani und Rossini). Später lebte er in Lucca, wo er in den Sommermonaten das Associazione Musicale Lucchese Opera Festival organisierte. Er war außerdem Gründer und Gründer des Lucca Chamber Orchestra und des Marlia International Festival. Quelle Bachtrack

Aufnahmen: RCA (Aufnahme der Oper Maria Golovin, anlässlich der Uraufführung 1958 in Brüssel), Nixa/NE (Ottavio neben Grub-Prandl in Don Giovanni, Orfeo ed Euridice von Haydn, Idomeneo von WA Mozart erneut neben Grob-Prandl ), Edition Schwann/NE ( Giuseppe, figlio di Giacobbe von Luigi Rossi), EJS/div CD-Firmen ( Otello von Rossini) , Voce/NE und andere CD-Firmen ( Temistocle von Johann Christian Bach , Viva la Mamma von Donizetti), Vox (Sesto in Giulio Cesare von Georg Friedrich Händel ), Vanguard ( Saul von GF Händel ), Fonit Cetra div., weitere bei Angaben bei Discogs. G. H.

Früher Belcanto aus den Marken

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Bei Bongiovanni ist der Mitschnitt von Pietro Generalis „Straßenmusikantin Cecchina“ beim noch jungen Festival Il belcanto ritrovato in Pesaro im Jahr 2022 herausgekommen. Das verdienstvolle Angehen, „kleinere“ italienische Komponisten aus der Belcanto-Periode wieder zu entdecken und zum Leben zu erwecken, ist dem Festival-Intendanten Rudolf Colm zu verdanken (s.o. das Interview mit ihm in operalounge.de).

Der am 4. Oktober 1783 in Masserano geborene Pietro Generali wuchs in Rom auf, wo er eine musikalische Ausbildung erhielt, die neben der geistlichen Musik auch Opernkompositionen umfasste, und die er am Konservatorium von S.Pietro a Majella in Neapel noch kurz fortsetzte. Wieder in Rom, begann seine Laufbahn als Opernkomponist im Jahr 1800 (a.a.O. 1802) mit seiner ersten Oper Gli Amanti ridicoli, der noch mehr als 40 Opern folgten. Generali schrieb für italienische und ausländische Städte auf Bestellung, wirkte aber auch im europäischen Ausland und leitete u.a. 1817-1821 das größte Theater in Barcelona. Er soll einen sehr liederlichen Lebenswandel geführt haben, dessen Folgen ihm Einbußen an Gesundheit und Laufbahn brachten. 1823 war sein Opernschaffen nahezu beendet; 1827 wurde er Domkapellmeister in Novara, wo er sich bis zu seinem Tode 1832 immer mehr der Kirchenmusik und dem Unterrichten zuwandte.

Gaetano Rossi – der Librettist mehrerer Opern Rossinis – schrieb auch für Generali die Vorlage zu der einaktigen „farsa“ Cecchina, die 1818 im Teatro Nuovo in Neapel uraufgeführt wurde. Im Inhalt geht es um soziale Unterschiede: Da sind zunächst Cecchina aus Savoyen, die es in Paris als einfache Straßenmusikantin mit der Drehleier unauffällig zu einem gewissen Reichtum gebracht hat, und der sich als mittellosen Maler ausgebenden Enrico, die sich lieben; ein Consigliere umschwärmt seinerseits Cecchina, während der Duca di Rosmond (Onkel Enricos) sich gegen eine Verbindung beider stellt. Sozusagen als Buffopaar gesellen sich das Kammermädchen Fiorina und Andrea, ein junger Mann aus Cechinas Heimat (ihr Bruder) dazu. Das Ganze findet ein positives Ende, als Papiere auftauchen, die die edle Herkunft Cecchinas bescheinigen, so dass der Verbindung der Liebenden nun nichts mehr im Wege steht,.

Die musikalische Leitung der Aufführung lag in den Händen von Daniele Agiman, der das Orchestra Sinfonica G.Rossini zu Top-Leistungen anspornte. Von der Sinfonia an gelingt lockeres, leichtes Musizieren durchgehend in allen Instrumentengruppen. Die Titelrolle war der Sopranistin Jolanda Massimo anvertraut, die über eine klare, höhensichere Stimme verfügt, die bestens durchgebildet die lyrischen Phasen ihrer Rolle (Dico, Giannetta) ebenso beherrscht wie die glitzernden Koloraturen (Mi ritornai il buon umore); man leidet echt mit ihr in der Szene Che scopersi!. Ihr geliebter Enrico wird von dem jungen Tenor Pierluigi D’Aloia verkörpert, der ebenfalls die Palette von lyrischer Anbetung bis zu dramatischer Emphase ausreizt (z. B. Ah, tu sei tutto). Paolo Ingrasciotta als eitler Consigliere verfügt über einen eher weichen, schwärmerischen Bariton, der sich aber auch energisch durchzusetzen weiß. Dazu passt sehr gut der etwas dunklere Bariton des russischen Sängers Alan Starovoitov, der als Duca die Wandlung vom feindlich energischen zum liebenswürdig schmeichelnden Onkel Enricos hörbar macht. Der aus Buenos Aires stammende Ramiro Maturana (Andrea) als naiver Junge aus Savoyen erfreut mit flexibler Stimmführung; sehr gelungen ist seine große „Tanzszene“ Noi salziamo al far del giorno. Das junge Solistensextett wird abgerundet durch Annya Pinto, die als Fiorina mit hörbarem Charme und geläufigen Koloraturen ihres sauberen Soprans begeistert. Dieser Einakter ist eine lohnende Ausgrabung, die sicher noch häufiger nachgespielt werden wird. Durch die kleine Solistenbesetzung, ohne Chor und Ballett bietet er sich für publikumswirksame Aufführungen an kleineren Theatern und Hochschulen an. Die Einspielung wird ergänzt durch zwei Boni von Generali: Die flott gespielte Sinfonia zu La Testa meravigliosa und die Arie Sorgerà la nuova aurora aus Pamela nubile – mit leuchtenden Soprantönen gesungen von Annya Pinto – machen Lust auf mehr von Pietro Generali (Bongiovanni, GB 2607/8-2).     (3.10.2023)  Marion Eckels

Aufführungs-Kritiken

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Hier nun findet sich eine Übersicht der in operalounge.de besprochenen Live-Aufführungen der letzten Zeit, ob nun unter der Rubrik „Die besondere Oper“ oder unter „Festivals“ (und die Dame oben ist die Muse der Musik, Calliope, hier von Charles Meynier 1798 gemalt/Cleveland Museum of Art/Wikipedia).

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Die besondere Oper: Auch 2022/23 sind wir bei der Auswahl der besuchten Live-Aufführungen wählerisch und konzentrieren uns auf wenige und eben für uns interessante Operntitel. G. H.

Deutsche Oper Berlin Tschaikowsky Pique Dame (März 2024); Anhaltinisches Theater Dessau Szymanowsky König Roger (März 2024); Theater für Niedersachsen Hildesheim Berlioz Béatrice et Bénedict (Februar 2024); Deutsche Oper Berlin Benjamin Written on Skin (Januar 2024); Komische Oper Berlin Rimsky-Korssakoff Der goldene Hahn (Januar 2024); Theater Essen Bertin Fausto (Januar 2024); Theater Dortmund Holmés La Montagne Noir (Januar 2024); Berlin Deutsche Oper Bellini Anna Bolena (Dezember 2023); Verona Ponchielli Il Parlatore eterno (Dezember 2023); Pompeji Marzano I Normanni a Salerno (Dezember 2023);  Rugby  Temple Speech Room Bottini Elena e Gerado (Dezember 2023);  Straßburg, Opéra National du Rhin Délibes Lakmé (November 2023); Teatro alla Scala Mailand Faccio Amleto (Oktober 2023); Theater Bielefeld Zandonai Zaza (November 2023); Annaberg-Buchholz Eduard_von-Winterstein-Theater Zandonai Don Buonaparte (November 2023); Theater für Niedersachsen Hildesheim Adam Wenn ich König wäre (Oktober 2023); Theater an der Wien Donizetti Les Martyrs (Oktober 2023); Komische Oper Berlin Henze Das Floß der Medusa (September 2023): Theater Erfurt Weingarten Orestes (Juni 2023); Berlin Philharmonie Moniuszko Paria (September 2023); Komische Oper Berlin: Thomas Hamlet (23); Theater Braunschweig: Godard Dante (Oktober 23); Theater Bielefeld: Leoncavallos Zazà (Oktober 2023); Ernst-von-Winterstein Theater Annaberg-Bucholz: Alberto Franchettis Komödie Don Buonaparte (Oktober 2023);  Teatro Regio Turin: Fromenthal Halévy: La Juive (September 2023); Deutsche Oper Berlin: Jules Massenets Hérodiade (am 15. 6. 2023); Zandonais Francesca da Rimini an der Deutschen Oper Berlin am 29. 5. 2023 ; Felix Weingartners Orestes am Theater Erfurt. am 27.05.2023: Paria von Stanislaw Moniuszko in der Berliner Philharmonie; Ambroise Thomas` Hamlet an der Komischen Oper Berlin; Benjamin Godards Dante am Staatstheater Braunschweig: Krieg und Frieden von Sergej Prokofjew an der Bayerischen Staatoper 18 März 2023: Saverio Mercadantes Francesca da Rimini an der Oper Frankfurt 26.2.23:  Georges Bizets  Ivan IV am Staatstheater Meiningen am 24.2.23: Giacchino Rossini Le Siège de Corinth am Theater Erfurt am 25.2.23; Uraufführung in Ulm Charles Tournemires Legende  de Tristan; Massenets Hérodiade an der Opéra National de Lyon am 23. November 2022; Donizettis Caterina Cornaro am Stadttheater Gießen; Modest MusorgskysBoris Godunow am Teatro alla Scala 7. Dezember 2021;  Verdis Alzira Opéra de la Wallonie Liege 01.12.22; Asger Hameriks Vendetta an der Königlich Dänischen Oper in Aarhus; Wilhelmine von Bayreuth L’Homme Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth; Franz Schreker Der ferne Klang an der Opéra de Stasbourg; Albert Lortzings Undine an der Oper Leipzig 2022; Teatro Comunale Pavarotti Freni in Modena Mefistofele 9. Oktober 2022; Deutsche Oper Berlin Gioacchino Rossini Semiramide 20./22. 10. 2022; In der Berliner Philharmonie Léo Délibes Lakmé 27. 9. 2022; Opéra National de Montpellier Occintanie Ambroise Thomas Hamlet (Tenor) 27. 08. 22; Louise Bertin  Le loup garou an der Opera Southwest in Albuquerque 11. September 2022; Im Berliner Konzerthaus Mascagnis Zanetto und Wolf- Ferraris Il Segreto di Susanna 14.6.2022; Gustave Adolph Kerker The Belle of New York am TFN Hildesheim 26. Mai 2022; Guirauds/Masenets Fredegonde am Theater Dortmund 2022;  an der Budapest Staatsoper Erkels Hunyadi László 2022; Nino Rotas Aladin und die Wunderlampe am TFN Hildesheim 19.02.2022; In Budapest Hubays Geigenbauer von Cremona/ Dohnányis Tante Simona/ Poldinis Hochzeit im Fasching 2022;  An der Opéra National du Rhin in Straßburg Die Vögel von Walter Braunfels 2022;  Am Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg Ralph Benatzkys Der reichste Mann der Welt/ Erich Zeisls  Leonce und Lena 2022; In Osnabrück Theater am Domhof Karol Rathaus’ Fremde Erde 2022; 

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Festivals 2023: Musikfest Berlin: Les Troyens von Hector Berlioz 02. 09., 23; Bel Canto Ritrovato Festival Pesaro & Fano Luigi Riccis Il birraio di Preston & Konzert in Fano 24.8.2023; Salzburger Festspiele 2023 Orfeo ed Euridice/ Bohuslav Martinus The Greek Passion/ Bellinis Capuleti e i Montecchi/ Hector Berlioz´Les Troyens August 2022; Rossini Opera Festival Pesaro 2023 Eduardo e Cristina/ Adelaide di Borgogna/ Aureliano in Palmira August 2023; Festival Alte Musik Knechtsteden  Giovanni Alberto Ristori Orfeo August 2023; Bayreuther Festspiele 2023 Parsifal & Der fliegende Holländer August 2023; Innsbrucker Festwochen der Alten Musik Antonio Vivaldi Olimpiade 8. August 2023/ Bernardo Pasquinis Idalma 23. 6. 2023; Rossini in Wildbad: Giovanni Pacini Gli Arabi nelle Gallie August 2023; Festival Ancient Music New York/ Lincoln Center Ricci Crispino e la Comare; Festival Palazzetto Bru Zane 2023 Louise Bertin Fausto Paris 20. Juni 2023; Musikfestspiele Potsdam Sanssouci L’Huomo von Andrea Bernasconi Juni 2023/  Marc-Antoine Charpentier David et Jonathas; Schloss Rheinsberg Osterfestspiele Carl Heinrich Graun La clemenza di Silla

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Festivals 2022: Auch in 2022 waren wir bei der Auswahl der vorgestellten Festivals sehr wählerisch und konzentrierten uns – wie bei Live-Aufführungen überhaupt – auf wenige und für uns interessante Aufführungen, von denen wir einige Rezensionen der Wichtigkeit der Operntitel wegen weiterhin auf unserer Seite stehen lassen . G. H.

Donizetti-Festival Bergamo 2022 La Favorite, Chiara e Serafina, L´Aio nel´ imbarazzo; David und Halevy beim Wexford Festival Opera 2022 La tempesta & Lalla-Roukh 24 + 25 . Oktober 2022; Festival Radio France Opéra National de Montpellier Occintanie Ambroise Thomas Hamlet (Tenor) 27. 08. 22;  Bregenzer Festspiele 2022 Puccinis Madama Butterfly und Giordanos Siberia 20. + 21. Juli 22; Rossini in Wildbad 2022 Armida, Ermione 15. + 16. Juli 2022; Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Inseln Scarlattis I portentosi effetti della Madre Natura/ Johann Friedrich Reichardt Die Geisterinsel 18. 6. 2022/  Carlo Pallavicino Le Amazzoni nell’isole fortunate

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Unbekanntes aus Budapest

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Schon mehrfach wurde auf diesen Seiten über Einspielungen auf dem Label GLOSSA mit dem ungarischen Orfeo Orchestra unter seinem Leiter György Vashegyi berichtet. Jetzt gilt es, wieder eine neue Aufnahme  vorzustellen – und noch dazu eine veritable Rarität. Komponist dieser Tragédie lyrique Polydore ist der 1680 in Livorno geborene Jean-Baptiste Stuck. Die künstlerische Laufbahn führte den virtuosen Cellisten über Florenz und Neapel bis nach Paris, wo er 1755 starb. Von seinen Opernwerken sind vier komplett erhalten – eines in italienischer Sprache (Il Cid) für Livorno, die anderen in Französisch für Paris. Polydore ist das letzte von ihnen, uraufgeführt 1720 an der Académie royale de musique à Paris. Das Libretto aus dem 3. Buch der Aeneis stammt von Simon-Joseph Pellegrin, der sich auch als Autor von Rameaus Hippolyte et Aricie einen Namen machte.

Die trojanische Prinzessin Ilione wurde nach ihrer Heirat mit Polymnestor zur Königin von Thrakien. Ihr Gatte liefert ihren Bruder Polydore den Griechen aus, damit er geopfert werden kann. Dafür würden die Griechen die Hand ihrer Prinzessin Déidamie dem Sohn von Polymnestor, Déiphile, bieten. Der alte Timanthe offenbart jedoch, dass er die beiden Prinzen Polydore und Déiphile in deren Jugend vertauscht habe, womit Polymnestor seinen eigen Sohn den Griechen ausliefert, was er am Ende, geplagt vom Geist des Toten, mit seinem Leben büßt.

Die Oper vereint italienisches Melos und französische Elemente, die vor allem in den zahlreichen Tanzeinlagen zum Ausdruck kommen. Schon im Prologue finden sich Loure, Bourée, Sarabande und Premier et Deuxième Passepied. Deren reizvolle Instrumentierung erlaubt dem Orchester ein ungemein farbiges und vitales Spiel. Die Tragédie enthält einen Prologue, wie es derzeit üblich war, doch ohne die gängigen Lobreden auf den Herrscher, und fünf Actes. Die beiden ersten bieten jeweils am Ende ein Divertissement. Am Ende des 4. Aktes findet sich eine ombre-Szene, während der 5. ohne Divertissement und ganz überraschend mit dem Selbstmord von Polymnestor, König von Kreta, endet. Das war ein solch bestürzender Moment, dass bald ein Chor, der die Liebe von Déidamie und Polydore besingt, hinzugefügt wurde. Vashegyi jedoch hat sich in seiner Einspielung für das originale Finale mit Polymnestors ergreifendem Rezitativ „Terre, pour m’engloutir“ entschieden. Der Dirigent beweist wieder sein Gespür für die Musik mit ihrer Delikatesse und den wechselnden Stimmungen. Wie gewöhnlich hat er ein im französischen Barockgenre erfahrenes und versiertes Ensemble versammelt. In der Titelrolle imponiert der Bassist Tassis Christoyannis mit nobler Stimme und autoritärem Vortrag. Sein Air im 2. Akt, „Du plus charmant espoir“, steht für seine Fähigkeit, auch mit Zartheit und Süße zu singen. Thomas Dolié ist der Polymnestor und gleichfalls  kompetent in Gesang und Gestaltung. Judith van Wanroij gibt im Prologue die Vénus und dann die Déidamie. Ihr Sopran ist gewöhnungsbedürftig in seiner Larmoyanz und Strenge. Zu Beginn des 4. Aktes hat sie ein kantables Air zu singen („Beaux lieux“) und danach ein inniges Duo mit Polydore („Quel sort pour nos tendres amours“), wo die Stimme angenehmer klingt. Und am Ende der Oper findet sie in dramatischen Rezitativen („Il va combattre“/ „Quel bruit afffreux!“) zu überzeugendem Ausdruck. Hélène Guilmette ist mit beherztem Gesang eine starke Ilione, die die Angst um ihren Bruder ins Zentrum ihrer Interpretation rückt. In nicht weniger als fünf, allerdings kleineren Partien ist der renommierte Countertenor Cyrille Dubois besetzt, der freilich in der Höhe auch gequält klingen kann. Zudem ist der Bassist David Witczak in mehreren Rollen zu hören. Als Le Grand Prêtre hinterlässt er den stärksten Eindruck.

Zum glänzenden Gesamteindruck tragen das Orfeo Orchestra mit inspiriertem Musizieren und der Purcell Choir mit kultiviertem Gesang bei. Die Aufnahme dürfte jeden Liebhaber französischer Barockmusik erfreuen. Sie entstand im September 2022 in Budapest (GCD 924014, 3 CDs). Bernd Hoppe

Aus den Archiven

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Der SWR hatte schon seit langem seine Archive mit Aufnahme-Schätzen geöffnet, unter dem Titel Legendary Singers nun einen Schuber mit Einspielungen von Martina Arroyo, Marilyn Horne, Peter Anders (2 CD), Dietrich Fischer-Dieskau und Nicolai Gedda zusammengestellt. Da gibt es zunächst zwei Liederabende der Schwetzinger Festspiele: Im Schwetzinger Schloss wurde am 25.05.1968 ein Liederabend der fulminanten Martina Arroyo und des Altmeisters Leonard Hokanson am Flügel aufgezeichnet und übertragen. Die technisch geglättete Fassung lässt keinen Hinweis auf ein Live-Erlebnis mehr erkennen, begeistert aber nach wie vor. Mit ihrem klaren, in allen Lagen bestens durchgebildeten Sopran und differenzierter Gestaltungskunst fasziniert Martina Arroyo nach wie vor; in Liedern von Gioacchino Rossini, Franz Schubert, Johannes Brahms, 4 Spirituals und den Zigeunerliedern von Antonin Dvorak lässt sich ihre hohe Sangeskunst eindrücklich nachvollziehen. Leonard Hokanson ist ein partnerschaftlicher Mitgestalter (SWRmusic, 93.719).

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Fast 24 Jahre später, am 25.04.1992 fand ein reiner Rossini-Abend der stupenden Marilyn Horne und ihres kongenialen Begleiters Martin Katz statt – ein Beitrag zum 200.Geburtstag des Komponisten. In unseren Breiten hört man Rossini-Lieder leider viel zu selten. Besonders hervorzuheben sind das eindringlich vorgetragene Assisa à piè d’un salice, das kleine Koloraturfeuerwerk Canzonetta spagnuol und das nur auf einem Ton gesungene Adieux à la vie!, bei dem der Pianist die melodische Hauptaufgabe exquisit löst. Höhepunkt ist die von Rossini selbst als „Cantata“ bezeichnete Giovanna D’Arco aus seiner späten Schaffenszeit: Bei dieser teilweise opernhaft großen Szene zieht die Sängerin alle Register ihrer Koloraturfähigkeit und ihres großen Stimmumfangs; der Pianist geht auf jede Nuance der Interpretation mit subtiler Begleitung ein. Zwei kleine Schmankerln beenden den tollen Abend, das flotte Cruda sorte! Amor tiranno! aus L‘italiana in Algeri und Di tanti palpiti aus Tancredi (SWRmusic, CD 93.721).

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Dietrich Fischer-Dieskau sings Baroque Arias lautet der Titel der CD, die in den Jahren 1952-54 vom SWR eingespielt wurde, also in Dieskaus früher Zeit; in Wahrheit sind es allerdings geistliche Solo-Kantaten, nicht gerade typisch für seine Berühmtheit. Mit der fünfteiligen Kantate Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu dir von Gottfried Heinrich Stölzel beginnt der „Arienreigen“, gefolgt von Franz Tunders sehr basslastiger Kantate Da mihi, Domine. Bei Dietrich Buxtehudes Kantate Ich suchte des Nachts passen Dieskaus Bariton und der helle Tenor von Helmut Krebs gut zusammen, eine interessante Duett-Kantate! Die Streicher werden hier durch eine blitzsaubere Oboe ergänzt. Etwas schlicht kommt die Osterkantate Erstanden ist der heilige Christ von Nicolaus Bruhns daher; auch hier ergänzen sich die beiden Sänger ausgezeichnet. In Adam Kriegers Kantate An den Wassern zu Babel saßen wir tritt die sichere Altistin Erika Winkler hinzu; gemeinsam legen sie Kriegers verschlungene Melodik ansprechend frei. Mit Nicolaus Bruhns‘ Choralkantate De profundis clamavi beweist Dieskau einmal mehr, dass ihm die recht hoch liegende Bass-Kantate mit barocken Verzierungen besonders liegt. Die vorzüglichen Instrumentalisten schaffen den sicheren Boden, auf dem sich die Sänger in allen Kantaten frei entfalten können (SWR Music, CD 94.218).

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Nicolai Gedda sings Arias & Lieder umfasst Studioeinspielungen mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, die Lieder sind Live-Konzertmitschnitte. Vom  schwedischen Tenor mit intonationsreinen Spitzentönen und großer Koloratur-Geläufigkeit sind sechs Opern-Highlights zusammengestellt: Adolphe Adams spritziges Mes amis écoutez l’histoire (Le postillon de Lonjumeau), Christoph Willibald Glucks ausdrucksstarkes Welch Gefühl schwellt meine Brust (Alceste)  und das flotte, höhensichere Auf Kalchas falle dieses Schwert (Iphigenie in Aulis), W.A. Mozarts emotionsreiches Fuor del mar (Idomeneo), Giacchino Rossinis mit Höchstschwierigkeiten gespicktes Que les destins prospères… (Le Comte Ory) und Michail Glinkas kriegerisches Brüder, im Sturm (Ein Leben für den Zaren) mit lyrischem Zwischenteil. Unter der versierten Leitung von Ernest Bour begleitet das Orchester schwungvoll. Mit den Liedern von Franz Schubert, Francis Poulenc und Nicolai Rimsky-Korsakov mit dem sicheren Pianisten Werner Singer beweist Gedda beim Bruchsaler Schlosskonzert am 19.10.1960, dass er auch die Kunst der „Miniaturen“ versteht und in mehreren Sprachen beste Textverständlichkeit erzielt. Das gilt gleichermaßen für die Lieder von Claude Debussy, Joaquin Nin und Ottorino Respighi, sowie für die weniger bekannten, aber lohnenden Lieder von Francesco Balilla Pratella, Alfredo Casella und Vito Carnevali, die im Schloss Ludwigsburg am 03.04.1965 mit Erik Werba als ebenbürtigem Partner am Klavier erklangen (SWR Music,  CLASSIC CD 94.212).

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Last not least: Peter Anders singt Arien und Lieder, jeweils eine CD, eingespielt in den Jahren 1946-52. Zu den Opern-Aufnahmen leitet Otto Ackermann das in allen Gruppen sicher aufspielende Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg: Die Gralserzählung aus Lohengrin, die Blumenarie aus Carmen, Wilhelm Kienzls Selig sind… aus dem Evangelimann, Florestans große Szene aus Fidelio und Durch die Wälder, durch die Auen aus dem Freischütz sind die Solo-Nummern, in denen Peter Anders die Strahlkraft und Farbpalette seiner klaren Tenorstimme eindrücklich beweist. Gemeinsam mitt Sena Jurinac erklingen Duette aus der verkauften Braut, Otello, Madama Butterfly, La Bohème und Carmen, in denen sich die beiden Stimmen nahezu ideal verbinden. Zwei Operetten-Einspielungen aus Johann Strauß‘ Zigeunerbaron, wobei das Orchester von dem versierten Paul Burkhard geleitet wird und die Sopranistin Nata Tüscher im Duett mitwirkt, runden die Opern-CD ab.

Die Lieder-CD enthält Vertonungen von Franz Schubert, Robert Schumann, Ludwig van Beethoven und Peter Tschaikowsky. Der Liedgesang scheint dem Sänger ein besonderes Anliegen gewesen zu sein; hier kommt seine hohe Gestaltungskunst besonders gut zur Geltung. In der von dem erfahrenen Pianisten Heinz Mende begleiteten Schubert-Gruppe fällt der muntere Musensohn durch seine Frische auf. Die übrigen Lieder werden vom ebenfalls eindrucksvoll auf den Sänger eingehenden Hubert Giesen mitgestaltet. In der Schumann-Gruppe zwingen z.B. in Intermezzo die zwischendurch eigenwilligen Tempoverzögerungen zu intensiverem Hinhören. Beethovens An die ferne Geliebte gefällt ebenso wie die wunderbaren Romanzen Tschaikowskys wie Einst zum Narr’n, Unendliche Liebe oder Warum?. Diese CDs sind eine gute Erinnerung an den Ausnahmesänger Peter Anders (SWR Music,  CD 1-2 94.214).                (25.09.2023)   Marion Eckels

Gemischte Platte

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Piotr Beczala hat im spanischen Valencia mit dem Orquestra de la Comunitat Valenciana Arien und Szenen aus dem Verismo aufgenommen, die PENTATONE unter dem passenden Titel VINCERÒ! herausgebracht hat Die CD enthält Puccini-„Schlager“ aus u.a. Tosca, Fanciulla, Butterfly und natürlich Turandot, aber auch die beiden berühmten Szenen aus Mascagnis Cavalleria rusticana und Leoncavallos Pagliacci; Adriana Lecouvreur und Andrea Chénier sind ebenfalls vertreten. So kann der Opern-Star unserer Zeit die ganze Fülle und vielfarbige Palette seines charakteristischen Tenors ausbreiten. Wieder beeindruckt die gleichmäßige Linienführung der Stimme durch alle Lagen bis in strahlende Höhen. Unterstützt wird er von dem sicheren spanischen Orchester und in wenigen Szenen von dem klangausgewogenen Cor de la Generalitat Valencia, beide souverän von Marco Boemi geleitet (PENTATONE PTC 5186 993).

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Ein schönes Beispiel dafür, dass der polnische Tenor auch die intimere Form des Lieds beherrscht, ist die CD mit Romanzen von Pyotr Tchaikovsky und Sergei Rachmaninoff, die Piotr Beczala und Helmut Deutsch im Markus-Sittikus-Saal Hohenems (Veranstaltungsort der Schubertiade) aufgenommen haben. Die Künstler haben insgesamt 31 meist recht kurze Romanzen ausgewählt, die sie mit ihrem ganzen Können ausdeuten. Dabei fällt auf, wie technisch ausgereift die Stimmführung des Sängers ist: Bei durchgehend perfekter Intonationsreinheit vermag er die Stimme in wunderbar klangschönes piano zurückzunehmen, aber ebenso an passenden Stellen dramatische, fast opernhafte Aufschwünge zu präsentieren. Wie selbstverständlich trifft er den oft schwelgerischen Duktus der Romanzen und die lyrisch zurückhaltende Nachdenklichkeit der russischen Lieder. Wesentlich an den Interpretationen beteiligt ist der Altmeister der Klavierbegleitung, der stets sensibel auf den Sänger eingeht, gute Tempi bei den Vorspielen vorgibt und den unterschiedlichen Stimmungen der Lieder in den Nachspielen weiter nachspürt. Auf diese Weise kann man bestes partnerschaftliches Musizieren erleben (PENTATONE PTC 5186 866).

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Ganz anders kommt die CD mit dem Titel Remembering Tebaldi daher: Die US-amerikanische Sopranistin Melody Moore erinnert an den 100. Geburtstag der großen Renata Tebaldi, indem sie mit dem Transylvania State Philharmonic Choir & Orchestra unter Lawrence Foster Opernarien singt. Geordnet  sind diese nach drei Wirkungsperioden der Tebaldi: Aus ihrer frühen Zeit gibt es Arien aus Mefistofele, L’amico Fritz, Andrea Chenier und La Bohème, die die Sängerin mit ruhiger Stimmführung in allen Lagen stets höhensicher interpretiert. Aus der Periode an der Mailänder Scala hört man neben Ausschnitten aus Rossinis Mosè in Egitto und Verdis Quattro pezzi sacri Aidas Ritorno vincitor! sowie eine Szene aus Catalanis La Wally. In diesen recht unterschiedlichen Stücken beeindruckt die Vielseitigkeit des Soprans, der z.B. in der Aida-Arie schön aufblüht und im Gebet aus Mosè die soliden Chor-Solisten und den Chor unaufdringlich überstrahlt. Der dritte Teil der CD betrifft die MET-Periode mit Leonoras Pace-Arie sowie Ausschnitten aus Manon Lescaut, La Traviata, Adriana Lecouvreur und Suor Angelica. Auch hier gefällt, wie die Sängerin ihre volltimbrierte Stimme entsprechend der jeweiligen Stimmung ausschwingen lässt. Am Schluss wird an das letzte Konzert der Tebaldi mit italienischen Liedern und Arien in der Carnegie-Hall erinnert, indem ein Scarlatti-Lied, arrangiert für Sopran, Oboe und Streicher, musiziert wird. Durchweg ist das Orchester unter der umsichtigen Leitung von Lawrence Foster der Sängerin eine sichere Unterstützung (PENTATONE PTC 5187 070).

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Schließlich soll über eine CD mit Spirituals berichtet werden, die der amerikanische Countertenor Reginald Mobley und der französische Pianist Baptiste Trotignon präsentieren. Traditionals in besonderen Arrangements sind gemischt mit  Transkriptionen und Melodien von Harry T. Burleigh (1866-1949) und Florence Price (1887-1953), dabei das titelgebende Because und so bekannte Spirituals wie Sometimes, Nobody knows, My Lord, what a morning oder Deep river. Die beiden Künstler korrespondieren aufs Feinste miteinander, indem der Counter mit seiner klaren Stimme großen Umfangs die Spirituals eindringlich interpretiert und der versierte Pianist ebenso wie der Sänger diese gekonnt und variantenreich vom Jazz aus betrachtet (ALPHA 936) (25. 09. 23).  Gerhard Eckels

Barocker Zauberkasten

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Nie werde ich diese typisch französisch-eleganten LPs der Firma Erato vergessen: Diese schimmernden Covers mit den Blumen oder Obststilleben als Bilder vorne, mit der fabelhaft gestylten Optik und dem unverkennbaren, prägnanten Logo des griechischen Schriftzeichens (schon Tacitus sagte: cui nomen erato eaque brevi…).

Was für ein Cornocupium an (früh-)barocker Musik ließ sich hier finden. Komponisten  von denen ich bis dahin als Student noch nie etwas gehört hatte: Ingegneri, Carissimi, Marcello, Delalande, Jannequin, Goudimel, Cavalli, Bassano – eine Fülle an Musik und Komponisten, die mir absolut neu waren.

Im Schallplattenladen am Berliner Kudamm waltete Herr von Malottki, der ein Herz für uns arme, Studenten hatte. Er ließ uns diese luxuriösen Wunder hören, die ich mir nicht leisten konnte (25.- DMark, per Kopfhörer an der Schallplattenbar – das waren noch Zeiten). Dort begann meine Liebe zu Eric Tappy, der bei Erato der Haustenor war. Er sang fast alles dort. Und seine hochindividuelle, nicht wirklich schöne, aber durchaus auch sinnliche und kernige Stimme erfüllte mich mit einem Gefühl, das bis heute an Verehrung grenzt. Ich habe ihn als eleganten, stets früh-weißhaarigen Sänger dann später recht oft live gehört und erinnere mich an das damalige Musikfestival im Jura nahe Lausanne, open-air vor einem bezaubernden Holztheater an einem warmen Sommerabend, wo er der packende Nerone in Monteverdis Poppea war, wahnsinnig toll und unvergesslich.

Er war mein aller erster Monteverdi-Orfeo in dieser schönen braunen Pappschachtel mit dem stilisierten Titelhelden nebst Leier in antiker Pose darauf. Kein anderer hat es bislang geschafft, sich einen solchen Platz in meinem Herzen zu erobern. Seine unglaubliche Poesie, sein erfüllter Gesang, sein Flehen an die Geister und seine Klage in der Unterwelt lässt bis heute mich erschauern.

Zu Michel Corboz: Eric Tappy und Rachel Yakar in Monteverdis „Poppea“ in Zürich/Unitel

Tappy gehörte zum Hausensemble von Michel Corbos, der Schweizer Dirigent, der noch von Nikolaus Harnoncourt sich umfassend mit der Renaissance- und Barockmusik befasst und aufgenommen hat. Neben Ewerhart in Münster und Edwin Loehrer vom italienischen Rundfunk der Schweiz grub er bereits in den Sechzigern Monteverdi und seine Zeit aus. Und Monteverdi ist (neben Bach) auch der Eckstein der großen 74-CD-Box nun bei Warner (die in den 90ern die Erato nach deren Konkurs aufkaufte) erschienen ist: The complete Erato-Recordings (Baroque & Renaisance Eras, eine weitere befasst sich dann mit Corboz-Aufnahmen von Mozart etc., sogar Verdi, meistens mit dem Gulbenkian Orchester Lissabon (und ist in meinen Augen nicht mehr so gültig wie seine frühen Aufnahmen aus den Sechzigern/Siebzigern).

Zum Hausensemble von Michel Corboz gehörten denn auch für die frühen Aufnahmen nicht die internationalen, zum Abwinken bekannten Vokalkräfte jener Zeit, sondern Schweizer Spezialisten wie Luciana Ticinelli-Fattori, Maria Grazia, Magali Schwartz, das Ehepaar Stämpfli, Enrico Fissore, Francois Loup und natürlich der unverwüstliche Hugues Coenod, der bereits unter Nadia Boulanger in der Vorkiegszeit Monterverdi aufgenommen und der unter Noah Greenberg bei Columbia in Amerika neben Russell Oberlin dieses unglaublich tolle „Zeffiro torna“ Monterverdis eingespielt hatte (und ich erlebte ihn noch zwerchfellerschütternd als hinreißende, lüsterne Nymphe in Cavallis Calisto in Glyndebourne neben Janet Bakers Diana). Auch Philippe Huttenlocher darf man nicht vergessen, ein Debussy-Golo von Format und auf den Aufnahmen von Corboz nicht wegzudenken.

Erst später gings dann (leider muss man sagen) internationaler zu. Die Solisten waren dann Teresa Berganza, Margaret Marshall, Sandrine Piau, Barbara Schlick, Felicity Palmer, Birgit Finnilä, Helen Watts, Rene Jacobs, Kurt Equiluz, Anthony Rolfe Johnson und viele mehr. Sie alle sicher kompetent, aber meine Liebe hängt an den frühen Aufnahmen und ihren Solisten der ersten Stunde, die frisch, unverstellt und vielleicht auch weniger raffiniert musizierten, etwa auch Edwin Tarr und sein fabelhaftes Bläserensemble, dass für die Vor-Monteverdi-Zeit nicht wegzudenken war.

Zu Michel Corboz: Auch Magali Schwartz gehörte zum Sängerensemble/Discogs

Corboz´ Hausensemble war lange das Ensemble Vocal et Instrumental de Lausanne, prachtvoll geschult und hochmotiviert, wie man in der fast swingenden Vespro della beata Vergine Monteverdis mit den eindrucksvollen Doppelchören und den lebendigen Antiphonen hört (wieder die tollen Bläser von Edwin Tarr), die ein wichtiger Bestandteil dieser Aufnahme bei Erato/Warner ist. Monteverdi ist denn auch ein Löwenanteil der Aufnahmen gewidmet. Seine Missa wurde erwähnt, seine wunderbare Sammlung „Selva morale“ und eine Auswahl seiner Madrigale umfassen ein Weltall an Gefühlen, zumal sie auf die hohe Literatur der zeitgenössischen Dichter geschrieben sind. Aber die Krone ist für mich der besagte Orfeo, dem Tappy und seine Kollegen einen Drive und überzeitliche Auslegung zuteilwerden lassen, wie ich das später nie wieder gefunden habe. Und ganz ehrlich finde ich seine folgenden Erato-Einspielungen mit dem English Bach Orchestra und anderen nicht mehr so aufregend, wie auch das Gulbenkian später. Corboz verließ mit dem Ruhm auch seinen Urgrund und wurde allgemeiner.

Zu Michel Corboz: Wally Srampli war einer der frühen Sängerinnen für ihn/ Discogs

Natürlich kommen die Vorläufer Monterverdis zu Wort, bzw. zu Ton. Gabrieli ist ja einer der wichtigsten Polyphoniker vor ihm, und einmal ihn im Dom von Venedig zu erleben, war eines der bewegendsten Erlebnisse meines Lebens. Seine Sacrae Symphoniae und sein Magnificat lässt Corboz in klanglicher Pracht erschallen. Zudem ist es ein kluger Einfall von Warner, mit dem Komponisten Ingegneri, eben dem Vorläufer Monteverdis, zu beginnen (CD 1), mit dem ja fast alles anfing. Und wo sonst haben wir diese prachtvollen Dolce frutti mit ihrer wunderbaren Versammlung galanter canzoni als  sinnenfreudige Dokumente der Gonzaga- und Medici-Höfe, wo Schiffsschlachten im ersten Stock der Paläste stattfanden und die Troubadoure von Liebe sangen. Das schafft Cavallis Ercole amante mit einer etwas diskutablen Besetzung (Felicity Palmer et al.) nicht ganz, aber es spricht für Corboz und die Firma Erato, sich so früh an barocke Gesamtaufnahmen heran zu trauen, die sicher nicht gut verkauft wurden – die Zeit war dafür noch nicht reif, im Gegensatz zu heute. Pioniere sind eben auch Mutige. Auch in Sachen Vivaldi geht es dann weiter (so mit z. B.  Canto in Prato RV 623; In Furore giustissimae Irae RV 626; Dixit Dominus RV 594 & 595; Juravit Dominus dixit Dominus RV 594; O qui Caeli RV 631; Stabat Mater RV 621; Nisi Dominus RV 608; Lauda Jerusalem RV 609) – Sinnenfreude par excellence auch hier.

Zu Michel Corboz: Hugues Cuenod war eine Institution in Alter Musik, unverkennbar und unüberhörbar/Discogs

Der Blick auf die frühe Musik in Frankreich spricht für Michel Corboz´ musikalische Neugier. Die spannende Gesamt-Aufnahme von Charpentiers David et Jonathas mit der bezaubernden Colette Allioz-Lugas, dem frühen Paul Esswood (immer mein Schwarm unter den Countern) und natürlich Philippe Huttenlocher war die erste überhaupt und bringt uns frühes geistliches Drama aus Frankreich näher. Werke von Clement Janequin, Pierre Attaignant, Jacotin, Adrian Le Roy, Pierre Passereau, Josquin Desprez, Claudin de Sermisy, Adrian Petit Colico, Pierre Sandrin, Pierre Phalese, Pierre Certon und anderen ergänzen diesen Ausflug ins nahe Nachbarland der Schweiz.

Auch Johann Sebastian Bach wird gewürdigt, wenngleich etwas später und nicht in der ersten Phase von Corboz´ Erato-Aufnahmen (Matthäus-Passion BWV 243; Johannes-Passion BWV 245; Weihnachts-Oratorium BWV 248; Magnificat BWV 243 (in zwei Einspielungen); Kantaten; Messe h-moll BWV 232 in drei Einspielungen; Missae breves und vieles meh. Namentlich seine kleinen Messen waren damals neu und so bedeutend schwungvoller, als man sie von Richter hätte hören können. Auch hier macht sich ein Lebensgefühl aus der Region jenseits der Alpen, eine cisalpine, franco-italienische Sinnlichkeit hörbar, wie wir sie – die Kinder der Gardasee-Urlaubs-.Generation – bis dahin nicht zu Hause erlebten. Vielleicht ist es dieses Süd-Schweizer Lebensgefühl, zwischen Frankreich und Italien, zwischen dieser gallischen Strenge und südlicher Sinnlichkeit, die sich in diesen Aufnahmen widerspiegelt und so gar nichts von der calvinistischen Zugeknöpftheit der Nordschweiz hat.

Zu Michel Corboz: Philippe Huttenlocher war der Bariton vom Dienst bei vielen Aufnahmen der Erato/Huttenlocher

Das eben liebe ich an Michel Corboz. Diese Lebensfreude, dieses eben nicht sinnenferne Musizieren, wie wir es heute von der Alten Musik zur Genüge und zum Verdruss kennen, und wo uns eingeredet wird, man habe damals so vibratoarm und frugal musiziert. Seine Instrumente und Stimmen sind zwar sicher auch historisch orientiert, aber eben vibratoreicher, sinnlicher, wohlklingender, lebenslustiger und unerhört präsent. Es ist diese cisalpine Freude am Leben, die uns hier begegnet. Und deshalb ist diese erste Box (von zweien), die das Gesamtwerk Corboz´ bei seiner treuen Stammfirma Erato vorstellt, ein so unerhörter Gewinn für Liebhaber früher Musik. Agogisch, prall an Lust, wunderbar gesungen. Was will man mehr? Ich nicht. Danke an Warner und an Michel Corboz. Geerd Heinsen

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Michel Corboz – The Complete Erato Recordings (Renaissance & Baroque Eras)  Mit Werken von: Benedetto Marcello (1686-1739) , Claudio Monteverdi (1567-1643) , Johann Sebastian Bach (1685-1750) , Antonio Vivaldi (1678-1741) , Johann Christian Bach (1735-1782) , Marc-Antoine Charpentier (1643-1704), Francesco Cavalli (1602-1676) , Georg Friedrich Händel (1685-1759) , Henry Purcell (1659-1695) , Alessandro Scarlatti (1660-1725) , Claude Goudimel (1510-1572) , Michel Richard Delalande (1657-1726) und weitere.
Mitwirkende: Colette Alliot-Lugaz, Teresa Berganza, Margaret Marshall, Sandrine Piau, Barbara Schlick, Felicity Palmer, Wally Staempfli, Rachel Yakar, Bernarda Fink, Alicia Nafe, Birgit Finnilä, Helen Watts und weitere. 

Claudio Monteverdi: L’Orfeo (Gesamtaufnahme in zwei Einspielungen); Vespro della Beata Vergine (in zwei Einspielungen); Missa a 4 voci da capella; Selva Morale e Spirituale (Gesamtaufnahme); Madrigale aus den Büchern 2, 4-8 +Marc‘ Antonio Ingegneri: Motette „Tenebrae factae sunt“;

Lamentations de Jeremie +Alessandro Scarlatti: Missa ad usum Cappellae Pontificiae; Motetten „Intellige clamorem meum“, „Salvum fac populum tuum“, „Exaltabo te Domine quoniam“, „Domine vivica me“, „Ad te Domine levavi“, „Exultate Deo adjutori“ +Claude Goudimel: Messe „Le Bien que j’ay“; Or sus tous Humains;

Que Dieu se Montre Seulement; Goudimel Laisse moi desormais; Mon Coeur Rempli; O Seigneur; Du Fons de ma Pensee +Michel Richard Delalande: De Profundis; Regina coeli +Giovanni Gabrieli: Sacrae Symphoniae; Canzon primi toni; Ergo rogabo ad Patrem; Magnificat +Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion BWV 243; Johannes-Passion BWV 245; Weihnachts-Oratorium BWV 248; Magnificat BWV 243 (in zwei Enspielungen); Kantaten BWV 11, 58, 78, 187, 198; Messe h-moll BWV 232 (in drei Einspielungen); Missae breves BWV 233-236; Sancti BWV 237-241; Christe eleison BWV 242; Cembalokonzerte BWV 1052, 1055, 1056 +

Antonio Vivaldi: Glorias RV 588 & 589; Kyrie RV 587; Credo RV 591; Beatus Vir RV 597 & 598; Nulla in Mondo Pax sincera RV 630; Magnificat RV 610; Canto in Prato RV 623; In Furore giustissimae Irae RV 626; Dixit Dominus RV 594 & 595; Juravit Dominus dixit Dominus RV 594; O qui Caeli RV 631; Stabat Mater RV 621; Nisi Dominus RV 608; Lauda Jerusalem RV 609 +Giacomo Carissimi: Historia di Jephte; Historia di Ezechias; Historia di Abraham et Isaac; Motetten „O quam pulchra es“, „O Vulnera doloris“, „Salve, salve Puellule“; Tolle sponsa; Messa a otto voci +Marc-Antoine Charpentier: David et Jonathas (Gesamtaufnahme); Messe pour les trepasses; Motet pour les trepasses; Miserere des Jesuites; Te Deum; Salve Regina; Tenebrae factae sunt; In Nativitatem Domini canticum; Le Jugement dernier; Beatus vir; Extremum Dei Judicium +Bendetto Marcello: 7 Psalmen „L’Estro poetico-armonico“ +Johann Christian Bach: Cembalokonzerte op. 7 Nr. 1-4 +Francesco Cavallí: Ercole amante (Gesamtaufnahme) +

Und zum Schluss natürlich noch einmal Eric Tappy, hier 1965 in „La finta giardinera“mit Teresa Stich-Randall am Théâtre de Champs-Elysées in Paris (aus dem Buch „Tappy l´enchanteur“ von Myriam Meuwly bei Edition Favre

Georg Friedrich Händel: Der Messias (in der Bearbeitung von Wolfgang Amadeus Mozart); Muzio Scevola-Ouvertüre; , Orchesterstücke aus Rodrigo; Orchesterstücke aus Il Pastor fido; Silla-Ouvertüre +Henry Purcell: Dido and Aeneas (Gesamtaufnahme) +La Chanson et la Danse (Paris 1540) – Werke von Clement Janequin, Tilman Susato, Pierre Attaignant, Jacotin, Adrian Le Roy, Pierre Passereau, Josquin Desprez, Claudin de Sermisy, Adrian Petit Colico, Pierre Sandrin, Pierre Phalese, Pierre Certon +La Chanson de Lausanne – Le Crieur public; Le Chant du Paysan; Te Voici Vigneron; Au Petit Jardin +Chansons et Madrigaux de la Renaissance avec leur Double orne par Bassano; Künstler: Colette Alliot-Lugaz, Teresa Berganza, Margaret Marshall, Sandrine Piau, Barbara Schlick, Felicity Palmer, Wally Staempfli, Rachel Yakar, Bernarda Fink, Alicia Nafe, Birgit Finnilä, Helen Watts, Paul Esswood, Rene Jacobs, Kurt Equiluz, Anthony Rolfe Johnson, Philippe Huttenlocher, Gino Quilico, Jose van Dam, Ruud van der Meer, Maria Joao Pires, Ensemble Vocal de Lausanne, Maitrise de l’Opera National de Lyon, Ensemble Instrumental de Lausanne, Gulbenkian Orchestra, Orchestre de l’Opera National de Lyon, Drottningholm Baroque Ensemble, Michel Corboz Label: Erato, ADD/DDD, 1964-1996: Warner Erato 01902962167463 74 CDs ; (erschienen 2022)

Vielseitig, temperamentvoll, subtil

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Ferenc Fricsay brannte für die Musik und verbrannte vielleicht an ihr. Fricsay war, wie Peter Sühring in einer neu erschienenen Monographie über den Dirigenten schreibt „als musikalischer Künstler ein Besessener, dessen Drang zu musizieren, Musik unter seinen Händen entstehen zu lassen, unersättlich war.“ Das berichten auch die ihn kannten und Musiker, die mit ihm arbeiteten. In den penibel vorbereiteten Proben rasch und zielstrebig voranschreitend, unerbittlich in seinen Forderungen –dabei gelegentlich auch ungerecht und unangenehm gegenüber den Musikern. Er war aber alles Andere als ein eitler Musik- oder gar Selbstdarsteller. „Er hatte die Vorstellung, dass man die Musik erschaffe, indem man als Dirigent – wie ein werkbezogener Doppelgänger des Komponisten – die Musiker des Orchesters dazu inspiriert, ihre jeweilige Stimme im Sinne der Partitur und des in ihr vorgestellten Gesamtklangs zu spielen, sofern dieser aus den Noten erkennbar sei“ (Sühring, S. 21, dazu die Besprechung des Buches s. unten)

Fricsay selbst betonte, dem Dirigenten stünden im Konzert „sein Gesichtsausdruck, seine Hände, sein Dirigentenstab, außerdem die mit diesen Mitteln ausgeführten Bewegungen und schließlich die Fähigkeit zum Führen … kurz Suggestion zur Verfügung. Und weiter: „Das Hauptziel ist, dass der Dirigent die in den Proben gegebenen Anweisungen bei den Musikern wieder wachruft und diese noch womöglich mit neuen Gedanken erweitert, ohne dass er damit den musikalischen Ablauf mit unpassenden Bemerkungen stört oder die Leitung des Orchesters hemmt.“ Fricsay war sogar der Auffassung, ein guter Dirigent spiele „das ganze Werk als Pantomime dem Orchester und auch dem Publikum vor, doch ständig etwas früher, als das Orchester es zum Klingen bringt, denn die Verzögerung zwischen der Wahrnehmung und der Ausführung darf nicht außer Acht gelassen werden“ (zit. nach Sühring, S. 21 f.). Wie er selbst dieses Ideal umsetzte, kann man anhand von Probenausschnitten auf einer CD und einer DVD verfolgen. Wie minuziös und detailliert Fricsay probte, verrät der (akustische) Mitschnitt einer Probe von Smetanas Moldau mit dem Symphonieorchester des Süddeutschen Rundfunks. Allerdings zeigt die anschließende Aufführung doch, dass die Musiker eher über ein Kurzzeitgedächtnis verfügen. Denn manches klingt eben nicht ganz so, wie vorher geprobt und wie der Dirigent es eigentlich wollte.

Fricsay mag dem heutigen Musikpublikum nur noch bedingt in Erinnerung sein. Bis zu seinem frühen Tod war er vor allem in Berlin zu erleben. Hier hatte er mit dem RIAS- und späteren Radio-Symphonie-Orchester (heute Deutsches Symphonie-Orchester) seine wohl künstlerisch bedeutendste Heimat gefunden. Die Deutsche Grammophon-Gesellschaft versicherte sich schon 1949 des jungen, talentierten Dirigenten, der nicht nur als Chefdirigent des RSO Berlin sondern auch als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin das Musikleben der Stadt stark prägte. Die meisten Aufnahmen dieser 86-CD-Box entstanden mit dem RSO Berlin. Außerdem ging Fricsay mit den Berliner Philharmonikern, den Wiener Philharmonikern, dem Bayerischen Staatsorchester sowie dem Pariser Lamoureux-Orchester ins Aufnahmestudio.

Wenn der Name Fricsay fällt, dann denken viele gleich an ungarische Musik. Fricsays Repertoire war freilich breit und vielseitig. In der vorliegenden Box sind 60 Komponisten vertreten – von Bartók, Beethoven, Brahms, Mozart bis zu Verdi, Wagner und Weber. Außerdem enthält die Sammlung allein acht Operneinspielungen von Gewicht.

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Mozart war ein, wenn nicht der Schwerpunkt von Fricsays Arbeit. Das belegen allein knapp 50 Aufnahmen mit Symphonien, Klavierkonzerten, Opern, geistlichen Werken und unterschiedlich besetzter Orchestermusik. Bleibende Highlights sind dabei die Klavierkonzerte Nr. 19, 20 und 27 mit Clara Haskil und Symphonien mit dem RIAS-Orchester und den Wiener Symphonikern, wobei die Wiener Aufnahme gelungener erscheint. Neben Mozart war Bartók der wichtigste Komponist in Fricsays Repertoire, hier hat er exemplarische Einspielungen hinterlassen – man denke nur an die auch heute noch faszinierende Gesamtaufnahme der Klavierkonzerte und der Klavierrhapsodie mit seinem Landsmann Géza Anda, die durch ihre Luzidität sowie ein faszinierendes, fabelhaftes Zusammenspiel aller Beteiligten imponiert. Weitere Bartók-Höhepunkte sind das zweite Violinkonzert mit Tibor Varga, das Klavierkonzert Nr. 3 mit Monique Haas und der Operneinakter Herzog Blaubarts Burg mit Dietrich Fischer-Dieskau und Hertha Töpper. Auch die Musik des anderen großen ungarischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, Zoltán Kodály, ist bei Fricsay in besten Händen, wie anhand der Maroszeker Tänze, der Tänze aus Galánta, der Háry-János-Suite oder des Psalmus Hungaricus erfahrbar ist.

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Beim klassischen und romantischen Repertoire ging es Fricsay mehr um die Vielfalt denn um vermeintliche Vollständigkeit. Mit den Berliner Philharmonikern entstand ein fast kompletter Zyklus der BeethovenSymphonien (mit Ausnahme der Nr. 2, 4, 6): stellenweise etwas konventionell in Ton und Gangart, aber immer deutlich, sehr artikuliert, spannend, nie falsch heroisch, manchmal unerwartet drängend im Tempo. Sehr ausgewogen und zugleich voller Überraschungen spielt Annie Fischer das Dritte Klavierkonzert. Zu bewundern ist, wie Géza Anda, Wolfgang Schneiderhan und Pierre Fournier das Tripelkonzert musizieren, wie hier die Solisten miteinander und mit dem Orchester konzertieren. Symphonien von Haydn werden animiert, spannungsreich, nie behäbig oder gar zopfig musiziert. Brahms ist u. a. mit dem Zweiten Klavierkonzert (G. Anda), dem Konzert für Violine und Violoncello (W. Schneiderhan, Janos Starker) in beseelten und leidenschaftlichen Interpretationen vertreten.

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Die wichtigsten Opern-Dokumente sind die Aufnahmen von Mozarts Entführung aus dem Serail, Die Zauberflöte, Don Giovanni, Le nozze di Figaro mit den bedeutenden und bewährten Sängerinnen und Sängern der Zeit (wie Ernst Haefliger, Maria Stader, Josef Greindl, Dietrich Fischer-Dieskau, Sena Jurinac, Irmgard Seefried), dem fabelhaften RIAS-Kammerchor und dem RSO Berlin. Mozarts Idomeneo entstand 1961 mit Waldemar Kmennt, Ernst Haefliger, Elisabeth Grümmer, Pilar Lorengar u.a., dem Chor der Wiener Staatsoper und den Wiener Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen. Insbesondere der Berliner Don Giovanni mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelrolle, Karl Christian Kohn als Leporello, Sena Jurinac als Donna Anna und Maria Stader als Donna Elvira ist nach wie vor eine mitreißende Referenzaufnahme. 1956 entstand Glucks Orpheus und Eurydike mit Dietrich Fischer-Dieskau und Maria Stader als Protagonisten, 1952 wurde in Berlin Wagners Der fliegende Holländer mit Josef Metternich, Josef Greindl, Annelies Kupper, Wolfgang Windgassen u. a. eingespielt. Beethovens Fidelio nahm Fricsay 1957 in München mit Leonie Rysanek, Ernst Haefliger, Dietrich Fischer-Dieskau u. a sowie dem Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper auf. Bei den Vokal– bzw. Chorwerken reicht die Spannweite von Mozarts Requiem und Großer Messe c-Moll, Haydns Jahreszeiten über Rossinis Stabat Mater und Verdis Messa da Requiem bis zu Kodálys Psalmus Hungaricus und Strawinskys Oratorium Oedipus Rex.

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Manche Werke sind in zwei Einspielungen vertreten – mit dem gleichen oder verschiedenen Orchester/n. Die Wahl für die eine oder andere Aufnahme ist weitestgehend subjektiv. Auffällig ist indes, dass ein Fortschritt in der Aufnahmetechnik (wie der Wechsel von Mono zu Stereo) kein qualitativer Sprung sein muss. Bedeutender scheint mir, dass Fricsay in seinen frühen Interpretationen vielfach raschere Tempi wählte, mit mehr Temperament und Leidenschaft musizieren ließ. Beispielhaft: Die Aufnahme der Neunten Symphonie von Dvořák mit den Berliner Philharmonikern imponiert auch heute noch, doch ungleich drängender, packender, feuriger und auch (in Mono!) klanglich direkter ist die Einspielung mit dem RIAS-Symphonieorchester. Auch Tschaikowskys Sechste Symphonie wurde zweimal aufgenommen. Die frühere (Mono-) Einspielung mit den Berliner Philharmonikern ist interessanter, zügiger in den Tempi, spannender als die spätere (stereophone) mit dem RIAS-Orchester, die mir konventioneller und spannungsärmer erscheint. Verdis Messa da Requiem (großenteils ähnlich besetzt) ist in der Aufnahme von 1953 drängender, eindringlicher, nicht über-dramatisch, klanglich gelungener als die Produktion von 1960, die stellenweise zu getragen ist und dadurch an Spannung verliert, aber andererseits auch sehr feine pianissimi bietet.

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Die Edition erinnert erfreulicherweise auch an seinerzeit bedeutende Interpretinnen und ihre männlichen Kollegen. An erster Stelle ist die ziemlich in Vergessenheit geratene schweizerische Pianistin Margrit Weber (1924-2001) zu nennen, deren Karriere 1955 begann, als Fricsay sie in Winterthur kennenlernte und gleich von ihrem Klavierspiel beeindruckt war. Er lud sie zu Konzerten ein und nahm mit ihr eine Reihe konzertanter Kompositionen auf: de Fallas „Nächte in spanischen Gärten“, Rachmaninows Paganini-Rhapsodie, seltener gespielte Werke wie die Concertinos von Francaix und Honegger, die reizvollen Bagatellen von Alexander Tscherepnin, nicht zu vergessen die Strauss’sche Burleske und die spröden Mouvements von Strawinsky. Die Geigerinnen Johanna Martzy und Erica Morini sind mit den Konzerten von Dvorák bzw. Bruch und Glasunow zu erleben. Sie spielen diese Werke virtuos, schlank, gefühlvoll, aber nicht sentimental und werden vom RSO subtil begleitet. Mit Wolfgang Schneiderhan erlebt man Mendelssohns Violinkonzert e-Moll ebenfalls schlank, frei von Schnörkeln, ohne jedes Auftrumpfen, immer gut eingebettet in den Orchesterklang.

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Von den Komponisten des 20. Jahrhunderts lagen Fricsay – wenn man das an seinen Aufnahmen misst – besonders Boris Blacher, Rolf Liebermann, Gottfried von Einem, Werner Egk, aber auch Hans Werner Henze und die schon als Klassiker zählenden Igor Strawinsky, Paul Hindemith, Karl Amadeus Hartmann – außerdem Frank Martin, dessen apart besetzte Petite symphonie concertante schon dank der vortrefflichen Solistinnen Irmgard Helmis (Cembalo), Gerty Herzog (Klavier), Sylvia Kind (Harfe) eine der wertvollsten und schönen Einspielungen mit dem RIAS-Symphonie-Orchester ist.

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Fricsay beherrscht als gebürtiger Ungar auch die „leichte“ Musik, war mit dem Idiom Österreich-Ungarns bestens vertraut, konnte den Orchestern, mit denen er arbeitete, sogar eine gewisse Walzerseligkeit abgewinnen. Mit Peter Anders, Anny Schlemm und weiteren Solisten, dem RIAS-Orchester und RIAS-Kammerchor stellte er eine respektable Fledermaus auf die Beine. Lange vor anderen Dirigenten interpretierte er die Symphonien von Tschaikowsky schlank, unsentimental, ohne Pathos, sehr temperamentvoll. Er setzte sich auch für den russischen Komponisten Reinhold Glière ein, dessen Dritte Symphonie „Ilja Murometz“, eher ein grandioses Orchesterpoem denn eine herkömmliche Symphonie ist. Nicht zuletzt nahm er sich auch der „kleineren“ Orchesterwerke der Klassik und Romantik an, widmete diesen die gleiche Sorgfalt in der Aufführung und Inszenierung wie den „großen“ Werken des Repertoires.

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Der Autor unseres Artikels zu Ferenc Fricsay, Helge Grünewald: Jahrgang 1947, studierte in Berlin Politikwissenschaft, Soziologie und Musikwissenschaft. Seit 1973 als Musikjournalist tätig. Arbeit für verschiedene Rundfunkanstalten (SFB, DeutschlandRadio), Orchester (Radio-Symphonie-Orchester Berlin, Berliner Philharmoniker), die Berliner Festspiele, Zeitschriften (FONO FORUM, Klassik heute), Zeitungen sowie Schallplattenfirmen. Von 1989 bis 2006 Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Philharmoniker, danach bis 2016 Dramaturg mit Zuständigkeit für Ausstellungen, das Archiv des Orchesters, die Herausgabe historischer Aufnahmen sowie die von ihm initiierte Filmreihe »Musik bewegt Bilder«. Seit 2016 ist er Präsident der Wilhelm-Furtwängler-Gesellschaft, seit 2011 Juror beim PdSK/ Foto Ines Grabner

Zur Edition gibt es ein stattliches, informatives Begleitbuch mit vielen Abbildungen. Ausgesprochen ärgerlich ist allerdings die Gewohnheit, die CDs bei solchen „Complete“-Editionen in den miniaturisierten Hüllen der Originalausgaben zu präsentieren. Doch leider finden sich zu oft gar nicht Werke in der Hülle, die auf dem Cover stehen. So darf die Hörerschaft dann mühsam anhand des Booklets mit seinem Verzeichnis aller CDs die Titel suchen, die sich zwar auf dem Cover, aber nicht auf der enthaltenen CD finden. Das trübt den Genuss!

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.Eine ideale Ergänzung, informative und anregende Lektüre zu der umfangreichen Edition der DG bietet das fast zeitgleich erschienene Buch von Peter Sühring: „Ferenc Fricsay – der Dirigent als Musiker“ (edition text & kritik im Richard Boorberg Verlag, München 2023). Der Autor versucht in seiner Monographie, „eine neue Sicht auf Leben und Wirken des Dirigenten zu geben“, vor allem „auf Grundlage einer Erschließung seines Nachlasses im Archiv der Akademie der Künste in Berlin“. Der 200 Seiten starke Band ist (zum Glück) keine der Musikerbiographien, wie man sie kennt.

Sühring verfolgt weniger die persönliche Biographie des Dirigenten als dessen künstlerische Entwicklung: von der Kindheit und Jugend und der musikalischen Ausbildung über die Arbeit als Kapellmeister von Militärorchestern (die auch Unterhaltungsmusik und anspruchsvolle symphonische Werke aufführten), als Dirigent des Philharmonischen Orchesters in Szeged (auch Opern) über die Tätigkeit am Budapester Opernhaus bis zum internationalen Debüt in Salzburg (1947) und der Entscheidung für Berlin als künstlerischer Mittelpunkt. Hier dirigierte Fricsay im Herbst 1948 zunächst das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester, reüssierte dann rasch an der Städtischen Oper (später Deutscher Oper Berlin). Erst danach begann seine Arbeit mit dem RIAS-Orchester.

Das Verdienst von Peter Sühring ist es, auch die Komplikationen bei Fricsays künstlerischer Arbeit in Berlin detailliert aufzuzeigen: die Schwierigkeiten, die das RIAS-Orchester hatte, seine Auflösung und Neugründung als Radio-Symphonie-Orchester Berlin, die Probleme, die Fricsay als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper und auch an der Münchner Oper hatte, weil er sich weigerte, faule Kompromisse einzugehen und seine hochgesteckten künstlerischen Ziele und Forderungen aufzugeben. Das Buch ist zugleich eine Geschichte des Musiklebens in Nachkriegsdeutschland, besonders in Berlin.

Zum Glück ist die vorliegende Monographie keine „Hagiographie“ Ferenc Fricsays. So bleibt sein persönliches Schicksal, seine Krankheitsgeschichte nicht ausgespart. Auf der einen Seite standen Verausgabung, kräftezehrende Arbeit, auf der anderen Enttäuschung über das Nichterreichen hochgesteckter Ziele. Fricsays Schwachstelle waren sein Magen und Darm, er litt an psychisch bedingten somatischen Störungen und Krankheiten, die letztendlich zu seinem frühen Tod führten. Nach Jahren, in denen die Krankheit immer wieder zuschlug, und mehreren Operationen mit zum Teil folgenden Komplikationen starb Ferenc Fricsay am 20. Februar 1963 im Alter von 48 Jahren in Basel. Die Erinnerung an ihn kommt 60 Jahre nach seinem Tod genau zur richtigen Zeit. Helge Grünewald

Vatroslav Lisinskis „Porin“

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Nationalopern: Wir bei operalounge.de sind ja stets bemüht, mit unseren Nachbarn in Ost wie West im kulturellen Austausch zu sein und machen deshalb auf Vergessene Opern aufmerksam, die bei ihnen so etwas wie ein Nationales Erbe sind. Das haben wir mit Opern von Ivan Zajc (mein großer Favorit) oder Viktor Palma gemacht, mit dem Yiddish Theatre in New York, mit Opern von Gomes ebenso wie Tschukadian, Samara, Carrer oder Erkel, Nowowiejski oder Balfe. Der Name Vatroslav Lisinski ist sicher nicht jedem im Westen bekannt, aber Fans der großen kroatischen Sopranistin Sena Jurinac werden sich vielleicht daran erinnern, dass sie – jung und unbekannt, aber damals schon eine Beautée – 1944 im kroatischen Spielfilm Lisinski über den Komponisten mitwirkte und mit ihren aller ersten Tondokumenten zu erleben ist. Inzwischen gibt es den alten Film bestens restauriert bei youtube zu sehen, ein anrührendes Dokument.

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Vatroslav Llisinski/OBA

Mit der Uraufführung der Oper Porin von Vatroslav Lisinski, die als einer der Höhepunkte der kroatischen nationalen Wiedergeburt gilt, im Zagreber Stanković-Theater 1897, waren die Kroaten nach den Deutschen, Polen, Balten und Russen eine weitere Nation in Europa, die eine Nationaloper erhielt.

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Die Geburtsstunde der ersten zeitgenössischen Oper in kroatischer Sprache, und noch vor Ivan Zajc,  ereignete sich in einer Stadt , die damals etwa fünfzehntausend Einwohner hatte, und das Theater des Unternehmers Stanković am Ende der damaligen Gospodska-Straße in Gornje Grad bot 750 Zuschauern Platz.

Am 200. Geburtstag von Vatroslav Lisinski (getauft als Ignaz Fuchs 8. Juli 1819 in Zagreb; † 31. Mai 1854 ebenda) fand am 28. März 2019  eine konzertante Aufführung der im Konzertsaal Vatroslav Lisinski seine Oper Porin in Gänze am Zagreber Nationaltheater statt, nachdem es nur wenige Tondokumente vorher gab (1944, 1958 und 1980, davon nachstehend mehr). Das beschwingte Thema der Ouvertüre ist  dank der Erkennungsmusik des gleichnamigen kroatischen Musikpreises in Kroatien sehr populär, doch die Oper bietet viel mehr, vielleicht das Beste, was Lisinski in seinem kurzen Leben zu schreiben vermochte. Die Oper, die von einem Ereignis aus der frühen Geschichte der Kroaten in Dalmatien inspiriert ist, als sie gegen die fränkische Besatzung rebellierten, ist geprägt von beeindruckenden Arien, Romanzen, Chören und einer stilistischen Dualität, die die Konfliktparteien stark hervorhebt. Der größte Teil entstand während der Ausbildung des Komponisten in Prag; Lisinski vollendete den Rest nach seiner Rückkehr nach Zagreb, fünf Jahre nach Liebe und Bosheit, seiner ersten Oper, im Jahr 1851. Allerdings erlebte er die Premiere nicht. Seine romantische Oper in fünf Akten wurde erst 43 Jahre nach seinem Tod uraufgeführt.

Lisinskis „Porin“: Sena Jurinac als Gräfin Sidonia Erdoedy/Rubio-Film

Vatroslav Lisinski gilt als als Mitbegründer der Illyrischen Bewegung, der Rückbesinnung auf kroatisches Kulturerbe. Sie entstand als Antwort auf Repressionen seitens des bedrängenden Ungarn. Angeregt von der Illyrischen (i. e. nationalistischen) Bewegung kroatisierte er seinen Namen. Er studierte in Zagreb (Agram) Philosophie (1837–40) und Jus (1840–42) und nahm privaten Musikunterricht (bis 1837 bei Juraj Sojka und bis 1847 bei Georg [Juraj] Karl Wisner von Morgenstern). Er übersiedelte nach Prag, wo er aber für das Konservatorium bereits zu alt war und 1847–50 weiterhin privat studierte (bei K. Fr. Pitsch und Johann Friedrich Kittl). 1842–47 hatte L. einen unbezahlten Posten als Beamter, 1850–52 als unbezahlter Organisator, Dirigent und Mitglied eines Komitees, das die neuen Statuten des Zagreber Musikvereins vorbereitete. Da er von Klavierunterricht und gelegentlichen Zuwendungen nicht leben konnte, gab er das Komponieren auf und wurde 1852 fester Beamter. Seine Werke im Stil der Frühromantik erinnern an tschechische und kroatische Volksmusik.  (Österreichisches Musiklexikon)

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Das Libretto der Oper Porin wurde von einem Ereignis aus der frühen Geschichte der Kroaten in Dalmatien inspiriert, das von Konstantin Porphyrogenet (De administrando imperio) im 10. Jahrhundert aufgezeichnet wurde, als unter der Führung von Kiez Porinus (in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts) die Kroaten sich gegen die grausame fränkische Regierung und ihre Führung auflehnten. Der Anführer/Stammesfürst Kocelin befreite sich von diesem Joch und ließ sich taufen.

Linsinskis „Porin“/ Szene aus der Aufführung in Ossijek/OBA

Die Vorlage wurde von Josip Car nach der Idee von Albert Ognjan Štriga verfasst und anschließend von Dimitrija Demeter, der stets als Autor des Librettos genannt wird, überarbeitet. Die Instrumentierung wurde von J. K. Wisner Morgenstern, Lisinskis Musiklehrer, angepasst.

Dimitrija Demeter  modifizierte die historischen Daten und fügte – wie üblich – der Geschichte von Porfirogenet eine Liebesgeschichte hinzu. Den vorliegenden Unterlagen zufolge schickte Demeter das Libretto mehrfach an Lisinski nach Prag, so dass er zum Zeitpunkt der Komposition des ersten Teils keinen Einblick in die gesamte Handlung hatte, und hier sehen einige Theoretiker die Ursachen dafür dramaturgische Mängel dieser Oper.

Wie ihre Vorgängerin ist also auch Porin, und damit die vorhergehende kroatische Oper, das Produkt eines jüdischen Komponisten und eines griechischen Dichters, also eigentlich gar nicht kroatisch, zumindest nicht ethnisch. In Anbetracht der Tatsache, dass das Werk eine Hommage an Meyerbeer sein soll, ist es schwer zu sagen, ob das fertige Produkt nicht tatsächlich eher ein Beispiel für jüdische als für kroatische Kunst ist.

Porin sollte das kroatische Äquivalent zu einer großen Meyerbeer-Oper sein, hatte aber nie wirklich eine Chance, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, da es erst Jahrzehnte nach dem Tod des Komponisten uraufgeführt wurde und sein Stil zu diesem Zeitpunkt bereits veraltet war.

Lisinskis „Porin“: Aufführung der Oper Porin , HNK Zagreb, 1949 Abteilung für Geschichte des kroatischen Theaters HAZU, Theatersammlung, Porin 1949

Dazu die Musikwisenschaftlerin  Vjera Katalinic: „In Bezug auf die Oper Liebe und Bosheit zeigt Porin den Fortschritt des Komponisten bei der Beherrschung musikalischer und technischer Fähigkeiten, bei der dramaturgischen Entwicklung der Charaktere und des Chors sowie bei der Wahrnehmung des Nationalen. Dennoch ist der in einem solchen Werk zu erwartende unvermeidliche Widerstand von Kroaten und Franken durch die Abschwächung der negativen Eigenschaften des Feindes erheblich geschwächt: Der Hauptschurke ist hier zwar Kocelin, aber am Ende vergibt er auch seiner Schwester und bereut; Irmengarda schenkt Zorka großzügig ihr Leben, und ihr Geliebter Soma opfert sich. Und selbst das Volk freut sich nicht über den Sieg über die Franken, sondern deren Niederlage tut ihm leid. Verwirklicht wird dies nach dem Prinzip des Stildualismus zwischen dem virtuosen, konzertanten Schwung in den französisch orientierten Teilen (besonders in den anspruchsvollen Partien von Irmengarde). ) einerseits und andererseits durch die naive Einfachheit der Melodie und Phrasierung, die gelegentlich dem Folklore-Idiom nahesteht. Dies alles ergänzt durch eine raffinierte Instrumentierung, wobei Sveslavs Arie im Kerker „Strogi“/„Vater im Himmel“ bemerkenswert ist., auch der lyrisch transparente und archaische Refrain von „Hrvatica“ „Alles ist weiß“ mit Reminiszenzen an die Modalität und auch  Porins lyrische Romanze „Zorko moja“.

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Lisinskis „Porin“: Josip Gostic sang 1958 die Titelrolle und ist zugleich auf der einzigen Aufnahme der Oper vertreten/Wikipedia

Die Handlung ist der frühen kroatischen Nationalgeschichte entnommen. Das fränkisch besetzte Kroatien, irgendwann zwischen 823 und 830 n. Chr. Die Story dreht sich um Kocelin (Bariton), den fränkischen Statthalter von Kroatien, und seine ältere Schwester Irmengarda (Sopran), die in unerwiderter Liebe zu dem kroatischen Adligen Porin (Tenor) lebt, der wiederum in die kroatische Prinzessin Zorka (Sopran) verliebt ist, die Tochter des kürzlich verstorbenen Fürsten Ljudevit Posavski und Enkelin des alten Sveslav (Bass). Als Kocelin versucht, die kroatischen Adligen zu täuschen, indem er sie zu einem Fest einlädt, bei dem er sie alle ermorden will, um sich all ihre Ländereien anzueignen, warnt Irmengarda ihren geliebten Porin vor dem Komplott, und keiner der Adligen erscheint zu dem Fest. Sveslav und Zorka werden verhaftet und eingekerkert, doch Irmengarda befreit Zorka. Am Ende versucht Irmengarda, ihren im Sterben liegenden Bruder zu trösten, der sie verflucht, weil sie das Komplott gegen die Kroaten aufgedeckt hat. Porin besiegt die Franken, wird mit Zorka wieder vereint, und Irmengarda begeht aus Scham Selbstmord.

.Für eine Oper, die nach dieser Tenorrolle benannt ist, ist dies eigentlich eher eine Sopranoper. Irmengarda ist offensichtlich die Hauptfigur, oder zumindest diejenige, die die meiste Sympathie des Komponisten genießt und mit bemerkenswerter Musik versehen ist. Porin bekommt zwar zwei eindrucksvolle Arien im zweiten und dritten Akt, ist aber ansonsten dramaturgisch eine eher unbedeutende Figur. Seine Ablehnung von Irmengarda kann nur darauf zurückgeführt werden, dass er gegen die Franken  sein muss, da ihre unerwiderte Liebe das Motiv ist, was das Herz des Zuhörers mehr als alles andere in der Oper rührt.

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Seine beste Musik in der Partitur schreibt Lisinski auch für das Geschwisterduo, das die Bösewichte des Stücks sein sollen, während die heldenhaften Kroaten meist eher langweilig bleiben. Vielleicht wird der Titel dadurch gerechtfertigt, dass er von der interessanteren Figur der Irmengarda geliebt wird. Zorka ist vergleichsweise eher eine Projektion Kroatiens , eine theatralische und patriotische Idealisierung dar. Ihr Großvater ist da menschlicher, vor allem im vierten Akt mit seinem Gebet und dann in der Interaktion mit Irmengarda, bevor sie freigelassen werden. Die Idealisierung von Zorka kann das Finale des dritten Aktes (in dem Porin über ihre Gefangenschaft trauert) bestenfalls rührend erscheinen lassen.

Lisinskis „Porin“: P. Grba als Kocelin 1958/Barbieri

Lisinski versucht sicherlich, die Szenerie als große Oper darzustellen, mit Balletten, großen Chorszenen, symphonischen Schlachten, während er gleichzeitig die intime Zeichnung von mindestens vier der Figuren beibehält. . . (Phil).

Leider wurde Porin nicht zu Lebzeiten des Komponisten uraufgeführt, sondern fast ein halbes Jahrhundert später. Lisinski starb 1854. Als Ivan Zajc 1870 die Kroatische Oper gründete, nahm er sie nicht in das Repertoire auf, verfügte aber über zwei zukünftige Welt-Operngrößen – den Tenor Ivan Denegri, d. h. Giovanni Battista De Negri und Milka Trnina… Darüber kann man nur spekulieren.

Und so heißt es auf dem Cover des Klavierauszugs: „Porin ertönte  zum ersten Mal im Kroatischen Landestheater für den Intendanten Stj. pl. Miletić am 2. Oktober 1897, und Herr Vulaković sang Kocelina; Frau Brückl Irmengard; Porina Herr Cammarot; ein großes Lob an Herrn Aschenbrenner; Frau Zorka Matoušek; Clotilda Fräulein Glivarec und Klodviga Herr Zvonimir Freudenreich. Die Oper wurde vom Operndirektor, Herrn Nikola pl., geleitet. Faller.“  Der Erfolg war sensationell. Klaić schrieb in einer sehr ausführlichen Rezension der Uraufführung in Vijevac am 16. August 1897: „Einige nannten die Oper klassisch; wenn es diesen Namen verdienen würde, dann wegen der völlig korrekten und schönen Harmonisierung, des schönen und regelmäßigen Flusses einzelner Gesangs- und Orchesterstimmen, wegen der korrekten kontrapunktischen Verarbeitung“, und fügte hinzu: „Lisinskis Instrumentierung ist vollkommen richtig, und auch wenn es nicht so großartig ist, wie das moderne Orchester es kennt, so ist es doch immer charakteristisch, ansehnlich, schön – und niemals leer oder eintönig.“  .

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Lisinskis „Porin: Joseip Krizaj/Barbieri

Personen/Partien in der Oper: Die Figur des Porin wurde für den Sänger Franjo Stazić geschrieben, der mit seinen späteren Erfolgen, besonders in den Opern von Meyerbeer, eindrucksvoll seine Eignung dafür demonstrierte. Allerdings war die Rolle eigentlich für einen dramatischen Tenor gedacht, seine beiden Arien sind jedoch von lyrischem Charakter. In Porin verwendete Lisinski eine wichtige Neuheit – das Leitmotiv von Porin, das am deutlichsten in der beliebtesten Passage der Oper, der vielleicht berühmtesten Arie im kroatischen Opernrepertoire, zum Ausdruck kommt – dem Dumki Porins aus dem dritten Akt „Zorko moja , Zorko mila“. Mit dezenter Chorbegleitung und Rezitativ, in dem der junge Held seinem Schmerz Luft macht, ist die Arie in einer harmonischen Verflechtung von Liebesgefühlen zu seiner Geliebten und dem Bewusstsein seiner Kampfmission komponiert. Hier reift Porin als heroischer Charakter heran, und Lisinski bestätigt sich als sehr talentierter Komponist. Selbst der frühe Verdi oder Bellini hätten sich dieser Romanze nicht geschäm! Und während Lisinski mit seiner Ljubica in Ljubava i zlobi größtenteils die Tradition der für den lyrischen Sopran komponierten Figuren fortsetzt, ist es mit Zorka in Porin ist grundlegend anders. Zorka ist die Figur einer jungen Kriegerin, eines Mädchens, das die Freiheit seines eigenen Volkes liebt, aber vor allem dafür kämpft, und den Tod ihres Vaters Ljudevit Posavski rächen will. Ihre Klage zeichnet sich durch melodische Schönheit und Ausdruckskraft aus, sie enthält Trauer und Sehnsucht nach verlorener Freiheit. Die Sehnsucht nach Freiheit wird Zorka in einer brillanten, im Rhythmus der Polonaise geschriebenen, Arie zum Ausdruck bringen, die ihre Figur am besten in das slawische Umfeld einordnet, das dem fränkischen (französischen) in der Oper gegenübergestellt werden sollte. Zorka wird zur treibenden Hauptfigur, sie entwickelt sich logisch, sie ist mutig, unternehmungslustig, bereit, für ihre Liebe zu sterben, am Ende aber auch, sich mit ihrer Rivalin zu verbrüdern. Und es war die Entwicklung ihrer Figur, in der Demeter und Lisinski ihre beste dramatische Leistung zeigten. Der frühe Verdi hat in der europäischen Opernliteratur normalerweise eine solche weibliche Figur, aber er vertraut sie einer dramatischen Sopranistin mit Koloratur an, und die Sublimierung des Charakters der Kriegerin wird Wagner in ihrer Brünnhilde geben, einer selbstbewussten und starken dramatischen Sopranistin. Zorka ist sicherlich die vollständigste und logischste Figur.

Zu Lisinskis „Poirin“/Branka Stilinović/ Foto Opernhaus Zagreb

Irmengard ist schwer zu bestimmen. In ihrer Liebe zu Porin gibt es kein Verlangen nach Besitz, in ihrer Liebe zu ihrem Bruder nimmt sie die ganze Schuld auf sich, in ihrer Beziehung zu ihrem Rivalen gibt es keinen Hass, aber ihre Versuchung ist eine weitere Bestätigung ihrer Liebe zu Porin, also ist alles nur und ausschließlich ein edler Drang. Schließlich ist ihr Tod selbst ein Opfer. Ihre Arie der Erwartungen ist voller Vornehmheit und Wärme, aufrichtiger Liebe zu Porin, sie ist harmonisch reich und enthält schwere, aber wirkungsvolle Koloraturen, die ihrem Sopran eine besondere Farbe verleihen. Auf Irmengardes Arie folgt unmittelbar ihr Duett mit Porin. Beide Charaktere zeigen ihren Adel im größtmöglichen Ausmaß – Porins tiefe Dankbarkeit dafür, dass das fränkische Mädchen ihm das Leben gerettet hat, ohne zu ahnen, dass dieses Gefühl in ihr Liebe erweckte. Obwohl sie gegensätzlichen Seiten angehören, entsteht aus ihrer melodischen  Inspiration und in der Tradition der besten frühromantischen Opernabschnitte zu keinem Zeitpunkt eine Feindschaft. Das Duett zwischen Irmengard und Kocelin, dem Bruder und der Schwester, die sein Vertrauen verraten haben, ist eine der gelungensten Passagen in Porin. Die Schönheit der Melodie verschmilzt wunderbar mit der Orchesterbegleitung mit besonders prominenten Motiven der Violinen und beide drücken die Spannung in den Beziehungen der Charaktere aus.

Mit der Darstellung der Franken steht Lisinski ganz im Sinne der europäischen, insbesondere italienischen, romantischen Oper. Obwohl wir in der Opernliteratur nicht oft eine Heldenfigur finden, die ausschließlich aus edlen Motiven gewebt ist, wie Irmengard, ist ihre musikalische Komposition Bellini, Donizetti oder Verdi am nächsten. Ihre in ihrer Unwirklichkeit schöne Erwartungsarie sowie ein ganz besonderes Duett mit Porin haben mit ihrer Mischung aus Dankbarkeit und Liebe die Reinheit italienischer frühromantischer Heldinnen. Interessant ist die Figur von Irmengards Bruder Kocelin. Durch die Entwicklung der Handlung – durch die Niederlage auf dem Schlachtfeld und die Verwundung in der ersten Szene des vierten Akts, der auch Kocelins dreiteilige Arie enthält, die an italienische Vorbilder erinnert, verwandelt er sich am Ende in einen umsichtigen Bruder der Oper. Ein mutiger und furchtloser Kämpfer vergibt seiner Schwester und stirbt zusammen mit ihr im Akt der Vergebung. Der Vater der Hauptfigur ist fast immer barsch, würdevoll und meist edel. Und er singt die vielleicht schönsten Arien.

Lisinskis „Porin“: Giuorgio Surjan sang in der Aufführung und viel auch in Deutschl
land, so an der Deutschen Oper Berlin(Surjan

Die in allen Analysen anerkannte hervorragende Passage aus der Oper Porin ist die Arie von Sveslav, der hier sogar der Großvater der Hauptheldin ist. Das Cellosolo bringt eine wehmütige Melodie, die die Stimmung von Sveslav und seiner Enkelin Zorka im Kerker zeigt. Sein von Bratsche und Cello begleitetes Gebet trifft den Kern seiner Persönlichkeit und zeigt Lisinski als Spitzenmeister, als Maler der Atmosphäre und des psychologischen Zustands einer Figur. Und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass vor dreißig Jahren ein erfahrener italienischer Musikkenner, als er diese Arie mit unserem Giorgio Surjan an der Scala vorbereitete, von ihrer Schönheit begeistert war. „Die musikalische Atmosphäre, die sich aus diesen Beschreibungen ergibt“, schreibt der Musikwissenschaftler Županović, „ähnelt in ihren Merkmalen der Arie von Ivan Susanjin, die er im vierten Akt von Glinkas Oper Leben für den Zaren singt “.

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In Porin gibt es zwei Trios – das erste aus dem dritten Akt zwischen Irmengarde, Klodvig und Kocelin und das berühmtere aus dem vierten Akt zwischen Zorka, Irmengard und Sveslav. Während Duette in der Opernliteratur sehr verbreitet sind und die Kombinationen sehr vielfältig sind, sind Terzette deutlich seltener, aber die Stimmenkombinationen darin sind sehr interessant. Nach Sopran, Tenor und Bariton im dritten Akt verfügt Lisinski im vierten Akt über zwei Soprane und einen Bass. Irmengard kommt, um Zorkas Liebe zu Porin auf die Probe zu stellen, und als sie von ihrer Stärke und Standhaftigkeit überzeugt ist, lässt sie das Mädchen und ihren Vater frei. Etwas heterogen im Inhalt, mit einem etwas wenig überzeugenden Anfang, gewinnt das Trio im zweiten Teil mit der Leitmelodie von Zorka, aufgebaut auf dem Motiv von Porin, die Kraft des spontanen Ausdrucks und bestimmt dramaturgisch die Handlung: Zorka gesellt sich zu Porin. Irmengard ist ihrer Welt fremd.

Polyphone Formen sind weder in der slawischen Musik noch in der europäischen Opernmusik im Allgemeinen besonders verbreitet. Quartette sind recht häufig, Quintette, Sextette und Septette kommen jedoch nur gelegentlich vor. Umso überraschender ist es, dass ein Komponist ohne Opernerfahrung bereits in seiner ersten Oper ein Quintett komponiert. In Porin gibt es kein Quartett, kein Quintett, kein Sextett, dafür aber ein Septett, mit dem die Oper endet. Der Chor nimmt daran teil, die Solisten stehen jedoch im Vordergrund. Gegen ein solches Ende der Heldenoper gab es Einwände, die im ideologischen Sinne akzeptiert werden konnten, so dass Mladen Bašić in seiner Adaption von 1954 die Oper mit „Davorija“ beendete, einem absoluten Rausschmeißer. Aber musikalisch gehört dieses Septett zu Lisinskis schönsten Schaffensmomenten. Es zeigt ihn als Meister einer recht komplexen Gesangsform – denn Septette sind in der Oper sehr selten – was wiederum seine Subtilität beim Zeichnen bestätigt die psychologischen Zustände der Charaktere, eine „ideale Synthese aus technischem Ausdruck und unmittelbarer Inspiration“.

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Niksa Bareza dirigierte „Porin“ mehrfach/Nationaltheater Zagreb

Nicht vergessen soll man den Chor der kroatischen Frauen, der sich mit der größten Opernkomponistin der Welt messen konnte, insbesondere aus der Romantik, also praktisch aus dem 19. Jahrhundert. Allein die Idee, dass der Gesang des versklavten Volkes nur durch Frauenstimmen zum Ausdruck gebracht wird, verdient Aufmerksamkeit. Lisinski orientierte sich dieses Mal an den Versen von Demeter und bereicherte sie mit einer warmen Melodie, der Frucht der originellsten Inspiration mit einer raffinierten Atmosphäre typisch kroatischer Melos. Der Atmosphäre nach behält das versklavte Volk den Glauben an die Freiheit, die eines Tages kommen muss, und aufgrund seiner Einfachheit, die die größte und elementarste Wirkung hat, könnte dieser Chor der Kroaten aus Porin dem berühmten Chor der versklavten Juden von Verdi am nächsten kommen, aus seinem 1842 uraufgeführten Nabucco? Es gibt keine Hinweise darauf, dass Lisinski ihn kannte! Der letzte Akt zeigt Passagen, die für jede Oper sehr charakteristisch sind. Sehr oft, insbesondere in Opern mit historischem Inhalt, aber auch in anderen, ist das gesamte Ensemble daran beteiligt, und sie haben Konzertcharakter mit einer Harmonie der Stimmen in einem wunderschönen melodischen Bogen.  Erst ein Aufruf zum Kampf, Heimlichkeit und Ungewissheit, Ungeduld und der feste Entschluss, das Finale zu beginnen, dann das Trio des Protagonisten mit einer lyrischen und raffinierten Atmosphäre unter Verwendung polyphoner Technik und schließlich das homophone Allegro mit dem Text „Wer zu sterben weiß, ist frei“ und der Höhepunkt mit dem Leitgedanken der gesamten Oper „Ja, Freiheit oder das Grab, tot ist besser als ein Sklave.“

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Zu Lisinskis „Porin“: Aufführung der Oper Porin , HNK Zagreb, 1949 Abteilung für Geschichte des kroatischen Theaters HAZU, Theatersammlung, Porin 1949

Porins Partitur zeigt zum Besten, wie viel musikalisches Wissen Lisinski in Prag erworben hat. „Liebe und Bosheit“ war ein talentierter Versuch, Porins die vollendete Oper, die gleichrangig neben der europäischen Opernproduktion der Zeit steht (mit Ausnahme der Großen Verdi und Wagner). Einen schöneren Frauenchor als den Hrvatica-Chor lässt sich in der gesamten slawischen (und nicht nur slawischen!) Opernliteratur kaum finden, und die Arie des Sveslav mit ihrer besonderen Instrumentalbegleitung dürfte zu den schönsten Bassarien überhaupt gehören. Das Finale des zweiten Akts findet sich in jeder großen Oper. Die beiden Tenor-Arien aus dieser Zeit stehen ähnlichen nicht weit hinterher, Zorkas Polonaise ist eine gekonnt komponierte Virtuosenarie, die Ensembles sind meisterhaft konzipiert und die Verwendung des Leitmotivs sowie die sehr seltene Form des Septetts mit Chor sowie die gut ausgebaute Ouvertüre und das Gespür für die Dramatik der Musikszene zeigen Lisinski als einen überaus begabten und guten frühromantischen Opernkomponisten, dem es gelang, die Schönheit des Belcanto mit slawischer Wärme zu verbinden. Er blieb sein eigener und erkennbarer Komponist, tief verwoben mit dem kroatischen Nationalwesen, ein wahrer Vertreter des kroatischen nationalen musikalischen Ausdrucks. In formaler Hinsicht respektierte er die Tradition der großen Oper mit fünf Akten und dem ersten Höhepunkt am Ende des zweiten Akts, er widersetzte sich aber auch dieser Tradition, da er kein Ballett- Divertissement einführte.

.Und man kommt nicht umhin, sich  zum x-ten Mal erneut zu fragen: Wo wäre die kroatische Musik, insbesondere die Oper, wenn Porin in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgeführt worden wäre und nicht erst Ende des 19. Jahrhunderts!

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Verbreitung/Dokumente: Porin etablierte sich fest im Repertoire der Zagreber Oper, erlebte aber auch verschiedene Veränderungen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde es mehrmals überarbeitet, wurde von den größten kroatischen Künstlern dirigiert und inszeniert und die sehr schwierige Titelrolle wurde von größten Tenören Kroatiens gesungen. Nikola Faller (1862-1938) kürzte die Oper für die Uraufführung, „verzichtete auf unnötige Verzierungen und Wiederholungen“, wie Vjekoslav Klaić schreibt, und entfernte das erste Bild des vierten Akts – die große dramatische Szene von Kocelin. Er trat in der Saison vierzehn Mal auf. Der glänzendste Auftritt fand am 23. Oktober 1897 statt, als der 50. Jahrestag der Einführung des Kroatischen als Amtssprache gefeiert wurde.

Lisinskis „Porin“: Natürlich noch einmal die wunderbare Sena Jurinac im Film „Lisinski“ 1944/Rubio

Nach der posthumen Premiere 1897 gab es noch weitere Aufführungen von Porin, so anlässlich des 60. Todestages von Lisinski 1914, dann anlässlich der Hundertjahrfeier der Eröffnung des Theaters am Markovo  Platz am 4. Oktober, 1934. Die Oper wurde nie vollständig aufgenommen, stattdessen wurden zweimal verschiedene Ausschnitte veröffentlicht (u. a. ca. 58 Minuten mit Ausschnitten aus den Akten 3, 4 und 5, aufgenommen 1980, und 52 Minuten mit Ausschnitten aus allen fünf Akten, aufgenommen 1958), darunter weniger als eine Stunde der Musik, sowie eine jugoslawische Verfilmung von 1967, die mit anderthalb Stunden Länge zumindest die gesamte Handlung der Oper wiedergibt.

Zu den Höhepunkten der Yugoton-LP-Aufnahme von 1958 (die inzwischen zur 200. Jahrfeier wieder als CD bei Croatia erschien) gehören die Ouvertüre, die Einleitung zum ersten Akt, die Arie für Irmengarda im ersten Akt und ihr Duett mit Porin, der Eröffnungschor der kroatischen Frauen und das Finale des zweiten Akts, das Finale des dritten Akts mit der Arie für Porin, die Gefängnisarie für Sveslav im vierten Akt und die Chor-Tanz-Schlussnummer im fünften Akt.

Die TV-Höhepunkte von 1980 stammen ausschließlich aus den letzten drei Akten, darunter das Duett zwischen Irmengarda und Kocelin, die Arie und das Finale für Porin im dritten Akt, die symphonische Schlacht in der ersten Szene des vierten Akts sowie die Arie für Sveslav und das Trio mit den beiden Frauen in der folgenden Szene, gefolgt von einer etwas längeren Wiedergabe des fünften Akts (mit dem, was am Ende die Ouvertüre zu sein scheint, oder möglicherweise ein Ballettteil).

Im Rahmen des Zyklus des Kanconijer-Chores und des HRT-Symphonieorchesters fand am 28. März 2019 eine konzertante Aufführung von Porin im Konzertsaal Vatroslav Lisinski statt. Chor und Symphonieorchester des HRT (Pavle Dešpalj, Dirigent; Ljubomir Puškarić, Bariton; Kristina Kolar, Sopran; Stjepan Franetović, Tenor; Luciano Batinić, Bass; Evelin Novak, Sopran; Irena Parlov, Mezzosopran), das nun gibt es nur akustisch bei youtube.

2016 führte das Nationaltheater Ossijek die Oper komplett auf (Dalibor Hanzalek, Tamara Franetović Felbinger, Domagoj Dorotić, Marijana Prohaska, Dirigent Mladen Tutavac).

Im Juli 2015 gab es eine Aufführung in der Vatroslav-Lisinski-Konzerthalle in Zagreb, diese wurde im TV-Studio aufgezeichnet mit dem Chor des Kroatischen Rundfunks und dem  Symphonieorchester des Kroatischen Rundfunks sowie die Gesangssolisten Evelin Novak, Leon Košavić, Domagoj Dorotić und Giorgio Surian , sowie Mario Bokun und Stefano Surian in den Nebenrollen. Die Leitung hatte Mladen Tarbuk. 1968 dirigirte Niksa Bareza die Oper in Zagreb Noni Žunec, Nada Ruždjak, Franjo Petrušanec, Franjo Lovrić, Branka Stilinović), (auch dieses in grauer Gräue bei youtube).

Die Aufführung von 1958 bietet Solisten und Orchester der Oper in Zagreb. Während die orchestrale Leistung durchaus zu überzeugen weiß, sind die Sängerinnen und Sänger nicht ganz einheitlich in ihren Gestaltungsmöglichkeiten.

Dazu dieses als Tondokument Auszüge von 1958 mit Josip Gostic (Porin), Franco Lovric (Kocelin), Mirka Klaric (Irmengarda), Dragutin Bernardic (Sveslav), Mira Stor (Zorka), Chor und Orchester der Oper Zagreb, Miladen Basic, Dirigent; 1 CD Croatia Records CD 6089208; Aufnahme 1958; Neuveröffentlichung 12/2019 (53’00) Eine kritische Ausgabe der Partitur von 1919 ist in der Petrucci Library erhältlich. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge in unserer Serie Die Vergessene Oper findet sich auf dieser Serie hier.

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Marija Barbieri, kroatische Musikwissenschaftlerin und Autorin

Wie stets hat ein Artikel mit vielen Quellen fremdsprachiger (diesmal amerikanischer und kroatischer Herkunft) viele Autoren, deren Informationen zum Teil mühsam zu besorgen waren. Vor allem bin ich Marija Barbieri, der Doyenne der kroatischen Musikjournalisten, verpflichtet, deren langer Einführungstext in KLASIKA.hr, 1. Oktober 2019 mir sehr geholfen hat. Spannend ist auch der wirklich gute Text von Phil´s Opera World, der die verbleibenden Tondokumente aufdröselt. Eine Einführung bietet auch die Rezension zur Aufführung 2019 von Uwe Krusch auf der Platform Pizzicato und natürlich auch die vielen vaterländischen Einträge in Lexika und Würdigungen. Aber wieder einmal verwundert, dass es keine brauchbare CD-Ausgabe dieser National-Oper gibt, darin gleicht Kroatien eben anderen Ländern wie Griechenland oder Bulgarien. Nix nationales Erbe. Geerd Heinsen

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.Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier

Osmanische Grüße

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Als Joseph Haydns Entführung aus dem Serail galt den Zeitgenossen dessen Oper L’Incontro improvviso und war damit eines der vielen Musikwerke in orientalischem Milieu und/oder zumindest mit orientalischem Personal, die nach der Aufhebung der Belagerung der Stadt Wien durch die Türken unter Zurücklassung nicht nur eines Sackes Kaffee, sondern auch einer Janitscharenkapelle sich großer Beliebtheit erfreuten. Allerdings musste erst einmal ein Jahrhundert seit der Bedrohung vergangen sein, und der Geist der Aufklärung musste die Gehirne durchlüftet haben, ehe man im Fremden nicht mehr den Feind, sondern durchaus, siehe Bassa Selim, den an Toleranz sogar Überlegenen zu schätzen gelernt hatte. Die opera semi seria wie der Incontro ist dabei bereits die zweite Form der Türkenoper, die zuvor lediglich als opera seria anzutreffen war. Mit ihrem teilweise komischen Personal gehören Entführung wie Incontro zu dieser Gattung.  Die reine opera buffa in orientalischem Milieu war erst einer späteren Zeit vorbehalten und fand mit Rossinis L’Italiana in Algeri oder IL Turco  in Italia ihren Höhepunkt. In den meisten dieser Werke ging es um die Entführung und Befreiung europäischer oder einheimischer Frauen aus dem Harem.

Haydn komponierte seine Oper anlässlich eines Festes, dass sein Brotherr Fürst Esterhazy zu Ehren der Kaiserin Maria Theresia und eines ihrer Söhne auf Schloss Eszterhaz gab. Wohl auch weil Haydns Werk ausschließlich orientalisches Personal hat, findet sich in ihm nicht der Kontrast zwischen „europäischer“ und an die türkischen Janitscharen erinnernder Musik, sondern eher eine an den Orient gemahnende Instrumentierung. Übrigens ging die Musik zu einigen wenigen Rezitativen verloren, so dass sie gesprochen werden.

Das Libretto ist eine Adaption eines bereits von Gluck verwendeten Textbuchs mit dem Titel La rencontre imprevue. Die persische Prinzessin Rezia ist von Seeräubern entführt und an den Sultan von Ägypten verkauft worden. In seinem Harem lebt sie in Gesellschaft zweier Gespielinnen, Balkis und Dardane.   Ihr Verlobter Ali, Prinz von Basra, sucht sie verzweifelt. Er hat einen  verfressenen Diener, Osmin, der vom Derwisch Calandro zum Eintritt in den reichen Essensprofit versprechenden Bettelorden überredet wird. Es wird die Flucht der Rezia und ihrer Gefährtinnen organisiert, sie scheitert, aber der Sultan vergibt allen und lässt sie ziehen.

L’Orfeo Barockorchester unter Michi Gaigg versetzt den Hörer unmittelbar in eine heitere Stimmung durch sei frisches, zupackendes Aufspielen, nicht zuletzt durch den leicht orientalischen Anstrich, den es der Musik verleiht. Vorwiegend hell, leicht und damit ein wenig eintönig wirkt das Gesangsensemble, denn erst ganz zum Schluss bringt der Sultan von Michael Wagner mit seinem dunklen Bass eine weitere Farbe ins musikalische Geschehen.  Empfindsam geht Bernhard Berchtold seine Partie, den Prinzen Ali, an, sein langes Rezitativ singt er kultiviert und sensibel, leider nicht mit einer Stimme wie aus einem Guss, sondern mit recht flach klingender Mittellage. Im Duett „Son quest‘ occhi“ mit seiner Partnerin kann er sich enorm steigern. Diese ist Elisabeth Breuer mit kindlich klingendem soprano leggerissimo, der klar und silbrig, dazu höhensicher erklingt, koloraturgeläufig ist und nur in der absoluten Extremhöhe an seine Grenzen gerät. Ihre Gefährtinnen sind Annastina Malm als apart klingende Dardane, manchmal etwa scharf, aber angenehm agogikereich, und Anna Willerding als Balkis, licht und fein der Sopran, doch leider etwas verwaschen und unbestimmt. Es gibt ein sehr anmutiges Terzett der Damen, in dem alle drei reüssieren können, so wie auch das Duett Osmin/Calandra zu den Höhepunkten der Aufnahme gehört. Angenehm textverständlich ist der Osmin von Markus Miesenberger, der seinen Charaktertenor mit schöner Geläufigkeit einsetzt, auffallend textverständlich ist. Weniger kann damit der Calandra von Rafael Fingerlos glänzen, dafür aber mit einer auffallend süffigen Farbe aufwarten kann. Insgesamt lohnt die Bekanntschaft mit dieser anderen Entführung durchaus, ist die CD höchst empfehlenswert und das dazu gehörende Booklet höchst informationsreich ( 2 CD CPO 555 327-2). Ingrid Wanja

Bezaubernde Violetta

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An DVD-Aufnahmen von Giuseppe Verdis Oper La Traviata besteht wahrlich kein Mangel. Die neue Aufnahme aus dem Teatro del Maggio Musicale Fiorentino ist vor allem wegen Nadine Sierra in der Titelpartie interessant. Die Sängerin verfügt über eine sehr schöne und wandlungsfähige Stimme, mit der sie die unterschiedlichen Anforderungen der drei Akte makellos erfüllt. Die Koloraturen in ihrer Arie „É strano“, die Melancholie und Betroffenheit des zweiten Akts sowie die Verklärung im Schlussbild –  für alles findet sie den richtigen Ausdruck. Auch rein optisch ist mit ihrer beredten Mimik und mit ihrer Körpersprache eine faszinierende Persönlichkeit: eine Violetta zum Verlieben. Auch Francesco Meli macht als Alfredo neben ihr eine gute Figur. Anfangs kommt er etwas lässig und schnöselig daher, verdeutlicht aber bald seine echten Gefühle. Sein schlanker Tenor verfügt über eine sichere Höhe und viel Differenzierungsvermögen. Der Dritte im Bunde war zum Zeitpunkt der Aufnahme am 28.9.2021 bereits 79 (!) Jahre alt. Es ist Leo Nucci, der als Giorgio Germont noch einmal das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit einbringt. Er macht seine Sache erstaunlich gut, muss aber mit manch steifem Ton dem Alter Tribut zollen. Seine Arie „Di Provenza“ gestaltet er mit viel resignativer Melancholie. Optisch sieht er ein bisschen wie Günter Wewel aus…

Regisseur Davide Livermore liefert eine solide, unspektakuläre Inszenierung. Die Bühne ist meistens in sanftes Halbdunkel getaucht. Im ersten Akt ist man Zeuge einer ausgelassenen Party, bei der ordentlich gequalmt und getrunken wird. Violetta sieht in ihrem kurzen Kleidchen wie ein Party-Girl aus. Alle vergnügen sich und tanzen wuselig umher. Die Getränke werden von einer alten Bediensteten auf einem Servierwagen gefahren, den sie wie einen Rollator vor sich herschiebt. Der taucht auch am Schluss wieder auf, nur sind jetzt Medikamente darauf.

Der zweite Akt zeigt kein Landhaus, sondern eher ein Filmset mit Scheinwerfern. Auch hier wuseln noch einige Party-Gäste herum. Im zweiten Bild dieses Aktes sieht es ähnlich aus wie im ersten. Zur Belustigung tritt sogar ein kleinwüchsiger Torero auf. Anrührend ist der Schluss gelungen. Violetta geht verklärt in ein Lichtermeer, während eine Doppelgängerin tot auf dem Sterbelager liegt. Auch die Party-Gäste sind wieder da. Sie schreiten jetzt wie Geister der Vergangenheit in einer Art Trauerzug durch die Szene.

Am Pult steht Altmeister Zubin Mehta, der die Aufführung routiniert, aber manchmal auch mit gemächlichem Tempo leitet. (Dynamic 37955). Wolfgang Denker